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Samstag, 28. Juni 2025

Die 3 K der Woche (31): Kinder, Kirche, Kunstinstallationen

So langsam kehrt bei mir die Normalität zurück, o Leser; auch wenn ich mich weiterhin etwas schonen muss, was vor allem bedeutet, dass ich nicht schwer heben oder tragen kann bzw. darf; aber mit der Beweglichkeit und dem Tatendrang geht es doch deutlich bergauf, und das schlägt sich teilweise auch in den Themen dieses Wochenbriefings nieder. Themen, die außerhalb des Selbsterlebten liegen, gibt es aber natürlich auch noch, und so ist dieses Wochenbriefing gefühlt mal wieder sehr "voll" geworden; ich habe mich aber bemüht, die übliche Gesamtlänge nicht wesentlich zu überschreiten. Und wofür kein Platz mehr war, das muss eben warten... 

Stationsaltar bei der Spandauer Fronleichnamsprozession. Mehr dazu weiter unten.


In Riesa gab's mal eine Mokkamilchbar 

Wie vorige Woche schon erwähnt, waren wir vergangenen Samstag – am kalendarischen Sommeranfang – beim Geburtstagspicknick einer langjährigen Künsterfreundin, und wie ebenfalls schon angedeutet, gibt es darüber durchaus einiges zu erzählen. Dass wir – und gerade auch die Kinder – dort einen ausgesprochen netten Nachmittag hatten, möchte ich vorausschicken, gibt aber erzählerisch deutlich weniger her, als die Veranstaltung unter dem Aspekt "Beobachtungen zu ideologischen Verwerfungen in der linken Szene und wie sie sich in den Kreisen meiner alten Bekannten auswirken" zu betrachten. Das Thema beschäftigt mich ja schon eine Weile, ich erinnere da an meine Beobachtungen beim Linienstraßenfest 2021, bei der Fiesta Kreutziga 2023 und beim Geburtstagspicknick eines anderen alten Freundes im Sommer 2024. Was ich beim letztgenannten Anlass feststellte – ich könne zwar nicht unbedingt sagen, dass die Veranstaltung im Vergleich zu früheren Jahren "insgesamt schwächer besucht gewesen wäre, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass einige Leute fehlten" –, könnte ich sinngemäß auch hier wiederholen; tatsächlich hörte ich, wie die Gastgeberin einem Gast gegenüber andeutete, sie habe sich offenbar zu einer Person entwickelt, mit der sich manche Leute in der Öffentlichkeit nicht mehr sehen lassen mögen. Ein möglicher Grund dafür klang in den Gesprächen auf der Picknickwiese auch sonst wiederholt an, nämlich der Gaza-Konflikt. Zeitgleich mit dem Geburtstagspicknick fand im Berliner Regierungsviertel eine große Gaza-Solidaritäts-Demo mit rd. 12.000 Teilnehmern statt (rbb24, auch genannt "Stimme der DDR", sprach sogar von 15.000); warum erwähne ich das an dieser Stelle? Zugespitzt gesagt: eher nicht deshalb, weil einige Leute, die ansonsten zum Picknick gekommen wären, durch diese Demo verhindert waren. Vielmehr ist es so, dass die Picknick-Gastgeberin dem "Free Palestine"-Pathos eher reserviert gegenübersteht – zumal sie, schon weil sie selbst Jüdin ist, eine feine Ader für die antisemitischen Reflexe hat, die sich bei diesem Thema in Teilen der deutschen Linken regen. 

Ich erwähne das als ein Beispiel aus meinem persönlichen Bekanntenkreis dafür, wie tief der Gaza-Konflikt die deutsche Linke gespalten hat. Man mag sich fragen, warum das bei früheren Eskalationen des israelisch-palästinensischen Konflikts nicht im selben Maße der Fall gewesen ist; ich persönlich glaube, der Unterschied zu früher™️ liegt nicht allein in der besonderen Härte, mit der der aktuelle Konflikt geführt wird, sondern auch darin, dass ganz allgemein die Fähigkeit oder Bereitschaft abgenommen hat, Meinungsverschiedenheiten innerhalb des eigenen ideologischen Lagers auszuhalten. Meiner Wahrnehmung zufolge ist das verstärkt "seit Corona" zu beobachten, und zwar nicht nur auf der Linken. Gleichzeitig hat aber der Trend zur Identitätspolitik dazu geführt, dass die ideologischen Konflikte innerhalb des linken Lagers zugenommen haben. Früher™️ ermöglichte es die marxistische Theorie, in allen möglichen Bereichen der internationalen Politik relativ eindeutig zu bestimmen, welche Konfliktpartei die "richtige" sei (dank des Historischen Materialismus sogar bei jahrhundertelang zurückliegenden Konflikten); aber jetzt haben wir Intersektionalismus, und jeder ist irgendwie unterdrückt und Unterdrücker zugleich. It's complicated

Aber lassen wir einstweilen mal das Theoretisieren und halten uns an konkrete Beobachtungen. Zu dem Picknick auf einer Wiese im Hansaviertel war "ab 15 Uhr" eingeladen worden, und als wir gegen 15:30 Uhr dort ankamen, war erst eine recht überschaubare Zahl von Gästen da, alle offenbar über 50 (die jüngeren Gäste, mal abgesehen von unseren Kindern, kamen erst deutlich später). Am Grill stand ein hochgewachsener Typ im Rockabilly-Look, den ich schon in früheren Jahren am selben Ort getroffen hatte, der ansonsten aber in Hamburg lebt und der zur Begrüßung scherzte, er stehe deshalb am Grill, weil er bisher der einzige heterosexuelle Mann auf der Party gewesen sei. – Dass bei dem Picknick gegrillt werden würde, hatten wir erwartet und hatten daher Würstchen mitgebracht, und zwar solche aus Fleisch – was (wenn auch nicht beim Rockabilly-Grillmeister, awopbop aloobop alopbamboom) prompt Bedenken auslöste, strenge Veganer könnten Anstoß daran nehmen, dass ihre veganen Buletten und Gemüsespieße auf demselben Grillrost gegrillt werden würden wie tote Tiere. – Übrigens hatte die Gastgeberin auf der Picknickwiese eine Kunstinstallation aufgebaut, bei der der geneigte Leser erst mal selbst raten darf, was sie darstellen sollte: 

Ich dachte ja zuerst, das sollte eine mobile Umkleidekabine sein, aber nein, es war eine begehbare Vulva. "Wir feiern hier schließlich das Leben", erläuterte die Künstlerin, "und das kommt nun mal aus einer Vulva." Da kam ja direkt ein bisschen Kirchentagsatmosphäre auf. 

Interessant fand ich es – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund meiner eigenen dörflichen Herkunft –, dass einer der Gäste erzählte, er komme aus der sächsischen Kleinstadt Riesa und sei neulich mal wieder dort gewesen. Was alles in allem wohl ein ziemlich deprimierendes Erlebnis war. Insbesondere erwähnte er eine "Mokkamilchbar", in der er früher gern zu Gast gewesen sei und die es jetzt nicht mehr gebe: In dem Ladenlokal sei jetzt eine Energieberatungs-Agentur. Da musste ich prompt an das Lied "Komet" von Udo Lindenberg feat. Apache 207 denken, in dem es heißt "Hier war vorher mal 'ne and're Bar, doch der Schnaps schmeckt noch genauso". Lustigerweise gibt es von diesem Lied auch eine Version für Kinder aus der Reihe KIDZ BOP (und dank meiner Tochter kannte ich diese Version sogar zuerst), da ist diese Textstelle geändert zu "Hier war vorher mal'n and'rer Laden, doch der Saft schmeckt noch genauso". In der Energieberatungs-Agentur in Riesa wird die Mokkamilch wohl nicht mehr genauso schmecken, aber was ich mit alledem eigentlich sagen will, ist: Von Zeit zu Zeit wundere ich mich darüber, dass die Forderung nach Milieuschutz gegen die fortschreitende Gentrifizierung so ein "linkes" Thema ist, wo man doch meinen könnte, das sei ein im besten Sinne konservatives Anliegen – etwa im Sinne dessen, was Rod Dreher in seinem Buch "Crunchy Cons" zum Stichwort "buy local" schreibt. Ich schätze, das wird man mal an anderer Stelle vertiefen müssen. 

Im Übrigen merkte derselbe Picknickgast an, seine Heimatstadt Riesa sei "so eine furchtbare AfD-Stadt geworden", und er sei froh, dass seine Mutter, die noch immer dort wohnt, "so stabil" sei und "immer noch die Linkspartei" wähle. Was ich auch wieder vielsagend fand: In der ehemaligen DDR ist es konservativ, die Linkspartei zu wählen. Oder nein, ich muss es anders formulieren: Viele Ex-DDR-Bürger wählen die Linkspartei aus einer konservativen Haltung heraus. Ich schätze, in diesem Umstand liegt sowohl das potentiell Brillante als auch die Schwierigkeit der Gründung des BSW: Man wollte die konservativen Linken-Wähler ansprechen, die durch den zunehmend "woken", strategisch auf Rot-Rot-Grün ausgerichteten Kurs "ihrer" Partei verprellt worden waren – und damit gleichzeitig verhindern, dass diese Wähler direkt zur AfD abwandern (was, wie Wählerwanderungs-Analysen seit Jahren aufzeigen, auch nicht gerade ein seltenes Phänomen ist). Teilweise ist diese Strategie auch aufgegangen, so bei der Europawahl, aber z.B. auch in Riesa, wo das BSW bei der Stadtratswahl vor einem Jahr 12,5% der Stimmen und drei Mandate erzielte, wohingegen die Linke, deren Wahlergebnis bei der vorherigen Wahl (2019) ähnlich ausgefallen war, anscheinend gar nicht mehr antrat. Das Problem ist indes, dass für "gemütskonservative" Wähler die Hürde, eine neue Partei zu wählen statt derjenigen, die sie "schon immer" gewählt haben, sehr hoch ist. Im Westen profitiert vor allem die CDU von diesem Phänomen, aber auch die SPD. 

Das soll jetzt aber auch erst mal wieder genügen zum Thema Politik...! Erwähnt sei abschließend noch, dass wir, genau wie letztes Jahr, durch unser Erscheinen bei diesem Picknick eine "Folgeeinladung" zu einem Gartenfest in Werder an der Havel geerntet haben. Das soll am 19. Juli stattfinden. Möglicherweise wird es da Anlass geben, an das eine oder andere der hier angeschnittenen Themen anzuknüpfen. 


 

Von Fronleichnam bis Herz Jesu 

Ich führe keine Wetterstatistik, glaube aber doch sagen zu können, dass der vergangene 12. Sonntag im Jahreskreis in Berlin der bislang heißeste Tag des Jahres war. Keine idealen Voraussetzungen für eine Fronleichnamsprozession, aber wir machten uns dennoch am Sonntagmorgen auf den Weg zur Spandauer Pfarrkirche Maria, Hilfe der Christen, um an der gemeinsamen Fronleichnamsfeier der beiden Spandauer Pfarreien teilzunehmen. Die Kirche war rappelvoll – obwohl wir gar nicht besonders spät dran waren, hatten wir Mühe, noch zusammenhängende Sitzplätze zu finden. Hauptzelebrant der Messe war der Pfarrer von Heilige Familie – der Hausherr, wenn man so will; die Predigt hielt indes der Pfarrer der Nachbarpfarrei St. Johannes der Täufer, ein Freund unserer Familie. Er richtete sich mit seiner Predigt vorrangig an die anwesenden Kinder, die er bei dieser Gelegenheit aufforderte, nach vorne zu kommen – wobei sich zeigte, dass es tatsächlich recht viele waren. Der Ausgangspunkt der Predigt war das Motto des aktuellen Heiligen Jahres, "Pilger der Hoffnung": Der Pfarrer sprach mit den Kindern darüber, was Pilgern bedeute, was der Unterschied zwischen einer Pilgerreise und einem einfachen Wanderurlaub sei und was man auf eine solche Reise unbedingt mitnehmen müsse. Wie sich zeigte, ließen sich die verschiedenen Antworten, die die Kinder darauf gaben, recht stimmig in die Kategorien "Nahrung/Stärkung", "Schutz/Sicherheit" und "Orientierung" gruppieren, und dies führte geradewegs auf die Kernaussage der Predigt hin: All dies nämlich gibt uns die Eucharistie für unsere Pilgerschaft durch das irdische Leben. Chapeau

Der Prozessionsweg durch die Spandauer Altstadt war im Vergleich zum vorigen Jahr nochmals gekürzt worden, was sich angesichts der Hitze als durchaus vorteilhaft erwies; gleichwohl konnte ich mich des Gedankens nicht ganz erwehren, der Umstand, dass der erste und der letzte Stationsaltar sich auf dem Gelände der Pfarrkirche befanden, stehe in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem Anliegen, die Verehrung des Eucharistischen Leibs Christi in die Öffentlichkeit zu tragen. – Wie dem auch sei: Angesichts meiner eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit und der altersgerecht begrenzten Konzentrationsspanne der Kinder klinkten wir uns nach der ersten Station zunächst mal aus der Prozession aus und gingen Eis essen. Anschließend spazierten wir ein bisschen durch die Altstadt und dachten, wir würden die Prozession vielleicht noch einholen, trafen sie tatsächlich aber erst wieder, als wir zur Kirche zurückkehrten. 

Nach dem Abschluss der Prozession folgte im Pfarrgarten der gesellige Teil der Fronleichnamsfeier, mit Grillwurst, einem Salat- und Kuchenbüffet und einem Kinderprogramm, das im Wesentlichen aus einer Hüpfburg und einem Schmink- und Glitzertattoo-Stand bestand. Nebenbei hatte ich ein interessantes Gespräch mit dem Gemeindereferenten und einem jungen Mann, der, wenn ich das richtig mitbekommen habe, die Website der Pfarrei betreut oder zukünftig betreuen soll; Anlass für dieses Gespräch war der ja an sich schon sehr bemerkenswerte Umstand, dass in Maria, Hilfe der Christen, aber auch und besonders in St. Joseph Siemensstadt in jüngster Zeit verstärkt junge Leute auftauchen, die keiner kennt und von denen keiner weiß, wo sie eigentlich herkommen, die aber offenkundig Interesse am Glauben und an der Kirche haben. "Das muss gerade so'n TikTok-Trend sein", spekulierte der Gemeindereferent scherzhaft, worauf der Webmaster etwas verwirrt einwarf: "Was – in die Kirche zu gehen?" – "Ja, in die Kirche zu gehen!" Die spannende Frage ist nun natürlich, was man dafür tun kann, dass dieses Interesse Früchte trägt. Auch dazu hat sich der Gemeindereferent bereits Gedanken gemacht und ist auf die Idee für einen Flyer gekommen, der im Eingangsbereich der Kirchen ausgelegt werden könnte. 

Hier ein erster Entwurf. 

Der Clou an diesem Flyer-Konzept ist, dass es auf der Rückseite zu jeder der auf der Vorderseite aufgeworfenen Fragen einen kurzen "Teaser"-Text und dann einen QR-Code geben soll, der auf eine Unterseite der Pfarrei-Website mit weiterführenden Informationen zum jeweiligen Thema verweist. Die entsprechenden Texte müssen allerdings noch geschrieben werden. Das Konzept finde ich jedenfalls super, und das sagte ich dem Gemeindereferenten auch – woraufhin er mich prompt mit der Aufgabe beglückte, einen Teil der Texte für die Website zu verfassen, nämlich den Teil über Maria. Na, ich hatte ja, nachdem es mit dem Projekt "Pfarrhausfamilie" so schnell nun doch nicht losgeht, sowieso die Absicht, mein Engagement in der Gemeinde St. Joseph/St. Stephanus zu verstärken; so gesehen kommt dieser Auftrag eigentlich wie gerufen. 

Am Mittwoch hatte meine Liebste am Nachmittag eine Fortbildung, was zur Folge hatte, dass ich allein mit den Kindern zum JAM musste. Die Frage, ob ich wieder zum Elterncafé gehen sollte oder wollte, erübrigte sich, da der Jüngste nachdrücklich darauf bestand, dass ich mit ihm zum Programm für die "Minis" ging. Dieses bestand im Wesentlichen aus einer Nacherzählung der Geschichte von David und Goliat, dargeboten von der einen Mitarbeiterin, die ich nicht so besonders schätze; tendenziell mehr interessiert hätte mich das Programm für die "Kids", aber das ließ ich mir hinterher von unserer Großen nacherzählen. Wie man sich schon denken konnte, ging es da ebenfalls um David und Goliat, allerdings mit einem ausgeprägteren Bezug zum Erfahrungsbereich der Kinder. Bei der gemeinsamen Eröffnung war mir bereits die folgende Installation aufgefallen: 

Wie meine Tochter mir auf Nachfrage erläuterte, sollten diese Luftballons Erlebnisse oder Gefühle repräsentieren, die genauso beängstigend oder einschüchternd sein können wie der Riese Goliat (z.B. Mobbing, Leistungsdruck...), die man aber mit Gottes Hilfe besiegen kann; und deshalb wurden die Luftballons zum Platzen gebracht. 

Von Donnerstag auf Freitag gab es einen heftigen Sturm, der zur Folge hatte, dass am Freitagmorgen die S-Bahn nicht fuhr und durch den Tegeler Forst auch keine Busse fuhren; somit konnte ich das Tochterkind nicht zur Schule bringen, und die KiTa des Jüngsten hatte sowieso geschlossen wegen Mitarbeiterfortbildung. Ich machte also das Beste draus und ging mit beiden Kindern erst zur "Rumpelbergruppe" und dann "Beten mit Musik" – letzteres hatte ich anlässlich des Hochfests des Heiligsten Herzens Jesu ja sowieso vorgehabt. Zwar hatte ich zunächst gewisse Bedenken, weil mir die Kinder in ziemlich krawalliger Stimmung zu sein schienen, aber dann wurde es doch eine ausgesprochen schöne Andacht; als ich die Kinder fragte, ob sie spezielle Gebetsanliegen hätten, sagte die Große "für deinen Bauch", was ich sehr lieb fand, und sie sprach auch das Vaterunser mit. 

Am späten Nachmittag, während meine Liebste mit den Kindern unterwegs zum Schwimmkurs war, ging ich in Herz Jesu Tegel zur Eucharistischen Anbetung; das wollte ich sowieso schon länger mal wieder machen, und was für eiben besseren Anlass könnte es dafür geben als das Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu? Zunächst war ich unsicher, ob ich zur Abendmesse bleiben sollte, die von Pater Brody zelebriert wurde ‐ bei dem Pfarrvikar aus Nigeria hätte ich weniger Bedenken gehabt, aber der hatte zeitgleich die Messe in St. Bernhard Tegel-Süd –, aber dann dachte ich mir, es wäre doch irgendwie blöd, nicht zu Messe zu bleiben. Einschließlich des Zelebranten, des Messdieners, der Küsterin und der Lektorin nahmen ungefähr 15 Personen an der Messe teil, darunter immerhin zwei Elternpaare mit je einem Kind; die gerade mal dreieinhalb Minuten lange Predigt war nicht groß der Rede wert, aber das trifft sich insofern ganz gut, als ich hier sowieso nicht den Platz hätte, ausführlich auf sie einzugehen. Ein Detail muss ich aber doch erwähnen: Pater Brody wies auf die unweit des Ambo an die Wand montierte Herz-Jesu-Statue hin, räumte ein, er selbst finde sie "ein wenig kitschig" – das scheint irgendwie ein recht verbreitetes Topos zu sein –, fügte aber hinzu, er habe mal "eine Dame" sagen hören, dieses Standbild sei "das Schönste, was wir hier hätten in der Kirche" – denn "es zeigt einen Mann, der sein Herz zeigt, der Herz hat, der sein Gefühl nicht versteckt". Auch noch bemerkenswert fand ich die erste Fürbitte, in der, offenbar angeregt durch das Evangelium mit dem Gleichnis vom verlorenen Schaf, "für unsere Gemeinde" gebetet wurde, "um Offenheit und die Bereitschaft, denen nachzugehen, die sich entfernt haben". Da kann ich angesichts der Erfahrungen, die meine Familie und ich in dieser Gemeinde gemacht haben, nur sagen: Ja, das hat diese Gemeinde wirklich nötig. (Womit ich nicht sagen will, dass andere Gemeinden das nicht nötig hätten.) 


Nachträge zu "kommt & seht" 

Die Nachberichterstattung zur Eucharistischen Konferenz "kommt & seht" in Köln, von der hier vorige Woche recht ausführlich die Rede war, ist, soweit ich sie überblicken kann, weitgehend positiv ausgefallen; was man, wenn man will, natürlich darauf zurückführen kann, dass viele Medien, von denen man eine eher kritische Berichterstattung hätte erwarten können, es vorgezogen haben, gar nicht darüber zu berichten. – Laut Angaben der Veranstalter waren "knapp 1000" Teilnehmer in die Kölner X-Post gekommen – eine recht überschaubare Zahl; könnte man sagen; man könnte aber auch sagen: ein guter Anfang. Zukünftig soll die kommt & seht-Konferenz nämlich jährlich stattfinden, mindestens bis zur 750-Jahr-Feier der allerersten Fronleichnamsprozession, die 2029 ansteht. Man darf gespannt sein, wie sich das Event in den nächsten Jahren entwickelt. 

Eine positive Bilanz der ersten kommt & seht-Konferenz zog Bischof Oster aus Passau, der ja selbst einer der Keynote Speaker war: Im Interview mit dem Domradio hob er hervor, bei diesem Event sei es "um die Mitte unseres Glaubens" gegangen – "die Eucharistie, um die Gegenwart des Herrn. Wir spüren in diesen Zeiten der Säkularisierung und Entkonfessionalisierung, dass wir immer wieder einen Fokus auf diese Mitte brauchen. Das hat auch etwas mit innerer Umkehr und innerer Bekehrung zu tun." Auch Erzbischof Aquila aus Denver erklärte, er habe bei dieser Veranstaltung "ein wirkliches Verlangen der Menschen" wahrgenommen, "Christus zu begegnen". – Erzbischof Aquilas Predigt vom zweiten Tag der Konferenz habe ich mir in der Domradio-Mediathek angesehen bzw. –gehört; sie bezieht sich auf das Evangelium von der Hochzeit zu Kana (Johannes 2,1-12), und ich könnte mir vorstellen, dass ich daraus einige Impulse für die weiter oben angesprochene Aufgabe beziehen könnte, für die Website der Pfarrei Heilige Familie katechetische Kurztexte über Maria zu verfassen. – Die Predigt war jedenfalls sehr gut; insbesondere schlug mein #BenOpper-Herz höher, als Erzbischof Aquila im Zusammenhang mit dem Ausspruch Mariens "Was Er euch sagt, das tut!" (V. 5) ausführte: 

"Wir alle werden von der Welt um uns herum beeinflusst, und leider hören heute immer mehr Menschen auf das Wort einer Ideologie, einer politischen Partei oder auf Ideen, die keine Grundlage in der Wahrheit haben, die Jesus Christus ist. Wir müssen uns fragen: Durch welche Brille betrachte ich die Welt und die Kirche? Durch die Brille der Heiligen Schrift oder durch die Brille der Welt?" 

Und mit den darauffolgenden Sätzen wurde der Erzbischof von Denver einmal mehr in seinem Ruf gerecht, einer der profiliertesten internationalen Kritiker des Synodalen Weges zu sein: 

"Einige der Vorschläge, die heute in der Kirche gemacht werden, sogar von Bischöfen und Laien, widersprechen dem Wort Gottes. Sie sind bereits von anderen christlichen Gemeinschaften ausprobiert worden, aber sie tragen keine Frucht." 

Den schon vorige Woche angesprochenen Vortrag von Katharina Hauser habe ich mir ebenfalls nochmals angesehen. Um inhaltlich näher darauf einzugehen, fehlt mir hier der Platz, aber auf jeden Fall kann ich ihn sehr empfehlen. Es gibt ihn auch bei YouTube

Indessen muss ich gestehen, dass ich es doch ein bisschen enttäuschend finde, wie sehr die üblichen Verdächtigen aus dem "feindlichen Lager" dieses Event mit Nichtachtung gestraft haben. Aber immerhin bin ich inzwischen hinter einen plausiblen Grund dafür gekommen, dass Thomas Halagan von "Horse & Hound" am Fronleichnam-Wochenende anderes zu tun hatte, als die kommt & seht-Konferenz zu kritisieren: Er erhielt nämlich am Freitag nach Fronleichnam im Dom zu Essen zusammen mit drei Kolleginnen seine Beauftragung zum Pastoralreferenten (zuvor war er "nur" Pastoralassistent gewesen). Als Pastoralreferent verdient man in Deutschland übrigens durchschnittlich 4.600 € brutto, was einem Stundenlohn von 29 € entspricht. Damit will ich nun nicht unbedingt sagen "Die sollten das Geld lieber mir geben" (obwohl: schön wäre das natürlich); in erster Linie ist das für mich ein Anlass, darüber zu sinnieren, wie es wäre, wenn die Kirche mal damit aufhören würde, Leuten Geld zu geben, die nach Kräften und aus Überzeugung gegen sie arbeiten. Okay, wir reden hier vom Bistum Essen, das, unter dem Gesichtspunkt des Schmutzigen Schismas betrachtet, wohl nicht erst seit gestern so ziemlich komplett in Feindeshand ist, vom Generalvikar angefangen; aber es ist ja nicht so, als gäbe es das Phänomen, dass wohlbestallte hauptamtliche Mitarbeiter der Lehre und dem Auftrag der Kirche offen feindlich gegenüberstehen, nicht genauso auch in anderen Diözesen. Zu diesem Thema wäre zweifellos noch mehr sagen, was hier und jetzt aber wohl den Rahmen sprengen würde. 

Derweil hat die gute alte Eule zur Feier ihres achtjährigen Bestehens ihr Wochenbriefing-Format #LaTdH (steht für "Links am Tag des Herrn") eingestellt. Na, good riddance, sag ich mal. – Nicht auszuschließen ist, dass uns die kommt & seht-Konferenz auch in den nächsten "3 K der Woche" noch weiter beschäftigen wird; am morgigen Sonntag soll im Rahmen der Sendung "Glaubenszeugnisse by @tini" auf K-TV ein Beitrag zu diesem Event ausgestrahlt werden, der möglicherweise doch das Interesse der einschlägig bekannten Fundamentalistenjäger auf sich ziehen wird. Diese Sendung wird nämlich gestaltet und moderiert von der "christlichen Influencerin" Tini Brüning, die mir offen gestanden nur deshalb ein Begriff ist, weil sie Anfang des Jahres bei der ZIMZUM-Konferenz auftrat und in diesem Zusammenhang vor ihr gewarnt wurde, z.B. von Regina Nagel. Klar, Tini Brüning hat ein Volontariat im Gebetshaus Augsburg und eine Jüngerschaftsschule der Loretto-Gemeinschaft absolviert, das sind schon mal fette rote Häkchen auf der Feindbilder-Checkliste. Erstmals "Jesus kennengelernt" hat sie nach eigener Aussage übrigens beim Forum Altötting der Gemeinschaft Emmanuel, was ich ja nun eher überraschend finde, aber hey: Schön, dass es auch solche Erlebnisse gibt. Zu ihren Eindrücken von der kommt & seht-Konferenz schreibt Tini Brüning auf Instagram, es habe sie "berührt" Kardinal Woelki "zu erleben, wie er aufblüht in einer Gemeinschaft, die ihn wertschätzt": 

"Er wirkt auf mich wie ein geläuterter Mann, der durch starke Kritik lernen musste, was es heißt, seine Sicherheit in Christus allein zu finden (nur mein Eindruck). Mit seiner Standfestigkeit trotz Gegenwind hat er Loyalität zu Christus und zur Lehre der Kirche bewiesen, wofür ich ihn sehr respektiere." 

Interessant, nicht? Na, wie gesagt: Nächste Woche vielleicht mehr dazu. 


Währenddessen in St. Willehad: Abschied von Pfarrer Jasbinschek 

Am morgigen Sonntag, dem Hochfest Peter und Paul, wird in der Nordenhamer Pfarrkirche St. Willehad Pfarrer Karl Jasbinschek nach etwas über neun Jahren Amtszeit in den Ruhestand verabschiedet. Wie wir bereits erfahren haben, wird die Pfarrstelle bereits im September neu besetzt werden, und in der Zwischenzeit sind die Gläubigen in Nordenham, Butjadingen und Stadland nicht ohne priesterlichen Beistand, schließlich gibt es noch Pastor Kenkel. Trotzdem ist Pfarrer Jasbinscheks Emeritierung für die Gemeinde natürlich ein Einschnitt – und ein Thema für die lokale Presse. Dass dem scheidenden Pfarrer da nur Gutes nachgerufen wird, ist wohl kaum überraschend; dennoch habe ich den Artikel der Kreiszeitung Wesermarsch, den mein Bloggerkollege Peter aus Nordenham-Einswarden mir weitergeleitet hat, mit Interesse gelesen, und ein paar Details dieses Artikels erscheinen mir kommentarwürdig. 

Was man da über die Situation in der Gemeinde vor Pfarrer Jasbinscheks Amtsantritt liest – "sein Vorgänger war nach nicht einmal eineinhalb Jahren auf eigenen Wunsch von seinem Amt entbunden worden, nachdem es mit dem ehrenamtlichen Pfarreirat Streit gegeben hatte" –, ist von der Papierform her wohl korrekt, wirkt auf mich aber doch etwas beschönigend bzw. verharmlosend; aber das Fass will ich hier nicht noch einmal aufmachen – zumal man das ja alles in Blogartikeln "von damals" nachlesen kann. Als nächste große Herausforderung in Pfarrer Jasbinscheks Amtszeit wird die Corona-Krise angesprochen: "Wir haben in dieser Zeit ein Drittel unserer Gottesdienstbesucher verloren", wird Pfarrer Jasbinschek zu diesem Thema zitiert, "und die kommen auch nicht wieder." In konkreten Zahlen heißt das: "Früher seien im Sonntagsgottesdienst immer um die hundert Gläubige gewesen, heute seien es eher um die siebzig." Das klingt zwar – wenn ich es mit manchen Sonntagen in verschiedenen Berliner Kirchen vergleiche – immer noch nach "gar nicht mal so wenig", aber das relativiert sich, wenn man bedenkt, dass wir hier von der einzigen Sonntagsmesse in einer nicht gerade kleinen Pfarrei sprechen. Okay, in Herz Mariä Burhave gibt es eine Vorabendmesse. Wenn man davon ausgeht, dass da "vor Corona" so um die 30 Leute hingegangen sind und diese Zahl ebenfalls um ein Drittel geschrumpft ist, ergibt das für die gesamte Pfarrei 90 regelmäßige Messbesucher gegenüber ehemals 130. Setzt man das ins Verhältnis zur "Mitgliederzahl der St.-Willehad-Gemeinde", die "in den vergangenen Jahren ebenfalls von rund 3.300 auf 3.100 Gläubige gesunken" sei, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Gottesdienstbesuchsquote schon "vor Corona" unter 4% lag und nun unter 3% gesunken ist. Das sind Zahlenverhältnisse wie in den evangelischen Landeskirchen. Ein paar Absätze weiter unten wird Pfarrer Jasbinschek mit der Aussage zitiert "Die Menschen brauchen Erfahrungen mit der Kirche, die ihnen guttun. Der Gottesdienst und die Liturgie alleine reichen nicht". Ich würde mal sagen, da wundert einen gar nichts mehr. 

– Oder doch? Zunächst mal, denke ich, gilt es zu betonen, dass es sich bei dieser Aussage des scheidenden Pfarrers um ein offenkundiges Strohmannargument handelt: Wann und wo hätte sich denn irgendjemand dafür ausgesprochen, dass die Kirche sich ausschließlich auf "Gottesdienst und Liturgie" konzentrieren solle? Hingegen macht, wie ich schon verschiedentlich hervorgehoben habe, die Bilanz von Pfarrer Jasbinscheks Amtszeit schmerzhaft deutlich, dass Gottesdienst und Liturgie für ihn, gelinde gesagt, keine besonders hohe Priorität haben, und das ist ein Problem. Ich habe es erst kürzlich in meiner Tagespost-Kolumne "Klein.Kram" geschrieben: Die Feier der Eucharistie soll zwar nicht das einzige sein, was die Kirche tut, aber sie soll im Zentrum von allem stehen, was sie tut, und die Quelle sein, aus der sich ihr ganzes Tun speist. Im Kreiszeitungs-Artikel wird der Vorsitzende des Pfarreirats von St. Willehad mit der Einschätzung zitiert, Pfarrer Jasbinschek habe "konsequent den Mensch [sic] in dem Mittelpunkt gestellt"; das finde er "toll". Na toll. Nicht auszudenken, wie anders es heute in dieser Pfarrei aussehen könnte, wenn er konsequent Gott in den Mittelpunkt gestellt hätte. – Ich sag's ganz offen: Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Pfarrei können ihm noch so freundliche Worte nachrufen – das sei ihm auch gegönnt –, aber ich für meinen Teil bin froh, dass er geht. Wenn ich das nächste Mal vor Ort bin, ist er schon weg und sein Nachfolger ist noch nicht da. Mal sehen, was es dann zu berichten geben wird... 


Geistlicher Impuls der Woche 

[Wir beten] "Dein Wille geschehe im Himmel und auf Erden", nicht etwa, damit Gott tun kann, was Er will, sondern damit wir zu tun vermögen, was Gott will. Denn wer hindert Gott daran, Seinen Willen zu tun? Weil hingegen wir vom Teufel verhindert werden, in unserem Tun und Trachten in allen Stücken Gott zu gehorchen, so beten und flehen wir darum, dass in uns der Wille Gottes geschehe. Damit dieser aber in uns geschieht, brauchen wir Gottes Willen, das heißt: Seine Hilfe und Seinen Schutz. Denn niemand ist stark aus eigener Kraft, sondern nur Gottes Gnade und Barmherzigkeit bietet sicheren Schutz. 

(Cyprian von Karthago, Über das Gebet des Herrn) 


Ohrwurm der Woche 

Credo unplugged feat. Edith Kink: Brot des Lebens 

Ein schönes Lied zu Fronleichnam. Ob wir's wohl noch erleben, dass dieses, etwa anstelle des unsäglichen "Brot, das die Hoffnung nährt" von Wilhelm Willms und Peter Janssens, bei Prozessionen gespielt wird? Ein Hindernis könnte natürlich sein, dass der Rhythmus nicht marschmäßig genug ist. Aber ich will hier und jetzt nicht von den Parallelen zwischen der NGL-Bewegung und der "Singebewegung" in der DDR (Oktoberclub etc.) anfangen. Genießt lieber das Lied, Freunde. 


Vorschau/Ausblick 

Heute Abend ist Community Networking Night im Baumhaus, aber wie schon öfter stand es bei Redaktionsschluss noch nicht fest, ob wir es dorthin schaffen würden (oder nötigenfalls ich allein); das erfährst du dann also nächste Woche, Leser! Morgen ist, wie schon beiläufig erwähnt, das Hochfest Peter und Paul, und glücklicherweise haben der Gemeindereferent und ich uns im Zuge unseres Gesprächs beim geselligen Teil der Spandauer Fronleichnamsfeier daran erinnert, dass an diesem Sonntag in St. Joseph Siemensstadt Kinderwortgottesdienst sein soll – der Termin war auf rätselhafte Weise aus meinem Kalender verschwunden. Glücklicherweise hatten wir schon bei unserem Vorbereitungstreffen Anfang Mai – am ersten Tag des Konklaves, nebenbei bemerkt – ein recht tragfähiges Konzept für diesen KiWoGo ausgearbeitet, ich denke also, das werden wir ganz gut hinkriegen; mit besonders vielen Kindern ist im Zeitraum zwischen Erstkommunion und Sommerferien allerdings wohl nicht zu rechnen. Anschließend könnt' man eventuell noch zum Familienfest im Diakoniezentrum Heiligensee fahren – schauen wir mal. Am Montag hat meine Liebste Geburtstag, gefeiert wird allerdings erst am nächsten Samstag, und zwar im "All Seasons" in Spandau, wo wir auch an meinem Geburtstag waren. Im Übrigen erwartet uns wieder eine "ganz normale" Schul- und Arbeitswoche; die KiTa des Jüngsten hätte eigentlich "Waldwoche" haben sollen, aber die ist nun wegen Sturmschäden abgesagt worden. Am Freitag haben die Kinder zum letzten Mal Schwimmkurs, und man darf gespannt sein, ob sie diesen mit einer erfolgreichen Seepferdchen-Prüfung abschließen werden. Wär natürlich nicht schlecht, zumal wir in den Sommerferien an die Nordsee fahren wollen... 


Mittwoch, 25. Juni 2025

Die Eucharistie ist kein Fast Food

"Große Teile unseres Fernsehprogramms sind heutzutage Kochsendungen und Kochkurse. Erstaunlich, was man alles kochen und braten kann." Mit diesen Worten beginnt die diesjährige Fronleichnams-Predigt des Berliner Erzbischofs Koch, die über den Presseverteiler des Erzbistums vorab veröffentlicht wurde; und ich finde, dass dieser Einstieg in Verbindung mit dem Namen des Erzbischofs geradezu eine Steilvorlage für Kalauer ist. Wollte ich ihm etwas Böses, hätte ich für diesen Artikel vielleicht eine Überschrift wie "Erzbischof Koch verdirbt den Brei" gewählt. Der Punkt ist aber, das will ich gar nicht. Man kann an der Amtsführung des seit zehn Jahren amtierenden Berliner Oberhirten sicher Manches kritikwürdig finden, von seinem Abstimmungsverhalten beim Synodalen Weg bis hin zum Immobilienentwicklungskonzept des Erzbistums oder, je nach Gusto, auch zur Neugestaltung der St.-Hedwigs-Kathedrale; aber auch wenn ich nicht immer mit allem einverstanden bin, was er sagt und tut, nehme ich ihn – gerade auch auf der Basis persönlicher Begegnungen – grundsätzlich als jemanden wahr, der gute Absichten hat

Ich würde sagen, das schlägt sich auch in seiner Fronleichnamspredigt nieder. An den eingangs zitierten "induktiven Einstieg" über Kochsendungen im Fernsehen schließt sich die Bemerkung an: 

"Wie gegensätzlich dazu vollzieht sich jedoch die alltägliche Nahrungsaufnahme vieler Menschen: Fastfood wird in kürzester Zeit zubereitet und verschlungen, dabei wird noch telefoniert, gelesen oder Notizen aufgezeichnet: Ja keine Zeit verlieren für die zwar funktional notwendige, aber sonst scheinbar nur zeitvernichtende Nahrungsaufnahme." 

Sagen wir mal so: Ich finde, dass er da ein wichtiges Thema anspricht, ein Thema, mit dem ich auch persönlich einiges anfangen kann, und ich fände es gut, wenn er das in einem Format wie dem "Wort zum Sonntag" (auch wenn ich das bekanntlich nicht mag) oder in einer Kolumne in der "B.Z. am Sonntag" täte, in einem Format also, das darauf ausgerichtet ist, ein eher kirchenfernes und religiös wenig interessiertes Publikum "abzuholen", indem man ihm vermittelt: Wir als Kirche beschäftigen uns mit denselben Fragen, die auch euch in eurem Alltag betreffen, und haben euch in diesen Alltag hinein etwas zu sagen. Als Einstieg in eine Predigt zum Hochfest des Leibes und Blutes Christi finde ich das hingegen eher irritierend. Warum? – Ich bin mir nicht sicher, ob ich das gut erklären kann, aber ich will's mal versuchen: Wenn die Kirche ihre tiefsten Mysterien feiert, dann ist das naturgemäß nicht niederschwellig, und ich finde, dazu sollte man stehen und gar nicht erst versuchen, diesen Umstand zu verschleiern. Hinzu kommt, dass ich als gläubiger Katholik ernst genommen werden möchte, und das heißt für mich auch – auf die Gefahr hin, dass das sehr arrogant klingt –, dass ich auch mal aus dem geistlichen Nichtschwimmerbecken rausgelassen werden möchte. Wie soll denn sonst geistliches Wachstum möglich sein? 

Aber schauen wir uns erst mal an, was Erzbischof Koch im weiteren Verlauf seiner Predigt aus diesem Ansatz macht
"Die Feier der Eucharistie als Mitte und Kernstück unseres Lebens als Christen scheint sich manchmal dem Fastfood-Vorgang angeglichen zu haben. Eine würdevolle Feier jeden Sonntag? Dabei haben wir doch anderes vor. Endlich mal frei und ohne Verpflichtungen. Und bitte nicht zu lang. Es muss ja auch nicht unbedingt eine heilige Messe sein, es genügt doch auch ein Wortgottesdienst. 45 Minuten sonntags im Fernsehen sind da für manche schon die Obergrenze der Zumutung." 

Allein über diesen Absatz könnte ich einen ganzen Essay schreiben, oder vielleicht, wenn ich Zeit hätte, sogar ein Buch. Hier wird das Dilemma der Niederschwelligkeit, oder, drücken wir's ein bisschen griechisch-tragischer aus, die Aporie der Anspruchslosigkeit beschrieben, ohne verstanden worden zu sein, ohne dass auch nur die offensichtlichsten Lehren daraus gezogen würden. Man hat die Leut' Jahrzehnte lang daran gewöhnt, dass von ihnen nichts (oder nur sehr wenig) erwartet oder gar verlangt wird, und dann wundert man sich, beklagt sich gar, dass sie auch nichts (oder nur sehr wenig) zu geben bereit sind. Ich meine das nicht hämisch, auftrumpfend oder besserwisserisch, im Gegenteil, es ist durchaus schade um die gute Absicht. Man wollte es den Leuten doch nur ein bisschen bequemer machen, ihren Glauben zu praktizieren, und was hat man erreicht? Die Leute haben festgestellt, dass es noch bequemer ist, den Glauben gar nicht mehr zu praktizieren. 

Ich will und kann den Essay oder das Buch, den oder das ich zu diesem Thema schreiben könnte oder müsste, hier und jetzt nicht vorwegnehmen, aber um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich doch zumindest noch betonen, dass ich die Antwort auf dieses Problem nicht in mehr Strenge, in forciertem Pochen auf Regeln und deren Einhaltung sehe. Das Ziel muss vielmehr sein, die Leute dazu zu bewegen, Gebet, Gottesdienst und den Empfang der Sakramente nicht nur oder in erster Linie als Pflicht zu betrachten, sondern als etwas, das sie aus Liebe tun. Ihnen die Erfahrung zu vermitteln, dass die Zeit, die sie im Gebet oder beim Gottesdienst verbringen, keine verlorene Zeit ist, die von ihrer übrigen Lebenszeit sozusagen "abgeht", sondern vielmehr eine Bereicherung, eine Erhöhung der Lebensqualität. Wohlgemerkt, es reicht nicht, daß nur zu behaupten; es muss eine erlebbare Realität sein. Das ist das unschätzbar Wertvolle an Formaten wie Nightfever. Aber kommen wir mal zurück zum Thema, also zu Erzbischof Kochs Fronleichnams-Predigt. 

Justus van Gent, Die Kommunion der Apostel (1472-74). Pop-Art-mäßig nachbearbeitet. 

Dass der Berliner Oberhirte die Eucharistie in die "Tradition der Mähler des Volkes Israel", von Melchisedek bis zum Pessach-Fest im Gedenken an die "Befreiung aus ägyptischer Sklaverei", einordnet, dient durchaus nicht, wie man zunächst argwöhnen könnte, bloß dazu, zu signalisieren "Ich habe Theologie studiert"*; vielmehr knüpft er daran die Feststellung: "Seit Jesus seinen Auftrag gab, diese Feier zu seinem Gedächtnis zu halten, ist die Kirche und sind wir, Gottes Volk, Teil der Heilsgeschichte Gottes mit und für die Menschen". Und weiter: 

"Christus hat uns, die so Feiernden, in die Gemeinschaft mit ihm und miteinander berufen und er geht mit uns mit, Tag für Tag. Indem die Kirche und die Christen die Geschichte Gottes mit ihnen in Jesus Christus lebendig halten, werden sie selbst Teil dieser Geschichte. Miteinander sind sie eingebettet in die große Geschichte des Heils, des Kämpfens und des Ringens, des Erzählens und des Feierns durch die Jahrhunderte und Jahrtausende der Geschichte Gottes mit seiner Kirche und seiner Welt." 

Gar nicht so schlecht, oder? Und es geht noch weiter: 

"Wir sind ein Teil der langen Prozession der Kirche durch die Jahrhunderte und Jahrtausende ihrer Geschichte, bis sie einmal vollendet sein wird beim himmlischen Mahl in Gottes Ewigkeit. Die Eucharistiefeier ist ein wirkliches Mahl der realen Gegenwart Christi im Sakrament mit unserer realen Lebenswirklichkeit, mit jedem Menschen, der mit seiner Geschichte mit Christus geht. Und es ist dies unsere ganz reale, nicht etwa nur eine virtuelle Gegenwart und Gemeinschaft mit Christus und miteinander. In jeder Eucharistie empfängt uns Christus und wir empfangen Christus und wir empfangen unsere Schwestern und Brüder und in ihnen Christus wirklich und wahrhaft. Gemeinsam sind wir Kirche, sind wir Eucharistie." 

Angesichts der Formulierung "Wir sind Kirche" mag der eine oder andere Hörer oder Leser kurz zusammenzucken und sich fragen: Gab's da nicht mal eine innerkirchliche Oppositionsgruppe, die sich so nannte? Gehört hat man von denen schon länger nichts mehr, wahrscheinlich sind sie teils an Überalterung eingegangen und teils in trendigeren, knalligeren Gruppen wie Maria Zwonull, Christians for Future oder #OutInChurch aufgegangen. Aber so ganz von ungefähr kommt diese Assoziation wohl nicht, schließlich ist das "gemeinsam-auf-dem-Weg-Sein" seit Jahrzehnten eine Lieblings-Redensart liberaler Katholiken, die damit die Vision einer "demokratisierten", postdogmatisch-universalistischen Kirche verbinden, in der jeder für sich selbst entscheiden könne, woran er glaubt und woran nicht. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Rede vom "gemeinsam-auf-dem-Weg-Sein" grundsätzlich verkehrt und von Übel wäre; Fun Fact: "Gemeinsamer Weg" heißt, wortwörtlich, "Synode". Und zwischen dem "Synodalen Weg" von DBK und "ZdK" einerseits und der Weltbischofssynode zum Thema Synodalität andererseits hat sich ja recht deutlich gezeigt, was für unterschiedliche Auffassungen es darüber gibt, was Synodalität in der katholischen Kirche bedeuten kann, bedeuten sollte und nicht bedeuten kann. Auf der einen Seite gibt es das alte Bild der Kirche als pilgerndes Gottesvolk, das das II. Vatikanische Konzil aufgegriffen, aber durchaus nicht erfunden hat; auf der anderen Seite knüpfen sich an die "Weg"-Metapher leicht Vorstellungen von etwas Ergebnisoffenem, nicht Festgelegtem: Der Weg ist das Ziel, jeder muss seinen eigenen Weg gehen, et cetera. In dieser Spannung steht auch diese Predigt, und manch einer mag finden, es sei gerade klug und geschickt, die Predigt so anzulegen, dass sie unterschiedlichen Deutungen zugänglich ist. Ich bin entschieden nicht dieser Meinung, ich glaube nicht, dass mehr "Ambiguitätstoleranz" das ist, was das Volk Gottes in diesen Tagen von seinen Hirten braucht. Ich würde mir von meinem Bischof eher mehr Klarheit, mehr Wegweisung, mehr Führungsstärke wünschen. Dass das Erzbischof Koch vom Naturell her nicht so sehr liegt, ist mir persönlich ja durchaus sympathisch, aber man muss (nicht nur, aber besonders) als Hirte eben auch mal was tun, was einem nicht liegt. Nur so wächst man über sich hinaus. 

Ein weiteres Manko dieser Fronleichnamspredigt betrifft ein Phänomen, das ich unlängst mal unter dem Stichwort "Aufbaukurs 'Repräsentativ Predigen'" angesprochen habe: die, wie es scheint, unter höheren geistlichen Würdenträgern hierzulande ziemlich verbreitete Vorstellung, bei Anlässen, bei denen man nicht nur ein überdurchschnittlich großes Live-Publikum vor sich hat, sondern auch Fernsehkameras und Ehrengäste aus Politik und Gesellschaft, müsse man so reden wie ein Politiker – allerdings weniger wie ein Bundeskanzler bei der Regierungserklärung als vielmehr wie ein Ortsbürgermeister bei einer Möbelhauseröffnung. Zu diesem repräsentativen Predigtstil scheint es auch zu gehören, Dinge in die Predigt hineinzupacken, die in einer normalen Sonntagsmesse eher in den Vermeldungen ihren Platz hätten. So zum Beispiel:

"Wir sind auf dem Weg zum Jahr 2030, in dem das Erzbistum Berlin sein 100. Bistumsjubiläum feiert. Schon in diesem Jahr gehen wir auf dieses Jubiläum hin die ersten Schritte. 1124/25 wurde das Bistum Lebus gegründet, dessen in Deutschland liegender Teil mit dem damaligen Bischofssitz Lebus ins Erzbistum Berlin übergegangen sind. Wie wir im letzten Jahr ein großes Fest im polnischen Teil des Bistums Lebus gefeiert haben, so werden wir am 28. September dieses Jahres in Fürstenwalde einen deutsch-polnischen ökumenischen Gottesdienst mit einem Begegnungsfest feiern. Ausstellungen und Fachtagungen begleiten dieses Jubiläum. Zur gleichen Zeit wird die katholische Kirche in Stralsund 250 Jahre alt und wird dies mit einer Festwoche vom 02. Bis 07. November besonders feiern. Zu diesen und vielen anderen Schritten auf dem Weg hin zum Bistumsjubiläum können Sie sich schon jetzt auf den Seiten des Erzbistums informieren". 

– Bei aller Kritik muss man aber doch betonen, dass diese Predigt einige richtige und für das Festgeheimnis von Fronleichnam relevante Aussagen enthielt; einige davon haben wir weiter oben schon zitiert, später wird dann nochmals auf den "induktiven Einstieg" zurückverwiesen mit der Klarstellung "Die Eucharistie ist damit kein Fastfood, sie ist Gottes gute Gabe auf dem Weg zum himmlischen Mahl der Ewigkeit", und: "Deshalb brauchen wir die Eucharistie nicht unter anderem, sondern als unsere Mitte und unser Zentrum". Das ist alles gut und richtig, aber ein bisschen schade ist es doch, dass diese Sätze ein bisschen untergehen, ja fast schon versteckt scheinen zwischen einer Vielzahl anderer, die zwar auch nicht gerade verkehrt, aber doch erheblich weniger auf den Punkt sind. 

In (not) entirely unrelated news werden in Berlin übrigens am kommenden Freitag vier Männer zu Diakonen geweiht; und zwar nicht zu Ständigen Diakonen – davon hat das Erzbistum dieses Jahr ebenfalls drei neue bekommen, die bereits im Mai geweiht wurden –, sondern es handelt sich um Priesteranwärter. Setzt man dies beispielsweise zu der Nachricht ins Verhältnis, dass im Bistum Osnabrück gerade die voraussichtlich letzte Priesterweihe für die nächsten sechs Jahre stattgefunden hat, da es für die kommenden Jahre keine Kandidaten gibt; dass im Erzbistum Hamburg von 2021-24 keine einzige Priesterweihe stattgefunden hat; dass in den fünf katholischen Bistümern Nordrhein-Westfalens in diesem Jahr insgesamt nur fünf Männer die Priesterweihe empfangen und in ganz Bayern nur sechs; dann kann man den Eindruck haben, dass im Erzbistum Berlin doch Manches besser läuft als in anderen deutschen Diözesen. Sieht man genauer hin, stellt man fest, dass die Hälfte der frisch geweihten Diakone vom Neokatechumenalen Weg kommt, der in Berlin-Biesdorf das Priesterseminar Redemptoris Mater betreibt; und so ähnlich sieht das Zahlenverhältnis bei den Weihekandidaten im Erzbistum Berlin schon seit vielen Jahren aus. Zugespitzt gesagt: Die absehbare Zukunft des Priestertums im Erzbistum Berlin ist jung, international und neokatechumenal. Das mag nicht jedem gefallen, und ich bin für Kritik an bestimmten Aspekten der für den Neokatechumenalen Weg spezifischen Spiritualität und Glaubenspraxis durchaus offen, aber was man an dieser Entwicklung allemal ablesen kann, ist, dass es gerade das niederschwellige, liberale, sich der säkularen Gesellschaft anbiedernde Mittelklasse-Christentum ist, das keine Zukunft hat. Und das gilt sicherlich nicht nur für Berlin. 



[* Nicht dass ich gerade Erzbischof Koch diese Intention unterstellen wollte. Aber es gibt durchaus Prediger, denen es sehr wichtig zu sein scheint, ihren Zuhörern zu demonstrieren, was sie alles wissen; und zwar unabhängig davon, ob dieses der "Message" der Predigt dienlich ist oder nicht.] 


Montag, 23. Juni 2025

Der seltsame Fall der eingekerkerten Nonne, Teil 24

Wohlan, Leser: Allmählich nähern wir uns dem Ende des 1244 Druckseiten starken, 1869/70 in Fortsetzungen erschienenen Romans "Barbara Ubryk oder die Geheimnisse des Karmeliter-Klosters in Krakau" von Dr. A. Rode. Man mag finden – und ich selbst bin ganz entschieden dieser Auffassung –, dass der Quervergleich mit thematisch verwandten Passagen aus dem Œuvre des unbestrittenen Meisters des zeitgeschichtlichen Sensationsromans, Sir John Retcliffe alias Hermann Goedsche, die die Mängel von Dr. Rodes Roman nur umso deutlicher hervortreten lässt, aber wissen, wie die Geschichte ausgeht, will man ja doch. Also dann: 

Das LXXII. Kapitel, überschrieben "Auch eine christliche Liebe", beginnt mit einem dem Naturforscher Carl von Linné (1707-1778) zugeschriebenen Zitat: "Alles, was auf der Welt ist, hat Berechtigung, auf derselben zu existiren", habe dieser "in der Einleitung zu seiner Abhandlung über giftige Reptilien" geschrieben (S. 1164) – wozu der Erzähler anmerkt: "Doch die Welt [...] ist bestrebt, sich von dem ihr Schädlichen zu emancipiren" (ebd.). In diesem Sinne habe sie "längst ihr Verdammungsurtheil über das Klosterwesen gesprochen" (ebd.); dass "jene Mauern [...], hinter welchen der Geist getödtet und der Leib gemästet wird", gleichwohl immer noch existieren, wird darauf zurückgeführt, dass es "so schwer" sei, "eingewurzelte Uebel abzuschütteln, selbst wenn die bessere Einsicht geweckt und die Ueberzeugung ihrer Verwerflichkeit allgemein geworden ist" (ebd.). 

Nach dieser Einleitung schildert das Kapitel, wie Barbara alias Jovita im Krakauer Karmel ankommt; die dortige Priorin, die "nicht sehr erfreut über ihr Erscheinen" ist, lässt auf den Rat ihres Beichtvaters Hyginus "die Expriorin von Warschau herbeirufen", um Jovitas Identität zu beglaubigen. Als die Schwester Zitta die Krakauer Priorin "vor der Verunreinigung des Klosters durch die Anwesenheit dieser Besessenen" warnt, bekräftigt diese ihre schon früher geäußerte Überzeugung, "daß es keine Besessenen gäbe und sie in ihrem Hause die Verbreitung derartigen Geredes nicht dulden werde" (S. 1165). Hingegen erwägt sie, Jovita "wegen Bruch der Gelübde einsperren" zu lassen; Pater Hyginus jedoch rät zu "Gnade" und empfiehlt der Priorin, "es mit der Pön dritten Grades genügen" zu lassen (S. 1166). Um was für eine zweifelhafte Gnade es sich dabei handelt, erläutert der Erzähler wie folgt: 

"Im dritten Grade wird man während zwölf Tagen täglich dreimal, und zwar jedesmal nach dem Ave Maria, gegeißelt, bekömmt nur Wasser und Brod, geht nicht zur Communion und bleibt im Carcer. [...] Bedenkt man [...], daß bei jeder Geißelung 36 Hiebe [...] aufgetragen, und zwar mit aller Kraft auf die entblößten Rücken und Lenden aufgetragen werder, so ist die Züchtigung gewiß eine sehr exemplarische. Wird sie nun gar während des Tages mehrmals wiederholt, und kann sich der so unsinnig kasteite Körper nur mit Wasser und Brod erhalten, so ist klar, daß eine Pön namentlich des dritten Grades zur vollendeten Hinrichtung wird" (S. 1167). –

Erinnern wir uns an dieser Stelle daran, dass auch Pater Alfons, als er wegen Ketzerei im Klostergefängnis saß, dreißig Tage lang "[j]eden Mittag [...] ein Stück schwarzes Brod, einen Krug Wasser und dazu die kleine Disciplin zu 36 Geißelhieben" erhielt, worüber es lediglich hieß, dass es "ihm nicht absonderlich schmeckte" (S. 1104). Sehr im Gegensatz zu dieser eher augenzwinkernden Schilderung wird die Folterung Jovitas alias Barbaras geradezu wollüstig ausgemalt, wobei auch der Hinweis auf ihre "Körpervorzüge [...], deren sie trotz der grausamen Behandlung in dem früheren Kloster noch zahlreiche besaß", ihre "Alabasterhaut", die "indeß durch viele Narben entstellt" ist, nicht fehlen darf (S. 1166). Gleich darauf gerät der Verfasser ins Moralisieren: 

"Wo in aller Welt verlangt Gott eine so unsinnige Selbstmarter? Und aus Liebe zu Gott sich halbtodt prügeln – ist das kein Wahnsinn? Kann man wirklich seine Liebe zu Gott nicht anders bezeugen? Ja, und gerade die Frauen zeigen hierin eine besondere Wollust! Es ist zwar bekannt, daß der Blutdurst und die Unbarmherzigkeit der Weiber in der großen französischen Revolution bei weitem diejenige der Männer überstiegen, allein eine so permanente Grausamkeit wie die der klösterlichen Pönen läßt sich nicht durch die Erhitzung der Geister entschuldigen" (S. 1167). 

Es folgen, wie schon in früheren Kapiteln, anekdotische Ausführungen zu Geißelungen und anderen asketischen Praktiken, garniert mit angeblichen Zitaten von Teresa von Àvila, Ignatius von Loyola und anderen Heiligen, sowie allgemeine Betrachtungen über die Verhältnisse in Klöstern. So heißt es z.B.: 

"In Italien, wo die Nonnen aus der Welt, die sie nie zu lieben aufhören, in ihr Kloster jene bestigen Leidenschaften mitbringen, die eben nur unter diesem heißen Himmel entstehen können, ist es häufig genug zum Verbrechen gekommen. Vor einigen Jahren kam es in einem römischen Kloster unter den Nonnen zu Messerstichen; zwei oder drei fanden dabei den Tod und trotz aller Umsicht, den schrecklichen Skandal zu vertuschen, erfuhr es doch die ganze Stadt. Die Veranlassung gab ein sehr geliebter Pater" (S. 1171). 
Es wird eingeräumt, in Deutschland kämen "die Nonnen niemals zu solchen Ausschreitungen. Messer und Dolche gehören nicht zu den deutschen Sitten" (ebd.). 

Obwohl sich der Verfasser in seinen Schilderungen erneut auf "Untersuchungsakten" zum Fall Barbara Ubryk beruft – aus denen etwa mitgeteilt wird, der "Beichtvater P. Hyginus Masofsky" habe angegeben, Barbara sei nach ihrer Ankunft im Krakauer Karmel "sehr verschlossen, hartnäckig, ja böswillig geworden" (S. 1171) –, enthält das Kapitel wenig, was über genretypische Klischees hinausginge. Daher möchte ich, wie schon angekündigt, an dieser Stelle erneut einen Seitenblick auf einen anderen, sich ebenfalls als authentisch ausgebenden Text zum Fall Barbara Ubryk werfen, nämlich das in den USA erschienene antikatholische Pamphlet "The Convent Horror: The Story of Barbara Ubryk. Twenty-One Years in a Convent Dungeon Eight Feet Long, Six Feet Wide" , das vorgeblich Barbara Ubryks eigenen Bericht über die Vorgänge enthält. Bei früherer Gelegenheit habe ich bereits die Darstellung von Barbaras Lebensgeschichte bis zu ihrem Eintritt ins Kloster in den Blick genommen und dabei festgestellt, "dass es sich hier um eine völlig andere Geschichte handelt als in Dr. Rodes Roman"; es ist wohl nicht sehr überraschend, dass dieser Befund auch für das Folgende gilt. 

Die Barbara des "Convent Horror", die, wie schon einmal festgestellt, rund zehn Jahre jünger ist als in Dr. Rodes Roman und wohl auch in Wirklichkeit, tritt ins Noviziat der Karmeliterinnen in Krakau ein, ohne zuvor in einem anderen Kloster gewesen zu sein, und legt im Jahr 1846 ihre Gelübde ab. Die Superiorin des Klosters heißt Josepha und der Beichtvater Fr. Calenski – bei Dr. Rode heißen sie Mutter Tharsilla und P. Hyginus Masofsky –, und Barbara gibt an, beide, besonders aber die Oberin, hätten sie in der Zeit ihres Noviziats ausgesprochen freundlich behandelt; die Oberin Josepha habe ihr sogar zahlreiche kleine Wohltaten erwiesen, die "eigentlich gegen die Regeln des Klosters" verstießen. In den ersten Monaten, nachdem sie ihre Gelübde abgelegt hatte, bemerkte Barbara diesem Bericht zufolge eine allmähliche Veränderung des Verhaltens der Oberin und des Beichtvaters ihr gegenüber: Mutter Josepha behandelt sie zunehmend "kühl, distanziert, ja sogar überheblich", wohingegen der Beichtvater Fr. Calenski ihr gegenüber eine auffallend größere Vertraulichkeit an den Tag legt als gegenüber den anderen Nonnen. Zunächst legt er ihr nahe, entgegen der Weisungen der Oberin nicht mehr zu fasten und sich zu geißeln, damit ihre Schönheit keinen Schaden nimmt; dann küsst er sie; schließlich setzt er sie unter Drogen und versucht sie zu vergewaltigen, aber sie leistet unerwartet starken Widerstand, woraufhin der Beichtvater von ihr ablässt, aber ankündigt, sie für ihr Verhalten zu bestrafen. Als die durch die lautstarke Auseinandersetzung alarmierte Mutter Josepha die Szenerie betritt, erkennt Barbara zu ihrem Schrecken, dass die Oberin sie nicht etwa vor dem lüsternen Priester beschützen will, sondern vielmehr mit diesem unter einer Decke steckt. 

Wie man unschwer feststellen kann, weist diese Geschichte keine besonders großen Übereinstimmungen damit auf, was man in Dr. Rodes Roman über die Nachstellungen gelesen hat, denen Barbara im Warschauer Kloster durch Pater Gratian ausgesetzt war; im Krakauer Kloster widerfährt ihr erst recht nichts Derartiges. Über den dortigen Pater Hyginus heißt es zwar, dass er "die neue Nonne mit sonderbaren Blicken und blinzelnden Augen" betrachtete (S. 1172); "ein hämischer Zug spielte um seine Lippen", und weiter wird er wie folgt beschrieben: "Er war wohlgenährt und sein Gesicht von Fett strotzend, seine Haut glänzte" (ebd.); auch sagt er zu Barbara alias Jovita "Gehorche und ergib Dich mir. Je gehorsamer, willfähriger und ergebener Dein Benehmen gegen mich ist, desto reichere Gnaden wird Dir der Herr verleihen, Du sollst es nicht zu bereuen haben" (ebd.); es ist jedoch keine Rede von irgendwelchen sexuellen Annäherungsversuchen. Stattdessen wirft der Beichtvater "einen Haß auf Jovita", wenn auch nur deshalb, "weil ihr Herz bereits einem Andern gehörte und ihm also nicht mehr offen stand" (S. 1173). 

Ehe wir uns ansehen, wie es der Ich-Erzählerin des "Convent Horror" weiter ergeht, wenden wir uns aber lieber mal dem LXXIV. Kapitel von Dr. Rodes "Barbara Ubryk"-Roman zu, das die Überschrift "Geschichte des Mannes ohne Kopf" trägt. Dieses knüpft unmittelbar an das vorletzte Kapitel "Der Traum einer Nonne" an und beginnt mit einem Gespräch zwischen Woicech Zarski und seinem Novizenmeister, der Woicech erklärt, alle Orden seien "nach demselben Systeme errichtet": 

"Der Unterschied der Orden besteht eigentlich nur in den Farben der Kutten, im Uebrigen handelt es sich nur darum, ob sie weit oder nicht weit hinter dem Jesuitenorden, dem Ideale alles Mönchsthums, zurückgeblieben sind. Je mehr ein Orden der Gesellschaft Jesu gleicht, desto vollkommner ist er, und um so unvollkommner und unheiliger, je weniger er sich die bewundernswerthen Eigenschaften dieser Tugendhelden ä, die Grundsäße und Praktiken dieser frommen Väter angeeignet hat" (S. 1176f.) 
Damit nicht genug, führt der Novizenmeister weiter aus, "[d]erselbe Papst Pius IX., der ehedem ein Freimaurer war" (!), sei "jetzt ein geheimer Jesuit und nur insoferne Papst, als er lauter Jesuiten heilig zu sprechen hat": "Wer darum die Jesuiten angreift, greift die Kirche selbst an" (S. 1177). Als Woicech einwendet, die Jesuiten seien "doch Heuchler, Betrüger, Wucherer, Diebe, Erbschleicher, Mörder, Königsmörder, Revolutionäre" (ebd.), widerspricht der Novizenmeister dieser Einschätzung nicht, erklärt aber: "Um Gotteswillen, sprich diese Worte nicht mehr! Es könnte uns Jemand hören. [...] Man darf es nicht sagen!" (ebd.). Kurz darauf lässt der Erzähler allerdings durchblicken, dass der Novizenmeister mit diesem Gespräch lediglich den Zweck verfolgt, "dem angehenden Carmelitermönche den Haß gegen die Jesuiten einzuimpfen": 

"Alle Orden hassen ja vereint die Jesuiten, als ihre Unterdrücker, und einem Novizen muß dieser Geist bei Zeiten beigebracht werden . Dann wird ein Schritt weiter gegangen und der nächste Orden bezeichnet, dem man feind ist. Die Dominikaner sind die entschiedensten Feinde der Jesuiten und gleichzeitig der Benediktiner. Die Benediktiner können keine Carmeliter ausstehen. Die Carmeliter feinden die Franziskaner an. Die Franziskaner kennen keine ärgeren Todfeinde als die Capuziner. Die Capuziner scheuen die Augustiner wie eine Todsünde. Die Augustiner sind den barmherzigen Brüdern feind. Die barmherzigen Brüder sind gegen Jedermann, nur nicht gegen die Redemptoristen barmherzig. Und so geht diese Skala des Hasses fort ins Unendliche" (S. 1177f.). 

Wenig später erfährt Woicech, dass seine geliebte Jovita nun im Kloster der Karmeliterinnen in Krakau ist, und mit Hilfe einer Wäscherin, "welche die Wäsche gleichzeitig für das Frauenkloster und Mannskloster der Carmeliter besorgte" (S. 1179), gelingt es ihm, einen heimlichen Briefwechsel mit ihr anzuknüpfen. Dem Leser werden indes nur die Briefe Jovitas an Woicech mitgeteilt – was, wie wir noch sehen werden, offenbar dem Bemühen geschuldet ist, den Eindruck von Authentizität zu erwecken –, und diese Briefe enthalten vor allem Schilderungen davon, wie schlecht es Jovita im Kloster ergeht und wie sie auf bloßen Verdacht hin schwere Bestrafungen wegen Verletzungen ihrer Gelübde auferlegt bekommt. Schließlich wird ihre Lage so unerträglich, dass sie Selbstmordgedanken äußert. – Nebenbei erfährt man, dass Woicech seine Briefe als "Mann ohne Kopf" unterzeichnet (S. 1180); das ist eine etwas enttäuschende Erklärung für die Kapitelüberschrift, zumal nicht näher darauf eingegangen wird, warum er gerade dieses Pseudonym gewählt hat. Als Barbara einmal dabei ertappt wird, wie sie einen der so unterzeichneten Briefe liest, zieht dies ein strenges Verhör nach sich; zwar ist es Barbara inzwischen gelungen, die Beweisstücke durch ihre einzige Vertraute im Kloster, eine Schwester namens Agnes, vernichten zu lassen (was wohl auch den Umstand erklären soll, dass nur Barbaras, nicht aber Woicechs Briefe im Roman abgedruckt sind), und sie behauptet, was sie gelesen habe, seien von ihr selbst verfasste Verse gewesen und der "Mann ohne Kopf" sei "nur ein Fantasiegebilde" (S. 1192); die Priorin glaubt ihr jedoch nicht und lässt sie zur Strafe drei Tage lang knebeln und in einen Sack stecken. Nach der Aufhebung dieser Strafe wird Barbara im Kloster mehr denn je wie "eine Verdammte" (S. 1193) behandelt; sie erhält "keine reine Wäsche mehr" (ebd.), schließlich berichtet sie gar: "Man hat mir jetzt auch mein Gebetbuch weggenommen und verboten, zu Gott zu beten" (S. 1196). 

So ausführlich die Misshandlungen geschildert werden, denen Barbara alias Jovita im Kloster ausgesetzt ist, so knapp gerät dem Autor die Darstellung von Woicechs Versuch, die Geliebte aus dem Kloster zu befreien und mit ihr zu fliehen: Der Strick, den Woicech ihr über die Mauer wirft, reißt; mit einem zweiten Strick gelingt es ihr dann doch, über die Mauer zu klettern, aber schon folgt das nächste Missgeschick: "Die Kutsche, welche Woicech bestellt hatte, war nicht da" (S. 1197). Zudem hat "Barbara durch den Fall sich an den Beinen so verletzt [...], daß sie kaum stehen, noch weniger aber gehen" kann (ebd.); Woicech bringt sie daher "in das nahegelegene Gasthaus zum Schusterwirth, ließ sich dort sogleich ein Zimmer geben und von dem Wirthe Stillschweigen angeloben" (ebd.) . Dieser teilt jedoch "seiner Frau das Geheimniß mit" (ebd.), und damit nimmt das Unheil seinen Lauf: 

"Die Wirthin war ein sehr bigottes Weib, eilte in aller Frühe des andern Morgens hinüber zu den Klosterfrauen und verrieth ihnen den Aufenthalt der entflohenen Carmeliterin. Die Priorin ließ schleunigst den Beichtvater holen, der an der Mauer noch Stricke und Leiter fand, welche Woicech wegen des Zustandes seiner Barbara nicht mehr hatte wegbringen können. Mit einer Laienschwester begab sich der Beichtvater Pater Hyginus hinüber zu dem Schusterwirthe. Als er in das Zimmer eintrat , saß Woicech in tiefer Trauer am Bette Barbara's, sprang aber wie vom Donner gerührt beim Anblicke des Pfaffen in die Höhe" (ebd.). 

Es folgt eine dramatische Szene, in der Barbara "den Wirth und die Wirthin händeringend" anfleht, "sie nicht den Carmeliterinnen auszuliefern" – sie "wolle mit keinem Fuße mehr in das Kloster und lieber sterben"; "Woicech schlug zuletzt auf den Beichtvater los, um ihn zur Thüre hinauszuwerfen; allein Halman" – so heißt der Wirt –, "ein kräftiger Mann, packte ihn von rückwärts und drängte ihn mit vieler Mühe aus dem Zimmer hinaus, die Thüre absperrend" (S. 1198). Das alles wird jedoch in wenigen Zeilen abgehandelt und liest sich wie seine eigene Inhaltsangabe; abschließend heißt es: "Woicech sah sich und Barbara jetzt verloren. In voller Verzweiflung stürzte er fort. Er war rasend geworden" (ebd.). 

Alexander Zick, Buchillustration zu "Die zweite Frau" von E. Marlitt, ca. 1890

Alles Weitere, was der geneigte Leser noch über Woicech Zarski erfährt, ist in ähnlich kursorischem Stil auf einer knappen Seite zusammengedrängt: Zunächst wird die Information nachgereicht, wie "Woicech [...] seine Flucht aus dem Kloster bewerkstelligt" hatte, nämlich indem er "in seinem Bette einen Strohmann hinterlassen [hatte], der im Klostergarten aufgestellt gewesen war. Bei seinem Freunde Ograbiszerski, der von Allem wußte, vertauschte er die Kutte mit weltlichen Kleidern, ließ sich seine Papiere und etwas Geld geben und beabschiedete [sic!] sich. Den verhängnißvollen Ausgang des Fluchtversuches kennen wir" (ebd.). Anschließend verschwindet Woicech spurlos: "Die Polizei, welche nach ihm forschte, glaubte, er habe sich in die Weichsel gestürzt" (ebd.), aber "[e]in Jahr später" taucht er "nach mancherlei Schicksalen" wieder auf, und zwar in London. "In die äußerste Noth gerathen , verkaufte er an einen Büchertrödler Jedediah Pumpkins seine Manuscripte" (ebd.) – womit sich ein Bogen zum allerersten Kapitel dieses Riesenromans schließt: "Erinnere sich nun der geneigte Leser an die beiden Manuscripte" (ebd.) – nun ja, das tue ich in der Tat, und wie sich der geneigte Leser meines Blogs vielleicht erinnern wird, fand ich die Manuskriptfiktion, mit der der Autor seinem Roman den Anschein von Authentizität zu verleihen versucht, von Anfang an nicht sonderlich überzeugend. Bevor wir uns dies aber genauer anschauen, kommen wir erst mal zu Woicech Zarskis traurigem Ende: 

"Pater Alfons hatte seinen Herrn, den Lord Ainsworth, in London verlassen und unter seiner alten Firma Jedediah Pumpkins wieder sein früheres Trödlergeschäft etablirt. Woicech Zarski erzählte ihm sein und Barbara's ganzes Schicksal und blieb als Verkäufer bei ihm im Dienst. Allein nicht lange. Der Gram brachte ihn gänzlich um seine Vernunft, und die fixe Idee, daß er ein Mann ohne Kopf sei und Barbara ermordet habe, war ihm nicht mehr auszureden. Master Pumpkins, sein Chef, brachte ihn daher in die große Irrenanstalt bei London. Dort starb der Unglückliche im Jahre 1863" (ebd.). 

Ich bin geneigt zu sagen, auch hier drängt sich der Eindruck auf, aus diesen wenigen Zeilen hätten problemlos mehrere Kapitel werden können, wenn der Verfasser nicht so viel Platz für antiklerikale Exkurse und redundante Episoden verbraucht hätte – und ein bisschen mehr Erzähltalent besäße. Aber wie dem auch sei: Entscheidend ist, dass Woicech Zarski bereits tot ist, ehe die echte Barbara Ubryk aus ihrer Kerkerzelle im Krakauer Karmel befreit wird. – Zur Manuskriptfiktion heißt es weiter: 

"Pumpkins ergänzte die von ihm hinterlassenen Manuscripte, einen Theil verkaufte er, einen Theil behielt er. Diese beiden Manuscripte kauften wir in Paris und London auf, übersetzten und verarbeiteten sie in einem Roman: 'Der Mann ohne Kopf.'" (ebd.) 

Was sollen wir nun hierzu sagen (Röm 6,1)? – Sicherlich wäre "Der Mann ohne Kopf" ein durchaus erfolgversprechender und keineswegs untypischer Titel für einen Kolportageroman gewesen, aber es erscheint nicht recht einsichtig, inwieweit dies ein passender Gesamttitel für den bis hierher vorliegenden Handlungsverlauf des Romans sein sollte. Einmal ganz abgesehen davon, dass, wie bereits angemerkt, schon die Begründung für die Kapitelüberschrift "Die Geschichte des Mannes ohne Kopf" dürftig und wenig überzeugend wirkt, müsste man, wenn eine frühere Fassung des Romans den Titel "Der Mann ohne Kopf" getragen hätte, ja eigentlich annehmen, dass Woicech Zarski darin die eigentliche Hauptfigur gewesen wäre; und so richtig ergäbe dieser Titel auch nur dann Sinn, wenn Woicechs nur beiläufig angesprochene "fixe Idee, daß er ein Mann ohne Kopf sei und Barbara ermordet habe", der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Handlung wäre. Tatsächlich wirkt aber die ganze Liebesgeschichte zwischen Woicech und Jovita alias Barbara so knapp, fragmentarisch und offen gestanden schlampig erzählt, dass man weit eher geneigt ist, sie für eine nachträgliche Zutat zu halten als für den Nukleus der ganzen Romanhandlung. – Aber schauen wir mal weiter: 

"Wir dachten damals nicht, daß er in so enger Beziehung zu der Nonne Barbara Ubryk stehe und wurden von der plötzlichen Kunde der Ausfindung derselben auf das Höchste überrascht" (S. 1198f.). 

Das ist nun mindestens irreführend formuliert, denn "damals", also zu der Zeit, als der Autor an seinem Roman "Der Mann ohne Kopf" gearbeitet haben will, wusste die Weltöffentlichkeit schließlich noch gar nichts über den Fall Barbara Ubryk. Umgekehrt hat der Verfasser aber angegeben, dass zu den Quellen, auf denen der Roman angeblich basiert, Papiere gehören, die teils "von einem gewissen Jaromir von Ubryk" und teils "von einem Kasimir von Ubryk herrühren" (S. 1050) und die Woicech im Besitz des Grafen Satorin vorgefunden und kopiert hat. Dieser Quellenfiktion zufolge hätte der Autor also wissen müssen, dass die unglückliche Nonne "Jovita von den Engeln", um die es in seinem Roman geht, mit bürgerlichem Namen Barbara Ubryk hieß. Was er hier also offenbar eigentlich sagen will, ist, dass die Auffindung Barbara Ubryks im Krakauer Karmel und der dadurch ausgelöste öffentliche Skandal seinem Romanmanuskript unerwartete Aktualität und Brisanz verschaffte; was er hier hingegen unfreiwillig ausplaudert, ist, dass sein Roman ursprünglich überhaupt nichts mit dem realen Fall der Barbara Ubryk zu tun hatte und erst nachträglich "entsprechend umgearbeitet" wurde, "zumal sein Erscheinen bisher unterblieben war" (S. 1199). 

Wir müssen an dieser Stelle noch einmal auf die von vornherein unglaubwürdige Behauptung des Verlags zurückkommen, der Roman habe schon zum Zeitpunkt des Erscheinens der ersten Lieferung – nur zwei Wochen, nachdem "die Nachricht von dem schauerlichen Schicksale der Nonne Barbara Ubryk, welche einundzwanzig Jahre in furchtbarem, einsamen Kerker geschmachtet hatte, an die Oeffentlichkeit gelangte und die Runde durch alle Blätter machte" (S. 3) – vollständig vorgelegen. Dass ein mit den gängigen Erfolgsrezepten des Kolportageromans vertrauter Autor einen bereits fertigen, aber noch unveröffentlichten Roman aus dem Genre "Klostergräuel" auf die Schnelle so umarbeitete, dass er sich als Enthüllungsroman zu einem aktuell Schlagzeilen machenden realen Fall verkaufen ließ, erscheint zwar durchaus denkbar, aber dieser Roman sieht offen gestanden nicht danach aus – dafür ist er zu verworren, zu sprunghaft erzählt und enthält zu viele Handlungselemente, die nicht recht zusammenpassen wollen. – Schon in den ersten Folgen meiner Artikelserie zum seltsamen Fall der eingekerkerten Nonne habe ich mich bemüht, unterschiedliche "Schichten" des Romans auseinanderzupräparieren; darauf wird noch detaillierter zurückzukommen sein, aber für unstrittig halte ich es, dass der anfangs dominierende Handlungsstrang um die Machenschaften des Jesuiten Rebinsky, der seinem Orden das reiche Erbe des Grafen Zolkiewicz sichern soll, sich nebenbei aber in Liebesaffären mit der Frau und der Tochter dieses Grafen verstrickt, weder mit dem realen Fall der Barbara Ubryk noch mit dem späteren Handlungsstrang um deren fiktionalisiertes alter ego "Jovita von den Engeln" in irgendeinem Zusammenhang steht. Auch der im IX. Kapitel eingeführte Kindsvertauschungs-Handlungsstrang scheint ursprünglich vollkommen unabhängig von der sonstigen Romanhandlung gewesen zu sein; dagegen spricht auch nicht, dass hier erstmals der Name Ubryk vorkommt, denn dieser Name kann unschwer nachträglich eingefügt worden sein. Komplizierter wird das Auseinandersortieren der Handlungsstränge erst ab dem Zeitpunkt, als Rebinsky die junge Comtesse Elka in ein Kloster sperren lässt und diese daraus entführt wird; das werden wir uns noch einmal genauer ansehen müssen, hier und jetzt würde es indes den Rahmen sprengen. Festhalten möchte ich indes die These, dass auch der Handlungsstrang um "Jovita von den Engeln", der das letzte Drittel des Romans dominiert, in seinen Grundzügen ebenfalls unabhängig vom realen Fall der Barbara Ubryk und von den anderen Handlungssträngen des Romans entstanden ist. 

Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens auch die Behauptung des Verfassers, zu den dem Romanmanuskript zuletzt hinzugefügten Passagen gehöre auch "die Correspondenz zwischen Woicech und Barbara, welche wir eben gebracht haben" (S. 1199); diese habe sich nämlich erst angefunden, nachdem der Romanautor sich "nochmals schriftlich an den ehemaligen Carmelitermönch und nunmehrigen Büchertrödler Pumpkins nach London" gewandt habe (ebd.). Nur am Rande sei bemerkt, dass dieses Detail die Behauptung, der ganze Roman habe ursprünglich "Der Mann ohne Kopf" heißen sollen, noch unglaubwürdiger erscheinen lässt. – Schließlich hebt der Verfasser noch den "ganz wahrheitsgetreuen" und "das Klosterwesen erschöpfenden" Charakter seines Werkes sowie "das ungeheure Aufsehen" hervor, "welches sein Erscheinen in der alten und neuen Welt hervorgerufen hat" (ebd.). Letzteres, also die Behauptung, der Roman habe auch in Amerika Aufsehen erregt, mag wie eine reine Werbebehauptung aussehen, aber es ist durchaus nicht auszuschließen, dass darin ein Körnchen Wahrheit steckt: Es gab damals in den USA eine Reihe von Verlagen, die deutsche Kolportageromane nachdruckten, teils in Übersetzungen, teils aber auch in Originalsprache für ein deutschsprachiges Immigrantenpublikum. – 

"Die beiden Manuscripte sind nun abgeschlossen", heißt es am Ende des Kapitels. "Die weitere Geschichte der unglücklichen Nonne entnehmen wir den Untersuchungs-Acten" (ebd.) – na, da darf man ja gespannt sein. Zwar hat der Autor sich auch früher schon gelegentlich auf diese Untersuchungsakten berufen, aber nehmen wir die Zäsur, die der Autor an dieser Stelle setzt, getrost zum Anlass, erst mal einen Punkt zu machen und uns in der nächsten Folge dieser Artikelserie wieder Retcliffes "Biarritz" zuzuwenden. 




Samstag, 21. Juni 2025

Die 3 K der Woche (30): Kinder, Kirche, Körperliches

Ich will es mal so sagen, Leser: Gemessen daran, wie viel Zeit ich in der zurückliegenden Woche zu Hause auf der Couch oder im Bett verbracht habe, finde ich es recht bemerkenswert, wie viel es trotzdem zu berichten gibt. Zugegeben, es handelt sich zu einem recht großen Teil um Dinge, die ich "von der Couch aus", im Wesentlichen via Internet, wahrgenommen und beobachtet habe. Aber das ist ja wohl nicht unbedingt ein Nachteil, und es kommen ja auch mal wieder andere Zeiten – nehme ich jedenfalls an. Lesern, die sich womöglich über den Fortgang meiner Genesung Gedanken machen, kann ich immerhin schon mal sagen: Es wird so langsam wieder. Und folglich rechne ich damit, dass ich kommende Woche schon wieder etwas mehr in der analogen Welt unterwegs sein werde als zuletzt. Aber warten wir's mal ab! 

Aus dem Symbolbilder-Archiv: Kein Kirchenfenster, sondern nur ein Fenster in einem Schweizer Restaurant, in dem ich vor Jahren mal mit Rod Dreher und dem Pfarrer von Lustenau war. Aber ich finde, die Bildsprache hat durchaus etwas Eucharistisches.

So viele Festivals, und ich war nicht dabei 

Theoretisch wäre das vorige Wochenende geradezu ideal geeignet für einen Straßenfest-Crawl gewesen, oder richtiger gesagt sogar einen Festival-Crawl: Es war nämlich nicht nur, wie schon angekündigt, Emergent Berlin Festival, sondern gleichzeitig auch Langer Tag der Stadtnatur, Fiesta Kreutziga und das Festival Allee der Klänge im Reinickendorfer Auguste-Viktoria-Kiez, und das alles bei strahlendem Sommerwetter. Leider hatte ich nicht viel davon, da ich mit meinem frisch operierten Bauch wenig dazu aufgelegt war, mich zu bewegen, und das Wochenende daher größtenteils zwischen Couch und Bett pendelnd verbrachte. Ich habe mich allerdings bemüht, wenigstens "medial vermittelt" so einigermaßen mitzubekommen was da alles los war; und da fand sich dann auch so allerlei. Beispielsweise entdeckte ich den Webradio-Sender OneLoveRadio, der umfangreich über das Emergent Berlin Festival berichtete; unter anderem hörte ich da am Samstagabend ein Interview mit der Künstlerin und Designerin Lacy Barry, die am Nachmittag in der Druckbar einen Workshop zum Thema "Introduction to Solarpunk" gehalten hatte; am Sonntag gegen Mittag hörte ich ein Interview mit einem Jugendlichen, der ehrenamtlich für die Obdachlosenhilfe tätig ist, und am Abend schaltete ich in den Abschlussvortrag von Baumhaus-Mitbegründer Scott Bolden 'rein. Für jemanden, der Scott schon öfter reden gehört hat, brachte diese Ansprache nicht unbedingt viel Neues, aber das störte mich nicht, ich finde es einfach immer wieder inspirierend, ihm zuzuhören. Obwohl wir sicherlich in allerlei Punkten ziemlich unterschiedliche Auffassungen haben; wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob "obwohl" hier wirklich die richtige Konjunktion ist. 



Über das Festival "Allee der Klänge" – das es übrigens schon seit 2020 gibt, das mir bisher aber überhaupt kein Begriff war – berichtete u.a. die "Abendschau" des RBB. Das Programm dieses Events bestand aus elf jeweils ca. 45 Minuten langen Konzerten verschiedener Bands und Solokünstler aus den Bereichen Folk, Chanson, Jazz, Weltmusik etc., die am Samstag und Sonntag an zehn verschiedenen Orten zwischen Auguste-Viktoria-Allee und Scharnweberstraße, größtenteils open air, stattfanden. Einer der Auftrittsorte war der Klostergarten von St. Rita, dort spielten am Freitagnachmittag der Liedermacher Johannes Rosenstock und das Chanson-Duo "Die Mochitos"

Dass am Samstag Fiesta Kreutziga war, kriegte ich erst mit, als sie schon wieder vorbei war; und auch wenn es praktisch wohl keinen Unterschied für mich gemacht hätte, wenn ich es früher gewusst hätte, wunderte es mich doch, dass der Termin dieser Veranstaltung mir so völlig entgangen war. Langjährige Leser meines Blogs werden sich vielleicht erinnern, dass meine Liebste und ich diesem in der Hausbesetzerbewegung verwurzelten Straßenfest wichtige Impulse für das Konzept "Punkpastoral" verdanken, und nachdem wir es dort vor zwei Jahren eher enttäuschend gefunden hatten, war es letztes Jahr doch wieder ganz gut. – Wie dem auch sei: Als Termin für die nächste Fiesta Kreutziga wurde der 6.6.2026 angekündigt. Schauen wir mal, ob wir da dann wieder dabei sind... 

Der Lange Tag der Stadtnatur war, der Website nach zu urteilen, entschieden das größte der hier angesprochenen Events: Angekündigt waren rund 500 Veranstaltungen an über 150 Orten in ganz Berlin, das Ganze wurde gefördert von der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt und gesponsert u.a. von der Biomarkt-Kette Denn's und der Supermarktkette REWE; auch "Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses (MdA), Bezirksbürgermeister*innen, Bezirksstadträt*innen und Bundestagsabgeordnete (MdB)" beteiligten sich auf die eine oder andere Weise am Programm, wobei das ganze Parteienspektrum von der Linken bis zur AfD vertreten war. Die Liste der teilnehmenden bzw. mitveranstaltenden Institutionen, Vereine, Initiativen usw. wirkte schier endlos: Die Umwelt- und Naturschutzämter mehrerer Berliner Bezirke waren dabei, der BUND, die Deutsche Schreber-Jugend, die Deutsche Wildtier-Stiftung, der Deutsche Alpenverein, der ADFC, Greenpeace, der NABU, mehrere Imker- und Kleingartenvereine, das Landesdenkmalamt, das Naturkundemuseum, der Tierpark... Ebenfalls vertreten waren die Evangelische Schulstiftung in der EKBO und der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte, wohingegen ich Einrichtungen der katholischen Kirche nicht auf der Liste entdecken konnte – auch keine katholischen Verbände wie etwa die DPSG-Pfadfinder. Noch auffälliger fand ich allerdings das weitgehende Fehlen von Überschneidungen zwischen dem Langen Tag der Stadtnatur und dem Emergent Berlin Festival: Einzig das Himmelbeet war an beiden Festivals beteiligt, interessanterweise aber mit unterschiedlichen Veranstaltungen. Im Rahmen des Emergent Berlin Festivals fand im Himmelbeet am Samstag von 13-16 Uhr ein Workshop "Gärtnern ohne Garten: Salat- und Gemüsetürme bauen", von 17-18 Uhr ein "Krautschau-Spaziergang" und am Sonntag von 16-17:30 Uhr ein Workshop "Eat the City" statt, im Programm des Langen Tags der Stadtnatur wurde indes ein Heilkräuter-Workshop am Sonntag von 14-16 Uhr aufgeführt, außerdem am Samstag von 14-15 Uhr ein Workshop "Himmlisch Gärtnern" im ElisaBeet, das ebenfalls von der Himmelbeet gGmbH betrieben wird. Vielleicht ist es ein bisschen blauäugig von mir, aber ich habe mich schon ein bisschen gefragt, ob man diese Veranstaltungen nicht im Programm beider Festivals hätte aufführen können. Andererseits könnte ich aber auch nicht mit Bestimmtheit sagen, ob (und wenn ja, warum) ich das für wünschenswert halten würde; erinnert sei indes daran, dass es anno 2018 eine Kooperation zwischen dem Langen Tag der Stadtnatur und dem Festival Suppe & Mucke gab. Warum also nicht auch mal mit dem Emergent Berlin Festival, oder noch besser, mit dem Emergent Berlin Festival UND Suppe & Mucke


Vermischtes zum Dreifaltigkeitssonntag 

Am Sonntag fühlte ich mich beim besten Willen noch nicht wieder fit genug, um zum Gottesdienst nach Siemensstadt zu fahren, und gab daher der Live-Übertragung auf YouTube den Vorzug. Meine Liebste war indes auch nicht sonderlich erpicht darauf, allein mit beiden Kindern in die Kirche zu gehen und quasi Raubtierbändigerin zu spielen, daher entschied sie sich dafür, allein in Herz Jesu Tegel in die Messe zu gehen, während das Tochterkind noch schlief und ich mit unserem Jüngsten frühstückte. Ein ziemliches Opfer, wenn man bedenkt, dass sie diese Kirche eigentlich nie wieder betreten wollte. Obendrein stand eine Familienmesse im Zelebrationsplan, zelebriert von Pater Brody

Wie meine Liebste mir hinterher berichtete, waren tatsächlich einige Familien mit Kindern zu der Messe erschienen, allerdings erklärte Pater Brody schon in seinen Begrüßungsworten entschuldigend, trotz der Ankündigung eines Familiengottesdienstes sei gar keine entsprechende Gestaltung vorbereitet worden, da die dafür normalerweise zuständigen Ehrenamtlichen sämtlich in Urlaub seien. Er fügte hinzu, gerade der Dreifaltigkeitssonntag sei ja nun auch ein eher schwieriger Anlass für einen Familiengottesdienst. Ich muss sagen, diesen Gedanken hatte ich auch gehabt. 

Gleichwohl nahm Pater Brody die Anwesenheit von Familien, die sich auf einen Familiengottesdienst eingestellt hatten, zum Anlass, seine Predigt etwas kindgerechter und – unter Zuhilfenahme eines Handmikrofons – interaktiver zu gestalten, als er es sonst wohl getan haben würde; soweit ich es der Schilderung meiner Liebsten entnehmen konnte, lag der Schwerpunkt der Predigt offenbar auf Anmerkungen zur Dogmengeschichte, und sie attestierte ihm, "inhaltlich nichts Falsches gesagt" zu haben – was ja für eine Predigt zum Dreifaltigkeitssonntag schon mal keine geringe Leistung ist. 

Die Messe in St. Joseph Siemensstadt, die ich live auf YouTube verfolgte, wurde vom leitenden Pfarrer der Großpfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland zelebriert; damit war schon mal eine untadelige Liturgie gewährleistet, und was die (gut eine Viertelstunde lange) Predigt betraf, fand ich es besonders bemerkenswert, dass der Pfarrer sie mit einem persönlichen Zeugnis einleitete: Er sprach davon, dass er in Ostberlin aufgewachsen sei, in einer Zeit, in der man "von Gott offen nicht sprechen" konnte bzw. durfte: "In der Schule zu erzählen, dass man ein Christ sei, da wurde man verlacht" – nun gut, das könnte einem auch heute immer noch oder wieder passieren. – "Gott gibt es gar nicht", das sei in der DDR sozusagen die offizielle Wahrheit gewesen; "aber in meinem Kinderherzen hatte sich eine andere Wahrheit festgesetzt". Er betonte: 

"Es ist das eine, dass man theoretisch an einen Gott glaubt, und das andere – das werden die Kinder und Jugendlichen auch verstehen –, wenn du zum ersten Mal persönlich, ohne Mama und Papa, für dich alleine sagst: 'Hallo, du da oben, hörst du mich eigentlich?', und du tief in deinem Herzen weißt: Er hört mich." 

Diese Gewissheit, so führte der Pfarrer aus, habe ihn schließlich dazu geführt, im Alter von 15 Jahren zur katholischen Kirche zu konvertieren. – Der Hauptteil der Predigt drehte sich dann allerdings um das Konzil von Nizäa, das sich heuer ja zum 1.700. Male jährt, um die historischen Hintergründe und Voraussetzungen dieses Konzils und nicht zuletzt darum, dass das dort formulierte Credo von der Auseinandersetzung mit dem Arianismus geprägt sei. An diesen Ausführungen könnte man kritisieren, dass der Pfarrer der theologischen Position des Arius nicht gerecht geworden und sie allzu unbekümmert mit früheren "adoptianistischen" Häresien in einen Topf geworfen habe, aber eine Predigt ist nun mal keine akademische Vorlesung über Dogmengeschichte und sollte meiner Auffassung nach auch nicht versuchen, eine zu sein. Viel entscheidender war allemal, dass der Pfarrer die Bedeutung des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel für die Einheit der Christenheit hervorhob: 

"Wir unterscheiden uns als Christen am vielen Stellen – mit den Orthodoxen, den Protestanten noch mehr –, aber an einer Stelle sind wir uns eins: Wir alle, die orthodoxen Christen, die Christen des Protestantismus und wir Katholiken sowieso, bekennen den dreifaltigen Gott [...]. Und das, finde ich, ist ein großes Geschenk. Denn es bedeutet, dass wir uns im Wesentlichsten, im Geheimnis des dreifaltigen Gottes einig sind." 

Gleichwohl merkte der Pfarrer an, die Irrlehre des Arianismus existiere "doch auch unterschwellig in der Kirche, auch unter Theologen" weiter und werde "manchmal auch falsch gepredigt": "Wenn jemand nicht deutlich sagt, es ist Gottes Sohn von Ewigkeit, dann ist das nicht mehr die Lehre Christi". Und er warnte vor der Vorstellung, man könne am Credo der Kirche "rumändern" – "in einer Synode vielleicht" – und sagen "Ach, das passt ja nicht mehr, wer will denn dit noch hören, interessiert doch niemanden mehr." 

In die Reihe der Sonntagsimpulse auf dem Instagram-Kanal der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd (oder, wie ich gern sage, die Reihe "Schlecht predigen für Anfänger") habe ich anlässlich des Dreifaltigkeitssonntags auch mal wieder reingeschaltet; der für diese Reihe zuständige Theologiestudent hat diesen Impuls zur Abwechslung mal in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach aufgezeichnet, tut ansonsten aber das, was er am besten kann: mit anekdotischen Trivia aus der Theologiegeschichte ums Thema drumherumreden und dabei Grimassen schneiden. Kurz vor Schluss kommt er dann noch mit dem Kleeblatt des Hl. Patrick. Hätte er doch lieber mal das Lutheran Satire-Video "St. Patrick's Bad Analogies" angeschaut! Das sollte eigentlich sowieso Pflichtprogramm für jeden sein, der es unternimmt, etwas über die göttliche Dreifaltigkeit auszusagen. 


Wenn man doch mal das Haus verlässt 

Die ersten Tage nach meiner Hernien-Operation verbrachte ich, abgesehen von einem Termin zur Wundkontrolle und zum Verbandswechsel, durchweg zu Hause, aber ab Montag begann der Alltag schrittweise zurückzukehren – zunächst in der Form, dass ich am Montag und am Dienstag die Kinder zur Schule und zur KiTa bringen und am Dienstag den Jüngsten, der ja noch in der Eingewöhnung ist, auch wieder abholen musste; am Montag konnte ich das an meine Schwiegermütter delegieren. 

Am Dienstag wurde mir auf diese Weise ein Herzensmoment mit meiner Tochter zuteil, den ich so charakteristisch finde, dass ich ihn hier gern mitteilen möchte. Ich hatte die Große gerade in der Schule abgeliefert und wollte mit dem kleinen Bruder weiter zur KiTa, da kam sie noch einmal aus dem Schulgebäude gelaufen, mit einem Buch in der Hand, und rief: "Ich hab was für dich!" Im nächsten Moment stellte sie allerdings fest: "Oh, ich hab das falsche Buch erwischt. Es ist aus Versehen über Frankreich, dabei sollte es eigentlich über das Alte Ägypten sein." – Bei dem Buch, das sie in der Hand hielt, handelte es sich um Johannes Mario Simmels "Es muss nicht immer Kaviar sein", und auf dem Einband war der Eiffelturm abgebildet. Wie sich herausstellte, hatte jemand in der Schulgarderobe eine große Tragetasche voller Bücher mit dem schriftlichen Hinweis "zu verschenken" abgestellt, und bei dem Buch, von dem meine Tochter eigentlich gemeint hatte, es wäre etwas für mich, handelte es sich um C.W. Cerams "Götter, Gräber und Gelehrte". Da war eine Horus-Figur auf dem Einband abgebildet. 

Im weiteren Verlauf des Dienstags hatte ich zwei Begegnungen mit Frauen, die zur Beerdigung eines langjährigen Gemeindemitglieds und verdienten Ehrenamtlichen von St. Marien Maternitas Heiligensee wollten oder von dort kamen. Mit einer dieser Frauen, die ich vom Mittwochs-Gemeindefrühstück her oberflächlich kannte, hatte ich ein etwas längeres Gespräch; unter anderem erzählte sie mir, sie gehe seit 25 Jahren in dieser Gemeinde zum Gottesdienst und auch zum Gemeindefrühstück, und sie äußerte sich betrübt darüber, dass in letzter Zeit einige alteingesessene Gemeindemitglieder gestorben seien und "wir immer weniger werden". Es war irgendwie ein sehr berührendes Gespräch. 

Am Mittwoch ging es mir schon wieder gut genug, um zum JAM mitzukommen, und eingedenk dessen, was ich im vorigen Wochenbriefing zu diesem Thema geschrieben hatte, ging ich diesmal sogar freiwillig zum Elterncafé, während meine Liebste von unserem Jüngsten genötigt wurde, beim Kinderprogramm zu bleiben. Ironischerweise war diese Ausgabe des Elterncafés über weite Strecken ein Paradebeispiel dafür, was mir an diesem Format nicht gefällt. Anhand des Abschnitts des Markusevangeliums, der sowieso gerade "dran war", wurde die sogenannte "Västeras-Methode" vorgestellt, eine Form des Bibelstudiums, bei der es darum geht, einzelne Textpassagen mit Symbolen zu markieren, die beispielsweise besagen "Das finde ich wichtig", "Das verstehe ich nicht", "Das berührt mich". In Hinblick darauf, dass ich mir beim Elterncafé tendenziell mehr offene, zweckfreie Geselligkeit und weniger "Seminaratmosphäre" wünschen würde, war das so ziemlich der worst case, denn gefühlt die Hälfte der Zeit waren alle damit beschäftigt, still für sich am Text zu arbeiten. Im Übrigen sagte mir diese Form des Bibelstudiums auch überhaupt nicht zu; als es endlich daran ging, sich darüber auszutauschen, wer welche Textstellen wie markiert habe, bestätigten die Ergebnisse meinen Verdacht, dass diese Methode zu einem Umgang mit dem Text einlädt, der oberflächlich und naiv zugleich ist. (Mit dem Wörtchen "zugleich" möchte ich andeuten, dass das grundsätzlich zwei verschiedene Dinge sind, die keineswegs zwingend miteinander einhergehen; aber wenn sie es doch tun, isses halt doof.) Okay, ich bin da vielleicht ein bisschen streng, aber ich würde denken, gerade wenn man an sola scriptura glaubt, sollte man doch erst mal genau hingucken, was im Text tatsächlich drinsteht, statt sich darauf zu konzentrieren, was für Empfindungen der Text bei einem auslöst. 

Eine interessante Fügung war es indes, dass der Bibeltext, um den es im dieser Elterncafé-"Sitzung" ging – Markus 2,1-12, die Heilung eines Gelähmten – im Wesentlichen derselbe war wie beim Jugendeinkehrtag in Spandau vor Ostern, nur dass wir da die Lukas-Version verwendet hatten. Das nahm ich zum Anlass, gegen Ende der Veranstaltung ein bisschen über diesen Einkehrtag zu erzählen und die beiden Haikus vorzutragen, die ich da gedichtet hatte. Zum Abschluss gab es, obwohl wir eigentlich schon das Zeitlimit überschritten hatten, noch eine kurze, aber durchaus schöne Gebetszeit, sodass meine Bilanz dieses Besuchs beim Elterncafé am Ende doch recht ausgewogen ausfiel. Über meine grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber der konzeptionellen Entwicklung des JAM-Elterncafés ungefähr seit Beginn dieses Jahres hatte ich am nächsten Tag eine interessante Diskussion mit meiner Liebsten, und ich könnte mir vorstellen, darauf in absehbarer Zeit mal in einem eigenständigen Artikel zurückzukommen. 

Beim Kinderprogramm ging es derweil um die Salbung Davids zum König, und zwar in Form eines Rollenspiels, in dem unser Tochterkind den jungen David spielen durfte. 

Als Fazit aus diesem Rollenspiel gab es diesen Vers, den die Kinder bis nächsten Mittwoch auswendig lernen sollen. 

Kommt und seht! – Fronleichnam in Köln 

Am Donnerstag sah ich mir im Livestream von EWTN das Pontifikalamt zum Hochfest Fronleichnam auf dem Roncalliplatz vor bzw. neben dem Kölner Dom sowie den Beginn der daran anschließenden Prozession an. Warum gerade Köln? Nun, einerseits ist Köln, wie Kardinal Woelki betonte, der Ort, an dem die erste Fronleichnamsprozession der Geschichte stattfand – vier Jahre sind es noch bis zum 750jährigen Jubiläum. Und andererseits bildete dieses Pontifikalamt auch den Auftakt zu einem Event, von dem ich im Vorfeld kaum etwas gehört hatte und das mir vielleicht komplett entgangen wäre, wenn ich mich nicht frühzeitig über das EWTN-Live-Programm am Fronleichnam-Wochenende informiert hätte: nämlich der vom Generalvikariat des Erzbistums Köln ausgerichteten Eucharistischen Konferenz kommt & seht, die auf der Website als eine Gelegenheit beschrieben wird, "deinen katholischen Glauben neu zu entdecken und Tradition, Weltoffenheit und Innovation gemeinsam zu feiern": 

"Unsere Sehnsucht ist es, eine einzigartige Atmosphäre zu schaffen, in der viele Menschen Jesus in der Eucharistie begegnen können. Neben stimmungsvollen Gebetszeiten, die unter die Haut gehen, wird es jede Menge spannende Impact Sessions geben. Zwei Tage voller inspirierender Workshops, mitreißender Keynotes & lebendiger Gemeinschaft." 

Ich würde gerne sagen, das sieht nach etwas aus, was vom Style her irgendwo zwischen MEHR-Konferenz und Adoratio Altötting liegt, aber im Grunde kann ich das gar nicht beurteilen, denn bei der Adoratio Altötting war ich noch nie. Ganz verkehrt wird diese Einschätzung indes wohl nicht sein, zumal Kardinal Woelki in einer Ansprache am Freitag verriet, die Idee zur kommt & seht-Konferenz sei voriges Jahr bei der Adoratio Altötting entstanden, aus dem Wunsch heraus, "so etwas Ähnliches auch in Köln zu machen". – Die Programmankündigung versprach Vorträge, Zeugnisse, Podiumsgespräche, Workshops, Lobpreis und Eucharistische Anbetung; als "Keynote Speaker" sollten u.a. Bischof Oster aus Passau und Bernadette Lang von der HOME Akademie Salzburg dabei sein. 

– Und was sagen (beispielsweise) Horse & Hound, die Eule, Fundi-Watch und Regina Nagel dazu? Dem ersten Eindruck zufolge: nicht besonders viel. Okay, Horse & Hound-Halagan schien in letzter Zeit insgesamt nicht (mehr?) so richtig motiviert, zur Hatz auf Rechtgläubige zu blasen: Vor vier Wochen hatte er auf Facebook und Instagram eine Art Stellenanzeige für einen neuen Mit-Halunken ("werde teil von heilige & halunken") gepostet, seitdem waren auf seinem Account nur noch "Stories" erschienen, die, soweit ich es verfolgt habe, größtenteils aus Urlaubsfotos, Selfies und sonstigem Privatkram bestanden. Just als ich schon dachte, mit dem Account sei überhaupt nichts mehr los, wurde dann – ebenfalls in "Story"-Form – ein Beitrag des Theologen und Bloggers Christian Bauer zur angekündigten Visitation des Stifts Heiligenkreuz geteilt; darin hieß es, das Stift sei "mit seiner Hochschule Benedikt XVI. [...] ein Zentrum des deutschsprachigen Rechtskatholizismus" und habe "auch Verbindungen zum politischen Rechtsextremismus", und folgerichtig lautete das Fazit "Endlich schaut da jemand mal genauer hin!". Aus dem Vatikan war zwar zu vernehmen, die Visitation von Heiligenkreuz solle als "Ausdruck wohlwollender Unterstützung" verstanden werden, aber warten wir mal ab, was am Ende wirklich dabei herauskommt. Im Eule-Magazin rezensiert derweil Louis Berger – Redakteur bei Kirche + Leben in Münster und früher u.a. für taz und Publik-Forum tätig – Johannes Hartls neues Buch "Die Kraft eines fokussierten Lebens", und das aktuelle Topthema bei Fundi-Watch ist ein Vortragstag an der Katholischen Stiftungshochschule München zum Thema "Christlicher Fundamentalismus, Anti-Choice-Bewegung und ihre Verbindungen in die Soziale Arbeit", der am vergangenen Mittwoch stattgefunden hat und zu dem "Fundi-Watch" ein Referat über "Loretto, Mission Freedom und die Soziale Arbeit" beigesteuert hat. Kurzum, die Fundamentalistenjäger haben derzeit offenbar anderes zu tun, als sich groß um eine auf eucharistische Spiritualität fokussierte Veranstaltung in Köln zu bekümmern. 

– Oder? Vielleicht kommt da ja im Nachhang noch was. Sollte mich eigentlich wundern, wenn nicht; denn unter dem Aspekt des Schmutzigen Schismas betrachtet, wird da doch recht eindeutig eine Version bzw. Vision von Katholizismus vertreten, die mit derjenigen der Synofanten und PUU-Anhänger kaum vereinbar dürfte, und von Kardinal Woelki bis hin zur Loretto-Gemeinschaft sind schließlich auch so einige Lieblings-Feindbilder der üblichen Verdächtigen am Start; nicht zuletzt übrigens auch der Erzbischof von Denver/Colorado, Samuel J. Aquila, der zu den prominentesten internationalen Kritikern des Synodalen Weges zählt. Also, falls mir in den nächsten Tagen noch die eine oder andere zitierwürdige Stellungnahme über den Weg läuft, komme ich im nächsten Wochenbriefing darauf zurück. 

Einstweilen mal ein paar Worte zu Kardinal Woelkis Fronleichnamspredigt: "Die Kirche, liebe Schwestern, liebe Brüder, sie lebt vom Herrn und nur von Ihm", das war gleich zu Beginn, nach kaum einer Minute, ein Kernsatz dieser Predigt, wie man ihn sich deutlicher kaum wünschen konnte. Und etwas später: "Wir hungern nach dem Leben, nach Freude, nach Glück, nach Sinn. Und Christus gibt uns dieses wunderbare Brot, das Er selbst ist, Er schenkt sich uns selbst im Brot des Lebens, und Er schenkt uns damit die Erfüllung unseres Menschseins." Daran knüpft der Kardinal die Frage: "Wie kann unsere menschliche Antwort auf ein solches Geschenk aussehen?" Und die Antwort, die er darauf gibt, lautet: Anbetung. Auch der Hl. Augustinus habe gelehrt, der Empfang der Heiligen Kommunion setze die Anbetung voraus. "Keiner, so sagt er, kann den Leib und das Blut des Herrn empfangen, ohne vorher angebetet zu haben." Weiterhin zitierte Kardinal Woelki Mutter Teresa von Kalkutta: "Wenn du wirklich in der Liebe wachsen willst, kehre zurück zur Eucharistie, kehre zurück zur Anbetung." Damit, so darf man wohl sagen, war auch der Grundton der kommt & seht-Konferenz der folgenden Tage angeschlagen. 

Im Übrigen möchte ich zur Messe und zur anschließenden Prozession nur anmerken, dass das Hemdsärmelige und Saloppe des rheinischen Katholizismus meinem Naturell wohl doch eher fremd ist. Wir lieben das Leben, die Liebe und die Lust / Wir glauben an den Lieben Gott und han uch immer Durscht, das beschreibt so in etwa die Atmosphäre der ganzen Veranstaltung, aber was ein echter Kölner ist, der wird mir vermutlich erklären, das sei ganz richtig so und müsse so sein und es sei auch ganz selbstverständlich, dass bei der Fronleichnamsprozession die Karnevalsvereine an prominenter Stelle mit von der Partie sind. 

Das Hauptprogramm von kommt & seht fand (bzw. findet) in der Event-Location X-Post statt – einem ehemaligen Paketzentrum, daher der Name; verglichen mit der MEHR in der Messe Augsburg ist das dann doch einige Nummern kleiner, aber das ist ja nicht unbedingt ein Nachteil. Am Freitag um 9 Uhr begann das Programm mit einer vom Apostolischen Nuntius Erzbischof Nikola Eterović zelebrierten Messe, bei der Kardinal Woelki, die Kölner Weihbischöfe und die anderen an der Konferenz teilnehmenden Bischöfe sowie zahlreiche weitere Priester konzelebrierten. Musikalisch wurde die Messe teils von einer Choralschola, teils von einer Lobpreisband (Anna Schinnerl, Keyboards und Gesang; Ralph-Jon Lavarro, Gitarre; Maria Stelzer, Cello) gestaltet. Die Predigt des Nuntius riss mich nicht gerade vom Hocker, also ging ich währenddessen duschen (was ich seit Mittwoch endlich wieder darf). 

Das weitere Programm am Freitag verfolgte ich nur sporadisch; am heutigen Samstag war der jüngst emeritierte Bischof von Eichstätt, Gregor Maria Hanke OSB, Hauptzelebrant der Messe am Morgen, die Predigt hielt jedoch Erzbischof Aquila aus Denver. Die Predigt hätte mich ja eigentlich sehr interessiert, aber leider kollidierte die Live-Übertragung zeitlich mit dem gemütlichen Frühstück im Familienkreis. Dafür schaute ich mir aber am späteren Vormittag die "Keynote" von Katharina Hauser, Referentin für Neuevangelisierung im Bistum Passau, zum Thema "Warum wir Christen anders leben" an, und die fand ich sehr gut. In gerade mal einer Dreiviertelstunde Redezeit enthielt dieser Vortrag so viel Bemerkenswertes und Anregendes, dass ich gar nicht so schnell mitschreiben konnte; was ich mir aber gemerkt habe, ist ein Zitat von Kierkegaard: Dieser habe Hoffnung definiert als "Leiden am Wirklichen und Leidenschaft für das Mögliche". – Mit einigen der in diesem Vortrag angesprochenen Aspekte würde ich mich eigentlich gern noch genauer befassen; na, vielleicht werde ich ja in der Mediathek des Domradios fündig oder finde wenigstens eine schriftliche Zusammenfassung. Dasselbe gilt natürlich auch für die Predigt von Erzbischof Aquila und andere Beiträge zur kommt & seht-Konferenz, die mir entgangen sind; es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass da noch Material für einen Extra-Artikel (oder sogar mehrere) zusammenkommt. 


Geistlicher Impuls der Woche 

So spricht die Weisheit Gottes: Der Herr hat mich geschaffen als Anfang seines Weges, vor seinen Werken in der Urzeit; in frühester Zeit wurde ich gebildet, am Anfang, beim Ursprung der Erde. Als die Urmeere noch nicht waren, wurde ich geboren, als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen. Ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln wurde ich geboren. Noch hatte er die Erde nicht gemacht und die Fluren und alle Schollen des Festlands.

Als er den Himmel baute, war ich dabei, als er den Erdkreis abmaß über den Wassern, als er droben die Wolken befestigte und Quellen strömen ließ aus dem Urmeer, als er dem Meer sein Gesetz gab und die Wasser nicht seinen Befehl übertreten durften, als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich als geliebtes Kind bei ihm. Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.

(Sprichwörter 8,22-31; 1. Lesung zum Dreifaltigkeitssonntag) 


Ohrwurm der Woche 

Jim Croce: Time in a Bottle 

Vor ungefähr 20 Jahren bekam ich von meiner damaligen Freundin eine Doppel-CD mit dem Titel "Pure Acoustic" geschenkt; sie enthielt 40 Songs, deren Entstehungszeitraum sich von Mitte der 60er bis in die damalige Gegenwart, also die frühen "Nuller Jahre", erstreckte und deren nahezu einzige Gemeinsamkeit darin bestand, dass in ihren Arrangements eine akustische Gitarre eine prominente Stellung einnahm. Gemessen an diesem eher dürftigen Konzept handelte es sich um eine bemerkenswert gute Auswahl, viele der Songs kannte ich zuvor nicht und die meisten mag ich noch heute sehr. Beides trifft auch auf den hier verlinkten Song zu. Was ich bis vor Kurzem nicht wusste: Singer-Songwriter Jim Croce schrieb "Time in a Bottle" für seinen Sohn Adrian, der, als der Song auf Croces Album "You Don't Mess Around With Jim" veröffentlicht wurde, gerade mal ein halbes Jahr alt war – und noch nicht ganz zwei Jahre alt, als Jim Croce bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Mit diesem Hintergrundwissen geht einem der melancholische Tonfall des Liedes noch mehr an die Nieren als sowieso schon. Insofern passt das Lied natürlich gut zu meinem vorige Woche festgehaltenen Vorsatz, jeden Tag bewusst dankbar dafür zu sein, dass ich meine Kinder aufwachsen sehen kann. 


Vorschau/Ausblick 

Heute wäre theoretisch schon wieder das nächste Festival gewesen, nämlich die Fête de la Musique; aber irgendwie habe ich seit Jahren den Eindruck, da läuft in Berlin nicht mehr so sonderlich viel. Stattdessen war ich am Nachmittag mit Frau und Kindern beim traditionellen Geburtstagspicknick einer in den letzten Jahren schon öfter erwähnten Künsterfreundin; darauf komme ich gegebenenfalls im nächsten Wochenbriefing noch zurück. Am morgigen 12. Sonntag im Jahreskreis wird an vielen Orten, an denen der vergangene Donnerstag kein gesetzlicher Feiertag war, Fronleichnam nachgefeiert; so auch in Spandau. Die beiden Spandauer Großpfarreien Heilige Familie und Johannes der Täufer veranstalten wieder eine gemeinsame Prozession durch die Altstadt, anschließend gibt's im Garten des Gemeindehauses von Maria, Hilfe der Christen ein Grillfest mit Kinderprogramm. Sofern es mir nicht plötzlich schlechter geht als in den letzten Tagen, werden wir da wohl hingehen. Dann folgt eine weitere "ganz normale" Schul- und Arbeitswoche; die KiTa-Eingewöhnung unseres Jüngsten neigt sich erkennbar ihrem erfolgreichen Abschluss zu, am Mittwoch wollen wir wieder zum JAM, am Donnerstag habe ich einen erneuten Arzttermin zum Fädenziehen. Am Freitag ist das Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu, da muss ich mir noch überlegen, wie wir das gebührend würdigen können; das Mindeste wäre wohl, endlich mal wieder eine "Beten mit Musik"-Andacht in St. Joseph Tegel abzuhalten (der Jüngste hat selbst schon gesagt, dass er das mal wieder machen möchte). Und am Samstag ist dann wieder Community Networking Night im Baumhaus, die letzte vor der Sommerpause, wenn ich richtig sehe; da würde ich ja schon ganz gerne hingehen, um mich für das verpasste Emergent Berlin Festival schadlos zu halten. Schauen wir mal...