In Deutschland gibt es neun bundeseinheitliche gesetzliche Feiertage, von denen ganze sechs gleichzeitig kirchliche Feiertage sind. Hinzu kommen fünf weitere kirchliche (davon vier katholische) Feiertage, die in einzelnen Bundesländern oder Kommunen gesetzliche Feiertage sind; und, um die Materie noch komplizierter zu machen, noch einige Tage, die zwar keine gesetzlichen Feiertage sind (z.T. deshalb, weil sie ohnehin auf einen Sonntag fallen), für die aber dennoch gewisse Regelungen der Feiertagsgesetze gelten. Dies betrifft in besonderem Maße die so genannten "Stillen Tage", zu denen neben Karfreitag und Allerheiligen u.a. der Aschermittwoch, der Buß- und Bettag, der Volkstrauertag und der Totensonntag gehören.
Kirchliche Feiertage, die zugleich gesetzliche Feiertage sind, stellen in einer religiös pluralen Gesellschaft allerdings ein Kuriosum dar. Für einen Teil der Bevölkerung haben diese Tage eine religiöse Bedeutung, für einen anderen Teil sind es schlicht arbeitsfreie Tage. Feiertage, an denen es gar nichts zu feiern gibt, werden aber offenbar weithin als unbefriedigend empfunden; so hat sich an einigen christlichen Feiertagen ein gewissermaßen 'weltanschaulich neutrales' Brauchtum etabliert, das mit dem religiösen Gehalt des jeweiligen Fests wenig oder nichts zu tun hat. Das gilt für Weihnachten und Ostern, nicht zuletzt aber auch für Christi Himmelfahrt, einen Feiertag, der speziell im Osten Deutschlands als "Herren-" oder "Männertag" zum Anlass für ausgedehnte Sauftouren genommen wird. Daran scheint kaum jemand Anstoß zu nehmen; problematisch wäre dergleichen hingegen an den oben erwähnten "Stillen Tagen", denn für diese gelten - von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich streng gehandhabte - Verbote von öffentlichen Veranstaltungen, die dem Charakter des jeweiligen Feiertags widersprechen. Da mit Ausnahme des Volkstrauertags alle diese Tage genuin christliche Feste sind, mutet diese gesetzliche Regelung es den Nichtchristen zu, einer Religion, der sie nicht angehören, der sie aber immerhin einen arbeitsfreien Tag verdanken, an ebendiesem Tag ein Mindestmaß an Respekt entgegenzubringen. Man könnte finden, das sei nicht zu viel verlangt. Ist es aber anscheinend doch.
Jedenfalls brechen nahezu alljährlich ausgerechnet angesichts eines für Christen ausgesprochen zentralen Feiertags - des Karfreitags - erhitzte Debatten über eine Besonderheit der deutschen Feiertagsgesetze aus: Am Karfreitag herrscht Tanzverbot. - Dieser Begriff ist allerdings nicht so zu verstehen, dass jeder, der am Karfreitag dabei erwischt wird, wie er seine Gliedmaßen rhythmisch zu Musik bewegt, mit Strafe zu rechnen hätte. Tatsächlich geht es beim "Tanzverbot" nur darum, dass öffentliche Tanzveranstaltungen am Karfreitag nicht genehmigt werden. Wie konsequent dieses Gesetz in der Praxis angewandt wird, ist, wie gesagt, von Bundesland zu Bundesland verschieden.
Nichtsdestoweniger erscheint dieses Tanzverbot - im Kontext einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft, in der der religiöse Gehalt von Feiertagen kaum mehr öffentlich präsent ist - vielen als skurril und anachronistisch. Wem aber jedweder gesellschaftspolitische Einfluss von Religionsgemeinschaften, oder überhaupt die Präsenz von Religion im öffentlichen Raum, prinzipiell ein Dorn im Auge ist, für den ist das Karfreitags-Tanzverbot ein handfestes Ärgernis. So sind denn diejenigen, die sich alljährlich über das Tanzverbot empören, in der Hauptsache nicht leidenschaftliche Tänzer (oder Betreiber von Tanzlokalen), sondern leidenschaftliche Atheisten bzw. Kirchengegner. Also beispielsweise solche Gruppierungen, die gern am Gründonnerstag unter dem Motto "Austritt zum Hasenfest" zu "Kirchenaustrittspartys" einladen - und damit die befremdliche Auffassung zum Ausdruck bringen, der Umstand, dass ca. 60% der Bundesbürger einer christlichen Kirche angehören, könne ja nur auf einem Irrtum bzw. Versehen beruhen und man müsse die Betroffenen einfach mal auf die Möglichkeit des Austritts hinweisen.
In diesem Jahr nun war auch die Piratenpartei, allen voran ihr hessischer Landesverband, bei den Protesten gegen das Karfreitags-Tanzverbot ganz vorn mit dabei. Die hessischen Piraten organisierten nicht nur "Tanzdemonstrationen" gegen das Tanzverbot in Frankfurt am Main und Gießen, sondern zogen sogar vor das Bundesverfassungsgericht - mit der bemerkenswerten Argumentation, das Tanzverbot verstoße gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG). Dass der zweite Absatz des betreffenden Grundgesetzartikels ausdrücklich die Möglichkeit der Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch Gesetze - warum also nicht z.B. durch das Feiertagsgesetz? - festschreibt, ist nur einer von mehreren Gründen, die diese Verfassungsbeschwerde von vornherein wenig aussichtsreich erscheinen liéßen - aber es kam noch peinlicher: Das Bundesverfassungsgericht wies den Eilantrag der Piraten aus rein formalen Gründen zurück, da es schlicht nicht zuständig war - die Antragsteller "hätten zunächst den hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) anrufen müssen". Man fragt sich, ob es in den Reihen der hessischen Piraten nicht den einen oder anderen aufmerksamen Jurastudenten gibt, der mit ein bisschen Kenntnis der Gerichtsinstanzen diese Blamage hätte abwenden können.
Besonders bemerkenswert an dieser für die Piraten letztlich wenig rühmlich verlaufenen Episode erscheint mir, was das Piraten-Nachrichtenmagazin "Flaschenpost" zur Begründung des Protests gegen das Karfreitags-Tanzverbot schrieb. Der Artikel "Tanz(demo)verbot – stille Tage in Hessen" bemühte sich augenscheinlich darum, dem Eindruck einer prinzipiell antireligiösen Ausrichtung der Piratenpartei entgegenzuwirken; so wurde betont, "jeder gläubige Mensch" müsse "in der Ausübung seiner Religion ebenso frei sein [...] wie der Nichtgläubige bei seiner ureigenen Lebensgestaltung", und sogar behauptet, dass "die Piraten wie eine Mauer auch hinter ihren christlichen Parteifreunden stehen würden". Was von dieser Behauptung in der Praxis zu halten ist, wurde kurz darauf anhand von parteiinternen Querelen anlässlich des NRW-Landtagswahlkampfs exemplarisch deutlich.
Stein des Anstoßes war der Umstand, dass ein bekennender Christ aus den Reihen der Piraten sowohl die Kandidatur um ein Direktmandat als auch einen Platz auf der Landesliste der Partei anstrebte: Rainer Klute, aktives Mitglied der Freien evangelischen Gemeinde Dortmund und von Juli 2009 bis März 2010 sogar mal Pressesprecher des NRW-Landesverbands der Piraten. Seitdem hat die Partei sich aber offenkundig erheblich radikalisiert. Klutes Kandidatur veranlasste das Magazin "queer" zu einem Porträt des Dortmunders, in dem er aufgrund seiner christlich geprägten Positionen schon in der Überschrift als "homophober Kreationist" betitelt wurde. Die Reaktionen, die dieser Artikel innerhalb der Piratenpartei auslösten, können in den Kommentaren zu Rainer Klutes Blog nachgelesen werden. So schrieb etwa ein Diskussionsteilnehmer" namens "Desperadox": "Das Mittelalter ist vorbei und wer einen imaginären Freund braucht,
soll
erstmal seine eigenen psychischen Probleme bewältigen und sich aus der
realen Politik heraushalten. Du glaubst doch selber, das beten viel mehr
bewirkt-also bleib zuhause und bete".
Obwohl Klute in seiner eigenen Partei auch aus anderen Gründen – etwa wegen seiner Haltung zum Atomausstieg – umstritten ist, machen solche Äußerungen unmissverständlich deutlich, dass es hier letztlich nicht um seine Person ging, sondern darum, dass für viele Piraten ein gläubiger Christ, dessen religiöse Überzeugung notwendigerweise auch seine politischen Positionen beeinflusst, als Repräsentant bzw. Mandatsträger ihrer Partei einfach nicht hinnehmbar ist. Dieselbe Einstellung spricht auch aus den Reaktionen auf die Gründung eines Arbeitskreises "Christen in der Piratenpartei": "Religion egal welche hat in Parteien / Staat nichts zu suchen!", wurde den Gründern dieses Arbeitskreises von Parteifreunden vorgehalten; "Religion hat Privatsache zu bleiben"; "Politische Entscheidungen müssen auf rationaler Basis getroffen werden.
Esoterik und Religion sind hier fehl am Platz (-> Privatsache)"; "Eine klare und strikte Trennung von Staat und Religion, ganz gleich
welche, ist für mich unabdingbarer für eine demokratische Politik".
Vor diesem Hintergrund erscheint es ja schon fast verwunderlich, dass es überhaupt Christen in der Piratenpartei gibt; weniger verwunderlich allerdings, dass diese sich veranlasst fühlen, einen eigenen Arbeitskreis zu bilden. Aber solche Arbeitskreise hat ja wohl ohnehin so ziemlich jede Partei. (Gibt es eigentlich auch den Arbeitskreis "Christen in der CDU"? Falls nein, wäre es wohl höchste Zeit, einen solchen zu gründen…!) Die eindeutig als direkte Reaktion auf den Auftritt der CIDPP erkennbare Gründung eines Arbeitskreises "Atheisten in der Piratenpartei" ließ nicht lange auf sich warten; als ein anderer christlicher Pirat, Joachim S. Müller, sich auf Twitter über die "Antichristen in der Piratenpartei" lustig machte und es im besten Piratenjargon als "ignorante Kackscheiße" bezeichnete, zu "glauben, es sei keine Diskriminierung, andere aufzufordern, ihre Weltanschauung für sich zu behalten", wurde auch er von seinen Parteifreunden scharf angegriffen.
Trotz solcher heftigen innerparteilichen Debatten scheint es auf der Hand zu liegen, dass das kleine Häuflein christlicher Piraten auf den Kurs ihrer Partei keinen nennenswerten Einfluss hat. Im schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf machte die Piratenpartei sich – übrigens gemeinsam mit Grünen und Linken – sogar für die Abschaffung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen stark. Überraschend ist das natürlich nicht; schon nach dem Scheitern des Berliner ProReli-Volksbegehrens von 2009 war es abzusehen, dass kämpferische Atheisten nun versuchen würden, den Religionsunterricht auch in anderen Bundesländern zu kippen. Nur dass eben in anderen Bundesländern der Religionsunterricht durch Staatskirchenverträge geschützt ist, die sich nicht ohne Weiteres einseitig aufkündigen lassen; und mehr noch: Der Religionsunterricht ist sogar als einziges (!) ordentliches Lehrfach durch das Grundgesetz (Art. 7, Abs. 3) abgesichert!
Ähnlich wie im Falle des Karfreitags-Tanzverbots gibt es also auch hier gute Gründe für die Annahme, dass die Piraten mit ihren antireligiösen Rüpeleien nicht viel erreichen werden. Ist das demnach alles nur Populismus, und hat Horst Seehofer Recht, wenn er meint, den Papst über die wachsende Popularität der Piraten "beruhigen" zu können? -- Auf längere Sicht mögen da durchaus Zweifel angebracht sein. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Popularität der Piraten stellenweise schon ins Innere der katholischen Kirche selbst hineinzuragen scheint. Während des 2. Bistumsforums "Zukunft auf katholisch", das das Bistum Essen am 05.05. 2012 in Gladbeck abhielt, tauchte etwa die inhaltlich ebenso unscharfe wie in der Formulierung offenkundig Piraten-affine Forderung auf, "Kirche" müsse "auch ein Stück enterbar sein"; und der Theologe Friedhelm Hengsbach SJ forderte in einem Interview mit der ZEIT anlässlich des Katholikentags in Mannheim gar: "Wir brauchen Kirchen-Piraten" - was Twitter-Nutzer Generalvikar Michael Fuchs (@MichaelFuchsR) zu der wohlgezielten Erwiderung veranlasste: "Aha, künftig dürfen alle gleich mitbestimmen und keiner weiß was."
Angesichts dieser Entwicklungen wird nun Mancher vielleicht achselzuckend sagen : "Ach, was soll's, mit den Grünen sind wir schließlich auch fertig geworden." Nichtsdestoweniger scheint der Aufstieg der Piratenpartei mir derzeit die größte Herausforderung für die Kirche in der deutschen Gesellschaft und Politik zu sein. Andererseits: Wenn man sich ihnen stellt, sind Herausforderungen etwas Gutes...!
(Die Reihe "Frohe Ostern, Deutschland" wird demnächst fortgesetzt mit einer Betrachtung über die Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier. Aber erneut gilt: Eventuell folgen in diesem Blog erst mal ein paar Beiträge zu anderen Themen!)