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Samstag, 14. Dezember 2024

Die 3 K der Woche (3): Kinder, Kirche, Körperflüssigkeiten

Willkommen zum 3. Wochenbriefing in dieser Adventszeit, Freunde (und andere Leser)! Es ist mal wieder ziemlich umfangreich geworden, obwohl ich mich im Bereich des Selbsterlebten fast vollständig auf das vorige Wochenende konzentriert habe. Zu eurer Beruhigung kann ich euch mitteilen, dass das dritte K in der Überschrift – Körperflüssigkeiten – sich nicht auf etwas Selbsterlebtes bezieht; da geht es vielmehr um einen fragwürdigen Schmucktrend, der neuerdings auch in der beschaulichen Wesermarsch angekommen ist. Was alles Weitere angeht: Lasst euch überraschen! 


Der "Gedanke to go" der Woche 

Infolge des "vorgezogenen Redaktionsschlusses" für das vorige Wochenbriefing habe ich zunächst noch die Ereignisse des vorletzten Freitags zu schildern, und da ist an erster Stelle der Besuch der Eltern-Kind-Gruppe auf dem "Rumpelberg" zu nennen. Vor ein paar Wochen hatte ich ja schon mal erwähnt, dass es in der Abschlussrunde der Gruppentreffen fast immer einen sogenannten "Gedanken to go" gibt ("manchmal ist das einfach ein durch eigene Alltagserlebnisse angeregter Denkanstoß zum Umgang mit den Herausforderungen des Elternseins, manchmal geht es eher in Richtung eines 'Geistlichen Impulses'); und diesmal hatte ich einen solchen Gedanken mitgebracht. Ich hatte das eigentlich nicht so geplant gehabt; dieser Gedanke war mir zwei Tage zuvor, als ich dank der Kollegiums-Weihnachtsfeier meiner Liebste buchstäblich von morgens bis abends allein für die Kinder verantwortlich gewesen war, ganz plötzlich zugeflogen, und etwas später hatte ich festgestellt, dass ich ihn gern teilen wollte. Und ich fand, in das "Gedanke to go"-Format bei der Rumpelberggruppe passe er ganz gut hinein. Ich erzählte in der Abschlussrunde also folgendes: 

"In dieser Woche hatte ich einen ziemlich... anspruchsvollen Tag mit den Kindern. Es ist bei uns meistens so, dass meine Frau morgens schon zur Arbeit losgeht, während die Kinder noch schlafen; das heißt, dass das ganze Morgenprogramm – Frühstück vorbereiten, die Kinder wecken, die Große zur Schule bringen – normalerweise meine Aufgabe ist, darin habe ich also eine gewisse Routine. An diesem Mittwoch war es nun aber so, dass meine Frau einen langen Tag hatte und erst zu einer Zeit nach Hause kam, zu der die Kinder möglichst schon im Bett sein sollten. Das heißt, ich war für den ganzen Tagesablauf verantwortlich, und das beinhaltete, dass ich am Nachmittag mit den Kindern zu einer Veranstaltung ging, wo auch eine Schulfreundin meiner Großen mitkam, also war ich für diese Freundin auch noch verantwortlich. Tatsächlich klappte alles gut und es gab keine nennenswerten Probleme, aber trotzdem gab es an diesem Tag einen Punkt, an dem ich dachte: Ich fühl' mich überfordert. Und allein gelassen. Aber dann kam mir plötzlich der Gedanke: Meine Frau hat sich, als sie heute morgen zur Arbeit gegangen ist, offenbar keine Sorgen darum gemacht, ob ich das alles schaffe. Anstatt mich darüber zu ärgern, dass sie mich mit alledem allein lässt, könnte ich das als ein Zeichen sehr großen Vertrauens auffassen. Dieser Gedanke hat mir geholfen, durch den Tag zu kommen. 

Und wenn wir das mal weiterdenken, dann ist es ja nicht nur unser Ehepartner, der es uns zutraut, gut für unsere Kinder zu sorgen; zu allererst sind uns unsere Kinder schließlich von Gott anvertraut, und das heißt ja, dass auch Er uns zutraut, gut für sie zu sorgen." 

Ich freue mich, sagen zu können, dass dieser "Gedanke to go" in der Runde gut ankam; auch und gerade die Gruppenleiterinnen zeigten sich angetan. Und ich hoffe, auch du kannst etwas damit anfangen, Leser... 


Küsschen für den Nikolaus 

Das Ironische an der Geschichte war natürlich, dass just dieser Freitag schon wieder ein Tag war, an dem meine Liebste erst spät am Abend nach Hause kommen würde: Diesmal war an der Schule, an der sie unterrichtet, Ehemaligentreffen, und das war fürs Kollegium eine Pflichtveranstaltung. Dass es innerhalb einer Woche zwei Abendveranstaltungen für die Lehrkräfte dieser Schule gab, von denen die eine verpflichtend ist, während man die andere ungern versäumen möchte, hatte durchaus für Unmut im Kollegium gesorgt, aber da mussten wir jetzt durch. Für mich kam gegenüber dem Mittwoch erschwerend hinzu, dass ich nicht einfach den halben Tag mit dem Junior zu Hause verbringen konnte – und vor allem, dass ich am späteren Nachmittag einen Auftritt als Nikolaus in St. Joseph Siemensstadt hatte. 

Immerhin hatte sich für die Frage, wer eigentlich das Tochterkind von der Schule abholen sollte, eine elegante Lösung ergeben: Wie regelmäßige Leser schon mitbekommen haben werden, hat eine Schulfreundin unseres Tochterkindes in jüngster Zeit auffälliges Interesse an kirchlichen Veranstaltungen für Kinder gezeigt, daher hatten wir bei der Mutter dieser Freundin angefragt, ob sie vielleicht auch Lust hätte, zur Nikolausfeier zu kommen. Das Ergebnis war positiv, und so vereinbarten wir, dass diese Mutter unsere Tochter zusammen mit ihrer eigenen von der Schule abholte und mit ihnen direkt zur Nikolausfeier kam. 

Den Jüngsten musste ich allerdings mitnehmen, als ich mich zu den letzten Vorbereitungen der Nikolausfeier im Pfarrsaal von St. Joseph Siemensstadt einfand; aber auch das erwies sich als weitgehend unproblematisch, der Knabe machte sich sogar nützlich, indem er Liederzettel auf den Stühlen verteilte. Nachdem ich das Nikolauskostüm angelegt und mich dabei für einen von zwei zur Auswahl stehenden falschen Bärten entschieden hatte (wobei mir durch den Kopf ging, dass "Bartanprobe" ein witziges Wort ist, das man wohl nicht allzu oft zu verwenden Gelegenheit hat), sollte ich mich nach nebenan in die Kirche verkrümeln, damit die Kinder mich nicht schon vor meinem großen Auftritt zu sehen bekamen; mein Junior hatte sich zunächst bereit erklärt, derweil beim Gemeindereferenten zu bleiben, den er ja kennt, aber dann entschied er sich doch spontan um und wollte partout bei mir bleiben. Ich nahm ihn also mit in die Kirche, wo ich zur spirituellen Einstimmung auf meine Aufgabe die Non aus dem Stundenbuch betete; als dann der Gemeindereferent kurz vorbeischaute, um mir bescheid zu geben, dass die Veranstaltung in Kürze beginnen, konnte er den Knaben aber doch überreden, mit ihm in den Saal zu gehen, wo inzwischen auch seine große Schwester und ihre Schulfreundin eingetroffen waren. 


Übrigens war, wie ich inzwischen nachgelesen habe, die Nikolausfeier vor drei Jahren – die damals noch Nikolausandacht hieß und in der Kirche stattfand, allerdings unter "3G"-Bedingungen – gewissermaßen mein Erstkontakt zur Gemeinde St. Joseph/St. Stephanus, die zu diesem Zeitpunkt noch eine eigenständige Pfarrei war: Im Anschluss an die damalige Veranstaltung "unterhielten wir uns noch mit ein paar (haupt- und ehrenamtlichen) Mitwirkenden" und vereinbarten mit dem Gemeindereferenten einen Gesprächstermin, um die Möglichkeiten zur Mitarbeit in dieser Pfarrei zu sondieren. Im Jahr darauf durfte ich schon selbst den Nikolaus spielen. Voriges Jahr waren wir hingegen nicht dabei, auch nicht als Zuschauer, da rund um den Nikolaustag alle Familienmitglieder reihum krank waren. 

Der Ablauf der Feier ist jedenfalls seit Jahren im Großen und Ganzen derselbe: Bevor es losgeht, werden die Namen der anwesenden Kinder notiert; dann folgt eine "liturgische Eröffnung" und Begrüßung durch den Gemeinderefenten, es wird ein Lied gesungen ("Lasst uns froh und munter sein"), der Gemeindereferent spricht ein Gebet ("Guter Gott, Du hast uns den Heiligen Nikolaus geschenkt, der die Kinder lieb gehabt hat...") und leitet dann über zum Auftritt des Nikolausdarstellers, der, ausgestattet mit Bischofsstab und Geschenkesack, den Saal betritt, während ein weiteres Lied gesungen wird ("Sei gegrüßt, lieber Nikolaus"). Der Gemeindereferent führt eine Art "Interview" mit dem Nikolaus, dann erzählt der Nikolaus in Ich-Form eine Legende aus dem Leben des Heiligen – für diesmal hatte ich mir die Legende vom Kornwunder ausgesucht –; anschließend trägt eine andere Mitwirkende eine thematisch passende Evangelien-Perikope vor, in diesem Fall Lukas 6,35-38. Danach werden die Kinder namentlich aufgerufen und der Nikolaus überreicht jedem ein Geschenk aus dem großen Sack, ehe er mit der letzten Strophe des Liedes "Sei gegrüßt, lieber Nikolaus" verabschiedet wird und den Saal wieder verlässt. Zum Abschluss wird ein Vaterunser gebetet, und dann war's das so im Wesentlichen. – Ich würde sagen, im Großen und Ganzen ging dieser Ablauf wie geplant über die Bühne; für eine gewisse außerplanmäßige Auflockerung sorgte mein Jüngster, der, kaum dass ich mich auf meinem Stuhl niedergelassen hatte (der sich, ähnlich der neuen Kathedra in der St.-Hedwigs-Kathedrale, nur durch ein rotes Sitzpolster von den anderen Stühlen in der Runde unterschied), partout auf meinen Schoß wollte und mir, nachdem ich ihm diesen Wunsch erfüllt hatte, mehrere Küsschen auf die Nasenspitze gab. Das gefährdete zwar ein wenig mein Inkognito, aber süß fand ich es doch. 

Ebenfalls einen Auftritt als Nikolaus hatte derweil der berüchtigte Vodkaster von "Horse & Hound", Thomas Halagan; und das, obwohl er einige prinzipielle Einwände gegen derartige Auftritte hat. Dazu könnte oder müsste man vielleicht auch etwas sagen, aber ich kann mich schließlich nicht um alles selber kümmern, Freunde. Vielleicht möchte sich ja jemand von euch des Themas annehmen. Erwähnen sollte ich in diesem Zusammenhang aber wohl, dass in dem Interview, das der Gemeindereferent mit mir als Nikolaus führte, auch die Frage vorkam, ob es eigentlich wahr sei, dass der Nikolaus nur den braven Kindern Geschenken bringt. Meine Antwort auf diese Frage war nicht im Voraus abgesprochen, aber ihr könnt ja mal raten, was ich dazu gesagt habe... 


Neuzugang beim Krippenspiel 

Zum Abschluss der Nikolausfeier gab es noch einen informellen "gemütlichen Teil" bei Kinderpunsch und Keksen, und in dieser Phase kam die Freundin meiner Tochter, mit ihrer Mutter als Rückendeckung, auf den Gemeindereferenten zu und fragte, ob sie beim Krippenspiel mitmachen dürfe. Der Gemeindereferent meinte, es sei allemal noch Platz für zusätzliche Engel oder Hirten, worauf das Mädchen sich dafür entschied, einen Engel spielen zu wollen, und tags darauf auch tatsächlich zur Probe erschien. Ich schätze, das ist so langsam Grund genug, ein paar mehr Worte darüber zu verlieren, was ich vorige Woche "mit und ohne Augenzwinkern" als "Evangelisierungserfolg" bezeichnet habe

Es ist nämlich so: Die besagte Freundin unseres Tochterkindes hat "von Haus aus" eigentlich keinen besonderen Bezug zu Religion und Kirche, auch wenn ihre Mutter, wie ich gehört habe, mal Religion auf Lehramt studiert hat und ihrerseits in einem Umfeld aufgewachsen ist, in dem ein Mindestmaß an Kirchenbindung zur sozialen Normalität gehörte, was aber nicht unbedingt etwas mit persönlichem Glauben zu tun hatte. Über einen etwaigen religiösen Hintergrund des Vaters weiß ich nichts. Jedenfalls spielte das Thema in der Familie bisher keine nennenswerte Rolle, bis die siebenjährige Tochter vor einigen Wochen wie gesagt anfing, Interesse an kirchlichen Veranstaltungen für Kinder zu äußern. Nun weiß ich streng genommen nicht, welchen Anteil die Tatsache, dass unser Tochterkind ihre beste Schulfreundin ist, daran gehabt hat, dieses Interesse zu wecken; aber dass es da einen gewissen Zusammenhang gibt, halte ich doch für wahrscheinlich. Und ich würde mal sagen, der Umstand, dass dieses Mädchen inzwischen mit uns beim Martinsumzug, bei der Nikolausfeier und zweimal beim JAM gewesen ist und nun auch beim Krippenspiel mitmacht, spricht doch für sich. 

Ein erheblicher Fortschritt der zweiten Krippenspielprobe gegenüber ersten vor zwei Wochen bestand darin, dass wir jetzt eine Maria hatten – allerdings immer noch keinen Josef, weshalb der Vater der Mariendarstellerin, der eigentlich für die Rolle des 3. Herbergswirts sowie für Soundeffekte vorgesehen ist, bei der Probe Josefs Text las. Meine Tochter verdiente sich einmal mehr ein Fleißbienchen, indem sie als erste von allen Mitwirkenden ihren Text auswendig konnte. – Übrigens hatte ich mir im Laufe der Woche zusammen mit meinen Kindern mehrfach einzelne Lieder aus dem Musical "Simeon – Die unbekannte Weihnachtsgeschichte", das wir am Samstag davor in der Gemeinde auf dem Weg gesehen hatten, auf YouTube angehört und dabei festgestellt, dass meine Große sich teilweise auch die Choreographien zu den Liedern gemerkt hatte und sie nachmachen konnte. Das brachte mich auf die Idee, es wäre doch vielleicht schön, ein Stück aus dem Musical – "Der Himmel kommt zu uns" – als Schlussnummer bzw. Zugabe für unser Krippenspiel einzuüben. Das Tochterkind war sofort dafür. Aber bei der Probe kam ich dann doch nicht dazu, diesen Vorschlag zu unterbreiten, zum einen aus Zeitgründen, zum anderen aber auch, weil für genau diese Funktion bereits ein anderes Lied vorgesehen ist: Ursprünglich war dafür "O du fröhliche" angedacht, aber dann wurde es durch "Stern über Betlehem" ersetzt, da die Darstellerin des "2. Hirten" dieses Lied auf der Blockflöte spielen kann. Da werde ich mich hüten, noch mit irgendwelchen Änderungswünschen zu kommen. Nächstes Jahr vielleicht. 


Predigtnotizen & Co. zum 2. Advent 

Am 2. Adventssonntag gingen wir "ganz normal" in St. Joseph Siemensstadt in die Messe; wobei "ganz normal" wieder mal relativ ist: Besonders war diese Messe insofern, als sie musikalisch vom Spandauer Frauenchor mitgestaltet wurde. Das begann mit einem Kyrie, das etwas überraschend erst nach dem Tagesgebet gesungen wurde; anstelle des Antwortpsalms folgte dann eine mehrstimmige Fassung von "Maria durch ein Dornwald ging", und so schön diese auch war, ging mir an diesem Punkt der Gedanke durch den Kopf, liturgisch sei es offenbar ein Wagnis, einen Chor im Gottesdienst singen zu lassen, der kein Kirchenchor ist. Das war aber wohl etwas voreilig geurteilt, denn die weiteren Beiträge des Chores – darunter ein lateinisches Agnus Dei – waren nicht nur musikalisch ein Genuss, sondern ertönten auch an den richtigen Stellen der Liturgie. 

Zelebriert wurde die Messe übrigens vom "örtlich zuständigen" Pfarrvikar, daher freute ich mich auf eine inspirierende Predigt – und wurde auch nicht enttäuscht. In der Hauptsache konzentrierte sich die Predigt – einschließlich des dezidiert an die Erstkommunionkinder gerichteten Teils, der einmal mehr ungefähr das erste Drittel der gesamten Predigt einnahm – auf die 1. Lesung, Baruch 5,1-9. Durch den Mund des Propheten Baruch fordert Gott Sein Volk auf, das Kleid der Trauer und des Elends abzulegen und sich mit dem Schmuck der Herrlichkeit zu bekleiden. Mit anderen Worten, Gott ruft Sein Volk als Seine Braut zu sich. Mit Blick auf die historische Situation, in die hinein dieses prophetische Wort gesprochen wurde, bemerkte der Pfarrvikar: "Israel war eine Braut, die war ziemlich desolat. Sie saß im Exil und hatte viele Probleme." Die Aufforderung, sich "mit dem Schmuck der Herrlichkeit zu bekleiden", bedeute indes "nicht nur ein bisschen Kosmetik an der Braut": 

"Die Herrlichkeit bedeutet, dass unsere Geschichte, unsere Lebensgeschichte herrlich ist, weil wir darin die Liebe Gottes entdeckt haben. [...] Israel hat in dem Moment verstanden, als es nach Hause ging: Auch die Zeiten des Leidens, der Schwierigkeiten, des Exils hatten einen tiefen Sinn, denn das hat Israel von einer ziemlich bequemen, lauen, schwierigen Dame zu einer begeisterten Braut gemacht. Und das ist unsere Lebensgeschichte." 

Weiterhin erklärte der Pfarrvikar, wenn in den Prophetenbüchern von Gerechtigkeit die Rede sei, bedeute das – im Unterschied zur westlichen Rechtstradition – nicht bloß "eine Wiedergutmachung eines Schadens" ist: "Sondern die Gerechtigkeit stellt die göttliche Ordnung wieder her. Das bedeutet: Eins zu sein mit Gott, in Kommunion mit Ihm zu sein, Seine Braut zu sein. Das ist viel mehr, als ein paar Flecken rauszuwaschen." Gerechtigkeit verwirkliche sich "in dem Maß, in dem man an Gott glaubt" – und in der "Treue zum Willen Gottes": "Deswegen war Abraham gerecht: Er hat seine Heimat verlassen, seine Sicherheiten verlassen und hat sich auf Gott gestützt, das war seine Gerechtigkeit." 

Aus dem Teil der Predigt, der sich auf das Evangelium – Lukas 3,1-6, das Auftreten Johannes des Täufers – bezog, fand ich besonders zwei Punkte bemerkenswert. Zim einen zitiert der Evangelist Lukas da einen Vers des Propheten Jesaja: "Alles, was krumm ist, werde gerade" – wozu der Pfarrvikar anmerkte, krumm sei man beispielsweise, wenn man den Blick "auf den eigenen Nabel" richte. Zum zweiten beginnt Lukas seinen Bericht über das Auftreten Johannes des Täufers mit einem Überblick über die politischen Machtverhältnisse der Zeit und verankert so seine Erzählung in der Historie. Dazu führte der Pfarrvikar aus: 

"Als Herodes Tetrarch war, Philippus und so weiter, das war politisch gesehen keine günstige Zeit. Das heißt, es gibt äußere Umstände in der Welt, wo wir sagen könnten: Wir haben wichtigere Probleme. Aber die Welt wartet darauf, diese Braut in der Sänfte zu sehen und zu entdecken, dass nichts anderes Sinn macht. Viele unserer weltpolitischen Probleme drehen sich am Ende um Geld und Macht. Aber das ist nicht der Sinn des Lebens. Deswegen ist es so wichtig, dass die Braut schön ist – um zu zeigen, es gibt etwas viel Größeres, viel Besseres, viel Erfüllenderes als nur ein bisschen Geld und Macht." 

Nach der Messe gab's im Pfarrsaal Waffeln, Schmalzbrötchen sowie Glühwein und Kinderpunsch, aufgetischt vom Sozialdienst Katholischer Männer. Was wir im Anschluss daran noch so erlebten, habe ich in meiner Kolumne in der aktuellen Tagespost-Ausgabe geschildert; aus Platzgründen ist der Reflexionsanteil dieses Berichts etwas knapper ausgefallen, als mir lieb gewesen wäre, aber was ich über den mir in der Kolumne zur Verfügung stehenden Platz hinaus gern noch gesagt hätte, steht im Wesentlichen auch schon in einem fast sieben Jahre alten Blogartikel von mir, auf den ich aus diesem Anlass mal wieder hinweisen möchte. 


Blutmagie in Butjadingen 

Das Kirchdorf Blexen, seit 1933 ein Stadtteil von Nordenham, ist der älteste urkundlich belegte Ort auf der Halbinsel Butjadingen, weil dort im Jahre 789 der Hl. Willehad starb. Ohne das Verdienst des großen Friesenmissionars schmälern zu wollen, muss man allerdings wohl konstatieren, dass es ihm nicht gelungen ist, das Heidentum in diesem Landstrich nachhaltig zu besiegen. 

Am Nikolaustag brachte die Nordwest-Zeitung einen Artikel über eine Goldschmiedin in Blexen, die u.a. Blut, Muttermilch und Tierhaare in Schmuckstücken verarbeitet. Meine spontane Reaktion war: Da kann mir doch keiner erzählen, dass das nicht etwas mit Schwarzer Magie zu tun hat. – Wie ich inzwischen nachrecherchiert habe, war in der konkurrierenden Kreiszeitung Wesermarsch schon am Gründonnerstag ein Artikel über diese Goldschmiedin und ihre ausgefallenen Arbeitsmaterialien erschienen. Die Nähe zu den höchsten Festen der Christenheit ist hier schon auffällig; ich möchte mal daran erinnern, wie die Nordwest-Zeitung am Gründonnerstag 2019 unter der Überschrift "So unterschiedlich feiern Heiden und Christen Ostern" ein Doppel-Interview mit dem evangelischen Pfarrer von Blexen und der "Naturschamanin" Minerva Winter veröffentlichte. 

Von Hexe Minerva unterscheidet sich die Goldschmiedin Constanze Kuschel indes auffallend dadurch, dass sie selbst – zumindest im NWZ-Artikel vom Nikolaustag; den aus der Kreiszeitung konnte ich wg. Paywall nicht lesen – ihrem Kunsthandwerk keinerlei magischen oder okkulten Hintergrund zuschreibt; sie finde lediglich das "Rumtüfteln und [A]usprobieren mit neuen Dingen [...] herausfordernd und spannend", sagt sie. Etwas anders sieht das auf der Kundenseite aus. "Blut symbolisiert für viele wohl eine besonders starke Verbindung zu einer anderen Person", erklärt sich die Goldschmiedin die Nachfrage nach Schmuckstücken aus Blut; als "Erklärung dafür, dass Schmuckstücke mit Muttermilch [...] häufig angefragt werden, wird angegeben, "[e]s sei die Erinnerung an die Zweisamkeit und die Stillzeit, die Frauen für immer festhalten wollen". Bei all diesen Schmuckkreationen stehe letztlich "der Gedanke" im Mittelpunkt, "einen geliebten Menschen – oder bei Tierhaaren geliebte Vierbeiner – am Körper zu spüren": "Wenn man es als Kette am Hals trägt, ist es so, als ob die Person dich umarmt." Bei allem Bemühen, es möglichst harmlos klingen zu lassen, wird hier doch deutlich genug, dass der Reiz solcher Schmuckstücke letztlich auf der Vorstellung beruht, Haaren und Körperflüssigkeiten wohne eine geheimnisvolle Kraft inne, die eine quasi-magische Verbindung zu dem Menschen (oder Tier) herstelle, von dem sie stammen. Das ist zum mindesten heidnischer Aberglaube, und wenn die christlichen Kirchen nicht so sehr mit sich selbst beschäftigt wären und damit, sich nach außen hin als anspruchslos, undogmatisch und für alles offen darzustellen, müssten sie eigentlich etwas zu diesem Trend sagen. Zumal es von heidnischem Aberglauben zu manifestem Okkultismus oft nur ein kleiner Schritt ist. Man könnte indes argwöhnen, das eigentliche Problem liege darin, dass der Glaube an eine übersinnliche, übernatürliche Realität innerhalb der christlichen Kirchen seit Jahrzehnten im Schwinden begriffen ist, während derselbe Glaube in der vermeintlich so säkularisierten, "religiös nicht ansprechbaren" Gesellschaft immer neue Ausdrucksformen findet. 

Das erinnert mich übrigens daran, dass ich mir mal Zeit nehmen muss, das neue Buch meines Freundes Rod Dreher, "Living in Wonder", weiterzulesen, in dem genau dieser Sachverhalt ein ganz großes Thema ist. Rod hat mich gewarnt, das Buch könne womöglich zu "weird" für mich sein; ich schätze, wenn er das zu mir sagt, will das schon was heißen... 

(Und ja, eigentlich bin ich euch noch einen Bericht über meine jüngste Begegnung mit Rod schuldig, Freunde; auch wenn die schon wieder über ein Vierteljahr her ist. Ich hoffe, ich komme noch in diesem Kalenderjahr dazu...) 


Neues aus Synodalien: Planlos am Andersort 

Wie schon letzte Woche muss ich an dieser Stelle erneut auf einen Beitrag aus der "Standpunkt"-Rubrik von häretisch.de eingehen, der mir auf meiner persönlichen Google-Startseite präsentiert wurde: "Kirche muss an 'Andersorte' der Gegenwart gehen" von P. Max Cappabianca OP, dem Leiter der Katholischen Studierenden[sic]gemeinde Hl. Edith Stein in Berlin. Mal abgesehen davon, dass mir jedesmal, wenn ich diesen Namen lese, von neuem auffällt, was für ein toller Name "Cappabianca" für einen Dominikaner ist, hatte ich mit diesem Ordensmann zuletzt im Sommer 2020 zu tun – im Zusammenhang mit der Weihe des Erzbistums Berlin an das Heiligste Herz Jesu und das Unbefleckte Herz Mariens angesichts der Corona-Krise. Damals beschwerte Pater Max sich via Twitter darüber, dass der Account des Erzbistums Berlin einen Artikel von mir empfohlen hatte, in dem er nicht besonders gut wegkommt. Hach, good times

Jetzt aber mal zurück in die Gegenwart: In seinem vor gut einer Woche erschienenen "Standpunkt" spricht Pater Max sich für "missionarisches Kirchesein" aus – was zwar eine pastoraltheologietypisch grausige Formulierung ist, aber die positiv konnotierte Verwendung des Begriffs "missionarisch" lässt ja durchaus aufhorchen. Jedenfalls solange, bis man zur Kenntnis nimmt, was Pater Max unter "Mission" versteht bzw. was er nicht darunter versteht: "Natürlich", so meint er, dürfe es "nicht darum" gehen, "dass Kirche ihre fertigen Antworten wie trocken Brot unter die Leute bringt"; an den "'Andersorte[n]' der Gegenwart, an denen spirituelle Fragen aufbrechen", müsse die Kirche vielmehr "selbst Teil dieser Suchbewegung" werden, indem sie "ganz eintaucht in das Leben, das sich dort zeigt". Ächz. 

Gewiss: Dass die Kirche den Leuten nicht mit fertigen Antworten kommen dürfe, haben wir schon öfter gehört. Schon vor Jahren stellte ich – damals veranlasst durch die akademische Kritik am Mission Manifest – fest, "dass es irgendwo da draußen, in 'theologischen Feuilletons', an Hochschulen, in kirchlichen Gremien und pastoraltheologischen 'Think Tanks', einen Diskurs gibt, in dem es bereits als anrüchig gilt, sich zu der Auffassung zu bekennen, eine zentrale Aufgabe der Kirche sei Glaubensverkündigung"; zumindest "[w]enn man damit dann [...] einen überindividuell verbindlichen, in seiner Substanz unverfügbar vorgegebenen Glauben meint". – Was könnte man sonst damit meinen? Nun ja, wenn man beispielsweise Erik Flügge fragt, dann müsste die Kirche sich – auch hier zitiere ich mich wieder selbst, aus demselben Blogartikel, den ich gerade schon verlinkt habe – "weniger in der Rolle der Trägerin und Botin einer göttlichen Offenbarung, sondern eher als Dienstleisterin für die religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder" sehen und "erst wieder neu lernen [...], was die religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder eigentlich sind, um sich dann darauf einzustellen". 

Wahrscheinlich würden Pater Max und andere, die sich ähnlich äußern, auf kritische Nachfragen hin beteuern, sie meinten damit ja nur, die kirchliche Verkündigung müsse es vermeiden, den Menschen von oben herab, in einer belehrenden Haltung, zu begegnen, und müsse vielmehr bestrebt sein, den Suchenden entgegenzugehen, um sie von dem Punkt ihrer persönlichen spirituellen Reise, an dem sie sich jeweils gerade befinden, "abholen" zu können. Und das ist ja – je nachdem, wie man diese Maxime konkret umzusetzen gedenkt – nicht unbedingt verkehrt. Aber wenn sich jemandem in Hinblick auf die Verkündigung des Evangeliums Vergleiche mit "trocken Brot" aufdrängen, dann liegt doch der Gedanke nahe, die Probleme bei der Verkündigung des Glaubens könnten nicht selten eher auf der Sender- als auf der Empfängerseite zu verorten sein. Wie der Hl. Augustinus sagte: In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst. 

Der eigentliche Witz an dem Artikel ist aber, was Pater Max mit den sogenannten "Andersorten der Gegenwart" meint, an die die Kirche gehen müsse. Halte dich fest, o Leser: Er meint Festivals. Und zwar, wie er ausdrücklich betont, "nicht Schützenfeste und andere traditionelle Volksfeste [...], sondern Veranstaltungen, die jeden Sommer Zehntausende junge Teilnehmende anziehen und eher für exzessiven Drogenkonsum stehen als für landpastorale Idyllen. Was hat die Kirche da verloren, wird sich manche Person fragen!" – Also, ich gehöre ja eher nicht zu den Personen, die sich das fragen; dafür habe ich aber herzlich gelacht über diesen eindrucksvollen Beleg dafür, wie out of touch gerade die vermeintlich "Progressiven" in der Kirche sind. Wie sehr gerade die Leute, die ständig warnen und mahnen, die Kirche dürfe sich nicht "in ein Ghetto zurückziehen", selbst in einem Ghetto festsitzen, nur leider nicht in einem Ghetto der Rechtgläubigkeit, sondern der spießbürgerlichen Milieuverengung. Manch einer wird nun meinen, gerade deshalb sei es doch ein begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung, dass – was nämlich den Anlass und Aufhänger für diesen "Standpunkt"-Beitrag bildet – im Februar 2025 an meiner alma mater, der Berliner Humboldt-Uni, eine "Fachtagung Festivalseelsorge" stattfinden soll; aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dabei etwas herauskommt, was nicht tragikomisch und peinlich wäre (oder "cringe", wie die jungen Leute angeblich sagen). 

Den künftigen Pionieren der großkirchlichen Festivalseelsorge – die, wie Pater Max meint, "den Mut haben, hier nach Gott zu suchen" – wünsche ich viel Spaß dabei, möchte ihnen aber zugleich den Rat mitgeben: Nehmt euch in Acht, denn die Leute, die ihr als Fundamentalisten diffamiert, sind schon längst da – und bringen etwas mit, was ihr ausdrücklich nicht im Gepäck habt, nämlich Antworten. Und nicht nur das, sie veranstalten sogar ihre eigenen Festivals. Aber da ist ja, wie Regina Nagel, Vorsitzende des Bundesverbands der Gemeindereferent*innen [sic], beteuert, "nichts Positives dran, von dem man lernen könnte". Und damit hat sie von ihrer Warte aus wohl auch Recht: Wenn Verfechter eines postdogmatisch-dienstleistungsorientierten Kirchenmodells versuchen, von "Bewegungen, die vermehrt auf Frömmigkeit setzen" – wie häretisch.de-Redakteurin Gabriele Höfling es mal formulierte –, zu lernen, kommt dabei bestenfalls etwas heraus wie "Wir sollten auch mal sowas wie Nightfever machen, aber ohne diese Sache mit der Hostie"


Geistlicher Impuls der Woche 

Die unglücklichen Kinder Adams haben es aufgegeben, nach Wahrheit und Heil zu forschen. Sie suchen nach hinfälligen und vergänglichen Dingen. Mit wem sollen wir die Menschen dieser Generation vergleichen, die sich nicht von irdischem und leiblichem Trost losmachen und trennen können? Wahrhaftig, sie gleichen Menschen, die in Gefahr sind zu ertrinken. Man sieht, wie sie sich zu halten versuchen und um keinen Preis das Erste und Beste loslassen wollen, das ihnen in die Hände geraten ist, was immer es ist und wenn es auch in keiner Weise helfen kann, wie Wurzeln von Pflanzen und ähnliches. Kommt ihnen jemand zu Hilfe, so packen sie ihn manchmal und klammern sich an ihn, so dass er weder sich noch sie retten kann. So gehen diese Unglücklichen auf dem großen und weiten Meer zugrunde. Sie sind hinter dem Vergänglichen her und verlieren das Unvergängliche, das sie ergreifen müssten, um auftauchen und ihr Leben retten zu können.  

(Bernhard von Clairvaux, Predigt zum Advent)


Ohrwurm der Woche 

Morcheeba: Rome Wasn't Built in a Day 

Der Gruppe Morcheeba, von der ich vor rund 20 Jahren ein Best-of-Album geschenkt bekommen habe, tut man insgesamt wohl nicht Unrecht, wenn man sagt, dass sie im Spektrum der TripHop-Welle der späten 90er gewissermaßen die Grenze zum Mainstream-Pop markierte: Musik für Leute, denen Portishead oder Massive Attack zu intellektuell, zu abgehoben oder auch zu düster waren. So eine Gruppe muss es in jedem neuen Musikgenre geben. Als Faustregel zumindest für die auf dem besagten Best-of-Album vertretenen Stücke kann man festhalten: Die früheren Sachen sind trippiger, die späteren poppiger. Die hier ausgewählte Nummer stammt von ihrem dritten Album und klingt kaum noch nach TripHop, war jedoch die kommerziell erfolgreichste Single der Gruppe. Das ist aber nicht der Grund, weshalb gerade dieser Song hier als Ohrwurm der Woche erscheint: Das hat vielmehr mit der ermutigenden Message des Titels zu tun. Präzise gesagt kam mir diese Zeile in den Sinn, nachdem ich die Tatsache, dass am Montag der Omatag ausfiel, zum Anlass genommen hatte, einen "Haushaltstag" einzulegen, und am Abend feststellte, dass, wiewohl ich einige schon lange überfällige Haushaltsarbeiten erfolgreich bewältigt hatte, immer noch eine Menge zu tun bleibt. – Das Video ist übrigens auch süß. 


Vorschau / Ausblick 

Gestern wäre in St. Joseph Siemensstadt eigentlich das Infotreffen für die Sternsingeraktion gewesen, bzw. das Treffen war auch, wir waren bloß nicht dabei – ich habe es schlicht verpeilt. Das heißt wohl noch nicht zwingend, dass das Thema Sternsingen für diesmal vom Tisch ist, aber ich bezweifle eher, dass das was wird. Heute ist bzw. war die dritte und zugleich vorletzte Krippenspielprobe; darüber, wie's gelaufen ist, wird in der nächsten Wochenbriefing-Ausgabe also sicherlich Manches zu sagen sein. Am 3. Advent ist in der Messe in St. Joseph Siemensstadt Krippensegnung und anschließend ein vom Sozialdienst Katholischer Männer gekochtes Mittagessen im Pfarrsaal – da werden wir diesmal wohl den Rat beherzigen, Transportboxen für eventuelle Reste mitzunehmen. Und dann beginnt schon die letzte Schul- und Arbeitswoche vor den Weihnachtsferien. Am Mittwoch hat das Tochterkind Schulweihnachtsfeier, da trifft es sich günstig, dass beim JAM bereits Winterpause ist. Im Gespräch ist derzeit, ob sich am Mittwoch oder Donnerstag das KiWoGo-Team noch einmal trifft, um den Gottesdienst am 4. Advent vorzubereiten und evtl. auf dem Spandauer Weihnachtsmarkt zusammen einen Glühwein zu trinken. Und dann neigt die Adventszeit sich auch schon rapide dem Ende zu... 


Donnerstag, 12. Dezember 2024

DOSSIER: Warum eigentlich "Punkpastoral"? (Teil 1)

Als ich unlängst unter der Überschrift "Hl. Simon und Hl. Judas, bittet für uns!" eine "Drei-Jahres-Bilanz in Sachen Punkpastoral" veröffentlichte, wurde mal wieder – wie es mir früher schon häufiger gegangen ist – die Frage an mich herangetragen, wieso ich die von mir betriebene und auf meinem Blog propagierte Spielart des Laienapostolats eigentlich ausgerechnet Punkpastoral nenne. Nun bin ich einerseits eigentlich der Meinung, dazu schon öfter etwas gesagt zu haben, aber andererseits erinnern mich solche Anfragen immer daran, dass ich eigentlich schon längst mal vorhatte, diese Frage mal gründlich und systematisch zu beantworten – nämlich in Form eines "Dossier"-Artikels, wie ich auch schon zum Thema "Erstkommunion" einen vorgelegt habe. 

Tatsächlich hatte ich auch schon seit längerer Zeit einen Entwurf zu einem solchen Dossier "Warum eigentlich Punkpastoral?" in der digitalen Schublade; dass dieser Entwurf allerdings so lange halbfertig liegen geblieben ist, hat wohl wesentlich damit zu tun, dass er thematisch viel zu breit angelegt war (was wohl insgesamt nicht untypisch für mich ist). Ich habe mich daher bemüht, das Konzept für diesen Dossier-Artikel gründlich zu entrümpeln – und habe dabei aus dem ursprünglich dafür zusammengetragenen Material ausreichend Stoff für noch zwei weitere Dossiers gewonnen, nämlich eins zum Thema "Gemeindeaufbau Gemeindeerneuerung" und eins zum Thema "Pfarrhausfamilie".

Aber fangen wir mal vorne an – also chronologisch. Das Schlagwort "Punkpastoral", in einem Wort geschrieben, taucht in meinem Blog erstmals im Mai 2017 auf; mit Bindestrich, also als "Punk-Pastoral", schon deutlich früher, nämlich im September 2016, unmittelbar nachdem meine Liebste und ich von unserem gemeinsamen Jakobsweg nach Berlin zurückgekehrt waren. Die Ansätze zu dem mit diesem Schlagwort bezeichneten Konzept sind aber nochmals um einige Monate älter; ich würde sagen, es ist wohl ganz normal, dass, wenn man anfängt, Konzeptideen (welcher Art auch immer) zu sammeln, ein griffiger Name für das Konzept nicht das allererste ist, was man sich überlegt.

Einen recht brauchbaren Überblick über die Anfänge des Konzepts und seiner praktischen Umsetzung bietet allerdings der Artikel "Drei Jahre Punkpastoral!" von 2019, den man insofern schon als eine Vorstufe zu diesem Dossier betrachten kann. Allerdings ist dieser Artikel ausgesprochen "theorieschwach": Man erfährt kaum etwas darüber, was meine Liebste und ich uns unter "Punkpastoral" vorstell(t)en und was es mit dieser Bezeichnung auf sich hat. Immerhin verweist er aber auf eine Reihe anderer thematisch relevanter Artikel, darunter drei aus dem Juni/Juli 2016, von denen man sagen kann, dass sie den Beginn der Punkpastoral-Saga dokumentieren.

An erster Stelle ist hier "Wer, wenn nicht wir?" vom 11. Juni 2016 zu nennen. Darin schildere ich, wie meine Liebste und ich am Wochenende zuvor drei Straßenfeste, darunter vor allem die in der Hausbesetzerszene verwurzelte "Fiesta Kreutziga", besuchten und dabei unwillkürlich Vergleiche mit dem Katholikentag in Leipzig anstellten, dem wir kurz zuvor einen Besuch abgestattet hatten. Diese Vergleiche liefen im Kern darauf hinaus, sich angesichts der "sehr aktive[n] und enorm gut vernetzte[n] linksautonome[n] Subkultur Berlins – mit ihren Kneipen, 'Volxküchen',  Tauschbörsen, Schuh- und Fahrradwerkstätten undsoweiter undsoweiter" die Frage zu stellen: "Warum gibt es so etwas nicht auch 'auf katholisch'?" Woran sich einigermaßen folgerichtig  der Gedanke anschloss, dass "Graswurzelinitiativen [...] per definitionem davon [leben], dass man nicht darauf wartet, dass es ein Anderer macht. Sondern einfach mal selbst damit anfängt."

Soweit erst einmal die Grund- und, wenn man so will, Gründungsidee. Wie in dem Punkpastoral-Jubiläumsartikel von 2019 dokumentiert ist, fing ich nahezu unmittelbar darauf damit an, ein Konzept für eine informelle Laieninitiative zu entwickeln – unter dem vorläufigen Namen "Donnerstagsclub". Der chronologisch nächste Blogartikel, in dem sich diese Überlegungen niederschlugen, erschien am 1. Juli und trug den Titel "Der Heilige Geist und der eigene Vogel". Vorrangig geht es darin um die kurz zuvor veröffentlichte Instruktion "Iuvenescit Ecclesia" der Glaubenskongregation "über die Beziehung zwischen hierarchischen und charismatischen Gaben im Leben und in der Sendung der Kirche",  allerdings betone ich darin auch gleich einleitend, dass ich dieses Dokument vor allem in dem Interesse gelesen habe, daraus Impulse "für den theoretischen Über- und Unterbau" meiner eigenen Überlegungen zu gewinnen, die sich darum drehen, "wie man durch 'Graswurzelinitiativen' etwas frischen Wind in die hierzulande oft doch etwas müde, satt und spießig wirkende katholische Kirchenlandschaft bringen könnte. Irgendwas mit Suppe, Fahrradreparatur und Punkrock, war so in etwa der Stand meiner Überlegungen" – und das, "obwohl ich nicht das Charisma der Fahrradreparatur besitze".

Ein interessantes Detail dieses Artikels ist die Bemerkung, mit dem Adjektiv "charismatisch" hätte ich bisher vor allem Gruppierungen assoziiert, "deren Mitglieder zu uncooler Musik entrückt mit den Armen wedeln, in Zungen reden und live vor Publikum Dämonen austreiben". Das war wohlgemerkt VOR meinem ersten Besuch der MEHR-Konferenz, und wer weiß, möglicherweise hat diese Bemerkung sogar dazu beigetragen, dass mich einige Monate später ein Leser meines Blogs zu diesem charismatischen Event einlud. Aber dazu später.

Gegen Ende des Artikels ist dann noch vom Nightfever die Rede – und davon, dass meine Erfahrungen mit diesem Format  mich davon überzeugt hätten,

"dass es ein enormes Potential gibt, (nicht nur, aber besonders) junge Menschen, die 'ein besonderes Bedürfnis nach dem Heiligen-, eine Sehnsucht nach Spiritualität haben – die eine Antwort auf diese Sehnsucht aber von sich aus nicht unbedingt in der Katholischen Kirche suchen würden –, an Dinge wie Beichte, Stundengebet und Eucharistische Anbetung heranzuführen. Um dieses Potential auszuschöpfen, braucht es aber unkonventionelle Herangehensweisen – die durchaus auch etwas mit Suppe, Fahrradreparatur und Punkrock zu tun haben können. In diese Richtung möchte ich etwas unternehmen – nach den Sommerferien, gemeinsam mit meiner Liebsten."
Nur vier Tage später folgte ein Artikel mit dem Titel "Zahle 5 Euro, um deine Nachbarn zu treffen"; diese Überschrift bezieht sich im Grunde nur auf ein anekdotisches Detail des Artikelinhalts, in der Hauptsache geht es in dem Artikel um einen Vergleich zwischen den Veranstaltungsangeboten in den Pfarrbriefen verschiedener Berliner Pfarreien und denen im linksalternativen Terminkalender "Stressfaktor". Dabei wird ausdrücklich hervorgehoben, dieser Vergleich dazu dienen soll, "die Lage [zu] sondieren [...] in Hinblick auf gewisse noch im Ideenstadium befindliche subversive Pastoralprojekte" ; und es wird bekräftigt, "strukturell könne man für das Projekt einer subversiven Pastoral eine ganze Menge von der linken Szene lernen". Als "[r]ichtungsweisend" wird dabei "die Beobachtung" hervorgehoben,
"dass ein großer Teil des Programmangebots - von allerlei Do-It-Yourself-Workshops etwa für Siebdruck, Tischlerei, Schmiede- und Schweißarbeiten, aber auch weniger spektakulären Angeboten wie Koch- und Gitarrenkursen bis hin zu Schulungen in marxistischer oder anarchistischer Theorie - darauf abzielt, die Teilnehmer zu eigenen Initiativen zu befähigen. Davon kann man tatsächlich lernen! (Mutatis mutandis, versteht sich.)"
In den chronologisch nächsten Artikeln geht es erst einmal um andere Themen. Einen wichtigen Schritt auf dem Weg von der Idee zur praktischen Umsetzung stellte die gemeinsame Jakobsweg-Pilgerreise dar, zu der meine Liebste und ich Ende Juli antraten. Als Schlüsselereignis ist hier besonders das gemeinsame Kochen und Essen mit anderen Pilgern in der Herberge in Zubiri (Navarra) zu erwähnen, das im Artikel "Ich bin ein Pilger – Holt mich hier raus!" (vom 02.09.2016) geschildert wird. Im Grunde war das schon die Geburtsstunde des Veranstaltungsformats "Dinner mit Gott", das wir drei Jahre lang in der Pfarrei Herz Jesu Tegel anboten und das man vielleicht allmählich mal wiederbeleben sollte. Darauf wird an anderer Stelle noch zurückzukommen sein.

Kurze Zeit nach unserer Rückkehr vom Jakobsweg, nämlich am 12.09.2016, erschien dann der Artikel "Der Feind am eigenen Suppentopf", in dem nicht nur erstmals explizit das Schlagwort "Punk-Pastoral" verwendet wird, sondern der auch sonst ausgesprochen aufschlussreich für den damaligen Stand unserer konzeptionellen Überlegungen ist. Auf dem Suppe & Mucke-Festival in Berlin-Friedrichshain  betrieben wir "Feldstudien in Sachen Suppe und Aktivismus" ("Schließlich haben wir da so ein Projekt in Planung. Wobei 'in Planung' derzeit noch ein bisschen übertrieben ist - das Projekt befindet sich eher noch im Ideenstadium, aber es entwickelt sich so allmählich)" und träumten davon, "im nächsten Jahr bereits mit einem eigenen Suppenstand auf dem Fest vertreten" zu sein – waren uns dabei allerdings der Problematik bewusst, dass "die Veranstalter finden" könnten, "ein dunkelkatholisches Pastoralprojekt passe da nicht so richtig ins Profil. Zumal der Dunkelkathole als solcher zu bestimmten Themen ja bekanntlich Positionen vertritt, die sich im linken Spektrum keiner allzu großen Akzeptanz erfreuen." Weitere Anregungen sammelten wir beim Sonne über Berlin Festival im Kulturzentrum Zukunft am Ostkreuz, und zum Abschluss des Artikels heißt es über die Aussichten für unser Projekt:
"Im Grunde brauchen wir fast nur noch eine Kirchengemeinde, die uns einen angemessen großen Raum (mit Küche) zur Verfügung stellt – vorläufig vielleicht einmal im Monat oder so –, und dann kann's losgehen."
(Festzuhalten ist, dass unsere Vorstellungen zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht in Richtung Gemeindeaufbau / Gemeindeerneuerung gingen: Die Pfarrei sollte lediglich einen Raum zur Verfügung stellen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, vielleicht wäre das Format "Dinner mit Gott" besser gelaufen, wenn wir diesen Ansatz beibehalten hätten. Aber wer weiß, vielleicht auch nicht.)

Gemessen an dem in diesem Artikel zum Ausdruck gebrachten Tatendrang passierte in den nächsten Monaten allerdings wenig – außer natürlich, dass meine Liebste und ich heirateten und uns um eine familiengründungstaugliche Wohnung bemühten. Das nächste zündende Ereignis war dann zweifellos die MEHR-Konferenz im Januar 2017. Bevor ich dorthin aufbrach, schrieb ich im Artikel "Zeit für MEHR!":
"Abgesehen davon, dass ich darauf hoffe, bei der MEHR 2017 meine [...] erst kürzlich entdeckte charismatische Ader zu stärken und mich vom Heiligen Geist in Brand setzen zu lassen (was ich sehr viel weniger ironisch meine, als es vielleicht klingt), freue ich mich besonders auf die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und Anregungen zu sammeln für mein noch im Ideenfindungsstadium befindliches Projekt zur Punk-Pastoral in Berlin." 
Weiterhin merkte ich an, es wäre womöglich "hilfreich, die Ideen, die ich dazu bereits habe, etwas systematischer auszuarbeiten – damit ich, wenn mich jemand fragt, was mir denn so vorschwebt, nicht ins Stottern gerate"; man könnte hier einwenden, so richtig sei mir das bis heute nicht gelungen, aber diesem Missstand abzuhelfen, ist ja schließlich ein wesentliches Anliegen dieses Dossiers. Von den Impulsen, die meine Liebste und ich von der MEHR 2017 mitbrachten – und die in der Hauptsache in dem Artikel "Zeit für einen geistlichen Klimawandel! (Teil 2") dargelegt sind – könnte man allerdings sagen, dass sie gerade nicht zu mehr Theoriefindung beitragen: Vielmehr findet sich in dem besagten Artikel die fettgedruckte Zwischenüberschrift "Nicht ewig herumtheoretisieren, sondern einfach mal anfangen". Tatsächlich finden sich unter dieser Zwischenüberschrift dann sehr wohl Aussagen dazu, was der "Grundgedanke" der Idee "Punk-Pastoral" sei, nämlich "Anlaufpunkte zu schaffen, um auf eine zwanglose Art Leute zu erreichen, die zwar auf der Suche nach Sinn und Orientierung sind [...], die aber von sich aus eher nicht auf die Idee kommen würden, dass sie die ausgerechnet im christlichen Glauben und konkret in der Katholischen Kirche finden können"; gefolgt von dem Einverständnis, abgesehen von ein "paar Ansätze[n] dazu, wie so etwas aussehen könnte", hätten wir "noch kein richtiges Konzept". Die Pointe ist, dass ich als eine wichtige Frucht der MEHR-Konferenz die Erkenntnis hervorhebe, dass das gar nicht unbedingt ein Mangel ist:
"Vorher war ich noch auf dem Standpunkt gewesen: 'Das muss alles noch zu Ende gedacht werden'. Jetzt sage ich: Nö, muss es GAR nicht! Lass uns einfach irgendwie anfangen, dann werden wir schon sehen, wohin sich das entwickelt."
Das ist nicht einfach Theoriefeindlichkeit oder Theoriefaulheit; tatsächlich möchte ich behaupten, es handelt sich um eine richtungsweisende Erkenntnis, die für das eigentlich Wesentliche an der Punkpastoral-Idee aussagekräftiger ist als die zuvor skizzierte "Grundidee", die man wohl besser als "Ausgangspunkt unserer Überlegungen" hätte bezeichnen sollen. "Einfach irgendwie anfangen und dann sehen, wohin sich das entwickelt", kann man – ob man es "Primat der Praxis" nennt oder "erst schießen, dann fragen" geradezu als eins der Prinzipien der Punkpastoral bezeichnen. Und jetzt wird es wohl Zeit, bei der Betrachtung der Punkpastoral-relevanten Blogartikel von einer chronologischen zu einer systematischen Vorgehensweise zu wechseln. 

Dabei gilt es zunächst ein Missverständnis auszuräumen, das mir immer mal wieder begegnet: Der Wortbestandteil "Punk" in "Punkpastoral" bezieht sich – jedenfalls vorrangig – nicht auf die Zielgruppe dieser Pastoral, sondern auf die Methode. Nicht "Pastoral für Punks" ist also damit gemeint, sondern "Pastoral nach Punk-Art". Nach dieser Klarstellung möchte ich meinen Versuch einer systematischen Übersicht darüber, was ich auf meinem Blog schon so alles zu diesem Thema geschrieben habe, in zwei Hauptabschnitte einteilen; den einen nenne ich "Warum gerade Punk?", den zweiten "Prinzipien der Punkpastoral oder Was würde ein Punk tun?"

Der grundlegende Text für den erstgenannten Abschnitt ist zweifellos der Artikel "Punk und Askese" aus dem Juni 2017. Im vierten Teil einer Artikelserie über Rod Drehers "Benedikt-Option" hatte ich einen Artikel zu diesem Thema angekündigt, und zwar mit dem Hinweis, in einem Kommentar zu einer früheren Folge jener Artikelserie habe ein Leser die Frage aufgeworfen, "wie sich Rod Drehers Thesen denn wohl mit dem von mir schon früher ins Gespräch gebrachten Schlagwort 'Punk-Pastoral' vertrügen": 

"Mein spontaner Impuls dazu lautete: Wieso, die Benedict Option IST doch im Grunde Punk-Pastoral! Aber ich sehe ein, dass das nicht unbedingt intuitiv ersichtlich ist. Gerade beim Thema 'Askese' nicht. Ich denke aber, gerade hierzu ließe sich eine Menge sagen; seit ich die betreffenden Passagen von Drehers Buch gelesen habe, brütet in meinem Hinterstübchen die Idee zu einem Artikel mit dem Arbeitstitel 'Punk und Askese' vor [s]ich hin, aber ich weiß noch nicht, wann der reif sein wird, niedergeschrieben zu werden. Ich könnte jetzt sagen, ich müsste darüber noch nachdenken, aber ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Ich muss vielmehr darauf warten, dass ich mal in der Stimmung bin, den Artikel 'runterzuschreiben, ohne dabei viel nachzudenken. Solche Artikel gelingen mir in der Regel am besten." 

Tja, und nur fünf Tage später war es soweit. Ich kann jedem, der verstehen möchte, was ich mit dem Schlagwort "Punkpastoral" meine, nur dringend empfehlen, den Artikel "Punk und Askese" zur Gänze zu lesen; aber ein paar bezeichnende – und provokante – Passagen seien hier dennoch zitiert: 

"Was ich – im positiv-wertschätzenden Sinne – unter 'Punk' verstehe, ist eine bestimmte Art von Verweigerungshaltung gegenüber bürgerlichen Vorstellungen von Solidität und Wohlanständigkeit. Das ist natürlich ein weites Feld; eine solche Verweigerungshaltung kann in der Praxis allerlei unterschiedliche Formen annehmen, die ich durchaus nicht durchweg sympathisch und lobenswert finde. Einen gewissen Sympathievorschuss haben Punks bei mir aber doch." 

"Man kann sagen: Punk bedeutet, ein Konzept von Freiheit zu leben, für das man auf viele Annehmlichkeiten verzichtet. In gewissem Sinne ist es ein asketischer Lebensstil."

"Was Stichworte wie 'intensives Gemeinschaftsleben unter Gleichgesinnten', 'freiwillige Armut' und 'Gastfreundschaft' angeht, hat so eine Punk-WG durchaus etwas 'Benediktinisches' im Sinne der Benedict Option an sich. Bei allen Unterschieden, die es selbstverständlich auch gibt." 

Der chronologisch nächste Artikel auf meinem Blog, der einen wesentlichen Beitrag zu den konzeptionellem Grundlagen der Punkpastoral liefert, erschien ein paar Wochen nach "Punk und Askese", heißt "Punk-Pastoral anno 1935" und enthält als Kernstück eine "rasch zusammengeschusterte, leicht gekürzte Arbeitsübersetzung" eines Artikels von Dorothy Day mit dem Titel "Security" , der im Sommer 1935 in der Zeitschrift Catholic Worker erschien und von dem ich anmerkte, ich fände ihn "unglaublich aktuell". Im Kern erteilt Dorothy Day darin jungen Leuten den Rat, statt zu versuchen, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen, sollten sie lieber radikal Jesus nachfolgen

Erwähnen sollte ich wohl auch, dass es über die Geschichte der Punk-Subkultur von 1976-86 ein Buch mit dem vielversprechenden Titel "Die heiligen Narren" gibt, das ich eigentlich mal lesen wollte und mir auch tatsächlich mal per Fernleihe besorgt hatte, dann aber doch nicht dazu kam, darin mehr als nur ein bisschen kreuz und quer zu lesen, ehe ich es wieder abgeben musste. Was bei mir allerdings hängen geblieben ist, ist der Umstand, dass der Autor Thomas Lau darin allen Ernstes Parallelen zwischen der Punk-Bewegung und den im 13. Jahrhundert entstandenen christlichen Bettelorden zieht und in diesem Zusammenhang auch im Archiv eines Franziskanerklosters recherchiert hat. Irgendwann werde ich das Buch doch noch lesen müssen. In der Zwischenzeit kann ich auf G.K. Chestertons Biographie über Franz von Assisi verweisen, die ich in Etappe 3 meiner unvollendeten "100-Bücher-Challenge" rezensiert habe. Über das revolutionär Neue der Bettelorden gegenüber den klösterlichen Orden fand ich bei Chesterton u.a. die folgende spannende Passage: 

"Den alten Gemeinschaften [...] haftete die Beschränktheit eines gewöhnlichen Haushalts an. Wie einfach sie auch lebten, benötigten sie doch eine gewisse Zahl von Zellen oder wenigstens Betten, in jedem Fall jedoch einen gewissen Raum für die jeweilige Anzahl von Mitbrüdern. Die Zahl der Mönche hing deshalb ab vom Landbesitz und vom Baumaterial. Franziskaner konnte man hingegen durch das bloße Versprechen werden, mit Glück am Wegesrand Beeren zu finden oder eine Brotrinde aus einer Küche zu erbetteln, unter einer Hecke zu schlafen oder geduldig an einer Türschwelle zu sitzen." 

Auch noch zu erwähnen wäre hier der Artikel "Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie diese Hausbesetzer" aus dem Oktober 2020, der unter denjenigen meiner Blogartikel, in denen meine Sympathie für die Punk-Subkultur zum Ausdruck kommt, ziemlich sicher der kontroverseste ist. Veranlasst wurde dieser Artikel durch die Räumung des besetzten Hauses Liebig34 in Berlin-Friedrichshain, oder genauer gesagt durch meine Verärgerung über manche hämischen Reaktionen aus dem konservativen Spektrum auf diese Räumung. Der Artikel gipfelte in der provokanten These, 

"dass die Hausbesetzer konsequenter für das eintreten, woran sie glauben, und mehr Opfer dafür bringen, als 'wir' das in aller Regel tun. Und das halte ich für einen Umstand, den 'wir' mit Demut betrachten sollten." 

Okay: So viel erst mal grundsätzlich zu der Frage, was es mit dem Wortbestandteil "Punk" in "Punkpastoral" auf sich hat. Viel spannender und auch wichtiger ist aber doch der zweite der oben angekündigten Hauptabschnitte, den ich "Prinzipien der Punkpastoral oder Was würde ein Punk tun?" genannt habe. Die Aussage, man könne von der Punk-Subkultur viel für das Laienapostolat lernen, zieht schließlich einigermaßen zwingend die Frage nach sich: "Was denn, und wie könnte/sollte das in der Praxis aussehen?". Damit dieser Artikel aber nicht übermäßig lang wird, widme ich dieser Frage lieber einen Extra-Artikel. 


(Teil 2 erscheint in Kürze auf Patreon – und in rd. einer Woche dann auch hier!) 


Dienstag, 10. Dezember 2024

Der Himmel über Berlin

Wie neulich schon mal erwähnt, war ich ein paar Tage vor der feierlichen Wiedereröffnung der Berliner St.-Hedwigs-Kathedrale bei einem Pressetermin in dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz fertiggestellten Gotteshaus, zusammen mit meinem kleinen Sohn; und bei dieser Gelegenheit traf ich den Journalisten und Buchautor Stefan Meetschen, der bis Ende letzten Jahres Feuilletonredakteur bei der Tagespost gewesen war. Man kann wohl sagen, dass er in dieser Funktion so etwas wie mein Mentor war, soweit es meine Arbeit für die Tagespost betraf; leibhaftig begegnet waren wir uns aber bisher nie. Nun fragte er mich, ob ich im Vorfeld eigentlich zu den Befürwortern oder zu den Gegnern der Neugestaltung der Berliner Kathedrale gehört hätte. Ich erwiderte, diese Frage lasse sich gar nicht so eindeutig in die eine oder die andere Richtung beantworten; mir blieb jedoch keine Zeit und Gelegenheit, dies genauer auszuführen, daher möchte ich das jetzt auf diesem Wege nachholen. Ich werde mich aber – für meine Verhältnisse – einigermaßen kurz fassen, denn ein nicht unwesentlicher Bestandteil der Antwort lautet, dass ich in dieser Frage erheblich leidenschaftsloser bin als viele andere auf beiden Seiten der Debatte. 

Symbolbild: Verpackte Hedwig (in der Krypta) 

Fangen wir mal an mit dem Brief des Erzbischofs, der uns an Allerheiligen ins Haus flatterte. Darin heißt es an zentraler Stelle über das Raumkonzept dee neugestalteten Kathedrale: 

"Die leuchtend weiße Kuppel lenkt den Blick nach oben. Sie ist wie der Himmel, groß und weit, aber auch uns beschützend. Verstärkt wird der Eindruck der Weite durch die hohen Fenster der Kathedrale. Sie zeigen den Berliner Sternenhimmel in der Konstellation zur Zeit der Geburt Christi. Die Kuppel wiederum korrespondiert mit dem Altar in Form einer großen Halbkugel in der Mitte der Kathedrale. Für mich wird so in der Oberkirche ein Raum gestaltet, in dem sich gleichsam Himmel und Erde berühren. Seine Botschaft ist: Wir alle und unser Leben sind von Gottes schützender Sorge und Liebe umgeben." 

Klingt gut, oder? Das Problem ist, es klingt besser als es aussieht. Damit will ich sagen: Ich zumindest tue mich schwer damit, in diesem weitgehend nackten Kirchenraum das zu sehen, was Erzbischof Koch darin sieht. Vielleicht kann man das zum Teil darauf schieben, dass ich das Innere der Kathedrale bisher nur in einem noch unfertigen Zustand gesehen habe; trotzdem muss ich sagen, gerade im Vergleich zu der genialen Raumkonzeption des Nachkriegsarchitekten Hans Schwippert, die dieser Neugestaltung zum Opfer gefallen ist, finde ich diesen ostentativ leeren, klinisch weißen Raum doch arg nichtssagend. 

Zum Stichwort "geniale Raumkonzeption" muss ich indes ehrlicherweise einräumen, dass ich das Innere von St. Hedwig, wie es sich vor dem Umbau präsentierte, auf den ersten Blick ausgesprochen hässlich fand, und ich weiß, dass das Vielen so ging – auch solchen, die jetzt die Neugestaltung in ausgesprochen scharfen Worten kritisieren. Aber abgesehen davon, dass ich seither erheblich hässlichere Kirchen gesehen habe – etwa die Gedenkkirche Maria Regina Martyrum, bei der die Hässlichkeit allerdings volle Absicht ist, oder die Leipziger Propsteikirche, bei der man sich in diesem Punkt nicht ganz sicher sein kann –, hat mir jedoch ein Vortrag zur Baugeschichte von St. Hedwig, den ich im Sommer 2015 besuchte und über den ich seinerzeit einen ausführlichen Bericht verfasste, der als Gastbeitrag bei kath.net erschien, eine neue Perspektive auf diesen Raum eröffnet. Seither war ich ein Fan des Schwippertschen Konzepts, auch wenn es nie ganz so verwirklicht worden war wie vom Architekten eigentlich vorgesehen, und auch wenn es in Hinblick auf die liturgische Funktion des Raumes einige Schwierigkeiten mit sich brachte. Ich denke, es ist nicht übetrieben, Schwipperts Innenraumgestaltung der St.-Hedwigs-Kathedrale als ein bedeutendes Werk der Nachkriegs-Sakralarchitektur zu bezeichnen, und unsoweit kann ich jenen, die den Umbau der Kathedrale als "Denkmalzerstörung" beklagen, nicht direkt widersprechen. 

Damit ist aber natürlich noch nicht alles zu diesem Thema gesagt. Ein weiteres Erlebnis, das meine Haltung zu dieser ganzen Angelegenheit beeinflusste, war eine von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ausgerichtete Podiumsdiskussion unter dem Titel "Die St. Hedwigs-Kathedrale Berlin  –Denkmalpflege und Umbau" Ende Juni 2017, die ich besuchte, um darüber für die Tagespost zu berichten. Die Veranstaltung war dominiert von Umbaukritikern bzw. -gegnern, ein Vertreter des Erzbistums Berlin war nicht auf dem Podium vertreten, allerdings saß der Pressesprecher des Erzbistums, Stefan Förner, im Publikum und brachte sich von dort aus engagiert, ja kämpferisch in die Debatte ein. Insgesamt war der Eindruck, den diese Veranstaltung bei mir hinterließ, zwiespältig. Auf der einen Seite fand ich die Vorstellung, das ganze Umbauvorhaben könne am Urheberrecht der an der Nachkriegsgestaltung der Kathedrale beteiligten Künstler bzw. deren Erben scheitern, irgendwie durchaus reizvoll; gleichzeitig nahm ich als gläubiger Katholik aber erheblichen Anstoß daran, wie die Frage des Umbaus der Kathedrale hier ausschließlich unter dem Aspekt der Denkmalpflege betrachtet wurde, bis hin dazu, der Kirche geradezu das Recht abzusprechen, nach eigenem Gutdünken über ihre Gebäude zu verfügen. Besonders bizarr fand ich ein paar zerknitterte alte Herren von der Initiative "Freunde der Hedwigskathedrale", die finster blickend und mit auf Pappschilder geklebten Fotocollagen in den Händen im Foyer herumstanden wie Weltuntergangspropheten in der Fußgängerzone. Denselben Eindruck macht übrigens auch die Website dieser Gruppierung. In einem der folgenden Jahre – ich denke, es wird 2018 gewesen sein – sah ich einige der alten Herren am Rande der zentralen Berliner Fronleichnamsprozrssion, wo sie mit ihren Pappschildern eine Art Mahnwache oder Gegendemo anhielten. Spätestens da war ich überzeugt, dass diesen Leuten die Prioritäten ziemlich durcheinandergeraten sein müssen. 

Dasselbe denke ich bei zahlreichen Stellungnahmen zur nun der Öffentlichkeit vorgestellten Neugestaltung des Kathedralen-Innenraums, die sich in den katholischen Winkeln der Sozialen Medien finden. Als eine "grässliche Zumutung" wird das neue Erscheinungsbild von St. Hedwig da bezeichnet, als "architektonisches Zeugnis modernistischer Dekadenz, Leere und Glaubenslosigkeit"; der Raum erinnere eher an "ein Versammlungslokal der Freimauer" oder gar eine "Flughafenwartehalle im Apple-Design". 

Angesichts solcher Reaktionen muss ich mal fragen: Geht's nicht auch eine Nummer kleiner? – Selbstverständlich ist es völlig legitim, zu sagen "Mir gefällt das nicht". Man kann auch – mehr oder weniger überzeugend begründet – der Auffassung sein, dies sei nicht bloß eine Frage des persönlichen Geschmacks: Wenn jemand objektive Kriterien für die Beurteilung der Innenraumgestaltung einer katholischen Kirche, erst recht einer Kathedrale, benennen kann und die Neugestaltung von St. Hedwig anhand dieser Kriterien kritisiert, ist das zweifellos diskussionswürdig. Hier jedoch rundheraus von Sakrileg und Blasphemie zu sprechen, zu deklarieren, diese Raumgestaltung offenbare einen Glaubensabfall, und zu verkünden, jeder echte Katholik müsse sich mit Grausen davon abwenden – was ja darauf hinausliefe, jedem, der das nicht tut, bis hin zu Kardinal Woelki, das Katholischsein abzusprechen –, geht mir dann doch entschieden zu weit. 

Da ich übrigens gerade Kardinal Woelki erwähnte: Manch einer wird sich noch erinnern, dass er es war, der in seiner kurzen Amtszeit als Erzbischof von Berlin den Anstoß dazu gab, die ohnehin notwendige Sanierung von St. Hedwig mit einer umfassenden Neugestaltung des Innenraums zu verbinden – dem Vernehmen nach hauptsächlich deshalb, weil die Öffnung zwischen Ober- und Unterkirche, wenig wertschätzend "das Loch" genannt, ihn störte. Wenn sich nun Bischof Bätzing lobend über das Ergebnis äußert, Kardinal Woelki aber auch, dann zeigt das im Grunde schon, dass der Umbau von St. Hedwig sich nicht dazu eignet, in den derzeitigen innerkirchlichen Auseinandersetzungen für eine Seite vereinnahmt zu werden. Auch wenn das natürlich trotzdem versucht wird. Bei dem einleitend angesprochenen Pressetermin stellte einer der anwesenden Journalisten die als Frage formulierte These in den Raum, in ihrer neuen Gestalt sei St. Hedwig "eine Franziskus-Kathedrale", deren Raumkonzept "Synodalität" ausdrücke – woraufhin der Pressesprecher des Erzbistums einen kleinen Lachanfall bekam. Erzbischof Koch stellte klar, es könne keine Rede davon sein, dass etwa dadurch, dass es keine erhöhte oder sonstwie abgegrenzte Altarinsel gebe, die Rolle des Priesters in der Messfeier "relativiert" werde; im Gegenteil sei ja die gesamte Raumanordnung auf den Altar als Zentrum ausgerichtet und damit auch auf den Zelebranten, "der in persona Christi agiert". 

Bemerkenswert fand ich auch und nicht zuletzt eine Äußerung des Architekten Peter Sichau, die ich dahingehend verstand, ein Anliegen der von ihm (mit-)verantworteren Innenraumgestaltung sei es, "den Raum zum Sprechen zu bringen": Die Bauform der Kathedrale als Kuppelbau mit runder Grundfläche sei letztlich das entscheidende und prägende Merkmal von St. Hedwig, wohingegen die Innenraumgestaltung in 60 Jahren schon wieder ganz anders aussehen könne. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass es der aufgeklärte Preußenkönig Friedrich II. war, der darauf bestand, dass das katholische Gotteshaus im Herzen seiner Hauptstadt baulich dem römischen Pantheon nachempfunden sein solle; angeblich verband er damit den Hintergedanken, wenn sich das Katholikenproblem irgendwann erledigt haben würde, könnte man den Bau noch sls Tempel für eine deistisch-pantheistische Aufklärungsreligion weiterverwenden. Einige der oben zitierten Social-Media-Nutzer werden vermutlich der Meinung sein, mit der Neugestaltung der Kathedrale sei diese Vision des alten Fritz ihrer Verwirklichung einen großen Schritt näher gekommen; aber auch sie werden kaum leugnen können, dass die Bauform der Kathedrale schon immer in einem gewissen Spannungsverhältnis zu ihrer Nutzung als katholischer Gottesdienstort gestanden hat. Insofern wäre es aus Sicht von Anhängern einer traditionellen katholischen Sakral-Ästhetik vielleicht die beste Lösung gewesen, die Kirche St. Joseph im Stadtteil Wedding, die für die Dauer der Umbauarbeiten in St. Hedwig als temporäre Ersatzkathedrale fungiert hat, hätte diese Funktion dauerhaft übernommen: Diese 1907-09 erbaute Kirche hat die Form einer dreischiffigen romanischen Basilika und ist im Inneren im Stil der Beuroner Kunstschule gestaltet. Einziges Manko ist, dass sie in einer nicht sehr vorzeigbaren Nachbarschaft steht. 

Übrigens meine ich mich zu erinnern, in der ersten Flut der Reaktionen auf die Wiedereröffnung der neugestalteten St.-Hedwigs-Kathedrale irgendwo gelesen zu haben, der Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO), Christian Stäblein, habe geäußert, die Berliner Katholiken würden für die nächsten paar Jahrzehnte "mit dieser Kathedrale leben müssen", habe später aber keinen Beleg mehr für diese Äußerung (wieder)finden können. Dieselbe Formulierung findet sich auch in der Überschrift eines übrigens sehr lesenswerten Blogartikels von Peter Winnemöller. Wer auch immer diese Formulierung nun aufgebracht haben mag, sie korrespondiert auffällig mit der Bemerkung des Architekten, in 60 Jahren könne das Innere der Kathedrale schon wieder ganz anders aussehen. Aber müssen wir eigentlich wirklich "damit leben"? Immerhin besteht auch die Möglichkeit, einfach nicht hinzugehen. Die Zeiten, in denen St. Hedwig die einzige katholische Kirche in Berlin war, sind ja nun schon seit rund 170 Jahren vorbei. Im Übrigen würde ich denken, die katholische Christenheit in Deutschland, wir auch insgesamt in der westlichen Welt, habe ganz andere Baustellen (pun intended), als dass sie sonderlich viel Energie darauf verwenden sollte, sich über ein paar weiße Wände und einen ebenerdig aufgestellten Altar zu streiten. 



Samstag, 7. Dezember 2024

Die 3 K der Woche (2): Kinder, Kirche, (K)lebensrecht

Gesegneten 2. Advent, Leser! Es gibt wieder viel zu berichten – so viel, dass ich mich erneut zu einem "vorzeitigen Redaktionsschluss" veranlasst gesehen habe; konkret bedeutet das, dass ich die Ereignisse des gestrigen Freitags – einschließlich meines Auftritts als Nikolaus in Siemensstadt – erst im nächsten Wochenbriefing schildern werde. 

In der vorliegenden Ausgabe geht es in den Themenbereichen Kinder und Kirche u.a. um ein weihnachtliches Kindermusical in der Gemeinde auf dem Weg, einen von mir praktisch im Alleingang konzipierten und gestalteten Kinderwortgottesdienst über den Propheten Jeremia sowie den Besuch beim JAM am Mittwochnachmittag; beim wöchentlich wechselnden dritten K in der Überschrift habe ich, wie man sieht, ein bisschen gemogelt, aber wirklich nur ein bisschen: Tatsächlich geht es im Abschnitt mit der Überschrift "Kinder sind von Natur aus 'pro life'" auch, wenn auch nur am Rande, um das Recht, im öffentlichen Raum Plakate zu kleben. Nun aber genug der Vorrede! 

Tegel bei Nacht (Abb. ähnlich)

Der Himmel kommt zu uns: Advents-Auftakt in der Gemeinde auf dem Weg 

Das chronologisch erste Ereignis, das es im Rahmen dieses Wochenbriefings zu schildern gilt, ist die Adventsfeier auf dem "Rumpelberg", wie mein Jüngster diese Anhöhe am Waidmannsluster Damm zu nennen pflegt – mit anderen Worten also bei der charismatisch-freikirchlichen Gemeinde auf dem Weg – am vergangenen Samstag. Um 11:40 Uhr, zehn Minuten nach Beginn der Einlasszeit, trafen wir dort ein; um 12 Uhr sollte das Programm laut Ankündigung mit einer "Kindertheater"-Aufführung beginnen, und ich muss sagen, ich hätte mir darunter etwas sehr viel Schlichteres und Amateurhafteres vorgestellt als das, was wir dann tatsächlich zu sehen bekamen: Es handelte sich um ein Musical, das die Weihnachtsgeschichte originellerweise aus der Perspektive des alten Simeon (vgl. Lukas 2,22-35) schildert, und insgesamt wirkten rund 40 Kinder daran mit – im Chor, als Gesangssolistinnen, Tänzerinnen und natürlich Schauspieler. Die Musik war flott und die Dialoge zum Teil ziemlich witzig; vor Beginn der Vorstellung hatte eine Ansagerin verraten, dass für diese Aufführung drei Monate lang geprobt worden sei. Gegenüber dem Krippenspiel in St. Stephanus Haselhorst, an dem wir beteiligt sind, ist das natürlich eine ganz andere Liga, ja fast schon eine andere Sportart; abgesehen davon, dass eine Gemeinde wie St. Joseph/St. Stephanus offenkundig weder die personellen noch die technischen oder die räumlichen Ressourcen hat, um so eine Produktion auf die Beine zu stellen (dazu wird es weiter unten noch etwas anzumerken geben), gibt es auch hinsichtlich der angestrebten Zielgruppe erhebliche Unterschiede: Bei dem Musical in der Gemeinde auf dem Weg waren nicht nur die Mitwirkenden Kinder; Kinder, oder jedenfalls Familien mit Kindern, waren auch das vorrangige Publikum. Das ist beim Krippenspiel in St. Stephanus nicht im selben Maße der Fall: Dieses soll explizit eine Veranstaltung für die ganze Gemeinde sein, wobei nicht zuletzt auch an die Bewohner des benachbarten Seniorenheims gedacht ist. Das sind natürlich nachvollziehbare Gründe dafür, dass das Krippenspiel einer recht konventionellen Dramaturgie folgt und dass zwischen den einzelnen Szenen traditionelle Weihnachtslieder gesungen werden, die auch im Gotteslob stehen. Trotzdem: Nachdem ich bereits angeboten habe, mich in meiner Eigenschaft als studierter Theaterwissenschaftler im nächsten Jahr auch konzeptionell stärker beim Krippenspiel zu beteiligen, mache ich mir schon so meine Gedanken darüber, ob man da nicht irgendwo einen Mittelweg finden könnte. 

So eine Bühne hat natürlich nicht jeder.

Szenenbild mit aus Datenschutzgründen anonymisiertem Taubenhändler

Erwähnen sollte ich wohl noch, dass der Saal, grob überschlagen, um die 500 Sitzplätze hatte; diese waren zwar nicht ganz bis auf den letzten Platz besetzt, aber doch fast. – Nach dem Ende der Aufführung wurde im weiträumigen Foyer des Gemeindezentrums ein Advents-Flohmarkt eröffnet, außerdem gab es Bastelangebote für die Kinder und Hotdogs für 2 Euro. Beim Flohmarkt kauften wir Weihnachtsgeschenke für die Kinder, aber auch – damit ihnen die Wartezeit bis Heiligabend nicht zu lang wird – ein paar kleine Geschenke "für sofort", und außerdem erwarb ich drei CDs mit Lobpreismusik für Kinder, als Grundstock für das Projekt "Kinder-Lobpreis-Disco" sozusagen. 

Wir trafen auch allerlei Bekannte – vor allem, was wohl nicht sehr überraschend ist, aus der freitags stattfindenden Eltern-Kind-Gruppe, zu der ich recht regelmäßig mit dem Jüngsten gehe, aber durchaus auch aus unserem katholischen Bekanntenkreis: eine Familie, die ich beim Väterwochenende in Zinnowitz im Frühjahr kennengelernt hatte, eine Familie aus der Gemeinde von St. Joseph Siemensstadt (darunter übrigens das Mädchen, das bei "unserem" Krippenspiel die Maria spielen soll) und eine aus der Gemeinde von Herz Jesu Tegel. Mir scheint das sagt schon einiges darüber aus, in was für einem Umkreis, und auch über Konfessionsgrenzen hinaus, die Veranstaltungen der Gemeinde auf dem Weg ihr Publikum finden. – Insgesamt erscheint es allemal bezeichnend, dass eine freikirchliche Gemeinde, die von Spenden lebt, so etwas auf die Beine stellt, während in den kirchensteuerfinanzierten Großkirchen viele Gemeinden im Winter zusätzliche Türkollekten abhalten müssen, um ihre Heizkosten decken zu können. Ich lasse den Gedanken hier einfach mal so im Raum stehen. 


Kinderfreuden im Baumhaus 

Nach der Adventsfeier in der Gemeinde auf dem Weg gingen wir mit den Kindern noch über den kleinen Weihnachtsmarkt in der Gorkistraße, und dann meinte meine Liebste, wenn unser Jüngster, der seit drei Tagen keinen Mittagsschlaf bekommen hatte, nicht am Nachmittag ein bisschen Schlaf bekäme, würde er am Abend allzu launisch und quengelig sein, als dass man mit ihm zur Community Networking Night im Baumhaus gehen könnte. Also schob ich ihn im Kinderwagen spazieren, bis er einschlief (was ziemlich bald der Fall war); ich sah zu, wie im der Kirche Herz Jesu der Adventskranz aufgehängt wurde, warf einen Blick in die Hallen am Borsigturm, wo es allerdings sehr voll und laut war, und als der Jüngste sein Nachmittagsschläfchen beendet hatte, trafen wir die andere Hälfte der Familie wieder und fuhren zusammen zum Baumhauswo wir zuletzt Ende Juni gewesen waren. Bei unseren letzten beiden Besuchen waren die Kinder zudem so überdreht gewesen, dass wir direkt nach dem Essen aufgebrochen waren, um sie ins Bett zu bringen; bei der eigentlich immer sehr interessanten "News You Can Use"-Runde nach dem Essen waren wir folglich zuletzt Ende Februar gewesen. Aber dazu später. Zunächst sei erwähnt, dass unsere Kinder zwar das Baumhaus toll finden und eigentlich immer gern dort hingehen, bisher aber meist die einzigen Kinder beim Community Dinner gewesen waren. Was den letzteren Punkt angeht, scheint sich in jüngster Zeit eine Veränderung abzuzeichnen: Bei unserem vorletzten Besuch Ende Mai war ein neunjähriger Junge zugegen gewesen, und diesmal begegneten wir gleich beim Betreten der Location einem siebenjährigen Mädchen, das sich recht schnell mit unserem Tochterkind anfreundete. Etwas später kam noch ein weiteres siebenjähriges Mädchen dazu, das mit dem erstgenannten offenbar schon länger befreundet ist (die beiden übernachteten nach der Veranstaltung auch zusammen), aber das wirkte sich nicht etwa, wie man ja hätte denken können, zum Nachteil unserer Tochter aus: Tatsächlich verstanden sich alle drei Mädchen prima und erkundeten gemeinsam das Obergeschoss des Baumhauses; auch zum Essen zogen sie sich dorthin zurück. Als sie mit Streichhölzern, die sie auf dem Klo gefunden hatten, oben Kerzen anzünden wollten, erhob ich aber doch Einspruch, und unsere Große händigte die Streichhölzer brav an Baumhaus-Co-Leiterin Karen aus. 

Das Essen war wieder mal hervorragend – ich schätze, ein Blick aufs Büffet sagt da mehr als viele Worte: 


Zur "News You Can Use"-Runde muss ich indes anmerken, dass sie – auch wenn mir natürlich bewusst ist, dass dieses Format wesentlich davon lebt, dass da in einer wertungsfreien Atmosphäre alle möglichen Leute mit allen möglichen Anliegen zu Wort kommen – diesmal meine Toleranz arg strapazierte. Das ging los mit einer Frau, die für einen Workshop zum Thema "Bauen mit Superadobe" warb; inhaltlich fand ich das, was sie dazu sagte, durchaus interessant, aber ihre affektierte Art zu sprechen (und dabei wiederholt ohne erkennbaren Anlass theatralisch zu lachen) machte mir die Dame äußerst unsympathisch. Als nächstes pries eine andere Frau ein "psycho-mystisches Ritual" an, das dazu dienen solle, das Nervensystem von den Folgeschäden traumatischer Erfahrungen ("und die haben wir alle") zu reinigen, und zwar innerhalb von drei Tagen. Für mich klang das stark nach Schamanismus unter dem Deckmantel eines naturwissenschaftlich-medizinischen Vokabulars – was mich dazu veranlasste, darüber zu sinnieren, in was für komischen Zeiten wir leben. Wie stark das naturwissenschaftliche Paradigma ist, dass die Leute sich alles Mögliche, solange es nur mit dem Anschein von "Wissenschaftlichkeit" daherkommt, mit wohlwollendem Interesse anhören, während sie gegenüber allem offenkundig Religiösen sofort "dicht machen". Wobei letzteres vielleicht auf einen Versuch ankäme: Man könnt' ja bei einer zukünftigen "News You Can Use"-Runde mal, beispielsweise, das Konzept "Lobpreis mit dem Stundenbuch" vorstellen und gucken, wie die Leute darauf reagieren. – Schließlich meldete sich noch eine Frau zu Wort, die erklärte, sie suche ein homosexuelles Paar, das interessiert wäre, mit ihr zusammen ein Kind zu bekommen. Wenn ich sie richtig verstand, meinte sie damit, dass sie das Kind austragen wollte – und zwar um der Erfahrung willen. Gleichzeitig wollte sie einerseits Single bleiben, aber andererseits keine alleinerziehende Mutter sein, und so war sie offenbar auf die Idee eines Co-Parenting-Modells mit einem homosexuellen Paar gekommen. Ich hatte den Eindruck, dass dieses Ansinnen in dieser Runde allgemein mit Sympathie aufgenommen wurde – und dass es wohl gar nicht so einfach gewesen wäre, den Anwesenden begreiflich zu machen, dass man das nicht für eine gute Idee hält. Dabei kann ich mich noch gut an Zeiten erinnern, zu denen das common sense gewesen wäre. (War es nicht, of all people, Richard Dawkins, der mal sagte, es sei zwar gut, "open-minded" zu sein, "aber nicht so sehr, dass einem das Gehirn rausfällt"?) – Später sah ich, dass sich die Psychomystik-Frau und die Frau mit dem Kinderwunsch im Gang zu den Toiletten angeregt miteinander unterhielten, und war nicht direkt überrascht. 

Wie dem auch sei: Unsere Tochter bat uns, mit den Müttern ihrer beiden neuen Freundinnen Telefonnummern auszutauschen, also taten wir das und unterhielten uns bei dieser Gelegenheit recht nett mit den besagten Müttern. Mal sehen, wir sich das weiter entwickelt; die nächste Community Networking Night im Baumhaus ist jedenfalls erst Ende Januar... 


Schwarzer Gürtel in KiWoGo 

Ich hatte es bereits angekündigt: Am 1. Adventssonntag stand in St. Joseph Siemensstadt ein Kinderwortgottesdienst an, und da der Gemeindereferent an diesem Wochenende nicht da war, blieb die Gestaltung gänzlich den beiden anderen ständigen Teammitgliedern überlassen, von denen eines bekanntlich ich bin. Leider fanden wir in der ganzen dem KiWoGo vorangehenden Woche keinen für uns beide praktikablen Termin für ein Vorbereitungstreffen, sondern kommunizierten ausschließlich per E-Mail miteinander. 

Vor eine besondere Herausforderung bei der Planung dieses KiWoGo stellte es uns, dass das Evangelium dieses Sonntags – Lukas 21,25-28.34-36 – erhebliche Ähnlichkeit mit dem Evangelium von vor zwei Wochen (Markus 13,24-32) hatte, zu dem wir gerade erst einen KiWoGo gestaltet hatten. Dazu nun noch einmal einen anderen Blickwinkel zu finden, schien mir eher wenig aussichtsreich. Als ein möglicher Ausweg stand die Option im Raum, "einfach etwas zum Thema Advent" zu machen, ohne dabei besonders auf den Text des Evangeliums einzugehen; beim letzten Teamtreffen hatte der Gemeindereferent dazu einen Vorschlag unterbreitet, den er uns nun noch einmal etwas detaillierter per Mail mitteilte. Es handelte sich um die Geschichte "vom kleinen Herz, das Hohen Besuch bekommt": Der Hohe Besuch ist natürlich Jesus, und in der Geschichte geht es darum, dass das Herz nach und nach vom Weihnachtsrummel, den Festvorbereitungen und natürlich den Geschenken eingenommen wird, dass es zuletzt für Jesus fast keinen Platz mehr hat. Trotz einer gewissen moralisierenden Tendenz, die ich normalerweise zu vermeiden bestrebt bin, fand ich diese Geschichte im Grunde gut, zumal sie sehr schön visualisierbar ist: ein aus rotem Tonkarton ausgeschnittenes Herz auf den Boden legen, nach und nach Gegenstände darauf legen, die symbolisch für all die Dinge stehen, die im Herzen ihren Platz beanspruchen... Einen Einwand hatte ich jedoch gegen diesen Vorschlag, nämlich, dass er für mein Empfinden nicht so recht zum Format Kinderwortgottesdienstes passt. Hätten wir uns, wie bei den letzten beiden Teamtreffen diskutiert worden war, dafür entschieden, an einem Nachmittag eine Adventsfeier mit Keksebacken und Liedersingen anzubieten, hätte ich gesagt, das wäre der richtige Rahmen dafür; aber für einen Kinderwortgottesdienst fehlte mir da einfach der Bezug zu den Lesungstexten des Tages. 

Mein Gegenvorschlag lautete daher, die 1. Lesung – Jeremia 33,14-16 – zum Anlass zu nehmen, "etwas zum Propheten Jeremia zu machen". Was ich mir darunter vorstellte: Mit den Kindern darüber sprechen, was eigentlich ein Prophet ist; die Berufungsgeschichte des Jeremia erzählen; das Wirken des Jeremia in den Kontext der Geschichte des Gottesvolkes einordnen; die 1. Lesung des Sonntags im Kontext des Jeremiabuches betrachten. Ich leugne nicht, dass diese Idee durch Beobachtungen inspiriert war, die ich in der EFG The Rock Christuskirche, sowohl sonntags in der "Kinderkirche" als auch mittwochs beim JAM, gemacht hatte; konkret meine ich damit die Beobachtung, dass bei unseren evangelikalen Freunden sehr viel mehr Wert darauf gelegt wird, den Kindern Grundkenntnisse in biblischer Geschichte zu vermitteln, als das "bei uns" der Fall zu sein pflegt. Manchmal hatte ich sogar schon den Eindruck, das Vermitteln von Bibelkenntnissen an die Kinder werde dort so sehr als ein "Wert an sich" betrachtet, dass die Frage nach der "Message" der jeweiligen katechetischen Einheit demgegenüber eher in den Hintergrund tritt; letzteres finde ich nun nicht unbedingt nachahmenswert, aber ein bisschen mehr Bibelkunde, fand ich, könnte man den Kindern ruhig mal angedeihen lassen. Auch meine Teamkollegin ließ sich davon überzeugen. 

An dieser Stelle muss nun ein Exkurs über die klägliche Ausstattung der öffentlichen Bibliotheken Berlins im Sachbereich "Religion" folgen. Zur Visualisierung des Jeremia-KiWoGo wollte ich neben den bewährten Playmobilfiguren eine Landkarte und eventuell einen (möglichst kindgerechten) Bildband zu biblischer Geschichte bzw. Archäologie verwenden und war zuversichtlich, in der Bibliothek etwas Geeignetes zu finden. Meine erste Anlaufstelle war natürlicherweise die Humboldt-Bibliothek in Tegel – und das Ergebnis war... ernüchternd, um's mal vorsichtig auszudrücken. Auch hier sagt wohl ein Bild mehr als viele Worte: 

Ja, das ist der gesamte Bücherbestand zum Themenbereich "Religion" in der Erwachsenen-Abteilung der Bibliothek. Ich sag mal: Da haben wir zu Hause mehr. Es ist aber nicht nur ein rein quantitatives Problem: In der Unterabteilung "Christentum" ist der Anteil "religionskritischer", häretischer und blasphemischer Werke sehr hoch, hinzu kommen verschwörungstheoretische Reißer zu kirchenpolitischen Themen. Kurz, wenn man sich dieses Büchersortiment ansieht, braucht man sich nicht zu wundern, dass selbst einigermaßen gebildete Leute hierzulande nichts von Religion(en) verstehen und dass das, was sie darüber zu wissen glauben, größtenteils falsch ist. – Im Sachbuchbereich der Kinder- und Jugenbuchabteilung gibt es auch noch ein Religions-Regal, das sieht so aus: 

Immerhin konnte ich mit Hilfe des elektronischen Verbundskatalogs herausfinden, wohin ich mich wenden musste, um zu finden, was ich suchte: Die Janusz-Korczak-Bibliothek in Pankow, untergebracht im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus, hatte "Herder's Neuen Bibelatlas" sowie, in der Kinderbuchabteilung, einen Bildband "Länder & Völker der Bibel". Der erstere erwies sich als für meine Zwecke nicht ganz so brauchbar, wie ich gehofft hatte, aber mit dem letzteren war ich ganz zufrieden. 

Ebenfalls ganz zufrieden war ich damit, dass ich den von mir ins Spiel gebrachten Konzeptentwurf für den KiWoGo im Wesentlichen allein weiter ausarbeiten konnte/musste/durfte. Da meine Teamkollegin zudem am Sonntag erst so ziemlich auf den letzten Drücker zur Messe erschien, kümmerte ich mich auch um den Aufbau allein. 

Hier ein Zwischenstand; von der endgültigen Version habe ich leider kein Foto gemacht.

Auch diesmal nahmen wieder rund 20 Kinder am KiWoGo teil, dazu – wenn man meine Teamkollegin und mich nicht mitzählt – drei Erwachsene. – Dazu, wie ich mir das Konzept für den Jeremia-KiWoGo grundsätzlich gedacht hatte, habe ich mich ja schon geäußert, daher zum Ablauf nur noch so viel: ich erzählte die Geschichte des Propheten Jeremia bis zu dem Punkt, an dem die Babylonier Jerusalem erobern und den Tempel zerstören; dann trug ich die 1. Lesung des Tages vor, gefolgt von einigen kurzen Erläuterungen; und dann erörterte ich gemeinsam mit den Kindern, wieso dieser Lesungstext wohl am 1. Advent vorgetragen wird, was er also thematisch mit dem Advent zu tun hat. Dann ließ ich ein thematisch passendes Lied laufen ("Fürst des Friedens" von Johannes Hartl & Friends), und danach war die für den KiWoGo zur Verfügung stehende Zeit auch so ziemlich rum, sodass ich gerade noch ein kurzes Abschlussgebet sprechen konnte, ehe es wieder rüber in die Kirche ging. – Von einer jungen Mutter, die mit einem Baby und einer vielleicht zweijährigen Tochter am KiWoGo teilgenommen hatte, bekam ich sehr positives Feedback – ausdrücklich auch dafür, dass in Sachen Bibelkenntnis "auch die Erwachsenen noch etwas dabei lernen konnten". Ähnlich äußerte sich auch meine Teamkollegin; und was tendenziell wohl noch ein bisschen wichtiger ist: Ich hatte auch den Eindruck, dass die Kinder aufmerksam bei der Sache waren und sich gut beteiligten. Insgesamt darf ich mit diesem Kinderwortgottesdienst also wohl ganz zufrieden sein... 


Ja is denn heut scho Weihnachten? 

Am Mittwoch ging ich mit dem Jüngsten nicht in Heiligensee zur Messe; die Vorgeschichte dieser Entscheidung hätte ich zu Creative Minority Report-Zeiten in der Rubrik "Was bisher geschah" geschildert, aber da ich diese Rubrik gerade versuchsweise abgeschafft habe, muss ich eben hier etwas weiter ausholen. Also: Am Montag wirkte der Jüngste den ganzen Tag untypisch müde und antriebslos; "Beten mit Musik" wollte er aber ausdrücklich, trotz der Tatsache, dass ich die Lautsprecherbox nicht dabei hatte – also gab es diesmal etwas leisere Musik. Am Abend, als wir beim "Omatag" waren, bekam der Knabe dann Fieber. Daraus zog ich die Konsequenz, am Dienstag so weitgehend wie möglich mit ihm zu Hause zu bleiben; die Große fuhr zusammen mit einer ihrer besten Freundinnen mit dem Bus zur Schule, sodass ich sie nur bis zur Bushaltestelle begleiten musste. Im Laufe des Dienstags verbesserte sich das Befinden des Jüngsten deutlich, allerdings fühlte ich mich selbst auch nicht so ganz fit; daher organisierten wir den Schulweg des Tochterkindes am Mittwoch erneut so wie am Dienstag, damit wir Jungs den Vormittag entspannt zu Hause verbringen konnten, und damit fiel der Messbesuch in Heiligensee für diese Woche eben weg. Ein nicht unwesentlicher Grund für mich, den Mittwoch erst mal möglichst ruhig angehen zu lassen, war es auch, dass meine Liebste an diesem Tag bzw. Abend ihre Kollegiums-Weihnachtsfeier hatte, was für mich bedeutete, dass ich ohne sie mit den Kindern zum JAM gehen und die Kinder auch ohne ihre Hilfe ins Bett bringen musste. Nicht zum JAM zu gehen, war, nachdem der Jüngste kein Fieber mehr hatte und insgesamt putzmunter wirkte und auch ich mich einigermaßen von meiner Unpässlichkeit erholt hatte, keine Option; auch die Schulfreundin unserer Großen, die vorige Woche das erste Mal dabei gewesen war, wollte wieder mit. Das nenne ich mal einen Evangelisierungserfolg... (mit und ohne Augenzwinkern gesagt. Auf den ernst gemeinten Teil dieser Aussage wird gelegentlich noch zurückzukommen sein.) 

Bei der Aufteilung der Kinder nach Altersgruppen ging ich diesmal, da meine Liebste ja nicht dabei war, mit dem Jüngsten zur Gruppe der Kinder bis 5 Jahre; dort las eine Mitarbeiterin den Kindern aus einer Kinderbibel die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland vor, was bei mir zunächst einmal die Frage aufkommen ließ, ob es dafür in der ersten Adventswoche nicht noch ein bisschen früh sei. Was mir dann aber doch recht gut gefiel, war, dass die Mitarbeiterin Weihrauch und Myrrhe mitgebracht hatte, um den Kindern den Geruch dieser Substanzen zu demonstrieren: Ein schönes erlebnispädagogisches Element, und dass mein Jüngster den Geruch von Weihrauch natürlich schon kennt, empfand ich da gar nicht als nachteilig – eher im Gegenteil, da es erlaubte, ihm eine assoziative Brücke zu bauen ("Erinnerst du dich, wenn bei uns in der Kirche bei besonderen Festen ein Messdiener so eine Metallkugel mit Löchern drin an einer langen Kette trägt, und aus den Löchern kommt Rauch...?") 

Unten bei den 6- bis 12jährigen Kindern wurde derweil ein Rollenspiel gespielt, das meine Große, als ich sie beim Essen danach befragte, als "ein halbes Krippenspiel" beschrieb. Bis zu den Weihnachtsferien ist allerdings noch zweimal JAM; da darf man gespannt sein, was da dann inhaltlich drankommt... 


Kinder sind von Natur aus "pro life" 

Schon am vorletzten Montag fiel den Kindern, als wir auf dem Weg zum "Omatag" am Bahnhof Bornholmer Straße umstiegen, ein großflächiges Plakat der Initiative ALfA ("Aktion Lebensrecht für alle") auf, auf dem Porträtfotos eines Säuglings, eines Kindes im Grundschulalter und eines alten Menschen um das Ultraschallbild eines ungeborenen Kindes herum gruppiert waren. Die unschwer zu erkennende Aussageabsicht war, dass Menschen in allen diesen Entwicklungsstadien dieselbe Menschenwürde und dasselbe Lebensrecht haben. Als wir am vorigen Montag wieder an demselben Bahnsteig umstiegen, sah das Plakat so aus: 

Das warf natürlich Fragen auf, besonders bei unserer Großen. Als meine Liebste ihr erklärte, die kleinen grün-weißen Plakate seien von Leuten geklebt worden, die wollen, dass es erlaubt sein soll, Kinder, die noch im Bauch ihrer Mami sind, mit Medikamenten oder durch eine Operation zu töten, war sie völlig entsetzt und konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die so etwas ernsthaft wollen. Sie änderte ihre Meinung auch nicht, als wir ihr erläuterten, dass es Situationen geben kann, in denen eine ungeplante Schwangerschaft eine schwere Belastung für eine Frau darstellen kann. Natürlich sprachen wir mit ihr auch darüber, was für andere (bessere) Möglichkeiten es gibt, Frauen im Schwangerschaftskonflikt zu helfen, als die, ihr Kind zu töten. 

Ich bin geneigt zu sagen, aus dieser Reaktion meiner siebenjährigen Tochter lassen sich einige Schlüsse darüber ableiten, warum die Debatte zum Thema Abtreibung (nicht nur) hierzulande vielfach so unehrlich geführt wird – warum da so gern mit Strohmannargumenten, Diffamierungen, "Whataboutism" und ähnlichen Ablenkungsmanövern gearbeitet wird. Ich glaube, das erklärt sich daraus, dass eben jedes Kind – und auch darüber hinaus jeder Mensch – im Tiefsten weiß, dass es falsch und nicht zu rechtfertigen ist, ein Kind im Mutterleib umzubringen. Deswegen versucht Deswegen versucht die sogenannte "pro choice"-Fraktion die Debatte so zu führen, dass der Umstand, dass dies genau das ist, was bei einer Abtreibung geschieht, darin möglichst keine Rolle spielt; wenn diese Tatsache nicht sogar geradewegs geleugnet wird. 

Da passt es dann auch ins Bild, dass die Aktivist*innen der Initiative "Abtreibung legalisieren" das ALfA-Plakat partout überkleben mussten, statt ihre eigenen Plakate woanders, meinetwegen daneben, aufzuhängen: Man will den Äußerungen der Gegenseite nicht einfach widersprechen, man will sie übertönen, auslöschen, zum Schweigen bringen. Wie die Stimme des eigenen Gewissens. 


Neues aus Synodalien: Wi(e)der die Professionalisierung der Seelsorge 

Wie eine Katze, die ihrem Frauchen stolz und in der Hoffnung auf Belohnung tote Mäuse oder Vögel auf die Fußmatte legt, präsentiert mir meine persönliche Google-Startseite regelmäßig Schlagzeilen von häretisch.de – insbesondere aus der Rubrik "Standpunkt". Ab und zu lese ich die dazugehörigen Artikel dann tatsächlich, und neulich habe ich auf diese Weise einen "Standpunkt" zu Gesicht bekommen, der mich wirklich erheitert hat – nämlich weil sich darin so exemplarisch das genaue Gegenteil meiner eigenen Auffassung ausdrückt. Die Überschrift lautet "Gläubige erwarten von der Kirche zu Recht Professionalität", und der Verfasser ist ein Kölner Pastoralreferent, der mir namentlich vor allem aus Facebook-Diskussionen bekannt ist – wo er ebenfalls oft Anschauungen vertritt, bei denen ich mir denke "Daran ist ja mal wieder alles falsch". Im vorliegenden Fall habe ich schon gegen die Überschrift mindestens zwei Einwände. Zum einen – und ja, das ist ein pet peeve von mir – empfinde ich es als eine ärgerliche Unsitte, "Gläubige" zu sagen, wenn man "Kirchenmitglieder" meint; zum zweiten bin ich der Auffassung, dass aus der Forderung nach "Professionalität" ein völlig verfehltes Kirchenverständnis spricht: die Kirche als Unternehmen, als Dienstleister. Damit ist eigentlich auch schon fast alles zu diesem "Standpunkt" gesagt – fast. Warum ich die Tendenz zur Professionalisierung nicht nur, aber auch und gerade in der Seelsorge, nicht für etwas Gutes halte, habe ich vor bald einem halben Jahr in meinem Artikel "Requiem für eine Seelsorgehelferin" dargelegt, das muss ich hier wohl nicht wiederholen; in diesem "Standpunkt" geht es indes um das Gegenteil, um einen Trend zur De-Professionalisierung, der aus der Not geboren ist: Da es in der Kirche vielerorts an hauptamtlichen Mitarbeitern mangelt, werden mehr und mehr Aufgaben an Ehrenamtliche delegiert. Das findet der Verfasser nicht gut – was zweifellos damit zusammenhängt, dass er selbst Pastoralreferent ist und sich in seiner Berufsehre angegriffen fühlt. Wo kämen wir denn da hin, wenn die Aufgaben in der Seelsorge, für die er und seine Berufskollegen ausgebildet wurden, genauso gut (oder besser?) von irgendwelchen dahergelaufenen Gemeindemitgliedern übernommen werden könnten, die womöglich noch nicht mal Theologie studiert haben? (Ironischerweise hat die häretisch.de-Redaktion diesen Text mit einem Foto illustriert, auf dem ein Kind – vermutlich im Erstkommunionunterricht – ein Bild malt. Na klar, Kinder dazu anzuleiten, sollte man natürlich unbedingt qualifiziertem Fachpersonal überlassen.) 

In diesem Zusammenhang musste ich daran denken, wie mir mal ein (inzwischen ehemaliger) Diakon in der Pfarrei Herz Jesu Tegel unterstellte, ich wolle "eine Kirche ohne Hauptamtliche, eine Kirche, in der alles von Ehrenamtlichen gemacht wird". Der Witz daran ist natürlich, dass es in einer Kirche ohne Hauptamtliche auch keine Ehrenamtlichen gäbe. Womit ich sagen will: Den Begriff gäbe es nicht. Stattdessen wäre es in einer solchen Kirche einfach normal, dass Mitglieder der Gemeinde auch Mitarbeiter der Gemeinde sind, je nach ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten. Aber keine Sorge, da kommen wir früher oder später zwangsläufig hin. Auch wenn dieses "oder später" bedeutet, dass Gemeinden, die den dafür notwendigen Mentalitätswechsel nicht rechtzeitig hinkriegen, wohl untergehen werden. 


Geistlicher Impuls der Woche 

Daniel brannte vor Verlangen nach dem Kommen des Herrn. Deshalb nannte ihn der Engel "Mann der Sehnsucht" (Dan 9,23). Das Herz ging ihm über, hinzugehen an den Ort des wunderbaren Geheimnisses und zu schauen die Menschwerdung des Herrn und ihr Mysterium, das den Heiligen des Alten Bundes verborgen war, wie der Apostel sagt (Eph 3,5). Darum schaute Daniel auch "in einem Gesicht der Nacht". Es gibt nämlich eine Schau der Nacht, eine Schau des Tages und eine Schau des Lichtes: eine Schau der Nacht vor der Gnade, eine Schau des Tages in der Gnade, eine Schau des Lichtes in der Herrlichkeit. Die Patriarchen und Propheten hatten die Schau der Nacht. Darum heißt es: "Einst hast du in einer Vision zu deinen Frommen gesprochen: Einen Helden habe ich zum König gekrönt" (Ps 89,20). Von der zweiten Schau, die es bei den Aposteln zur Zeit der Gnade gab, sagt Paulus: "Wir schauen die Herrlichkeit des Herrn und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn" (vgl. 2 Kor 3,18). Jetzt sehen wir geistlich wie im Spiegel, rätselhaft. Wenn jedoch die Schau des Lichtes kommt, dann werden die Gerechten vor Gott leuchten wie die Sonne (vgl. Dan 12,3; Mt 13,43), dann werden sie im Licht das Licht sehen (Ps 36,10). Mit gereinigtem Auge werden sie das Licht schauen, das ein sterbliches Auge nicht ertragen könnte. 

(Petrus von Blois, Predigt zum Advent) 


Ohrwurm der Woche 

Three Dog Night: Joy to the World 

Dieses Lied ging mir im Zuge der Vorbereitungen für den Jeremia-KiWoGo durch den Kopf, dank des markanten Anfangsverses "Jeremiah was a Bullfrog". Ich dachte eigentlich, das Lied heißt so. Aber "Joy to the World" ist ja auch eine schöne und adventliche Message. Ich habe es übrigens auch schon erlebt, dass dieses Lied irrtümlich Creedence Clearwater Revival zugeschrieben wurde; eine gewisse stilistische Verwandtschaft ist wohl tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Derweil möchte ich meinen Lesern nicht die Geschichte hinter dem Bandnamen Three Dog Night vorenthalten: Dieser soll auf einen Artikel aus einer anthropologischen Fachzeitschrift zurückgehen, in dem es hieß, dass die australischen Aborigines sich in kalten Nächten zusammen mit Hunden schlafen legen und die Kälte danach bemessen, wie viele Hunde ein Mensch braucht, um sich warm zu halten. Eine Three Dog Night ist demnach eine sehr, sehr kalte Nacht. 


Vorschau / Ausblick 

Wie schon einleitend angemerkt, werde ich in der nächsten Ausgabe zunächst einmal die Ereignisse des gestrigen Freitags nachreichen müssen, wozu neben der Nikolausfeier in Siemensstadt auch ein erneuter Besuch bei der Eltern-Kind-Gruppe auf dem "Rumpelberg" gehört; dann ist die zweite Krippenspiel-Probe in St. Stephanus an der Reihe, die auch schon vorbei ist, wenn dieses Wochenbriefing online geht. Morgen ist der zweite Advent, da singt der Spandauer Frauenchor in der Messe in St. Joseph Siemensstadt, und anschließend gibt's Glühwein und Lebkuchen vom Sozialdienst Katholischer Männer. Die anstehende Schul- und Arbeitswoche verspricht nach meinem jetzigen Kenntnisstand erst mal keine besonderen Höhepunkte, aber lassen wir uns mal überraschen. Am Donnerstag soll in der Tagespost meine neue Kolumne erscheinen, die ich allerdings erst noch schreiben muss; am Freitag ist dann in St. Joseph Siemensstadt das Vorbereitungstreffen für die diesjährige Sternsingeraktion, aber ob mein Tochterkind Lust haben wird, da hinzugehen, ist nach den Erfahrungen des Vorjahres wohl noch nicht ganz sicher...