Man sieht ja manchmal in den Medien Überschriften, da denkt man "Das kann doch nur Satire sein" – und dann ist es oft doch keine. So ging es mir neulich mit der Überschrift "Mit dem E-Bike zu den Christen Europas", die mir auf der Facebook-Seite des "Christlichen Medienmagazins PRO" begegnete. Zuerst drängte sich mir dabei die Assoziation von Diogenes auf, der mit der Laterne auf dem Marktplatz Menschen sucht. Ganz so schlimm, sagte ich mir, steht es um das christliche Abendland wohl doch noch nicht, dass man erst eine Expedition unternehmen muss, um in Europa Christen zu finden. Und wieso mit dem E-Bike? Als ich zehn oder elf Jahre alt war, las ich das Buch "Das andere Amerika" (Originaltitel: "A Walk Across America") von Peter Jenkins, das davon berichtet, wie der Autor in den Jahren 1973-75 zu Fuß von seinem College-Städtchen im Staat New York bis an den Golf von Mexiko wandert, um "sich selbst und Amerika" zu suchen. Christen findet er unterwegs auch, ja mehr noch, er findet Christus, oder vielleicht sollte man sagen, Christus findet ihn. Ein empfehlenswertes Buch, aber ich schweife ab. Okay, gleich noch eine weitere Abschweifung: Auf dem Jakobsweg wird Radfahren ebenso wie Reiten als legitime Form des Pilgerns anerkannt, aber ich möchte mal vermuten, für E-Bikes gilt das nicht. Jetzt aber mal zur Sache: Was will uns die Engführung der Begriffe "E-Bike" und "Christen" in dieser Überschrift des "Pro-Magazins" eigentlich sagen? "Carola Mehltretter ist zu einer ganz besonderen Reise aufgebrochen", erfährt man da: "Ein Jahr lang reist sie mit dem E-Bike durch Europa. Ihre Mission: Christen verschiedener Prägung kennenlernen." Ja gut und schön, aber nochmals gefragt: Wieso mit dem E-Bike? "Die Idee kam ihr während der Pandemie", erfährt der geneigte Leser weiter. "Sie fuhr regelmäßig E-Bike und lernte als Stadtmensch die Natur neu zu schätzen. Außerdem ist das Radeln günstig."
– Gut und schön, auch wenn man da natürlich fragen muss: Im Vergleich zu was? Für mein Empfinden steht das E-Bike – wenn auch vielleicht nicht ganz so sehr wie der E-Scooter – vor allem sinnbildlich für die Fragwürdigkeit des Hypes um "E-Mobilität", oder genauer: die Fragwürdigkeit der Behauptung, "E-Mobilität" sei werweiß wie energieeffizient und klimafreundlich. Dabei will ich gar nicht in die Debatte einsteigen, wie und wo eigentlich der Strom erzeugt wird, der diese Fahrzeuge antreibt; ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass ein E-Bike offenkundig ganz und gar nicht energieeffizient ist, wenn es von jemandem gefahren wird, der körperlich sehr gut in der Lage wäre, ein normales Fahrrad zu fahren. Okay, meine Mutter hat ein E-Bike. Die ist aber auch 75, besitzt kein Auto (mehr) und lebt in einem Landstrich, in dem der Öffentliche Personennahverkehr nicht der Rede wert ist; unter solchen Bedingungen leuchtet mir der Nutzen dieser Anschaffung ein. Kurz gesagt, meine Mutter fährt nicht deshalb E-Bike, weil's hip ist. Wenn hingegen das Pro-Magazin es in seiner Überschrift zu Carola Mehltretters "besonderer Reise" als signifikanten Bestandteil der Story hervorhebt, dass diese Reise eben auf dem E-Bike stattfindet, dann sieht das für mich stark nach klimapolitischem virtue signalling aus.
Und das, muss ich sagen, passt recht gut in das Bild, das ich in jüngster Zeit von der Ausrichtung dieses Magazins habe.
Ich muss dazu sagen, dass ich das "Christliche Medienmagazin PRO" gewissermaßen "wiederentdeckt" habe, seit ich im Zuge der Wiederbelebung meines Blogs wieder mehr auch in "nicht-privatem" Interesse in den Sozialen Netzwerken unterwegs bin. Ich bin nicht restlos sicher, ob mich meine Erinnerung daran, welchen Eindruck ich "früher" von dieser Publikation hatte, nicht trügt, aber ich glaube, man könnte diesen früheren Eindruck in etwa so zusammenfassen: eine sich etwas (aber eben nur etwas) moderner, liberaler, weltoffener, jünger und urbaner gebende Alternative zu idea, mit einer gewissen Affinität zu Medienthemen (was sich ja auch in der Bezeichnung "Medienmagazin" ausdrückt). Mein jetziger Eindruck ist, dass man das Selbstverständnis der Macher wohl am treffendsten charakterisiert, indem man die Worte "etwas (aber eben nur etwas)" aus dieser Beschreibung streicht. Das Magazin verleugnet seine Verwurzelung im evangelikalen Milieu nach wie vor nicht, aber gemessen daran war ich überrascht, wie "woke" diese Publikation in jüngster Zeit geworden ist. Exemplarisch deutlich wird dies an einer Rezension der als "antirassistisch, genderneutral und überhaupt in jedem möglichen Sinne inklusiv" beschriebenen "Alle Kinder Bibel": "Die Welt braucht ein Kinderbuch wie dieses", urteilt Rezensentin Anna Lutz; nur dass "aus dem brennenden Dornbusch die himmlischen Worte erklingen: 'Mose, ich bin dein*e Gott'" und "die Autoren Gott anschließend noch singen lassen: 'Ich bin fair, ich bin mit dir. Ich bin queer, ich bin mit dir. Ich bin, ich bin mit dir'", geht ihr dann doch ein bisschen zu weit. Eine von "Travestie-Königin Olivia Jones" co-moderierte RTL-Sendereihe zum Thema Tod wird trotz einiger Kritikpunkte entschieden empfohlen ("Sollte man sie also anschauen? Auf jeden Fall!"), und auch die gerappte Faschingspredigt eines katholischen Priesters, der "mit Baseball-Kappe auf dem Kopf, einer feschen Sonnenbrille und einer Goldkette um den Hals" vor die Gemeinde trat, wird wohlwollend beurteilt. Da passt es ins Bild, dass in einem Bericht über die "Mitgliederversammlung der Christlichen Medieninitiative pro" die progressive Theologin Sandra Bils unwidersprochen mit der Einschätzung zitiert wird, in "Kirchengemeinden und christlichen Organisationen" herrsche "oft eine mangelnde Bereitschaft, Bestehendes loszulassen und traditionelle Angebote kritisch zu hinterfragen": "Unser größtes Problem als Kirche ist nicht die Bereitschaft zur Innovation, sondern die nicht vorhandene Bereitschaft zur Exnovation, also, Dinge auch loslassen zu können". Am allermeisten nehme ich dem Magazin zugegebenermaßen den Artikel "Als Frau katholisch sein – und es bleiben" vom 11. März übel: eine Rezension zu dem Buch "Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen". Hier lautet der Teaser-Absatz: "Der Synodale Weg hat versucht, Frauen in der katholischen Kirche Wege zu ebnen. Das ist nicht gelungen. In dem Buch 'Wir bleiben!' schildern Katholikinnen, was sie ihrer Kirche stört und warum sie ihr dennoch nicht den Rücken kehren." Aber okay, da weiß man wenigstens schon nach den ersten Sätzen, dass man sich den Rest des Artikels getrost sparen kann. Und sonst so? Der verstorbenen Grünen-Politikerin Antje Vollmer wird ein geradezu überschwänglicher Nachruf zuteil, in dem die studierte Theologin u.a. mit einem Vergleich zwischen Martin Luther und Whistleblower Edward Snowden zitiert wird: "Was bei Luther die theologische Brillanz war, ist bei Snowden seine außergewöhnliche technische Intelligenz. Beide strebten also ins Zentrum der größten öffentlichen Macht ihrer Zeit – und zwar schon in extrem jungen Jahren. [...] Luther ahnte damals eine Chance für eine umfassende geistige Befreiung und wollte die Kirche im Inneren reformieren. Und auch Snowden will einfach, dass die USA wieder ein wirklich freies Land werden." – Anlässlich des 175. Jahrestages der konstituierenden Sitzung der ersten deutschen Nationalversammlung wird die Frankfurter Paulskirche als "Die Kirche der Demokratie" gewürdigt; in einem Artikel mit der Überschrift "Mit Mode gegen Sklaverei" wird ein Modelabel namens "EYD" ("Empower your Dressmaker") vorgestellt: "Eine neue Kollektion kommt den Opfern von Sklaverei zugute – und ist auch noch von ehemaligen Sklavinnen entworfen worden." Man sieht, virtue signalling wird groß geschrieben im Hause "Pro", und nicht nur beim Thema Klimapolitik. Aber eigentlich wollte ich ja gerade auf dieses hinaus. Also: Was hat das Magazin in dieser Hinsicht zu bieten?
– Ein Bericht über die Vorstellung des Programms des bevorstehenden 38. Deutschen Evangelischen Kirchentages trägt die Überschrift "Kirchentag diskutiert über Krieg und Klima"; nun ja, gewiss tut der Kirchentag das, aber das Klima-Thema schon in der Überschrift anzusprechen, ist eben eine redaktionelle Entscheidung, die nicht unbedingt nur der Alliteration geschuldet ist. Unter der Überschrift "Klimakrise, '… dann sind Christen Teil des Problems'" wird über einen Vortrag des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) bei einem Frühjahrsempfang dreier christlicher Initiativen unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich! Hoffnung in Zeiten der Krisen" berichtet: Hiet wird Gröhe mit der Einschätzung zitiert, "mit Blick auf manche evangelikale Gruppierungen in Europa oder den USA, die beispielsweise den menschengemachten Klimawandel leugnen, [...] müsse auch über das Feindbild Wissenschaft in Teilen der religiösen Gemeinschaft gesprochen werden – in allen Religionen, ergänzte Gröhe. Die Problematik zeige sich nicht nur im Kontext der Klimakrise, sondern beispielsweise auch bezüglich der Corona-Impfung." Und weiter: "Ziel müsse es sein, wissenschaftliche Erkenntnisse und geglaubte Schöpfungsverantwortung zusammenzubringen. Gelingt dies nicht, seien 'Christen Teil des Problems'." Und unter der Überschrift "Im Dienst der Schöpfung" werden dem geneigten Leser "Tipps für ein klimafreundlicheres Leben" präsentiert – von "Mit Fahrrad, Bus oder Bahn zur Arbeit" und "Weniger Fleisch essen" bis hin zu "Müll richtig trennen" und "Wasser sparen". Das ist sicherlich alles gut und fein, hat man aber alles auch schon in anderen Medien tausendmal gehört und gelesen; bildlich gesprochen hängen genau diese Tipps bzw. Verhaltensmaßregeln an jeder öffentlichen Toilette aus, was genau verspricht sich das Pro-Magazin also davon, sie ein weiteres Mal wiederzukäuen? Einfach nur drüberzuschreiben "Christen haben eine Verantwortung für diese Erde und sie können etwas tun zum Erhalt der Unwelt" – was ich an und für sich unterschreibe, aber dazu später –, macht den Aufruf zur Mülltrennung und zum Wassersparen noch nicht zu einer genuin christlichen Botschaft.
Dass die Beiträge des Pro-Magazins zum Thema Klimaschutz so wenig originell sind, erscheint mir durchaus bezeichnend: Man ist bei diesem Thema eher Nachzügler als Vorreiter. Auch das Phänomen, dass Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes religiös aufgeladen werden, ist schließlich nicht mehr wirklich neu. An dieser Stelle scheint mir eine Differenzierung unerlässlich, auch wenn ich mir damit vorgreife: Dass die christlichen Kirchen einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung anmahnen, halte ich für richtig und wichtig, allerdings ist das für mein Empfinden etwas kategorial Anderes, als wenn bestimmte unweltpolitische Haltungen und Forderungen selbst in den Rang eines quasi-religiösen Bekenntnisses erhoben werden, mitsamt eigener quasi-liturgischer Ausdrucksformen wie "Klimapilgern" und "Klimafasten". Ich habe dazu schon anno 2019 einen Artikel geschrieben, den ich – so viel Eigenlob muss sein – immer noch gut finde. Das Thema dennoch erneut aufzugreifen, erscheint nicht zuletzt deshalb sinnvoll, weil die Tendenz zur Wahrnehmung (und wohl zumindest teilweise auch Selbstdarstellung) der Klimaschutzbewegung als religiöses Phänomen in jüngster Zeit offenbar zugenommen hat. Dafür ist die Verleihung eines Ehrendoktortitels in Theologie (!) an die Klimaaktivistin Greta Thunberg – über die das Pro-Magazin recht neutral berichtete – ein Indiz; erst recht aber ein Foto, das der Instagram-Account der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns zu Ostern postete: Es zeigte Greta Thunberg, wie sie bei der Auflösung einer Sitzblockade in Lützerath von Polizisten weggetragen wird, die Bildbeschriftung rückte diesen Vorgang jedoch in eine Parallele zur Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane. In eine ähnliche Richtung ging ein Tweet der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt – von 2009-13 Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland – zum Karfreitag, in dem sie die Passion Christi mit Klimakrise und Artensterben verglich.
Während in diesen Beispielen explizit auf Elemente der christlichen Tradition Bezug genommen wird und diese im Sinne einer "Klimareligion" umgedeutet werden, finden sich in den Denkmustern der Klimaschutzbewegung auch Vorstellungen, die ihren im Kern religiösen Charakter nicht unbedingt so offen zu erkennen geben. So etwa beim Thema "Fortpflanzung als Klimakiller", das auch nicht mehr ganz neu ist, aber unlängst durch einen Essay von Cora Wucherer im Zeit-Magazin wieder einmal ins Gespräch gebracht wurde. In dem online nur für Abonnenten zugänglichen Text geht es anscheinend allgemein um Kinderlosigkeit als Weg zu Freiheit und Selbstverwirklichung, aber in den Sozialen Netzwerken kursierte ein Visual mit einem Textauszug, der sich auf den Klima-Aspekt konzentriert: "Da könnt ihr noch so oft das Lastenrad nehmen oder eure Essensreste in selbst gemachte Wachstücher packen, sorry, meine CO2-Bilanz wird immer eine bessere sein als die von euch mit Kindern." Irgendjemand – ich habe das Zitat leider nicht wiederfinden können – sagte oder schrieb einmal, willentliche Kinderlosigkeit bedeute, sich selbst aus der Geschichte der Menschheit herauszuschreiben. Gegen diese These ließen sich einige Einwände formulieren, aber soweit es um Kinderlosigkeit im Interesse des Klimaschutzes geht, würde ich sagen, dieser Satz trifft den Nagel auf den Kopf. Genau darum geht es. In der Verabsolutierung des Bestrebens, den eigenen CO2-Fußabdruck so weit wie möglich zu reduzieren, äußert sich eine Leibfeindlichkeit, wie sie besonders seit der Sexuellen Revolution gern dem Christentum unterstellt wird, tatsächlich aber eher für gnostisch beeinflusste Sekten wie die Katharer typisch ist: Die materielle Welt ist schlecht, deshalb soll man möglichst wenig Verbindung mit ihr haben. Indem die existenzielle Befleckung, die der Kontakt mit der materiellen Welt unausweichlich mit sich bringt, mit einer konkreten Substanz, nämlich CO2, assoziiert wird, bekommt diese Idee einen naturwissenschaftlichen Anstrich, aber im Kern ist es pure Esoterik.
Ich denke, die genannten Beispiele machen hinreichend deutlich, dass es für Christen gute Gründe gibt, kritische Distanz zur Ideologie der Klimaschutzbewegung zu wahren, mindestens dann, wenn diese Züge von Götzendienst annimmt. Gleichzeitig kann ich mir aber den Hinweis nicht verkneifen, dass manche konservativen Christen in ihrem Abgrenzungsbedürfnis gegenüber allem, was irgendwie "grün" anmutet, für mein Empfinden weit übers Ziel hinausschießen. "Argumente" auf dem Niveau von "Was heißt hier globale Erwärmung, ich war heute draußen und fand's saukalt für April" sind da noch vergleichsweise harmlos, da zumeist wohl humorig gemeint; die nächste Stufe besteht darin, Äußerungen derer, die vor einer drohenden Klimakatastrophe warnen, verfälscht wiederzugeben, um sie leichter "widerlegen" zu können. Aktuelles Beispiel: Nein, Greta Thunberg hat nicht vor fünf Jahren vorausgesagt, die Menschheit werde innerhalb von fünf Jahren aussterben, wenn keine drastischen Schritte gegen den Klimawandel unternommen würden (was durch die bloße Tatsache, dass wir heute noch leben, tatsächlich widerlegt wäre); vielmehr hat sie – unter Berufung auf ungenannte Experten – geäußert, wenn nicht innerhalb von fünf Jahren drastische Schritte gegen den Klimawandel unternommen würden, werde die Menschheit (zu einem ungenannten Zeitpunkt) aussterben. (Man muss allerdings wohl davon ausgehen, dass ziemlich viele Leute den Unterschied zwischen diesen Aussagen nicht erkennen, selbst wenn man sie darauf hinweist.) – Überhaupt eignet sich Greta Thunberg offenbar ebenso gut als Feindbild wie als Identifikationsfigur; man könnte sagen, beides bedingt sich, aber eben darum ist beides auch gleichermaßen fragwürdig. Man tut dieser jungen Frau (die "15jährige Schwedin", wie sie in den Medien einst stereotyp betitelt zu werden pflegte, ist inzwischen 20) sicherlich keinen Gefallen damit, sie derart zu überhöhen, wie Teile ihrer Anhängerschaft das tun – aber erst recht nicht damit, dass man sie verhöhnt und ihr nach Kräften am Zeug zu flicken sucht.
Ein anderes Beispiel: Neulich habe ich mich heftig mit dem Twitter-Account "Sex needs Culture" angelegt, nachdem dieser auf die Nachricht, eine Person, die sich im November 2021 an der Blockade des Kohlekraftwerks Neurath beteiligt hatte, sei zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden, mit unverhohlener Freude reagierte. Der ganze Vorgang erinnert mich stark an Auseinandersetzungen, die ich vor rund zweieinhalb Jahren im Zusammenhang mit der Räumung des besetzten Hauses "Liebig 34" in Berlin-Friedrichshain geführt habe und die damals ebenfalls in einen Blogartikel von mir mündeten. Vieles von dem, was ich damals geschrieben habe, könnte ich jetzt sinngemäß wiederholen, aber vielleicht genügt ja auch ein Link. Jedenfalls: Ich habe mir damit seinerzeit eine Menge Feinde gemacht, habe aber keine großen Hemmungen, es nötigenfalls wieder zu tun. Ob Hausbesetzer oder militante Klimaaktivisten: Man kann ihr Engagement fehlgeleitet finden und erst recht ihre Methoden ablehnen, man kann dafür gute, überzeugende Argumente vorbringen, aber das ändert nichts daran, dass ich die Verachtung und Häme, die ihnen aus bürgerlich-konservativen Kreisen zuweilen entgegenschlägt, ausgesprochen schändlich finde, und dies umso mehr, wenn die betreffenden Vertreter des konservativen Bürgertums sich dezidiert als Christen betrachten und bezeichnen. – Zum Account "Sex needs Culture" sei noch gesagt, dass dieser am selben Tag, an dem er über die Haftstrafe wegen der Neurath-Blockade frohlockte, die Entlassung des "Querdenken 711"-Gründers Michael Ballweg (dem u.a Veruntreuung von Spendengeldern vorgeworfen wird) aus der Untersuchungshaft mit den Worten "Es gibt noch einen Rechtsstaat. Danke" feierte. Hashtag In #kannstedirnichtausdenken. – In seiner Twitter-Bio beschreibt "Sex needs Culture" sich als "Nachrichtenkanal zu den Themen Sexualität, Ehe, Pornographie, Gender-Mainstreaming und Lebensrecht aus christlicher Sicht", und der Himmel weiß, dass wir einen Account, der diesem mission statement wirklich gerecht würde, im deutschsprachigen Raum dringend gebrauchen könnten. Tatsächlich hat sich "Sex needs Culture" aber schon seit einiger Zeit hauptsächlich auf die Themen Klimapolitik und Corona-Maßnahmenkritik eingeschossen. Das empfinde ich als ausgesprochen ärgerlich. – In der Tagespost schrieb ich mal, wenn sich Vertreter kirchlicher Institutionen oder kirchennaher Verbände an "Fridays for Future"-Demonstrationen und ähnlichen Aktionen bereiligten oder zu deren Unterstützung aufriefen, entstehe "vielfach der Eindruck, sie verhielten sich gegenüber der Klimaschutzbewegung [...] als reine Mitläufer, die sich von einem Sendungsbewusstsein und einem missionarischen Eifer mitreißen lassen, der ihnen selbst schon lange abhanden gekommen ist". Nun möchte ich hinzufügen: Zuweilen habe ich den Eindruck, dass bei konservativen Christen, die sich die Klimaschutzbewegung zum Lieblingsfeindbild erkoren haben, ein ganz ähnlicher Mechanismus am Werk ist, der sich lediglich auf gegenteilige oder vielleicht auch nur scheinbar gegenteilige Weise auswirkt. Damit meine ich: Ein Grund für den Hass auf Klimaschutz-Aktivisten könnte sein, dass man ihnen ein Ausmaß an Engagement und Opferbereitschaft verübelt, das man selbst nicht aufbringt.
(Manche Leser werden jetzt vermutlich denken: Na, woll'n mal sehen, was aus seinen Sympathien für militante Klimaaktivisten wird, wenn die Letzte Generation demnächst, wie versprochen, ganz Berlin lahmlegt. Na gut: Manche Menschen sagen, Schadenfreude sei die schönste Freude, andere sagen dasselbe über Vorfreude, also ist Schaden-Vorfreude wohl das Aller-allerschönste, was es überhaupt gibt; das will ich Euch nicht nehmen. Davon abgesehen mal nur so viel zur "Letzten Generation": Die Geschichte lehrt, dass jede weltanschauliche Bewegung extreme Ränder hat, die gerade wegen ihrer Radikalität überproportionale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Hätte man z.B. die mittelalterliche Armutsbewegung insgesamt nach den häretischen Fraticelli beurteilt und deshalb in Bausch und Bogen verurteilt, gäbe es heute weder Franziskaner noch Dominikaner.)
Nachdem ich nun also, wie es für mich wohl insgesamt nicht untypisch ist, kräftig nach allen Seiten ausgeteilt habe, dürfte die Frage naheliegend und angemessen sein, was ich denn nun positiv empfehlen würde; wie also, meiner Meinung nach, Christen zwischen den falschen Alternativen, sich der Klimaschutzbewegung kritiklos anzubiedern oder ihr Anliegen ganz und gar zurückzuweisen, ihre eigene Stimme finden können und sollen. Ich habe mich zu dieser Frage schon verschiedentlich geäußert, auf meinem Blog wie auch in der Tagespost, aber das muss mich ja nicht davon abhalten, das hier und jetzt erneut zu tun. Zwei Aspekte betrachte ich dabei als wesentlich. Der erste: Christen können einen eigenständigen und wertvollen Beiträg zur Erhaltung des Ökosystems leisten, indem sie eine Haltung des Respekts, der Wertschätzung und Dankbarkeit für die Gaben Gottes kultivieren. Aus einer solchen Haltung ergeben sich Dinge wie ein verantwortungsvoller, schonender Umgang mit Ressourcen, die Vermeidung von Verschwendung, Verschmutzung und Müll und vieles mehr mit natürlicher Folgerichtigkeit; darüber hinaus wirkt sie sich aber auch positiv auf das menschliche Miteinander aus und ist nicht zuletzt auch gut für die eigene Seele. Kurz, hier liegt die Chance für eine ganzheitlichere, menschenwürdigere und lebensfreudigere Form ökologischen Bewusstseins, als es die oben angesprochene Fixierung auf die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks ist. Zur Vertiefung dieses Gedankens kann ich zwei Bücher empfehlen, die es beide leider nur auf Englisch gibt: "Crunchy Cons" von meinem Freund Rod Dreher und "The Grace of Enough" von Haley Stewart. "Eden Culture" von Johannes Hartl geht wahrscheinlich zumindest teilweise in eine ähnliche Richtung, aber das habe ich, wie ich gestehen muss, selbst noch nicht gelesen.
Der zweite Punkt ist, dass Christen dem Gefühl von Aussichts- und Hoffnungslosigkeit, das sich in der Klimadebatte vielfach breit macht, Zuversicht und Gottvertrauen entgegensetzen sollten. Diesem Aspekt habe ich zu einem Zeitpunkt, als die Letzte Generation noch auf Hungerstreik statt auf Verkehrsblockaden setzte, schon mal einen Essay in der Tagespost gewidmet, aber ehe ich näher auf diesen eingehe, möchte ich auf ein Kinderbuch hinweisen, das mein Jüngster in der örtlichen Stadtteilbibliothek entdeckt hat und das sich als überraschend großartig herausgestellt hat: "Könnte Regen geben" von Martin Baltscheit, erschienen 2020 im Affenzahn-Verlag Köln.
"Na, was machst du?", fragt da ein Marienkäfer einen Koala, und der antwortet: "Ich mache mir Sorgen." – "Warum?" – "Könnte Regen geben." Auf den Einwand, Regen sei doch nicht schlimm, ja eigentlich sogar "gur für Bäume und Blätter", reagiert der Koala mit dem Ausmalen immer grotesker Karastrophenszenarien: "Totale Sintflut. Das Meer steigt an. Wir saufen ab. Es ist das Ende. Für immer. [...] Die Erde kommt ins Trudeln und stürzt ab. [...] Die Sonne explodiert. [...] Universum futschikato." Als sich dann jedoch die Regenwolken verziehen und die Sonne wieder scheint, hört der Koala dennoch nicht mit dem Sorgenmachen auf: "Die Hitze wird das Wasser trinken. Wir verdursten und die Erde wird ein Wüstenplanet..." Zu guter Letzt lässt der Koala sich dann aber doch überreden, mit den anderen Tieren baden zu gehen.
"Zuversicht ist eine innere Haltung[,] mit der wir Kindern helfen, eine positive Sicht auf das Leben zu entwickeln", heißt es im Nachwort. "Mit diesem Vertrauen in die Welt wächst ihre Kraft, erst sich selbst und später anderen die Sorgen zu nehmen." Eine sehr gute Message (nicht nur) für ein Kinderbuch, keine Frage; aber als Beispiel für unnötige oder übertriebene Ängste ausgerechnet die Angst vor der Klimakatastrophe einzusetzen, in einem Kinderbuch aus dem Jahr 2020, das ist schon frech. Oder sagen wir lieber: mutig. Ich gebe zu, ich hab gefeiert.
Was nun die spezifisch
christliche Perspektive betrifft, habe ich in dem bereits angesprochenen
Tagespost-Artikel zu argumentieren versucht,
Zuversicht und eine gewisse
Gelassenheit gegenüber allen Arten von Weltuntergangsprognosen könne der Christ aus dem Bewusstsein beziehen, "dass in letzter Instanz nicht der Mensch, sondern Gott der Herr der Geschichte ist"; und heißt es nicht im Buch Genesis im Anschluss an die Sintfluterzählung "Niemals, so lange die Erde besteht, werden Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze (!), Sommer und Winter, Tag und Nacht aufhören" (
Gen 8,22)? – Indes wäre es – um abermals meinen eigenen
Tagespost-Artikel zu zitieren – ein grobes Missverständnis, in dem "Glaube[n] daran, dass letztlich Gott das Schicksal der Welt in der Hand hält", eine "Rechtfertigung für Untätigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber den Krisen der Gegenwart" zu sehen. Im Gegenteil: Gerade das Vertrauen auf Gott –
das Bewusstsein, nicht aus eigener Kraft die Welt retten zu müssen, weil die Welt in einem fundamentalen Sinne bereits gerettet ist –, kann und sollte zu verantwortlichem Handeln in der Welt befähigen, denn "er bewahrt vor Überforderung, vor dem lähmenden Gefühl der Unzulänglichkeit angesichts des erdrückenden Gewichts der globalen Probleme".
Letztendlich läuft wieder einmal alles auf das benediktinische Motto "ora et labora" hinaus: Bete und arbeite, tu was Du kannst und bitte Gott, für das zu sorgen, was Deine Kräfte und Möglichkeiten übersteigt. Wo immer Christen nur eins von beidem tun und das andere vernachlässigen, droht das christliche Zeugnis in eine Schieflage zu geraten. Ich erinnere mich, wie ausgerechnet Erik Flügge in einer Reaktion auf das Mission Manifest von den "beiden Flügeln" sprach, auf denen die Kirche – im Unterschied von ihrem von "Dauerfrust" und "Depression" geprägten Mainstream – noch "lebendig" sei: "Sie ist lebendig in den geistigen Gemeinschaften mit ihren Gebetevents, aber sie ist eben auch lebendig in der Gemeinde eines befreundeten liberalen Pfarrers, der gerade mit den Mitgliedern eine soziale Kaffeerösterei gegründet hat." Ich habe mich schon damals, als ich das las – und das ist gut fünf Jahre her – gefragt, warum das eigentlich Gegensätze sein müssen; wieso diese Phänomene auf entgegengesetzten, tendenziell miteinander verfeindeten "Flügeln" verortet werden, oder konkreter: warum es partout ein liberaler Pfarrer sein muss, der mit seinen Gemeindemitgliedern eine soziale Kaffeerösterei gründet. Es steht allerdings zu vermuten, dass Flügges Darstellung hier schlichtweg eine empirische Realität widerspiegelt: Es gibt diese "Flügel", und mit dem, was als charakteristisch für den einen Flügel wahrgenommen wird, gibt sich der andere nicht ab. Dieses Lagerdenken ist falsch und schädlich und muss überwunden werden. Es ist grotesk und inskzeptabel, wenn nach außen wie nach innen der Eindruck entsteht, man könne nur entweder die überlieferte Glaubenslehre der katholischen Kirche akzeptieren oder sich sozial und ökologisch engagieren.