Nein, bin ich natürlich nicht. Im Ernst gesprochen gäbe es ganz Andere, die diesen Titel für sich beanspruchen dürften. Aber
gefühlt habe ich mich in der letzten Woche ein bisschen so. Zumindest als die
Rosa Parks des Katholizismus in der linksautonomen Kneipenszene Berlins.
Wer die
Klosterneuburger Marginalien,
Jobo72's Weblog und/oder
Elsas Nacht(b)revier regelmäßig verfolgt - und wer täte das nicht? ;) -, wird von dem Vorgang, auf den ich mich hier beziehe, bereits gehört bzw. gelesen haben. Teils trotz, teils wegen des großen Echos, das dieser Fall in der Blogoezese wie auch in meinem persönlichen Umfeld vor Ort gefunden hat, habe ich mich entschlossen, auch noch selbst etwas dazu zu schreiben - und dabei auch auf ein paar Aspekte einzugehen, die über den konkreten Anlass hinausgehen.
Beginnen wir mal historisch: Zur Zeit der "Wende" in der DDR wurden in Ostberlin (und auch andernorts) zahlreiche leerstehende Häuser von linken Aktivisten besetzt und zu alternativen Wohnprojekten gestaltet. Ein Großteil der besetzten Häuser wurde noch in den 90er Jahren teilweise gewaltsam geräumt, einige wenige erhielten sich wesentlich länger, und eine ganze Reihe dieser alternativen Wohnprojekte wurden legalisiert, indem die Hauskollektive sich mit den Eigentümern der Immobilien gütlich einigten, sich die Rechtsform von Vereinen gaben und die Häuser seither nach ihren eigenen Regeln verwalten. Oft gibt es in diesen Häusern Lokale, die sowohl für Veranstaltungen (Vorträge, Filmvorführungen, Konzerte) als auch ganz einfach als Kneipe genutzt werden, und viele dieser Lokale bieten auch wöchentlich oder monatlich eine "Volksküche" (kurz "VoKü"; in einigen dieser Lokale - wegen ideologischer Vorbehalte gegenüber dem Begriff "Volk" - auch "Bevölkerungsküche"/"BeVöKü" genannt) an, d.h., man kann dort gegen eine i.d.R. sehr bescheidene Spende ein leckeres, von Mitgliedern oder Freunden des Hauskollektivs zubereitetes Essen zu sich nehmen. Teilweise gibt es da für um die 3 Euro veritable 3-Gänge-Menüs, aus ideologischen Gründen meist vegan oder zumindest vegetarisch.
Der ideologische Charakter dieser Lokale ist übrigens durchaus unterschiedlich stark ausgeprägt. Sie verstehen sich durchweg als antifaschistisch, antirassistisch, antikapitalistisch, antimilitaristisch und antisexistisch, sind gegen Atomkraft, für ein umfassendes Asylrecht, gegen den Überwachungsstaat und so weiter, woran die dort ausgehängten Plakate und ausliegenden Flyer den geneigten Gast permanent erinnern; ein gewisser linker Minimalkonsens wird vorausgesetzt, aber damit ist es dann in den meisten Fällen auch gut. Das war jedenfalls bis vor Kurzem mein Eindruck.
Ich bin seit Jahren gern und regelmäßig in einigen Lokalen dieser Art zu Gast gewesen, habe dort Menschen kennen gelernt, die ich sehr mag und schätze und mit denen ich mich in vielen Punkten sehr gut verstehe. Daraus, dass ich praktizierender Katholik bin und dass sich daraus in einigen Punkten bzw. zu einigen Themen auch fundamentale Meinungsverschiedenheiten ergeben, habe ich diesen Menschen gegenüber nie einen Hehl gemacht, und das wurde auch problemlos akzeptiert; nicht wenige meiner Bekannten aus diesem Milieu schätzen mich gerade deswegen als Gesprächspartner.
Ein Lokal, das ich seit etwa sechs Jahren sehr regelmäßig besucht habe - vor allem freitags zur VoKü -, war das
Bandito Rosso in der Lottumstraße 10a. Einige der Bewohner dieses Hauses kenne ich aus einer anderen - "normalen", d.h. kommerziellen, wenn auch außergewöhnlich preisgünstigen - Kneipe ein paar Straßen weiter, wo ich noch häufiger Zeit verbringe; dagegen kenne ich die meisten Mitglieder des
Bandito-Barkollektivs und auch einen Großteil der anderen Stammgäste mehr oder weniger nur "vom Sehen" - und sie mich auch.
Vorletzten Freitag war ich wieder dort - unmittelbar nach der Abendmesse, was mir selbst ein bisschen witzig vorkam, aber ich hatte später am Abend noch einen DJ-Gig in der Nähe und dachte mir, es böte sich an, in der Zwischenzeit noch ein fastentagstaugliches, da fleischloses Abendessen zu mir zu nehmen. Als ich eintrat, war kein Tisch mehr frei, also fragte ich zwei mir persönlich Unbekannte, die an einem großen Tisch mit noch zwei oder drei freien Stühlen saßen, ob ich mich zu ihnen setzen dürfe. Sie bejahten das, aber ich kam gar nicht dazu, mich zu setzen, denn plötzlich stand ein Vertreter des Barkollektivs neben mir, der mir - sehr ernst, aber nicht direkt unfreundlich - mitteilte: "Wir müssen mal mit dir reden." "Wir" waren in diesem Fall der, der mich angesprochen hatte, und eine junge Kollegin, die sich mehr im Hintergrund hielt. Das Gespräch fand im Nebenraum statt, im Stehen, aber ich durfte mir vorher noch etwas zu trinken kaufen.
Der Vertreter des Barkollektivs eröffnete das Gespräch mit dem Hinweis, es sei aufgefallen, dass ich vor dem Essen bete. "Ist das ein Problem?" fragte ich, aber dies wurde verneint. Dann jedoch leitete der Wortführer über zu der Bemerkung, er habe mich vor einigen Monaten am Rande des
Marschs für das Leben (er nannte ihn allerdings den "1000-Kreuze-Marsch") gesehen - offenbar hatte er zu den Gegendemonstranten gehört und hatte, wie er zu erkennen gab, zunächst (wohlwollend, aus seiner Sicht) angenommen, das habe auch für mich gegolten. Dass ich dabei beobachtet worden sei, vor dem Essen zu beten, habe aber dann doch Zweifel an dieser Annahme erweckt, und daraufhin habe er sich - man höre und staune! - Videoaufzeichnungen vom Marsch für das Leben angesehen und mich daraufhin als Teilnehmer des "1000-Kreuze-Marsches" entdeckt, und zwar,
horribile dictu, mit einem Kreuz in der Hand! Nun wollte er von mir eine Stellungnahme dazu hören, und ich erwiderte schlicht, meine Teilnahme an der Demonstration sei als "Stellungnahme" doch wohl eindeutig genug gewesen.
Da war der Ofen dann aus.
Ob mir denn nicht bewusst sei, dass im Bandito Rosso massiv gegen den Marsch für das Leben mobilisiert worden sei. Dochdoch, erwiderte ich, das sei mir sehr wohl aufgefallen, ich hätte es aber, nun ja, toleriert. Die darin enthaltene Andeutung, ich hätte mir umgekehrt ähnliche Toleranz gewünscht, stieß aber auf keinerlei Gegenliebe. Man könne ja Mancherlei tolerieren, nicht aber die Teilnahme an einer derart anti-emanzipatorischen, frauen- und schwulenfeindlichen, fundamentalistischen Veranstaltung, die im Übrigen auch rechtsextreme Züge trage. Das Bandito sei schließlich ein linker, emanzipativer Freiraum, ein Schutzraum geradezu gegen solche Zumutungen, wie ich sie verkörpere. Die junge Dame vom Barkollektiv sekundierte, sie würde es als persönliche Beleidigung auffassen, einen Frauenfeind (=wie mich) bedienen zu müssen. Vor Empörung bebend teilte mir der Wortführer mit, ich solle jetzt gehen und nicht wiederkommen. Mein Getränk dürfe ich mit 'rausnehmen, nicht aber an Ort und Stelle austrinken. Abschließend bemerkte er noch, er werde meinen "Fall" vor dem Hausplenum thematisieren. Ich verzichtete auf weitere Auseinandersetzungen und ging.
Aber fassen wir mal kurz zusammen:
- Die Tatsache, dass ein Gast in diesem Lokal vor dem Essen betet, macht ihn verdächtig.
- Dieselben Leute, die auf den "Überwachungsstaat" schimpfen, werten Videoaufzeichnungen aus, um ihre Gäste einer Gesinnungskontrolle zu unterziehen.
- Der Einsatz für das Lebensrecht schwacher und wehrloser Menschen, seien sie ungeboren, behindert, chronisch krank oder alt und hinfällig, wird als "anti-emanzipatorisch", "frauen- und schwulenfeindlich", "fundamentalistisch" und in letzter Konsequenz als rechtsextrem eingestuft.
- Eine inhaltliche Auseinandersetzung über diese Einschätzung ist nicht erwünscht.
Enorm emanzipatorisch, libertär und progressiv, meine lieben Freunde! Kaum war ich wieder an der frischen Luft, musste ich mein Erlebnis gleich mal als Facebook-Statusmeldung in den virtuellen Äther schicken, und die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Der Zuspruch, den ich von verschiedensten Seiten erfahren habe, hat mich sehr ermutigt, und ich möchte mich bei allen Beteiligten herzlich bedanken. Besonders bemerkenswert fand ich, dass ich auch von solchen Freunden Rückendeckung erhielt, die in der Frage des Lebensschutzes teils nicht unbedingt, teils ausdrücklich gar nicht mit mir übereinstimmen. Ein paar Stellungnahmen möchte ich hier - anonym, da sie mich als persönliche, nicht-öffentliche Mitteilungen erreichten - zitieren:
"Ich bin für das
Recht auf Abtreibung [...]. Aber
trotzdem finde ich es erschreckend, wenn das der Grund für ein
Hausverbot ist, ein Zeichen dafür, dass es keine Bereitschaft für
sachliche Auseinadersetzungen gibt, nicht mehr diskutiert wird und so
der einfachste Weg gegangen wird, einfach ausgrenzen, ein Armutszeugnis
für eine Kneipe, in der Menschen aus dem linken Spektrum [...] verkehren."
"Aber einem Menschen aufgrund seiner eindeutigen Aussprache für den Schutz eines Lebens Hausverbot zu erteilen, gehört zu den verrücktesten Dingen, die ich je gehört habe. [...]
Auf jeden Fall verstehe ich es nicht. Manche Linke sind schon so weit links angekommen, dass sie wieder rechts angelangt sind."
Kritische Stimmen gab es auch, genauer gesagt: eine. Ein langjähriger Freund, den ich just aus dem linken Kneipenmilieu kenne, fand, mit der öffentlichen Thematisierung meines Hausverbots im Bandito würde ich mich "feiern lassen". Ich möchte betonen, dass ich das nicht so sehe. Wenn ich der Meinung bin, dieser Vorgang gehöre öffentlich gemacht, geht es mir dabei nicht um mich als Person, sondern um die Sache selbst. Genauer gesagt sogar gleich um mehrere "Sachen": einerseits die Ignoranz der Linken gegenüber dem Thema Lebensschutz, andererseits ganz allgemein um die restriktiven (oder, wie ich gern sage, "basisdiktatorischen") Strukturen in so genannten "alternativen" Hausprojekten.
Zu letzterem Aspekt hatte ich schon verschiedentlich Absonderliches gehört, und in diesem Zusammenhang muss ich noch einmal auf das oben erwähnte Stichwort "Hausplenum" zurückkommen. Mehrere Freunde und Bekannte haben mir nahe gelegt, das Hausverbot nicht einfach so zu akzeptieren, sondern es auf eine Verhandlung vor dem Hausplenum ankommen zu lassen. Man könnte denken, da hätte ich gar nicht so schlechte Chancen, zumal im Haus ja auch einige Personen leben, die mich lange und gut kennen. Nun ja: Vielleicht wäre das so, wenn so ein Hausplenum eine demokratische Einrichtung im Sinne des allgemein verbreiteten Verständnisses von Demokratie wäre. Dem ist aber nicht so. Wie ich aus anderen Fällen - die nicht die Lottum 10a, sondern andere, vergleichbar organisierte Hausprojekte betrafen - weiß, genügt für die Verhängung eines Hausverbots eine einzige Stimme, es muss noch nicht einmal eine Aussprache darüber geben, geschweige denn, dass dem vom Hausverbot Betroffenen die Chance gegeben werden müsste, für sich selbst zu sprechen. Wozu man den Fall dann überhaupt noch vor das Plenum bringen muss, ist mir schleierhaft, aber lassen wir das mal so stehen.
(Die hier nur skizzierten Strukturen führen naturgemäß zu einer abstrusen Intransparenz der Entscheidungen im Hausplenum. Ich weiß von Fällen, in denen langjährige Mitbewohner wegen eines einzigen Ausrasters in betrunkenem Zustand, ohne dass jemand ernstlich verletzt worden wäre, von heute auf morgen aus dem Haus geworfen wurden, wohingegen jemand, dem mehrere versuchte Vergewaltigungen vorgeworfen wurden, lediglich für ein halbes Jahr Alkoholverbot in der hauseigenen Kneipe erhielt. Nur nebenbei sei erwähnt, dass die betroffenen Frauen "natürlich" auch in Acht und Bann geraten wären, hätten sie die versuchten Vergewaltigungen bei der Polizei anzeigen wollen: Mit Bullen spricht man nicht. Das ist, ich betone es nochmals, nicht in der Lottum 10a passiert, sondern in anderen Häusern. Ich bitte dennoch darum, die "emanzipatorischen" und "frauenfreundlichen" Aspekte des letztgenannten Falles scharf ins Auge zu fassen.)
Eine andere interessante Erfahrung der letzten Tage: In der oben schon erwähnten "normalen, d.h. kommerziellen Kneipe ein paar Straßen weiter", in der mehrere Bewohner der Lottum 10a verkehren und z.T. arbeiten, werde ich nicht nur nach wie vor bedient, sondern so freundlich behandelt wie eh und je; ich darf hier auch das kostenose WLAN nutzen und sogar von hier aus bloggen. Was ich im Moment gerade tue.
Gestern stach mich dann der Hafer, eine andere linksautonome VoKü zu besuchen, um zu testen, wie weite Kreise meine negative Prominenz in diesen Kreisen bereits gezogen hat. Nun, ehrlich gesagt war es wohl unrealistisch und ein bisschen eitel, anzunehmen, dass man mich in einem Lokal "erkennen" würde, in dem ich noch nie gewesen war. Dass ich noch die Anstecknadel am Revers trug, die mir der Berliner Landesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben, Stefan Friedrich, ein paar Tage zuvor im Anschluss an eine Veranstaltung geschenkt hatte, fiel mir erst ein bzw. auf, als ich bereits auf dem Weg war, aber natürlich nahm ich sie nicht ab.
Als ich das Lokal - das Syndikat in Berlin-Neukölln - betrat, empfing mich dieses reizende Plakat:
Erst nachdem ich es fotografiert hatte, fiel mir ein weiteres Plakat auf, das darauf hinwies, dass Fotografieren in diesem Lokal verboten sei. Mein Verstoß dagegen wurde aber offenbar ebensowenig registriert wie meine Anstecknadel oder der Umstand, dass ich es mir auch hier nicht nehmen ließ, vor dem Essen ein Kreuzzeichen zu machen (das allerdings - ich räume ein Minimum an Opportunismus ein - etwas kleiner und unauffälliger ausfiel als sonst, schließlich hatte ich mein Essen schon bezahlt und obendrein Hunger). Die Gemüsebratlinge waren ein bisschen angebrannt und die Kartoffeln ziemlich geschmacksarm - kurz dachte ich daran, an der Theke nach Salz zu fragen, aber ich fürchte, dann wäre ich wirklich rausgeflogen...
(Übrigens habe ich auf Qype gerade eine interessante Kritik über das Syndikat gelesen, die ich unbedingt zitieren muss: "Fast 20 Jahre Nightlife-Erfahrung in Hamburg - ohne Probleme! Eine Nacht
in Berlin - und aus dem Syndikat geflogen! Nie zuvor habe ich einen
Laden erlebt, in dem Punk und Spießigkeit so nah beieinander liegen.
Hammer!")
Zusammenfassend gesagt ergibt sich der Eindruck, dass gerade dort, wo eine Gruppe des Sagen hat, die sich selbst als Fundamentalopposition zum herrschenden System definiert, die Tyrannei an jeder Ecke lauert...