Am vergangenen Freitag, am Vorabend des Hochfest der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (kurz "Mariä Himmelfahrt"), wurde in der Pfarrkirche Herz Jesu Berlin-Tegel eine Vigil anlässlich der Weihe des Erzbistums Berlin an das Heiligste Herz Jesu und das Unbefleckte Herz Mariens gefeiert -- mit Eucharistischer Anbetung, Lobpreis, Meditation und Fürbittgebet. Gemeinsam mit unserer Pastoralreferentin war ich wesentlich an der Planung dieser Vigil beteiligt; einzelne Andachtsabschnitte wurden von fünf verschiedenen Kreisen und Gruppen der Gemeinde sowie vom Pfarrer beigesteuert. Ich muss gestehen, dass ich im Vorfeld durchaus Bedenken wegen der (urlaubszeitbedingt) etwas knappen Vorbereitungszeit hatte und mir gewünscht hätte, es hätte genauere Absprachen zwischen den verschiedenen Mitwirkenden gegeben; aber im Nachhinein kann ich sagen, dass alles wunderbar geklappt hat und dass mir das eine Lehre sein sollte. Die unterschiedlichen Stile und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen der einzelnen Beiträge haben sich zu einem durchaus stimmigen Gesamtbild ergänzt, und ich möchte sagen, die Veranstaltung hat gezeigt, was für ein Potential in dieser Gemeinde steckt.
Herz-Jesu-Figur in der gleichnamigen Pfarrkirche in Berlin-Tegel (eigene Aufnahme) |
Aber spulen wir mal ein paar Wochen zurück: Die Ankündigung, dass Erzbischof Heiner Koch das Erzbistum Berlin dem Heiligsten Herzen Jesu und dem Unbefleckten Herzen Mariens weihen wolle, hatte ich als durchaus überraschend empfunden, und da war ich zweifellos nicht der Einzige. Schließlich befanden wir uns (und befinden wir uns weiterhin) mitten in einer schwelenden Debatte darüber, ob (und wenn ja, wie) die Kirche eine geistliche Antwort auf die Coronakrise geben könne und solle, anstatt lediglich administrativ darauf zu reagieren. Ende März, auf dem Weg zum (ersten?) Höhepunkt der Corona-Infektionen in Deutschland, erregte etwa die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop Aufsehen mit ihrer Warnung vor einem "Retrokatholizismus", der, wie sie meinte, "fröhliche Urständ feiert", und äußerte in diesem Zusammenhang Zweifel, ob "ein täglicher Blasiussegen, Einzelkommunionen außerhalb der privatim zelebrierten Messe, priesterliche Sakramentsprozessionen durch leere Straßen, die Weihe ganzer Bistümer an das Herz der Gottesmutter, Generalabsolutionen und Ablässe im Jahr 2020 angemessene und tragfähige kirchliche Reaktionen auf die Corona-Krise" seien. Wenn einige Wochen nach einer solchen Wortmeldung bekannt wird, dass das Hauptstadtbistum den Herzen Jesu und Mariens geweiht werden soll, dann sieht das nach einer deutlichen Positionierung aus -- die umso unerwarteter daherkam, als man den Berliner Erzbischof wohl kaum dem konservativen Flügel der deutschen Bischöfe zurechnen kann. Andererseits aber eben auch nicht der radikalen Abrissbirnen-Fraktion im Episkopat. Wie man hört, wurde Erzbischof Koch schon mehrfach zwar nicht direkt inkognito, aber doch in ausgesprochen unauffälliger Gewandung bei der Ewigen Anbetung im "Exerzitienzentrum der göttlichen Barmherzigkeit" in der Kreuzberger Hinterhofkirche St. Clemens gesehen, und in der Ankündigung des Weiheakts hieß es ausdrücklich, es habe "mehrfache Anregung aus den Reihen der Gläubigen" gegeben, das Erzbistum angesichts der Corona-Krise den Herzen Jesu und Mariens zu weihen. Mir scheint, mit einem Bischof, der betet und zuweilen auf einfache Gläubige hört, haben es die Katholiken Berlins, Brandenburgs und Vorpommerns nicht ganz schlecht getroffen. Dass ein solcher Hirte sich im "institutionellen Apparat" seiner Diözese nicht nur Freunde macht, ist allerdings auch kein Wunder. So bedarf es keiner großen Kaffeesatzleserei, um zu konstatieren, dass die Idee, das Erzbistum Berlin dem Heiligsten Herzen Jesu und dem Unbefleckten Herzen Mariens zu weihen, im amtskirchlichen Establishment nicht unbedingt auf ungeteilte Begeisterung stieß. Schon zum Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu am 19. Juni, an dem das Weihe-Vorhaben des Erzbischofs öffentlich bekannt gegeben wurde (intern war es schon etwas länger bekannt, ich zum Beispiel habe am 17. Juni davon erfahren), gab es einige Wortmeldungen, die man durchaus als schlecht verhohlene Stänkerei auffassen konnte; exemplarisch sei hier auf einen Podcast des aus Funk und Fernsehen bekannten Dominikanerpaters Max Cappabianca mit der vielsagenden Überschrift „Ist das Herz-Jesu-Fest peinlich?“ verwiesen. Wie man sich vorstellen kann, kriegt der medienaffine Pater gegen Ende dieses Beitrags noch die Kurve, um die in der Überschrift gestellte Frage sinngemäß mit "nicht unbedingt" zu beantworten, aber bis dahin feuert er erst einmal allerlei negative "Buzzwords" ab, die sich dem Hörer besser einprägen (und wohl auch sollen) als die nachfolgenden Relativierungen: Von "toxischen Formen des Katholizismus" ist da die Rede, die "mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil überwunden" worden seien: "Kitschig, süßlich und von einem zweifelhaften Gottesbild geprägt". Irgendwie lustig finde ich ja das Eingeständnis, es seien "gerade ältere Katholiken", die mit der Herz-Jesu-Verehrung "nichts anfangen" können. Merken wir uns das mal für später. --
Die Strategie, sich zunächst einmal nach Kräften von der traditionellen Herz-Jesu-Frömmigkeit zu distanzieren, um dann mit einer auf erstaunliche Weise zugleich verkopft und banal wirkenden Neuinterpretation um die Ecke zu kommen, die die Herz-Jesu-Verehrung für den modernen, aufgeklärten Katholiken von heute wieder akzeptabel machen soll, zeichnete jedenfalls nicht allein Pater Cappabiancas Beitrag aus. Sogar die offiziellen Verlautbarungen des Erzbistums, einschließlich einer im RBB ausgestrahlten Radioansprache von Erzbischof Koch selbst, wirkten defensiv, ja vorauseilend entschuldigend: "Es geht nicht um das Heraufbeschwören einer magischen Weltsicht. Schon gar nicht darum, das Virus mit Gebet anstelle von Hygienemaßnahmen zu bekämpfen." #Sorrynotsorry, aber das ist ganz schlechte Pressearbeit. Wenn ich in meiner Zeit als Kundenberater bei einem Teleshopping-Kanal eines gelernt habe, dann, dass man Vorwürfe oder Verdächtigungen, die man unausgesprochen in der Luft liegend wähnt, keinesfalls selbst anspricht, auch nicht verneinend. Denn ähnlich wie im oben angesprochenen Podcast gilt auch hier: Die Verneinung bleibt im Bewusstsein des Adressaten nicht hängen, der ausgesprochene Vorwurf bzw. Verdacht aber sehr wohl. -- Auch sonst machte die Öffentlichkeitsarbeit des Erzbistums über Wochen hinweg eher den Eindruck, das Thema Herz-Jesu-Weihe nach Möglichkeit lieber totschweigen zu wollen. Es wurde zwar angeregt, die Weihe auf Pfarreiebene durch eigene Veranstaltungen "mitzufeiern", aber die versprochenen Materialien hierfür wurden erst ziemlich auf den letzten Drücker bereitgestellt und können beim besten Willen nicht gerade als großer Wurf bezeichnet werden.
Nachdem die Weihe des Erzbistums Berlin an das Heiligste Herz Jesu und das Unbefleckte Herz Mariens nun aber trotz allem stattgefunden hat, legt häretisch.de, die hoch subventionierte Schismatikerpostille, noch einmal nach und veröffentlicht in der Rubrik "Standpunkt" einen Beitrag von Birgit Aschmann - ihres Zeichens Geschichtsprofessorin an der Humboldt-Uni und Mitglied im "ZdK" -, die sich bereits in der Überschrift "irritiert" über den Weiheakt zeigt. Frau Prof. Aschmann verweist auf die Geschichte des Herzens Jesu als "Kampfsymbol" der "Ultras unter den Royalisten und Katholiken", mit dem die "katholische Aufklärung [...] nichts anfangen konnte", das jedoch "auch im Ersten Weltkrieg" noch "eine wichtige Rolle" spielte: "versprach dessen Verehrung doch Sieg, Unversehrtheit oder zumindest einen würdigen Tod" -- Versprechen, von denen die Verfasserin meint, dass sie "unerfüllt blieben".
Man kann häretisch.de für die Veröffentlichung dieses dümmlichen Elaborats im Grunde nur dankbar sein; besonders den letzten Satz - "Wenn wir aber nur die Kultformen einer fremd gewordenen Vergangenheit reaktivieren, steht es nicht gut um die Zukunftsfähigkeit der Kirche" - feiere ich ohne Ende ab, denn der erscheint mir geradezu als eine Art rückwirkende Steilvorlage für meinen unlängst in der Tagespost erschienenen Essay "Futur 2 - Die Zukunft ist schon vorbei", in dem ich mich mit den tieferen Beweggründen der "Retrokatholizismus"-Debatte befasst habe. Darin argumentiere ich, dass den (ihrem Selbstverständnis nach) "progressiven" Kreisen innerhalb der Kirche im Zuge der Corona-Krise der Glaube an die "Zukunftsfähigkeit" ihres eigenen Kirchenbildes - der Vision einer Kirche "als Anbieterin individuell bedarfsgerechter spiritueller Dienstleistungen", einer "moralistisch-therapeutische[n] Wellness-Spiritualität für Besserverdienende, eine[r] Kirche für die Soja-Latte-Bourgeoisie" - abhanden gekommen ist, und zwar zu Recht, weil sich immer deutlicher zeigt, dass die angepeilte Zielgruppe solcher Visionen "für ihre spirituellen Bedürfnisse, sofern sie überhaupt welche hat, schlichtweg keine institutionelle Kirche braucht". Und vor diesem Hintergrund des eigenen "Relevanzverlusts" reagieren die vermeintlich "zukunftsorientierten" Vertreter des Funktionärs- und Gremienkatholizismus so irritiert und aggressiv auf die unerwartete Vitalität einer längst totgesagten traditionellen Frömmigkeit.
Wie ich in meinem Tagespost-Essay ebenfalls betont habe, wäre die Kritik am sogenannten "Retrokatholizismus" durchaus ernst zu nehmen, wenn und sofern sie als Warnung vor einem musealen Ästhetizismus, einem in Nostalgie erstarrten frommen Formalismus zu verstehen wäre. Im größeren Kontext aktueller "Reform"-Debatten in der Kirche ist aber recht unschwer zu erkennen, dass es darum letztlich nicht (oder höchstens nebenbei) geht. Schließlich wird aus derselben Richtung beispielsweise gegen die Praxis der Eucharistischen Anbetung auch und gerade dann polemisiert, wenn diese, wie etwa beim Nightfever, in einer Ästhetik daherkommt, die besonders Jugendliche und junge Erwachsene anspricht; und auch an der von großer stilistischer und konfessioneller Vielfalt geprägten Initiative "Deutschland betet gemeinsam" ließen einschlägig interessierte Kreise kein gutes Haar. Im Fokus der Kritik stehen nicht traditionelle und als "unzeitgemäß" empfundene Frömmigkeitsformen, sondern vielmehr das Gottesbild, das aus ihnen spricht. Wenn etwa Julia Knop im Zuge ihrer "Retrokatholizismus"-Polemik erklärt, "die Frage, ob Gott auf den krummen Zeilen dieser Monate am Ende wirklich gerade schreiben wird", ob also die Ereignisse im Zusammenhang mit der Corona-Krise "irgendeinen höheren Sinn hatten", müsse "offen bleiben", dann erscheint es durchaus folgerichtig, dass sie uneindeutige und zudem "deinstitutionalisierte und überkonfessionelle" Zeichen wie eine "Kerze im Fenster" bevorzugt. Ähnlich verhält es sich, wenn Frau Prof. Aschmann die "Bemühungen von Maria 2.0 um ein neues Marien- und Frauenbild" würdigt und folgerichtig an "Gebete[n] zum 'unbefleckten Herzen Mariens'" - man beachte die distanzierenden Gänsefüßchen! - Anstoß nimmt.
Zugespitzt ausgedrückt verrät die Polemik gegen den "Retrokatholizismus" also letztlich nur das tiefe Unbehagen jener kirchlichen Apparatschiks, in deren Denken Gott bestenfalls als gedankliches Konstrukt vorkommt - als Metapher, als Personifikation irgendwelcher "Werte" oder "Haltungen", für die die Institution Kirche steht oder stehen sollte - gegenüber Gläubigen, die von oder womöglich sogar mit Gott sprechen, als gäbe es Ihn wirklich. Zum Teil mag dieses Unbehagen daher rühren, dass diese Leute den Gläubigen ihren Glauben, der ihnen selbst so zutiefst fremd ist, schlichtweg nicht abkaufen und daher argwöhnen, es müssten sich irgendwelche finsteren Absichten dahinter verbergen. Zum Teil mag es sich um die ehrliche Überzeugung handeln, ein solcher "unaufgeklärter", "fundamentalistischer" Glaube schade der Kirche und stehe ihrer eigentlichen Aufgabe im Wege (welche das auch immer sein mag; Immobilien verwalten vielleicht?). Aber meine persönliche Einschätzung ist, dass sich zuunterst, mehr oder weniger schlecht verborgen unter rational und intellektuell klingen sollenden Positionierungen, die nackte Angst regt, dass die geschmähten "Fundis" und "Retrokatholiken" Recht haben könnten. Dass es diesen Gott, den sich die liberale Theologie glücklich vom Hals geschafft zu haben wähnte, am Ende doch gibt. Häme ist hier wohlgemerkt unangebracht: Diese Angst ist nur allzu berechtigt. Horrendum est incidere in manus Dei viventis, heißt es in Hebräer 10,31: Furchtbar ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.