Was bisher geschah: Die erste Hälfte der zurückliegenden Woche war ich nahezu ausschließlich damit beschäftigt, mich um das Kind zu kümmern, da meine Liebste zusätzlich zu ihrer regulären Arbeitszeit noch eine Konferenz (am Montag) und eine Kollegiums-Weihnachtsfeier (am Dienstag) hatte. Die meiste Zeit über vertrugen mein Töchterlein und ich uns zwar gut, aber am Ende war ich doch ziemlich geschlaucht. Am Donnerstagnachmittag gelang es mir aber immerhin,
einen Beitrag für das Wochenmagazin auf Radio Horeb zu schreiben und aufzuzeichnen. Am Freitag ließ dann unser lieber Pfarrer eine Bombe platzen: In einer Mail an die Mitglieder des Pfarrgemeinderats teilte er mit, er habe "erfahren, dass entgegen meiner ausdrücklichen Bitte, unsere PGR-Sitzung NICHT in den sozialen Medien zu thematisieren, dieses doch geschehen ist". Daher werde er, "wie für diesen Fall angekündigt, an der für den 2.3.2020 geplanten Sitzung nicht teilnehmen." Na, wenn er meint. Einige andere Ratsmitglieder reagierten jedoch arg aufgescheucht, und nun soll es in der ersten Januarhälfte eine außerordentliche Sitzung des Pfarrgemeinderats geben. Bislang noch völlig ungeklärt ist derweil,
was eigentlich über die Sitzung von neulich veröffentlicht wurde, geschweige denn
wo und von
wem. Oder sollte etwa
meine "Kaffee & Laudes"-Folge von voriger Woche gemeint sein? In der ausdrücklich
keine Einzelheiten über den Inhalt der Sitzung verraten wurden? Na, wenn
das der Grund der ganzen Aufregung sein sollte, dann kann ich es immerhin als Erfolg verbuchen, erreicht zu haben, dass der Pfarrgemeinderat sich öfter trifft als alle 2-3 Monate.
Sehr aufmunternd war es, dass am Samstag eine seit Jahren auf vielerlei Weise in der Pfarrgemeinde aktive Frau meiner Liebsten und mir ein kleines Weihnachtspräsent zukommen ließ, garniert mit einem außerordentlich netten Brief, der auch sehr anerkennende Worte über unser Engagement in der Gemeinde enthielt. Ebenfalls sehr schön war der
Krabbelbrunch, der diesmal so gut besucht war wie zuvor nur selten. Am Sonntag folgte dann der
Büchertreff mit einem Vortrag von Kollegin Claudia über die
"Kulturgeschichte des Weihnachtsbaums", und auch hier kam eine ansehnliche und ausgesprochen fröhliche Runde zusammen. Anschließend holten wir dann gleich noch den am vorigen Wochenende wegen des schlechten Wetters verschobenen Regaltransport nach, sodass das
"Bücherparadies Herz Jesu Tegel" ab sofort über ein zwar nicht rund um die Uhr, aber immerhin täglich von ca. 9-18 Uhr frei zugängliches Büchertauschregal verfügt! Am Nachmittag räumte ich eine Auswahl von gut 100 Büchern in dieses Regal,
registrierte es bei openbookcase.org und
wies auch via Facebook darauf hin. In der
Facebook-Gruppe
"Leben in Tegel" wurde der betreffende Post bis gestern Abend bereits über 500 mal gesehen und hat neun
"Likes" eingeheimst. Insgesamt war das gefürchtete Hammer-Wochenende also ein voller Erfolg, und meine Liebste denkt bereits darüber nach,
Krabbelbrunch und
Büchertreff zukünftig
immer am selben Wochenende zu veranstalten...
Was ansteht: Augenblicklich befinde ich mich mit Frau und Kind im Zug auf der Reise nach Nordenham, wo wir die Weihnachtstage verbringen wollen. Am Heiligabend, also morgen, ist
in der St.-Willehad-Kirche um 22 Uhr Christmette; das ist wohl ein Muss, und wenn das dazu führt, dass mir die Zustände in "meiner" Pfarrei in Tegel in einem vergleichsweise rosigen Licht erscheinen, dann hat es sich ja allein dafür schon gelohnt. Am Weihnachtstag ist um 10:30 Uhr Messe; um 14:30 Uhr folgt aber eine weitere in polnischer Sprache, und ich könnte mir vorstellen, dass es auch ohne nennenswerte Polnischkenntsse ratsam sein könnte, lieber
da hinzugehen. Aber das wird auch davon abhängen, auf welche Uhrzeit das Festessen im Familienkreis angesetzt ist; das habe ich mir typischerweise nicht gemerkt. Das Fest des Hl. Stephanus am Donnerstag wird nur in der kleinen Kirche Herz Mariae in Burhave gefeiert, an der ich,
wie erwähnt, aus biographischen Gründen besonders hänge; es gibt einen
Shuttle-Service dorthin, mal sehen, ob wir den nutzen können und wollen. Am Freitag geht es zurück nach Berlin; besondere Termine stehen da aber, soweit ich es zum jetzigen Zeitpunkt überblicke, bis zum Ende des Kalenderjahres erst mal nicht an.
aktuelle Lektüre:
Nachdem mich, wie vorige Woche geschildert, das zweite Kapitel des Romans nicht ganz so sehr begeistert hat, lässt das dritte - das den Leser mittels eines Zeitsprungs über drei Wochen mitten in die Wildnis versetzt - von der Lektion in Sachen Fährtenlesen, die Old Shatterhand seinem unerfahrenen Begleiter Hermann Rost erteilt, über das Beschleichen und Belauschen der Feinde und das überraschende und im besten Sinne anrührende Wiedersehen mit Jugendfreund Carpio bis hin zur Gefangennahme durch feindliche Indianer keine Leserwünsche offen. Einige #BenOp-relevante Details gibt es ebenfalls, und bemerkenswerterweise ist es in erster Linie Carpio, der diese beisteuert; mehr dazu im Gesamtfazit.
- Sr. M. Lucia OCD (Hg.): Umkehr - Heiligung - Freude in Gott
Es bleibt bei dem zwiespältigen Eindruck von sehr guten Einzelpassagen und einem äußerst mangelhaften Gesamtkonzept. Unter den zum Thema
Beichte zusammengetragenen Exzerpten finden sich sehr interessante Auszüge etwa aus Eugen Walters
"Quellen lebendigen Wassers" (1953) und
"Deine Sünden sind dir vergeben" (1961), aus
"Beichten heute" (1964) von P. Anciaux und R. Blomme,
"Botschaft vom Wege" (1962) von René Voillaume und aus mehreren Werken von Adrienne von Speyr, aber beispielsweise auch ein lediglich mit Initialen unterzeichneter Leserbrief aus dem
"Ulrichsblatt" -- und übrigens auch ein Zitat von Martin Luther, dieses übrigens zitiert nach Schmaus'
"Katholischer Dogmatik". Man kann da wohl mit einigem Recht eine gewissermaßen auftrumpfende Absicht unterstellen ("Seht her, Luther war viel katholischer, als die, die sich heutzutage auf ihn berufen, es wahrhaben wollen!"), aber irgendwie doof finde ich das doch. Insgesamt fällt es mir schwer, die editorische Leistung der Herausgeberin unironisch als eine solche anzuerkennen. Auf S. 163 beginnt der dritte Hauptabschnitt,
"Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung", der auf die in der Konstitution
"Lumen Gentium" des II. Vatikanischen Konzils hervorgehobene Berufung aller Christgläubigen zur Heiligkeit abzielt. Das ist ein Thema, das in Sachen
#BenOp-Relevanz noch einmal einen Sprung nach vorn mit sich bringen könnte, und die in diesem Abschnitt zitierten Äußerungen der Päpste Johannes XXIII. und Paul VI., aber auch der Hl. Thérèse von Lisieux gehen durchaus in diese Richtung, aber es stimmt mich eher misstrauisch, dass gerade dieser Abschnitt so
kurz ist. Warten wir's also mal ab.
- Norbert Baumert (Hg.): Jesus ist der Herr
Die dritte Leseetappe hat sich als recht abwechslungsreich (und damit auch als qualitativ recht durchwachsen) erwiesen. Der Vortrag von Bischof Marcus war im Ganzen gar nicht so überschwänglich, wie es mir anfänglich schien; er wirft hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Charismatischer Bewegung und institutioneller Kirche durchaus interessante Fragen auf, ohne allerdings überzeugende Antworten darauf zu geben. Der nur knapp sechs Seiten lange Beitrag von P. Fio Mascarenhas SJ, von 1978-85 Leiter des Internationalen Büros für katholische Charismatische Erneuerung in Rom und anschließend Vorsitzender des Internationalen Rates, hat mir, um es kurz zu machen,
nicht gefallen. Der Text erschien erstmals 1984 im internationalen Newsletter der Charismatischen Erneuerung und ist wohl am ehesten als eine Selbstdarstellung dieser Bewegung zu bezeichnen, ist für meinen Geschmack aber erheblich zu pathetisch und propagandistisch geraten. Kostprobe gefällig?
"Beobachtern der Charismatischen Erneuerung entgeht manchmal dieser weitgespannte Glaubens-Zusammenhang. Wenn sie eine bezeichnende Auswirkung der Erneuerung sehen, schließen sie leicht, das sei alles. Manche halten Sie beispielsweise für eine Gebets-Bewegung. Obwohl die ständige Vermehrung der Gebetsgruppen ein wichtiger und deutlich sichtbarer Aspekt ist, ist die Charismatische Erneuerung nicht nur eine Gebets-Bewegung. Sie ist auch keine Charismen-Bewegung, obwohl Prophetengabe, Sprachengebet und Heilungsgaben in reicher Fülle in ihr zu finden sind. Die Eucharistie, die anderen Sakramente und das Stundengebet haben eine neue Wertschätzung gefunden, aber die Charismatische Erneuerung ist nicht die Liturgische Bewegung. Die echt biblische Frömmigkeit in der Erneuerung und durch sie ist ohne Parallele, und dennoch ist sie keine Bibel-Bewegung. Die Jugend wird auffallend von ihr angezogen, aber sie ist keine Jugend-Bewegung. Sie ist auch keine ausschließliche Laienbewegung, wenngleich die Laien in ihr tragend sind. Sie ist keine Gemeinschafts-Bewegung, obwohl sehr große und lebendige Gemeinschaften aus ihr hervorgehen. Sie hat bemerkenswerte ökumenische Durchbrüche gesehen, aber sie ist nicht die Ökumenische Bewegung. Zahlreiche Initiativen zur Evangelisierung entspringen ihr, aber sie ist keine Evangelisations-Bewegung. Sie ist keine Jesus-Bewegung, obwohl sie ständig wiederholt: 'Jesus ist der Herr!'. Und sie ist keine Heilig-Geist-Bewegung, wenngleich der Geist die Quelle all dessen ist." (S. 108)
Ach so? Und was ist sie denn
dann? Mascarenhas verrät's auf S. 109: "Sie ist praktisch all dieses, weil sie vor allem eine Glaubensbewegung ist." Na toll.
#Sorrynotsorry, aber mir scheint, so könnte auch ein kommunistischer oder faschistischer Agitator über
seine "Bewegung" sprechen. Es folgen zwei Vorträge zweier deutscher Bischöfe (und späterer Kardinäle), die sich in einem breiteren Sinne mit dem Phänomen
Neuer geistlicher Bewegungen befassen -- was prinzipiell durchaus in meinem Sinne ist, da mein Interesse an den in diesem Buch verhandelten Fragen ja gar nicht unbedingt
spezifisch der
Charismatischen Erneuerung gilt. Was dabei nicht ausbleiben kann, ist der Umstand, dass vieles von dem, was in den früheren Einzelbeiträgen des Bandes über die Charismatische Erneuerung gesagt wurde, nun in Bezug auf das Gesamtphänomen "Neue geistliche Bewegungen" noch einmal wiederholt wird.
Mein Eindruck vom Vortrag des späteren Kardinals Lehmann beim
"Tag der neuen geistlichen Bewegungen" am 20.09.1986 in Mainz (S. 113-127) ist zwiespältig. An und für sich finde ich vieles von dem, was er sagt, richtig und gut, aber ich
traue dem Mann einfach nicht. Und liest man den Text mit einer solchen "Hermeneutik des Misstrauens", kann man beispielsweise feststellen, dass Lehmanns im Prinzip durchaus berechtigte Warnungen vor möglichen "Gefährdungen" auch als Vorwand genutzt werden können, im neu entstehende Bewegungen zu verdächtigen, zu marginalisieren und/oder im Keim zu ersticken. -- Dem jetzigen Kardinal Cordes gegenüber bin ich erheblich weniger misstrauisch, allerdings bin ich bei seinem Vortrag
"Neue geistliche Bewegungen in der Kirche", gehalten auf der Konferenz der Dechanten des Erzbistums Köln vom 26.-28.11.1984 (S. 128-149), noch nicht über die Einleitung hinausgekommen. Einleitend erklärt er, dass er als Beispiele für neue geistliche Gemeinschaften vorzugsweise die
Fokolarbewegung,
"Comunione e Liberazione" und den
Neokatechumenalen Weg heranzuziehen gedenkt. Von diesen dreien kenne ich
C&L bislang am wenigsten, allerdings wird diese Gemeinschaft in Kapitel 8 der
Benedikt-Option erwähnt, eher knapp, aber durchaus positiv.
Meine bislang einzige persönliche Begegnung mit den Focolari hat mich nicht sonderlich umgehauen, und mein Eindruck vom Neokatechumenalen Weg, der sich anschickt, mittels des aus seinem Priesterseminar in Berlin-Biesdorf hervorgehenden Priesternachwuchses langsam aber sicher das ganze Erzbistum Berlin zu übernehmen, ist ebenfalls eher zwiespältig; wobei ich allerdings sagen muss, dass die an dem besagten Seminar ausgebildeten jungen Priester, die ich bisher kennengelernt habe, durchweg gute Leute zu sein scheinen. Na, jetzt bin ich jedenfalls mal gespannt, was Bischof Cordes zu diesen Gruppierungen zu sagen hat.
- Carlo Carretto: Wir sind Kirche
Im dritten Viertel dieses Buches geht es schwerpunktmäßig um Elternschaft und Kindererziehung, und wie man sich vorstellen kann, gibt's da für den Menschen von heute wieder einiges zu schlucken. So vor allem, als Carretto unter dem Stichwort
"Erziehung zur Demut" missbilligend ein Szenario schildert, in dem ein Kind dank der Nachgiebigkeit und Inkonsequenz seiner Eltern effektiv für unfolgsames Verhalten
belohnt wird, was er mit den Worten kommentiert: "Vielleicht hätte das Kleine nach einer kräftigen Ohrfeige auch geweint, aber wenigstens nicht ohne Grund" (S. 83).
#Aufschrei! Ich fühlte mich spontan an die Reaktionen auf eine Ansprache von Papst Franziskus erinnert, in der dieser darüber sinnierte,
wie man seine Kinder schlagen und dabei trotzdem ihre Würde achten könne. Carretto setzt auf der nächsten Seite direkt noch einen drauf, indem er aus dem Buch
Jesus Sirach (30,1-13) zitiert: "Wer seinen Sohn liebt, hält den Stock für ihn bereit..." Im Gesamtzusammenhang wird zwar deutlich, dass Carretto durchaus nicht die Absicht hat, einer zünftigen Prügelpädagogik das Wort zu reden, aber es bleibt festzustellen, dass
ich im Umgang mit meiner Tochter nicht ganz so streng bin, wie Carretto es Eltern empfiehlt, und meine Liebste noch weniger. Aber ich schätze, man kann das Buch immer noch klasse finden, wenn man nicht mit allen Einzelheiten einverstanden ist. -- Im Abschnitt
"Erziehung zur Reinheit" stellt Carretto die Forderung auf, Eltern müssten die ersten Sexualerzieher ihrer Kinder sein; darin ist er sich bemerkenswerterweise sowohl mit Papst Franziskus'
"Amoris Laetitia" als auch mit Rod Drehers
"Benedikt-Option" einig, aber damals, 1966, war diese Auffassung zweifellos revolutionär. Am meisten begeistert hat mich indes der Abschnitt
"Erziehung zum Apostolat"; ich habe daraus
in meinem jüngsten Wochenkommentar auf Radio Horeb zitiert.
- Herbert Scurla (Hg.): Auf Kreuzfahrt durch die Südsee
Auf den Reisebericht Georg Forsters folgt derjenige
Georg Heinrich von Langsdorffs; Langsdorff bereiste die Südsee rund 30 Jahre später als Forster und, nebenbei bemerkt, rund zehn Jahre nach Forsters Tod, aber wir werden nicht zum letzten Mal von diesem Herrn gehört haben: Ein Blick in das Personenregister von
Georg Friedrich Rebmanns "Ideen über Revolutionen in Deutschland", die ich in Kürze zu lesen beabsichtige, hat mich darüber informiert, dass Rebmann Forster, der ihm in seinen politischen Ansichten wohl recht nahe stand, mehrfach erwähnt. Langsdorff hingegen scheint hauptsächlich
deshalb Aufnahme in Scurlas Sammlung von Südsee-Reiseberichten gefunden haben, weil es sich bei der Expedition, an der er als Naturforscher teilnahm, um die erste russische Weltumsegelung handelte, und den Errungenschaften des Großen Bruders Respekt zu zollen, wurde in der DDR ja sehr groß geschrieben. Folgerichtig konzentriert sich der Herausgeber in seiner "Vorbemerkung" zum Langsdorff-Teil des Buches auch weit mehr auf die geopolitischen und ökonomischen Interessen Russlands, denen die Ausrüstung von Entdeckungsreisen nützen sollte, als auf die Person Langsdorffs. Anhand seiner eigenen Äußerungen wirkt Langsdorff auf mich erheblich unsympathischer als Forster; insbesondere scheint er weit weniger als dieser an einer fairen und vorurteilsfreien Beurteilung der "Wilden" interessiert. (Dass eine solche auch Forster nicht wirklich gelang, weil er eben
auch nicht aus der Haut des "aufgeklärten" mitteleuropäischen Bildungsbürgers hinaus konnte, steht auf einem anderen Blatt). In seinem Bericht über den Aufenthalt auf der Marquesas-Insel Nukahiwa (
Nuku Hiva) interessiert sich Langsdorff vor allem für die sexuellen Sitten der Eingeborenen, für Tätowierungen und für das Konzept
"Tabu"; gerade letzteres ist durchaus interessant, und es ist bezeichnend für Langsdorffs aufklärerische Prägung, dass er sich bemüht, sich rationale Erklärungen für die diversen Tabus zurechtzulegen, die er aufzählt. (Knapp 40 Jahre später war übrigens
Herman Melville auf Nuku Hiva und wurde durch seine dortigen Erlebnisse zu seinem ersten Roman
Typee angeregt, aber das erwähnt der Herausgeber bezeichnenderweise
nicht.) Es folgt noch ein gut zehnseitiger Bericht über die Weiterreise nach Hawaii (damals
"Sandwich-Inseln" genannt) und von dort nach Kamtschatka; dieser ist allerdings wenig interessant, zumal Langsdorff, wie er unumwunden zugibt, die Hawaii-Inseln gar nicht betreten hat und nur nach dem Hörensagen schildert. Der wahrscheinlichste Grund dafür, dass dieses Kapitel in das Buch aufgenommen wurde, ist die sehr wohlwollende Schilderung der russischen Hafenstadt St. Peter und Paul (=
Petropawlowsk) auf der Halbinsel Kamtschatka; wie gesagt: Bruderland und so.
Wesentlich interessanter wird's mit
Chamisso. Natürlich legt der Herausgeber in seiner "Vorbemerkung" - die mit achteinhalb Seiten ein gutes Stück länger ist als diejenigen zu den anderen Autoren - Wert darauf, ihm einen "Wandlungsprozeß vom Sprößling des französischen Hochadels zum fortschrittlich-liberal gesinnten deutschen Bürger" (S. 312) zu attestieren; was soll er auch anderes machen? Übrigens absolvierte auch Chamisso seine Weltumsegelung als Teilnehmer einer russischen Expedition, rund 12 Jahre nach derjenigen, an der Langsdorff teilgenommen hatte.
Chamisso selbst wird den Erwartungen, die ich an ihn hatte, zwar insofern durchaus gerecht, als sein Text unterhaltsam zu lesen und nicht selten ausgesprochen witzig ist. Inhaltlich wäre allerdings zu kritisieren, dass der Romantiker Chamisso noch mehr als der Aufklärer Forster dem vulgärrousseauistischen Konstrukt des "Edlen Wilden" aufsitzt und beispielsweise die sexuelle Freizügigkeit der Hawaiianer als "reine unverderbte Sitten" (S. 332) lobt: "[D]ie Keuschheit ist nur nach unseren Satzungen eine Tugend" (S. 331). Folgerichtig urteilt er recht entschieden negativ über die christliche Missionierung der Südseevölker: "Auf O-Taheiti, auf O-Waihi verhüllen Missionshemden die schönen Leiber, alles Kunstspiel verstummt, und der Tabu des Sabbats senkt sich still und traurig über die Kinder der Freude" (S. 340f.). -- Die Annahme, Chamisso könne die Aussichten des Buches auf ein Minimum an
#BenOp-Relevanz verbessern, erweist sich somit als krasse Fehleinschätzung; im Gegenteil sehe ich mich jetzt sogar veranlasst, die Eignung des Buches für die Pfarrbücherei in Frage zu stellen. -- Besonders im Bericht über den Aufenthalt auf der
Ratak-Inselgruppe (die Chamisso "Radak" schreibt) macht es sich zuweilen etwas tragikomisch bemerkbar, dass die von der Ideologie der Aufklärung geprägten Entdecker noch keine Ahnung von der
Ersten Direktive der Sternenflotte hatten, die es verbietet, in die Entwicklung fremder Zivilisationen einzugreifen. So unternehmen die Russen allerlei Versuche, die Ernährungsmöglichkeiten der recht kümmerlich lebenden Ratak-Insulaner zu verbessern, aber charakteristischerweise schlagen diese Maßnahmen größtenteils fehl. So meint Kapitän von Kotzebue beispielsweise, die auffallend große Rattenpopulation eindämmen zu können, indem er Katzen auf den Inseln aussetzt; aber ach, "auf seiner zweiten Reise im Jahre 1824 fand er sie" - also die Katzen - "verwildert und vermehrt, ohne daß die Anzahl der Ratten abgenommen" (S. 359).
Mehr als die Hälfte von Chamissos Bericht habe ich allerdings noch vor mir; von dem dann noch folgenden Reisebericht
Ferdinand von Hochstetters verspreche ich mir
überhaupt nichts, ohne für diese Einschätzung einen besonderen Grund angeben zu können.
- Patrick Heiser/Christian Kurrat (Hg.): Pilgern gestern und heute
Der den Hauptteil des Bandes einleitende Beitrag des Mitherausgebers Heiser,
"Lebenswelt Camino. Eine einführende Einordnung" (S. 113-137), ist, wie es in
"Per Anhalter durch die Galaxis" heißt,
"größtenteils harmlos". Der Autor schreibt seinem Text die gänzlich außerwissenschaftliche Nebenabsicht zu, "durchaus auch Lust [zu] machen, sich selbst auf Pilgerschaft zu begeben und diese Lebenswelt zu erfahren" (S. 114); ich halte es für durchaus möglich, dass dieses Ziel bei manchem Leser erreicht wird. Nicht alles, was Heiser beschreibt, deckt sich mit meinen persönlichen Erfahrungen, ich finde aber kaum etwas, was ich definitiv als
falsch bezeichnen würde. Auffällig - im negativen Sinne - ist Heisers geringes Interesse an dem, was er "institutionalisierte Religiosität" (S. 120) nennt -- womit er beispielsweise gemeinsame Gebete, Pilgermessen oder Pilgersegen versteht; er meint, eine "substanziell -- also von einem transzendenten heiligen Fixpunkt her" verstandene Religion stelle "eine bloße 'institutionelle Kulisse' einer ansonsten allenfalls spirituellen individuellen Praxis" dar (S. 134); ich würde mal sagen das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie der Blickwinkel des Forschers die Ergebnisse seiner Forschungen determiniert -- ähnlich wie ein Zauberkünstler auch nur
das Kaninchen aus dem Hut hervorziehen kann, das er vorher
selbst hineingetan hat. Nicht weniger nervig ist es, dass der Autor im Abschnitt
"Vergemeinschaftung" (ab S. 127) relativ unspektakuläre Beobachtungen über spezifische Formen sozialer Interaktion auf dem Jakobsweg in einen überkandidelten Soziologenjargon kleidet, um sie bedeutender erscheinen zu lassen. Oder vielleicht ist es auch einfach eine Form von professioneller Deformation.
Über den Beitrag
"Spiritueller Tourismus auf dem Jakobsweg. Zwischen Sinnsuche und Kommerz" von Julia Reuter und Veronika Graf (S. 139-160) braucht man nicht viele Worte zu verlieren, er besteht größtenteils aus heißer Luft. Es folgt der vom
anderen Mitherausgeber Christian Kurrat verfasste längste Einzelbeitrag des Bandes,
"Biographische Bedeutung und Rituale des Pilgerns" (S. 161-191). Der Verfasser ist so freundlich, seine zentrale These schon ziemlich am Anfang, nämlich auf S. 164, zu formulieren: "Pilgern ist ein biographisches Programm." Ja und? Langweilig. Bleibt noch
"'Mein Körper vibriert vor Dankbarkeit'. Leibliche Erfahrung beim Pilgern" von Detlef Lienau (S. 193-220). Dieser Beitrag fällt schon auf der ersten Seite durch seinen extrem hochtrabenden Wissenschaftsjargon auf. Eine Übersetzung in normales Deutsch wäre mal ein interessantes Projekt, na ja, vielleicht auch
nicht. Nach dem Satz "Gegen dieses Schwinden der eigenen Leiblichkeit wird Leibsein als Aufgabe postuliert, um sich selbst zu existieren" (S. 196) habe ich die Lektüre erst mal abgebrochen. Die nach der zweiten Leseetappe geäußerte Einschätzung, der empirische Teil des Bandes dürfte der interessanteste werden, hat sich jedenfalls als extrem irrig erwiesen: Gerade dieser Teil ist vollkommen überflüssig, die reinste Zeitverschwendung.
Linktipps:
Der Theologe Johann Baptist Metz ist im Alter von 91 Jahren verstorben, und das gemeinhin als "linkskatholisch" verortete Magazin Commonweal widmet ihm einen Nachruf, dessen Überschrift auffallend mit dem Titel des bislang einzigen Buches korrespondiert, das ich von Metz gelesen habe: "Jenseits bürgerlicher Religion". Und tatsächlich spiegelt der Nachruf recht gut wider, was mir - trotz eines nicht ganz geringen Ausmaßes an inhaltlicher Nicht-Übereinstimmung - an dem besagten Buch so gut gefallen hat. Es sei, so schreibt Bauerschmidt, schon deshalb problematisch, Metz ins Lager der "fortschrittlichen" Theologen einzuordnen, weil er der Idee des Fortschritts prinzipiell skeptisch gegenübergestanden habe; und überhaupt könne man Metz letztlich nicht einem bestimmten "Lager" zuordnen, da er an Lagerbildung nicht interessiert gewesen sei.
Es ist noch nicht lange her, dass ich hier auf eine Debatte zwischen Johannes Hartl und Rolf Krüger über Pornographie
eingegangen bin: Hartl hatte auf
Facebook geäußert, Pornokonsum mache
schwach, süchtig und impotent, und Krüger hatte vehement widersprochen. Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung erscheint es mir umso interessanter, was Pascal-Emmanuel Gobry an aktuellen neurobiologischen Forschungsergebnissen bezüglich der Frage referiert, wie Pornokonsum sich auf das menschliche Gehirn auswirkt. Und siehe da: Insbesondere Online-Pornographie macht nicht nur tatsächlich ähnlich schnell und massiv süchtig wie beispielsweise Nikotin, sondern hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Sexualität, die Beziehungen und die geistige Gesundheit der Konsumenten. Gobry kommt zu dem Schluss, Online-Pornographiesucht sei gegenwärtig das
größte gesellschaftliche Gesundheitsproblem der westlichen Welt, und gerade das kollektive Leugnen dieses Problems sei charakteristisch für Suchtverhalten: Genauso habe die Gesellschaft vor Jahrzehnten die Gefahren des Rauchens ignoriert.
Heilige der Woche:
Heute, Montag, 23. Dezember: Hl. Johannes von Krakau (1390-1473), Kanoniker und Pilger. Lehrte Theologie an der Universität von Krakau; pilgerte viermal zu Fuß nach Rom und nach Jerusalem. War bekannt für seine praktizierte Nächstenliebe und stand schon zu Lebzeiten im Ruf der Heiligkeit.
Dienstag, 24. Dezember: Adam und Eva. Normalerweise berücksichtige ich hier nur solche Heiligen-Gedenktage, die für den liturgischen Regionalkalender des deutschen Sprachraums relevant sind, aber für die bemerkenswerte und bedeutsame Tatsache, dass der Gedenktag der Ureltern der Menschheit auf dem Vortag von Weihnachten liegt, muss ich einmal eine Ausnahme machen. Das ist einfach
zu schön. Denken wir in diesem Zusammenhang daran, dass Jesus im
Römer- (5,12-14) und im
1. Korintherbrief (15,20-22) als
"neuer Adam" hervorgehoben wird; analog dazu erscheint Maria in der katholischen Tradition häufig als die
"neue Eva". Schon der Hl. Irenäus von Lyon deutete die Weissagung Gottes an die Schlange nach dem Sündenfall in
Genesis 3,15 (
"Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse") als Ankündigung der Geburt Jesu (
"Protevangelium"); darüber hinaus gibt es in der außerbiblischen Überlieferung allerlei interessante Querverbindungen zwischen der Geschichte Adams und Evas und derjenigen Jesu. So soll Adam auf dem Berg Golgota begraben sein, das Holz des Kreuzes Jesu soll von einem Baum stammen, der aus einem Reis vom Baum des Lebens aus dem Garten Eden gewachsen war. Und wie ich dem oben erwähnten Vortrag von Claudia Sperlich entnommen habe, soll sich der brauchtümliche Weihnachtsbaum aus Darstellungen des Paradiesesbaums in mittelalterlichen Mysterienspielen entwickelt haben. -- Übrigens: Während heutzutage wohl weitgehend auch innerhalb der christlichen Kirchen mehr oder weniger stillschweigend davon ausgegangen wird, Adam und Eva habe es nicht wirklich gegeben und die Sündenfall-Erzählung sei daher nur irgendwie allegorisch oder metaphorisch oder sonstwie -orisch zu verstehen, beharrte Papst Pius XII. noch 1950 in seiner Enzyklika
"Humani Generis" entschieden darauf, dass Adam (Eva erwähnt er nicht explizit) tatsächlich der Urvater der gesamten Menschheit gewesen sei und dass die Erbsünde auf eine tatsächlich von diesem Adam begangene Sünde zurückzuführen sei. Einige interessante Anmerkungen dazu, inwieweit diese Auffassung mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen über die Abstammung des Menschen vereinbar ist, gibt es
hier.
Donnerstag, 26. Dezember: Hl. Stephanus, Archidiakon und Erzmärtyrer. Die wesentliche Quelle zu seinem Leben und Tod sind die
Kapitel 6 und
7 der Apostelgeschichte: Stephanus war einer der sieben von den Aposteln berufenen Diakone der Urkirche in Jerusalem, machte als eindrucksvoller Prediger sowie durch Wundertaten auf sich aufmerksam, wurde nach einer vor dem Hohen Rat der Juden gehaltenen Ansprache der Gotteslästerung bezuchtigt und gesteinigt. Damit war er der erste Christ, der wegen seines Bekenntnisses zum Glauben an Christus getötet wurde, und wird daher als "Erzmärtyrer" verehrt.
Freitag, 27. Dezember: Hl. Johannes, Apostel und Evangelist. Sohn des Zebedäus, eines Fischers am See Gennesaret; wurde gemeinsam mit seinem Bruder Jakobus von Jesus zu einem Seiner ersten Jünger berufen. Nach Meinung von Exegeten war er damals noch ein Jugendlicher. Laut
Johannes 19,26f. war er der einzige Jünger, der Jesus bis unter das Kreuz folgte, und Jesus vertraute ihm die Fürsorge für Seine Mutter Maria an, mit der er der Überlieferung zufolge später in Ephesus lebte. Die kirchliche Tradition betrachtet ihn als den Verfasser des Johannesevangelien und der drei Johannesbriefe, einigen Quellen zufolge auch der Offenbarung des Johannes. Aus dem Anhang zum Johannesevangelium (
Kapitel 21) hat man geschlussfolgert, dass er ein außergewöhnlich hohes Alter erreichte und dass es aus diesem Grund Gerüchte gab, er werde bis zur Wiederkunft Jesu nicht sterben. Diese Vorstellung soll auch auf die Legende vom
"Ewigen Juden" eingewirkt haben. Einige religiöse Splittergruppen lehren tatsächlich bis heute, der Apostel Johannes sei nie gestorben. Traditionell ist sein Festtag
ein Anlass für Weinsegnungen; dies geht auf eine Legende zurück, derzufolge ein Becher vergifteten Weines ungiftig geworden sein soll, nachdem Johannes ein Gebet darüber gesprochen hatte.
Samstag, 28. Dezember: Unschuldige Kinder. An diesem Tag wird der Kinder gedacht, die laut
Matthäus 2,16ff. auf Befehl des Königs Herodes ermordet wurden, weil dieser annahm, der künftige König der Juden, von dessen Geburt die Weisen aus dem Morgenland ihm erzählt hatten, sei unter ihnen. Dem
"Ökumenischen Heiligenlexikon" kann man entnehmen, es sei nach Meinung heutiger Historiker "außerordentlich unwahrscheinlich", dass es "einen solchen Kindermord tatsächlich gegeben hat" -- was durch den Hinweis auf einen
ausführlichen Artikel von Prof. Helmut Bouzek untermauert werden soll; einen Artikel, der die gegenteilige These vertritt, gibt es
hier. Erwähnenswert ist noch, dass das Fest der Unschuldigen Kinder in neuerer Zeit gewissermaßen "inoffiziell" auch zu einem Gedenktag für die durch Abtreibung getöteten Ungeborenen geworden ist.
Aus dem Stundenbuch:
Ehe die Berge geboren wurden, die Erde entstand und das Weltall, *
bist du, o Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. (
Psalm 90,2)