Sagen wir mal so: Wenn man den Presseverteiler des Erzbistums Berlin abonniert hat, bekommt man alle Nase lang Einladungen zu allen möglichen Veranstaltungen. Zuweilen ist das so viel, dass ich das gar nicht alles lese. So gesehen war es gewissermaßen eher Zufall, dass ich mir die Pressemitteilung zum "Ökumenischen Frauengottesdienst" unter dem Motto "Hört! Nein heißt Nein" mitsamt anschließendem Informationsgespräch doch etwas genauer angesehen habe. Je nach Betrachtungsweise mag man hinzufügen: ein unglücklicher Zufall.
Dazu, was mir an dieser Pressemitteilung sauer aufstieß,
habe ich mich ja bereits ausführlich geäußert, aber fassen wir's ruhig noch einmal stichpunktartig zusammen: Verwendung ideologisch aufgeladenen Vokabulars, fragwürdige Interpretation bzw. Instrumentalisierung eines Bibeltexts, vor allem aber der Umstand, dass zu dem "Informationsgespräch" ausgerechnet und ausschließlich zwei profilierte Gegnerinnen des Lebensschutzes als Referentinnen geladen wurden.
Mein diesbezüglicher Artikel fand schnell große Resonanz; am Tag vor der Veranstaltung erschien er
auch auf kath.net. Nebenbei zeigte sich, wie wertvoll es sein kann, in den verschiedenen Sozialen Netzwerken
unterschiedliche Filterbubbles zu haben: Während mein Artikel auf
Twitter teilweise recht scharf kritisiert wurde, war das Feedback auf
Facebook fast einhellig positiv. Einwände kamen hier nur vom Account des Erzbistums Berlin - dabei handelte es sich jedoch nicht um
inhaltliche Kritik, sondern lediglich um Kritik an der
Wortwahl. Die Formulierung
"Kollaboration mit dem Feind" sei "historisch belastet". "Wäre 'Appeasement' Ihnen lieber?", blaffte ich zurück, womit ich natürlich eine Steilvorlage bot, mir unter die Nase zu reiben, der Begriff "Appeasement" enthalte
ebenfalls eine Nazi-Anspielung. Dieser Hinweis unterblieb jedoch. Fast gleichzeitig zeigte ja die abstruse Debatte über
"Nazi-Codes" in der Edeka-Weihnachtswerbung, dass man, frei nach Paul Watzlawick formuliert,
nicht NICHT in Form von Nazi-Codes kommunizieren kann.
Stattdessen verwies die
Facebook-Seite des Erzbistums auf
ein vom Osnabrücker Bischof Bode verfasstes Statement der Deutschen Bischofskonferenz zur Beteiligung der Kirche am Aktionstag gegen Gewalt an Frauen. Ich bin nicht unbedingt ein
Fan von Bischof Bode - muss ich auch nicht sein, er ist ja nicht
mein Oberhirte -, aber den Text fand ich
gut. Angesichts der von ihm aufgeführten Beispiele für Gewalt an Frauen, gegen die die Kirche sich engagieren müsse, fragte ich mich: Wieso gibt es in Berlin keine Informations- bzw. Diskussionsveranstaltung zu einem
dieser Themen? Wieso hat man nicht, beispielsweise, Referentinnen vom Verein
SOLWODI eingeladen? Hätte doch gepasst!
Aber okay, man kann sich's halt nicht aussuchen. So oder so wollte ich mir die Veranstaltung nicht entgehen lassen, und schon um der Gefahr zu entgehen, mich in meiner Sicht auf die Dinge allzu sehr von meinem
male privilege blenden zu lassen, war ich recht froh darüber, dass zwei
Frauen mich begleiteten: meine Liebste sowie eine gemeinsame Freundin und Bloggerkollegin. Los ging's um 18 Uhr mit dem
Ökumenischen Frauengottesdienst in der St.-Bonifatius-Kirche in Berlin-Kreuzberg.
Da waren wir erst kürzlich beim Nightfever gewesen.
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Aufsteller im Eingangsbereich der Kirche |
Ich muss an dieser Stelle sagen, dass ich kurz erwogen habe, die Schilderung dieses Gottesdienstes in meinem Artikel einfach zu übergehen, um schneller auf den Punkt zu kommen. Habe mich dann aber doch anders entschieden. Ein
Facebook-Freund erinnerte mich an den Grundsatz
lex orandi - lex credendi und merkte dazu an: "Wer komisch
betet,
glaubt auch komisch." Somit kann ich nicht verschweigen, dass ich schon bei der Begrüßungsansprache die Motten bekam. "Lasst uns unter
die vielen Namen Gottes stellen", hieß es da; von "endloser Zärtlichkeit" war die Rede, und schließlich wurde der Gottesdienst eröffnet "im Namen
der (!) Dreieinen". Auch im weiteren Verlauf wurden für Gott konsequent
weibliche Pronomina verwendet.
Wie bereits der Pressemitteilung zu entnehmen gewesen war, sollte
die Geschichte der Susanna aus dem Buch Daniel im Mittelpunkt des Gottesdienstes stehen. Zu diesem Zweck wurde
NICHT der biblische Text verlesen; stattdessen wurde die Geschichte - aufgeteilt auf vier
"Stationen" mit den Überschriften "Susanna im Garten", "Die Entscheidung", "Sich zeigen können" und "Eine Frau erfährt Recht" -
aus Sicht Susannas nacherzählt, und zwar in Form eines
Interviews, bei dem
Gabriele Kraatz, Referentin für Frauenseelsorge im Erzbistum Berlin, in die Rolle der Susanna schlüpfte. Hier mal, ohne Kommentar, einige "Highlights":
"Nach unserem Gesetz hätte ich getötet werden können, wenn es rauskam. [...] Ich war wütend über diese ungerechten, von Männern gemachten Gesetze."
"Natürlich glaubten alle den Männern. Es war Demütigung pur."
"Es gab auch noch etwas Anderes in mir, das ließ zu, dass ich mich aufrichtete. Ich musste mich nicht schämen, weder für mich noch für meinen Körper. Ich hatte keine Lust mehr, mich zu verbergen."
"Heute weiß ich: Die Gerechtigkeit Gottes macht keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen."
Der Prophet Daniel wird in dieser Lesart dadurch befähigt, Susanna Gerechtigkeit zu verschaffen, dass er noch ein sehr junger Mann ist - "aus meiner Sicht fast noch ein Kind" - und darum "noch nicht in unseren Schubladen verhaftet". Okay, es wird durchaus angesprochen, dass auch seine "Gottesbeziehung" eine Rolle spielt; aber Gott - daran erinnerten die Gottesdienstgestalterinnen ihr Publikum mehrmals nachdrücklich - "hat viele Namen".
Zwischendurch wurde ein Gedicht von
Gioconda Belli vorgetragen, die zu diesem Anlass als "katholische Dichterin" apostrophiert wurde; technisch gesehen stimmt das wohl, also in dem Sinne, dass sie katholisch getauft ist. Man hätte sie auch als "sozialistische Dichterin" bezeichnen können, das hätte
auch gestimmt. Zum Abschluss der Susanna-Geschichte wurde betont, die in diesem Bibeltext dargestellte Verhandlung kennzeichne "die Anfänge der demokratischen Rechtsprechung", und es wurde ein expliziter Bezug zur jüngsten Reform des Sexualstrafrechts hergestellt, um die es in der anschließenden Informationsveranstaltung gehen sollte.
"Und jetzt ist es Zeit, in der Kirche unterwegs zu sein... vom Hören ins Spüren und in die Bewegung zu kommen."
Ich kam mir vor, als wäre ich bei einem Treffen einer obskuren feministischen Sekte gelandet, die sich zwar rudimentär eines aus der jüdisch-christlichen Tradition entlehnten Vokabulars bedient, aber ansonsten nichts erkennbar Christliches an sich hat. Ich habe zwar keine direkten Vergleichsmöglichkeiten, stelle mir aber vor, bei einer Versammlung des
Wicca-Kults würde es ähnlich zugehen. Na ja, vielleicht etwas bunter und wilder.
Absolut unbezahlbar fand ich die Begegnung mit einer offenbar asiatisch-stämmigen Frau, die sich - und mich - völlig irritiert fragte, wo sie denn hier gelandet sei: "Ich dachte, hier wäre ein ökumenischer Gottesdienst!" - "Ja", bestätigte ich, "das soll einer sein."
Gegen Ende der... äh... Feier. Nennen wir's mal Feier, das klingt schön neutral. Also, gegen Ende der Feier wurden die Teilnehmer aufgefordert, "mit den Worten" zu beten, "die Jesus von Nazaret, Sohn der Maria, uns überliefert hat"; ein Vaterunser war das nun folgende Gebet aber dennoch nicht, denn der patriarchal-heteronormative Begriff "Vater" wurde natürlich vermieden.
"Gott, du eine in den Himmeln..."
Danach ging der Text des Gebets erst mal "normal" weiter. Zwar fehlte in der Gottesdienstbroschüre die Zeile "wie auch wir vergeben unseren Schuldigern", aber die Leiterin stellte klar, das sei lediglich ein Versehen. Na gut. Wär's Absicht gewesen, hätte es auch ins Bild gepasst. Ebenso war es wohl ein "Versehen", dass in der Broschüre zwar der Satz
"Und führe uns in der Versuchung"
stand, die meisten Teilnehmer jedoch, wohl schon aus Gewohnheit, trotzdem "und führe uns nicht in Versuchung" beteten.
Näher mag ich auf diesen sogenannten Gottesdienst nicht eingehen - man kann sich's ja in etwa vorstellen. Nur am Rande sei vermerkt, dass der Altersdurchschnitt der Teilnehmerinnen (Männer waren auch da, aber nur vereinzelt - ihr Anteil lag sicher unter 10%) die Hoffnung aufkommen ließ, diese Form feministischer Spiritualität sei ein Relikt aus den 70er Jahren, das sich in sehr absehbarer Zeit überlebt haben werde. Davon abgesehen bleibt zu hoffen, dass die St.-Bonifatius-Kirche nach diesem Pseudo-Gottesdienst erst mal gründlich mit Weihrauch ausgeräuchert wird.
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Immerhin, die musikalische Gestaltung (Flois Knolle-Hicks, Sabine Albrecht) war gut. |
Weiter ging's dann im Pfarrsaal, wo es zunächst Tee und Stullen mit vegetarischem Aufstrich gab und dann Eva Högl, Bundestagsabgeordnete für die SPD, und Birte Rohles, Referentin für häusliche und sexualisierte Gewalt bei Terre des Femmes, über die Verankerung des Grundsatzes "Nein heißt Nein" im deutschen Sexualstrafrecht sprachen. Moderiert wurde dieses Informationsgespräch von Anne Borucki-Voß vom ökumenischen Frauenzentrum Evas Arche.
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Von links: Eva Högl, Birte Rohles, Anne Borucki-Voß |
Fangen wir mal mit dem Positiven an: Die Ausführungen von Frau Högl und Frau Rohles über die Unterschiede zwischen der früheren und der neuen Gesetzeslage sowie über die Entstehungsgeschichte der Gesetzesänderung waren ausgesprochen informativ, und die Referentinnen verstanden überzeugend darzulegen, warum sie diese Änderung der rechtlichen Beurteilung sexueller Gewalt als wichtig und notwendig erachteten und sich entsprechend vehement dafür eingesetzt hatten.
Auffällig war allerdings, dass der ganze Vortrag wie auch die Moderation von der stillschweigenden Voraussetzung geprägt war, alle Anwesenden seien prinzipiell sowieso derselben Meinung. Es wurde zwar erwähnt, dass es in Regierung und Parlament zunächst erhebliche Vorbehalte gegen eine Verschärfung des Sexualstrafrechts gegeben habe, aber diskutiert wurden diese Einwände nicht. Es bestand offenkundig kein Interesse daran, das "Nein heißt Nein"-Gesetz oder gar die ihm zugrunde liegenden Auffassungen von Selbstbestimmung und Einvernehmlichkeit irgendwie zu hinterfragen; vielmehr lag der Akzent eindeutig darauf, das neue Gesetz als "Sieg des Feminismus" zu feiern.
Ein heikler Punkt des Vortrags war die Erwähnung der Ereignisse der Silvesternacht in Köln und anderen Städten, die, so die Referentinnen, einen Umschwung in der öffentlichen Debatte zu Thema sexuelle Gewalt bewirkt hätten. Zwar hätte die durch die Silvesternacht-Vorfälle angeheizte migrantenfeindliche Stimmung ihnen Sorge bereitet, erklärten die Referentinnen; dennoch hätten sie bzw. die von ihnen repräsentierten Gruppen sich dazu entschlossen, diesen "Schwung mitzunehmen", um für ihr Gesetzesvorhaben zu werben. -- Einer der ersten Beiträge der Publikumsdiskussion knüpfte in gewissem Sinne an diesem Punkt an: Eine Frau berichtete, sie sei vor einiger Zeit mit ihrer jüngsten Tochter in Kreuzberg unterwegs gewesen, und die Tochter sei währenddessen mehrfach sexuell belästigt worden - und zwar jeweils von jungen Männern mit Migrationshintergrund, anscheinend aus dem arabischen Raum. Von diesem persönlichen Erlebnis ausgehend, schickte die Diskussionsteilnehmerin sich an, das Problem radikal-islamischer "Parallelgesellschaften" und deren genereller Missachtung nicht-muslimischer Frauen anzusprechen, und im Saal brach eine gewisse Unruhe aus - woraufhin die Moderatorin sich beeilte, eine Debatte zu diesem Thema zu unterbinden. Einige andere Teilnehmerinnen gingen dann doch noch auf diesen Redebeitrag ein, allerdings durchweg mit dem (sicher richtigen) Hinweis, eine Einengung der Debatte über sexuelle Gewalt auf eine bestimmte Tätergruppe sei eher kontraproduktiv.
Der Großteil der Diskussion verlief jedoch eher, sagen wir mal, konsensorientiert: Man versicherte sich gegenseitig seiner tadellosen Gesinnung, Meinungsdifferenzen bewegten sich im Minimalbereich. Dass fast alle Anwesenden sich untereinander zu kennen schienen, trug erheblich zu diesem Gesamteindruck bei: Ein bisschen kam man sich vor wie bei einem Teekränzchen in Ehren ergrauter 70er-Jahre-Schwanz-ab-Feministinnen, die auf Veranstaltungsteilnehmer von "außen" im Grunde gar nicht eingestellt waren.
Unter diesen Umständen sah ich kaum Möglichkeiten, in die Diskussion einzusteigen - als
Mann schon gar nicht,
male privilege und so. Und eine Gelegenheit, die Haltung der Referentinnen zum Thema Abtreibung zu thematisieren, schien sich erst recht nicht zu bieten. Aber
Bloggerkollegin Claudia traute sich schließlich doch - zu einem Zeitpunkt, als es absehbar war, dass die Diskussion sich dem Ende zuneigte. Einem "Jetzt oder nie"-Zeitpunkt gewissermaßen. Sie eröffnete ihren Diskussionsbeitrag sehr freundlich und respektvoll, indem sie die Referentinnen für ihren informativen Vortrag und ihren entschiedenen Einsatz für den Schutz von Frauen vor Gewalt lobte. Dann leitete sie behutsam zur Frage nach dem Schutz
ungeborener Menschen vor Gewalt über - und noch bevor sie das Wort "Ungeborene" zu Ende ausgesprochen hatte, brach lautstarker Protest aus. Moderatorin Borucki-Voß dekretierte
"Darüber werden wir hier nicht reden", eine Handvoll Stimmen aus dem Publikum äußerten sich (in bemerkenswert aggressivem Tonfall) im selben Sinne. Daraufhin verschärfte Claudia ihren Tonfall etwas, und nun musste auch
ich mich einmischen - wenn auch nur, indem ich gegen den Versuch protestierte, Claudia den Mund zu verbieten. "Wir wussten schon, dass Sie davon anfangen würden", bekannte ein grauhaariger, leicht bärtiger Mann grimmig. "Wir haben auch ihren Artikel auf
kath.net gelesen, diesem...
Hetzportal!" -- Ach so. Die hatten also geradezu auf diesem Moment
gewartet. Inszenierte Empörung, wie schön. Claudia bestand darauf, ihre Frage zu Ende zu formulieren; das wurde ihr nach einigen weiteren wütenden Unterbrechungen schließlich gewährt, und dann entschied Frau Borucki-Voß abschließend, dies sei nicht Thema der Veranstaltung, darum solle diese Frage weder beantwortet noch sonstwie weiter darauf eingegangen werden.
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Ihn hat keiner gefragt, ob Er sich das antun will. |
-- Ich muss schon sagen: Ich bin ja Einiges gewöhnt, schon weil ich mich auch immer mal wieder in linksradikalen Zirkeln herumtreibe; aber eine
Moderatorin, die - mit Unterstützung eines signifikanten Teils des Publikums - die Podiumsteilnehmer (in diesem Fall: -innen)
so entschlossen gegen unerwünschte Fragen bzw. Wortmeldungen abschirmt:
Das habe ich so noch
nie erlebt. Nach dem Ende der Diskussionsrunde beschwerte eine Frau mit kurzen grauen Haaren sich noch bei uns, weil wir versucht hätten, "die Veranstaltung zu sprengen", und "Gott sei Dank" sei uns das nicht gelungen. Als ich sie in zugegebenermaßen ziemlich gereiztem Tonfall fragte, wieso sie sich so entschlossen einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit unseren Einwendungen verweigere, sagte sie. "Sie sind so aggressiv - das muss ich mir nicht anhören" und wandte sich ab. Claudia lachte schallend. Ich selbst konnte nur halbherzig in dies Gelächter einstimmen.
Fragen wir uns also mit ein paar Stunden Abstand zu den Geschehnissen: Was war da los?
Warum gebärden sich Mitglieder kirchlicher Frauenverbände, sobald das Thema Abtreibung auch nur sachte angetippt wird, plötzlich wie die Antifa? (Okay, zugegeben, körperliche Gewalt wurde uns
nicht angedroht. Das war aber auch nahezu der
einzige Unterschied.) -- Nun gut, ich habe den sehr
"konsensorientierten" Charakter der Veranstaltung schon hervorgehoben. Es gab auch noch ein paar andere eher als missliebig empfundene Wortmeldungen, die ziemlich kurz und entschlossen abgebügelt wurden. Aber keine davon, nicht einmal die oben erwähnte Einlassung über sexuelle Übergriffe durch Migranten, löste auch nur halb soviel Aufregung und Empörung aus wie die bescheidene Frage nach den Rechten Ungeborener. Wie kommt das? -- Das einzige
Argument, dessen man uns würdigte, war der Hinweis, die Frage nach der Haltung zur Abtreibung gehöre nicht zum Thema des Abends. Stimmt das? Nun ja: Die Veranstalterinnen und ihre Gleichgesinnten
wollten nicht, dass diese Frage zum Thema des Abends gehört. Von der Sache her tut sie es nämlich sehr wohl. Wenn der Leitgedanke der in dieser Veranstaltung thematisierten Gesetzesänderung
"körperliche Selbstbestimmung" lautet, dann gehört Abtreibung definitiv in diesen Kontext. Zumindest insoweit, dass man den Standpunkt der Referentinnen zu
diesem Thema nicht einfach als
irrelevant für das Thema des Abends betrachten kann. Bei genauerem Nachdenken kann ich mir eigentlich
überhaupt kaum ein "kirchenrelevantes" Thema vorstellen, für das die Haltung der Referenten zum Thema Abtreibung irrelevant wäre - schließlich rührt die Frage nach dem Lebensrecht der Ungeborenen an die Grundlagen des christlichen Menschenbildes schlechthin. Mir ist aus vielen Diskussionen sehr bewusst, dass man in der Frage,
wie das ungeborene Leben am besten zu schützen sei, legitimerweise sehr unterschiedliche Auffassungen haben kann.
Wer aber offensiv für ein "Recht" auf Abtreibung eintritt, der negiert das Lebensrecht und die Menschenwürde ungeborener Kinder prinzipiell. Und da muss die Kirche in ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen laut und deutlich Einspruch erheben.
Ein anderer Aspekt, der mich schon im Vorfeld und dann auch während der Veranstaltung beschäftigt hat, ist: Wie nehmen die Referentinnen das eigentlich von
ihrem Standpunkt aus wahr? Sie sind zu Gast in einer Einrichtung der Katholischen Kirche, in einem Erzbistum,
dessen Erzbischof und Weihbischof den Marsch für das Leben unterstützt und persönlich daran teilgenommen haben - jenen
Marsch für das Leben, den sie, die Referentinnen, aktiv bekämpft haben. Sie lassen sich also von einer Organisation, deren oberste Repräsentanten in ihrer Wahrnehmung zu jenen "christlich-fundamentalistischen Gruppen" gehören, "die der Gesellschaft ihre überkommenen Moral- und Wertevorstellungen aufzwingen wollen" und damit versuchen, "uns gesellschaftlich um mehr als 40 Jahre zurückzuwerfen" (
so Eva Högl im Jahr 2014) einladen, beköstigen, beklatschen und mit Topfblumen beschenken? Ist ihnen das nicht zumindest irgendwie
peinlich?
An dieser Stelle eine kleine Anekdote, die eigentlich nur ganz am Rande mit den hier in Frage stehenden Vorkommnissen zu tun hat. Vor rund 20 Jahren war ich mal bei einem mehrtägigen Seminar in einer Erwachsenenbildungs-Einrichtung der Katholischen Kirche, und in einer Pause fragten ein paar Seminarteilnehmer den Dozenten, wie das denn sei,
für die Kirche zu arbeiten. Ob man da nicht sehr stark reglementiert werde. Der Dozent lachte und erwiderte, er habe schon für allerlei unterschiedliche Bildungsträger gearbeitet, z.B. auch für partei- oder gewerkschaftsnahe Stiftungen, und
nirgends habe er so viel
Freiheit gehabt wie unter dem Dach der Katholischen Kirche. -- Nun finde ich diese große
Toleranz der Kirche ja prinzipiell durchaus sympathisch und schätzenswert (wiewohl man es tragikomisch finden mag, wie wenig davon im öffentlichen Bewusstsein ankommt). Man darf oder muss sich aber wohl doch fragen, ob es nicht irgendwo
Grenzen geben müsse. Ob die Kirche es sich erlauben kann und darf, in ihren eigenen Reihen eine Parallelkultur zu dulden und zu fördern, die der kirchlichen Lehre diametral
entgegenarbeitet. Wenn es bei einer von
kirchlichen Verbänden verantworteten Veranstaltung
im Pfarrsaal einer katholischen Pfarrgemeinde nicht mehr möglich ist, eindeutige Positionen des kirchlichen Lehramts auch nur
anzusprechen - wenn man bei dem
Versuch, das zu tun, vielstimmig niedergebrüllt und als "Hetzer" diffamiert wird - dann ist diese Grenze wohl erreicht.
Eine kirchenrechtliche Prüfung der Angelegenheit sollte man sich wohl zumindest vorbehalten.