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Samstag, 25. Oktober 2025

Die 3 K der Woche (48): Kinder, Kirche, Kuddelmuddel

Grüße aus Hamburg, Freunde! Ich hatte ja vorige Woche bereits angedeutet, es sei unsicher, ob wir heute zur üblichen Zeit der Wochenbriefing-Veröffentlichung an einem Ort sein werden, an dem wir Internetzugang haben; und um diesbezüglich ganz sicher zu gehen, erscheint dieses Wochenbriefing schon ein paar Stunden früher als gewohnt – solange wir noch in Hamburg sind. Es ist nämlich so, o Leser, dass wir von hier aus eine Schiffsreise antreten, und auf See ist das mobile Netz wohl eher nicht so zuverlässig. Aber dazu später! Vorrangig geht's in diesem Wochenbriefing erst mal darum, was wir erlebt haben, solange wir noch in Berlin waren; aber ein paar Blicke über den Tellerrand des Selbsterlebten hinaus dürfen auch nicht fehlen... 

Symbolbild, gesehen am S-Bahnhof Schulzendorf

Niemand hat gesagt, dass es einfach sein würde 

Schon vor längerer Zeit hatte ich mit der Tagespost-Redakteurin für das Ressort "Ehe und Familie" vereinbart, neben meiner regelmäßigen Kolumne "Klein.Kram" auch mal etwas für die Elternkolumne zu schreiben – deren Reihentitel auffallend ähnlich lautet wie der meiner laufenden Wochenbriefing-Reihe, nämlich "Kinder, Küche, Kirche". Das Thema für meinen ersten Beitrag zu dieser Rubrik fiel mir geradezu in den Schoß, in Gestalt eines außerordentlich chaotischen Einstiegs in die Herbstferien. Erschienen ist dieser Beitrag noch nicht, trotzdem bzw. gerade deswegen will ich dem, was ich dort geschrieben habe, hier und jetzt nicht vorgreifen; erwähnt sei hingegen, dass wir es in all dem Durcheinander doch noch schafften, wie beabsichtigt zum Infotag des Familienprogramms der Gemeinde auf dem Weg zu gehen, der bei Galeria in der Tegeler Fußgängerzone stattfand. 

Dort wurde – auf einer gar nicht mal so großen "Aktionsfläche" zwischen Schuhregalen und Schmuckauslagen – so allerlei geboten, von Gratis-Popcorn über Torwandschießen bis hin zu verschiedenen Spiel- und Bastelangeboten. Zudem kannte ich dort eine Menge Leute – hauptsächlich von der "Rumpelberggruppe", zu der ich mit meinem Jüngsten, solange er noch nicht in der KiTa war, ein- bis zweimal pro Woche gegangen war, aber auch von dem unlängst zu Ende gegangenen Eltern-Glaubenskurs; auch der Trainer der Fußballgruppe, bei der ich im September einmal mit dem Tochterkind und einer Schulfreundin gewesen war und zu der ich nach den Herbstferien gern mal wieder gehen würde, war da. Nicht vertreten waren hingegen die Royal Rangers – schade eigentlich, aber man kann nicht alles haben. Ausgiebig beworben, mit Flyern und Plakaten, wurde bei diesem Infotag ein Konzert des christlichen Kinderliedermachers Mike Müllerbauer, das Ende November in der Gemeinde auf dem Weg stattfinden soll: 

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass wir – allerdings ohne das Tochterkind, das zu dieser Zeit auf Schulfahrt war – schon vor rund eineinhalb Jahren bei einem Konzert von Mike Müllerbauer am selben Ort waren, und es war super. Folglich wollen wir da natürlich auch diesmal wieder hin. 

Als wir wieder zu Hause waren, nutzte ich einen vergleichsweise ruhigen Moment, um das Buch zur Hand zu nehmen, das ich zum Abschluss des Eltern-Glaubenskurses in der Gemeinde auf dem Weg geschenkt bekommen hatte: "Empower – Mit Glaube und Leichtigkeit durch das Abenteuer Erziehung" von Tobias Teichen. Ich las erst mal nur die erste Seite, oder genauer gesagt las ich sie meiner Liebsten und unserer alleinerziehenden Freundin, die mit ihrem Sohn zwecks gemeinsamen Kochens und Essens mit zu uns gekommen war, vor. Und ich möchte sagen, es war genau der richtige Impuls für diesen Moment im Auge des Sturms – eines Sturms, der von lauten, überdrehten, Chaos verbreitenden Kindern erzeugt wurde. Diesen Moment des Durchatmens, bevor das Doppelstockbett im Kinderzimmer zusammenkrachte. Ich habe inzwischen noch ein paar Seiten weitergelesen. Es ist ein gutes Buch. Ich komme sehr langsam damit voran, weil ich jede Seite, eigentlich sogar jeden Absatz, erst mal eine Weile "sacken lassen" muss. Irgendwann nach Weihnachten bin ich vielleicht so weit, eine Rezension für die Tagespost zu schreiben, wenn mir bis dahin nicht jemand anderes zuvorgekommen ist. 

Tea-Time in Tradistan

Ich hatte es schon angekündigt: Am vergangenen Sonntag waren wir nicht in unserer Wahlpfarrei in der Messe, sondern ausnahmsweise mal in St. Afra im wenig idyllischen Stadtteil Gesundbrunnen, wo das Institut St. Philipp Neri die außerordentliche Form des Römischen Ritus pflegt (mit dieser Formulierung zitiere ich mich schon zum wiederholten Male selbst, aber ich finde daran einfach nichts zu verbessern). Zuletzt waren wir zu Pfingsten 2023 dort gewesen, und ich muss sagen, ich war überrascht, dies festzustellen; in meiner Erinnerung war mir die Zeit seit unserem letzten Besuch dieser Kirche gar nicht so lang vorgekommen. Besonders bei meiner Liebsten war allerdings die Erinnerung daran noch sehr präsent, dass sie bei diesem letzten Besuch – nach Ende der Messe – heftig mit einer Frau aneinander geraten war, die unseren damals zwei Jahre alten Jüngsten recht grob daran gehindert hatte, den Gang entlang nach vorn in Richtung Altarraum zu laufen, und diese unerquickliche Erinnerung war wohl ein wesentlicher Grund für unser langes Fernbleiben gewesen. Derartige Erlebnisse blieben uns diesmal jedoch erspart. Leute, die auf Störungen durch kleine Kinder aggressiv reagieren, kann man, wenn man Pech hat, in so ziemlich jeder Kirchengemeinde antreffen, aber sie sind nicht unbedingt prägend für die Gesamtatmosphäre. In St. Afra waren an diesem Sonntag verhältnismäßig viele Familien mit Kindern, darunter einige Jungs im Alter unseres Sohnes, und obwohl ein paar von ihnen Trachtenjanker trugen, verhielten sie sich nicht unbedingt leiser und disziplinierter als er; wir fielen also nicht besonders auf. – Nach dem im alten Ritus verwendeten liturgischen Kalender war nicht der 29. Sonntag im Jahreskreis, sondern der 19. Sonntag nach Pfingsten, und so hörten wir im Evangelium nicht das Gleichnis von der Witwe und dem ungerechten Richter (Lukas 18,1-8), sondern das vom königlichen Hochzeitsmahl (Matthäus 22,1-14). Eine Auslegung zum Evangelium, die von keinem Geringeren als Papst Gregor dem Großen stammte, war in der Gottesdienstbroschüre abgedruckt, und so konnte sich der Zelebrant, Propst Martin Piranty, in seiner Predigt auf ein anderes Thema konzentrieren, nämlich auf die Vita des armenischen Märtyrers Ignatius Maloyan, der an diesem Sonntag in Rom heiliggesprochen wurde. Da hörte auch das Tochterkind einigermaßen aufmerksam zu. 

Die Liturgie war so feierlich und würdevoll, wie man es erwarten durfte; gleichwohl stellte ich wie schon bei früheren Gelegenheiten erneut fest, dass ich mich in der ordentlichen Form doch mehr zu Hause fühle – vorausgesetzt natürlich, sie wird auch ordentlich zelebriert und nicht unordentlich. Keinerlei Verständnis habe ich indessen für die Auffassung, es sei irgendwie illegitim, tadelnswert oder extremismusverdächtig, die Feier der Liturgie nach dem Messbuch von 1962 zu bevorzugen, und diese Form des Ritus solle wenn schon nicht verboten, so doch zumindest möglichst weit eingeschränkt werden. Ja, das darf durchaus (nicht-nur-aber-auch) als Kommentar zu Traditionis Custodes verstanden werden. Es ist sicher nicht gänzlich von der Hand zu weisen – ich jedenfalls bestreite es nicht –, dass eine besondere Vorliebe für die traditionelle Liturgie mit problematischen Anschauungen auf theologischem (Stichwort: Ablehnung des II. Vatikanischen Konzils) wie auch auf politischem Gebiet einhergehen kann – aber "kann" heißt nicht "muss", und "einhergehen" bedeutet ja auch nicht, dass das eine mit dem anderen schlichtweg identisch wäre. Auch dass die Anhänglichkeit an die Tradition zu einer rein rückwärtsgewandten, der Gegenwart und Zukunft gegenüber unfruchtbaren Haltung und/oder in musealem Ästhetizismus erstarren kann, ist ein Kann und kein Muss. Der eigentliche Twist an der Geschichte ist aber: Gerade weil es diese Tendenzen eingestandenermaßen gibt, täte die Kirche gut daran, auf die Anhänger der traditionellen Liturgie zuzugehen und sie einzubinden, statt sie an den Rand zu drängen; denn gerade letzteres führt geradezu zwangsläufig dazu, dass die unerwünschten Tendenzen verstärkt werden. Das war die Weisheit von Summorum Pontificum – eine Weisheit, an der es Traditionis Custodes, mit allem Respekt gesagt, auffallend mangelt. Wohl kaum etwas trägt so zuverlässig zur Radikalisierung bei, wie mit Leuten, die erheblich radikaler sind als man selbst, in eine Ecke gestellt zu werden. 

Übrigens möchte ich insbesondere den Fans von Verschwörungsnarrativen nach Art des Monitor-Beitrags "Gotteskrieger: AfD und radikale Christen" nicht die Information vorenthalten, dass ich Beatrix von Storch in der Kirche gesehen habe. Hedwig von Beverfoerde übrigens auch. Beide waren hinterher auch noch bei der Gemeinde-Kaffeetafel anzutreffen. Ich habe nicht mit ihnen gesprochen, muss aber sagen, sie wirkten auf mich wie ganz normale Frauen, die halt sonntags zur Kirche gehen und anschließend noch mit anderen Leuten aus der Gemeinde einen Kaffee trinken. Das mag banal klingen, aber ich glaube tatsächlich, für viele unentwegte Kämpfer gegen Rechts wäre es völlig unvorstellbar, sie so zu sehen – und damit fängt die Dämonisierung und Dehumanisierung politischer Gegner schon an, dass man nicht mehr in der Lage ist, sie sich in ganz normalen und alltäglichen Situationen vorzustellen. Und ehe man sich's versieht, ist man bei "Das ist ein Schwein und kein Mensch, und natürlich kann geschossen werden"

Nebenbei sei angemerkt, dass ich mich im Anschluss an die Messe in St. Afra auch ein bisschen in meiner "Nischenprominenz" sonnen durfte, insofern, als wir von mehreren Leuten angesprochen wurden, die mich kannten – von Lebensschutz-Veranstaltungen, von Vorträgen oder aus der Tagespost; ein paar von ihnen fragten hoffnungsvoll, ob wir in Zukunft öfter hier zur Messe gehen würden. Der erfreulichste Aspekt unseres Messebesuchs in St. Afra an diesem Sonntag – und ehrlich gesagt auch der Hauptgrund dafür, dass wir dort hingegangen waren – war es jedoch, dass wir dort meinen Küchenteam-Kollegen vom Wölflingslager und seine Tochter trafen, mit der unser Tochterkind sich ja so innig angefreundet hatte. Die beiden Mädchen waren ganz aus dem Häuschen über das Wiedersehen, und nachdem sie eine Weile – zeitweilig zusammen mit weiteren Kindern, die in der Messe gewesen waren – durch den Innenhof von St. Afra getollt waren und dann bei der schon erwähnten Gemeinde-Kaffeetafel Kekse gefuttert hatten, gingen wir noch gemeinsam essen in einem nahegelegenen vietnamesischen Restaurant und dann noch auf einen Spielplatz im Mauerpark. Mit meinem Küchenteam-Kollegen unterhielt ich mich dabei wieder sehr angeregt, und auch unsere Frauen verstanden sich gut miteinander. Kaum nennenswerte neue Erkenntnisse gab es dabei indes dazu, wie es mit unseren Mädchen und der Pfadfinderei weitergehen soll: Die Idee, eine neue KPE-Gruppe aufzubauen, die deutlich weiter im Norden Berlins beheimatet sein soll als die bisher bestehende, ist weiterhin nicht wesentlich mehr als eine Idee; dauerhaft und regelmäßig bei den KPE-Wölflingen im Süden Berlins mitzumachen, kommt für unsere neuen Freunde angesichts des Anfahrtswegs eher nicht in Frage – vorläufig und gelegentlich dort dabei zu sein, solange sich keine andere Lösung abzeichnet, hingegen vielleicht schon. Ein Anlass dafür könnte eine Grabpflegeaktion auf dem Waldfriedhof Zehlendorf sein, den die KPE-Pfadfinder für Mitte November geplant haben; das würde mich auch interessieren, aber in meinem Terminkalender steht, dass genau am selben Tag das neue Projekt "Religiöse Kindertage" in St. Stephanus Haselhorst starten soll. Wobei ich durchaus mit der Möglichkeit rechne, dass dieser Termin doch noch einmal verschoben wird, weil dafür noch mehr Vorbereitung vonnöten ist. Na, warten wir's mal ab... 


Kindermund der Woche 

Am Tag vor dem 8. Geburtstag unserer Großen kam mein Schwiegervater vorbei, den wir ansonsten eher selten sehen. Da er ein Auto hat, half er uns, die Bruchstücke des zusammengebrochenen Kinder-Doppelstockbettes zum Recyclinghof zu transportieren; außerdem hatte er ein Geburtstagsgeschenk für seine Enkelin mitgebracht, und auch eine Kleinigkeit für unseren Jüngsten. Diesen – er ist, wohlgemerkt, gerade mal viereinhalb Jahre alt – sprach er mit den Worten an: 

"Ich hab gehört, du kannst schon ein bisschen schreiben?!" 

Der Knabe erwiderte fröhlich: 

"Ja, aber nur Quatsch!" 


Die Rache der Hortnerin 

Der vergangene Mittwoch war in mehrfacher Hinsicht ein denkwürdiger Tag für uns: Es war der Gedenktag des Hl. Johannes Paul II., meine Liebste und ich hatten Hochzeitstag, und zugleich hatte unser Tochterkind Geburtstag. Wie neulich schon erwähnt, ist die "Mädchenparty" mit den Schulfreundinnen unserer Großen erst für nach den Ferien geplant, aber am Geburtstag selbst sollte es eine vergleichsweise kleinere Party mit ihren "Jungs-Freunden" geben. Die wurde dann, was die Gästezahl anging, infolge einiger Absagen nochmals deutlich kleiner als geplant: Am Ende kamen außer uns selber ein gemeinsamer Freund unserer Kinder und ein Junge aus der Schule, jeweils mit ihren Müttern. Die letzte Absage erreichte uns am Tag der Feier selbst: Ein weiterer langjähriger Spielplatzfreund unserer Tochter konnte nicht kommen, weil er während der Herbstferien tagsüber im Hort ist und seine alleinerziehende Mutter ihn nicht außerplanmäßig von dort abholen konnte, da sie arbeiten musste. Theoretisch hätten natürlich wir den Jungen abholen können, aber dazu hätten wir nicht nur eine schriftliche Vollmacht benötigt, sondern uns auch den Hortmitarbeitern schon im Vorfeld persönlich vorstellen müssen. Hätte sich theoretisch alles machen lassen, aber jetzt war es dafür natürlich zu spät. 

Was mir in diesem Zusammenhang einfiel, war, dass ich in einem meiner früheren Jobs eine ältere Kollegin hatte, die mal erzählte, sie habe zu DDR-Zeiten eine Ausbildung zur Hortnerin gemacht. Heutzutage lautet die Berufsbezeichnung wohl "Hortpädagog*in" oder mindestens "Horterzieher*in", aber mich faszinierte der archaische Klang der Bezeichnung "Hortnerin", umso mehr, als ich schon mit dem Begriff Hort eher einen verwunschenen Schatz (vgl. "Nibelungenhort") assoziierte als eine Tagespflegeeinrichtung für Schulkinder (und das im Grunde bis heute tue). Prompt hatte ich die Idee, "Die Hortnerin" könnte ein guter Titel für einen Historical-Fantasy-Schinken sein, gerne auch, nach Art der "Wanderhure", der "Henkerstochter" und ähnlicher Trivialfabrikate, als Auftakt einer ganzen Buchreihe: Die Rückkehr der Hortnerin. Die Rache der Hortnerin. Das Vermächtnis der Hortnerin. Ich weiß nicht, ob das irgendjemand außer mir lustig findet – falls ja, stelle ich es meinen Lesern frei, etwas aus der Idee zu machen, wobei, 10% Umsatzbeteiligung hätte ich dann schon gern –; aber ich muss sagen: Angesichts der Erfahrung, was für Hindernisse zu überwinden wären, um einen sechs- oder siebenjährigen Knaben, der beim Ferienhort angemeldet ist, von dort zu befreien, damit er auf eine Geburtstagsfeier gehen kann, fühlte ich mich dann schon ein wenig von der Rache der Hortnerin getroffen. – Spaß beiseite: Natürlich können die Hortner ein Kind, für das sie die Aufsichtspflicht übernommen haben, nicht einfach irgendjemandem mitgeben, den sie nicht kennen. Das ist das erste Problem: Man muss in der großstädtischen Zivilisation unserer Tage insgesamt zu viel mit Leuten interagieren, die man nicht kennt und von denen man folglich nicht weiß, ob man ihnen trauen kann. Aber das noch akutere Problem ist wohl doch die Situation, die erst dazu führt, dass Kinder überhaupt in den Ferien in den Hort gehen müssen. Um's mal auf den Punkt zu bringen: Alleinerziehend und berufstätig zu sein, ist eine gruselige Kombination. Damit möchte ich niemandem zu nahe treten, der in dieser Situation ist; im Gegenteil, ich meine das durchaus mitfühlend. Aber gruselig ist es eben doch, vor allem fürs Kind. Wobei ich es durchaus für diskutabel halte, ob eine Konstellation, in der beide Eltern sowohl miteinander als auch mit dem Kind zusammenleben, aber beide in Vollzeit berufstätig sind, viel weniger gruselig ist. Okay, mit einiger Wahrscheinlichkeit verfügt ein solcher Haushalt über mehr Geld, und die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei Bedarf wenigstens ein Elternteil mal dem Kind zuliebe auf der Arbeit frei nehmen kann, ist sicherlich auch tendenziell höher. Trotzdem: Wenn die Eltern in Vollzeit arbeiten, heißt das in der Praxis, dass das Kind mindestens so viel Zeit in KiTa, Ganztagsschule und Hort verbringen muss wie die Eltern bei der Arbeit. Da bleiben dann vielleicht noch eineinhalb Stunden gemeinsam verbrachte Zeit für Eltern und Kinder, ehe die Kinder ins Bett müssen; und das auch noch ausgerechnet dann, wenn alle Beteiligten müde und erschöpft von ihren jeweiligen Jobs sind. Aber darüber habe ich mich ja unlängst schon in der Tagespost ausgelassen. 


Ein bisschen Pfadfinderlatein – Folge 1 

Während es derzeit, wie oben bereits angedeutet, weiterhin unklar ist, wie es mit unseren Kindern und der Pfadfinderei praktisch und konkret weitergeht, und die für uns in Frage kommenden Gruppen in den Herbstferien ohnehin keine Treffen haben, scheint mir die Gelegenheit günstig, eine neue Rubrik aus der Taufe zu heben, in der es darum gehen soll, mich ein bisschen auf theoretischer Ebene in das Thema Pfadfinderwesen einzuarbeiten – wenn auch, wie es der Natur des Wochenbriefings entspricht, nicht systematisch, sondern eher anekdotisch-fragmentarisch

Beginnen möchte ich mit der Feststellung, dass mein gesteigertes Interesse am Pfadfinderwesen inzwischen auch dem Google News-Algorithmus aufgefallen ist, der mir daher unlängst einen Artikel der Rheinischen Post über den "Pfadfinder Stamm Wippera Leichlingen" empfahl; die für mein Empfinden etwas uninspiriert wirkende Überschrift lautete "Lagerfeuer. Gemeinschaft. Leben – Pfadfinder", und der Haupttext des Artikels beginnt mit den Sätzen: 

"Es muss ein unvergessliches Gemeinschaftsgefühl sein, mit anderen Kindern und Jugendlichen am knisternden Lagerfeuer zu sitzen, die Sterne am Himmel zu zählen, den Geruch des frisch gebratenen Stockbrots in der Nase. Das und noch mehr können Jungen und Mädchen zwischen sieben und 20 Jahren regelmäßig beim Pfadfinder Stamm Wippera Leichlingen erleben." 

Gleichwohl wird ein paar Absätze später skeptisch gefragt: "Doch wen interessieren diese Fähigkeiten im Wettbewerb mit Spielekonsole und Social Media eigentlich in der heutigen Zeit?" Eine der beiden Leiterinnen, die im Artikel vorgestellt werden, antwortet: "Es sind alle möglichen Kinder, meist sehr energetisch, die einfach Lust haben, in der Gemeinschaft in der Natur aktiv zu sein". Gleich darauf wird eingeräumt, dieses Interesse "schließe nicht aus, dass sie auch andere Hobbys hätten oder an der Playstation spielten". – Was mir an diesem Artikel besonders aufgefallen ist, ist der Umstand, dass man erst gegen Ende des vierten von sechs Absätzen eher beiläufig erfährt, dass der Stamm "Wippera" zur DPSG gehört; dass es auch noch andere Pfadfinderverbände gibt und dass zwischen diesen Verbänden zum Teil recht erhebliche Unterschiede gibt, kommt auf diese Weise gar nicht in den Blick. 

Derweil habe ich angefangen, zwei Bücher von Walter Scherf, Fahrtenname Tejo, parallel zu lesen; der war in seiner Jugend zunächst DPSG-Pfadfinder, später dann bei der Deutschen Jungenschaft, die sich programmatisch wohl doch einigermaßen von den Pfadfindern unterschied, aber sein "Großes Lagerbuch" (Erstausgabe 1954; mir liegt die 3., veränderte Auflage von 1966 vor) wurde seinerzeit vom Verlag als "unentbehrliche[r] Ratgeber für alle [!] Jugendgruppen" beworben, und mir scheint das nicht übertrieben. Sein eher romanhaft daherkommender Fahrtenbericht "Schwedenfahrt" (1955, 2. Auflage 1976) ist zwar ebenfalls ein Klassiker, der laut Tante Wikipedia "prägend für die Großfahrten der bündischen Gruppen der Nachkriegsjugendbewegung wirkte", aber ich finde das Buch recht anstrengend zu lesen und teilweise unverständlich; sowohl für die schwedischen Sprachproben als auch vor allem für den jungenschaftlichen Jargon hätte man sich wenigstens ein Glossar gewünscht (dass ein "Affe" ein Rucksack ist, wusste ich glücklicherweise schon – aus dem Komm-mit-Kalender natürlich. Dazu gleich mehr.). Auf beide Bücher werde ich sicherlich noch zurückkommen; vorerst sei aber noch erwähnt, dass Walter Scherf mir erstmals als Übersetzer von Tolkiens Hobbit vors lesende Auge gekommen ist. Kein Wunder also im Grunde, dass ich bei der Hobbit-Lektüre "ein gewisses Zucken von Wanderlust" verspürt habe, wie ich seinerzeit notierte

Zum Komm-mit-Kalender sei noch gesagt, dass ich mir vorgenommen habe, die mir vorliegenden Jahrgangsbände in chronologischer Reihenfolge auf pfadfinderrelevantes Material hin zu durchforsten, womit zunächst der Jahrgang 1953 an der Reihe wäre. Hier bin ich im alphabetischen Schlagwortregister erst einmal beim Punkt "Abzeichen der Jugendverbände" hängen geblieben, denn der Beitrag, auf den dieser Registereintrag verweist, illustriert recht eindrücklich meine unlängst festgehaltene Einschätzung, da der Komm-mit-Kalender seine Ursprünge in einer Zeit habe, "als noch alle möglichen Jugendverbände Fahrten und Lager veranstalteten", habe er sich "ursprünglich an ein durchaus breites Publikum" gerichtet: Unter den Jugendverbänden, die der Komm-mit-Kalender für das Jahr 1953 auf den Seiten 315ff. vorstellt, sind in trauter Eintracht mit dem Bund Neudeutschland, dem Quickborn, der Marianischen Kongregation der studierenden Jugend, der Christlichen Arbeiter-Jugend und der Kolpingjugend auch z.B. der Jugendverband der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft und sogar die Sozialistische Jugend Deutschlands "Die Falken" vertreten. Bei der Übersicht über die Logos ("Abzeichen") der diversen Jugendverbände fällt es auf, dass offenbar all jene Verbände, die sich als der Pfadfinderbewegung zugehörig betrachten bzw. sich deren Erbe verpflichtet fühlen, irgendeine Variante der heraldischen Lilie in ihrem Logo führen; das gilt für die (evangelische) Christliche Pfadfinderschaft, die (katholischen) St.-Georgs-Pfadfinder und den (überkonfessionellen) Bund Deutscher Pfadfinder, die im "Ring deutscher Pfadfinderverbände" zusammengeschlossen waren sowie für diesen Dachverband selbst, aber auch für die sogenannten "Ringpfadfinder", die offenbar nicht zu diesem Dachverband gehörten – hier ist die Nomenklatur wirklich verwirrend, aber immerhin bin ich dank des Wikipedia-Artikels über die "Ringpfadfinder" darauf gestoßen, dass es bei Tante Wikipedia auch einen Artikel "Pfadfindergeschichte im deutschsprachigen Raum" gibt; mit dem werde ich mich wohl in einer zukünftigen Folge dieser Rubrik näher befassen müssen. Eine stark abstrahierte Version der Pfadfinderlilie zeigt das Logo der Deutschen Freischar, und tatsächlich hat(te) auch diese Gruppierung einen pfadfinderischen Hintergrund. Näheres dazu, wie gesagt, bei Gelegenheit. Interessant sind auch die Angaben zu den Mitgliederzahlen der Verbände: So wird – mit Stand von 1952 – die Mitgliederzahl der katholischen St.-Georgs-Pfadfinder mit 35.000 angegeben, gefolgt vom Bund Deutscher Pfadfinder mit 20.000 und der Christlichen Pfadfinderschaft mit 17.000. Um mal ein Verhältnis für die Größenordnungen zu vermitteln, sei hinzugefügt, dass zur selben Zeit die "Falken" 120.000 Mitglieder hatten und die Kolpingjugend sogar 176.000. Heute hat laut Tante Wikipedia allein die DPSG 80.000 Mitglieder (und damit mehr als im Jahr 1952 alle drei Mitgliedsverbände des "Rings deutscher Pfadfinderverbände" zusammen hatten) und der aus der Christlichen Pfadfinderschaft hervorgegangene Verband Christlicher Pfadfinder*innen (VCP) 22.000, während der Bund Deutscher Pfadfinder_innen nach mehreren Spaltungen und programmatischen Umorientierungen heute nicht mehr Mitglied des Rings deutscher Pfadfinderverbände und der internationalen Pfadfinderbewegung ist; stattdessen gibt es seit 1976 den Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (seit 2025 "Bund der Pfadfinder*innen") mit aktuell knapp 15.000 Mitgliedern. Dass die konfessionellen Pfadfinderverbände – am stärksten die DPSG – in diesem Zeitraum gewachsen sind, mag man zum Teil dadurch erklären, dass die ehemals reinen Jungenverbände jetzt auch Mädchen aufnehmen (während es andererseits weiterhin reine Mädchenverbände gibt) und dass sie seit der Wende auch im Osten Deutschlands aktiv sind, nachdem die Pfadfinder in der DDR verboten waren (einzelne Elemente der Pfadfinder-Pädagogik kamen dafür bei den Thälmann-Pionieren zum Einsatz); zudem ist seit 1952 die Gesamtbevölkerung Deutschlands um rund 12 Millionen Menschen gewachsen. Bemerkenswert bleibt diese Mitgliederentwicklung dennoch, umso mehr, als im selben Zeitraum die Mitgliederzahl der Kolpingjugend auf ca. 34.000 geschrumpft ist; die "Falken" machen offiziell überhaupt keine Angaben mehr zu ihrer Mitgliederzahl. 

Das Stichwort "Ausrüstung" in der alphabetischen Inhaltsübersicht verweist übrigens unverhohlen auf die im Kalender verstreuten Werbeanzeigen des Universum-Jugendhauses in Münster, das, wenn mich nicht alles täuscht, vom Herausgeber des Kalenders betrieben wurde. Was da so alles an Zubehör für Fahrt und Lager angeboten wird, ist an sich durchaus interessant, aber da diese Werbeanzeigen zweifellos auch noch in den folgenden Jahrgangsbänden zu finden sein werden, denke ich, darauf kann man getrost bei späterer Gelegenheit zurückkommen. In der nächsten Folge dieser Rubrik werde ich mich wohl, auch wenn es der alphabetischen Reihenfolge etwas vorgreift, erst einmal mit den Stichworten "Lagereinrichtung" und "Lager-Programm" befassen. 


Geistlicher Impuls der Woche 

Auf dem europäischen Kontinent fehlt es gewiss nicht an namhaften Symbolen für die Präsenz des Christentums, doch mit der Überhandnahme des Säkularismus laufen sie Gefahr, zu einem bloßen Relikt der Vergangenheit zu werden. Vielen gelingt es nicht mehr, die Botschaft des Evangeliums in die Alltagserfahrung einzubeziehen. In einem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld, wo dem christlichen Lebensentwurf ständig Trotz und Bedrohung begegnen, wird es immer schwieriger, seinen Glauben an Jesus zu leben. In vielen öffentlichen Bereichen ist es einfacher, sich als Agnostiker denn als Gläubigen zu bezeichnen; man hat den Eindruck, dass sich Nichtglauben von selbst versteht, während Glauben einer gesellschaftlichen Legitimation bedarf, die weder selbstverständlich ist, noch vorausgesetzt wird. 

(Hl. Johannes Paul II, Nachsynosales Schreiben "Ecclesia in Europa", 2003, Nr. 7. Wird fortgesetzt!) 


Ohrwurm der Woche 

Lassie Singers: Hamburg 

Von den Lassie Singers, der nach eigenem Bekunden (?) lautesten und schlechtesten Mädchenband der Welt, wollte ich in dieser Rubrik schon lange mal was bringen, aber angesichts unseres aktuellen Aufenthaltsortes drängt sich dieser Song ja nun wirklich auf. Im Text schildern die Musikerinnen das Gefühl, von einer Konzerttournee heimzukommen ("Kamener Kreuz links vorbei, im Radio läuft hr3"), und "heim" heißt für sie eben: nach Hamburg; über die Textzeile "Jesus liebt dich" im Refrain bin ich natürlich ebenfalls nicht unglücklich. – Kennen und lieben lernte ich diese Band (nicht persönlich, aber immerhin ihre Musik) übrigens in der Frühzeit meines Theaterwissenschaftstudiums: Eines Tages half ich im Keller des Instituts einigen Kommilitoninnen dabei half, das Bühnenbild für eine Aufführung auf der Studiobühne zu basteln, und da lief im Hintergrund die damals frisch herausgekommene Best-Of-CD "Time to Say Tschüss". Die gefiel mir so ausnehmend gut, dass die Kommilitonin, die die Scheibe aufgelegt hatte, amüsiert anmerkte: "Du bist der einzige Junge, den ich kenne, der die Lassie Singers mag." Nicht lange darauf kaufte ich mir die CD selber. Da sind noch andere Juwelen drauf, aber heute muss es eben mal Hamburg sein. 


Vorschau/Ausblick 

Lesern, die sich aus eingespielter Gewohnheit erst um 18 Uhr oder noch später zugeschaltet haben, sei gesagt, dass ich mich mitsamt Frau und Kindern derzeit und für die nächsten Tage auf See befinde und nur in sehr eingeschränktem Maße von den Geschehnissen an Land Kenntnis nehmen werde. Wenn wir das nächste Mal an Land gehen, wird es, sofern alles nach Plan läuft, in La Coruña sein. – Eine interessante Frage ist natürlich, wie es an Bord mit der Erfüllung der Sonntagspflicht aussieht; aber es könnte ja immerhin sein, dass ein Priester unter den Passagieren ist. Im nächsten Wochenbriefing werden wir die Antwort erfahren; davon abgesehen werde ich dort darüber berichten, was wir während der letzten zweieinhalb Tage in Hamburg so alles erlebt haben, und ein Beitrag für die Rubrik "Neues aus Synodalien", aus der es in letzter Zeit eher wenig Neues gegeben hat, ist ebenfalls in Vorbereitung. Im Übrigen steht zu erwarten, dass die nächste Ausgabe der "3 K der Woche" inhaltlich ziemlich aus dem gewohnten Rahmen fallen dürfte; und wann genau sie erscheinen wird, ist erneut nicht so ganz sicher... 


Montag, 20. Oktober 2025

Immer noch nicht als Maulwurf enttarnt

Seit dem Mord an Charlie Kirk hat die gesellschaftliche Debatte darüber, wie es um die Meinungs- und Redefreiheit in unserem Land und der übrigen westlichen Welt bestellt ist, an Schärfe und Dringlichkeit zugenommen; aus meiner persönlichen Sicht kann ich dazu die Information beitragen, dass noch immer weder mein Bluesky-Account suspendiert wurde noch mein Zugang zum Instagram-News-Channel von Horse & Hound gesperrt wurde. Letzteres verdanke ich neben dem zu vermuten stehenden Umstand, dass der Thomas H. meinen Blog nicht liest, wohl nicht zuletzt der Tatsache, dass es mir neulich nicht möglich war, auf einen Beitrag auf dem besagten Channel zu antworten. Chefhalunke Halagan hatte da eine Artikelvorschau vom Postillon geteilt, mit der Schlagzeile "USA ehren ermordeten Kämpfer für Meinungsfreiheit, indem sie Meinungsfreiheit abschaffen" und einem Foto des zeitweilig "gecancelten" Talkmasters Jimmy Kimmel. Darauf hätte ich eigentlich gern mit einem Link zu einem Beitrag von The Babylon Bee mit dem Titel "People Okay with Murder Outraged by TV Show Cancellation" geantwortet. Ging aber nicht. Ich glaube nicht, dass das etwas mit mir persönlich zu tun hatte; auf andere Beiträge auf diesem Channel könnte ich nämlich antworten. Ich glaube, ich habe noch nicht so ganz durchschaut, welche Beiträge kommentiert werden können und welche nicht (und warum das so ist). Aber man muss ja auch nicht alles verstehen. 

Wem die Tatsache, dass gewisse Kreise die vorübergehende Absetzung einer Fernsehtalkshow beklagenswerter fanden als einen Mord, als Augenöffner noch nicht ausreicht, dem sei der bemerkenswerte Umstand zur gefälligen Beachtung anempfohlen, dass annähernd gleichzeitig mit der Entscheidung mehrerer Medienunternehmen, die Sendung "Jimmy Kimmel live" auf den von ihnen betriebenen Kanälen nicht mehr auszustrahlen, der Norddeutsche Rundfunk die Journalistin Julia Ruhs als Moderatorin des Reportageformats "Klar" entließ, und zwar offenbar deshalb, weil sie – je nach bevorzugtem Sprachgebrauch – "zu konservativ" oder "zu rechts" ist. Was die Reaktionen auf diese bemerkenswerte Synchronizität der Ereignisse angeht, möchte ich hier nur pars pro toto auf den Bluesky-Account eines Aktivisten der Initiative "Christians for Future" hinweisen, den ich in ähnlichen Zusammenhängen schon ein paarmal am Wickel hatte: Da bekundet dieser junge Mann, er sei "positiv überrascht" über die Ruhs-Entlassung, und teilt kurz darauf einen Beitrag, in dem die Absetzung der Show "Jimmy Kimmel live" als Ausdruck von "Gleichschaltung" bewertet wird. 

Man könnte sicherlich ohne große Mühe zahlreiche weitere Beispiele für dieses Reaktionsschema ausfindig machen. In diesem Zusammenhang scheint es mir wichtig, zu verstehen, dass es vollkommen sinnlos wäre, diesen Leuten "Doppelstandards" vorzuwerfen. Ja, sie haben Doppelstandards, aber mit voller Absicht und aus Überzeugung. Die "woke", intersektionalistische Linke lehnt es entschieden ab, sich selbst mit demselben Maßstab zu messen oder messen zu lassen, den sie an ihre Gegner anlegt, und empfindet es als eine beleidigende Zumutung, wenn man das von ihr verlangt. Sie verkörpert schließlich das Gute, also kann man sie doch nicht mit dem Bösen auf eine Stufe stellen, das wäre "Bothsideism", "Hufeisentheorie", konterrevolutionärer Hochverrat. Die gute alte Redensart "Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe" ist, but unironically, geradezu ein zentrales Credo des Intersektionalismus. Womit ich allerdings nicht behaupten will, diese Denkweise gäbe es nur auf der Linken; mir scheint lediglich, die Rechte hat keine so elaborierte ideologische Rechtfertigung dafür. 

Maulwurf unter Fröschen: Ein Ausschnitt aus dem Titelbild des Buches "Die Sonne weiß alles – Ein Märchen aus Japan". Name der Illustratorin im Bild. 

Wirklich etwas Neues gelernt bzw. etwas zuvor Unverstandenes verstanden habe ich darüber, was die "woken" Tugendwächter unter Meinungsfreiheit verstehen und was nicht, dank eines Ausschnitts aus einer Böhmermann-Sendung, den Horse & Hound auf Instagram geteilt hat – nicht im oben erwähnten Channel, sondern im öffentlichen Feed. Thema der Sendung ist offenbar rechte Propaganda an Schulen, und in dem Ausschnitt kommt zunächst ein Schulleiter zu Wort, der erklärt, an seiner Schule hätten etwa 91% der Schüler einen Migrationshintergrund, und nach den sogenannten "Potsdamer Enthüllungen" habe es "sorgenvolle und ängstliche Fragen der Kinder" gegeben wie etwa "Was darf ich denn mitnehmen, wenn ich abgeschoben werde?". Nun kann man sich sicherlich darauf einigen, dass es Aufgabe der Schule sei, solchen Ängsten zu begegnen und sie nicht noch weiter zu schüren; letzteres wollte auch der betreffende Schulleiter nicht – und glaubte diesem Anliegen gerecht zu werden, indem er von einer an der Schule geplanten Podiumsdiskussion mit Vertretern der politischen Parteien den Vertreter der AfD ausladen wollte. Wie man zwischen den Zeilen heraushören kann, war das wegen der Verpflichtung öffentlicher Schulen zu parteipolitischer Neutralität jedoch nicht so leicht möglich; also nutzte man den "guten Kontakt mit dem benachbarten Pfarrer", um "in eine Kirche aus[zu]weichen": "Dort hat die Podiumsdiskussion dann stattgefunden, nicht mehr als Schulveranstaltung, aber ohne die AfD." 

An dieser Stelle tut Moderator Böhmermann so, als habe er sich an seinem Weinchen verschluckt, und ruft ungläubig (!) aus: "Die Kirche muss helfen?!" Diese komödiantisch überspitzte Reaktion kann man auf verschiedenen Ebenen verstehen, unter denen "Es kann bzw. darf doch wohl nicht sein, dass die Kirche ein zuverlässigerer Partner im Kampf gegen Rechts ist als unsere Schulen!" die offensichtlichste, zugleich aber auch noch die vergleichsweise freundlichste Deutung ist. Denn es ist an dieser Stelle schon recht unmissverständlich, dass Böhmermann der Kirche eigentlich nichts Gutes zutraut. Was in diesem Satz so alles an antikirchlichen Ressentiments mitschwingt, braucht Böhmermann gar nicht auszubuchstabieren, sein Publikum versteht ihn schon. Dass ein hauptamtlicher Kirchenmitarbeiter so etwas in offenbar zustimmender Absicht teilt, wäre durchaus auch einen Kommentar wert, aber eigentlich will ich hier auf etwas anderes hinaus: Böhmermanns nächster Satz lautet "Schulen müssen sich schon an Kirchen wenden, um frei reden zu können" (Hervorhebung von mir). Da muss man mal kurz innehalten und sich daran erinnern, wovon hier eigentlich die Rede ist: davon, eine Podiumsdiskussion mit Vertretern politischer Parteien unter Ausschluss der AfD abzuhalten. Das verstehen Böhmermann und Leute, die so ticken wie er, unter "freier Rede": die Freiheit, nicht mit Leuten reden zu müssen, von denen man meint, sie hätten falsche Meinungen. Dass Redefreiheit nur dann überhaupt einen Sinn hat, wenn sie die Freiheit beinhaltet, die Dinge zu sagen, die die anderen Diskursteilnehmer nicht hören wollen, kommt ihm offenbar nicht in den Sinn – beziehungsweise, siehe oben, er würde dieses Recht wohl für sich und seinesgleichen in Anspruch nehmen, aber nicht für seine Gegner, denn die sind ja die Bösen.

Übrigens lädt Böhmermann in gewisser Hinsicht durchaus dazu ein, im Zusammenhang mit Jimmy Kimmel erwähnt zu werden. Beide sind oder waren eigentlich vorrangig Comedians, und zu politischen Kommentatoren wurden sie im Zuge eines einigermaßen problematischen Trends zur Aufweichung der Grenzen zwischen Comedy und politischem Kommentar. Eine Geschichte dieses Phänomens zu schreiben wäre eine interessante Aufgabe, die ich hier aber natürlich nicht leisten kann; in Deutschland, könnte man sagen, gab es politische Satiresendungen im Fernsehen gefühlt "schon immer", mindestens seit Wolfgang Neuss, aber dass Comedy-Shows bewusst die Optik und Präsentationsform von Nachrichtensendungen kopiert, dürfte wohl doch ein verhältnismäßig neues Phänomen sein. Man mag vielleicht einwenden: Und was ist mit "Rudis Tagesshow"? Die lief von 1981-87 im Ersten, produziert vom damals als Linksaußen der ARD geltenden Radio Bremen, aber ich würde behaupten, das war keine politische Sendung im eigentlichen Sinne, oder zumindest verkörperte sie ein grundsätzlich anderes Verständnis politischer Comedy, als es etwa die "heute Show" tut, die seit 2009 läuft und ihr Konzept wesentlich von der "Daily Show" auf Comedy Central (seit 1996) abgeschaut hat. Aber da ich dieses Thema hier, wie gesagt, nicht erschöpfend behandeln kann, rede ich lieber wieder über was anderes. 

Nämlich worüber? Vielleicht darüber, dass auf dem Instagram-Channel von Horse & Hound anlässlich der Rückkehr von Jimmy Kimmels Show ins Fernsehprogramm ein selbst für die Verhältnisse dieses Kanals außerordentlich geschmackloses Meme geteilt wurde? Nee, lieber nicht. Hingehen hatte ich unlängst ja erwähnt, dass es in der Instagram-Story von Horse & Hound einen Kommentar zum Marsch für das Leben gegeben habe, den ich ausgesprochen weird fand und auf den ich noch zurückkommen wollte; das ist dann jetzt wohl mal "dran". – Der Beitrag beginnt damit, dass der smarte Sechstagebartträger Thomas H. berichtet, er sei tags zuvor "im Auto" mit einem Stinkefinger und dem "White Power Zeichen belästigt" worden; für Leser, die nicht so extremely online sind wie er und daher vielleicht nicht wissen, wie das angebliche "White Power Zeichen" aussieht, fügt er ein Emoji hinzu: 👌. Schockschwerenot, mag man da denken: Es gibt ein Emoji für das White Power-Zeichen? Geht's noch? – Aber ruhig Blut, tatsächlich steht dieses Emoji für "okay"; diese Bedeutung hatte die entsprechende Handgeste im angloamerikanischen Kulturkreis nämlich schon sehr viel länger, ehe irgendwer auf die Idee gekommen ist, sie als "White Power" zu lesen. In unserem Zusammenhang relevanter ist, dass diese Geste hierzulande, und gerade als "Gruß" unter Autofahrern, mit der Bedeutung "Arschloch" gebräuchlich ist. Zwar teilt uns der Horse & Hound-Vodkaster hier leider nicht den Kontext der betreffenden Begegnung mit – ob er dem anderen Autofahrer womöglich die Vorfahrt genommen oder seine Fahrspur geschnitten hat oder dergleichen; aber ich würde es doch für sehr viel wahrscheinlicher halten, dass die betreffende Geste ein Kommentar zu seinen Verhalten im Straßenverkehr sein sollte als ein rassistisches Statement – zumal Thomas H. doch selber weiß ist. Oder etwa nicht? "Ich werde oft als arabisch- oder türkeistämmig adressiert", fügt er hinzu. Ach echt? Etwa weil er schwarze Haare und einen smarten Sechstagebart hat? Na, kann ja sein. Aber vielleicht haben wir es hier auch mit dem Phänomen zu tun, dass Engagement gegen Rassismus einfach mehr Spaß macht, wenn man sich selbst wenigstens ein kleines bisschen auf der Opferseite sehen darf; dergleichen habe ich schon öfter beobachtet. Was hat das Ganze aber nun mit dem Marsch für das Leben zu tun? 

Tja, Leser: Das frage ich mich auch

Der Vodkaster von Horse & Hound jedenfalls sieht einen Zusammenhang, denn er kombiniert die obige Anekdote mit einem vom Account des Fernsehsenders k-tv "gescreenshotteten" Foto vom Marsch für das Leben und schreibt dazu: 

"Viele Menschen, die mit solchem Gedankengut ausgestattet sind, sind auch hier zugegen... beim Marsch fürs Leben und beim Sender K-TV sowieso. R@ssismus ist eng verbunden mit ihrem Religionschauvinismus". 

Man sieht, es ist keine assoziative Brücke zu wacklig, dass man nicht versuchen sollte, den einen oder anderen Leser drüberzulocken. Erst hat der Herr H. eine unfreundliche Begegnung im Straßenverkehr, die er prompt als rassistische Beleidigung imaginiert; und dann fällt ihm dazu unversehens der Marsch für das Leben ein. Auch da: Alles voll mit Rassisten! Nun gut, behaupten kann man natürlich alles Mögliche, besonders wenn man das mit einem knalligen "sowieso" bekräftigt. Nach einer Basis in der Realität kann man bei dieser Behauptung allerdings lange suchen. Was den diesjährigen Marsch für das Leben in Berlin angeht, verweise ich auf die Beobachtung des Bloggerkollegen Peregrinus von "Allotria catholica",  dass "beim Marsch Menschen aller Hautfarben beteiligt waren (und ebenso am nächsten Morgen bei der Messe in St. Afra)", wohingegen er "unter den Gegendemonstranten [...] nur Weiße gesehen" habe; das deckt sich mit meinen Eindrücken aus früheren Jahren. Darüber hinaus weitet die Erwähnung der Messe in St. Afra – wo das Institut St. Philipp Neri die außerordentliche Form des Römischen Ritus pflegt – den Blick dafür, was in einem breiteren Sinne von der Behauptung zu halten ist, diejenigen Kreise, denen der Horse & Hound-Vodkaster "Religionschauvinismus" (wahlweise auch: Fundamentalismus, religiösen Extremismus...) ankreidet, neigten quasi naturgemäß zu Rassismus. Aus meinem persönlichen Erfahrungsbereich würde ich hier exemplarisch auf die hinsichtlich der geographischen und ethnischen Herkunft ihrer Mitglieder außerordentlich "diverse" Gemeinde von St. Clemens am Anhalter Bahnhof verweisen, aber auch über besonders auffällige Einzelfälle hinaus würde ich mal als Gesamteindruck festhalten, wenn man sich unterschiedliche Kirchengemeinden ansieht, sind es tendenziell eher die bildungsbürgerlich milieuverengten postchristlich-liberalen Gemeinden, die ein "Diversity"-Problem haben. Das erklärt dann irgendwie auch die eigentümliche Projektionsleistung, sich selbst als Opfer rassistischer Beleidigung zu imaginieren. 

Wie komme ich von hier aus zum Schluss? Vielleicht so: Auf dem besagten Instagram-News-Channel gab Horse & Hound-Halagan unlängst zu Protokoll, "jemensch" habe ihm gesteckt er werde "nix mehr werden", wenn er sich nicht "zurückhielte". "Denkt mal über die ganzen Implikationen dieses Ausgedrückten nach!", forderte er seine Leser auf; nun gut, das habe ich getan, und dabei haben sich mir zwei recht unterschiedliche Gedanken aufgedrängt. Zunächst mal scheint mir hier eine ähnliche verschwörungstheoretisch grundierte Fehlwahrnehmung vorzuliegen wie bei der Unterstellung, beim Marsch für das Leben sowie überhaupt in religiös konservativen Kreisen wimmle es von Rassisten. In diesem Fall handelt es sich um das Vorurteil, die Machtstrukturen in der Kirche, auch und sogar in den deutschen Bistümern, wären fest in der Hand konservativer Cliquen. Tatsächlich würde ich ja denken, als Pastoralreferent im Bistum Essen würde man erheblich größere Schwierigkeiten bekommen, wenn man sich als entschieden rechtgläubig katholisch zu erkennen gäbe, als wegen irgendwelcher "progressiver" Positionen. Mein zweiter Gedanke war: Ja Moment mal, was will der Thomas H. denn innerhalb der kirchlichen Strukturen überhaupt noch "werden"? Der Gedanke hat durchaus etwas Beunruhigendes... 


Samstag, 18. Oktober 2025

Die 3 K der Woche (47): Kinder, Kirche, Kino

Salvete, geschätzte und verehrte Leser! Es ist wieder Wochenbriefing-Zeit, und dieses Mal wird es thematisch wieder etwas bunter als in den zurückliegenden Wochen. Dass diese Ausgabe der "3 K der Woche" zugleich auch etwas kürzer geraten ist als sonst oft, dürfte manchen Lesern ebenfalls ganz recht sein; umso mehr, als ich es ihnen damit erspare, etwas über die folgenden Themen lesen zu müssen: 

Auf das eine oder andere dieser Themen komme ich vielleicht noch zurück, aber nur, wenn ihr, o Leser, es wirklich unbedingt wollt. Worum es in diesem Wochenbriefing stattdessen geht, erfahrt ihr wie immer nach dem liebevoll ausgewählten Vorschaubild: 

Dieses gerahmte Bild hat unsere Tochter in der Bastelwerkstatt ihrer Schule entdeckt und die Erlaubnis erhalten, es mit nach Hause zu nehmen und in ihrem Kinderzimmer aufzuhängen. Die Welt ist doch voller Zeichen und Wunder! 


Neues von der Pfadfinderei 

Es steht zu vermuten, Leser, dass dies zukünftig eine regelmäßige Rubrik wird; auf jeden Fall wird uns dieses Thema noch öfter und länger beschäftigen, wobei durchaus noch nicht feststeht, in welche Richtung hier die Reise geht. Schon am vergangenen Samstag war es am Ende eine ziemlich knappe Entscheidung, ob wir zu den Royal Rangers oder zu den KPE-Wölflingen gehen würden. Schließlich haben die Royal Rangers in doppelter Hinsicht einen "Standortvorteil": einerseits, weil ihr Treffpunkt so nah an unserem Zuhause liegt, dass wir da bequem zu Fuß hingehen können, und andererseits, dass er unmittelbar am Rand des Tegeler Forsts liegt, wodurch es unschwer möglich ist, Teile der Gruppenstunden direkt in den Wald zu verlegen. Das ist schon ziemlich traumhaft. Derweil spricht für die KPE zum einen, dass sie eben katholisch ist, und zum anderen die sehr positive und noch ganz frische Erfahrung des Herbstlagers; und dann ist da noch das Problem der Altersstufen: Bei den Royal Rangers gibt es – theoretisch – deren sechs, von denen die erste schon mit vier Jahren anfängt, aber wie schon erwähnt, hat der Tegeler Stamm derzeit keine Gruppen für Kinder unter 9 Jahren; eine neue Gruppe für die Altersgruppe 6-8 ("Forscher") soll zwar nach den Herbstferien starten, aber auch dann gäbe es immer noch das Problem, dass, wenn wir weiterhin zusammen mit der Schulfreundin unseres Tochterkindes zu den Royal Rangers gehen wollten, mit der wir am letzten Septemberwochenende dort waren, die Mädchen dauerhaft in verschiedene Gruppen eingeteilt werden würden. Bezüglich dieses Altersstufenproblems hatte ich im Vorfeld des jüngsten Stammestreffens den Stammleiter der Royal Rangers zu kontaktieren versucht, aber erst einmal keine Antwort bekommen; stattdessen erhielten wir per eMail eine Einladung zur Meutenstunde der KPE-Wölflinge, die am selben Tag und annähernd zur selben Uhrzeit stattfand wie das Stammestreffen der Royal Rangers, und damit war der Fall für dieses Wochenende eigentlich klar (auch wenn ich am Freitagabend doch noch eine sehr nette Antwort vom Stammleiter der Royal Rangers erhielt, aber dazu später). 

Wir fuhren am vergangenen Samstag also erst mal zu den KPE-Wölflingen, und zwar mit der ganzen Familie, damit meine Liebste sich auch ein Bild machen konnte; was den Jüngsten anging, hofften wir, vor Ort Näheres über die Wichtelgruppe herausfinden zu können, die es am Standort des derzeit einzigen Berliner KPE-Stammes ja neuerdings auch geben soll, über die online aber nichts in Erfahrung zu bringen war. – Erst einmal mussten wir dafür eine knappe Stunde mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt gurken, aber schon beim Umsteigen am Potsdamer Platz trafen wir ein Mädchen in Wölflingskluft, das das Tochterkind und ich aus dem Herbstlager kannten und das dasselbe Ziel hatte wie wir. 

Wie sich zeigte, war die eigentliche Leiterin der Wölflingsgruppe gesundheitlich indispondiert, weshalb die junge Französin, die derzeit beim Berliner KPE-Stamm hospitiert, die Meutenstunde leitete, unterstützt von einem erfahrenen Assistenten, der ebenfalls mit beim Herbstlager gewesen war. Über die Wichtelgruppe konnten wir von ihnen erst einmal nichts Genaueres erfahren, als dass sie sich einmal im Monat trifft; dafür wurde es aber – zur besonderen Freude meiner Liebsten – ohne Diskussion akzeptiert, dass unser Jüngster für diesmal bei den Wölflingsmädchen mitmachte, und er war ausgesprochen engagiert bei der Sache. Die Große, die ja schon ein bisschen Erfahrung hatte, natürlich erst recht. Anfangs war sie etwas enttäuscht, dass ihre neue Freundin aus dem Herbstlager nicht dabei war, aber darüber kam sie recht schnell hinweg. Insgesamt waren ungefähr 15 Mädchen bei diesem Meutentreffen, die meisten davon kannten wir bereits aus dem Herbstlager. Auch im Ablauf des Meutentreffens wiederholten sich einige Elemente, die uns aus dem Tagesablauf im Lager bekannt waren; meine Liebste, für die das alles neu war, war ausgesprochen angetan, auch und gerade von den "zeremoniellen" Elementen. 

Was unsere Tochter betrifft, finde ich es schon recht aussagekräftig, dass sie, nachdem sie auf der Hinfahrt albern und hibbelig gewesen war, auf der Rückfahrt hochkonzentriert in ihrem Wölflingsbuch ("Der Weg durch den Dschungel") las. Es mag sein, dass auf meiner Seite ein gewisser Anteil Wunschdenken mit im Spiel ist, aber mir scheint, so begeisterungsfähig und vielseitig interessiert unsere Große von jeher ist, habe ich sie doch noch bei keiner anderen Aktivität so engagiert und motiviert erlebt wie bei den Wölflingen. Und es tut ihr offenbar gut, gefordert zu werden – was in der Schule vielleicht eher zu wenig der Fall ist. Kurz und gut, für mich steht es außer Frage, dass wir an dem Thema dranbleiben müssen – wenn es auch noch nicht ganz klar ist, in welcher Form genau. Die Idee, etwas weiter im Norden Berlins eine neue KPE-Gruppe mit-aufzubauen, steht weiterhin im Raum und erscheint mir auch weiterhin reizvoll, wenngleich meine Liebste durchaus überzeugende Argumente dafür ins Feld führt, dass es für unser Kind viele Vorteile hätte, in eine bereits bestehende Meute einzutreten. Vorläufig spricht aber wohl auch nichts dagegen, sich verschiedene Optionen offen zu halten – wozu es auch gehören könnte, den Royal Rangers nach den Herbstferien noch eine Chance zu geben; jedenfalls wenn deren Termine nicht regelmäßig und dauerhaft mit denen der KPE-Wölflinge kollidieren, denn in diesem Fall würde ich wohl doch den letzteren den Vorzug geben. 

Übrigens hat mein Bekannter, der mich für das Küchenteam beim Herbstlager auf dem Achorhof rekrutiert hatte, mir ein paar Literaturtipps gegeben – nicht speziell zur Pfadfinderei, sondern allgemein zu den Themen Fahrt und Lager sowie zur Geschichte der Wandervogelbewegung –, damit ich mich, wie er sagte, zu diesen Themen nicht mehr ausschließlich aus dem Komm-mit-Kalender informieren muss. Ein paar Bücher hat er mir aus seinen eigenen Beständen geliehen, ein weiteres habe ich mir aus der Bücherei besorgt. Von meinen Lesefrüchten aus diesen Büchern wird in zukünftigen Artikeln wohl noch gelegentlich die Rede sein; für die einschlägigen Artikel aus dem Komm-mit-Kalender gilt das allerdings auch...! Im Übrigen habe ich festgestellt, dass der Herbst eine gute Zeit ist, um mit den Kindern auf dem Weg zur Schule und zur KiTa Baumbestimmung zu üben. Und ich lerne selber noch was dabei – zum Beispiel, Platanen- von Ahornblättern zu unterscheiden... 


Schwarzer Gürtel in KiWoGo 

Die Kinderwortgottesdienst-Saison hat endlich wieder begonnen, Freunde! Zum KiWoGo am 28. Sonntag im Jahreskreis – über das Evangelium von der Heilung der zehn Aussätzigen (Lukas 17,11-19) – fanden sich in St. Joseph Siemensstadt elf Kinder ein, von denen mindestens acht zum neuen Erstkommunionkurs gehörten. Man hätte sich durchaus eine etwas größere Teilnehmerzahl wünschen können, zumal durchaus noch ein paar mehr Familien mit Kindern in der Messe waren; aber seien wir mal optimistisch, dass die Beteiligung bei den künftigen KiWoGo-Terminen noch zunimmt. Konzentrieren wir uns einstweilen darauf, wie wir den KiWoGo zur Heilung der zehn Aussätzigen gestaltet haben: 

Zur Eröffnung durfte ich erst mal wieder ein Lied mit den Kindern einüben, nämlich "Alles was ich hab" – das ist so schön einfach, da schadete es auch nichts, dass ich schon lange nicht mehr richtig ernsthaft Gitarre geübt hatte (was ich in Zukunft gleichwohl wieder verstärkt tun sollte und auch will). Anschließend sprach ich mit den Kindern über Erfahrungen mit dem Kranksein – mit dem Fazit: Wenn man krank ist, ist es besonders wichtig, dass jemand da ist, der sich um einen kümmert. Wie wäre es nun aber, eine Krankheit zu haben, die so schlimm ist, dass sich niemand um einen kümmert, weil alle viel zuviel Angst haben, sich anzustecken? An dieser Stelle übernahm der Gemeindereferent und erläuterte, was man im biblischer Zeit unter Aussatz verstand und wie mit dieser Krankheit umgegangen wurde; dann wurde das Evangelium vorgelesen. In der anschließenden Auslegung stand, was wohl naheliegend war, das Thema Dankbarkeit im Mittelpunkt: Der Gemeindereferent hatte einen zugedeckten Korb mitgebracht, aus dem einige der Kinder Gegenstände hervorziehen durften, die symbolisch für verschiedene Gründe standen, dankbar zu sein (z.B. ein Ball für Spiel und Spaß, ein Kissen für ein gemütliches Bett, ein Apfel für gutes und ausreichendes Essen). 

Ein ewiger Unsicherheitsfaktor bei der Planung von Kinderwortgottesdiensten ist es bekanntlich, dass man nie so genau weiß, wie viel Zeit man zur Verfügung hat; daher empfiehlt es sich, "weglassbare Elemente" einzuplanen, die man verwenden kann, wenn man genug Zeit hat, die aber auch fehlen dürfen, ohne dass es auffällt bzw. ohne dass es die Stimmigkeit des Gesamteindrucks beeinträchtigt. Im vorliegenden Fall hatte mich die Frage Jesu an den einen dankbaren Geheilten, "Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind die neun?" (V. 17), an einen Satz des französischen Schriftstellers Charles Péguy erinnert, den Dorothy Day mehrfach in ihren Tagebüchern zitiert: "Wenn wir in den Himmel kommen, wird Gott uns fragen: Wo sind die anderen?" Ich hatte mir gedacht, daraus könnte man zum Abschluss der Katechese noch einen "weiterführenden Impuls" basteln, aber dazu kamen wir dann doch nicht mehr. Immerhin durfte ich zum Schluss noch ein freies Gebet im JAM-Stil sprechen, das die Kernaussagen der Katechese zusammenfasste. 

Alles in allem würde ich sagen, es war vielleicht nicht der brillanteste KiWoGo aller Zeiten, aber doch allemal ein gelungener Saisonauftakt; weiter geht's am 9. November, dem Weihetag der Lateranbasilika, mit dem Evangelium von der Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel... 


Sei wie du bist, die anderen gibt's ja schon 

Von der Kirche aus fuhren wir zum Cinestar Tegel, um uns auf Wunsch der Kinder den Film Die Schule der magischen Tiere 4 anzusehen. Sowohl von dieser Filmreihe als auch von der ihr zugrundeliegenden Buchreihe war auf meinem Blog schon mehrfach die Rede; ich schätze, wenn man ein Kind im Zielgruppen-Alter dieser Franchise hat, ist es schwer, dem Hype zu entgehen – obwohl ich sagen muss, als ich erstmals ein Buch dieser Reihe aus der Kinder- und Jugendbuchabteilung der örtlichen Stadtteilbibliothek auslieh, hätte ich nicht erwartet, dass diese Serie so ein großes Ding wird. – Ganz interessant ist, dass just das Buch, das wir zufällig als erstes aus dieser Reihe gelesen haben – "Top oder Flop!", der fünfte Band –, die wesentliche Vorlage für den vierten Film bildete, nachdem der dritte Film Motive aus den Bänden 3 und 4 miteinander kombiniert hatte. Hinzu kommt ein in den bisherigen Filmen nicht verwendeter Handlungsstrang aus Band 2: Ida bekommt Besuch von ihrer Freundin Miriam. Diese Figur wird im Film mit Franka, die im 5. Buch eine der Hauptrollen spielt, "zusammengemorpht", statt einer Ratte bekommt sie einen Koboldmaki als magisches Tier, und auch sonst wird in noch stärkerem Maße als in den vorherigen Filmen aus den den Büchern entlehnten Motiven eine ganz neue Handlung gestrickt – ich bin geneigt zu sagen: eine bessere, die sich auf durchaus ernsthafte Weise mit Themen wie Mobbing, Rivalität und Rollenzwang unter Schülern auseinandersetzt. Das war durchaus auch schon in den früheren Filmen der Reihe so angelegt. Ein Manko dabei ist, dass die Rolle der titelgebenden magischen Tiere dadurch im Grunde nebensächlich und verzichtbar wird: In ihrer Funktion als Mutmacher und, wenn man so will, "Selbstfindungs-Assistenten" für die Hauptcharaktere wären sie durchaus ersetzbar, und ansonsten steuern sie lediglich eine Mischung aus Slapstick-Komik und Niedlichkeit zum Film bei. Im Grunde enthüllt dieser Befund die Fadenscheinigkeit und Unglaubwürdigkeit der Handlungsprämisse der gesamten Franchise. (Es sei an dieser Stelle betont, dass Glaubwürdigkeit in der Kunst – besonders, aber nicht nur, wenn phantastische Elemente im Spiel sind – etwas grundsätzlich Anderes ist als Realismus. Dass die Handlungsprämisse der Schule der magischen Tiere nicht realistisch ist, versteht sich von selbst; das befreit sie aber nicht von der Verpflichtung, sich um Glaubwürdigkeit zu bemühen. Aber das zu vertiefen, würde hier wohl den Rahmen sprengen.) – In der Szene, in der Mr. Morrison in der Klasse zwei neue magische Tiere verteilt und zuvor alle Schüler gemeinsam ihren Schwur aufsagen müssen ("Niemals, niemals sprechen wir / mit anderen über das magische Tier..."), drängte sich mir die Frage auf, ob eigentlich noch nie jemand auf die Idee gekommen ist, die Schule der magischen Tiere-Franchise dafür zu kritisieren, dass das Handlungskonstrukt der "magischen Gemeinschaft" in Miss Cornfields Schulklasse, die vor Außenstehenden, einschließlich der Eltern, geheimgehalten werden muss, sektenartige und/oder faschistoide Züge habe; ein Vergleich mit Morton Rhues "Die Welle" könnte durchaus reizvoll sein, scheint mir. – Als störend empfand ich es auch, dass die Darsteller der Schüler allmählich deutlich zu alt für ihre Rollen sind; und besonders, dass die Rolle von Ida (Emilia Maier) – ursprünglich eine der handlungsstärksten Figuren der Serie – sich zunehmend darauf beschränkt, betroffen zu gucken und ihren Mitschülern Hiobsbotschaften zu überbringen, die sie im Friseursalon ihrer Mutter aufgeschnappt hat: Galt es in Teil 3 den Stadtwald vor der Abholzung zu retten, so ist diesmal die Schule wegen rückläufiger Schülerzahlen von der Schließung bedroht. Auf welche Weise das Unheil im letzten Moment gerade noch abgewendet wird, strapaziert in beiden Fällen die Glaubwürdigkeit ziemlich stark, aber bei aller Kritik muss ich doch einräumen, dass es dem Film zum Ende hin recht gut gelang, mich auf einem emotionalen Level "mitzunehmen". 

Ein wichtiges Erfolgsmoment der Filmreihe, gerade in Hinblick auf ihre Vermarktung außerhalb des Kinosaals, stellen auch die zahlreichen Gesangs- und Tanznummern dar: Wer selbst keine zur Zielgruppe der Franchise zählenden Kinder hat oder kennt, dem sei versichert, dass diese Lieder derzeit in Kinderdiscos, Tanzschulen etc. rauf und runter laufen, und man darf davon ausgehen, dass sie bei vielen Kindern nachhaltiger "hängen bleiben" als die Handlung des Films selbst. Der Umstand, dass im Zentrum der Handlung ein Wettkampf zwischen mehreren Schulen steht, zu dem als zweite von drei "Challenges" auch ein Tanzwettbewerb gehört, bringt es mit sich, dass der Soundtrack mehrere "Diss-Tracks" enthält (nach dem Muster "Wir sind die Besten, ihr seid doof"); das finde ich – gerade bei einem auf Kinder im Grundschulalter zugeschnittenen Produkt – pädagogisch eher nicht so wertvoll, aber einen effektvollen Kontrapunkt dazu setzt ein Lied, das gegen Ende des Films, gewissermaßen zur Feier des Happy Ends, zum Einsatz kommt: "Sei wie du bist". Hier lautet die Message, dass jedee einzelne Mensch in seiner Einzigartigkeit wichtig ist und auch eine Gemeinschaft gerade von der Verschiedenheit ihrer Mitglieder lebt – und dass es deswegen unsinnig ist, so sein zu wollen wie andere. Eine gute Botschaft (nicht nur) für Kinder, wie ich finde; noch dazu ist das Lied enorm eingängig, fast hätte es den Titel des "Ohrwurms der Woche" errungen. Da habe ich mich dann aber doch für ein anderes Lied entschieden (siehe unten). 


Auf der anderen Straßenseite 

Am Dienstagabend nahm meine Liebste an einem ersten Vorbereitungstreffen für den geplanten Alpha-Kurs in der EFG The Rock Christuskirche teil, während ich die Kinder allein ins Bett brachte. Das klappte aber ganz gut, und als meine Liebste nach Hause kam, war sie ganz erfüllt von Inspiration und Motivation. Wie sie berichtete, war bei dem Treffen viel darüber beratschlagt worden, wie man sicherstellen könne, dass der Alpha-Kurs von der ganzen Gemeinde getragen und nicht bloß als irgendein Angebot "für die, die's interessiert" wahrgenommen wird. In diesem Zusammenhang war davon die Rede, dass die Gemeinde eine Mitarbeiterquote von über 80% habe, d.h. mehr als vier von fünf Gemeindemitgliedern übernehmen in irgendeiner Form und in unterschiedlichem Umfang Dienste in der Gemeinde und für die Gemeinde; geäußert wurde dies im Zusammenhang mit dem wohl berechtigten Hinweis, man solle vorsichtig damit sein, den sowieso schon aktiven Mitgliedern noch zusätzliche Aufgaben aufzubürden, aber auch ganz unabhängig von diesem Kontext finde ich diese Zahl ganz schön beeindruckend

Man könnte freilich sagen, die Kehrseite dieser hohen Beteiligungsquote sei es, dass die Gemeinde insgesamt sehr klein ist; und auch wenn einem das gar nicht so vorkommt, wenn man ansonsten Gemeinden gewohnt ist, die auf dem Papier ein paar Tausend Mitglieder haben, von denen man aber immer nur dieselben paar Leutchen im Gottesdienst sieht – von nicht-gottesdienstlichen Gemeindeveranstaltungen ganz zu schweigen –, bringt der Ansatz, auf intensive statt auf extensive Mitgliedschaft zu setzen, doch auch Schwierigkeiten mit sich. So wurde bei dem Treffen geäußert, in Gemeinden mit mehr Mitgliedern und mehr regelmäßig stattfindenden Hauskreisen könnten die Hauskreisleiter die Verantwortung für den Alpha-Kurs übernehmen, die Kurstermine könnten in die sowieso stattfindenden Hauskreistreffen integriert werden, das würde die Organisation vereinfachen und die Absolventen des Alpha-Kurses würden auf natürliche Weise ins Gemeindeleben eingebunden. Das kann diese Gemeinde in dieser Form jedoch nicht leisten. 

Was nun meine Liebste betrifft, ist sie für sich zu dem Schluss gekommen, dass sie ihre Mitwirkung an diesem Alpha-Kurs vorerst auf eine "dienende" Tätigkeit im Hintergrund, also beispielsweise Küchendienst, beschränken sollte; der Lohn für diesen Dienst, so meint sie, bestehe dann darin, aus nächster Nähe Einblicke in die organisatorische Durchführung eines Alpha-Kurses zu erhalten und auf diese Weise Kenntnisse zu erwerben, die sich in Zukunft noch als nützlich erweisen dürften. Man darf gespannt sein, wie die Sache sich entwickelt! 


Was ist eigentlich aus der Blogrundschau am Donnerstag geworden? 

Tja, Leser. Inzwischen sind drei Donnerstage verstrichen, an denen keine neue Ausgabe meiner eigentlich auf einen wöchentlichen Erscheinensrhythmus angelegten Blogoezese-Rundschau 'rausgekommen ist. Was ist da passiert bzw. nicht passiert? – Ich schätze, es ging damit los, dass ich keine Lust hatte, mich damit auseinanderzusetzen, was Schweinfarz zum Thema Regretting Motherhood schreibt; bzw. wenn ich mich doch dazu hätte aufraffen können, wäre da wohl eher ein eigenständiger Artikel draus geworden, vielleicht auch eher für die Tagespost als für meinen Blog, aber dazu bin ich (zumindest bisher) nicht gekommen, dazu hatte ich zu viel anderes zu tun. Zum Beispiel Küchendienst in einem Wölflingslager. In der Zeit hatte ich sowieso nicht die Muße, mich darüber auf dem Laufenden zu halten, was in der Blogoezese so los ist. Und danach fehlte mir irgendwie der Antrieb, den unterbrochenen Rhythmus wieder aufzunehmen. Kurz und gut, nach zwölf Ausgaben – immerhin eine schön symbolträchtige Zahl! – pausiert die Blogoezese-Rundschau derzeit und bis auf Weiteres; ich erwäge durchaus, sie nach Allerheiligen oder vielleicht im Advent (also zu Beginn des neuen Kirchenjahres) wiederzubeleben, aber dann vielleicht in abgespecktem Format, um mehr Zeit und Gehirnkapazität für andere Dinge freizuhalten. Die Minimallösung wäre natürlich, eine "Blogrundschau"-Rubrik ins Wochenbriefing einzubauen; dazu gab es in der Vergangenheit schon ein paar Anläufe, allerdings hat sich das auf die Dauer nie so richtig bewährt. Na, schauen wir mal... 


Geistlicher Impuls der Woche 

Wer Jesus als Freund und hochherzigen Führer an seiner Seite hat, kann alles tragen; denn Jesus hilft uns und gibt uns Kraft. Er lässt keinen im Stich und ist ein wahrer und aufrichtiger Freund. Auf Sein Leben müssen wir schauen; denn ein besseres und vollkommeneres Vorbild für die Nachfolge werden wir nicht finden. – Was wollen wir mehr als einen treuen Freund an unserer Seite, der uns in Mühsal und Not nicht verlässt, wie es weltliche Freunde tun? Wohl dem, der Ihn wirklich und aufrichtig liebt und Ihn immer neben sich hat! 

(Teresa von Ávila, Über das Buch des Lebens) 


Ohrwurm der Woche 

Laura Branigan: Gloria 

Das Musikgenre "Italo Disco" würde ich im Großen und Ganzen als guilty pleasure bezeichnen: Nicht gerade die Art von Musik, von der man gern zugibt, dass man sie mag, aber ab und an hört man sie eben doch gern. Zumindest aus kontinentaleuropäischer Perspektive sind Italo-Disco-Klassiker wie "I Like Chopin" von Gazebo, "Another Life" von Kano oder auch der Soundtrack des TV-Mehrteilers "Cinderella 80" einfach ein nicht wegzudenkender Bestandteil des 80er-Jahre-Sounds. Und wenn man ungefähr so alt ist wie ich, knüpfen sich an diesen Sound, ob man will oder nicht, allerlei Kindheits- und Jugenderinnerungen. – Was hat das nun aber mit Laura Branigan zu tun, gegen deren Zuordnung zum Genre "Italo Disco" recht offensichtlich die Tatsache spricht, dass sie keine Italienerin (und, im Unterschied zu ihrer Fachkollegin Bonnie Bianco, noch nicht einmal italienischstämmig, sondern vielmehr irischer Abstammung) war? Nun, ich schätze, man könnte behaupten, dass Laura Branigans Karriere zu einem nicht unwesentlichen Anteil darauf beruhte, Italo Disco über den kontinentaleuropäischen Raum hinaus populär zu machen. Jedenfalls waren ihre größten Hits Coverversionen von Songs aus Italien: "Self Control" (1984) war im Original ein Hit für Raffaele Riefoli alias Raf (Nr. 1 in Italien und der Schweiz, Nr. 2 in Deutschland), und das hier verlinkte "Gloria" (1982) basiert auf einem gleichnamigen, drei Jahre zuvor erstveröffentlichten Song von Umberto Tozzi. Ich sage "basiert" und "gleichnamig", weil der Text der Branigan-Version nicht etwa eine Übersetzung von Tozzis Text ins Englische darstellt, sondern einen ganz anderen Inhalt hat. Zum Ohrwurm der Woche hat es die Nummer hauptsächlich dadurch gebracht, dass ich unlängst einen Ausschnitt daraus auf Instagram gesehen habe. 


Vorschau/Ausblick 

Es sind Herbstferien, und heute fand, wie vorige Woche bereits angekündigt, im Galeria in der Gorkistraße in Tegel ein Infotag der Gemeinde auf dem Weg statt, bei dem es um Angebote für Familien ging. Zunächst hatten wir allerdings noch anderes zu tun: Von gestern auf heute hatte eine Schulfreundin unserer Großen bei uns übernachtet, und dann hatten wir am Vormittag eine Spielplatzverabredung (zu der unser Übernachtungsgast kurzerhand mitkam). Am frühen Nachmittag fanden wir uns dann aber doch bei Galeria ein; ein paar Eindrücke davon, was es dort zu sehen und zu tun gab, könnten im nächsten Wochenbriefing Platz finden. Was den morgigen Sonntag angeht, erwägen wir, ausnahmsweise mal wieder "in St. Afra im wenig idyllischen Stadtteil Gesundbrunnen zur Messe" zu gehen, "wo das Institut St. Philipp Neri die außerordentliche Form des Römischen Ritus pflegt", wie ich es formulierte, als wir das letzte Mal dort waren – nämlich am Pfingstsonntag 2023. Darüber wird es dann sicherlich auch etwas zu berichten geben. Am Montag ist unsere Große bei einer Schulfreundin zum Geburtstag eingeladen, am Mittwoch hat sie dann selbst Geburtstag; sie hat sich, durchaus altersgemäß, eine reine Mädchenparty gewünscht, aber da diese aus organisatorischen Gründen erst nach den Ferien stattfinden wird und sie außerdem auch ein mit ein paar Jungs befreundet ist (und einen kleinen Bruder hat!), findet an ihrem eigentlichen Geburtstag erst mal die – vergleichsweise kleinere – "Jungsparty" statt. Und am Donnerstag verreisen wir dann für den Rest der Ferien. Das wird abenteuerlich – und ich kann keine Gewähr übernehmen, dass das nächste Wochenbriefing pünktlich erscheint, denn es steht die Möglichkeit im Raum, dass es da, wo wir zum üblichen Veröffentlichungszeitpunkt am nächsten Samstag sein werden, keinen Internetzugang gibt. Mehr wird noch nicht verraten... 


Mittwoch, 15. Oktober 2025

Glanz und Elend der Urlauberkirche – Teil 1

In den zurückliegenden Sommerferien hat – wie ich in meinen Wochenbriefings aus dem Urlaub (zuzüglich eines separaten Artikels zur musikalischen Gestaltung) recht ausführlich geschildert habe – meine Familie erstmals in nennenswertem Umfang die Angebote der Urlauberkirche in Butjadingen genutzt, und das hat mich einmal mehr daran erinnert, dass ich schon lange mal etwas über meine Erinnerungen an die Urlauberseelsorge-Projekte bloggen wollte, die ich in meiner Kindheit und Jugend in Butjadingen erlebt habe. Umrissen habe ich dieses Thema schon vor über acht Jahren in meinem Blogartikel "Wer darf Gast sein in deinem Zelt" – meinem allerersten Debattenbeitrag in Sachen Urlauberseelsorge. Dort schrieb ich: 

Da ich [...] praktisch am Burhaver Strand aufgewachsen bin, habe ich schon seit frühester Kindheit so allerlei Erfahrungen mit Urlauberseelsorge gemacht. Zunächst einmal gab es da die evangelikal ausgerichtete "Strandmission", die vom "Geistlichen Rüstzentrum Krelingen" betrieben wurde. Krelingen ist ein Ortsteil von Walsrode und somit nicht direkt "um die Ecke", aber das Rüstzentrum betrieb ein Gästehaus in Burhave, und im Sommer kamen da immer Teams von Studenten oder solchen, die es werden wollten, hin und machten Programm für Urlauber und Einheimische. Trotz seines etwas militant wirkenden (und daher in neuerer Zeit gern abgekürzten) Namens gehört das GRZ Krelingen zur Evangelischen Landeskirche Hannovers; dennoch war, so lange ich mich erinnern kann, das Verhältnis zwischen "den Krelingern" und der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde stets einigermaßen konfliktbeladen. Auf katholischer Seite gab es ab 1986 die "Strandkorbkirche", deren Teams, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, meist vom BDKJ Münster oder Vechta kamen. Jedes Team blieb für drei Wochen, so wurde mit drei Teams pro Jahr die ganze Sommerferiensaison abgedeckt. Ich ging als Kind und Jugendlicher immer zu beiden Gruppen, zur "Strandmission" UND zur "Strandkorbkirche", aber bei den evangelikalen "Krelingern" gefiel es mir meist besser. Nicht nur, aber mit zunehmendem Alter zunehmend auch deshalb, weil es bei den "Krelingern" immer auf die eine oder andere Weise um Gott, Jesus Christus und den christlichen Glauben ging und bei der "Strandkorbkirche" oft eher um Basteln und Grillen. Wobei, nichts gegen Grillen. 

Damit ist ja schon allerlei ausgesagt, aber ich möchte doch versuchen, das – auch unter Rückgriff auf zeitgenössische Quellen, z.B. Tagebücher – noch zu präzisieren. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass – was in dem oben zitierten Abschnitt schon anklingt – die evangelikale "Strandmission" aus Krelingen zuerst da war; während ich an die Anfänge der katholischen "Strandkorbkirche" noch einigermaßen konkrete Erinnerungen habe, ist das Kinderprogramm der Krelinger-Strandmission – das, wie ich inzwischen nachgelesen habe, zumindest zeitweilig den Namen "Kinderhafen" trug – in meiner Erinnerung als etwas abgespeichert, was es gefühlt "schon immer gab". Fangen wir damit also mal an: Wie ich in dem bereits zitierten Blogartikel von 2017 notierte, wurde dieses Kinderprogramm

beworben, indem die Veranstalter mit einem Plakat und einer Gitarre über das gesamte Strandgelände wanderten, ein Einladungslied ("Kommt alle her, hallihallo" - ich hab das heute noch im Ohr) sangen und auf diese Weise die Kinder einsammelten wie weiland der Rattenfänger von Hameln. Klar, dass die Kinder da in Scharen angerannt kamen. Ebenso klar, dass unter den Erwachsenen Gerüchte kursierten, es handle sich um eine Sekte. Ein solches Image scheuen die Vertreter der "großen Kirchen" vermutlich. Und das ist ihr Problem. Das war damals auch schon so.

Aus heutiger Sicht scheint es mir, dass die damals kursierenden Verdächtigungen, "die Krelinger" seien "eine Sekte" (ich bin mir annähernd sicher, das u.a. auch aus dem Mund meines in religiöser Hinsicht eher volkskirchlich-moderat eingestellten Vaters gehört zu haben; hingehen ließ er meine Geschwister und mich aber bemerkenswerterweise trotzdem), in gewisser Weise die Grundlage dafür gelegt haben, mich nachhaltig gegen Warnungen vor "sektenartigen" Strömungen oder Tendenzen innerhalb des Christentums zu immunisieren. Was bei mir ankam – anfangs sicherlich nicht in so reflektierter Form, aber als Ahnung –, war: Wenn es als "sektenartig" wahrgenommen wird, dass Leute ihren Glauben ernst nehmen und so überzeugt davon sind, dass sie auch andere für diesen Glauben interessieren, ja begeistern möchten, dann ist dieses "Sektenartige" wohl nicht unbedingt etwas Schlechtes.

Meine Erinnerungen an konkrete Inhalte des "Kinderhafen"-Programms sind indes – was nach rund 40 Jahren wohl verzeihlich sein mag – ausgesprochen bruchstückhaft. Vor Augen habe ich noch ein großes Pappschild, auf dem ein stilisiertes Wählscheibentelefon zu sehen war, kombiniert mit dem Satz "Rufe mich an in der Not"; das war zweifellos Bestandteil einer Katechese zum Thema Gebet. Und dann erinnere ich mich noch an eine Handpuppe mit einem Löwenkopf und einem grünen Sakko, die "Professor Bottich" hieß. Einem Tagebucheintrag von 1990, als ich aus der Zielgruppe des "Kinderhafens" schon 'rausgewachsen war, verdanke ich die Information, dass diese Handpuppe "früher" von einem "Dr. Cochlovius" gespielt worden war – offenbar Joachim Cochlovius, der von 1979-96 Studienleiter des GRZ Krelingen war. (Ob – und wenn ja, in welchem Grad – er mit dem evangelischen Pfarrer Gero Cochlovius verwandt ist, der anno 2015 in der "Panorama"-Reportage "Die Schwulenheiler 2" als Vorzeigebeispiel für "Homophobie" innerhalb evangelischen Landeskirchen vorgestellt wurde, habe ich nicht zweifelsfrei klären können, aber da der Familienname wohl doch eher selten ist und beide im theologisch konservativen "Gemeindenetzwerk" aktiv sind, das sich als "Gemeinschaft bibel- und bekenntnisorientierter Gemeinden, Gemeinschaften, Verbände und Gemeindeglieder aus den Gliedkirchen der EKD" bezeichnet, hat diese Annahme zumindest eine gewisse Plausibilität für sich.)

Was derweil die Anfänge der katholischen "Strandkorbkirche" in Butjadingen betrifft, bin ich in der glücklichen Lage, neben eigenen Erinnerungen auf das Buch "Wider das Vergessen!" zurückgreifen zu können, das die Geschichte der 2010 in der Pfarrei St. Willehad aufgegangenen katholischen Gemeinden in Nordenham-Einswarden, Burhave und Stollhamm sowie der OASE in Tossens nachzeichnet und dabei der Geschichte der "Strandkorbkirche" ein 14 Seiten langes Kapitel (mit vielen Fotos) widmet. Diese Quelle ist umso wertvoller, als der Herausgeber des Buches, der 2022 verstorbene Pfarrer Alfons Kordecki, von Anfang an sehr wesentlich in den Aufbau einer Urlauberseelsorge in Butjadingen involviert war. Pfarrer Kordecki war im Herbst 1985 Pfarrverwalter von Herz Jesu Einswarden geworden und hatte zugleich die Seelsorge für das Pfarrrektorat Herz Mariä Burhave übernommen. Im Buch "Wider das Vergessen!" heißt es:

In dieser Zeit gab es fast noch gar keine Animationsangebote für die Urlauber. Da wurde Pfarrer Kordecki von dem Beauftragten des Münsterschen Generalvikariates für Urlauberseelsorge, Herrn Norbert Engel, informiert, dass es so etwas wie Urlauber- und Campingseelsorge gäbe. Zwar war der Pfarrer erst kurze Zeit in Nordenham und in Butjadingen, hatte aber bereits davon gehört, dass die zukünftigen Aufgaben der Kirche in Butjadingen zu einem erheblichen Teil die Seelsorge und Betreuung der Urlauber und Kurgäste beinhalten würde. ("Wider das Vergessen!", S. 106)

Schon bald darauf wird's konkret:

Mit tatkräftiger Unterstützung durch Norbert Engel konnten bereits für die Saison 1986 zwei Teams zusammengestellt werden, so dass am 17.07.1986 die Arbeit der "Strandkorbkirche" in Butjadingen-Burhave begann. (ebd.)

Ich war damals gerade mal zehn Jahre alt, und das bringt mich auf eine gewisse Diskrepanz zwischen der "offiziellen" Strandkorbkirchen-Geschichtsschreibung und meinen persönlichen Erinnerungen. Tatsächlich ist meine früheste präzise Erinnerung an die Strandkorbkirche in Burhave nämlich die, dass ich an einem Sommerferientag zusammen mit meiner Schwester zum Rat-Schinke-Haus lief, da wir gehört hatten, das neue Strandkorbkirchen-Team sei angekommen, und wir wollten uns ansehen, was das für Leute waren. Als wir beim Rat-Schinke-Haus ankamen, saß im Garten ein junger Mann mit Gitarre und war gerade dabei, ein Begrüßungslied für die Gutenachtgeschichte zu dichten und zu komponieren – ein Lied, das dann über Jahre hinweg zu diesem Zweck eingesetzt wurde. Erst unlängst, im Zusammenhang mit unserem ersten Besuch bei der Urlauberkirche im Rahmen unseres jüngsten Sommerurlaubs in Butjadingen, habe ich diese Erinnerung auf "so um 1990 herum" und "mithin just in meiner 'ersten Fundi-Phase'" datiert; dafür, dass diese Einordnung stimmt und es sich dabei folglich nicht um das allererste Strandkorbkirchen-Team gehandelt hat, spricht auch, dass das Rat-Schinke-Haus in den ersten Jahren noch gar nicht als Unterkunft für die Teams zur Verfügung stand: Bis 1985 waren in diesem Haus die Wohnräume des örtlichen Geistlichen und einiger Ordensschwestern untergebracht, erst ab 1987 wurde es "zu einem Gemeinde- und Bildungshaus umgebaut" und "[a]m 28. Februar 1988 [...] durch den Offizial, Weihbischof von Twickel, [...] eingesegnet. Dabei wurde das Haus in Erinnerung an den Gründer der Gemeinde 'Geistlicher Rat Schinke Haus' benannt" ("Wider das Vergessen", S. 72). – Gehen wir also davon aus, dass meine erste klare Erinnerung an die Strandkorbkirche aus dem Sommer 1988 datiert, als ich zwölf war, dann wäre daraus zu folgern, dass ich von den beiden ersten Saisons der Strandkorbkirche in Burhave praktisch nichts mitbekommen habe, jedenfalls nichts, was bei mir "hängengeblieben" wäre. Darauf, wie wahrscheinlich das mit Blick auf meine persönliche "Glaubensbiographie" ist, komme ich gegebenenfalls bei späterer Gelegenheit zurück, aber ausschließen kann ich es jedenfalls nicht. Halten wir uns also vorerst weiter an die Schilderung in "Wider das Vergessen!":

Das Gemeindehaus "Geistlicher Rat Augustin Schinke" wurde so hergerichtet, dass die Teamer dort untergebracht werden konnten. Außerdem wurde auf dem Campingplatz in Burhave am Strand ein Wohnwagen für die Urlauber-Seelsorge aufgestellt. Seitdem weht auch in Butjadingen eine Flagge, die in anderen Urlaubsorten bereits seit längerem bekannt war. Diese Flagge zeigt ein farbiges Kreuz auf weißem Grund als Symbol der katholischen Urlauberseelsorge. ("Wider das Vergessen!", S. 106f.)

Dieses Mosaikkreuz atmet natürlich eine Ästhetik, die seit den 70ern in sich als progressiv verstehenden Kirchenkreisen praktisch allgegenwärtig war, aber aus heutiger Sicht würde ich sagen, gegenüber dem 2016 (?) eingeführten Logo von "Willi's – Die Urlauberkirche" hatte es immerhin den Vorzug, dass es unschwer als christliches Symbol zu identifizieren war. – Zum Programmangebot der Strandkorbkirche liest man:

Von Anfang an stehen das allabendliche Sandmännchen (Singen, Spielen und die Gute-Nacht-Geschichte für Kleine und Große), der sonntägliche Gottesdienst mit anschließendem Klönsnack, das wöchentliche ökumenische Glaubensgespräch, das in den ersten Jahren noch abwechselnd im katholischen und evangelischen Gemeindehaus stattfand, und der einmal in der Saison stattfindende ökumenische Strandgottesdienst vor dem Rondell im Mittelpunkt der Strandkorbkirche. ("Wider das Vergessen!", S. 109)

Dazu ist zunächst einmal zum bekräftigen, dass von den hier genannten Programmschwerpunkten heute nichts mehr übrig ist; das "Sandmännchen" wurde irgendwann, vielleicht aus urheberrechtlichen Gründen, umbenannt, im Prinzip gab es diesen Programmpunkt aber noch, als ich das Thema Urlauberseelsorge im Sommer 2017 erstmals auf meinem Blog ansprach. Vor ein paar Jahren ist es dann jedoch, angeblich mangels Beteiligung, eingestellt worden. Was die anderen hier aufgeführten Programmpunkte angeht, kann ich zwar bezeugen, dass es sie gegeben hat, aber ich wäre weder damals noch in der Rückschau auf die Idee gekommen, sie als wesentlich dafür zu betrachten, was die Strandkorbkirche ist und tut; wie weiter oben schon festgehalten, hat sich bei mir eher der Eindruck festgesetzt, dass bei der Strandkorbkirche hauptsächlich gebastelt und gegrillt wurde. – Nun mag man es einigermaßen verständlich finden, dass die Chronik der Kirchengemeinde einen anderen Eindruck zu erwecken bestrebt ist; wenn es da aber kurz darauf heißt,

Selbstverständlich sind immer wieder Frühschichten, Andachten, Meditationen, die Vesper oder die Komplet und andere kirchliche Einladungen an die Urlauber äußerst wichtige Elemente der Strandkorbkirche ("Wider das Vergessen!", S. 110) ,

dann muss ich sagen, dass ich, solange ich in Butjadingen gewohnt habe (d.h. bis einschließlich zur Saison 1996), von diesen "äußerst wichtige[n] Elemente[n] der Strandkorbkirche" nichts, aber auch wirklich gar nichts mitbekommen habe. Nicht einmal auf dem Höhepunkt meiner "ersten Fundi-Phase" im Sommer '92 – darauf wird in einem Folgeartikel noch detaillierter einzugehen sein. Ich glaube mit Bestimmtheit sagen zu können, dass ich als Jugendlicher keinen Schimmer hatte, was Vesper und Komplet sind – was ich aus heutiger Sicht bedaure; und beinahe hätte ich gesagt, was "Frühschicht" im kirchlichen Kontext bedeutet, wisse ich bis heute nicht, aber das stimmt nicht ganz, denn ich habe Google gefragt. Dort habe ich erfahren, dass "Frühschicht" eine Bezeichnung für eine Gottesdienstform ist, die "auf moderne Inhalte, eine lockere Atmosphäre und die aktive Einbindung der Menschen" setzt. Ich persönlich finde ja, der Name klingt verdächtig nach einer Art "Bitterfelder Weg" der Pastoraltheologie – und hat entschiedene NGL-Vibes, man denke nur mal an die "Kleine Löterin". Dazu möchte ich anmerken, dass der Gesamtkomplex "Was die Generation NGL für 'modern' und 'zeitgemäß' hielt oder immer noch hält" durchaus gut zu dem Bild von "Strandkorbkirche" passt, das in meiner Erinnerung lebt; aber wann und wo diese "Frühschicht"-Gottesdienste stattgefunden haben sollen, wüsste ich nicht.

-- Vielleicht ja im Zelt auf dem Campingplatz? Man liest in "Wider das Vergessen!" nämlich auch, in Tossens, wo "[w]egen der guten Resonanz in Burhave [...] am 27.06.1987" ein zweites Standbein (oder "Strandbein", höhö) der Strandkorbkirche eröffnet wurde, "um genau dort zu sein, wo die Urlauber sind", seien in einem Zelt auf dem Campingplatz "Gottesdienste gefeiert [worden], die teilweise so gut besucht wurden, dass die Kinder unter dem Altar sitzen mussten, damit alle Platz finden konnten. Die Atmosphäre bei diesen Gottesdiensten war meistens so dicht, dass der Heilige Geist in diesem Zeit spürbar wurde" (S. 110f.). – Klingt ja toll, könnte man meinen; ich bin allerdings immer recht skeptisch gegenüber solchen Aussagen, jedenfalls wenn sich mir dabei der Verdacht aufdrängt, dass liberalkatholische Akteure die Sprache der Charismatischen Bewegung appropriieren und/oder ihren eigenen Vogel mit dem Heiligen Geist verwechseln. – Unmittelbar im Anschluss an die Erwähnung dieser geisterfüllten Campingplatz-Gottesdienste wird übrigens berichtet, dass der Strandkorbkirchen-Wohnwagen auf dem Tossenser Campingplatz "[b]ei einer Sturmflut [...] so überschwemmt [wurde], dass er nicht mehr einsatzfähig war und ein neues Mobilheim gekauft werden musste" (S. 111). Darüber, ob sich damit auch der Heilige Geist verflüchtigt hatte, erfährt man in diesem Zusammenhang nichts.

Okay, Polemik beiseite: Was hier über die Zeltgottesdienste auf dem Tossenser Campingplatz gesagt wird, ist auch insofern bemerkenswert, als man an anderer Stelle im selben Buch erfährt, der "Versuch[,] ökumenische Strandgottesdienste auch in Tossens einzuführen" – nachdem diese nämlich in Burhave bereits "eine lange Tradition" hatten – sei "mangels Beteiligung schon beim zweiten Ansatz gescheitert" (S. 109). Was der Hinweis auf die "lange Tradition" der ökumenischen Strandgottesdienste in Burhave lediglich andeutet, ist, dass diese ursprünglich überhaupt nichts mit der Strandkorbkirche zu tun hatte, sondern bereits in der Amtszeit von Pater Alfred Kremer SJ (Pfarrrektor in Burhave von 1971-85) und seinem evangelischen Amtskollegen Horst Grotrian (der 1987 in den Ruhestand trat) begründet wurde. Ein Foto von einem solchen Strandgottesdienst (auf dem ich, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, als kleiner Bengel in kurzen Hosen auf dem Schoß meiner Oma zu sehen bin) ist in der 1983 erschienenen Dorfchronik "Burhave – Geschichte und Geschichten" zu bewundern. Nebenbei bemerkt stellt die Aussage, "[e]inige Jahre" hätten sich am ökumenischen Strandgottesdienst in Burhave "auch Mitglieder des evangelischen Rüstzentrums Krelingen" beteiligt, "das in Burhave eine Außenstelle hatte" ("Wider das Vergessen!", S. 109), die einzige Erwähnung der "Krelinger" in dieser Darstellung der Geschichte der Strandkorbkirche dar. Was mich ja wieder daran erinnert, wie ich in meinem schon eingangs zitierten Blogartikel von 2017 schrieb, dass

meine Schwester und ich in unseren Teenagerjahren ein paar Versuche unternahmen, Kontakte zwischen "Strandmission"  und "Strandkorbkirche" herzustellen und sie womöglich zu gemeinsamen Aktivitäten zu bewegen. Die Evangelikalen aus Krelingen waren da zum Teil gar nicht so abgeneigt, die BDKJ-Leute aus Münster und/oder Vechta hingegen zeigten deutliche Berührungsängste.

Auch darauf wird in einem Folgeartikel noch näher einzugehen sein. – Halten wir jedenfalls mal fest, dass die Kirchenchronik "Wider das Vergessen!" bestrebt scheint, den religiösen Charakter des Strandkorbkirchen-Programms stärker zu betonen, als ich persönlich ihn in Erinnerung habe. Ein bisschen konterkariert werden diese Bemühungen, wie ich finde, durch die Aussage:

Die Teamer sind Schüler, Studenten und Familien, die sich bereit erklärt haben, ihren Urlaub nach dem Motto zu verbringen: Wir sind hier, um aktiv Urlaub zu machen und laden Euch ein, daran teilzuhaben. ("Wider das Vergessen!" S. 107)

Das deckt sich schon eher mit meinen Erinnerungen an die Strandkorbkirchen-Teams in meiner Kindheit und Jugend. "Meistens waren die Teams drei Wochen im Urlaubseinsatz und es wurden drei Teams in der Haupturlaubszeit zusammengestellt", heißt es in "Wider das Vergessen!" (S. 108); auch das deckt sich mit meiner Erinnerung, wobei ich auch hier den Unterschied zur heutigen "Willi's"-Urlauberkirche hervorheben möchte: Da ist jedes Team in der Regel nur eine Woche lang im Einsatz, und einen Zeitraum von neun Wochen bekommt man auf diese Weise auch nicht abgedeckt: Soweit man es anhand der Instagram-Seite der Pfarrei St. Willehad nachvollziehen kann, gab es im Sommer 2025 im Kirchenzelt auf dem Tossenser Campingplatz sieben Wochen Programm, in Burhave nur sechs.

Interessant ist derweil, dass in "Wider das Vergessen!" im direkten Anschluss an die zuletzt zitierte Passage auf die "Schwierigkeiten und Probleme innerhalb der Teams" hingewiesen wird, die offenbar zuweilen auftraten; allerdings wird sogleich beschwichtigend hinzugefügt:

Aber auch das Gegenteil konnte der Fall sein, dass Bekanntschaften und Freundschaften geschlossen wurden, die weit über die Teamzeiten hinaus Bestand hatten und auch noch haben. (S. 108)

Weiterhin erfährt man, dass in der Zeit des Bestehens der Strandkorbkirche einige "Teamer oder Familienteams" nur je einen einzigen Einsatz absolvierten, andere jedoch in einem Zeitraum von bis zu 10 Jahren hinweg immer wieder dabei waren; ein "gewisser Erfolg" sei "darin zu sehen, dass einige Kinder später als junge Erwachsene ebenfalls die Teamarbeit gestaltet haben", und ebenso, "dass Urlauberfamilien so von unserer Tätigkeit überzeugt wurden, dass sie später selbst Teamzeiten mitgestaltet haben" (S. 108f.). Insgesamt, so heißt es, "zählten im Laufe der Jahre etwa 80 Frauen, 35 Männer und 30 Familien mit ihren fast 80 Kindern aus ganz Deutschland" zu den Teams der Strandkorbkirche:

Die Teamgrößen entsprachen von Ein-Frau / Ein-Mann Teams bis zu Familienteams mit bis zu 25 Personen, das heißt, dass die Teams für sich schon genug Aufmerksamkeit vor allem am Burhaver Strand erregt haben. So konnten sie für ihre Einladungen an die Urlauber mit ihrem Erscheinen genügend Werbung für die Strandkorbkirche machen. (S. 108)

Es wird hervorgehoben, "dass die Durchführung der Strandkorbkirche einiges an Planung und Organisation nötig machte" (ebd.); in diesem Zusammenhang erfährt man unter anderem, dass "in den ersten Jahren noch eine Vorbereitungswoche in Hopsten durchgeführt" wurde, "in der sich die Teamer kennenlernen konnten und bei der ihnen die Idee, was 'Strandkorbkirche' ist, näher gebracht wurde. Ferner wurden auch Spiel- und Bastelideen, die für den Einsatz interessant schienen, selbst ausprobiert" ("Wider das Vergessen!", S. 107). Später, nämlich in den Jahren 1992 bis 94, gab es statt der Vorbereitungswoche nur noch "ein Wochenende in Schillig" (ebd.); das hatte damit zu tun, dass die Stelle des Beauftragten für Urlauberseelsorge beim Generalvikariat in Münster auf eine halbe Stelle gekürzt worden war. "Als dann diese Stelle auch noch vom Generalvikariat aufgelöst wurde, gab es keine Vorbereitungstreffen in dieser Art mehr" (ebd.). Heutzutage finden, wie ich gehört habe, die Vorbereitungstreffen für die Urlauberkirche in Butjadingen in Form einer Zoom-Konferenz mit dem Diakon der Pfarrei St. Willehad statt.

Ebenso gab es in der Anfangszeit der Strandkorbkirche auch "Nachtreffen, die immer am Buß- und Bettag in der Nähe von Münster, da viele Teamer anfangs aus dieser Region stammten, stattfanden, bis dieser als freier Tag abgeschafft wurde" ("Wider das Vergessen!", S. 107f.). Es stellt sich die Frage, weshalb nach der Abschaffung dieses gesetzlichen Feiertags kein Ersatztermin gesucht wurde – es hätte ja auch ein Wochenende sein können –, denn der Sinn und Nutzen eines solchen Nachtreffens leuchtet schließlich unmittelbar ein: "Bei diesen Nachtreffen wurden Probleme, die innerhalb der Teams oder mit der Teamarbeit aufkamen, besprochen oder gut durchgeführte Aktionen vorgestellt, damit andere Teams davon profitieren konnten" (S. 108). Ich vermute mal, ähnlich wie im Fall der Vorbereitungswoche bzw. des Vorbereitungswochenendes hatte die Abschaffung des Nachtreffens letztlich weniger mit dem Wegfall eines Feiertags zu tun als mit Einsparungen bei hauptamtlichen Mitarbeitern, für die so ein Treffen schließlich Arbeitszeit ist bzw. wäre. Es mag manchem Leser kontraintuitiv erscheinen, aber für mich unterstreicht diese Beobachtung, dass die Großkirchen immer noch zu viel und in zu vielen Bereichen auf hauptamtliche Mitarbeiter setzen. Das Dumme ist, wenn ihnen dafür das Geld ausgeht, führt das nicht dazu, das vorherrschende Verständnis von Pastoral als Dienstleistung grundsätzlich zu überdenken, sondern bloß dazu, dass Angebote reduziert oder ganz gestrichen werden. Nun ja, das ist ein weites Feld. Für diesmal möchte ich zum Ende kommen – allerdings nicht ohne einen Vorausblick darauf zu werfen, was ich zu diesem Thema in halbwegs naher Zukunft noch so zu schreiben beabsichtige:

  • Nicht unbedingt in die Reihe "Glanz und Elend der Urlauberkirche", wohl aber in eine neulich schon angedachte Reihe "Dokumente meiner ersten Fundi-Phase" passt ein Beitrag über eine gemeinsame Veranstaltungsreihe des GRZ Krelingen und der Ostfriesischen Zeltmission unter dem Motto "Glauben im Kreuzfeuer der Zeit", die im Sommer 1990 in meinem Heimatdorf stattfand und über die ich damals so allerlei in mein Tagebuch gekritzelt habe.
  • Die Reihe "Glanz und Elend der Urlauberkirche" wäre dann fortzusetzen mit einem Artikel "Summer of '92", ebenfalls auf der Basis von Tagebucheinträgen; der besagte Sommer dürfte wohl den Höhepunkt meiner aktiven Beteiligung am Urlauberseelsorge-Programm von Strandkorbkirche und Krelinger-Strandmission sowie, wie weiter oben schon angedeutet, überhaupt einen Höhepunkt meiner "ersten Fundi-Phase" markieren.

Ob sich auch noch Originaldokumente aus anderen Jahren auftreiben lassen (interessant wäre ja v.a. 1991, als "Lückenschluss" sozusagen), ist derzeit ungewiss, aber hoffen wir mal das Beste. – Bleibt mir gewogen, Leser!