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Montag, 16. Juni 2025

Der seltsame Fall der eingekerkerten Nonne, Teil 23

Nachdem die Protagonistin des Kolportageromans "Barbara Ubryk oder die Geheimnisse des Karmeliter-Klosters in Krakau" nach allerlei Irrungen und Wirrungen endlich in dem im Romantitel genannten Kloster angekommen ist, gönne ich – wie am Ende der vorigen Episode dieser Artikelserie schon angekündigt – mir selbst und den Lesern mal wieder die Erholung, mich der Analyse eines sehr viel besser konstruierten und erzählten Kolportageromans zuzuwenden, nämlich Sir John Retcliffes "Biarritz". Genauer gesagt soll hier allerdings nur einer der zahlreichen Erzählstränge dieses ausufernden 13bändigen Romanzyklus unter die Lupe genommen werden, nämlich jener um die Sieben Todsünden. "[F]rei und frech ging die Sünde hinaus in die Welt!", hieß es am Ende des so betitelten Unterkapitels (Bd. III, S. 252); ich hatte dazu bereits angemerkt, man könne sich "ausrechnen", dass dies "nicht das letzte gewesen sein" werde, was "der geneigte Leser dieses Romanzyklus" von den aus dem Kloster der Verdammten entlassenen exemplarischen Todsünderinnen erfahren werde, aber ehe es mit diesem Handlungsstrang weitergeht, braucht der Leser einen langen Atem: Auf das Abruzzen-Kapitel folgen zunächst die beiden zusammenhängenden Kapitel "Der Hofbanquier" und "Das Testament", die in der Residenzstadt eines kleinen mitteldeutschen Fürstentums spielen, und dann das zum Handlungsstrang um den tollkühnen Abenteurer Don Juan de Lerida gehörende Kapitel "Die Bärenjäger", das in den Pyrenäen spielt, aber seinerseits, noch bevor seine Handlung so richtig in Schwung gekommen ist, durch mehrere Binnenerzählungen über Jagdabenteuer in verschiedenen Weltteilen unterbrochen wird. Im IV. Band führt das Kapitel "Jeszcze Polska nie zginela" den Leser auf ein Gut nahe der Grenze zwischen dem preußischen und dem russischen Teil Polens und das Kapitel "Zwei Seelen und ein Leib" nach Kopenhagen, wozu ich übrigens anmerken möchte, dass auch der dänische Handlungsstrang des Romans so interessant ist, dass er eigentlich mal eine einlässliche Analyse verdient. – Als das "Bärenjäger"-Kapitel endlich zum Abschluss gebracht wird, befinden wir uns schon im V. Band; dieser erschien im Jahr 1870, was bedeutet, dass die Fortsetzungen von Retcliffes "Biarritz" und Dr. Rodes "Barbara Ubryk"-Roman weiterhin parallel zueinander erscheinen. Als mit dem in drei Unterkapitel gegliederten Kapitel "Die Donner von Gaëta" wieder an den italienischen Schauplatz zurückgeschnitten wird, führt der Autor den Leser zunächst in die von den Truppen des Königreichs Sardinien-Piemont belagerte neapolitanische Festung Gaëta und führt dort allerlei neue Charaktere mit ihren jeweils eigenen "backstories" ein. Unter den Verteidigern der Festung befinden sich nämlich zahlreiche Freiwillige unterschiedlicher Herkunft: legitimistische Franzosen, die dem Haus Bourbon die Treue halten, Belgier, Schweizer und nicht zuletzt Bayern – da die junge Königin von Neapel eine bayerische Herzogstochter ist

Der König und die Königin von Neapel besichtigen einen Artillerieposten in der Festung Gaëta, 22. Januar 1861

Bewegung kommt in die Handlung, als auf das Gerücht hin, König Viktor Emanuel II. von Sardinien-Piemont halte sich in der Villa Albano in der Vorstadt Borgo di Gaëta auf, ein waghalsiges Kommandounternehmen ausgerüstet wird: Der gegnerische König soll im Handstreich gefangen genommen und damit ein Ende des für Neapel schon so gut wie verloren geglaubten Krieges erzwungen werden. Gleichzeitig soll auch das von den piemontesischen Truppen besetzte ehemalige Kloster Santa Agatha überfallen werden, um zu verhindern, dass dort ein Artillerieposten zur Beschießung der Festung Gaëta eingerichtet wird.

Im Detail sieht der Plan vor, dass "[z]wei Kompagnien des Fremden-Bataillons im Schutz der Dunkelheit an der westlichen Küste entlang" (Bd. V, S. 111) auf Fischerbarken bis in die Nähe von Santa Agatha fahren, "sich im Rücken des Monte Capuccini nach dem Agatha durchschneiden und im gegebenen Augenblick [...] die Batterie überfallen" sollen, während gleichzeitig ein anderes Bataillon die Vorstadt Borgo di Gaëta angreifen soll. Einer der beiden Offiziere, die die für den Überfall auf Santa Agatha ausgewählten Truppen kommandieren sollen, ist ein schwermütig wirkender Franzose namens Emile Gauthier, über den es heißt, er sei "in der Schlacht von Solferino so schwer verwundet worden, daß man ihn für tot hielt und nur ein Zufall verhinderte, daß er lebendig in dem großen Grab, das Freund und Feind deckte, verscharrt wurde" (Bd. V, S. 130). Da stutzt der aufmerksame Leser und denkt sich: Woran erinnert uns das? Handelt es sich um einen sehr aufmerksamen Leser, wird er sich womöglich an einen über 900 Seiten zurückliegenden Dialog zwischen dem Einsiedler Fra Gerardo und der Äbtissin des Klosters der Verdammten erinnern, in dem es darum ging, welche der in diesem Kloster festgehaltenen Büßerinnen als exemplarische Verkörperungen der Sieben Todsünden in die Welt entlassen werden sollen. Über die Vertreterin der Völlerei, Theresa, heißt es da: 

"Sie folgte der französischen Armee nach Italien, denn die Courtisane, die so lange jedes Gefühl verhöhnt, war in wilder Leidenschaft für einen jungen Offizier entbrannt, der sie verachtete. Als ihr die Nachricht wurde, er sei bei Solferino gefallen, nahm sie den Schleier. [...] Man sagt, daß wenige Monate darauf durch Zufall in die Mauern ihres Klosters die Nachricht drang, daß jener Offizier nicht gefallen, sondern nur verwundet worden. Da erwachte der Teufel auf's Neue in ihrem Herzen und sie versuchte drei Mal aus dem Kloster zu entfliehen" (Bd. III, S. 163f.). 

Wer hier einen Zusammenhang wittert, darf sich bald darauf bestätigt fühlen, als der leichtlebige Graf von Saint-Bris, der sich freiwillig zu dem Kommandounternehmen gemeldet hat, Gauthier, den er von früher her kennt, direkt auf "die tolle Therese, die Chansonniere" (Bd. V, S. 133) anspricht: 

"Sie müssen sich der kleinen Bacchantin mit roten Haaren noch erinnern, die ganz Paris den Kopf verrückte [...]. Sie war ja an diesem Abend ganz rasend in Sie verliebt [...]. Vielleicht haben Sie sie später noch gesehen, in Italien, denn Sie werden wissen, daß Seine Majestät unser allergnädigster Kaiser [...] sie zur Erholung von seinen Feldherrnthaten mit zum italienischen Feldzug nahm" (Bd. V, S. 133f.). 

Hatte ich nicht, als in Bd. III von einem "Mächtigen" die Rede war, "der einst zu ihren Liebhabern gezählt und dessen Geheimnisse sie kennt" (Bd. III, S. 162), bereits vermutet, dies könnte sich auf Napoleon III. beziehen? – "So viel ich vernommen, soll Mademoiselle Therese fromm geworden und in ein Kloster gegangen sein!", verrät Gauthier (Bd. V, S. 136); im Übrigen ist es ihm merklich unangenehm, an seine Bekanntschaft mit Theresa erinnert zu werden, und sein Unbehagen wächst noch, als Saint-Bris ihn auf das Schicksal eines früheren Kameraden namens Castellane anspricht, der ebenfalls zu Thereses Verehrern gehört hatte: Saint-Bris glaubt, Castellane sei "in der Schlacht von Magenta gefallen" (Bd. V, S. 137), aber Gauthier stellt widerstrebend richtig, er sei am Tag vor der Schlacht erstochen aufgefunden worden. Gerade als Saint-Bris weiter nachfragen will, wird das Gespräch unterbrochen und erst knapp 30 Seiten später fortgesetzt. Nun gesteht Gauthier, dass er selbst, und zwar auf Befehl des Kaisers, Castellane getötet hat und dass der Kaiser sich anschließend seiner entledigen wollte, indem er ihm in der Schlacht von Solferino "den verlorenen Posten beim Sturm auf die Höhe des Kirchhofs" geben ließ (Bd. V, S. 169). Der von dieser Mitteilung erschütterte Saint-Bris beschwört ihn daraufhin, ihm "die näheren Umstände" mitzuteilen (Bd. V, S. 170), und Gauthier will dies auch tun, aber in diesem Moment wird das Gespräch erneut unterbrochen. 

Der geneigte Leser darf nun wohl mit einigem Recht erwarten, dass der Autor auf ein Wiedersehen zwischen Gauthier und Theresa hinarbeitet; dennoch ist die erste der sechs Sünderinnen, die der Leser wiedersieht, nicht Theresa, sondern "Nummer vier! Elena!" (Bd. V, S. 203), die Verkörperung der Wollust, die unter dem Namen Lady Howard zusammen mit zwei exzentrischen Damen in der Villa Albano zu Gast ist. Bei ihren Begleiterinnen, der Principessa Belgioso und der Komtessa della Torre, soll es sich anscheinend um historische Personen handeln; die erstere ist offenbar auf die Schriftstellerin und politische Agitatorin Cristina Trivulzio Belgiojoso gemünzt, auch wenn Retcliffe sich bezüglich ihres Alters irrt: Er gibt an, dass sie "erst wenig über dreißig zählen mochte" (Bd. V, S. 200), tatsächlich war sie zum Zeitpunkt der Romanhandlung aber schon 52. – Während Elena alias Lady Howard sich bei diesem Auftritt recht unspektakulär verhält, erfährt man, dass die anderen fünf Sünderinnen "nach San Agatha hinauf" gezogen sind, wo "[e]iner der Offiziere [...] einen Schmaus" gibt (Bd. V, S. 179); bei diesem Offizier handelt es sich um den Grafen Sismondi, den der Leser ebenfalls bereits aus dem III. Band kennt: Dort war er in die Gefangenschaft von Briganten geraten, aber der Einsiedler Fra Gerardo hatte ihm zur Flucht verholfen, mit dem Hintergedanken, dass Sismondi dabei behilflich sein sollte, die sechs Sünderinnen aus dem Kloster der Verdammten wegzuführen. – Die Komtessa della Torre merkt an, sie "fange an, [s]ich zu langweilen" und bereue es, nicht "der Einladung Sismondis nach der Batterie mit unseren Kameradinnen" gefolgt zu sein – nicht zuletzt, weil sie "eine große Freundschaft zu der Signorina Theresa gefasst" habe (Bd. V, S. 201); dagegen urteilt die Fürstin Belgioso: "Das Frauenzimmer ist eine Kokette – ich mag sie nicht leiden – eine Plebejerin – eine Bacchantin!" (ebd.). Insbesondere verübelt sie es Theresa, dass es unter den piemontesischen Truppen "schon fünf Duelle um sie gegeben" habe, womit sie "gefährlich für Italien und unsere erhabene Sache" sei (Bd. V, S. 202). 

Es zeichnet sich also immer deutlicher ab, dass Sismondis "Schmaus" im zur Geschützbatterie umfunktionierten Kloster ein bedeutender Knotenpunkt der Handlung sein wird; bevor wir uns aber das dritte Unterkapitel der "Donner von Gaëta" ansehen, das die Überschrift "Santa Agatha" trägt, ist aber noch Verschiedenes nachzutragen. 

Das betrifft zunächst die Vorbereitungen zum Überfall auf Santa Agatha. Schon die Überfahrt in den Fischerbarken ist angesichts des stürmischen Wetters mit hoher Gefahr verbunden, und die Landung am vorgesehenen Ort ist es erst recht: Eins der Boote zerbricht dabei und ein Teil der Besatzung ertrinkt, Gauthier und Saint-Bris können sich nur mit knapper Not an Land retten. Als Gauthier sich mit einem ortskundigen Führer berät, der die Truppe gewissermaßen unter der Nase des Feindes nach Santa Agatha lotsen soll, gibt die Beschreibung des Aussehens und Benehmens dieses Führers dem aufmerksamen Leser Hinweise darauf, dass es sich bei diesem um niemand anderen handelt als den Banditenhauptmann Tonelletto, den Vetter des Kardinalstaatssekretärs Antonelli; explizit gibt er sich erst 14 Seiten später als dieser zu erkennen. Gemeinsam belauschen Gauthier, Saint-Bris und Tonelletto eine Wachablösung der feindlichen Truppen und erlangen so Kenntnis von den Losungswörtern. Tonelletto zeigt sich daraufhin dem neuen Wachtposten, gibt sich ihm gegenüber als armer Flötenspieler aus, der von einigen Unteroffizieren eingeladen worden sei, in Santa Agatha zu musizieren, und verwickelt ihn in ein Gespräch – aus dem der Leser entnehmen kann, dass der Wachtposten eine Nebenfigur aus einer der Binnenerzählungen des "Bärenjäger"-Kapitels, "Das Bockschießen" ist. In dieser Erzählung kam ebenfalls eine Theresa vor, aber gebührend zu würdigen, wie der Autor dies als "Motivreim" einsetzt, würde hier den Rahmen sprengen. Mitten im Gespräch überwältigt und ersticht Tonelletto den Soldaten; damit ist der Weg nach Santa Agatha frei, da die nächste Wachablösung erst in zwei bis drei Stunden zu erwarten ist. Tonelletto schlägt vor, dass ein Mitglied des Kommandos die Uniform des erdolchten Wachtpostens anzieht und zusammen mit ihm, der weiterhin die Rolle des armen Musikanten spielt, als Vorhut und Kundschafter nach Santa Agatha vorausgeschickt wird; für diese Aufgabe wird der Graf von Saint-Bris ausgewählt. 

Im in der Villa Albano spielenden Unterkapitel "Hohe Politik!" empfängt König Viktor Emanuel II. zunächst einen Abgesandten Kaiser Napoleons III. – eine historische Person, Charles Etienne Conti (1812-1872), von 1864-68 Stabschef des Kaisers der Franzosen, später Senator –, um mit diesem in einer für Retcliffe typischen Manier die Grundzüge der europapolitischen Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Italien für die nächsten fünf Jahre festzulegen, und dann einen Abgesandten des Heiligen Stuhls. Diesen hält er zunächst lediglich für einen "Bettelmönch [...], der wegen eines lumpigen verbrannten Klosters um Entschädigung queruliren will" (Bd. V, S. 204), doch als er zu sprechen beginnt, scheint der "Klang der Stimme, obschon durch die Kapuze gedämpft", beim König "eine besondere Erinnerung zu erwecken" (Bd. V, S. 206). Als der König ihn auffordert, ihm sein unter der Kapuze verborgenes Gesicht zu zeigen, lehnt der Mönch dies unter Hinweis auf ein Gelübde ab; als er sich ihm als "Pater Alberto" vorstellt, sinniert der König: "Merkwürdig – selbst der Name!" (Bd V, S. 207). – Machen wir es kurz: Was hier angedeutet werden soll, ist, dass dieser Mönch in Wirklichkeit der Vater König Viktor Emanuels II., der nach einem verlorenen Feldzug gegen Österreich im Jahr 1849 abgedankte König Karl Albert von Sardinien-Piemont, sein soll, dessen Tod im Exil in Portugal demnach nur vorgetäuscht gewesen wäre. Auch hier liegt natürlich mal wieder ein "Motivreim" vor, denn genauso war ja auch im III. Band schon vom Einsiedler Fra Gerardo angedeutet worden, er sei in Wirklichkeit eine prominente, offiziell für tot erklärte historische Persönlichkeit, nämlich der Herzog von Praslin. – Pater Alberto jedenfalls überbringt König Viktor Emanuel nicht nur die kategorische Ablehnung des Heiligen Stuhls, irgendwelche Zugeständnisse an das in Gründung befindliche Königreich Italien zu machen, sondern warnt ihn darüber hinaus auch persönlich: "O mein Sohn [!] – hüte Dich vor dem Fluch, denn der Zorn Gottes ist schrecklich!" (Bd. V, S. 211). Der König erschrickt über diese Anrede: "Mönch – Mann – wer bist Du? Geben die Gräber ihre Todten heraus...?" (Bd. V, S. 212) – worauf dieser erwidert: 

"Es geschehen jetzt Frevel auf der Erde, die mehr thun könnten, als die Pforten der Grüfte sprengen. Ich bin ein armer Mönch und der Bote der heiligen Kirche, aber von Weh’ und Schmerz durchdrungen, Dich, o König, den Weg der Räuder und Kirchenschänder wandeln zu sehen. O kehre um! kehre um und rette Deine Seele und die Seele Deines Erzeugers aus den Qualen der Verdammniß! – Verdorren wird die Hand, die sich nach dem Erbe Petri streckt. Gedenke des Unglücks, das Deinen Vater schlug, der besiegt und verbannt auf fremder Erde starb!" (ebd.) 

Der König lässt daraufhin durch seinen Sekretär den Befehl erteilen, "daß dem ehrwürdigen Herrn hier jede Freundlichkeit erwiesen werde. Bei dem Unwetter kann er Albano heute nicht mehr verlassen" (Bd. V, S. 213). 

Nun aber zum Unterkapitel "Santa Agatha"! – Dass der Schauplatz der ersten großen Zuspitzung des Gaëta-Handlungsstrangs gerade ein ehemaliges Kloster ist, ist natürlich mit Bedacht gewählt; schon bei der Einschiffung des Kommandounternehmens fällt der frivole Witz "Schade dass das Kloster von St. Agatha keine Nonnen mehr birgt – wir könnten bei ihnen soupieren!" (Bd. V, S. 118), den man als eine Art Vorausdeutung auf das folgende Geschehen betrachten kann, und zusätzlich unterstrichen wird das dadurch, dass Theresa, die unter den aus dem Kloster der Verdammten entlassenen Sünderinnen hier die profilierteste Rolle spielt, beim Fest des Oberstleutnants Sismondi aus "tolle[r] Laune oder [...] Erinnerung" einen "vollständigen Nonnenhabit" trägt (Bd. V, S. 228). Dieses Fest wird übrigens als "eine Orgie der schlimmsten und gefährlichsten Art" (Bd. V, S. 224) beschrieben, wobei man aus heutiger Sicht allerdings wohl eine gewisse Verschiebung der moralischen Maßstäbe in Rechnung stellen muss: Wer da jetzt an etwas wie Gruppensex denkt, irrt, und auch Kokain war zum Zeitpunkt der Handlung zwar schon erfunden, aber außerhalb medizinischer Fachkreise noch kaum bekannt. Was also geht bei dieser sogenannten Orgie vor sich? Es gibt Alkohol, es gibt Glücksspiel, und es ist Weibsvolk anwesend. Zweifellos eine explosive Mischung und nicht sehr angemessen für eine Militärbasis, die am nächsten Morgen um 8 Uhr mit der Beschießung einer gegnerischen Festung beginnen soll. 

Neben Theresa nehmen auch Martina, die Verkörperung der Habgier, die jüdische Sängerin Carlotta, "die Spanierin Giuliana, jenes schöne gebieterische Weib mit hochgeschwungenen dunklen Brauen, die einer gebornen Fürstin glich und deren Sünde und Verderben die Hoffart gewesen war" (Bd. V, S. 226) sowie die Polin Matilda an dieser "Orgie" teil – und zudem ein "Mann in der etwas leichtfertig und mit einer gewissen Eleganz getragenen dunklen Kleidung eines jener Abbate’s oder Hausgeistlichen [...], deren Typus man vor der letzten Revolution zahlreich in allen Straßen von Neapel sehen konnte, welche die öffentliche Gesellschaft und die Familienkreise bis zum Unerträglichen beherrschten, und die mit dem Einzug der Garibaldiner fast spurlos verschwunden waren" (Bd. V, S. 226f.). Weiter heißt es über ihn: 

"Der Abbate trug aber keineswegs das Gepräge eines hochmüthigen oder ascetischen Geistlichen, er hatte vielmehr ganz das Aussehen eines gemüthlichen Lebemannes mit rundem frischem Gesicht und jovialen Manieren. Die Augen blinzelten sehr behaglich und nachsichtig durch die goldene Brille auf die so wenig der Gesellschaft eines Klerikers würdige Scene um ihn her, und er verschmähte weder das Weinglas, noch die Theilnahme an den oft sehr lasciven Scherzen mit den Frauen, die mit ihm auf sehr cordialem Fuß zu stehen schienen; denn häufig kam eine oder die andere, lehnte sich vertraulich über seine Schulter oder setzte sich wohl gar auf seinen Schoos.

Nur ein sehr scharfer Beobachter hätte bemerken können, daß trotz dieser Vertraulichkeit die meisten dieser koketten und frivolen Frauen eine gewisse geheime Furcht vor ihm zu haben schienen und daß sein Blick hinter der Brille sie gleichsam beherrschte" (Bd. V, S. 227). 

Offenkundig ist dieser Geistliche also so etwas wie der "Führungsoffizier" der aus dem Kloster der Verdammten entlassenen Sünderinnen, und im weiteren Verlauf des Kapitels gewinnt der Leser erste Eindrücke davon, welche Zwecke das "Consiglio di Tri", jene geheime oberste Instanz der römischen Kirche, mit ihrer Freilassung verfolgt. Während Martina und Theresa vorrangig damit beschäftigt sind, die dem Glücksspiel frönenden Offiziere zu immer riskanteren Einsätzen anzustacheln, betreiben Matilda und Giuliana Politik: Die Polin wird im Gespräch mit einem Landsmann gezeigt, den sie als Michael Langiewicz anspricht; der zeitgenössische und politisch interessierte Leser dachte bei diesem Namen zweifellos sogleich an Marian Langiewicz, einen der Führer des Polnischen Aufstandes von 1863, der 1860 an Garibaldis "Zug der Tausend" nach Neapel teilgenommen hatte. Man könnte denken, Retcliffe habe hier lediglich den Vornamen verwechselt – hätte er diesen Marian Langiewicz nicht im buchstäblich gleichzeitig, nämlich um Neujahr 1861 herum, an der preußisch-russischen Grenze spielenden Kapitel "Jeszcze Polska nie zginela" auftreten lassen. Nun bedient sich Retcliffe durchaus öfter des Mittels, fiktive Verwandte historischer Persönlichkeiten als Romanfiguren einzusetzen (vgl. Neuhaus, Der zeitgeschichtliche Sensationsroman, S. 68f.), und so mag es sich auch mit Michael Langiewicz verhalten; zu denken gibt es allerdings, dass dieser einmal als "der künftige Dictator Polens" bezeichnet wird (Bd. V, S. 237), denn dies trifft eben auf Marian Langiewicz zu. Man wird sehen, wie Retcliffe, der alte Fuchs, sich da wieder herauszuwinden gedenkt; vielleicht wird man es aber – da der Biarritz-Zyklus unvollendet geblieben ist – auch nicht sehen. 

Jedenfalls versucht Matilda ihren Gesprächspartner zu überzeugen, er solle Italien verlassen und nach Polen zurückkehren: "Diese Italiener werden untereinander fertig, ohne daß es der polnischen Legion bedarf. Das Vaterland ruft seine Söhne und es fehlt in diesem Lande nicht an Polen, die auf den Ruf bereit sein sollten!" (Bd. V, S. 235). Kurz darauf bekräftigt sie ihre Auffassung, dass "alle Polen Italien verlassen und ihre Hand nicht länger einem Kampfe zur Unterdrückung der heiligen Kirche leihen" sollten, "welche auch die unsere ist. Denn darum, nicht um den Königsthron von Neapel, handelt es sich!" (Bd. V, S. 236f.). Auf Langiewicz' Einwand, er wisse nicht, wer sie sei, und habe ihren Namen "nie als den einer unserer Patriotinnen weder in den Listen des Zentralkomitees, noch in denen der freien Patrioten gesehen", erwidert Matilda geheimnisvoll "Ich könnte Ihnen einen andern Namen nennen, der Ihre Zweifel beruhigen würde – aber noch ist es nicht Zeit" (Bd. V, S. 236). Außerdem sagt sie voraus, "daß am Jahrestag der Schlacht von Grochow" – am 25. Februar – "das polnische Volk in Warschau, unsere Priester voran – eine Demonstration für die Wiederherstellung seiner Nationalität machen wird" (ebd.). 

Noch interessanter ist, was die Spanierin Giuliana währenddessen mit einem englischen Diplomaten zu bereden hat. Sie behauptet, der 1833 verstorbene spanische König Ferdinand VII. habe 1812 im französischen Exil eine heimliche, aber rechtmäßige Ehe geschlossen, aus der eine Tochter hervorgegangen sei, womit diese Tochter – Giulianas Mutter! – einen höheren Anspruch auf den spanischen Thron habe als die derzeitige Königin Isabella, Ferdinands Tochter aus einer späteren Ehe. Sie beruft sich wiederholt darauf, Lord Russell, zur Handlungszeit britischer Außenminister, wisse darum. Im Übrigen befänden sich die Beweise für diese geheime Ehe und die daraus hervorgegangene Nachkommenschaft "[i]m Besitze der heiligen Kirche": "Diese kennt meine Rechte eben so gut wie die Usurpatorin Isabella selbst und wie sie der Prätendent Don Carlos kannte. Sie benutzt sie, um Beide in Schach zu halten, von Beiden Zusagen zu erpressen" (Bd. V, S. 242). 

Im Übrigen gibt Giuliana an, ihre Großmutter, die verheimlichte Ehefrau König Ferdinands VII., sei eine Verwandte des Generals Prim gewesen (der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Romans spanischer Ministerpräsident war); über die Identität ihres Vaters, den sie nie kennengelernt hat, macht Giuliana vorerst nur Andeutungen, aber gerade diese Andeutungen lassen das Herz des eingefleischten Retcliffes Fans höher schlagen: "Der edle Viscount soll ein Excentric gewesen sein", sagt sie (Bd. V, S. 242) – und wer Sir John Retcliffes von 1860-67 in elf Bänden erschienen Großzyklus "Villafranca" gelesen hat, denkt bei diesen Stichworten zweifellos an den Viscount of Heresford, einen in allem möglichen politischen Geheimbünden mitmischenden "reisenden Engländer", der, bis er im vorvorletzten Band des Zyklus unerwartet einem Raubmord zum Opfer fällt, eine wichtige Rolle als Verbindungsfigur zwischen den verschiedenen Handlungssträngen und –schauplätzen spielt. In "Biarritz" lässt Retcliffe zwei Neffen des exzentrischen Viscount auftreten: Sir William Walpole, dem der Leser zuerst auf einer Forschungsreise in Sibirien begegnet, und Don Juan de Lerida, der sich im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Spanien mit Schmuggelei, politischen Intrigen, Jagd- und Liebesabenteuern beschäftigt. Kaum auszudenken, was in Retcliffes Romankosmos los sein wird, wenn dieser Don Juan dahinterkommt, dass er eine Cousine hat, die einen Anspruch auf den spanischen Thron hat! 

Somit ist es dem Autor innerhalb weniger Seiten gelungen, die Handlung um die aus dem Kloster der Verdammten entlassenen Sünderinnen mit dem polnischen und dem spanischen Handlungsstrang seines Romanzyklus zu verknüpfen; inzwischen sind auch Tonelletto, der sich als Flötenspieler ausgibt, und der in eine Bersagliere-Uniform gekleidete Graf von Saint-Bris am Ort des Geschehens erschienen, werden aber zunächst kaum beachtet, zumal sich die Situation am Spieltisch zuspitzt: Martina bezichtigt den Bankhalter, einen Ungarn aus der Freischar Garibaldis, des Falschspiels und erhält dafür von ihm einen Faustschlag ins Gesicht; der darauf folgende Tumult gipfelt in einer Duellforderung des Ungarn gegen einen jungen neapolitanischen Adligen, und das Duell soll sofort und an Ort und Stelle ausgeführt werden. Genau in diesem Moment erkennt Theresa den verkleideten Saint-Bris, und während dieser sie noch anfleht, ihn nicht zu verraten, erkennt Oberstleutnant Sismondi den Banditen Tonelletto, dessen Gefangener er noch vor Kurzem war, und schlägt Alarm: "Verrath! – haltet ihn fest! Es ist der Bandit Tonelletto – die Briganten haben uns überfallen!" (Bd. V, S. 260). – 

An dieser Stelle bricht das Kapitel ab – und die Romanhandlung verabschiedet sich für weitere rund 300 Seiten vom italienischen Schauplatz. Nutzen wir diese Unterbrechung, um uns wieder dem Fall Barbara Ubryk zuzuwenden! 


Samstag, 14. Juni 2025

Die 3 K der Woche (29): Kinder, Kirche, Knockout

Eins vorweg, Freunde: Wie ihr an der Tatsache ablesen könnt, dass dieses Wochenbriefing überhaupt erscheint, lebe ich noch und habe meine Hernien-OP so einigermaßen überstanden; Näheres dazu weiter unten. Im Übrigen bin ich in der zurückliegenden Woche ein Jahr älter geworden, wir sind vom roten zum grünen Stundenbuch gewechselt (d.h. die Zeit im Jahreskreis hat wieder begonnen), und auch wenn ich bis auf Weiteres ein bisschen mobilitätseingeschränkt und in meinem allgemeinen Tatendrang gebremst bin, gibt es doch wieder allerlei zu berichten. Seht selbst! 

Pedro de Campagna (1503-ca. 1580), Pfingsten. Ausgestellt im Kathedralmuseum in Burgos, eigene Aufnahme von 2016

Komm, Heiliger Geist! 

Pfingsten, das Hochfest der Ausgießung des Heiligen Geistes, feierten wir in St. Joseph Siemensstadt; ermöglicht wurde das dadurch, dass der Ort und die Anfangszeit der Kindergeburtstagsfeier, zu der unsere Kinder (beide!) eingeladen waren, kurzfristig geändert worden war, andernfalls hätten wir wohl am Abend zuvor in eine Vorabendmesse gehen müssen. Das Schöne daran, dass wir an der Messe am Sonntagvormittag teilnehmen konnten, war, dass zwei Jugendliche aus dem aktuellen Firmkurs getauft wurden und zwei weitere zur katholischen Kirche konvertierten – ein freudiger Anlass, der sich in einer besonders feierlichen Gestaltung der Messe niederschlug. Man kann den Sachverhalt von zwei Seiten betrachten – man kann sagen, die Taufe wurde dadurch besonders feierlich, dass sie an Pfingsten stattfand, oder aber, die Pfingstmesse wurde dadurch besonders feierlich, dass in ihr eine Taufe (bzw. eben zwei Taufen) stattfand(en); aber wie man's auch drehen will, es war jedenfalls eine sehr schöne Messe. 

"Pfingsten bedeutet, dass Gott die Kirche aus allen Völkern zusammenfügt", betonte der Pfarrvikar schon in seinen Begrüßungsworten. "Es gibt keine Barrieren der Welt mehr zwischen den Menschen, sondern der Heilige Geist ist immer der, der eint und verbindet." In der Predigt führte er aus: "Die Kirche ist nicht eine Struktur, sondern ein lebendiges Wesen. Dieses Wesen hat einen Kopf, das ist Christus, der den Leib liebt. Das heißt: Wir sind der Leib, wir sind von Christus geliebt, ganz." Und weiter: 

"Wir haben die Apostelgeschichte gehört: Die Jünger haben zwar den Herrn gesehen – auferstanden –, haben mit ihm gegessen; das muss ein reales Ereignis gewesen sein, denn sonst wären sie nie auf die Idee gekommen. [...] Aber trotzdem sperren sie sich im Abendmahlssaal ein. Das heißt, sie haben noch Angst: Angst vor dem Leben, Angst zu sterben. Und sie begegnen Christus, der zu ihnen kommt, und der Heilige Geist holt sie heraus aus einem Leben, wo sie voller Fragen sind."

Direkt an die vier Jugendlichen gewandt, die durch Taufe bzw. Konversion in die Kirche aufgenommen wurden, fügte er hinzu: 

"Ihr seid in einem Alter, wo es viele Fragen gibt im Leben. Wo ist der Platz in meinem Leben, wo gehöre ich hin, was passiert in meinem Leben. Vielleicht auch manche Ungewissheiten, manche Ängste. Das Christentum ist nicht eine Droge – das heißt, der Heilige Geist nimmt dir die Schwierigkeiten nicht weg. [...] Aber Er macht das Herz weit, Er schenkt dir Mut und Vertrauen. [...] Auch die Jünger sind genauso danach verfolgt worden. Aber Er gibt ihnen eine Freude, eine Freiheit und eine Kraft zu leben, und das ist ein Riesengeschenk. Damit wird das Unmögliche möglich. Petrus wird ins Gefängnis gesperrt, hat kein Problem, singt Loblieder, wird befreit von einem Engel und so weiter. Das heißt, ihr werdet die Gegenwart Gottes entdecken, und, wie gesagt, der Heilige Geist macht immer das Leben weit. Er ist immer großzügig, Er ist immer voller Zärtlichkeit für uns. Der Heilige Geist kommt im Sturm und im Feuer; [...] das Feuer hat eine Kraft zu zerstören, ja, das Feuer verbrennt in uns, der Heilige Geist verbrennt in uns den Egoismus, aber Er macht das mit einer sehr großen Zärtlichkeit." 

Ich muss sagen, ich freue mich für die vier Jugendlichen, dass ihnen anlässlich ihrer Aufnahme in die katholische Kirche diese Worte mit auf den Weg gegeben worden sind – anstatt dass sie etwa an einen Priester geraten wären, der ihnen nahelegt, sie sollten das alles™️ nicht so ernst nehmen. Und ja, solche Priester gibt es. 

Taufe Jesu, Buntglasfenster in der Kirche Santa María de la Asunción in Navarrete. Eigene Aufnahme von 2016.

Unerwartete Vakanz in Eichstätt 

Eine Nachricht, die mich am Pfingstsonntag recht unvorbereitet getroffen hat, lautet, dass es neben meinem allerzweitliebsten Bistum Münster nun noch eine zweite vakante Diözese in Deutschland gibt: Gregor Maria Hanke OSB, seit 2006 Bischof von Eichstätt, ist von diesem Amt zurückgetreten und will fortan wieder einfacher Seelsorger sein. Eingereicht hat er sein Rücktrittsgesuch noch bei Papst Franziskus, der es, wie die Diözese Eichstätt nun bekannt gegeben hat, noch kurz vor Ostern "nunc pro tunc", d.h. mit Wirkung zu einem später festzulegenden Termin, angenommen habe. Bischof Hanke wird in wenigen Wochen 71 Jahre alt, hätte also bis zu einem Rücktritt aus Altersgründen noch gut vier Jahre Zeit gehabt. Zu seinem vorzeitigen Rückzug gibt er an, dieser habe "eine längere Vorgeschichte" gehabt, die "von einem geistlichen Ringen begleitet" gewesen sei; er verweist auf "Herausforderungen und Krisen seiner Amtszeit", wozu neben Konflikten um die Leitung der Universität Eichstätt-Ingolstadt – der einzigen katholischen Universität Deutschlands – und einem Finanzskandal im Jahr 2018 vor allem die Konfrontation mit Missbrauchsfällen gehört habe. 

Derweil hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing (Limburg), seinem zurückgetretenen Amtsbruder eine Würdigung nachgerufen, die für mein Empfinden so jovial-herablassend klingt, als gelte es, einen langjährigen verdienten Mitarbeiter mit einem Blumenstrauß und einer goldenen Uhr zu verabschieden. Es muss an dieser Stelle noch einmal daran erinnert werden, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz mitneffen bzw. –nichten der Vorgesetzte der anderen deutschen Bischöfe ist; insbesondere bei Bischof Bätzing erscheint es manchmal fraglich, ob ihm das bewusst ist. – Als eine ziemliche Unverfrorenheit darf man wohl die folgende Passage seines Schreibens bezeichnen: 

"Bei allen Spannungen, die Du ja auch kürzlich wieder einmal benannt hast, möchte ich Dir für Dein Mitgehen auf dem Synodalen Weg der Kirche in Deutschland danken. Ich weiß, dass Du Dich damit zunehmend schwergetan hast, aber Deine aktive Präsenz bei den Synodalversammlungen möchte ich an dieser Stelle eigens benennen." 

Bei den "Spannungen", auf die Bätzing hier anspielt, handelt es sich darum, dass Bischof Hanke zu den entschiedensten und konsequentesten Kritikern des Synodalen Weges im deutschen Episkopat gehört hat. Bei der fünften und letzten Synodalversammlung am 9.-10.03.2023 in Frankfurt am Main stimmte er gegen den Grundtext "Priesterliche Existenz heute", den Handlungstext zum Zölibat, den Handlungstext "Frauen in sakramentalen Ämtern" und den Handlungstext "Segensfeiern für Paare, die sich lieben"; beim Handlungstext "Verkündigung des Evangeliums durch Lai*innen in Wort und Sakrament" enthielt er sich, an der Abstimmung zum Handlungstext "Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt" nahm er nicht teil. Und was Bätzings süffisante Formulierung "kürzlich wieder einmal" angeht, so bezieht sich diese offenkundig darauf, dass Bischof Hanke unlängst gemeinsam mit Kardinal Woelki und den Bischöfen von Regensburg und Passau, Voderholzer und Oster, erklärt hat, sich am Synodalen Ausschuss und auch an einem zukünftigen Synodalen Rat nicht beteiligen zu wollen. Angesichts dieser klaren Haltung muss man sich schon fragen, was Kollege Bätzing eigentlich mit dem Versuch bezweckt, seinen scheidenden Amtsbruder noch in seiner Abschieds-Würdigung für das Anliegen des Synodalen Weges zu vereinnahmen; aber wahrscheinlich ist das dieselbe Art von Realitätsverlust, mit der er päpstliche Einsprüche gegen den Synodalen Weg stets als Ausdruck von Zuspruch und Ermutigung zu verkaufen versucht hat

Was die Modalitäten der Neubesetzung der beiden derzeit vakanten bischöflichen Stühle in Deutschland betrifft, gibt es übrigens einen bemerkenswerten Unterschied zwischen Münster und Eichstätt: In Münster gilt das Preußenkonkordat von 1929, demnach hat das Domkapitel das Recht, aus einer ihm vom Papst vorgelegten Liste von drei Kandidaten den neuen Bischof zu wählen. Bei der Ernennung eines neuen Bischofs von Eichstätt hat der Papst hingegen laut dem bayerischen Konkordat von 1924 völlig freie Hand, das Domkapitel macht lediglich Vorschläge, die der Papst "würdigen" soll, an die er aber nicht gebunden ist. Man darf gespannt sein, wie Papst Leo die Gelegenheit nutzen wird, die Karten im deutschen Episkopat neu zu mischen. 


When I'm 49 

Wie letzte Woche schon angekündigt, hatte ich am Pfingstmontag Geburtstag. Mir scheint – überprüft habe ich es allerdings nicht –, es kommt so ungefähr alle drei bis vier Jahre vor, dass mein Geburtstag so ungefähr um Pfingsten herum liegt, auch meine Geburt fiel in die Pfingstoktav, die damals allerdings offiziell schon abgeschafft war. – In der Theorie ist es ja durchaus ganz schön, an einem Feiertag Geburtstag zu haben, niemand muss zur Arbeit oder zur Schule und es kommen einem keine lästigen Termine in die Quere; andererseits ist der Pfingstmontag typischerweise so ein Tag, an dem man nicht viel Besonderes unternehmen kann, weil alles zu hat. Zudem waren die Kinder schon morgens in ziemlich krawalliger Stimmung und deutlich weniger darauf aus, ihrem Herrn Papa einen schönen Tag zu bereiten, als ich mir das gewünscht haben würde; und ich selbst war angesichts meiner bevorstehenden Bauchfell-OP unterschwellig wohl doch angespannter, als ich es mir eingestehen mochte, und daher auch nicht so recht in Feierlaune. – Als eine gute Idee erwies es sich allerdings, im All Seasons, einem chinesischen Restaurant in Spandau, das wir bisher nur vom Hörensagen gekannt hatten, zum Wochenend-Büffet zu gehen: Neben einer breiten Auswahl an wirklich leckerem Essen gab es dort auch einen Indoor-Spielplatz und ein Kinderkino. Außerdem sang mir ein Servierroboter mit Katzengesicht ("BellaBot") ein Geburtstagsständchen und brachte mir ein Geschenk: ein Essstäbchen-Set in einer schön gestalteten Holzkiste (und dazu einen Glückskeks). Die Kinder waren natürlich begeistert von dem Servierroboter, und ich fand das mit dem Geburtstagsständchen schon auch süß. 

Und über das Geschenk auf Kosten des Hauses habe ich mich durchaus auch gefreut.

Meine Liebste, deren Geburtstag ebenfalls nicht mehr fern ist, hat jedenfalls beschlossen, am selben Ort feiern zu wollen – dann in etwas größerer Runde. Und ich bin mal gespannt, ob meine Kinder mir nächstes Jahr – also zum 50.! – ein Bild malen, einen Blumenstrauß pflücken und/oder ein Lied singen... 


Neues von der KiTa-Eingewöhnung 

Am Dienstag war in Berlin und Brandenburg schulfrei, daher hatten sowohl meine Liebste als auch das Tochterkind frei; ich ging derweil aber wieder mit dem Jüngsten zur KiTa-Eingewöhnung, um die sich gerade erst etablierende Routine nicht länger als nötig zu unterbrechen. Diesmal brachte ich ihn nur hin und holte ihn nach einer Stunde wieder ab, und eigentlich wäre er sogar lieber noch länger geblieben. Am Mittwoch nahm der Jüngste dann erstmals am Morgenkreis und am gemeinsamen Frühstück in der KiTa teil und war dadurch insgesamt fast zwei Stunden dort, am Donnerstag, als meine Liebste ihn hinbrachte umd wieder abholte, während ich bei meinem OP-Termin war, waren es schon fast drei Stunden, und am Freitag blieb er erstmals zum Mittagessen dort. Die Eingewöhnung macht also rapide Fortschritte, unser Sohn hat schon Freunde gefunden, und ein Highlight der Woche war, dass am Donnerstag der Großvater eines der Kinder in die KiTa kam, um einen interaktiven Vortrag über Imkerei zu halten. 

Insgesamt muss man allerdings feststellen: Obwohl der Knabe auf eigenen Wunsch in die KiTa geht, obwohl alles prima läuft und er sich jeden Tag schon wieder auf den nächsten freut, ist ihm doch anzumerken, dass die KiTa-Eingewöhnung für ihn mit psychischem und emotionalem Stress verbunden ist. Die KiTa-Mitarbeiter loben ihn in den höchsten Tönen, aber man tut gut daran, nicht zu verkennen, dass es für ein Kind auch Arbeit ist, neue Tagesabläufe und Regeln zu erlernen und sich in eine Gruppe zu integrieren. Und wenn der KiTa-Tag dann für ihn vorbei ist, will der Knabe eben auch seinen Feierabend haben. Dann sollen bitte alle mal Rücksicht auf seine Bedürfnisse nehmen, und zu diesen Bedürfnissen kann es eben auch gehören, Emotionen rauszulassen, für die in der KiTa kein Platz war. Die kriegen dann vor allem seine Mami und/oder seine große Schwester ab, ich tendenziell weniger, was ich mir aber nicht unbedingt als Verdienst anrechne. – Ich will damit nicht sagen, dass das gegen die KiTa spricht, denn wie gesagt, er geht ja gern hin; aber es ist eben etwas, worauf man sich als Familie einstellen muss. Insofern ist die KiTa-Eingewöhnung durchaus eine Aufgabe und Herausforderung für die ganze Familie und nicht nur für das angehende KiTa-Kind selbst. 


Was ich noch zum Elterncafé beim JAM sagen wollte 

Am Mittwoch war wieder JAM, und da gingen wir wieder alle vier hin; der Jüngste schlief allerdings auf dem Weg dorthin ein und verschlief die freie Spielzeit, und als er dann wieder aufwachte, bestand er darauf, dass seine Mami mit ihm zum Programm für die Vorschulkinder ("Minis") ging. Ich blieb derweil mit unserer Großen beim Programm für die 6-12Jährigen ("Kids"), wo es, wie schon letzte Woche, um Samuel und König Saul ging. Am Elterncafé nahm somit diesmal niemand von uns teil – was mich allerdings nicht davon abhalten soll, mal etwas Grundsätzliches zu diesem Teil des JAM-Programms zu sagen, denn das hatte ich ja eigentlich sowieso schon länger vor

Bekanntlich bin ich früher™️, also so ungefähr bis Anfang des laufenden Kalenderjahres, selten bis nie zum Elterncafé gegangen und versuche dies auch weiterhin nach Möglichkeit zu vermeiden; allerdings habe ich, nachdem ich jetzt mehr oder weniger notgedrungen doch öfter mal da war, festgestellt, dass es in der Regel deutlich anders abläuft, als ich es mir früher™️ vorgestellt habe. Das Ironische daran ist, ich glaube, es würde mir tendenziell besser gefallen, wenn es ein bisschen mehr so wäre, wie ich es mir vorgestellt habe, als ich noch nicht hinging. – Nämlich wie? Nun, ich schätze, ich fände es besser, wenn das Elterncafé stärker darauf ausgerichtet wäre, dass die Teilnehmer miteinander ins Gespräch kommen, sich kennenlernen, Erfahrungen austauschen, persönliche Anliegen zur Sprache bringen. Tatsächlich wird solchen offenen Formen sozialer Interaktion mal mehr, mal weniger Raum gegeben, aber oft habe ich den Eindruck, die Leiterinnen des Elterncafés sind eher bestrebt, sie einzudämmen, als sie etwa zu fördern. Ich bin mir nicht ganz sicher, warum sie das tun; ich gehe aber auch nicht zwingend davon aus, dass mehr dahintersteckt als ein gewisser Mangel an Leitungskompetenz – oder sagen wir: an Souveränität –, der sich darin äußert, dass man sich an sein vorbereitetes Konzept klammert und jede Abweichung davon als Störung und Kontrollverlust empfindet.

Ich könnte mir auch vorstellen – aber da bewege ich mich nun wirklich auf dünnem Eis –, dass diese mangelnde Souveränität in der Gesprächsleitung auch eine inhaltliche Seite hat, die mit einem typisch evangelikalen Glaubensverständnis zu tun hat. Damit meine ich, dass ein sehr starker Fokus auf Glaubenswissen gelegt wird und dieses wiederum als praktisch gleichbedeutend mit Bibelkenntnis betrachtet wird. Die als unanfechtbar vorausgesetzte Grundannahme, dass die Bibel unter allen Umständen Recht habe, führt – so jedenfalls meine Wahrnehmung – zu einer Scheu, etwas Falsches zu sagen, wie ich sie aus Glaubensgesprächskreisen im großkirchlichen Kontext in dieser Ausprägung eher nicht kenne. Im Zweifel bringt man dann eben eher ein Bibelzitat, statt einen eigenen Gedanken zu formulieren. 

Dass vor einigen Wochen damit begonnen wurde, beim JAM-Elterncafé – allerdings im Wechsel mit anderen thematischen Einheiten – das Markusevangelium in einer speziellen Studienausgabe "für Anfänger" durchzuarbeiten, finde ich tendenziell besser, als wenn ein Thema wie z.B. "Christsein und Politik" oder "Christliche Kindererziehung" angekündigt wird und einem dazu dann im Wesentlichen nur ein Potpourri kontextfreier Bibelverse aufgetischt wird; ironischerweise zeigen sich allerdings gerade bei dieser tendenziell systematischeren Form der Bibelarbeit gewisse Unzulänglichkeiten im radikal evangelikalen Verständnis des Prinzips "sola scriptura". Vor ein paar Wochen zum Beispiel referierte eine der Elterncafé-Leiterinnen über den Verfasser des Markusevangeliums: Bei diesem handle es sich um den in der Apostelgeschichte und in einigen Briefen des Neuen Testaments erwähnten Johannes Markus, und was er in seinem Evangelium über das Leben und Wirken Jesu mitteile, wisse er aus Erzählungen des Petrus. Interessanterweise kam niemand auf die Idee, sie zu fragen, woher sie das denn wisse; in der Bibel selbst steht das schließlich nicht, da stößt das Prinzip "sola scriptura" also offenkundig an seine Grenzen. Okay, stellen wir uns mal nicht dümmer als nötig und sagen, diese Informationen über die Identität des Verfassers des Markusevangeliums stammen aus der apostolischen Tradition; präziser gesagt gehen sie auf die fragmentarisch überlieferten "Fünf Bücher der Darstellung der Herrnworte" des Apostelschülers Papias von Hierapolis zurück. Ich finde ja, das legt die Frage nahe, nach was für Kriterien evangelikale Christen eigentlich entscheiden, wann es legitim ist, sich auf die apostolische Tradition zu berufen, und wann nicht

Aber auch sonst drängt sich mir immer wieder der Eindruck auf, dass die Evangelikalen durchaus nicht so voraussetzungslos an den Bibeltext herangehen, wie sie es dem Anspruch nach eigentlich "müssten"; dass da vielmehr eine Reihe von Grundannahmen im Spiel sind, die sie eben nicht aus dem Wortlaut der Bibel entnommen haben, sondern umgekehrt in diesen hineinlesen. Ich möchte betonen, dass das an und für sich nichts ist, was ich ihnen zum Vorwurf machen würde: Tatsächlich bezweifle ich, dass eine völlig voraussetzungslose Bibellektüre überhaupt möglich, geschweige denn theologisch sinnvoll wäre. Das Problem bei den Evangelikalen ist, dass ihre Auffassung von "sola scriptura" sie daran hindert, sich diese impliziten Voraussetzungen ihres Glaubensverständnisses einzugestehen und darüber zu reflektieren. Hinzu kommt, dass das unterschiedliche Maß an Bibelkenntnis unter den Teilnehmern zu einer Art informellem Autoritätsgefälle führt, das sich darin äußert, dass die, die sich "nicht so gut auskennen", sich kaum trauen, etwas beizutragen. 

Diese kritischen Anmerkungen meine ich den Leiterinnen des Elterncafés gegenüber wohlgemerkt "nicht böse": Ich zweifle durchaus nicht an ihrem guten Willen und mag sie überwiegend auch persönlich recht gern. Gleichwohl halte ich es für sinnvoll, meine Beobachtungen und meine Kritik hier festzuhalten, denn ich glaube, dass man daraus etwas für Aktivitäten im Bereich der Evangelisierung und der Erwachsenenkatechese lernen kann. Zum Beispiel, dass man zunächst bemüht sein sollte, die Hürden für "Neulinge", sich zu beteiligen – ihre Fragen, aber auch ihre eigenen Ideen, Anliegen und Erfahrungen einzubringen, ohne befürchten zu müssen, etwas "Falsches" zu sagen –, möglichst niedrig zu halten. Und dann natürlich, dass es "erst einmal" – also sozusagen auf dem Einsteiger-Level – nicht vorrangig um Wissensvermittlung gehen sollte, und also auch nicht darum, auf jede Frage unbedingt eine fertige Antwort zu haben. 

Es ist daher wohl nur folgerichtig, dass der Teil des JAM-Elterncafés, den ich am wertvollsten finde und bei dem ich dann doch hin und wieder ganz gern dabei bin, das Sammeln von Gebetsanliegen und das gemeinsame Beten für diese ist. Da öffnen sich die Leute, da erfährt man etwas darüber, wie ihnen ums Herz ist, und wenn reihum ein Teilnehmer für das Anliegen eines anderen betet, stärkt das die Gemeinschaft untereinander und vor Gott. Aber für diese "Gebetsanliegen-Runde" wird günstigstenfalls eine Viertelstunde am Ende der Veranstaltung freigehalten, oft weniger, manchmal bleibt überhaupt keine Zeit dafür. Ich persönlich hätte ja lieber mehr davon – und glaube, dass auch die anderen Teilnehmer, einige von ihnen jedenfalls, davon profitieren könnten, wenn dieser Anteil ausgebaut würde. – Wenn ich es mir recht überlege, drängt sich mir übrigens selbst der Eindruck auf, diese Ausführungen legen es nahe, dass ich doch öfter zum JAM-Elterncafé gehen sollte; zum einen, weil ich Manches daran eben doch gut finde, zum anderen aber eben auch, weil das, was ich daran nicht gut finde, in gewissem Sinne ziemlich lehrreich ist... Na, ich werde es erwägen. 


Nach der Narkose 

Zu der Operation, der ich mich am vergangenen Donnerstag unterziehen musste, möchte ich zu Protokoll geben, dass der Eingriff als solcher mir erheblich weniger Sorgen bereitet hat als die Tatsache, dass er unter Vollnarkose durchgeführt werden musste. Und auch darüber hätte ich mir wahrscheinlich weniger Sorgen gemacht, wenn ich mehr Erfahrung damit hätte. Aber ich bin tatsächlich 49 Jahre alt geworden, ohne ein einziges Mal unter Vollnarkose operiert zu werden – wobei, ich glaube, ganz so stimmt das nicht: Da war mal was mit Nasenpolypen, da muss ich so ungefähr fünf Jahre alt gewesen sein; ich erinnere mich, dass ich damals zur Betäubung einen Lappen mit einer scharf riechenden Flüssigkeit aufs Gesicht gelegt bekam, und dann war mir, als würde ein blau-rot gestreifter Vorhang vor meinen Augen zugezogen, und ich war weg. Als ich wieder aufwachte, schlug ich erst mal mit meinen kleinen Fäusten auf den Arzt ein. Meiner Mutter war das peinlich, aber der Arzt lachte. 

Nun, am vergangenen Donnerstag lief das Ganze ein bisschen anders ab. Ich erschien früh morgens in der Praxis, hatte noch ein vertrauensbildendes Gespräch mit dem Narkosearzt, ehe ich auf dem OP-Tisch platz nehmen durfte und eine Kanüle in den Handrücken und eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht bekam. Man riet mir, ich solle beim Einschlafen "an etwas Schönes denken", also dachte ich an meine Kinder. Kurz vor dem Aufwachen träumte ich hingegen von König Franz II. von Neapel, was vermutlich meiner Retcliffe-Lektüre zu verdanken war (mehr dazu in der nächsten Folge der Saga um die eingekerkerte Nonne; sie kommt bald!). Aus der Narkose aufzuwachen, fühlte sich nicht wesentlich anders an, als aus einem normalen Schlaf aufzuwachen, außer dass ich mich zunächst noch etwas benommen fühlte und etwas länger keine Lust hatte, aufzustehen. Musste ich aber ja auch nicht. 

Erkennt jemand von meinen Lesern diese Straßenkreuzung? 

Ich kann übrigens zu Protokoll geben, dass meine Angst vor irgendwelchen (prinzipiell möglichen, aber statistisch unwahrscheinlichen) Komplikationen, die unter der Narkose hätten auftreten können, unmittelbar vor dem Termin eher ab- als zunahm. Ich denke schon, dass das etwas damit zu tun hatte, dass ich auf dem Weg zum Termin Rosenkranz gebetet habe; davon abgesehen hatte es aber wohl auch mit einem Phänomen zu tun, das man "normalcy bias" nennt (den Begriff habe ich erst vor Kurzem gelernt): Der Mensch neigt in allen Lebenslagen zu der Annahme, dass die Welt und das Leben im Großen und Ganzen morgen noch genauso sein werden wie gestern und heute. Und zwar unabhängig davon, was alles möglicherweise gegen die Annahme spricht. Simpelstes Beispiel: Man kann nie ganz sicher sein, dass man nicht über Nacht stirbt, stellt sich aber trotzdem einen Wecker, um am nächsten Morgen pünktlich zur Arbeit zu kommen. Ich würde sagen, das ist eine durchaus gesunde Einstellung: Sich ständig Gedanken darüber zu machen, dass das Leben, wie man es kennt, plötzlich vorbei sein könnte, wäre einfach zu belastend. Dass plötzlich kein Strom mehr aus der Steckdose oder kein Wasser mehr aus dem Wasserhahn kommt, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr fahren und es im Supermarkt keine Lebensmittel mehr zu kaufen gibt, das sind alles Dinge, die passieren können, aber in der Regel verlassen wir uns darauf, dass das (uns) nicht passiert. Selbst die "Lockdowns" in der Corona-Zeit haben diese Grundhaltung nicht nachhaltig erschüttern können: Diese stellten zwar durchaus einen stärkeren Einschnitt in die "gefühlte Normalität" dar, als die meisten Menschen hierzulande es bisher erlebt hatten oder zu erleben erwartet hätten, aber ich würde behaupten, im Großen und Ganzen blieb doch noch ein relativ großes Maß an Normalität intakt

Man könnte, wenn man denn wollte, diese "normalcy bias" als eine Art "säkularisiertes Gottvertrauen" auffassen, aber ich würde sagen, es gibt dabei auch eine Schattenseite: nämlich die Tendenz bzw. Gefahr, Dinge als selbstverständlich hinzunehmen, die das in Wirklichkeit ganz und gar nicht sind – was man durchaus als einen Mangel an Dankbarkeit betrachten kann. Ich jedenfalls habe es mir in den letzten Wochen zur Gewohnheit gemacht, Gott jeden Tag dafür zu danken, dass ich noch am Leben bin und meine Kinder aufwachsen sehen kann; und jetzt, nach der so unproblematisch verlaufenen Operation, merke ich schon, dass ich aufpassen muss, mir das nicht wieder abzugewöhnen


Geistlicher Impuls der Woche 

Ich bin niemals irgendwo gewesen außer krank. In gewissem Sinne ist Krankheit tatsächlich ein Ort, lehrreicher als eine lange Reise durch Europa, und sie ist stets ein Ort, an den einem niemand folgen kann. Krankheit vor dem Tod ist etwas sehr Angemessenes, und ich glaube, wer das nicht hat, dem entgeht eine Gnade Gottes. 

(Flannery O'Connor, Brief an Betty Hester, 1956; eigene Übersetzung) 

– Dieses Briefzitat habe ich auf meinem Blog schon einmal gebracht, vor gut neun Jahren (und somit noch in der "Vor-Punkpastoral-Ära" dieses Blogs) in einem Artikel, in dem es ohne konkreten persönlichen Anlass um die spirituelle Dimension des Krankseins ging. Diesen Artikel habe ich nun aus aktuellem Anlass selbst mal wieder nachgelesen und kann ihn als Ergänzung dazu, was ich oben im Abschnitt "Nach der Narkose" geschrieben habe, durchaus empfehlen – auf diese Weise muss ich das, was ich da schon geschrieben habe, hier nämlich nicht unbedingt wiederholen... 


Ohrwurm der Woche 

Sara Lorenz: Neu geboren 

Als ich vor mittlerweile sechs Jahren erstmals eine Pfingstnovene mit Lobpreismusik zusammenstellte, wählte ich diesen Song für den letzten Tag aus; ich fand es irgendwie passend zur Ausgießung des Heiligen Geistes – besonders den Text der zweiten Strophe –, und deshalb behielt ich es auch in späteren Versionen "meiner" Pfingstnovene an derselben Stelle bei. Und ehrlich gesagt: Zu dem Gefühl, eine Operation (auch wenn sie an und für sich harmlos war) gut überstanden zu haben, passt der Text auch ganz gut... 


Vorschau/Ausblick 

Ein eindeutiger Nachteil der Tatsache, dass ich kürzlich operiert wurde und mich davon erst mal erholen muss, ist, dass ich dadurch das Emergent Berlin Festival verpasse, das seit gestern (und noch bis morgen Abend) im Baumhaus, im Panke-Club, dem Studio Blink Blink, der Druckbar und dem Himmelbeet stattfindet. Hatte ja gehofft, es würde vielleicht einen Livestream geben, habe jedoch trotz intensiver Suche nur Videoschnipsel aus früheren Jahren gefunden. Die sind allerdings auch schön

Aber à propos Livestream: Am morgigen Dreifaltigkeitssonntag werde ich mir wohl wieder die Messe aus St. Joseph Siemensstadt auf YouTube ansehen. Ab Montag hoffe ich dann wieder fit genug zu sein, die Kinder selbst zur Schule und zur KiTa zu bringen, werde aber weiterhin dankbar sein, das Abholen meiner Liebsten oder von Fall zu Fall auch mal den Omas überlassen zu können. – Donnerstag ist das Hochfest des Leibes und Blutes Christi (kurz: Fronleichnam), und ich bin geneigt zu sagen, ich kann mich glücklich schätzen, eine Ausrede zu haben, nicht zur zentralen Fronleichnamsfeier des Erzbistums Berlin zu gehen; denn erfahrungsgemäß ist die ja eher unerfreulich. Wobei, letztes Jahr war's eigentlich gar nicht so schlecht, zumal es im Anschluss leckeres Essen gab; das soll es auch dieses Jahr wieder geben, aber ich denke, ich werde es verschmerzen können, darauf zu verzichten. – Im Übrigen fühle ich mich nach der überstandenen Operation wieder sehr viel mehr als zuvor dazu bereit, weiter als ein paar Tage in die Zukunft zu denken; daher bin ich einerseits gewillt, mich in nächster Zeit wieder stärker um das Projekt "Pfarrhausfamilie" zu kümmern – da zeichnen sich nämlich neue Perspektiven ab, aber vorläufig will ich diesbezüglich mal noch nicht zu viel verraten. Gleichzeitig und andererseits habe ich aber auch ein paar Ideen, wie ich mein Engagement in St. Joseph Siemensstadt/St. Stephanus Haselhorst verstärken bzw. ausbauen könnte, solange wir noch hier sind; und drittens will ich in absehbarer Zeit mal mit meiner Großen zu den "Royal Rangers". Zu bedenken ist bei alledem aber natürlich auch, dass ich wohl erst in ungefähr vier Wochen wieder voll belastbar sein werde – und dann sind schon bald Sommerferien... 

 

Samstag, 7. Juni 2025

Die 3 K der Woche (28): Kinder, Kirche, #kindergartenfrei adé?

Herzlich willkommen zum ersten Wochenbriefing im Herz-Jesu-Monat, Freunde! Ökumenische Grüße gehen raus an das Koptisch-orthodoxe Gemeindezentrum in Nordenham-Einswarden, das heute einen Tag der offenen Tür veranstaltet hat; da wäre ich ja gern dabei gewesen, aber vielleicht ergibt sich in den Sommerferien ja mal eine Gelegenheit zu einem Besuch. 

Diese Einleitung möge schon mal als Einstimmung darauf dienen, dass ich im vorliegenden Wochenbriefing den Blick wieder stärker als in den beiden vorangegangenen Wochen über den Tellerrand des persönlichen Nahbereichs hinaus richte. Aus dem Familienalltag gibt es in dieser Woche nämlich eigentlich nur ein großes Thema, und das wird bereits in der Überschrift angedeutet. Was alles Weitere angeht, lasst euch überraschen, Freunde... 

Neulich beim Aufräumen wiedergefunden: Ein von meiner Schwester gebasteltes Hochzeitsgeschenk. 


Eigentlich war ja gerade Pfingstnovene... 

...und eigentlich hatte ich den guten Willen gehabt, eine aktualisierte, d.h. datumsmäßig angepasste und die in den betreffenden Zeitraum fallenden Heiligengedenktage (Marcellinus und Petrus, Karl Lwanga und Gefährten, Bonifatius, Norbert von Xanten) berücksichtigende Version meiner erstmals 2019 ausgearbeiteten (und damals öffentlich in Herz Jesu Tegel vorgebeteten) Pfingstnovene zu erstellen und täglich auf Patreon zu posten. Wäre wahrscheinlich auch gar nicht so viel Arbeit gewesen, wenn mir a) rechtzeitig aufgefallen wäre, dass Pfingsten dieses Jahr nur einen Tag später ist als 2019 und ich daraufhin b) rechtzeitig die alte Datei auf meinem Computer 'rausgesucht hätte. Mitte der vorletzten Woche dachte ich noch, ich krieg das schon noch hin, am Himmelfahrtstag hatte ich dann erst mal andere Dinge im Kopf, und dann wurde ich krank. Tja. Am Freitag ging es mir so schlecht, dass ich mich nicht einmal dazu aufraffen konnte, still für mich allein die Pfingstnovene (in welcher Version auch immer) zu beten. Am Samstag war ich dann erst einmal reichlich frustriert darüber, den Beginn der Novene verpasst zu haben, rang mich gegen Abend aber doch dazu durch, die Gebete vom ersten Tag nachzuholen; am Sonntag betete ich dann zweimal Novene, morgens und abends oder richtiger gesagt vormittags und nachmittags, und hatte dem Rückstand aus meinem "Fehlstart" somit aufgeholt. Kurz darauf geriet ich aber prompt erneut in Rückstand, da ich am Montag den ganzen Tag nicht dazu kam, Novene zu beten – oder richtiger gesagt: Ein paarmal im Laufe des Tages hätte ich theoretisch Zeit dafür gehabt, aber diese Gelegenheiten versäumte ich, und am Abend war ich dann viel zu müde. 

Diesen Rückstand schleppte ich bis Donnerstag mir herum; am Mittwoch baute ich die Novenengebete in eine "Beten mit Musik"-Andacht mit dem Jüngsten in St. Joseph Tegel ein, die erste im Monat Juni. Hätte ich eigentlich gern an den folgenden Tagen wieder so gemacht, aber es fehlte an Zeit und Gelegenheit. 

Kein aktuelles Foto, sondern ein Fundstück aus meinem Symbolbilder-Archiv; aufgenommen in St. Stephanus Haselhorst. 

Was es zu diesem Thema aber sonst noch Interessantes zu sagen gibt: Ich war positiv überrascht, zu sehen, dass der Instagram-Kanal der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd einen Aufruf zum Beten der Pfingstnovene postete, mit einer wohl aus irgendeiner anderen Quelle übernommenen Vorlage für die täglichen Gebete, und das Ganze dann auch noch unterlegt mit einer aus dem Gebetshaus Augsburg stammenden Vertonung der Pfingstsequenz; leider allerdings nur als "Story", die nur 24 Stunden lang online blieb, und diese 24 Stunden waren wohl schon fast rum, als ich den Beitrag zum ersten Mal sah; denn als ich ihn mir etwas später noch einmal genauer ansehen wollte, war er schon nicht mehr da. 

Und wo ich gerade "Gebetshaus Augsburg" sagte: Dieses geistliche Zentrum hat – "natürlich", möchte ich fast sagen – ebenfalls eine Vorlage fürs tägliche Beten der Pfingstnovene ins Netz gestellt, mit folgendem sehr schlichtem Ablauf: 1. Stille, 2. Pfingstsequenz, 3. Betrachtung der Strophe + kurzer Impulsgedanke, 4. Gebet, 5. Abschluss mit dem Ruf "Komm, Heiliger Geist!". Dazu gab's einen kurzen Erklär-Text "Was ist eine Pfingstnovene?" sowie den Hinweis "Den täglichen Impuls findest Du in unserer Story". An sich eine schöne Idee, aber so ganz durchdacht scheint mir das mit den "Stories" doch nicht zu sein: Die einzelnen "Folien" (nennt man das so?) wechseln viel zu schnell, als dass man sie in Ruhe hätte betrachten können, und zudem gingen die Novenen-"Stories" ziemlich unter zwischen Videoclips von der Eröffnung eines neuen Gebäudeteils auf dem GebetshausCampus, nämlich des P7 EvebtHubs

Über die diesjährige Pfingstnovene des Hilfswerks Renovabis, die von dem früheren Bundestagspräsidenten und langjährigen "ZdK"-Mitglied Wolfgang Thierse verfasst wurde, möchte ich hier derweil lieber den Mantel des Schweigens breiten. 


Sonntag auf der Couch 

Nachdem meine Männergrippe am Samstag schon auf dem Rückzug zu sein schien, ging's mir am Sonntagmorgen erst mal wieder schlechter; vor allem hatte ich starke Kopfschmerzen und mir war ein bisschen übel. Alles in allem wohl Grund genug, mich von der Pflicht zur physischen Teilnahme an der Sonntagsmesse befreit zu fühlen, also blieb ich, während Frau und Kinder nach Haselhorst fuhren, zu Hause und sah mir auf YouTube die Live-Übertragung der Messe aus St. Joseph Siemensstadt an, die vom – wie ich immer gern sage – "örtlich zuständigen" Pfarrvikar zelebriert wurde. Die Kirche machte den Eindruck, ziemlich schwach besucht zu sein; das mochte zum Teil daran liegen, dass die Erstkommunion gerade vorbei war, und zum Teil auch daran, dass einige Leute das lange Wochenende nach Christi Himmelfahrt für einen Kurzurlaub genutzt hatten. YouTube zeigte auch nur sechs aktive Zuschauer an, aber ich muss sagen, ich war an diesem Sonntag recht froh, dass es diese Live-Übertragung gab – womit ich sagen will: Ich bin froh, dass offenbar nicht erwogen wird, den YouTube-Kanal wegen zu geringer Resonanz einzustellen. Ich betrachte das als ein gutes Beispiel dafür, dass Seelsorge sich nicht an weltlichen Maßstäben in Sachen Erfolg und Relevanz ausrichten sollte (oder sagen wir ruhig: darf): Selbst wenn ein seelsorgerisches Angebot nur eine einzige Person erreicht, kann es doch für diese eine Person das sein, was sie gerade gebraucht hat, und dafür "lohnt" es sich schon. 

Wobei ich zugeben muss: Dass es in die Kategorie "Seelsorge" fällt, einen Gottesdienst über audiovisuelle Medien zu verbreiten, um sie für Menschen zugänglich zu machen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage sind, physisch daran teilzunehmen, ist mir so richtig erst an diesem Sonntag klar geworden. Ich jedenfalls fühlte mich seelisch gut versorgt, gerade nachdem die letzten Gottesdienste, an denen ich physisch teilgenommen hatte, einen gewissen spirituellen Hunger bei mir hinterlassen hatten

Im Mittelpunkt der wieder einmal nur knapp zehn Minuten langen, aber durchaus gehaltvollen Predigt stand die 2. Lesung dieses Sonntags, ein Auszug aus den Schlussworten der Offenbarung des Johannes (Offb 22,12-14.16-17.20). Ich will hier nur mal ein paar Sätze hervorheben: 

"Eucharistie ist jedesmal Hochzeit, wo der Herr Sein Ja zu uns sagt und wir unser Ja dem Herrn sagen." 

"Wenn Christus ein Lamm ist, dann brauchen wir auch den Geist dieses Lammes. Es vertraut darauf, dass Gott die Geschichte in der Hand hat und dass Gott die Geschichte zum Guten führt. Und dass der Geist des Lammes mächtiger ist als jede Gewalt und jede Schlauheit der Welt und jeder Betrug. Alpha und Omega, der Anfang und das Ende der Geschichte ist Christus. Wenn wir sozusagen unser eigenes Ding drehen, dann fallen wir irgendwie raus aus der Liebe, dann wird diese Geschichte krumm werden. Wenn wir den Geist des Lammes haben, dann sind wir geborgen vom Anfang bis zum Ende bei diesem Lamm, bei diesem auferstandenen Lamm." 

"Wir sind durch das Blut des Lammes reingewaschen, das heißt, durch Seine kostenlose Liebe, die uns geliebt hat, als wur arm, schwach, böse waren – und trotzdem hat Er uns geliebt. Das verändert das Herz eines Menschen." 

"Johannes Paul II. [hat] in einer Katechese gesagt: Warum schickt Gott [Adam und Eva] weg aus dem Paradies? Nicht um sie zu bestrafen, sondern damit sie nicht an den Baum des Lebens greifen und sozusagen ewig in diesem Zustand der Zerstrittenheit bleiben. Das ist den Engeln passiert: Die Engel, die sich von Gott losgesagt haben, haben keine Möglichkeit zur Umkehr. Adam und Eva haben einen Leib, eine Geschichte: Unter Mühsal wirst du den Acker bebauen, Krankheiten, was auch immer – all das sind die Orte, wo ein Mensch zurückkehren kann zur Umkehr, zum Baum des Lebens." 

Am Ende der Predigt wies der Pfarrvikar noch darauf hin, dass in zwei Wochen – am Dreifaltigkeitssonntag – das "Große Glaubensbekenntnis von Nizäa" gebetet werde; und "um das ein bisschen zu üben und vorzubereiten", betete er auch schon in dieser Messe das Nizänische Credo mit der Gemeinde. Könnte man für mein Empfinden ruhig öfter machen. (Vielleicht könnten's die Leut' dann irgendwann auch mal auswendig und müssten's nicht aus dem Gotteslob – Nr. 586 – ablesen.) 

Ungefähr zeitgleich mit der Messe in Siemensstadt waren meine Liebste und die Kinder im freikirchlichen Gottesdienst in der EFG The Rock Christuskirche in Haselhorst – wo sich unsere Große, wie ich hinterher erfuhr, einmal mehr dagegen entschied, unbegleitet zur Kinderkatechese für die 6-12Jährigen zu gehen, und stattdessen mit der Mami und dem kleinen Bruder nach oben in den Eltern-Kind-Raum ging. Als sie nach Hause kam, zeigte sie mir stolz das Portemonnaie, das sie dort gebastelt hatte. 

Das Bibelzitat hat allerdings eine Mitarbeiterin draufgeschrieben.

 

Wenn der Vater mit dem Sohne... in die KiTa geht 

Am Montag hat unser Jüngster seine KiTa-Eingewöhnung begonnen. Auf eigenen Wunsch, wohlgemerkt. Auf seine Initiative hin waren wir vor ein paar Monaten mal auf gut Glück in eine KiTa hineinmarschiert, an der wir auf unseren alltäglichen Streifzügen schon öfter vorbeigekommen waren, und hatten uns erkundigt, ob es dort einen Platz für ihn gäbe. Sehr im Gegensatz zu einer gewissen anderen KiTa in Tegel, bei der wir das auch schon mal so gemacht hatten, wurden wir ausgesprochen freundlich empfangen und durch die Räumlichkeiten geführt, und am Ende fragte mich die Mitarbeiterin, ob ich gleich ein Anmeldeformular ausfüllen wolle. Ich vergewisserte mich bei meinem Sohn, ob es ihm hier gefalle, und als er bejahte, füllte ich das Formular aus. Über die nächsten Wochen folgten noch ein paar Telefonate und zahlreiche weitere Formulare, und schließlich mussten wir noch die Masern-Impfung nachholen, die zum eigentlich geplanten Zeitpunkt aus Gründen, die ich hier nicht aufwärmen möchte, nicht stattgefunden hatte und dann quasi vergessen worden war. Aber dann waren wir startklar in Sachen KiTa. 

Gestatten: Flatti Dino, der Eingewöhnungsbegleiter unseres Jüngsten. Die Basecap stammt aus den Beständen der KiTa.  

Die Eingewöhnung hat jedenfalls sehr vielversprechend begonnen: Die Mitarbeiter sind sehr nett, auch die anderen Kinder machen den Eindruck, sich über einen neuen Spielkameraden zu freuen; mein Sohn selbst agierte am ersten Tag der Eingewöhnung zunächst schüchterner, als ich es von ihm gewohnt bin, kuschelte sich eng an mich und wollte meine Hand gar nicht loslassen, aber man versicherte mir, das sei am ersten Tag völlig normal. Tatsächlich dauerte es dann auch nur zwanzig Minuten, bis er innerlich in der KiTa "angekommen" war und fröhlich mit den anderen Kindern spielte, und ich musste nur noch zuschauen. Als wir wieder gingen, erklärte er mir mit Nachdruck, er freue sich darauf, am nächsten Tag wieder hinzugehen. Tatsächlich lief es auch an den nächsten Tagen wieder sehr gut; am Donnerstag ließ ich ihn erstmals für eine halbe Stunde "allein", und am gestrigen Freitag wieder genauso. 

Gleichwohl muss ich zugeben, dass es sich durchaus irgendwie komisch anfühlt, unseren Jüngsten in die KiTa zu geben, nachdem wir als Familie gut siebeneinhalb Jahre #kindergartenfrei gelebt haben. Und nachdem ich mich hier oft so überzeugt und geradezu kämpferisch pro-#kindergartenfrei geäußert habe, könnte ich mir vorstellen, dass es Leser gibt, für die sich das jetzt wie Verrat anfühlt. Allerdings hat Max Goldt mal gesagt, auch als Vegetarier sollte man ab und zu mal Fleisch essen, damit die Ernährungsweise nicht zur Ideologie und Ersatzidentität wird. Okay, der Vergleich hinkt. Ich versuche es anders zu erklären. 

Auch wenn hier zuweilen ein anderer Eindruck entstanden sein mag, waren meine Liebste und ich eigentlich nie fundamentalistische KiTa-Gegner. Jedenfalls längst nicht so sehr wie manche anderen Eltern, die wir in den letzten Jahren kennengelernt haben und deren Kinder dann meist irgendwann auf magische Weise doch in der KiTa landeten. Man wird natürlich nach und nach fundamentalistischer, wenn man sich in einer das alltägliche Leben betreffenden Frage so sehr gegen den gesellschaftlichen Mainstream stellt und dann naturgemäß den Kontakt zu in dieser Frage Gleichgesinnten sucht, um sich gegenseitig unterstützen zu können. Aber unser erstes Kind war schon fast neun Monate alt, ehe wir überhaupt von der Existenz einer #kindergartenfrei-Bewegung erfuhren. Zunächst einmal reagierten wir mit intuitiver Abwehr auf die von allen möglichen und unmöglichen Seiten an uns herangetragenen Anmutungen, wir sollten möglichst gleich nach der Geburt unseres Kindes, wenn nicht sogar schon vorher, einen KiTa-Gutschein beantragen und uns nach einem KiTa-Platz umsehen; wir sagten uns: Eigentlich haben wir das Kind nicht in der Absicht bekommen, es gleich wieder abzugeben. Über diese intuitive Reaktion hinaus spricht Vieles, was man so über frühkindliche Entwicklung hören und lesen kann, dafür, dass gerade in den ersten drei Lebensjahren eine enge Bindung an die Eltern wichtig für die psychisch-emotionale Gesundheit von Kindern ist, weshalb ich es grundsätzlich für wünschenswert halte, dass Kinder bis zum Alter von drei Jahren bei ihren Eltern bleiben, soweit diese die Möglichkeit dazu haben. Eine vernünftige Familienpolitik, so finde ich, sollte dies fördern und unterstützen, statt die KiTa-Betreuung für Unter-Dreijährige auszubauen. Weiter reicht mein Fundamentalismus in dieser Frage eigentlich nicht. Bei Kindern ab drei Jahren muss man halt abwägen, was für und was gegen KiTa-Betreuung spricht, und da kann man von Fall zu Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Als unsere Große in das Alter kam, ab dem wir uns hätten vorstellen können, dass KiTa etwas für sie wäre, kam Corona, und eine KiTa-Eingewöhnung unter Corona-Bedingungen wollten wir weder ihr noch uns zumuten. Dann kam erst mal die Elternzeit mit dem kleinen Bruder, und danach hatte sie schon kein Interesse mehr am Thema KiTa und wollte lieber möglichst bald eingeschult werden. Unser Jüngster ist jetzt vier und will in die KiTa, und wie eingangs schon erwähnt, hat er sich seine KiTa selbst ausgesucht. Also probieren wir das jetzt mal. Wenn es sich nicht bewährt, dann nehmen wir ihn halt wieder raus. Aber bis jetzt, d.h. nach einer Woche Eingewöhnung, ist mein Eindruck durchaus positiv. 

Übrigens noch ein Wort zur Masern-Impfung: Meine persönlichen Kontakte in der #kindergartenfrei-Szene haben mir bestätigt, dass es eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Gründe dafür gibt, warum jemande seine Kinder auch nach dem vollendeten dritten Lebensjahr nicht in die KiTa geben will; aber man muss zugeben, dass die vor einigen Jahren eingeführte Masern-Impfpflicht dabei eine größere Rolle spielt, als ich es erwartet hätte. Ich meine, ich bin in den 70ern geboren und auf einem Dorf in Norddeutschland aufgewachsen; da war es seinerzeit noch üblich, dass, wenn ein Kind Windpocken, Röteln oder Masern hatte, die Eltern aus der Verwandtschaft, Nachbarschaft oder dem Freundeskreis ihre eigenen Kinder vorbeischickten, damit sie sich ansteckten und es dann hinter sich hatten. So wurde auch ich noch gegen Windpocken, Röteln und Masern immunisiert. Tatsächlich waren Masern die schlimmste Krankheit, die ich als Kind hatte, und ich erinnere mich bis heute, wie elend ich mich gefühlt hatte, als ich mit Masern im Bett lag. Wenn meinen eigenen Kindern diese Erfahrung durch eine Impfung erspart bleibt, finde ich das gut – von den möglichen Folgeschäden einer Maserninfektion mal gar nicht erst zu reden. Trotzdem denke ich: Eine Impfung zu befürworten ist noch nicht dasselbe wie eine Impfpflicht zu befürworten. Letztere stellt schließlich einen staatlichen Eingriff in Elternrechte dar, dessen Legitimität man durchaus infrage stellen dürfen sollte. Das auch und vor allem beim Thema Corona ausgiebig strapazierte Narrativ, man müsse die Geimpften vor den Ungeimpften schützen, überzeugt mich jedenfalls nicht: Sollten die Geimpften nicht durch die Impfung geschützt sein? Und wenn das nicht der Fall ist, was soll das Ganze dann

– Okay, so viel erst mal zu den Beweggründen der Impfgegner-Fraktion innerhalb der #kindergartenfrei-Szene. In den nächsten Wochen wird sich dann wohl zeigen, ob und in welchem Ausmaß die Erlebnisse unseres Jüngsten in der KiTa Anlass zu weiteren Reflexionen darüber bieten werden, was an der flächendeckenden Fremdbetreuung von Kindern im Vorschulalter grundsätzlich kritisch zu beurteilen ist. 


Regenbogen über Butjadingen 

"Schon wieder?", mag sich Mancher fragen, der diese Überschrift liest, und das habe auch ich mich im ersten Moment gefragt, als ich auf dem Instagram-Account der Pfarrei St. Willehad eine unkommentierte Fotostrecke sah, die einen Wohnwagen und ein Zelt der Urlauberkirche am Hafen von Fedderwardersiel zeigte, und in trauter Eintracht mit zwei Beachflags mit dem Logo der Urlauberkirche flatterte eine Regenbogenflagge über der ganzen Szenerie. Näheren Aufschluss darüber, um was für eine Art von Veranstaltung es sich da handelte, erhielt ich aus der Online-Ausgabe des Pfarrblatts "Willehad aktuell"

"Am Himmelfahrtswochenende, 30. und 31. Mai 2025, veranstaltet unsere Urlauberkirche im Hafen von Fedderwardersiel einen Privatflohmarkt im Rahmen des Hafenschmaus-Festivals. Angeboten werden darf alles, was selbst auf Flohmärkten gesucht wird. Eine Standkarte ist gegen eine kleine Spende im Pfarrbüro erhältlich." 

Ach so. Und was hat die Regenbogenflagge jetzt damit zu tun? Im Grunde wohl nichts; ich schätze mal, man hatte die einfach noch da und wollte sie mal wieder benutzen. Dass die Campingplätze in Butjadingen, auf denen die Willehad-Urlauberkirche in der Badesaison aktiv ist, von einer Firma namens Regenbogen AG betrieben werden, ist in diesem Zusammenhang sicherlich zufällig, zumal diese Firma trotz ihres Namens keine Regenbogenfarben in ihrem Logo verwendet. Unter dem Strich bleibt, quasi als Nachhall der Regenbogenflaggen-Affäre von 2023, der doch ziemlich schräge Eindruck einer Identifikation der örtlichen katholischen Kirche mit der LGBTQ-Bewegung. Was ich dazu eigentlich schon letzten Sommer mal schreiben wollte: Im Internet kursiert immer mal wieder ein altes Stasi-Papier über "Erscheinungsformen negativ-dekadenter Jugendlicher in der DDR", und darin heißt es, die Punk-Szene in der DDR sei fest in der kirchlichen offenen Jugendarbeit verwurzelt und werde von Diakonen geleitet. Klingt bizarr, aber ich habe ein bisschen den Eindruck, über die LGBTQ-Szene in der Wesermarsch könnte man Ähnliches behaupten. 

Im Grunde scheint mir aber der Verdacht nahe zu liegen, dass das Hissen der Regenbogenflagge beim Flohmarkt in Fedderwardersiel nur ein Rückzugsgefecht ist. Dafür spricht auch, was man aus derselben "Willehad aktuell"-Ausgabe über die nächste "Nacht der Acht" erfährt, die 28. Juni ab 18 Uhr stattfinden soll. Wer's nicht weiß oder sich nicht gemerkt hat, die "Nacht der Acht" ist die Butjenter Version einer "Langen Nacht der Kirchen", an der sich sechs evangelische und zwei katholische Kirchenstandorte beteiligen. In der katholischen Kirche Herz Mariä in Burhave "begegnet man den Farben des Lebens, dem Klang von Brunnen und Klangschale", heißt es im Ankündigungstext für dieses Jahr; das mutet zwar arg heidnisch und esoterisch an und wäre daher durchaus zu problematisieren, aber auffällig erscheint mir hier vor allem das Abweichen von der programmatischen Linie der Vorjahre: Die "Nacht der Acht" im Sommer 2022 war der Ausgangspunkt der ganzen Butjenter Regenbogenflaggen-Affäre, denn da wirkte die Herz-Mariä-Kirche als "Segenskirche" mit, in der sich "Paare [...] segnen lassen" konnten – "ausdrücklich auch solche, die nach katholischem Recht nicht heiraten dürfen", und das Hissen der Regenbogenflagge am Fahnenmast neben dem Gebäude setzte ein unmissverständliches Zeichen, an was für Paare da insbesondere gedacht war. Auch im Rahmen der "Nacht der Acht" 2023 wurde an diesem Ort wieder ein Segen "unter den Farben des Regenbogens" angeboten: Dazu wurde "vor dem Altar [...] eine Art Zimmerspringbrunnen aufgestellt, mit dessen Wasser (fragen wir lieber gar nicht erst, ob es sich um Weihwasser handelte) die Besucher der Kirche sich selbst oder gegebenenfalls gegenseitig segnen konnten und sollten. Im Ernst." Und 2024 wurde "das 'Regenbogen'-Motto [...] in der Form umgesetzt, dass in der Kirche der Film 'Wie Gott uns schuf' gezeigt" wurde. Dass daran heuer, trotz aller Bemühungen der Synodalbewegten, Fiducia supplicans als Freibrief für die Segnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu interpretieren, ja trotz der erst unlängst von der Gemeinsamen Konferenz von DBK und "ZdK" verabschiedeten Handreichung "Segen gibt der Liebe Kraft", nicht weiter angeknüpft wird, scheint mir ein gewisses Gespür dafür zu verraten, dass der Wind sich gedreht hat und die Tage der "Rainbow Church" gezählt sind. 


Umstrittenes im Bistum Münster 

Robert Barron, Begründer der Online-Evangelisierungs-Plattform "Word on Fire" und seit 2022 Bischof der Diözese Winona-Rochester im US-Bundesstaat Minnesota, soll im Sommer in Münster mit dem Josef-Pieper-Preis ausgezeichnet werden. Die Josef-Pieper-Stiftung begründete die Wahl des Preisträgers mit dessen Pionierarbeit im Bereich des Medienapostolats und würdigt Barron als "einen Theologen und akademischen Lehrer, der wie kaum ein anderer die modernen Medien zur Unterstützung der christlichen Verkündigung nutzt": 

"Mit seinen Büchern, Radio- und Fernsehsendungen und seinen Videos im Internet erreicht er ein Millionenpublikum – in den USA und weltweit. Und immer wieder schöpft er in seinen Vorträgen und Impulsen nicht zuletzt aus den Gedanken und Schriften Josef Piepers." 

Soweit, so einleuchtend; andere jedoch verbinden mit der Person des Bischofs von Winona-Rochester, der unlängst auch in eine Regierungskommission zum Schutz der Religionsfreiheit berufen wurde, ganz andere Assoziationen. So nannte das Münsteraner Bistumsblatt Kirche + Leben Bischof Barron schon in einem Beitrag vom 7. März "umstritten" und hob in diesem Zusammenhang besonders seine "Nähe zu Donald Trump" hervor – woran sich ja schon mal mindestens zwei Dinge ablesen lassen, nämlich erstens die allgemein sehr verbreitete Überbewertung von Politik, die sich in der Neigung äußert, Kirchenvertreter partout politisch verorten zu wollen, und zweitens den sehr verengten Blick auf die gesellschaftliche und politische Situation in den USA, der alles auf den Gegensatz zwischen "pro Trump" und "anti Trump" reduziert, wobei "pro Trump" natürlich böse und "anti Trump" ebenso natürlich gut ist. Wer da nun einwenden möchte, der durchschnittliche US-Amerikaner habe schließlich auch kein differenzierteres Bild von der europäischen Politik und Gesellschaft, dem möchte ich gern erwidern: Das mag wohl stimmen, aber ihr seid doch genau diejenigen, die sich einbilden, so viel schlauer zu sein als die doofen Amis. 

Noch bezeichnender ist die Reaktion des Diözesankomitees (nicht zu verwechseln mit dem Diözesanrat) des Bistums Münster, das anlässlich seiner Frühjahrsvollversammlung in der Bistumsakademie Franz-Hitze-Hause seine Missbilligung der Preisvergabe kundtat. Diese widerspreche den Werten des Gremiums, zu denen es gehöre, sich gegen "jede Form der Intoleranz" zu stellen. Man habe "besorgte und durchaus kritische Anfragen aus den Mitgliedsverbänden" erhalten. Als "sachkundige Person" in dieser Frage hatte das Diözesankomitee den Pressesprecher der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexualität und Kirche, Markus Gutfleisch, eingeladen, der auch Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees und Mitinitiator von #OutInChurch ist und Bischof Barron ankreidete, dieser habe sich "mehrfach queerfeindlich geäußert" und "befürworte die Politik des US-Präsidenten Donald Trump gegen trans* Menschen". – Was den letzteren Vorwurf angeht, hat Bischof Barron sich tatsächlich lobend über Trumps Erlass "Protecting Children from Chemical and Surgical Mutilation" geäußert; wer seine diesbezügliche Stellungnahme liest, wird allerdings unschwer feststellen, dass er diesen Erlass gerade nicht als "Politik gegen trans* Menschen" auffasst, sondern im Gegenteil der Auffassung ist, diese Politik komme gerade solchen Minderjährigen zugute, die sich für "trans*" halten oder denen man einredet, es zu sein, und da bin ich ganz seiner Meinung. Davon abgesehen wüsste ich von keinen "queerfeindlichen" Äußerungen Bischof Barrons, die über eine Bekräftigung der lehramtlichen Positionen der Kirche zu Homosexualität und anderen sexuellen Fragen hinausgegangen wären. Die ganze Tragikomik des Vorgangs liegt demnach darin, dass das Münsteraner Diözesankomitee (laut Eigenbeschreibung ein "freiwilliger Zusammenschluss der katholischen Verbände, Organisationen und kirchlichen Initiativen, der Kreis- und Stadtdekanatskonferenzen, des Komitees der Verbände im Offizialatsbezirk Oldenburg sowie weiteren Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft") den Einschätzungen eines Queer-Aktivisten (so bezeichnet Markus Gutfleisch sich selbst) eine höhere Autorität zumisst als der Lehre der Kirche selbst. Darin offenbart sich natürlich die den "Synodalen Weg" und seine Anhänger insgesamt kennzeichnende Auffassung, die Lehre der Kirche – in Fragen der Sexualität, aber auch in anderen Punkten – sei etwas, was man per Gremienbeschluss ändern könne. Man beschließt, ab sofort ist die katholische Kirche "queerpositiv" und "lgbtq-affirming", und wer diesen Schwenk nicht mitvollzieht, der ist fortan kein normaler katholischer Gläubiger mehr, sondern ein homophober Fundamentalist und Hassredner. Solche Zuschreibungen fallen umso leichter, als die Gremien und Verbände vielfach wohl von Leuten dominiert werden, die normale katholische Gläubige ohnehin nur von Weitem kennen

Eine offizielle Stellungnahme des Bistums Münster zu diesem Vorgang gibt es bisher nicht. Die Preisverleihung soll jedenfalls am 27. Juli im Priesterseminar Borromaeum stattfinden, Bischof Oster aus Passau soll die Laudatio halten, und zuvor soll es ein gemeinsames Pontifikalamt mit Bischof Barron in der Überwasserkirche geben. Queer-Aktivist Gutfleisch erklärte bei der Versammlung des Diözesankomitees, er "rechne damit, dass es rund um die Verleihung Protestveranstaltungen geben wird". Behalten wir das mal im Auge. 


Geistlicher Impuls der Woche 

Die Kirche fährt über das Meer dieser Welt wie ein großes Schiff und wird von den Wogen – das sind die Anfechtungen dieses Lebens – hin und her geworfen. Wir dürfen das Schiff nicht verlassen, wir müssen es lenken. Als Vorbilder haben wir dafür die frühen Väter, Klemens, Kornelius und die vielen andern in der Stadt Rom, Cyprian in Karthago, Athanasius in Alexandrien. Sie haben unter heidnischen Kaisern das Schiff Christi gesteuert. Sie haben die Kirche geleitet, sie gelehrt und verteidigt, für sie gearbeitet und gelitten bis zum Vergießen des Blutes. 

Die Wahrheit kann zwar niedergehalten, aber weder besiegt noch getäuscht werden. Lasst uns auf ihn vertrauen, der uns die Last aufgelegt hat. Was wir aus eigener Kraft nicht tragen können, das wollen wir tragen durch ihn. Wenn Gott es so will, wollen wir sterben für die heiligen Gesetze unserer Väter, damit wir mit ihnen das ewige Erbe erlangen. Wir wollen nicht stumme Hunde sein und schweigend zuschauen, nicht Mietlinge, die vor dem Wolf fliehen, sondern eifrige Hirten: Über die Herde Christi wollen wir wachen und allen Menschen jeden Ratschluss Gottes verkünden, den Großen und den Kleinen, den Reichen und den Armen, jedem Stand und jedem Alter, soweit Gott uns Kraft dazu gibt.

(Bonifatius, Brief über die Last des christlichen Hirtenamtes) 


Ohrwurm der Woche 

Mark Ambor: Belong Together 

Normalerweise kenne ich mich mit aktueller Popmusik überhaupt nicht aus, und das schon ziemlich lange nicht mehr; aber das relativiert sich ein bisschen dadurch, dass ich eine Tochter habe, die in die Schule geht und dort, z.B. in der Toberaum-Disco, durchaus nicht nur Kinderlieder hört. Neben all dem K-Pop und HipHop, der dort derzeit offenbar hoch im Kurs steht, scheint mir diese folkige Singer-Songwriter-Ballade, zu der bei der Schul-Talentshow vor den Osterferien zwei Mädchen eine reizende Tanznummer aufführten, geradezu rührend altmodisch. Auch das Video, in dem einfach nur der Sänger zu sehen ist, wie er sich ins hohe Gras fläzt, ist mir in seiner unspektakulären Art sympathisch. 


Vorschau/Ausblick 

Pfingsten steht vor der Tür! Am morgigen Pfingstsonntag feiert eine der liebsten Schulfreundinnen unserer Tochter Geburtstag, aber bevor die Feier losgeht, sollten wir noch genug Zeit haben, um in St. Joseph Siemensstadt in die Messe zu gehen. Am Pfingstmontag habe ich Geburtstag, am Dienstag gibt's einen weiteren freien Tag für meine Liebste und das Tochterkind, die KiTa-Eingewöhnung geht jedoch weiter. Am Donnerstag soll dann mein "Loch im Bauch" operiert werden, und dann bleibt erst mal abzuwarten, wie es mir danach geht. Ihr werdet es erfahren, Freunde!