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Sonntag, 28. Februar 2016

Anders einen sitzen haben - oder: Pastoral der Sitzengelassenen

Manche Dämonen lassen sich einfach nur durch Gelächter austreiben. 

Das ist ein sehr wesentlicher Grund, warum ich so froh bin, dass es die Facebook-Gruppe "Ein ungenanntes Bistum" gibt. Zwar bringt die inhaltliche Ausrichtung dieser Gruppe es einerseits mit sich, dass man mit bizarren Fundstücken aus der Welt des pastoralen und liturgischen Irrsinns konfrontiert wird, von denen einem sonst wohl ein Großteil erspart bliebe; aber andererseits führen die in dieser Gruppe geposteten Beiträge regelmäßig zu hinreißend witzigen Diskussionen im Kommentarbereich - und das hat vielfach eine unbestreitbare kathartische Wirkung. 

Neulich zum Beispiel wurde in dieser Gruppe auf eine Website mit dem an sich unverdächtigen  (wenn auch teilweise etwas redundanten) Namen "kirchbau.de - das Portal zum Kirchenbau, Sakralarchikektur, Kirchenpädagogik und sakraler Architektur" hingewiesen. Die Seite bietet eine umfangreiche Kirchendatenbank, Informationen zu Kirchenbaugeschichte und Kirchbautheologie, allerdings auch eine "Sammlung kirchenraumpädagogischer Elemente, mit denen junge und ältere Menschen den Kirchenraum neu erleben können auf kreative, diskursive, spielerische und spirituelle Weise" - und da bietet sich dem Auge des staunenden Lesers dann allerlei Befremdliches dar. So etwa das ausdrücklich für Erwachsene konzipierte Projekt
"Anders sitzen - andere Eindrücke". 
Beschrieben wird es wie folgt:
"In der Kirche sind verschiedenste Sitzmöbel aufgestellt. Es sollten einige mehr sein als Personen teilnehmen.
Die TN bewegen sich durch die Kirche und nehmen verschiedene Sitzmöbel ein. Sie sollen den Ort mit dem ganzen Körper erspüren.
Durch akustisches Zeichen werden alle gebeten, sitzen zu bleiben bzw. sich auf ein freies Möbel zu setzen. Eindrücke werden ausgetauscht. Dies kann auch in weiteren Runden geschehen.
Schließlich können die TN gebeten werden, zum Sitzmöbel zu gehen, das ihnen zum Erleben des Raumes heute am meisten weitergeholfen hat. Dort setzen sie sich bzw. bleiben beim Möbel stehen. Gemeinsamer Austausch über die Wirkung von Sitzmöbeln auf das Befinden, die Aufmerksamkeit, die Ausrichtung, usw.
Sitzmöbelbeispiele: Stuhl, Hocker, Sitzsack, Sitzball, Bobby-Car, Bierbank, Gesundheitsliege, Strandliege, Polstersessel, Baumstumpf (Holzrugel), Bodensitzkissen, Kirchentagshocker, Barhocker, Schemel, Eimer, Meditationskniebank". 
Alles klar soweit? Die Facebook-Freundin, die in den Weiten des Netzes auf dieses kirchenpädagogische Konzept gestoßen war und es nun der Gruppe vorstellte, merkte an, sie müsse sich jetzt erst einmal darum kümmern, dass ihre 94jährige Mutter sich "nach dieser Lektüre wieder beruhigt"; in der Folge griffen mehrere Gruppenmitglieder die Anregungen des Projektvorschlags auf ihre eigene Weise auf.
"Reise nach Jerusalem?" - "Ja, mit Erfolgserlebnis, weil keiner verliert."

"Nehmen Sie den Sitzsack? Ich nehme den Gymnastiksitzball, den kenne ich noch von der Geburtsvorbereitung." 

"Ich nehme die Bierbank. Die hilft mir meist am besten. Da erlebt man den Raum voll intensiv und so." -  "Mist, die wollte ich doch nehmen. Na dann eben den Barhocker." - "Ich glaube, da sitzt schon mein Mann!" - "Macht nichts, wie man sieht, ist genug Platz vorhanden und in Gesellschaft schmeckt es eh besser."

"Meine Mutter nimmt den Eimer - 'für alle Zwecke, die mich dort überkommen', sagt sie..."

"Ich nehme den Eimer... den kann man so schön rumdrehen und rein***..." - "Den hat schon meine Mutter! Wie wäre es mit dem Bobbycar?" - "Nee, dann spiele ich nicht mehr mit!" [*Bobbycar in die Ecke donner und schmollend weg geh*] - "Dann tun wir Sie auf die Massageliege für Auszeit." 

"Huch, was ist das denn für ein Waldorf-Katholizismus?" - "Lasst uns die Pfingstsequenz tanzen. Oder die Allerheiligenlitanei. Namen tanzen ist eh groovy." 

"Ich nehme die Eselsbank." 

"Ist eigentlich auch eine Couch vorgesehen? Es scheint mir da doch ein gewisser Behandlungsbedarf vorhanden..."
Nach stundenlangem Herumgeblödel wurde aber schließlich doch noch substantielle Kritik an dem Projektentwurf geübt:
"Wenn alle sitzen, wie soll man sie dann abholen, wo wie stehen? Das ist aber pastoral nicht sehr gut durchdacht!" 
Doch keine Bange: Die Seite kirchbau.de hat im Bereich "Kirchenraumpädagogik" noch mehr Schönes zu bieten. Zum Beispiel das Projekt "Kirchenschlaf". Wobei, ganz so innovativ ist das wohl auch nicht: Für eine Erfahrung dieser Art sorgt in manch einer Kirche schon die Predigt...


Was bitte ist denn der Herr Zimmermann für einer?

Wie viele meiner Leser wohl wissen werden, habe ich seit meiner Studentenzeit einige Kontakte zur so genannten "linken Szene" in Berlin. Auch wenn es in den letzten Jahren etwas schwieriger für mich geworden ist, mich in diesen Kreisen zu bewegen, kann ich doch nach wie vor sagen, dass es da viele Menschen gibt, die - auch wenn ihre Vorstellungen von einer besseren und gerechteren Gesellschaft nicht unbedingt die meinen sind - ohne Zweifel gute und ehrenwerte Absichten haben und auch sehr wohl in der Lage sind, sich sachlich, differenziert und respektvoll mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen. Ich kenne in dieser Szene nicht wenige Leute, die ich persönlich sehr schätze und mag. 


Zur letzteren Kategorie wird man wohl die Personen rechnen müssen, die in der Nacht zum Montag letzter Woche das Lokal "Stadtklause" am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg verwüstet haben. Ein Lokal, das in der Nähe meines Arbeitsplatzes liegt und in dem ich in den letzten ca. fünf Jahren zwar nicht oft, aber doch immer mal wieder zu Gast war. Die Nachricht, dass dort jemand die Scheiben eingeschlagen und Bitumen an die Wände des Gastraums gespritzt hatte, machte mich somit auch persönlich betroffen. - Auf der einschlägig bekannten Internetplattform linksunten.indymedia.org erschien ein Bekennerschreiben, das man wohl als authentisch einschätzen kann, da es offenbar "Täterwissen" enthält. Zur Begründung des Anschlags heißt es in dem Text:
"[W]er Strukturen für faschistische Organisationen stellt, muss mit Angriffen rechnen." 
Strukturen für faschistische Organisationen? - Nun, der Vorwurf bezieht sich offenkundig darauf, dass sich vor einigen Monaten mal der Bezirksverband der AfD in dem Lokal getroffen hat. Vielleicht auch mehr als einmal - diesbezüglich sind die Angaben des Gastwirts und des AfD-Sprechers in der Presse nicht ganz eindeutig -, aber jedenfalls nur gelegentlich und nicht regelmäßig. Getroffen haben sich in der gemütlichen, etwas altmodisch-rustikalen "Stadtklause" aber auch noch ganz andere Leute. Zum Beispiel ich mich mit sehr unterschiedlichen Personen, darunter Journalisten, katholischen Priestern und einmal sogar mit einer Grünen-Politikerin. Zugegeben, ich war dort auch ein-, zweimal bei Veranstaltungen des Berliner Landesverbands der "Christdemokraten für das Leben" (CDL), und ich kann nicht ausschließen, dass die CDL aus Sicht der Antifa ebenfalls als "faschistische Organisation" gilt. Aber stellen wir diesen Gedanken mal vorerst noch zurück.

Jedenfalls, da ich wie gesagt in der Nähe des Lokals arbeite, ging ich, nachdem ich am Mittwoch aus dem Tagesspiegel von dem Anschlag erfahren hatte, in meiner Mittagspause mal kurz dort vorbei. Fünf Personen waren damit beschäftigt, den Gastraum zu reinigen; darunter war ein Mitarbeiter, den ich ein bisschen kenne und der, wie ich glaube, aus Polen stammt. Jedenfalls aus Osteuropa. "Hast du mitgekriegt, was hier passiert ist?", fragte er mich. Ich bejahte. "Schöne Scheiße das." - "Und die Ausländer müssen es jetzt ausbaden", lachte er, und ich erwiderte: "Ja, schon irgendwie ironisch. - Ihr kriegt den Laden aber wieder hin, oder?" - "Na klar. Und dann stellen wir hier eine Spendenbüchse auf." Ich versprach, dann bei Gelegenheit mal auf ein Bier vorbeizukommen, und verabschiedete mich.

Wenig später entdeckte ich auf Twitter die folgende Wortmeldung zum Thema:


Klare Aussage: Ein Gastwirt, der in seinem Lokal "Rassist*innen" duldet, ist selbst schuld, wenn ihm die Scheiben eingeschlagen und die Wände beschmiert werden, ja, es geschieht ihm sogar recht. Man könnte dies sogar als unverhohlene Drohung gegen andere Gastwirte auffassen: Seht zu, dass es euch nicht genauso ergeht! -- Freilich könnte man im Sinne der Unschuldsvermutung erwägen, der Tweet sei womöglich zu einem gewissen Grad ironisch gemeint; auf Nachfrage bestätigte der Herr Zimmermann jedoch ausdrücklich, seine Aussage sei als "wohlwollende[] Kommentierung" des Anschlags zu verstehen.

Da stellt sich nun natürlich die Frage: Was bitte ist eigentlich der Herr Zimmermann für einer? In seinem Twitter-Profil nennt er als Interessenschwerpunkte "activism, press, feminism, antifascism. drugs". Das ist ja nun schon fast ein bisschen zu klischeehaft, um wahr zu sein. Einen Blog hat er auch, aber da ist schon seit über einem Jahr kein neuer Artikel mehr erschienen. Was man allerdings mit minimalem Rechercheaufwand feststellen kann, ist, dass Jan Zimmermann in der Piratenpartei aktiv ist - oder war. Ende 2014 wurde er sogar als Beisitzer in den Berliner Landesvorstand der Partei gewählt. Dort machte er sich allerdings nicht nur Freunde: So beklagte sich schon kurz nach seiner Wahl die parteiinterne Plattform "Sozial-Liberale Partizipation" darüber, Zimmermann habe den sozialliberalen Flügel der Piraten als "traditionell faschistische Vereinigung" (!) bezeichnet. Anhand der Protokolle des Landesvorstands kann man nachvollziehen, dass Jan Zimmermann irgendwann zwischen dem 12. April und dem 10. Mai 2015 von seinem Beisitzerposten zurückgetreten ist. Zu den Gründen erfährt man da aber nichts. Ist wohl auch nicht so wichtig: Piraten treten ja ständig wegen irgendwas von irgendwelchen Ämtern zurück oder aus der Partei aus.

Man mag nach alledem der Ansicht sein, Jan Zimmermann sei bloß irgendein Krawallvogel, dem man tunlichst keine größere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen sollte. Aber er ist ja nicht allein mit seinen Ansichten. Vielmehr scheint es mir ein beunruhigendes Anzeichen für die allgemeine Radikalisierung der Gesellschaft zu sein, dass die Auffassung, zur Bekämpfung politischer Gegner sei auch Gewalt ein legitimes Mittel, sich einer wachsenden Zustimmung erfreut. Zumindest dann, wenn es "gegen Rechts" geht. Dann ist es so zu sagen Notwehr. -- In einem Leserkommentar auf der oben erwähnten indymedia-Seite wurde der Anschlag auf die "Stadtklause" als Erfolg bezeichnet, weil der AfD-Sprecher Roland Gläser im Tagesspiegel mit der Aussage zitiert wurde, es werde für seine Partei "immer schwieriger, für Treffen in der Öffentlichkeit Lokale zu finden". Der anonyme Kommentator folgerte: "Hier wurde ein effektiver Beitrag dazu geleistet, der AfD öffentliche Räume zu nehmen." Die Gefährdung der unternehmerischen Existenz einen Gastwirts ist dabei, so scheint es,  als Kollateralschaden in Kauf zu nehmen.

-- Ist das so? Besonders in Sozialen Netzwerken begegnen einem immer mal wieder Wortmeldungen, die in den steigenden Umfragewerten für die AfD eine Parallele zum Aufstieg der NSDAP in der Spätphase der Weimarer Republik sehen. Das spricht zwar - so viel es auch an Positionen von AfD-Vertretern und -Anhängern berechtigterweise zu kritisieren gibt - für ein sehr simpel gestricktes Geschichtsverständnis, aber das allein würde ich noch niemandem zum Vorwurf machen. Problematisch wird es jedoch, wenn die Annahme, die wachsende Popularität der AfD stelle eine akute Bedrohung für Demokratie und Rechtsstaat dar, jedoch zu der Auffassung führt, zur Bekämpfung dieser Partei müsse jedes Mittel recht sein. Dass man Demokratie und Rechtsstaat nicht verteidigen kann, indem man im Umgang mit dem Gegner demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien außer Acht lässt, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Tut es aber anscheinend nicht bzw. immer weniger.

Zu bedenken ist dabei auch, dass der derzeit bevorzugt gegen Repräsentanten und Anhänger der AfD gerichtete Vorwurf, sie seien die Nazis von heute (und deshalb mit allen Mitteln zu bekämpfen), sich beinahe beliebig auf andere Gruppen ausweiten lässt. Auch dafür ist Jan Zimmermann, der ja selbst innerhalb seiner eigenen Partei faschistische Strukturen witterte, ein gutes Beispiel. Ein ziemlich extremes, zugegeben. Aber mit einer ganz ähnlichen Rhetorik, wie sie sich im Bekennerschreiben zum "Stadtklause"-Anschlag findet ("...muss mit Angriffen rechnen"), wurden, beispielsweise, auch schon Fälle von Vandalismus gegen Lebensschützer gerechtfertigt. Klar, sind ja im weitesten Sinne auch alles Nazis. Da trifft es sich ja gewissermaßen ganz gut, dass mit der "Stadtklause", wie oben erwähnt, auch ein regelmäßiges Tagungslokal der "Christdemokraten für das Leben" getroffen wurde. -- Wenig überraschend übrigens, dass auch unser Freund Jan Zimmermann eine Meinung zum Thema Abtreibung hat. Sie lautet: "Der Mann* muss vor allem seine Fresse halten wenn es um den Körper einer Frau* geht. Seriously. Wtf." Fairerweise muss man dazusagen, dass die Position, auf die er mit diesem Tweet antwortet, gerade keine Lebensschutzposition ist. Im Gegenteil. Für die Zimmermannsche Argumentation spielt das aber im Grunde keine Rolle, denn er meint ja, der Verfasser des von ihm kritisierten Beitrags habe überhaupt kein Recht, sich zu diesem Thema zu äußern. Merke: Meinungsfreiheit ist nicht für alle da, jedenfalls nicht bei jedem Thema bzw. nur danmn, wenn man die richtige Meinung hat. Folgerichtig stößt es Jan Zimmermann auch übel auf, dass der Blog, auf dem der betreffende Beitrag erschienen ist, "'Meinungsfreiheit' so plakativ im Header trägt": So jemand könne "eigentlich nur scheiße sein". Schon klar: Wer Meinungsfreiheit für sich einfordert, setzt sich schon aus Prinzip dem Verdacht aus, eine falsche Meinung zu haben - also ein "Faschofreund" zu sein. Und da gilt dann: "Der Kartoffelmob muss von der Straße geprügelt werden. Immer wieder." Beziehungsweise: "Deutschland aufs Maul!"

Zusammenfassend gesagt ergibt sich aus den gesammelten Tweets des Jan Zimmermann der Eindruck, er sei überzeugt davon, dass der Faschismus den Deutschem gewissermaßen im Blut liege. Äh, Moment - im Blut? Das kann nicht sein, das wäre ja rassistisch. Also liegt er den Deutschen wohl in irgendwas Anderem. Ich hingegen halte - ohne das Problem fremdenfeindlicher Gewalt in Deutschland kleinreden zu wollen - die Gefahr, dass Deutschland schnurstracks auf eine aktualisierte Neuauflage der NS-Diktatur zusteuern könnte, für relativ gering; für durchaus real hingegen halte ich die Gefahr, dass die Beschwörung einer faschistischen Bedrohung dazu instrumentalisiert wird, einen sich selbst als "antifaschistisch" bezeichnenden Extremismus zu legitimieren und zu verharmlosen.

Aber das habe ich ja so ähnlich schon mal geschrieben.



Donnerstag, 25. Februar 2016

Wir verwalten uns zu Tode - Bloggupy St. Willehad, Teil 2

Im ersten Teil meines Berichts über die Pfarrversammlung in St. Willehad (Nordenham) hatte ich den größten Brocken noch ausgespart: die Debatten über die Hintergründe der Entpflichtung von Pfarrer Torsten Jortzick, die einen erheblichen Teil der mehr als zwei Stunden dauernden Versammlung einnahmen. Gleich zu Beginn widersprach Offizialatsrat Monsignore Bernd Winter der Auffassung, nur eine kleine Gruppe innerhalb der Gemeinde habe gegen den ansonsten allseits hochgeschätzten Pfarrer agitiert. "Wir haben sehr, sehr viele Briefe und eMails aus der Gemeinde erhalten", erklärte Monsignore Winter. "Die Einen haben geschrieben 'Dank Pfarrer Jortzick blüht hier alles auf', die Anderen 'Der macht hier alles kaputt'. Und es ist nicht so, dass es da klare Mehrheitsverhältnisse gegeben hätte." Dass diejenigen Gemeindemitglieder, die Pfarrer Jortzicks Wirken in St. Willehad positiv bewerteten, nach eigenen Angaben niemals konkrete sachliche Gründe für die ablehnende Haltung anderer Gemeindemitglieder dem Pfarrer gegenüber zu hören bekommen hätten, wurde z.T. damit erklärt, dass Beschwerden über Pfarrer Jortzick nicht zuletzt auch von hauptamtlichen Kirchenmitarbeitern gekommen seien, die sich aufgrund ihrer Loyalitätspflicht nicht öffentlich dazu hätten äußern können bzw. dürfen. 

"Niemand im Offizialat sagt, Torsten Jortzick wäre ein schlechter Priester", betonte Monsignore Winter. Auch bestreite niemand, dass Pfarrer Jortzick auf dem Gebiet der Seelsorge sehr gute Arbeit geleistet habe. Defizite habe es jedoch auf anderen Gebieten gegeben - so zum Beispiel bei der Kommunikation mit den Gremien der Pfarrei und den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern. 

In diesem Zusammenhang rekapitulierte Monsignore Winter die Vorgänge, die vor einem knappen Jahr zum Rücktritt der meisten Mitglieder des Pfarreirats und in der Folge zur Auflösung dieses Gremiums geführt hatten. Der Vorsitzende des Pfarreirats, Dr. Günther Schöffner, und die stellvertretende Vorsitzende Henriette Eichner hätten sich mehrfach um ein persönliches Gespräch mit Pfarrer Jortzick über verschiedene Kritikpunkte bemüht; Pfarrer Jortzick habe ein solches Gespräch zunächst zugesagt, es dann aber immer wieder hinausgezögert und seine Zusage schließlich widerrufen. Auch ein Vermittlungsangebot des Offizialatsrats habe er abgelehnt und schließlich ausdrücklich erklärt, er wolle mit Dr. Schöffner und Frau Eichner nicht reden. "Im Grunde hätte er da schon gehen müssen", bemerkte Monsignore Winter. 

Die Vorsitzende der Nordenhamer Kolpingsfamilie, Andrea Suhr, und andere Teilnehmer der Pfarrversammlung warfen an dieser Stelle ein, man solle auch erwähnen, dass Pfarrer Jortzicks Weigerung, mit den Vorsitzenden des Pfarreirats zu sprechen, eine Vorgeschichte gehabt habe und dass Dr. Schöffner und Frau Eichner an dem Zerwürfnis durchaus nicht unschuldig seien; aber Monsignore Winter beharrte: "Ein Pfarrer muss immer gesprächsbereit sein." Über mangelnde Gesprächsbereitschaft des Pfarrers, gebrochene Zusagen für persönliche Unterredungen und allgemeine Unempfänglichkeit für Kritik klagten auch mehrere haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter der Pfarrei. 

Monsignore Winter stellte fest, mit den administrativen Aufgaben der Leitung einer Pfarrei sei Pfarrer Jortzick offenbar vielfach überfordert gewesen. Als symptomatisch hierfür stellte er den Umstand heraus, dass während Pfarrer Jortzicks ganzer Amtszeit die Kirchenbücher der Pfarrei nicht ordnungsgemäß geführt worden seien; ja, diese seien in einem - so wörtlich - "katastrophalen Zustand" hinterlassen worden. "Alles, was zur Verwaltung einer Pfarrei gehörte, lag ihm offenbar überhaupt nicht", resümierte Monsignore Winter - und räumte ein: "Im Grunde hat das Offizialat da einen Fehler gemacht. Wir haben einen Mann, der gut für die Seelsorge ist, an die falsche Stelle gesetzt." 

An seiner neuen Stelle in Dorsten, meinte Monsignore Winter, sei Torsten Jortzick ohne Zweifel besser aufgehoben: Dort könne er seelsorgerisch arbeiten, ohne mit Leitungsaufgaben belastet zu sein. Auch Pfarrer Manfred Janßen, der derzeit zusätzlich zu seiner eigenen Pfarrei St. Bonifatius in Varel die Pfarrverwaltung von St. Willehad übernommen hat, bestätigte, in Dorsten gehe es Pfarrer Jortzick gut. 

Nun ist das natürlich schön für Torsten Jortzick und auch schön für die Gemeinde in Dorsten; aber mal ganz abgesehen davon, dass seine dortige Stelle auf ein halbes Jahr befristet ist, stellt sich die Frage, was daraus für solche Pfarreien folgt, die - wie eben St. Willehad - nur eine Planstelle für einen Priester haben, der sich folglich um Verwaltung und Seelsorge kümmern muss. Im Moment ist die Gemeinde von St. Willehad ja noch in einer vergleichsweise glücklichen Lage: Während die Verwaltungsaufgaben von Pfarrer Janßen verantwortet werden, wird die Pfarrei seelsorgerlich von Kaplan Alex Mathew und Diakon Christoph Richter betreut. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass der Kaplan und der Diakon derzeit so ziemlich die einzigen Personen in St. Willehad sind, die von der ganzen Gemeinde einhellig geschätzt und gemocht werden. Das spricht wohl dafür, dass sie ihre Arbeit gut machen. Allerdings ist Pater Alex nur vorübergehend in St. Willehad, und die Vertreter des Offizialats haben unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Stelle eines Kaplans für diese Pfarrei auf Dauer nicht vorgesehen ist. Dagegen wird Diakon Richter der Gemeinde voraussichtlich auch weiterhin erhalten bleiben, aber er ist nun einmal kein Priester - das heißt: Er kann in der Seelsorge vielerlei Aufgaben übernehmen, aber Sakramente spenden kann er nicht. 

-- Worauf will ich hinaus? Mir scheint, der Umstand, dass nach Einschätzung vieler Gemeindemitglieder das kirchliche Leben in St. Willehad unter Pfarrer Jortzick "aufgeblüht" ist, während es gleichzeitig unbestreitbare Missstände im administrativen Bereich gegeben hat, ist über den konkreten Fall dieser einen Pfarrei hinaus aussagekräftig. Sicher ist das Ausmaß der Eskalation der Konflikte innerhalb der Gemeinde von St. Willehad ein besonders dramatischer Fall, und sicher hat dies vielschichtige Ursachen, die zumindest zum Teil ortsspezifisch sind. Aber dass Gemeindepfarrer überlastet, überfordert, frustriert, desillusioniert sind; dass die Verwaltungsaufgaben die Seelsorge überwuchern oder, wie im Fall von St. Willehad, eben umgekehrt; das hört man immer wieder von verschiedensten Orten. Das kann man der Presse entnehmen, und das konnte ich auch an vielfältigen Reaktionen auf meine bisherigen Blogartikel über die Lage in St. Willehad ablesen. "Es ist überall dasselbe", habe ich wiederholt zu hören oder zu lesen bekommen. Es stellt sich also die Frage, ob hier nicht ein grundsätzliches strukturelles Problem vorliegt. 

Dass eine Pfarrei ein Management benötigt, ist unschwer einzusehen. Das ordentliche Führen von Kirchenbüchern ist da ja noch das kleinste Problem. Pfarreien verwalten Immobilien, Pfarreien beschäftigen Angestellte, Pfarreien betreiben Kindergärten und andere soziale Einrichtungen. Da hängt viel Arbeit dran, und in letzter Instanz ist der leitende Pfarrer für all das verantwortlich. Aber, mal ehrlich: Wer wird denn Priester, weil er einen Verwaltungsjob machen will? Man sollte annehmen, jemand, der den Weg zum Priesteramt einschlägt, sieht seine Berufung vor allem in der Seelsorge und im Spenden der Sakramente. Und dann sieht er sich plötzlich mit Aufgaben ganz anderer Art konfrontiert. -- Wenn hierzulande ein grassierender Priestermangel beklagt wird, kann man zwar darauf verweisen, dass das rein zahlenmäßige Verhältnis zwischen Priestern und Gläubigen - und erst recht praktizierenden Gläubigen - hier und heute tatsächlich besser ist als zu anderen Zeiten, und auch besser als in vielen anderen Teilen der Welt, in denen die Kirche nichtsdestoweniger floriert. Aber trotzdem ist landauf, landab zu beobachten, dass Pfarrer ihre Arbeit nicht bewältigt bekommen. Da liegt der Verdacht nahe, dass die Pfarrer einfach mit zu vielen Aufgaben belastet werden - und zwar nicht zuletzt mit solchen, die im eigentlichen Sinne keine priesterlichen Aufgaben sind. -- Man hört immer wieder, das Problem des Priestermangels sei nur durch eine stärkere Einbindung von Laien in die Arbeit der Pfarreien zu bewältigen. Das erscheint durchaus vernünftig. Aber wäre es dann nicht sinnvoll, Laien vor allem für solche Aufgaben einzusetzen, die ohnehin nicht im eigentlichen Sinne zum priesterlichen Dienst gehören - Aufgaben, für die Laien, die einen "weltlichen" Beruf erlernt haben, womöglich sogar erheblich besser qualifiziert sind als ein Priester? -- Stattdessen bestellt man Laien zu Kommunionhelfern und "Beerdigungsdienstleitern" und ersetzt Eucharistiefeiern durch von Laien geleitete "Wort-Gottes-Feiern", während die Priester an ihrem Schreibtisch in bürokratischem Papierkram ertrinken. Irgendwas läuft da doch verkehrt.

Ich gebe zu, dass ich keine praktikable Lösung für dieses Dilemma parat habe. Klar ist: Wenn die Gesamtleitung der Pfarrei einem Priester unterliegt, dann hat dieser auch die Gesamtverantwortung - auch die geschäftliche. Und die Alternative, die darauf hinausliefe, dass der Priester de facto nur Angestellter der Pfarrei wäre, ist ja nun auch keine wünschenswerte Lösung. Mal abgesehen davon, dass manche Gemeindegremien ihre Pfarrer ohnehin schon so behandeln.

Aber lassen wir diese allgemeinen Reflexionen vorerst mal so stehen und wenden uns wieder dem konkreten Fall St. Willehad zu. Ein spezielles Thema der Pfarrversammlung stellte die Schließung der Herz-Jesu-Kirche in Nordenham-Einswarden und des Kommunikationszentrums "Oase" in Butjadingen-Tossens dar, die zum Jahreswechsel 2014/2015 für Unmut und Irritationen in der Gemeinde gesorgt hatte - und auch im Offizialat, wie sich nun herausstellte. Offizialatsrat Monsignore Winter betonte, bei der Investitur eines Gemeindepfarrers werde diesem die "besondere Sorge für die Gotteshäuser der Gemeinde" aufgetragen. Mit der als "vorläufig" bezeichneten Schließung von zwei der bis dahin fünf Gottesdienststandorten der Pfarrei sei Pfarrer Jortzick dieser Verpflichtung nicht gerecht geworden und habe zudem seine Kompetenzen überschritten: "Kein Pfarrer darf eigenmächtig Kirchen schließen - das ist ein Rechtsakt des Bischofs." Wenn eine Pfarrei der Meinung sei, ein Gotteshaus mittelfristig nicht mehr betreiben zu können, müsse dies der Bistumsleitung im Rahmen eines Pastoralplans unterbreitet werden. Auch müsse der Gemeinde Gelegenheit gegeben werden, "von einem Gotteshaus Abschied zu nehmen". Gemeindemitglieder aus Einswarden reagierten auf diese Ausführungen mit der naheliegenden Frage, weshalb die Schließung der betreffenden Standorte, wenn diese doch unrechtmäßig gewesen sei, nicht rückgängig gemacht werde bzw. nicht bereits rückgängig gemacht worden sei. Diese Frage blieb jedoch unbeantwortet im Raum stehen; ebensowenig wurde thematisiert, wie ein einzelner Priester fünf weit auseinanderliegende Gottesdienststandorte hätte betreuen sollen, für die zuvor zwei Pfarrer zuständig gewesen waren. Alles in allem ergibt sich der Eindruck, dass dem Offizialat die von Pfarrer Jortzick eigenmächtig geschaffenen Fakten im Ergebnis gar nicht so unrecht sind.

Zu dem Umstand, dass es in St. Willehad seit mittlerweile fast einem Jahr keinen Pfarreirat gibt, erklärte Monsignore Winter, man habe angesichts der vielfältigen Konflikte innerhalb der Gemeinde bislang keine sinnvollen Voraussetzungen für die Neuwahl dieses Gremiums gesehen: Würde unter den derzeitigen Verhältnissen ein neuer Pfarreirat gewählt, sei damit zu rechnen, dass die Zusammensetzung dieses Gremiums lediglich die problematische Lagerbildung innerhalb der Gemeinde widerspiegeln werde, womit die bestehenden Konflikte lediglich auf eine andere Ebene verlagert würden und im Ergebnis niemandem geholfen sei. Man gehe daher derzeit davon aus, dass es bis zum nächsten regulären Wahltermin im Herbst 2017 keinen neuen Pfarreirat geben werde; sehr wohl sei es aber notwendig, ein Übergangsgremium zu schaffen, über dessen konkrete Zusammensetzung noch gesprochen werden müsse.

Hingegen wurde der Gemeinde mitgeteilt, dass die Einsetzung eines neuen Pfarrers für St. Willehad bereits auf einem guten Weg sei. Pfarrverwalter Manfred Janßen erklärte in seinen Begrüßungsworten, angesichts der Tatsache, dass der Priesternachwuchs in Deutschland "überall im Argen" liege, könne die Gemeinde "sehr, sehr dankbar" sein, dass sie überhaupt noch einen neuen Pfarrer bekomme; Offizialatsrat Monsignore Winter widersprach dieser Darstellung jedoch: Nordenham habe nun einmal eine Pfarrerstelle, und es habe grundsätzlich nie in Frage gestanden, dass diese auch wieder besetzt werden würde. Inzwischen gebe es auch bereits einen Kandidaten für diese Stelle. Das Prozedere für die Besetzung von Pfarrerstellen im Offizialatsbezirk Vechta sieht ein Kontaktgespräch mit den Gremien der Pfarrei vor, bei dem geklärt werden soll, ob es seitens der Gemeinde begründete Einwände gegen den Priester gibt oder gegebenenfalls auch umgekehrt; bis zu diesem Termin wird der Name des Kandidaten nicht öffentlich bekannt gegeben. Bestehen von keiner Seite schwerwiegende Einwände, folgt die Ernennung des Pfarrers durch den Bischof, sodann die Investitur in Vechta und schließlich die Amtseinführung vor Ort. Das Kontaktgespräch soll laut den Plänen des Offizialats im März stattfinden; wenn dann alles gut laufe, könne die Amtseinführung "um Pfingsten herum" erfolgen.

Nun sollten an einem solchen Kontaktgespräch allerdings theoretisch der Kirchenausschuss und der Pfarreirat teilnehmen, und den letzteren gibt es in St. Willehad ja wie gesagt derzeit nicht. Monsignore Winter erklärte, unter den vorliegenden Bedingungen sei es prinzipiell möglich, nur den Kirchenausschuss am Kontaktgespräch teilnehmen zu lassen, aber man wolle das Gespräch doch lieber auf eine breitere Basis stellen und schlage daher vor, je einen Vertreter aller Gruppen und Kreise der Pfarrei zum Kontaktgespräch zu entsenden. Insgesamt komme man dann einschließlich der Mitglieder des Kirchenausschusses auf ungefähr 35 Personen. Bei der Aufzählung der diversen "Gruppen und Kreise" - Basarteam, Ökumenischer Eine-Welt-Kreis, Ökumenischer Taizé-Gebetskreis... - wurde mir zwar teilweise schon ganz anders, aber ich will es mal mit meinen Pawlowschen Reflexen gegenüber bestimmten Reizwörtern nicht übertreiben. Zumal ja auch - beispielsweise - die Leiterin der Messdienergruppe, die Erstkommunion- und Firmkatechetinnen und Vertreter der Kolpingsfamilien Nordenham und Einswarden diesem improvisierten Gremium angehören werden; und auch von einigen Mitgliedern des Kirchenausschusses bin ich überzeugt, dass sie sich einen Pfarrer wünschen, der die positiven Impulse der liturgischen und seelsorgerischen Arbeit von Torsten Jortzick weiterführt. Zu bedenken ist dabei natürlich so oder so, dass die Vertreter der Gemeinde den neuen Pfarrer nicht wählen, wie das etwa in evangelischen Kirchengemeinden der Fall wäre. Im Grunde haben die Gemeindevertreter ja lediglich der Ernennung des ihnen vorgestellten Kandidaten zuzustimmen - oder eben nicht zuzustimmen, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass das passiert. Genauer gesagt, ich kann mir kaum vorstellen, was der designierte Pfarrer für einer sein sollte, damit die Gemeindevertreter lieber keinen neuen Pfarrer haben möchten als diesen. Aber lassen wir uns mal überraschen -- "um Pfingsten herum" wissen wir wohl mehr...


Dienstag, 23. Februar 2016

Suchen und Fragen - Bloggupy St. Willehad, Teil 1

Die Nordenhamer Lokalpresse berichtet über neue Entwicklungen in der krisengebeutelten Pfarrei St. Willehad. Aber diesmal muss ich mich nicht auf das verlassen, was die beiden örtlichen Tageszeitungen schreiben: Erstmals seit rund vier Monaten war ich mal wieder selbst vor Ort und konnte mir ein Bild von der Lage machen. 

Eigentlich hatte ich nicht gedacht, dass ich so bald wieder in mein Heimatstädtchen kommen würde - obwohl es mich natürlich brennend interessierte, wie die Dinge in der dortigen Kirchengemeinde so stehen. Aber dann verschlug mich ein familiärer Anlass - auf den ich hier nicht groß eingehen möchte, da er im Grunde nicht zum Thema gehört - kurzfristig doch dorthin. Und das ausgerechnet an dem Wochenende, an dem in der Pfarrei St. Willehad eine Pfarrversammlung anstand, zu der auch Vertreter des Bischöflich Münsterschen Offizialats in Vechta erwartet wurden. Das muss man dann wohl als Fügung betrachten. 

Im Ankündigungstext zur Pfarrversammlung, den die Pfarrei St. Willehad veröffentlicht hatte, hieß es u.a., es sollten "Klarstellungen erfolgen zu Behauptungen und Gerüchten, die hier in der Gemeinde kursieren". Spannend - und sehr notwendig. Weiter hieß es, "es sollen die weiteren Schritte der Zukunftsentwicklung unserer Gemeinde in den Blick kommen". Bemerkenswert fand ich auch, wen das Offizialat zu dieser Versammlung entsandte: "Neben den örtlichen Seelsorgern nehmen seitens des Offizialates der Offizialatsrat Bernd Winter, der Leiter des Referats Erwachsenenseelsorge, Dominik Blum, und der Rechtsanwalt Andreas Windhaus an dem Gespräch teil", war der örtlichen Presse zu entnehmen

Soweit, so fein. Mit Offizialatsrat Monsignore Winter hatte ich, wie berichtet, schon mal einen sehr netten Mail-Kontakt, im Zuge dessen wir uns gegenseitig versichert hatten, wir würden uns gern einmal persönlich kennenlernen; da ergab sich ja nun eine unerwartete Gelegenheit. Dominik Blum war mir bislang nur von einem Gastbeitrag auf katholisch.de her ein Begriff, in dem er zu guter Nachbarschaft zwischen Christen und Muslimen ermunterte. Zu denken gab mir allerdings die angekündigte Teilnahme von Rechtsanwalt Windhaus - der, sehr passend zu seinem Beruf, für die Rechtsabteilung des Offizialats arbeitet. Was sollte es wohl bedeuten, dass der zu diesem Treffen entsandt wurde? 

Vor die Pfarrversammlung am Sonntag Reminiscere hatte der Herrgott jedoch die Heilige Messe gesetzt, und ganz im Einklang mit Björn Odendahls 10-Punkte-Plan ging ich da extra früh hin. Der erste Besucher war ich trotzdem nicht. Auch hatte ich weder mein Goldschnitt-Exemplar des Gotteslobs dabei noch blankgeputzte Schuhe an; und schlimmer noch, ich setzte mich nicht etwa in die erste Reihe, sondern ganz gezielt in die letzte. Damit alle, die hereinkämen, an mir vorbei müssten. Auf diese Weise sah ich eine Menge bekannte Gesichter. Meinen ehemaligen Religionslehrer. Eltern früherer Mitschüler. Einige Männer und Frauen, die schon in meiner Jugend in den damals noch nicht zu St. Willehad gehörenden Kirchengemeindem von Burhave und Einswarden aktiv gewesen waren. Kurz vor Beginn der Messe war die Kirche mehr als voll besetzt. 

Die Stirnwand der Kirche war mit fastenzeitlich violetten Tüchern verhüllt, vor deren Hintergrund das durchaus dekorative, aber etwas nichtssagende Hungertuch von Dao Zi prangte. Nun gut, dafür, wie das aktuelle Misereor-Hungertuch aussieht, kann die Pfarrei St. Willehad ja nichts. Allerdings war dies tatsächlich das erste Mal, dass ich dieses Hungertuch in einer Kirche sah - die anderen Kirchen, in denen ich seit Aschermittwoch war, hatten es nicht ausgestellt. Interessant. 

Zelebriert wurde die Messe von Monsignore Winter; Pater Alex Mathew, der übergangsweise als Kaplan in Nordenham ist, konzelebrierte, das Evangelium wurde von Diakon Christoph Richter vorgetragen. Am Einzug, der, wenig feierlich, nicht durch den Mittelgang erfolgte - vielmehr trat man direkt aus der Sakristei in den Chorraum -; nahmen neben den drei Genannten nicht nur fünf junge Messdiener, sondern auch die Lektorin und die Kommunionhelferin teil. Vermaledeites Erzlaientum, dachte ich zähneknirschend. Und à propos Kommunionhelferin: Diese Dame teilte die Kommunion in den hinteren Bankreihen am Platz aus. Ein bisschen sah es so aus, als habe sie ihre spezielle Klientel, die die Kommunion von ihr empfängt; aber dieser Eindruck mag getrogen haben. 

Doch der Reihe nach. Gleich zu Beginn der Messe überraschte Monsignore Winter - der übrigens, wie ich finde, eine irritierende physiognomische Ähnlichkeit mit Kardinal Marx hat - die Gemeinde durch eine Ansprache, in der er die Frage aufwarf: "Können wir heute morgen überhaupt zusammen Eucharistie feiern?" Es werde der Würde der Eucharistiefeier schließlich nicht gerecht, sie lediglich als "frommes Vorspiel zur Pfarrversammlung" zu betrachten, betonte er. Er fand eindringliche Worte zum zerrütteten Zustand der Gemeinde, sprach von Verleumdungen und Beleidigungen, die sich zum Teil auch gegen ihn persönlich gerichtet hätten. Das habe ihn wütend gemacht, gestand er. Gleichzeitig übte er Selbstkritik, räumte ein, er habe die Dinge in Nordenham allzu lange schleifen lassen, weil er "oft ganz einfach keine Lust" gehabt habe, sich mit der verfahrenen Situation in dieser Pfarrei auseinanderzusetzen. ("Das war aber falsch!", rief ein älteres Gemeindemitglied dazwischen.) 

Jedenfalls, so Monsignore Winter, sei er überzeugt, dass er, bevor er mit der Gemeinde von St. Willehad die Eucharistie feiern könne, zunächst zwei Dinge tun müsse: Erstens, all jenen vergeben, die ihn verletzt und ihm Unrecht getan hätten; und zweitens, all jene um Verzeihung zu bitten, denen er Unrecht getan habe. Und er lud die Gemeinde ein, es ihm gleichzutun. 

Komisch, dachte ich, eigentlich ist das doch sowieso Bestandteil der Liturgie. Aber ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da zeigte sich, dass Monsignore Winter tatsächlich gerade dabei war, zum Allgemeinen Schuldbekenntnis überzuleiten. Einem Bestandteil der Messe, den Pfarrer Bögershausen seinerzeit nur allzu gern weggelassen hatte. Und Monsignore Winter betete das Schuldbekenntnis sogar ad orientem - mit dem Gesicht zum Altar -, um deutlich zu machen, dass er gemeinsam mit der Gemeinde auch seine Schuld bekannte und um Vergebung bat. Seiner Aufforderung, zum Schuldbekenntnis aufzustehen und einander die Hände zu reichen, auch über den Mittelgang hinweg, kamen die meisten anwesenden Gemeindemitglieder nach, allerdings nicht alle

Monsignore Winter sagte mir später, er sei überzeugt, dass der Neuanfang, den die Gemeinde von St. Willehad brauche, ein geistlicher Neuanfang sein müsse. Darin stimme ich ihm unbedingt zu. Gleichzeitig schien mit seine Ansprache, die, so beeindruckend sie auch war, praktisch gesehen doch nichts Anderes war als eine sehr ausführlich geratene Einleitung zum Schuldbekenntnis, in hohem Maße bezeichnend für die Bedeutung einer korrekt und würdig gefeierten Liturgie. Schließlich spielt das Element der Versöhnung - mit Gott, aber auch untereinander - aus gutem Grund (vgl. Matthäus 5, 23f.) eine herausragende Rolle in der Architektur der Heiligen Messe; aber die Leute verstehen das nicht mehr, daher muss man es ihnen erst erklären. (Eine kurze Reprise solcher Erklärungen gab es vor dem Friedensgruß: Monsignore Winter betonte, der Sinn des Friedensgrußes vor der Kommunion bestehe darin, zu zeigen, dass man wenigstens so weit im Reinen mit seinem Nächsten sei, dass man ihm die Hand reichen könne. Erneut konnten sich einige wenige Gemeindemitglieder nicht zu dieser Geste durchringen.)

Wer mich kennt, den wird es nicht überraschen, dass ich zu der Auffassung neige, der Umstand, dass viele Gottesdienstbesucher den Sinn der Liturgie nicht ohne Erläuterungen erfassen können, sei eine Folge jahrzehntelangen Herumpfuschens in der Liturgie. Wenn der Eindruck vermittelt wird, die Rubriken des Messbuchs seien etwas Beliebiges, mit dem man frei nach Schnauze verfahren könne, dann bedingt das mehr oder weniger die Auffassung, sie könnten gar keinen tieferen Sinn haben. Umgekehrt möchte ich sogar die Behauptung wagen: In einer Gemeinde, in der die aktiven Mitglieder allsonntäglich die Liturgie der Heiligen Messe wirklich bewusst mitvollzögen, wären solche Verwerfungen, wie St. Willehad sie derzeit erlebt, gar nicht möglich. Denn der bewusste Mitvollzug der Heiligen Messe stimmt demütig, versöhnlich und dankbar. Jedenfalls sollte es so sein.

In Sachen liturgischer Korrektheit gab es an dieser Messe nicht sonderlich viel zu meckern. Dass es nach beiden Lesungen statt des Antwortpsalms des Tages und eines fastenzeittauglichen Äquivalents zum Halleluja-Ruf Lieder aus dem Gotteslob gab, war nicht so recht nach meinem Geschmack, aber immerhin gab es beide Lesungen; und das Lied vor dem Evangelium ("Aus der Tiefe rufe ich zu Dir", GL 283) war durchaus schön und stimmungsvoll. Ein liturgisch-musikalischer Tiefschlag war es allerdings, dass anstelle des Agnus Dei die Katholikentags-Hymne "Da berühren sich Himmel und Erde" (Nr. 839 im Regionalteil des GL) gesungen wurde; da zog ich es dann doch vor, währenddessen den Text des Agnus Dei still zu beten. Kniend. Das Lied zum Auszug (der auch wieder kein "richtiger" Auszug war), war ebenfalls schlimm, wenngleich vom Titel her irgendwie zum Tage passend: "Suchen und Fragen" (GL 457).

Trotz solcher Abzüge in der B-Note hatte mich die Messe, und insbesondere Monsignore Winters Ansprache zum Schuldbekenntnis, durch und durch mit Milde und Versöhnlichkeit getränkt; und das war in Hinblick auf die nun folgende Pfarrversammlung auch gut so. Wäre ich tatsächlich der ultra-erzkatholische Hardliner, Scharfmacher und "Brandbeschleuniger", für den mich einige meiner Kritiker halten, dann wäre es mir ein Leichtes, aus den Eindrücken der Pfarrversammlung eine Geschichte zu stricken, derzufolge in St. Willehad eine stalinistische Säuberungswelle gegen die Anhänger des abgesetzten Pfarrers Jortzick im Gange ist und ein Pfarrverwalter eingesetzt wurde, dessen herausragende Qualifikation für diese Position seine ausgeprägte Bräsigkeit ist. Aber ich ziehe es vor, bei allen Beteiligten von grundsätzlich guten Absichten auszugehen. Wenngleich das Gehörte und Gesehene einige Fragen aufwirft, auf die eine Antwort nicht so leicht erhältlich zu sein scheint.

Eröffnet wurde die Pfarrversammlung vom Pfarrverwalter Manfred Janßen, im Hauptamt Pfarrer von St. Bonifatius in Varel. Der musste sich der Gemeinde erst einmal vorstellen, denn die meisten hatten ihn noch nie gesehen. Er verwaltet die Pfarrei ja auch erst seit ungefähr drei Monaten. Insgesamt machte er den Eindruck, irgendwie auf der falschen Veranstaltung zu sein.

Zu den Themen, über die in der Gemeinde - so Monsignore Winter - "merkwürdige Gerüchte" umliefen, die in der Versammlung ausgeräumt werden sollten, zählte die Entlassung der Pfarrsekretärin Caroline Grimmelt. In der Versammlung wurde der Eindruck greifbar, dass es in verschiedensten Teilen der Gemeinde, darunter nicht zuletzt bei der Mitarbeitervertretung der Kirchenangestellten, erhebliche Unzufriedenheit mit der Arbeit der Pfarrsekretärin gegeben hatte. Details darüber waren nicht in Erfahrung zu bringen; die Vertreter des Offizialats beriefen sich darauf, dass Personalangelegenheiten nicht öffentlich diskutiert werden dürften. Monsignore Winter betonte jedoch, wenn Pfarrverwalter Janßen - der schließlich persönlich "überhaupt keine Aktien" in den diversen Konflikten innerhalb der Gemeinde habe - und eine klare Mehrheit der Kirchenausschussmitglieder die Kündigung der Pfarrsekretärin beschlossen hätten, dann dürfte die Gemeinde beruhigt davon ausgehen, dass dafür triftige arbeitsrechtliche Gründe vorgelegen hätten.

Die Kündigung war bei einer nichtöffentlichen Kirchenausschusssitzung am 15. Januar beschlossen worden; bei derselben Sitzung hatte es einen Eklat gegeben, in dessen Mittelpunkt das Kirchenausschussmitglied Dr. Sebastian Wegener gestanden hatte. Wie die Vertreter des Offizialats mitteilten, habe es sich herausgestellt, dass Dr. Wegener eigentlich gar nicht als Kandidat zur Wahl des Kirchenausschusses hätte aufgestellt werden dürfen, da er zum Zeitpunkt der Wahl seinen Wohnsitz nicht auf dem Gebiet der Pfarrei hatte und außerdem nebenberuflich als Kirchenmusiker bei der Pfarrei angestellt war (hauptberuflich ist er Lehrer am Nordenhamer Gymnasium). Die Entdeckung, dass er eigentlich nicht rechtmäßig in den Kirchenvorstand wählbar gewesen wäre, habe Fragen in Bezug auf die Rechtsgültigkeit von Beschlüssen des Kirchenvorstands aufgeworfen, an denen Dr. Wegener beteiligt gewesen war. Um nun bei der Entscheidung über die Kündigung der Pfarrsekretärin jegliche Rechtsunsicherheit auszuschließen, habe Pfarrverwalter Janßen in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Kirchenausschusses Dr. Wegener gebeten, an der diesbezüglichen Abstimmung nicht teilzunehmen.

Dr. Wegener selbst widersprach dieser Darstellung: Er sei ultimativ zum Rücktritt aus dem Kirchenausschuss aufgefordert worden, ein Zusammenhang mit der Abstimmung über Frau Grimmelts Entlassung sei dabei nicht hergestellt worden. Im Übrigen sei er sich eines Angestelltenverhältnisses zur Pfarrei nicht bewusst gewesen; er habe nie einen Arbeitsvertrag unterschrieben, sondern für seine Tätigkeit als Kirchenorganist lediglich Honorarrechnungen gestellt. Rechtsanwalt Windhaus stellte jedoch klar, bereits seit 2007 würden im gesamten Offizialatsbezirk alle nebenberuflichen Kirchenmusiker als Angestellte geführt, das das Finanzamt dies verlangt habe. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag sei dafür nicht notwendig.

Die stellvertretende Vorsitzende des Kirchenausschusses, Christiane Spannhoff, ergriff hingegen Partei für Dr. Wegener: Es sei indiskutabel, wie bei der betreffenden Sitzung mit ihm umgesprungen worden sei; man hätte die Sitzung bis zur Klärung der offenen Fragen um die Rechtmäßigkeit seiner Mitgliedschaft im Kirchenausschuss vertagen sollen. Ein anderes Kirchenausschussmitglied sei aus Ärger über diesen Vorgang zurückgetreten. Pfarrverwalter Janßen räumte ein, er sei angesichts des tumultartigen Verlaufs der Sitzung "kurz davor" gewesen, sie abzubrechen.

Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde geäußert, unabhängige Experten für kanonisches Recht hätten erklärt, Dr. Wegeners Mitgliedschaft im Kirchenausschuss sei trotz der fehlenden Voraussetzungen für seine Wählbarkeit rechtmäßig, da die Wahl nicht innerhalb der dafür vorgesehenen Frist beanstandet worden sei. Es wurde die Frage aufgeworfen, wie es zu erklären sei, dass die Unregelmäßigkeiten bei der Wahl erst eineinhalb Jahre später jemandem aufgefallen seien; darauf hatte niemand eine Antwort. Dr. Wegener forderte zur Bestätigung seiner Darstellung die Verlesung der nicht vertraulichen Teile des Protokolls der Kirchenausschusssitzung vom 15. Januar, doch diese Forderung wurde übergangen.

Stand der Dinge ist jedenfalls, dass Dr. Wegener als Kirchenorganist gekündigt wurde und im Gegenzug im Kirchenausschuss bleiben darf. Mehrere Gemeindemitglieder äußerten Unverständnis darüber, dass die Pfarrei auf wechselnde Gastorganisten, u.a. von der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde, zurückgreife, obwohl sie mit Dr. Wegener einen ausgezeichneten Organisten in den eigenen Reihen hat. Offizialatsrat Monsignore Winter erwähnte, an ihn seien Gerüchte herangetragen worden, Dr. Wegener sei als Organist gekündigt worden, "weil er mit 1.000 € im Jahr zu teuer sei". Das sei "Quatsch", erklärte der Offizialatsrat wörtlich.

Ebenfalls zur Sprache kam die wohl neueste Eskalationsstufe der Konflikte in der Gemeinde: Die Leiterin des Kinderchors, Melanie Botzenhardt, habe zum Entsetzen von Kindern und Eltern erklärt, ihre Tätigkeit einstellen zu wollen. Monsignore Winter merkte dazu an, es habe wohl Unstimmigkeiten über die ihr von Pfarrer Jortzick zugesagte Vergütung gegeben. An dieser Stelle ergriff Frau Botzenhardt selbst das Wort: Sie habe nicht nur den Kinderchor geleitet, sondern auf vielfältige Weise an der musikalischen  Gestaltung der Gottesdienste mitgewirkt. Sie sei Berufsmusikerin und diplomierte Musikpädagogin und könne es sich auf Dauer schlicht nicht leisten, de facto ehrenamtlich für die Pfarrei zu arbeiten. Geld scheint da allerdings nicht das einzige Problem zu sein: Sichtlich emotional bewegt erklärte Frau Botzenhardt, sie habe seitens der Gemeinde "einiges aushalten" müssen und habe sich nie beschwert, aber nun könne und wolle sie nicht mehr.

Schließlich nahmen die Vertreter des Offizialats auch Stellung zu hartnäckigen, auch in der örtlichen Presse gestreuten Gerüchten, die derzeit in Löningen tätige Pastoralreferentin Yvonne Ahlers, die von 2000 bis 2013 Pfarrsekretärin in St. Willehad war, solle als Pastoralreferentin in die Pfarrei zurückkehren. Allem Anschein nach lösten diese Gerüchte in der Gemeinde sehr emotionale - und überwiegend negative - Reaktionen aus. Monsignore Winter betonte jedoch, an der Sache sei absolut nichts dran: Es habe nie zur Debatte gestanden, Frau Ahlers nach Nordenham zu schicken - das Offizialat setze Pastoralreferenten prinzipiell nicht in Pfarreien ein, in denen sie zuvor schon in anderen Funktionen gewirkt hätten.

Ein Thema, über das eigentlich auch noch hätte gesprochen werden sollen, das dann aber doch unter den Tisch fiel, war der Umstand, dass es aus der Gemeinde Kritik daran gegeben hatte, es sei von vornherein ein Fehler gewesen, bei der Fusion der Pfarrgemeinden St. Willehad/St. Josef und Herz Jesu/Herz Mariae im Jahr 2010 die bisherigen Gemeindepfarrer Bögershausen und Kordecki als gleichberechtigte Leiter der fusionierten Pfarrei im Amt zu belassen. Dieser Punkt hätte mich sehr interessiert, da ich ebenfalls den vagen Verdacht habe, ein Teil der Konflikte in der Pfarrei habe genau hier seine Wurzeln; aber dass dann doch nicht darübe rgesprochen wurde, war wohl zumindest zum Teil dadurch bedingt, dass viele der Anwesenden vor allem über die Umstände sprechen wollten, die zum Rücktritt von Pfarrer Jortzick geführt hatten. "Wie ist dieser ganze Eklat überhaupt entstanden?", fragte eine Frau gleich zu Beginn der Versammlung. "Der Großteil der Gemeinde hat überhaupt keine Ahnung, und die, die etwas wissen, äußern sich nicht." - "Man hat unseren Pfarrer aus dem Tempel gejagt", warf ein älterer Herr ein, "aber das waren nur Wenige. Die Mehrheit der Gemeinde hat immer hinter ihm gestanden." - "Das stimmt so nicht", widersprach Offizialatsrat Monsignore Winter.


[Demnächst:
Warum musste Pfarrer Jortzick gehen? - Seelsorge contra Verwaltung - Die Schließung der Kirchen in Einswarden und Tossens - Übergangsgremium bis zur nächsten Pfarreiratswahl? - Der Weg bis zur Amtseinführung eines neuen Pfarrers] 



Freitag, 19. Februar 2016

Heiliger Schacht Konrad, bitte für uns!

Ich hätte ja gedacht, nach dem "Ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit" könne es nicht mehr schlimmer kommen, aber, o doch, es kann. Für die diesjährige Fastenzeit hat sich das Bistum Hildesheim etwas ganz Besonderes für all Jene ausgedacht, die der Meinung sind, die hauptsächliche (wenn nicht einzige) Aufgabe der Kirche sei es, sozialem, politischem oder speziell ökologischem Engagement ein spirituelles Mäntelchen umzuhängen: den "Kreuzweg der Schöpfung"

Man möchte es für einen Scherz halten. 

Es ist aber keiner. 

Also gut, dann stellen wir uns mal ganz dumm und fragen mal so: Wat is'n Kreuzweg? -- Die Wikipedia, die man wohl als eine nicht ausgeprägt dunkelkatholische Quelle betrachten kann, definiert den Kreuzweg als "einen der Via Dolorosa ('schmerzensreiche Straße') in Jerusalem, dem Leidensweg Jesu Christi nachgebildeten Wallfahrtsweg wie auch eine Andachtsübung der römisch-katholischen Kirche, bei der der Beter den einzelnen Stationen dieses Weges folgt". Laut einer Instruktion der Kongregation für Ablässe und Reliquien (Congregatio indulgentiarum et sacrarum reliquiarum) vom 3. April 1731 sollen in jeder katholischen Kirche Kreuzwegbilder bzw. -stationen ausgestellt sein, aber natürlich gibt es nach wie vor auch Kreuzwegprozessionen unter freiem Himmel, oft über erhebliche Wegstrecken hinweg. Etwa seit dem 17. Jahrhundert umfasst der Kreuzweg üblicherweise 14 Stationen:
1. Jesus wird zum Tode verurteilt
2. Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern
3. Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz
4. Jesus begegnet seiner Mutter
5. Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen
6. Veronika reicht Jesus das Schweißtuch
7. Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz
8. Jesus begegnet den weinenden Frauen
9. Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz
10. Jesus wird seiner Kleider beraubt
11. Jesus wird an das Kreuz genagelt
12. Jesus stirbt am Kreuz
13. Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt
14. Der heilige Leichnam Jesu wird in das Grab gelegt. 
An den einzelnen Kreuzwegstationen halten die Teilnehmer inne, knien nieder und beten. Diese Form des Kreuzwegs wurde 1731 von Papst Clemens XII. als kanonisch anerkannt und mit einem Ablass verbunden. Seit 1964 findet alljährlich am Karfreitag ein Kreuzweg mit dem Papst am Kolosseum in Rom statt, mit jährlich wechselnden Andachtstexten zu den einzelnen Stationen, die seit 1984 eigens zu diesem Anlass verfasst werden.

Domenichino (Domenico Zampieri, 1581-1641: Jesus fällt unter dem Kreuz. Bildquelle: Wikimedia Commons.
Kurz und schlicht zusammengefasst: Beim Kreuzweg geht es um die Vergegenwärtigung der Passion Jesu Christi. - Worum aber geht es beim Schöpfungs-Kreuzweg des Bistums Hildesheim? Zunächst einmal gibt es hier nur acht Stationen - zwei in Hannover, drei in Langwedel und drei in Salzgitter. Dabei ist es offenbar nicht vorgesehen, die insgesamt immerhin 264 Kilometer zwischen den einzelnen Stationen zu Fuß zurückzulegen; obwohl, Zeit genug wär', denn die Termine der Stationen an den drei genannten Orten liegen jeweils eine Woche auseinander.

Los geht's, wie gesagt, in Hannover, und zwar am kommenden Sonntag, dem 21. Februar. "Zum Auftakt der Aktion [...] predigt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil in der Kirche St. Heinrich in Hannover. Das Thema seiner Predigt wird sein: Flüchtlinge und Fluchtursachen." Da drängt sich erst mal die Frage auf: Warum? Warum predigt in einer katholischen Kirche ein Politiker, noch dazu einer, der, wie Tante Wiki weiß, "Anfang der 1980er-Jahre aus der Kirche ausgetreten" ist? - Nun, keine Bange, die Frage "Warum?" wird sich uns im Folgenden noch oft genug stellen. -- Von der St.-Heinrich-Kirche geht es dann zum Maschsee, Hannovers beliebtestem Naherholungsgebiet; "[d]ort angekommen wird es nach einem kurzen feierlichen Abschluss des Tages um 16:30 Uhr Gelegenheit zur Begegnung geben." Na, Begegnung ist natürlich immer gut! Und das war's dann auch schon für den ersten Tag des Schöpfungskreuzwegs.

Eine Woche später trifft man sich an der Freilichtbühne Holtebüttel in Langwedel im Landkreis Verden, um der 4.500 unter Karl dem Großen hingerichteten heidnischen Sachsen zu gedenken von dort über die Friedhofskapelle in Schülingen zur evangelischen Kapelle in Völkersen zu pilgern. In letzterer spricht "Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, über die Problematik der Erdgasförderung" - na, wenn das keine wirksame Selbstkasteiung für die Zuhörer ist! Überhaupt wird die theologische Brisanz der Erdgasförderung ja allgemein oft unterschätzt. Immerhin: "Nach dem Vortrag sind die Teilnehmer zu heißen und kalten Getränken im Gemeindehaus in Völkersen eingeladen." Na dann Prost.

Schließlich, am 6. März, "steht das geplante Atommüllendlager Schacht Konrad in Salzgitter im Fokus der dritten Kreuzweg-Station. Beginn ist um 15 Uhr an der Infostelle Konrad [...]. Nach einem Stopp am Bundesamt für Strahlenschutz ziehen die Teilnehmer bis zur katholischen Kirche St. Michael [...]. Die Predigt während des Gottesdienstes um 16:15 Uhr hält der Braunschweiger Regionaldechant, Domkapitular Propst Reinhard Heine."

Noch Fragen, Euer Ehren? - Gewiss! Zum Beispiel: Wieso heißt diese Veranstaltung, die heuer übrigens schon zum sechsten Mal stattfindet, Kreuzweg? Die Antwort hierauf ist einfach: "Im Zentrum der dreiteiligen Kreuzwegprozession des Kreuzweges der Schöpfung steht ein übermannsgroßes Kreuz, das die Teilnehmer auf dem Weg schweigend und betend mit sich tragen werden." Aha. Und was soll das Ganze? Darauf haben die Veranstalter keine Antwort; das soll sich der geneigte Leser wohl selbst denken. Na gut, ich versuch's mal. Indem die Verantwortlichen diese Aktion, deren Ziel es ist, "auf die Bedrohung der Schöpfung weltweit und soziale Ungerechtigkeiten in Deutschland hinzuweisen", als Kreuzweg bezeichnen und gestalten, soll offensichtlich das Leiden der Schöpfung in Parallele zur Passion Christi gesetzt werden. Super Idee, weil total sozial und ökologisch? Weil die Kirche ja, um gesellschaftlich relevant zu bleiben, aktuelle Themen aufgreifen muss, die den Menschen auf den Nägeln brennen? Und weil damit einem alten Ritual, das allzu weit weg ist von der Lebenswirklichkeit der Menschen, neues Leben eingehaucht wird? Könnte man sagen. Man könnte aber auch sagen:
Habt Ihr eigentlich noch alle Latten am Zaun? 
Gibt es an verantwortlicher Stelle im Bistum Hildesheim irgendwen, der noch ein Bewusstsein für die heilsgeschichtliche Bedeutung der Passion Christi hat? Der zumindest ein Gefühl dafür hat, dass die Passion Christi als das, was sie tatsächlich ist, viel zu bedeutungsvoll ist, um als bloßes Symbol für Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeit herzuhalten? - Mehr noch: Indem das Leiden Christi unter der Hand durch das Leiden der Schöpfung ersetzt wird, nimmt die Schöpfung selbst die Stelle des Heilands und Erlösers ein. Das ist, sagen wir's frei heraus, neuheidnischer Synkretismus der schlimmsten Sorte

Ich glaube, ich brauche jetzt erst mal ein paar heiße und kalte Getränke.

Im Übrigen denke ich mir, ich muss jetzt wohl doch mal Laudato si' lesen. Damit ich Antworten parat habe, wenn mir jemand weismachen will, derartige Bestrebungen zur Vergöttlichung der Natur seien ganz im Sinne von Papst Franziskus...


Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen...

Eins vorweg: Das Prinzip "Partnersuche" habe ich noch nie so richtig verstanden. Bei mir lief das schon immer irgendwie anders. Ungefähr so: Man lernt irgendwie und irgendwo - in der Schule, am Strand, an der Uni, bei der Arbeit, in der Kneipe oder sogar ümm Ünntörnött - einen Menschen kennen, den man auf den ersten, zweiten oder einen späteren Blick interessant, sympathisch und attraktiv findet. Daraus entsteht dann womöglich der Wunsch nach einer Partnerschaft mit diesem konkreten Menschen. Und mit viel Glück fügt es sich womöglich, dass dieser Mensch genauso empfindet - et voilà. Der umgekehrte Ansatz -  primär den Wunsch nach einer Partnerschaft zu haben und sich dann den passenden Menschen dazu zu suchen - ist mir fremd. Was vielleicht zum Teil damit zu tun hat, dass ich das Singledasein als solches nie als etwas total Schreckliches empfunden habe. 

Vielen Menschen geht es da anders. Für die gibt es viele Angebote. Auch die Kirche macht welche. Das ist grundsätzlich eine gute Sache, denn: Ein Partner, mit dem man denselben Glauben teilt, "wäre toll [...]. Man hätte dann ja schon irgendwie die gleichen Wertvorstellungen, die gleichen Ziele im Leben". So stand's neulich in der WELT, in einem Artikel über eine "Single-Andacht" am Vorabend des Valentinstags in Berlin. Obige Aussage erschien dort als indirektes Zitat einer hippen Mittdreißigerin namens Kathrin (Name vermutlich von der Redaktion geändert), die nach eigenen Angaben öfter mal zu kirchlichen Veranstaltungen für Singles geht. Obwohl sie sich selbst lediglich als "[i]rgendwie schon gläubig" einstuft und auch meint, ein gläubiger Partner sei "kein Muss". Aus letzterer Aussage mag freilich auch eine gewisse Resignation sprechen, denn besonders gute Erfahrungen hat Kathrin mit kirchlichen Single-Angeboten noch nicht gemacht: "Ich lerne jedes Mal mindestens zwei coole, junge Frauen kennen. Aber die Typen kannst du vergessen! Hauptsächlich Nerds und solche, die mit 35 noch bei Mutti wohnen." Die coolen jungen Frauen, die Kathrin bei solchen Gelegenheiten kennenlernt, sehen das ähnlich. Zwei von ihnen, klischeegemäß "mit angesagtem Dutt auf dem Kopf", begegnen ihr (und dem Leser) "im Eingangsbereich", da sie "im Begriff sind, die Veranstaltung postwendend zu verlassen": "Keine anständigen Männer!" 

Das Plakat zur Andacht. Quelle: Erzbistum Berlin, Pressemitteilung

Vielleicht hätte ihnen jemand sagen sollen, dass die "Andacht für Singles und Kein-Bisschen-Verliebte" im Herz-Jesu-Kloster (nicht, wie es im Artikel der WELT fälschlich heißt, in der Herz-Jesu-Kirche) eigentlich gar nicht als Partnerbörse gedacht war. Also, nicht primär jedenfalls, auch wenn Pater Ryszard Krupa in der Pressemitteilung mit der augenzwinkernden Bemerkung zitiert wird "Und wer weiß, vielleicht werden dabei einige ihre Telefonnummern tauschen". Der eigentliche Schwerpunkt sollte ein anderer sein: 
"Am Vorabend des Valentinstages stehen all jene Menschen im Mittelpunkt, die nicht wegen einer Romantik- und Kitschallergie von alledem nichts wissen wollen, sondern, weil sie allein durchs Leben gehen. Ob freiwillig oder unfreiwillig, entschieden, unentschieden, glücklich oder unglücklich Single." 
Dieser Aspekt kommt auch im WELT-Artikel mit dem Titel "Wenn die Kirche plötzlich Tinder spielt" nicht so richtig zur Geltung; Autorin Astrid-Maria Bock interessiert sich ausschließlich für das Phänomen kirchlicher Angebote zur Partnersuche. "Singlestadt Berlin. Viele Menschen leben allein in der Hauptstadt, sehnen sich aber nach Liebe und Erotik. Wer auf Partnerbörsen keine Lust hat, kann in die Kirche gehen. Denn dort passiert einiges." Mehr noch als daran, dass die Journalistin nicht so ganz auf der richtigen Veranstaltung für dieses Thema war, krankt ihr Text jedoch daran, dass sie sich nicht recht entscheiden kann, ob sie über das Phänomen "christliche Singles auf Partnersuche" informieren oder sich darüber lustig machen will. 

Letzteres ist natürlich einfach. Allzu einfach. Ausgerechnet die Kirche als Partnervermittlung, da lachen ja die Hühner! Im Geiste hört man die Autorin permanent kichern bei dem Gedanken, einer "Katholische[n] Kuppelveranstaltung konservativer Kein-Sex-vor-der-Ehe-Haber" (das steht da wirklich!) beizuwohnen, und weil noch nie etwas so einfach war, wie die Katholische Kirche zu veralbern - besonders, wenn es im weitesten Sinne irgendwie um Sex geht -, verstreut Frau Bock mehr oder weniger sinn- und wahllos Floskeln wie "Gott bewahre", "Halleluja", "Herrgott", "Hosianna", "Herr, erbarme dich" und "Amen" über ihre Absatzschlüsse. Gähn. 

Gibt es dennoch Interessantes, Lesenswertes in diesem Artikel? - Doch, irgendwie schon. Zum Beispiel erfährt man Einiges über den Dienst der Herz-Jesu-Priester, die seit vier Jahren in Berlin-Prenzlauer Berg ansässig sind.
"'Es handelt sich um eine sogenannte Suchenden-Pastoral', erklärt Sprecher Markus Nowak. Die Brüder seien angehalten, nach draußen zu gehen, sich zu öffnen und in Kontakt mit Menschen zu treten – mit Christen, mit Juden, mit Atheisten. Mit Familien und mit Singles. Mit Konservativen, mit Abtrünnigen, mit Ungläubigen. 'Es geht einfach darum, da zu sein. Eine Hilfe für jeden zu sein, der es braucht. Egal, welches Leben jemand führt', erklärt Pater Krupa." 
Und siehe da, die machen sogar Kneipenapostolat! Man könne sie "manchmal auch zu Gesprächen in Bars treffen", heißt es. Löblich, löblich. 

Gleichzeitig bietet der WELT-Artikel aber auch interessantes empirisches Material zum Thema "Singles in Berlin" - jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass die Verfasserin sich die beschriebenen Personen nicht ausgedacht oder extrem verzerrt dargestellt hat. Die Entschlossenheit, mit der manche Alleinstehende offenbar jedwede Veranstaltung, die als "für Singles" angekündigt ist, als Partnerbörse betrachten und nutzen, auch wenn sie ganz anders gemeint ist, gibt zu denken - und das meine ich überhaupt nicht spöttisch. Einerseits verweist dieser Umstand darauf, dass Einsamkeit in unserer Gesellschaft ein gravierendes Problem ist - und die Kirche tut gut daran, sich dieses Problems anzunehmen. Wie Papst Benedikt XVI. betonte, zeigt sich ja schon in der biblischen Erzählung von der Erschaffung Evas (Genesis 2,20-24), "dass der Mensch gleichsam unvollständig ist – von seinem Sein her auf dem Weg, im anderen zu seiner Ganzheit zu finden" (Deus Caritas est, Nr. 11). Andererseits: Wenn sich beispielsweise die im Artikel geschilderten jungen Duttträgerinnen von vornherein gar nicht auf die Andacht einlassen, sondern auf dem Absatz kehrt machen, weil sie auf den ersten Blick festgestellt haben, dass "[k]eine anständigen Männer" da sind, spricht das für eine, sagen wir mal, Konsummentalität bei der Partnersuche, mit der die Kirche nun gerade nicht einverstanden sein kann. Das ist allerdings nicht unbedingt die "Schuld" der betreffenden Frauen, sondern eher ein allgemeines Problem der Gegenwart. In dem Ehevorbereitungsbuch, das ich gerade lese ("Im Glauben das 'Ja' wagen", Freiburg i.Br. 2015) bezeichnen die Autoren Markus Graulich und Ralph Weimann es geradezu als "das Grundproblem der Postmoderne", dass "das Selbermachen zum entscheidenden Kriterium wird":
"Nicht die Annahme ist entscheidend, sondern selber in Aktion zu treten, selber zu wählen, selber zu konstruieren. Eine derartige Mentalität schädigt nicht nur die Person, die sich fast zwangsläufig nicht mehr selbst anzunehmen weiß, sondern macht sie auch bindungsarm oder gar bindungsunfähig." (S. 31f.)
Und weiter heißt es:
"Menschen sind in der heutigen Gesellschaft freier denn je. […] Die Wahlmöglichkeiten scheinen unendlich […]. Das aber erschwert die Entscheidung. Wenn alles als erlaubt, möglich und gleichwertig angesehen wird, stellt sich die Frage, ob auch alles gut und hilfreich für das Gelingen des Lebens ist." (S. 38) 
Man darf allerdings wohl davon ausgehen, dass nicht alle Besucher des Herz-Jesu-Klosters an jenem Abend - die WELT spricht von "[k]napp 100 Singles" ("Bei deutlichem Frauenüberschuss ist dennoch alles dabei – vom Mittzwanziger Hipster-Mädchen über ewige Junggesellen und frisch Geschiedene bis hin zur betagten Witwe") - ausschließlich zum Zweck der Partnersuche dort waren und sich für die Andacht, deren zentrale Botschaft gerade lautete "Nicht ein anderer Mensch kann dich glücklich machen, du musst das Glück in dir selbst finden", gar nicht interessierten. Vielmehr ist es wohl so, dass die Verfasserin am Inhalt der Andacht sehr viel weniger Interesse hat als daran, die Veranstaltung als "ein Treffen frustrierter Berliner Langzeitsingles" darzustellen, "die einen neuen Markt erschließen". Die Andacht selbst beschreibt Frau Bock als "Katholizismus light": "Es wird das Märchen von 'Hans im Glück' verlesen, danach ein 'Vater unser' gebetet und ein Segen ausgesprochen." Auch dazu wäre Einiges zu sagen. Ich war freilich nicht dabei und kann somit nicht beurteilen, ob die Gestaltung der Andacht wirklich so banal war, wie es hier erscheint. Immerhin - wer beispielsweise Professor Ratzingers "Einführung in das Christentum" gelesen hat, wird wissen, dass die Erzählung von "Hans im Glück" durchaus interessanten und vielschichtigen Deutungen offen steht. Aber das nur am Rande. Frau Bock ordnet die "Single-Andacht" der Herz-Jesu-Priester in den Kontext so genannter "Spartengottesdienste" ein, die dazu dienen sollen, "Kirchen wieder zu füllen und diejenigen die mit Glaube, Gott und Gebeten nichts am Hut haben, wieder heranzuführen": "Motorradfahrer-, Fußballer- oder aber auch Erotik- oder Twittergottesdienste, inzwischen wird fast jede Zielgruppe fündig." An dieser Einordnung ist sicherlich was Wahres dran. Dabei sollte man jedoch einen anderen Aspekt nicht übersehen: Insoweit, wie kirchliche Angebote für Singles tatsächlich zu einem gewissen Anteil Möglichkeiten zur Partnersuche bieten, können - ja, sollen sie wohl zu einem gewissen Grad - auch zur Anbahnung christlicher Ehen dienen. Während andere Spielarten von "Spartengottesdiensten", wie Frau Bock sie anführt, wohl vor allem darauf abzielen, eine eher kirchenferne Klientel anzusprechen, ist das bei "Single-Gottesdiensten" u. dergl. nicht unbedingt, oder nicht unbedingt ausschließlich, der Fall: Es wäre durchaus denkbar, dass solche Angebote sich gerade an Gläubige richten - die sich auf dem "freien Markt" der Partnersuche möglicherweise schwer tun.

Dass sie das vielfach tun, ist ja unschwer einzusehen. Eine christliche Ehe kann man schließlich nicht allein führen, und schon gar nicht gegen den Partner, sondern nur mit ihm. Und wenn der christliche Single nun in unserer säkularisierten Gesellschaft permanent auf solche Singles trifft, denen bei ihrer Partnersuche etwas völlig Anderes vorschwebt als eine christliche Ehe - was macht er dann? Dass sich junge erwachsene Katholiken sogar unter ihresgleichen vielfach mit der Partnersuche schwer tun, wird in einem US-amerikanischen Blogartikel, über den ich im Zuge der Planung dieses Beitrags stolperte, recht eindringlich geschildert. Unter den Gründen dafür, dass so viele junge erwachsene Katholiken solo sind, führt der Autor einige an, die heutzutage allgemein für viele junge Erwachsene gelten - etwa eine Scheu vor langfristigen Lebensentscheidungen (vgl. Graulich/Weimann, S. 56f.: "Gerade in der heutigen Gesellschaft fällt es vielen schwer, Lebensentscheidungen zu treffen, die entsprechend immer wieder aufgeschoben werden. In Italien werden Männer und Frauen im Alter von 40 Jahren noch als 'jugendlich' bezeichnet, darin zeigt sich, wie sehr diese Mentalität bereits verbreitet ist") oder einen gewissen Unwillen, die sonstigen Prioritäten des eigenen Lebens zugunsten einer Partnerschaft in Frage zu stellen. Er benennt jedoch auch einige Probleme, die für gläubige Christen spezifisch sind: etwa eine übertrieben kritische Beurteilung potentieller Partner in Hinblick darauf, ob diese auch fromm genug seien; Sorge um die Bewahrung der Keuschheit; oder auch die Befürchtung, eine Partnerschaft lenke nur von einer möglichst engen Beziehung zu Gott ab.

"Dennoch ist gerade unter Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen eine neue Sehnsucht nach wahrer und wahrhaftiger Bindung, nach Treue und Liebe festzustellen" (Graulich/Weimann, S. 13). Man könnte aus katholischer Sicht natürlich argumentieren, eventuell verberge sich hinter dem Unwillen, eine Partnerschaft einzugehen, auch eine Berufung zum geweihten Leben; in einigen Fällen mag das auch durchaus zutreffen. Aber im Großen und Ganzen kann wohl keine Rede davon sein, dass der Rückgang kirchlicher Eheschließungen in der westlichen Welt mit einem Boom an Priester- und Ordensberufungen einherginge. So oder so: Sache der Kirche ist es nicht allein, die Berufung zum geweihten Leben, sondern auch die Berufung zur Ehe zu fördern und zu begleiten. "Der Eros verweist von der Schöpfung her den Menschen auf die Ehe, auf eine Bindung, zu der Einzigkeit und Endgültigkeit gehören. So, nur so erfüllt sich seine innere Weisung", heißt es in Deus Caritas est (Nr.11); und Markus Graulich und Ralph Weimann betonen: "In der schnelllebigen Postmoderne kommt der Kirche die wichtige Aufgabe zu, die stets gültigen Anweisungen Jesu Christi zur Ehe zu verkünden" (S. 16). In gewissem Sinne könnte man sogar von einem legitimen Eigeninteresse der Kirche am Zustandekommen guter christlicher Ehen sprechen:
"Zum einen wird in der Familie Glück erfahrbar, sie wird damit zur Keimzelle der Gesellschaft und trägt zu deren Aufbau wesentlich bei. Zugleich ist sie auch für die Kirche von grundlegender Bedeutung und verleiht auch ihr Fruchtbarkeit. Wenn Familien, Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Leben der Pfarrei präsent sind, dann ist es gut bestellt um die Pfarrei." (Graulich/Weimann, S. 77) 
Welchen hohen Wert die Katholische Kirche Ehe und Familie beimisst, ist ja nicht zuletzt daran ablesbar, dass sie - wir erinnern uns - diesen Themen in den vergangenen zwei Jahren eine außerordentliche und eine ordentliche Bischofssynode gewidmet hat. Dabei haben die Synodenväter eindringlich auf die Wichtigkeit einer gründlichen, kirchlich begleiteten Ehevorbereitung als Basis für ein gelingendes christliches Familienleben hingewiesen. Hören wir auch hierzu noch einmal Markus Graulich und Ralph Weimann:
"Der Gemeinde und der Kirche kommt die wichtige Aufgabe zu, (jungen) Menschen, die auf die Ehe zugehen, dabei zu helfen die Schönheit der christlichen Ehe zu entdecken. Dies wird umso wichtiger, je stärker der gesellschaftliche Trend zunimmt, sich gegen die dauerhafte Ehe von Mann und Frau zu stellen. Je weniger Modelle gelungener, lebenslanger Partnerschaft die Jugendlichen in ihren Familien und in ihrem Umfeld erleben, desto schwerer wird es, sich für eine christliche Ehe zu entschließen. Umso mehr Bedeutung kommt daher der Vorbereitung auf die Ehe zu." (S. 57) 
Was also liegt näher, als mit der kirchlich begleiteten Ehevorbereitung schon in dem Moment anzufangen, wo die potentiellen zukünftigen Eheleute sich gerade erst kennenlernen - oder, besser, noch etwas früher anzusetzen und gleich selbst dafür zu sorgen, dass sie sich kennenlernen?

Und deshalb gibt es "bei Kirchens" nicht nur zum Valentinstag Single-Gottesdienste und Ausflüge in den Kölner Zoo, sondern es gibt z.B auch das online-Portal kathTreff.org ("Die Community für Partnersuchende, die Glaubenund Werte miteinander teilen möchten") sowie von kirchlichen Stellen geförderte Single-Treffs für Katholiken wie kathklub, "eine Kennenlernveranstaltung für gläubige Katholikinnen und Katholiken, die [...] eine(n) auch im Glauben lebende(n) Partner(in) für eine dauerhafte, feste Beziehung suchen". Ich selbst habe, aus eingangs erwähnten Gründen, solche Angebote zwar nie genutzt, aber hey - wenn man schon aktiv auf Partnersuche ist, warum dann nicht so?

Leider überhaupt nicht überraschend ist es jedoch, dass Angebote dieser Art in der nichtkatholischen, nichtchristlichen Welt auf jede Menge Kritik stoßen. Der wohlfeile Spott einer Astrid-Maria Bock in der WELT ist da noch vergleichsweise harmlos; ja, ich finde es beinahe verwunderlich, dass in dem Artikel nicht zu allem Übrigen noch darüber gewitzelt wird, dass die Kirche sich mit solchen Kuppelaktionen ihren eigenen Nachwuchs heranzüchten wolle - das passe ja auch total gut zur Katholischen Kirche, weil, arrangierte Ehen hätte die ja schon immer toll gefunden. Voll Mittelalter und so.

Liest man Derartiges nicht in der WELT, dann liest oder hört man es anderswo. Müßig, darauf hinzuweisen, dass über das katholische Eheverständnis vielfach arg verzerrte Vorstellungen kursieren. Wir sind schließlich nicht bei der Mun-Sekte. Von "arrangierten Ehen" hält die Katholische Kirche tatsächlich nämlich überhaupt nichts: Im Gegenteil beharrt sie von jeher darauf, dass eine sakramentale Ehe nur dann gültig zustande kommt, wenn sie von beiden Seiten freiwillig erfolgt - genauer: "aus freiem Willen und nach reiflicher Überlegung". Aber geschenkt. Die kommerzielle Online-Partnerbörse Parship hat in Deutschland, Schätzungen zufolge, über 5 Millionen angemeldete Nutzer, ElitePartner rund 3,8 Millionen und eDarling rund 2,8 Millionen; das ist modern und zeitgemäß, aber wenn die Kirche sich in Sachen Partnervermittlung engagiert, dann muss daran etwas faul sein. Denn, wie die Westdeutsche Allgemeine sich in einem Artikel aus dem Herbst 2010 wunderte:
"[W]as sind das eigentlich für Menschen, für die im 21. Jahrhundert die Religion bei der Partnersuche noch so eine große Rolle spielt?" 
 sind das eigentlich für Menschen, für die im 21. Jahrhundert die Religion bei der Partnersuche noch so eine große Rolle spielt?

Wie funktioniert Partnersuche auf katholisch? | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/panorama/partnerschaften/wie-funktioniert-partnersuche-auf-katholisch-id3772151.html#plx1870684576
was sind das eigentlich für Menschen, für die im 21. Jahrhundert die Religion bei der Partnersuche noch so eine große Rolle spielt?

Wie funktioniert Partnersuche auf katholisch? | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/panorama/partnerschaften/wie-funktioniert-partnersuche-auf-katholisch-id3772151.html#plx1870684576
was sind das eigentlich für Menschen, für die im 21. Jahrhundert die Religion bei der Partnersuche noch so eine große Rolle spielt?

Wie funktioniert Partnersuche auf katholisch? | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/panorama/partnerschaften/wie-funktioniert-partnersuche-auf-katholisch-id3772151.html#plx1870684576
was sind das eigentlich für Menschen, für die im 21. Jahrhundert die Religion bei der Partnersuche noch so eine große Rolle spielt?

Wie funktioniert Partnersuche auf katholisch? | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/panorama/partnerschaften/wie-funktioniert-partnersuche-auf-katholisch-id3772151.html#plx1870684576

Vielleicht könnte man diese Frage an die erwähnten kommerziellen Partnervermittlungs-Unternehmen weiterleiten. Denn diese haben, wie man anhand einer einfachen Google-Recherche feststellen kann, ebenfalls spezielle Angebote für Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften im Programm. Und im Gegensatz zur Kirche verdienen sie sogar richtig Geld damit...
was sind das eigentlich für Menschen, für die im 21. Jahrhundert die Religion bei der Partnersuche noch so eine große Rolle spielt?

Wie funktioniert Partnersuche auf katholisch? | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/panorama/partnerschaften/wie-funktioniert-partnersuche-auf-katholisch-id3772151.html#plx1870684576



Samstag, 13. Februar 2016

Let's Do It Like They Do On The Discovery Channel

In der Facebook-Gruppe Ein ungenanntes Bistum hat kürzlich ein Visual - d.h. ein graphisch gestalteter Text, wie er gern in Sozialen Netzwerken verbreitet wird - aus dem Erzbistum Bamberg für Diskussionen gesorgt: 
"Wer ständig online ist, ist offline für Gott"
ein Zitat von Erzbischof Ludwig Schick soll das sein. Und ein Impuls für die Fastenzeit. Gott ist im Internet nicht zu finden! Also loggt euch aus! Verzichtet aufs Smartphone! -- Und wo publiziert das Erzbistum Bamberg diesen tollen Fastenimpuls? Auf Facebook. Finde den Fehler. 

Dieser Widerspruch ist leider nur allzu bezeichnend für das Verhältnis der Katholischen Kirche in Deutschland zur Öffentlichkeitsarbeit im Internet, speziell in den Sozialen Medien: Man sieht ein, dass man da irgendwie präsent sein muss, aber gleichzeitig findet man das Internet irgendwie doof oder sogar gefährlich, jedenfalls misstraut man ihm. Erzbischof Schick - der in seiner Eigenschaft als Weltkirche-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz zweifellos Verdienstvolles leistet und über den ich auch sonst nichts Schlechtes sagen will - ist da ja (sofern er obigen Satz überhaupt wirklich gesagt hat) kein Einzelfall: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz weiß nicht so genau, was Blogs sind, und findet Netzwerke, in denen "Alle mit Allen über Alles reden" können, suspekt; und selbst dem "Medienbischof", d.h. dem Vorsitzenden der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, wird nachgesagt, er lasse sich seine eMails von einem Mitarbeiter ausdrucken. 

Man könnte sagen - und das habe ich ja im Prinzip schon mehrfach -, bei einer solchen Einstellung unserer Bischöfe dem Internet gegenüber brauche man sich über die Qualität der kirchlichen Online-Präsenz dann auch nicht mehr zu wundern. Aber man muss wohl Geduld haben. Das Internet ist für uns alle Neuland. Genau wie die Eisenbahn damals. Vor der wurde auch viel gewarnt. Sowohl aus gesundheitlichen Gründen (der menschliche Körper sei gar nicht in der Lage, eine derartige Beschleunigung zu verkraften) wie auch aus sozioökonomischen (die Sozialstruktur auf den Dörfern werde zusammenbrechen, wenn jeder mal eben schnell in die Stadt fahren könne). Inzwischen kann man aber doch feststellen, dass die Menschheit den Siegeszug der Eisenbahn einigermaßen überlebt hat, und so wird sie wohl auch den Siegeszug des Internets überleben. Nur bis die geistig-moralischen Stützen der Gesellschaft sich damit abgefunden haben werden, wird es wohl noch ein bisschen dauern. 



Das merkt man z.B. auch einem Buch an, das ich gerade lese: "Im Glauben das 'Ja' wagen" von Markus Graulich und Ralph Weimann (Freiburg i.Br. 2015). Ein Buch zur Ehevorbereitung, ja, so etwas lese ich zur Zeit vor dem Schlafengehen. Aus Gründen. Ein Geistlicher unseres Vertrauens hat meiner Liebsten und mir dieses Buch empfohlen. Es steht auch tatsächlich viel Wertvolles drin. Rein stilistisch finde ich es hingegen nicht besonders toll geschrieben, und inhaltlich gibt es genau eine Sache, die an diesem Buch wirklich nervt: Die permanenten Warnungen vor den Gefahren des bösen, bösen Internets. 

Das geht auf S. 11f. los: 
"Auch die virtuelle Welt stellt eine neue Herausforderung für die Menschen dar. Ein Großteil der sozialen Kontakte spielt sich heute in den social media ab und unterliegt den Gesetzen der sozialen Kommunikationsmittel. [...] Diese neue Wirklichkeit verändert auch das In-Beziehung-Treten und die zwischenmenschliche Kommunikation grundlegend. Wenn Liebesbeziehungen auf der Grundlage von chatten, twittern oder ähnlichen Mitteln basieren, dann unterliegen sie leicht einem Trugschluss. Man ist 'vernetzt', statt in Beziehung zu stehen. Wirkliche Begegnung aber findet bei aller scheinbaren Vertrautheit zwischen den 'virtuell Vernetzten' nur sehr bedingt statt, sie kann keineswegs die persönliche Begegnung ersetzen." 
Ich sag mal so: Wovon man keine Ahnung hat, davon sollte man vielleicht lieber schweigen. Wer irgendwie irgendwo mal Begriffe wie "chatten" und "twittern" aufgeschnappt hat und sie verwendet, ohne so genau zu wissen, was sie eigentlich bedeuten, der hört sich an wie Walter Ulbricht, der 1965 verkündete, niemand habe etwas "gegen eine gepflegte Beatmusik", aber "mit der Monotonie des yeah, yeah, yeah und wie das alles heißt [!] sollte man doch Schluss machen". -- Ich meine, okay, man spricht gern von der "realen Welt" in Abgrenzung zur "virtuellen Welt". Das ist halt so'ne Redensart. Aber im Grunde ist sie unsinnig, denn selbstverständlich sind auch zwischenmenschliche Kontakte, die sich über das Internet abspielen, "real". Es wäre sogar ausgesprochen schädlich, so zu tun, als wären sie das nicht. Es gibt durchaus Ehepaare - ich persönlich weiß von mindestens einem solchen Fall -, die haben sich in Online-Fantasy-Rollenspiel-Foren kennengelernt. Die sind im realen Leben natürlich keine Elfen und Trolle. Aber das werden sie auch vor der ersten Offline-Begegnung nicht ernsthaft angenommen haben. -- Im Ernst: Sicherlich ist nicht zu leugnen, dass bestimmte Formen des Online-Datings mit realen Gefahren verbunden sind. Gefahren wie Date Rape, sexueller Missbrauch Minderjähriger, Erpressung, Verbreitung pornographischen Materials. Zu solchen Gefahren könnte man sich differenziert äußern, wenn man ein bisschen was von der Materie verstünde. Tut man das nicht, helfen allgemein gehaltene Warnungen vor dem bösen, bösen Internet jedoch auch nicht viel weiter.  

Dies betrachte ich als ein ernsthaftes Manko des ansonsten, wie gesagt, durchaus lesenswerten Buches. Praktisch jedesmal, wenn Graulich und Weimann das Wort Wort "Internet" benutzen, sehe ich den allerersten TV-Werbespot für das SuperRTL-Online-Portal "Toggolino Club" (für Kinder im Vorschulalter) vor mir, wo ein bemerkenswert hässliches Kindergartenkind mit Zahnlücke am Computer sitzt und seiner Mutter freudestrahlend mitteilt: "Guck mal Mami, ich bin im Internet!" - worauf diese ein Gesicht macht, als habe der Sohnemann ihr feierlich eine tote Maus überreicht, und ungläubig erwidert: "Ümm Ünntörnött?" -- Auf S. 39 liest man:  
"Weit verbreitet ist heute die Abhängigkeit vom Internet, welche nicht nur die Freiheit einschränkt, sondern zwischenmenschliche Beziehungen genauso erschwert, wie eine Abhängigkeit von Drogen und Alkohol." 
Ja sicher. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde angesichts der Ausbreitung von Leihbibliotheken und billigen Flugschriften auch viel vor der "Lesesucht" gewarnt. Besonders für die "einfachen Leute", Dienstboten zum Beispiel, sei das Lesen gar nicht gesund. Das lenke sie nur von ihren Pflichten ab und verführe sie dazu, sich in eine Traumwelt zu flüchten. -- Aber zurück zu Graulichs und Weimanns Ratschlägen für Eheleute und solche, die es werden wollen. Auf S. 41 heißt es: 
"Eine Familie war in eine schwere Ehekrise geraten, die Ehepartner hatten sich längst voneinander entfernt und hohe Mauern errichtet." (So genannte Firewalls, vermutlich.) "In seiner Verzweiflung ging der Vater ins Internet in sich und erkannte..." [S. 41] 
Tja, was erkannte er denn? Vielleicht, dass diese Warnung vor neuen Medien als angeblichen Beziehungskillern im Grunde ziemlich oll ist. Als es noch kein Internet gab, war es das Fernsehen, und davor das Radio, und wer kennt nicht diese sterotypen Bilder von Ehemännern, die sich am Frühstückstisch hinter der aufgeschlagenen Zeitung vor ihrer Frau verstecken? -- Aber wahrscheinlich waren die Ehen statistisch gesehen viel glücklicher, als es noch keine Waschmaschinen gab und die Frauen die Wäsche noch im Fluss waschen mussten. Da waren sie beschäftigt und kamen nicht auf dumme Gedanken. Und viel kommunikativer war es auch, schließlich trafen sie dabei die ganzen anderen Frauen, die ihre Wäsche im selben Fluss wuschen... Hm, ich merke gerade, dass diese Argumente sich tendenziell widersprechen. Aber sei's drum. - Auch im Zusammenhang mit der Betonung des gemeinsamen Gebets für eine gelingende christliche Ehe können Graulich und Weimann es nicht lassen, abermals auf die Gefahren des Internets zu verweisen: 
"Einer der Gründe für die Schwierigkeit mit dem gemeinsamen Gebet liegt im Umgang mit den Medien. Viele Paare verbringen ihre Abende mit Fernsehen oder Internet, nicht selten auch im Schlafzimmer [!]. Das fördert weder das gemeinsame Gespräch, noch das Gebet. Abgesehen davon, dass diese Praxis für die Beziehung sehr schädlich sein kann, da die virtuelle Welt nie die reale Welt zu ersetzen vermag, wird es so noch schwieriger sich zum Gebet aufzuraffen." (S. 53)
Das wirkt nun etwas tragikomisch, wenn man es im Bett liest und gleichzeitig das Tablet am Kopfende liegen hat, auf dem man anschließend noch mittels der Stundenbuch-App die Komplet beten will. Aber ich will mir nicht vorgreifen. Schauen wir uns lieber noch eine der ergreifenden Beispielgeschichten von Graulich und Weimann an: 
"So hatte sich ein Ehepaar zerstritten und der Streit drohte zu eskalieren. Als der Streit im Internet vor den Kindern fortgesetzt wurde, verließen die Eltern für eine Zeit das Internet Haus. Ohne sich abgesprochen zu haben, gingen sie ins Internet fuhr jeder in eine andere Kirche, um zu beten." (S. 54f.) 
Zugegeben, ich werde gerade ein bisschen albern. Entschuldigung. Tatsächlich liegt die Behauptung, das ständige Online-Sein lenke vom Beten ab, ja ganz auf der Linie des eingangs zitierten Bamberger Fastenimpulses. Das Problem an dieser Aussage ist ihre, sagen wir mal, Halbwahrheit. Natürlich kann eine intensive Social-Media-Aktivität einem derartig den Kopf mit Banalitäten zukleistern, dass keine Kapazitäten mehr übrig bleiben, um an Gott zu denken oder gar zu beten. Aber, ich kann mich gar nicht oft genug wiederholen: Ein Medium ist immer nur so gut oder so schlecht, wie der Einzelne es benutzt. Darin liegt ja gerade das Paradoxe des Bamberger Online-Fastenimpulses. Geistliche Impulse im Internet gibt es mittlerweile zuhauf -- und man kann durchaus auch online beten. Das ist ein Trend, der sich inzwischen sogar bis zur FAZ herumgesprochen hat. Neben diversen anderen Angeboten wird dort auch die #Twomplet erwähnt, die seit über zwei Jahren täglich live auf Twitter stattfindet. Es ist also gar nicht alles schlecht und gottlos im Netz. -- Ja, man könnte sogar Materialien zur Ehevorbereitung im Internet publizieren. Also gut, Markus Graulich und Ralph Weimann können das vermutlich eher nicht, aber das ist ja auch keine Schande. Sie könnten ja jemanden fragen, der sich damit auskennt - und der könnte ihnen eine schicke Homepage zu ihrem Buch basteln. Mit Visuals zu den Kernaussagen des Buchs, die man downloaden und in Sozialen Netzwerken teilen könnte. Mit Videos von Zeugnissen erfahrener Ehepaare. Undundund. Könnte man machen. Muss man natürlich nicht. Aber wenn man's nicht tut, muss man sich nicht wundern, wenn Menschen, die auf der Suche nach ein bisschen geistlicher Begleitung in ihrem Liebesleben sind, bei Angeboten wie diesem landen: 
"Wenn Ihr beiden zusammen schlaft..." - Ein Gottesdienst für Verliebte am Valentinstag, Sonntag, 14. Februar, um 15:30 in der Kirche St. Engelbert in Köln. Mit anschließender 'Tour d'Amour' im Kölner Zoo. 
Kein Scherz. Habe ich übrigens auch im Internet entdeckt. Auf der Facebook-Seite des Erzbistums Köln. Interessant ist übrigens, dass die hier recht frei zitierte Bibelstelle Kohelet 4,11 - im Wortlaut der Einheitsübersetzung: "Wenn zwei zusammen schlafen, wärmt einer den andern; einer allein - wie soll er warm werden?"- überhaupt nichts mit geschlechtlicher Liebe zu tun hat; im Kontext geht es vielmehr darum, dass der Mensch im Allgemeinen besser durchs Leben kommt, wenn er nicht auf sich allein gestellt ist. Nun könnten die Verantwortlichen für den Valentinstags-Gottesdienst in St. Engelbert sich natürlich dumm stellen und erklären, auf ihrem Plakat sei ja ebenfalls nicht von Sex die Rede. Streng genommen stimmt das. Aber hey, wir sind ja wohl alle nicht mit dem Klammerbeutel gepudert worden, und wenn im Zusammenhang eines "Gottesdienstes für Verliebte" von "zusammen schlafen" die Rede ist, da denkt man sich ja wohl seinen Teil - wink wink, nudge nudge, say no more. Hier nun wäre zu fragen, was genau den "Verliebten", an die dieses Gottesdienstangebot sich ja richtet, denn so an geistlicher Orientierung für ihren Lebensweg mitgegeben wird. 

Bildquelle: "Christliche Sprüche mit Bilder" auf Facebook

Ich gebe zu, dass ich einer Kirchengemeinde, die auf ihrer Website durchgängig die Schriftart Comic Sans verwendet, von vornherein misstraue. Nur ganz nebenbei erwähnt sei, dass der mündlichen Überlieferung zufolge just St. Engelbert die Kirche war, von deren Kanzel aus Kardinal Frings seinen Schäfchen seinerzeit das Kohlenklauen erlaubte. Doch zur Sache. Ob man es nun unbedingt gut findet, dass die Kirche den vor allem von der Floristen- und Süßwarenbranche gepushten Trend, den Gedenktag des Heiligen Märtyrers Valentin als Fest der Verliebten zu feiern, partout mitmachen muss, darüber mag man streiten - ändern wird man es nicht. Die Kirche will schließlich nah bei den Menschen sein. Wichtig scheint aber allemal die Frage: Wenn die Kirche an diesem Tag spezielle Angebote für Verliebte macht - was hat sie den Verliebten denn bei dieser Gelegenheit zu sagen? Thematisiert sie, dass Verliebtsein nicht zwingend dasselbe ist wie Liebe? Dass das Verliebtsein als solches nach katholischer Auffassung noch keine hinreichende Basis für eine christliche Ehe ist (und somit, ahem, auch nicht dafür, das Bett miteinander zu teilen)? Nutzt man den Anlass des Tages, den Verliebten etwas über das kirchliche Eheverständnis zu vermitteln? Nun: Wolln's hoffen. Wenn aber nicht - wenn die Kirche den Verliebten nichts zu bieten hat, was sie nicht auch woanders bekommen könnten -, warum lockt man sie dann überhaupt erst in die Kirche und schickt sie nicht lieber gleich in den Zoo? Da lernen sie schließlich auch etwas über Geschlechtlichkeit. 


(Man beachte besonders die letzten 20 Sekunden des Videos. Aber das Lied ist auch sonst sehr hübsch. Nein, es ist nicht das von der Bloodhound Gang, auf das der Titel dieses Beitrags anspielt, sondern ein schönes altes von Simon & Garfunkel.) 

Die Facebook-Reaktion des Erzbistums Köln nahm den Hinweis auf die genannte Veranstaltung nach einigen kritischen Anfragen übrigens wieder von ihrer Seite und ersetzte ihn durch einen allgemeinen Hinweis auf verschiedene Valentinstags-Veranstaltungen im Erzbistum, bebildert mit einem Ausschnitt des Plakats, auf dem lediglich bunte Herzchen zu sehen sind. Auf meine Nachfrage bezüglich des Grundes dieser Änderung erklärte man: "Das große Plakat war einfach nur zu fokussiert auf ein Angebot". 

Ah ja. Lassen wir das mal so stehen.