Der Römische Ritus der Katholischen Kirche hat, wie liturgisch bewanderte Menschen wissen, eine ordentliche und eine außerordentliche Form. Der Nordenhamer Ritus hingegen hat lediglich eine unordentliche.
Wer diesen Blog schon länger verfolgt, wird möglicherweise wissen, dass ich die Weihnachtstage traditionell bei meiner Mutter in meiner kleinen niedersächsischen Heimatstadt verbringe. Das hatte - wie ich hier und hier ausführlich geschildert habe - in den letzten Jahren neben den naheliegenden angenehmen stets auch seine unangenehmen Aspekte, und zwar in kirchlicher Hinsicht. Letztere rührten vor allem daher, dass es sich um eine erzheidnische Gegend handelt. Die Mehrheit der Bevölkerung ist zwar nominell evangelisch-lutherisch, aber eben nur nominell; und eine katholische Pfarrei gibt es zwar vor Ort, aber... aber. Ich will hier nicht wiederholen, was ich bereits in den Blogartikeln zu meinem Weihnachtsurlaub 2012 und 2013 geschrieben habe, aber wer das jetzt nicht alles nachlesen will, dem sei doch gesagt, dass mir auch dieses Jahr wieder vor der Aussicht graute, einer von Pfarrer Erhard B. zelebrierten Weihnachtsmesse beiwohnen zu müssen - einem Pfarrer, der ebenso für seine salbungsvollen, aber wirren Predigten bekannt ist wie für seine habituelle Missachtung der Liturgie.
Wie sich zeigte, war ich, was Pfarrer B. angeht, allerdings schlecht informiert.
Ich war das ganze Jahr nicht "in der Heimat" gewesen und hatte über die dortigen kirchlichen Entwicklungen keinerlei Erkundigungen eingeholt; und so dauerte es bis zum Mittagessen am 23. Dezember, bis ich en passant von meiner Mutter erfuhr, dass die Pfarrei St. Willehad einen neuen Pfarrer hat: Sowohl Pfarrer B. (74) als auch sein von mir sehr geschätzter, leider für die eher abgelegenen "Gottesdienststandorte" der Pfarrei zuständig gewesener Co-Pfarrer Alfons K. (73) sind im Frühjahr 2014 in den Ruhestand entlassen worden, und nun gibt es einen Nachfolger für beide.
Kann ja nur besser werden, war mein spontaner Gedanke - jedenfalls im Vergleich zu Pfarrer B., dem "Schamanen von Butjadingen".
Einem unklaren Impuls folgend, unternahm ich gleich nach dem Mittagessen einen Spaziergang zur St.-Willehad-Kirche, die, wie man es sich von einer Kirche wünscht, tagsüber stets offen steht. Dort versah ich mich erst einmal mit einem Faltblatt, das Auskunft über die Gottesdienstzeiten an den Weihnachtstagen gab, und registrierte als Pluspunkt für den neuen Pfarrer, dass dieser vor Weihnachten zusätzliche Beichtgelegenheiten zu den sonst regelmäßigen angesetzt hatte. (Da ich mit so etwas nicht hatte rechnen können, war ich schon am Tag vor meiner Abreise aus Berlin bei der Beichte gewesen - in St. Clara in Neukölln - und hatte mir seitdem noch nichts Schwerwiegendes aufs Gewissen geladen; aber trotzdem fand ich's gut.) Geräusche verrieten mir, dass ich nicht allein in der Kirche war, und das machte mir bewusst, dass ich eigentlich in der Hoffnung hierher gekommen war, vielleicht würde mir ja zufällig der neue Pfarrer über den Weg laufen. Tatsächlich war's aber "nur" eine junge Frau, die anscheinend den weihnachtlichen Schmuck in der Kirche arrangierte. Nun wollte ich aber nicht gleich wieder gehen und dachte mir: Für ein stilles Gebet ist immer der richtige Zeitpunkt.
Ich hatte mich kaum in eine der hinteren Kirchenbänke gesetzt, da öffnete sich das Portal, und herein kam ein etwa fünfzigjähriger, dabei aber recht jugendlich wirkender Mann in Talar und Chorhemd. Für einen Messdiener hielt ich ihn aber eigentlich nicht. "Beten Sie ruhig weiter", sagte er freundlich, als ich mich zu ihm umwandte; ich jedoch fragte ihn: "Sind Sie der neue Pfarrer?"
"Ja, ich bin der neue Pfarrer."
Ich stellte mich ihm vor, erklärte, ich sei "nur zu Besuch", freue mich aber, dass er diese Pfarrei übernommen habe; er freute sich auch, wechselte noch ein paar ungekünstelt herzlich wirkende Worte mit mir, dann sagte er: "Ich bin dann mal in der Sakristei - ich hab' heute noch ein paar Termine. - Wir seh'n uns!"
In meinem Kopf gesellte sich zu dem Gedanken Kann ja nur besser werden der Gedanke Ich glaub', das is'n Guter. Nachdem ich in der Bank noch ein Gesätz vom Rosenkranz gebetet hatte, schickte ich mich an, die Kirche zu verlassen, lief dabei aber der erwähnten jungen Frau über den Weg - die mich fragte, ob ich der Organist sei. Das musste ich verneinen, aber sie erwiderte lächelnd. "Na, trotzdem schön, dass Sie da sind."
Ich kann gar nicht sagen, wann (oder ob je) ich mich an diesem Ort auch in kirchlicher Hinsicht so sehr zu Hause gefühlt habe.
Da ich nunmehr auch den Namen des neuen Pfarrers - Torsten Jortzick - in Erfahrung gebracht hatte, befragte ich mittels meines Mobilgeräts gleich mal Onkel Google, was es denn so an Wissenswertem über diesen sympathischen Geistlichen gibt. Die Ergebnisse waren recht interessant. So war etwa zu erfahren, dass Pfarrer Jortzick zwölf Jahre lang in Dänemark tätig war und die Pfarrei in Nordenham nun auf eigenen Wunsch übernommen hat. Bedenkt man, dass er damit die Nachfolge von zwei bisherigen Gemeindepfarrern antritt, kann man sich vorstellen, dass er viel zu tun hat. Zu der Pfarrei St. Willehad gehören knapp 3.400 Katholiken - das ist mehr als doppelt so viel wie das durchschnittliche Zahlenverhältnis von Kirchenmitgliedern pro Priester in Deutschland - und ganze fünf Gottesdienststandorte, die bis zu 28 Kilometer voneinander entfernt liegen. Unterstützt wird der neue Pfarrer immerhin von einem Diakon, Christoph Richter, der ebenfalls neu in der Gemeinde und, wie ich später erfuhr, Familienvater ist.
Am Abend trieb mich der Wunsch, ein Bier (oder gegebenenfalls mehrere) zu trinken, aus dem Haus. Die Idee, mir ein Sixpack an der Tanke zu holen und nach Hause zurückzukehren, verwarf ich schnell, denn, wie es in Nestroys Der böse Geist Lumpacivagabundus so treffend heißt: "Im Wirtshaus muss man seyn, das ist der Genuß, da ist dann das schlechteste Gesäuf ein Hogu." Außerdem hoffte ich, ein paar Kneipengespräche aufzuschnappen, die sich womöglich für mein neues Dorfgrotesken-Projekt würden auswerten lassen. So verschlug es mich ins Eldorado, ein Lokal, das ich auch bereits in meinem Blogartikel über Weihnachten 2012 gewürdigt habe. Die anderen Gäste am Tresen waren durchweg ein gutes Stück älter als ich, und die meisten sahen nochmals deutlich älter aus. Stoff für Dorfgrotesken gab es in bescheidenem Maße, aber dann kamen sie irgendwie auf die Kirche zu sprechen. Vorzugsweise die katholische, denn über die lässt es sich besser lästern an einem Ort, an dem es kaum Katholiken gibt. Man war sich einig: Der ganze Laden sei korrupt, und da werde nur Quatsch erzählt. Sechs Tage in der Woche trieben die Katholiken allerlei Übles, und am Sonntag gingen sie beichten, kriegten für ihre Verfehlungen drei "Ave Maria" aufgebrummt und hätten wieder ein reines Gewissen. Von dieser Aussage kam man ohne Umstände auf den allgemein üblichen sexuellen Missbrauch von Messdienern durch Priester, und der Zölibat sei ja sowieso eine Farce, denn entweder seien die Priester schwul oder hätten Verhältnisse mit ihren Haushälterinnen (ganz so delikat drückten sich die Eldorado-Gäste allerdings nicht aus). Ich war drauf und dran, sie zu fragen, woher sie das alles denn so genau wüssten, da meldete sich ein etwas klein gewachsener Mittfünfziger zu Wort: Er sei ja eigentlich evangelisch ("Eigentlich bin ich das auch!" - "Ich auch!" - "Ich auch!"), zwar nicht direkt gläubig, aber es käme für ihn auch nie in Frage, aus der Kirche auszutreten - schließlich tue die Kirche viel Gutes und Unterstützenswertes, etwa im Bereich der Diakonie: Krankenpflege, Kinderbetreuung, Suchtberatung... Deshalb spende er der Kirche sogar jährlich einen festen Betrag zusätzlich zu dem, was er an Kirchensteuer zahle. "Und die Katholische Kirche macht in der Hinsicht sogar noch viel mehr als die evangelische!", sekundierte ein anderer Gast, der sich eben noch zotenreich über das ausschweifende Sexualleben katholischer Priester geäußert hatte. Na also, läuft doch, dachte ich mir. Muss ich mich ja gar nicht einmischen.
Die erste Veranstaltung aus der Rubrik "Gottesdienste und Gottesdienstartiges" in St. Willehad, die ich während meines diesjährigen Weihnachtsurlaubs besuchen konnte, war die "Krippenfeier" am frühen Nachmittag des 24. Dezember. Sie wurde von Diakon Christoph Richter geleitet, der beim Einzug von einer Schar extrem niedlicher Kinder in Krippenspielkostümen begleitet wurde; auch das Publikum in der (übrigens rappelvollen) Kirche bestand hauptsächlich aus Familien mit kleinen Kindern. Dennoch empfand ich es als etwas gewöhnungsbedürftig, in einer Kirche, als Einzugslied, "Kling, Glöckchen, klingelingeling" zu hören bzw. singen zu sollen. Nun ja: Die ganze "Krippenfeier" erwies sich als eine etwas unentschlossene Mischung aus Wortgottesdienst und Kinderbespaßung. Liturgisch im Grunde ein Super-GAU, aber okay: Bei gottesdienstlichen Feiern, die keine Heiligen Messen sind und auch gar keine zu sein behaupten, sollten gewisse formale Freiheiten wohl erlaubt sein. Dass sie nicht Jedem gefallen, ist auch klar. Tatsächlich hatte ich, abgesehen von reinen Geschmacksfragen, aber wenig zu bemängeln. Dass die Verlesung des Weihnachtsevangeliums nach Lukas und das so zu sagen "halbszenische" Spiel der Krippenspielkinder auf etwas unklare Weise ineinander übergingen: Na ja. Den Text des Krippenspiels fand ich aber weitestgehend gut; ich war recht beeindruckt, dass darin sogar die symbolische Bedeutung der Gaben der Weisen aus dem Morgenland - Gold, Weihrauch und Myrrhe - angesprochen wurde. Überhaupt legte der Diakon unverkennbaren Wert darauf, die Bedeutung von Elementen dieser Feier, die man allzu leicht für selbstverständlich halten könnte, zu erläutern. So zum Beispiel die Bedeutung des Kreuzzeichens. Den Umstand, dass Beten bedeute, mit Gott zu sprechen. Was Fürbitten seien und warum man sie bete. Gar nicht so schlecht, dachte ich. In einer Gemeinde, die nach der dreißigjährigen Amtszeit von Pfarrer B. mehr oder weniger ins Heidentum zurückgefallen ist, muss man womöglich so ziemlich bei Null anfangen, und dafür bietet sich eine gottesdienstliche Feier für Kinder natürlich besonders an. Der Diakon ersparte den Kindern und ihren Eltern in all der Weihnachtsvorfreude auch einige Worte zu Ebola und zum Bürgerkrieg in Syrien nicht, aber vor allem hob er mehrfach eindringlich hervor, worum es an Weihnachten eigentlich gehe: darum, dass Gott Mensch wird, um die Menschen zu erlösen - weil Er sie liebt. Besonders wurde die Aufforderung an die anwesenden Kinder und Erwachsenen betont, die Herzen für Christus zu öffnen; und so gesehen ergab ja auch die Wahl von "Kling, Glöckchen, klingelingeling" - man beachte die dritte Strophe! - ja doch irgendwie Sinn.
Am frühen Abend betete ich für mich allein die Vesper, ehe ich zum Weihnachtsessen mit der Familie und zur anschließenden Bescherung aufbrach, die so ziemlich den Rest des Heiligabends einnahm. Am 1. Weihnachtstag war dann um 10:30 Uhr Messe in St. Willehad, und ich war gespannt darauf, Pfarrer Jortzick erstmals am Altar zu erleben. Nun, eins sei gleich vorausgeschickt: Hatte ich eine 180-Grad-Wendung gegenüber dem Stil seines Vorgängers erwartet, so wurde ich allerdings enttäuscht.
Dass die erste Lesung und damit auch der Antwortpsalm wegfiel, fand ich zwar betrüblich, aber es überraschte mich nicht unbedingt. Das habe ich schon in vielen Kirchen (in Berlin allerdings vergleichsweise selten) und auch bei liturgisch ansonsten sehr korrekten Zelebranten erlebt. Als jedoch zwischen zweiter (also einziger) Lesung und Evangelium das Lied "Ich steh an deiner Krippen hier" gesungen wurde, konnte ich mich der Frage Was soll das? nicht erwehren. Nichts gegen das Lied an sich, aber bietet die Liturgie den Nordenhamern etwa zu wenig Platz für Lieder, dass man partout eines an einer Stelle unterbringen musste, wo keins hingehört?
Erst recht glaubte ich meinen Ohren nicht zu trauen, als Pfarrer Jortzick das Evangelium vortrug - Johannes 1,1-18, oder, wenn man ehrlich ist: ungefähr Johannes 1,1-18. Der Pfarrer verfuhr nämlich, wie ich mich mit Hilfe des Schott überzeugen konnte, stellenweise recht frei mit dem Wortlaut der Heiligen Schrift, formulierte Sätze aus dem Stegreif um oder fügte Halbsätze hinzu. Man kann nicht sagen - beziehungsweise: ich konnte, als Nicht-Experte, nicht feststellen - dass er die Aussage des Texts damit tendenziös verändert, gar verfälscht hätte; seine Umformulierungen und Einfügungen sollten offenkundig vielmehr dazu dienen, die anspruchsvolle Johannes-Perikope den Hörern verständlicher zu machen. Nachvollziehbare Absicht, aber ich würde denn doch dafür plädieren, das Schriftwort und seine Auslegung deutlich auseinanderzuhalten. Für die Auslegung ist schließlich eigentlich die Predigt da. Vielleicht hätte der Pfarrer sich seine Eingriffe in den Text somit recht gut sparen können, wenn er denn über dieses Evangelium gepredigt hätte. Das war nicht der Fall. Stattdessen zeichnete sich die Predigt anfänglich dadurch aus, eine Vielzahl von Gedanken anzureißen und keinen davon konsequent zu Ende zu führen. Nach einer Weile kriegte Pfarrer Jortzick dann die Kurve und predigte recht schön und eindrucksvoll über die Kraft des Glaubens und das Leben aus dem Glauben. Den Satz "Dein Glaube hat dir geholfen", den Jesus in den Evangelien wiederholt an Menschen richtet, die er geheilt hat, zitierte der Pfarrer mehrfach, er bildete auch das Schlusswort der Predigt. Umso unverständlicher, dass anschließend das Credo weggelassen wurde...!
In den Fürbitten, genauer gesagt gleich in der ersten, wurde die vieldiskutierte Ansprache Papst Franziskus' beim Weihnachtsempfang der Römischen Kurie aufgegriffen: Gebetet wurde "für alle Mitglieder der Kirchenleitung, die an einer der vom Papst genannten fünfzehn Krankheiten leiden". Fein, dachte ich, für die Kurie beten ist sicher eine gute Sache. Noch besser hätte es mir allerdings gefallen, wenn zumindest in Erwägung gezogen worden wäre, dass auch außerhalb der "Kirchenleitung" Menschen an diesen fünfzehn Krankheiten leiden und darum des Gebetes bedürftig sein könnten. Womöglich sogar auch Laien, und vielleicht sogar, horribile dictu, hier in St. Willehad!
Im weiteren Verlauf der Messe zeichnete sich immer deutlicher ab, dass die liturgísche Mängelliste im Vergleich zum Vorjahr nicht wesentlich kürzer werden würde. Das Vaterunser wurde ohne Embolismus "durchgebetet". (Zur Beantwortung der ja immerhin denkbaren Frage Na und? verweise ich auf diesen Artikel von Kollegin Elsa.) Der Friedensgruß uferte in einem solchen Maße aus, dass man annehmen muss, das Rundschreiben der Gottesdienstkongregation vom letzten Sommer, demzufolge der Friedensgruß möglichst "nüchtern" gestaltet werden solle, um nicht von der Eucharistie abzulenken, sei hier wohl nicht angekommen. Obendrein wurde das Agnus Dei weggelassen und durch das Lied "In dulci jubilo" ersetzt. Schönes Lied, zweifellos, aber nicht an dieser Stelle! - Die Pointe all dieser liturgischen Unregelmäßigkeiten bestand schließlich darin, dass der Organist, nachdem die Messe etwa eineinhalb Stunden lang gedauert hatte, bereits das Schlusslied anstimmte, obwohl noch gar kein Entlassungssegen gespendet worden war. Er bemerkte seinen Irrtum allerdings recht schnell und brach das Orgelvorspiel ab. "Ich wollte eigentlich auch noch was sagen", kommentierte der Pfarrer lächelnd.
Leider war nach der Messe keine Gelegenheit, mit dem Pfarrer mehr Worte als einen kurzen Gruß zu wechseln; denn ich hätte ihn eigentlich gern Verschiedenes gefragt. Zum Beispiel, was er eigentlich gemeint hatte, als er in der etwas wirren ersten Hälfte seiner Predigt auch die Liturgie angesprochen und sie als eine "Inszenierung" bezeichnet hatte. Als studierter Theaterwissenschaftler hätte ich mich durchaus in der Lage gefühlt, eine fundierte Diskussion über das Verhältnis von Mimesis und Ritual zu führen, möchte aber hoffen, dass ich letztlich mit Pfarrer Jortzick Einigkeit darüber erzielt hätte, dass der eigentliche Sinn und Zweck der Liturgie nicht in einem irgendwie ästhetischen "Schauwert" liegt, sondern darin, das Heilige Messopfer gültig, würdig und in Einheit mit der ganzen Kirche zu feiern. Da ich weiterhin nicht glaube, dass ein studierter Theologe Nachhilfe in Altgriechisch benötigt, möchte ich annehmen, dass Pfarrer Jortzick weiß, dass Liturgie, im Kontext der Begriffsgeschichte betrachtet, "Pflicht" bedeutet. Was zusätzlich zu den liturgischen Texten noch so im Gottesdienst gesagt und gesungen wird, ist also so zu sagen die "Kür", aber man muss kein Eiskunstläufer sein, um zu wissen, dass keine noch so gelungene Kür etwas nützt, wenn die Pflicht nicht erfüllt wurde.
Dass die liturgische Mängelliste dieser Weihnachtsmesse alles in allem ähnlich umfangreich war wie diejenige der von Pfarrer B. zelebrierten im Vorjahr, überrascht bei einem Pfarrer, der sich selbst, "gerade was den Gottesdienst betrifft", als "gerne, geradezu heftig katholisch" bezeichnet und es als einen Vorzug der katholischen Liturgie hervorhebt, dass "die Formen dort immer gleich sind" (alle Zitate von hier). Was noch mehr überrascht, ist, dass es zu einem großen Teil genau dieselben liturgischen Verstöße waren wir bei seinem Vorgänger. Vielleicht bin ich einfach zu wenig in Diasporagemeinden außerhalb Berlins unterwegs (denn Großstadt-Diaspora - das wurde mir unlängst gesagt, und ich glaube, dass das stimmt - ist im Vergleich zur ländlichen Diaspora ein Luxusproblem), um beurteilen zu können, ob das womöglich landauf, landab so "üblich" ist, aber mir kam es tatsächlich so vor, als habe sich in Pfarrer B.'s langer Amtszeit so etwas wie ein eigenständiger Nordenhamer Ritus etabliert, an den sich nun auch "der Neue" halten müsse. An dieser Beobachtung könnte etwas Wahres dran sein, wenn man unterstellt, dass es in St. Willehad eine Art "Liturgiekreis" engagierter Laien gebe, der an der Gestaltung der Gottesdienste mitwirkt und darauf besteht, dass bestimmte Dinge so gemacht werden, wie sie (aus ihrer Sicht) "schon immer" gemacht wurden. Vorstellen könnte ich mir das.
Jedenfalls ging ich am darauffolgenden Sonntag, dem Fest der Heiligen Familie, erneut in St. Willehad in die Messe. Credo und Agnus Dei waren diesmal am ihnen gebührenden Platz, erste Lesung, Antwortpsalm und Embolismus fielen hingegen erneut aus, vor dem Evangelium wurde wieder überflüssigerweise ein Lied gesungen und der Friedensgruß artete erneut zu einem mittelgroßen Betriebsfest aus. Auffälliger fand ich diesmal jedoch etwas Anderes. Die zweite (also einzige) Lesung - Kolosser 3,12-17 - wurde vom Pfarrer als "eindrucksvoll" bezeichnet, aber ich zumindest hätte sie noch ein gutes Stück eindrucksvoller gefunden, wenn, wie im Messbuch eigentlich vorgesehen, auch noch die Verse 18-21 gelesen worden wären, welche da lauten:
Die Predigt ließ bei mir erneut den Wunsch aufkommen, der Pfarrer möge sich mal für die abgefahrene Idee erwärmen, über das Evangelium (oder gegebenenfalls eine der Lesungen) des Tages zu predigen. Aber nö, anlässlich des Fests der Heiligen Familie sprach er über die Synode zur Familienpastoral. Eine Positionierung zu den strittigen Themen der Synode - ich rechnete bereits mit einer, die mir nicht gefallen würde -, unterblieb jedoch, und zum Ende hin faserte die Predigt dann irgendwie aus.
Wenn ich einen gemeinsamen Nenner der genannten Auffälligkeiten bezüglich Lesung, Evangelium und Predigt benennen sollte, dann wäre es der, dass ängstlich alles vermieden wurde, was irgendwie Anstoß erregen könnte. Wer mich kennt, weiß, was ich von einer solchen Strategie halte, aber ich komme in Kürze auch noch darauf zurück. Zuvor muss ich aber noch auf die Kommunion eingehen: Pfarrer Jortzick bat zwei ältere Damen aus der Gemeinde an den Altar, die die Kommunion austeilen sollten - und er selbst blieb hinter dem Altar. -- Der Einsatz von so genannten Kommunionhelferinnen (meist sind es ja Frauen) ist in deutschen Landen zweifellos weit verbreitet, aber mal ehrlich, in den allermeisten Fällen ist er überflüssig und ein Ärgernis. Zulässig ist er eigentlich nur in eng definierten Ausnahmefällen (vgl. die Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester, Artikel 8, § 2). Dass aber der Priester seine Funktion als ordentlicher Kommunionspender komplett an zwei außerordentliche Kommunionspender(innen) abgibt, das geht gar nicht. Das ist einfach falsch.
(Folglich ging ich nicht zur Kommunion.)
Noch gesteigert wurde das Ärgernis dadurch, dass die Kommunionhelferinnen selbst, ebenso wie die Messdiener, die Kommunion eben doch vom Priester empfingen, und zwar, mit Ausnahme der Minderjährigen unter den Messdienern, "unter beiderlei Gestalt", also als Brot und Wein. Zu der Praxis bzw. Unsitte, einzelne "Erzlaien" im Unterschied zur übrigen Gemeinde zur Kelchkommunion zuzulassen, hat sich unlängst schon der Kollege Geistbraus geäußert, und ich brauche seine Argumente hier wohl nicht des Breiteren zu wiederholen. Nur soviel: Diese "Kommunion unter anderthalberlei Gestalt" schafft eine falsche Hierarchie und fördert die Eitelkeit der "Erzlaien", denen damit eine herausgehobene Stellung innerhalb der Gemeinde suggeriert wird, die sie wohl auch tatsächlich gerne hätten oder zu haben glauben. Das ist schädlich, das ist verwirrend, das ist einfach falsch. (Ich weiß, ich wiederhole mich. Das ist ein Stilmittel. Gerngeschehen.)
Alles in allem fallen zwei Charakteristika ins Auge: eine betont "niederschwellige" Verkündigung, die lieber auf Wohlfühlprosa setzt, als den Gemeindemitgliedern etwas zuzumuten, das sie in ihrem So-Sein womöglich in Frage stellen könnte; und eine ungesunde Überbetonung der Rolle einer Clique von "engagierten Laien". Und mir scheint, beides hängt eng miteinander zusammen. Das ist, frei heraus gesagt, ganz und gar nicht das, was ich mir von einem neuen Pfarrer für St. Willehad erhofft hätte. Dennoch mag ich meinen spontanen Ersteindruck, Pfarrer Jortzick sei "ein Guter", noch nicht widerrufen. Er ist ein erfahrener Seelsorger, erfahren insbesondere auch in den spezifischen Erfordernissen und Herausforderungen der Diaspora; gehen wir also einmal davon aus, dass er weiß, was er tut. Möglicherweise ist es einfach eine realistischen Kalkulation, dass er für seine Arbeit in dieser großen, räumlich weit zerstreuten Pfarrei ganz einfach auf die Mitarbeit der alteingesessenen "engagierten Laien" angewiesen ist und es sich daher schlicht nicht leisten kann, sie in irgendeiner Weise vor den Kopf zu stoßen. Ich weiß zwar nicht, wie man es auf diese Weise verhindern können soll, dass die Clique der "Erzlaien" sich selbst für "die Kirche" und den Pfarrer für ihren Angestellten hält; aber vielleicht weiß er es ja.
Nun könnte man natürlich meinen, mir könne es doch egal sein, wo ich doch kaum mehr als ein paar Tage im Jahr vor Ort bin und in Berlin im direkten Vergleich doch erheblich erfreulichere kirchliche Verhältnisse vorfinde. Es ist mir aber nicht egal. Einerseits, weil mir die Zukunft der Katholischen Kirche in meiner Heimatstadt, einem "Außenposten des Katholizismus" gewissermaßen, einfach am Herzen liegt; andererseits aber auch, weil ich glaube, dass die beschriebenen Phänomene im Kern nicht Nordenham-spezifisch sind, sondern symptomatisch für ein Problem, an dem die Katholische Kirche in Deutschland insgesamt krankt. In einem persönlichen Gespräch kleidete Bloggerkollege Tiberius dieses Problem einmal in das starke Bild: "Wenn von zehn Zähnen, die man hat, neun wackeln, dann tischt man eben kein Schwarzbrot auf." - Eine Kirche, die in erster Linie auf "Bestandskundenpflege" setzt und darum die Selbstzufriedenheit und die Eitelkeiten kleiner Gruppen von "Erzlaien" päppelt, verfehlt jedoch ihren göttlichen Auftrag und kann keine missionarische Kraft entfalten. - Man hört heute oft, die Kirche müsse auf die Menschen zugehen, um sie erreichen zu können. Die Richtigkeit dieser Aussage ist ohne Zweifel stark davon abhängig, was man unter diesem Auf-die-Menschen-Zugehen versteht. Denn zum Einen halte ich es für einen Irrtum, anzunehmen, die Kirche würde dadurch attraktiver, dass sie es den Menschen möglichst einfach macht und ihnen möglichst wenig zumutet; und zum Anderen - und vor Allem - ist es eben der Auftrag der Kirche, nicht das zu verkündigen, was die Menschen gern hören wollen, sondern Jesus Christus zu verkündigen. Und der ist nun einmal, wie schon der greise Simeon im Evangelium des vergangenen Sonntags voraussah, "ein Zeichen, dem widersprochen wird".
Pfarrer Torsten Jortzick jedenfalls - der diesen Satz, anders als gewisse andere Sätze, nicht nur nicht unterschlug, sondern sogar mit auffallendem Nachdruck aussprach - wünsche ich für seine Arbeit in St. Willehad von ganzem Herzen viel Glück und Gottes Segen.
Am frühen Abend betete ich für mich allein die Vesper, ehe ich zum Weihnachtsessen mit der Familie und zur anschließenden Bescherung aufbrach, die so ziemlich den Rest des Heiligabends einnahm. Am 1. Weihnachtstag war dann um 10:30 Uhr Messe in St. Willehad, und ich war gespannt darauf, Pfarrer Jortzick erstmals am Altar zu erleben. Nun, eins sei gleich vorausgeschickt: Hatte ich eine 180-Grad-Wendung gegenüber dem Stil seines Vorgängers erwartet, so wurde ich allerdings enttäuscht.
Dass die erste Lesung und damit auch der Antwortpsalm wegfiel, fand ich zwar betrüblich, aber es überraschte mich nicht unbedingt. Das habe ich schon in vielen Kirchen (in Berlin allerdings vergleichsweise selten) und auch bei liturgisch ansonsten sehr korrekten Zelebranten erlebt. Als jedoch zwischen zweiter (also einziger) Lesung und Evangelium das Lied "Ich steh an deiner Krippen hier" gesungen wurde, konnte ich mich der Frage Was soll das? nicht erwehren. Nichts gegen das Lied an sich, aber bietet die Liturgie den Nordenhamern etwa zu wenig Platz für Lieder, dass man partout eines an einer Stelle unterbringen musste, wo keins hingehört?
Erst recht glaubte ich meinen Ohren nicht zu trauen, als Pfarrer Jortzick das Evangelium vortrug - Johannes 1,1-18, oder, wenn man ehrlich ist: ungefähr Johannes 1,1-18. Der Pfarrer verfuhr nämlich, wie ich mich mit Hilfe des Schott überzeugen konnte, stellenweise recht frei mit dem Wortlaut der Heiligen Schrift, formulierte Sätze aus dem Stegreif um oder fügte Halbsätze hinzu. Man kann nicht sagen - beziehungsweise: ich konnte, als Nicht-Experte, nicht feststellen - dass er die Aussage des Texts damit tendenziös verändert, gar verfälscht hätte; seine Umformulierungen und Einfügungen sollten offenkundig vielmehr dazu dienen, die anspruchsvolle Johannes-Perikope den Hörern verständlicher zu machen. Nachvollziehbare Absicht, aber ich würde denn doch dafür plädieren, das Schriftwort und seine Auslegung deutlich auseinanderzuhalten. Für die Auslegung ist schließlich eigentlich die Predigt da. Vielleicht hätte der Pfarrer sich seine Eingriffe in den Text somit recht gut sparen können, wenn er denn über dieses Evangelium gepredigt hätte. Das war nicht der Fall. Stattdessen zeichnete sich die Predigt anfänglich dadurch aus, eine Vielzahl von Gedanken anzureißen und keinen davon konsequent zu Ende zu führen. Nach einer Weile kriegte Pfarrer Jortzick dann die Kurve und predigte recht schön und eindrucksvoll über die Kraft des Glaubens und das Leben aus dem Glauben. Den Satz "Dein Glaube hat dir geholfen", den Jesus in den Evangelien wiederholt an Menschen richtet, die er geheilt hat, zitierte der Pfarrer mehrfach, er bildete auch das Schlusswort der Predigt. Umso unverständlicher, dass anschließend das Credo weggelassen wurde...!
In den Fürbitten, genauer gesagt gleich in der ersten, wurde die vieldiskutierte Ansprache Papst Franziskus' beim Weihnachtsempfang der Römischen Kurie aufgegriffen: Gebetet wurde "für alle Mitglieder der Kirchenleitung, die an einer der vom Papst genannten fünfzehn Krankheiten leiden". Fein, dachte ich, für die Kurie beten ist sicher eine gute Sache. Noch besser hätte es mir allerdings gefallen, wenn zumindest in Erwägung gezogen worden wäre, dass auch außerhalb der "Kirchenleitung" Menschen an diesen fünfzehn Krankheiten leiden und darum des Gebetes bedürftig sein könnten. Womöglich sogar auch Laien, und vielleicht sogar, horribile dictu, hier in St. Willehad!
Im weiteren Verlauf der Messe zeichnete sich immer deutlicher ab, dass die liturgísche Mängelliste im Vergleich zum Vorjahr nicht wesentlich kürzer werden würde. Das Vaterunser wurde ohne Embolismus "durchgebetet". (Zur Beantwortung der ja immerhin denkbaren Frage Na und? verweise ich auf diesen Artikel von Kollegin Elsa.) Der Friedensgruß uferte in einem solchen Maße aus, dass man annehmen muss, das Rundschreiben der Gottesdienstkongregation vom letzten Sommer, demzufolge der Friedensgruß möglichst "nüchtern" gestaltet werden solle, um nicht von der Eucharistie abzulenken, sei hier wohl nicht angekommen. Obendrein wurde das Agnus Dei weggelassen und durch das Lied "In dulci jubilo" ersetzt. Schönes Lied, zweifellos, aber nicht an dieser Stelle! - Die Pointe all dieser liturgischen Unregelmäßigkeiten bestand schließlich darin, dass der Organist, nachdem die Messe etwa eineinhalb Stunden lang gedauert hatte, bereits das Schlusslied anstimmte, obwohl noch gar kein Entlassungssegen gespendet worden war. Er bemerkte seinen Irrtum allerdings recht schnell und brach das Orgelvorspiel ab. "Ich wollte eigentlich auch noch was sagen", kommentierte der Pfarrer lächelnd.
Leider war nach der Messe keine Gelegenheit, mit dem Pfarrer mehr Worte als einen kurzen Gruß zu wechseln; denn ich hätte ihn eigentlich gern Verschiedenes gefragt. Zum Beispiel, was er eigentlich gemeint hatte, als er in der etwas wirren ersten Hälfte seiner Predigt auch die Liturgie angesprochen und sie als eine "Inszenierung" bezeichnet hatte. Als studierter Theaterwissenschaftler hätte ich mich durchaus in der Lage gefühlt, eine fundierte Diskussion über das Verhältnis von Mimesis und Ritual zu führen, möchte aber hoffen, dass ich letztlich mit Pfarrer Jortzick Einigkeit darüber erzielt hätte, dass der eigentliche Sinn und Zweck der Liturgie nicht in einem irgendwie ästhetischen "Schauwert" liegt, sondern darin, das Heilige Messopfer gültig, würdig und in Einheit mit der ganzen Kirche zu feiern. Da ich weiterhin nicht glaube, dass ein studierter Theologe Nachhilfe in Altgriechisch benötigt, möchte ich annehmen, dass Pfarrer Jortzick weiß, dass Liturgie, im Kontext der Begriffsgeschichte betrachtet, "Pflicht" bedeutet. Was zusätzlich zu den liturgischen Texten noch so im Gottesdienst gesagt und gesungen wird, ist also so zu sagen die "Kür", aber man muss kein Eiskunstläufer sein, um zu wissen, dass keine noch so gelungene Kür etwas nützt, wenn die Pflicht nicht erfüllt wurde.
Dass die liturgische Mängelliste dieser Weihnachtsmesse alles in allem ähnlich umfangreich war wie diejenige der von Pfarrer B. zelebrierten im Vorjahr, überrascht bei einem Pfarrer, der sich selbst, "gerade was den Gottesdienst betrifft", als "gerne, geradezu heftig katholisch" bezeichnet und es als einen Vorzug der katholischen Liturgie hervorhebt, dass "die Formen dort immer gleich sind" (alle Zitate von hier). Was noch mehr überrascht, ist, dass es zu einem großen Teil genau dieselben liturgischen Verstöße waren wir bei seinem Vorgänger. Vielleicht bin ich einfach zu wenig in Diasporagemeinden außerhalb Berlins unterwegs (denn Großstadt-Diaspora - das wurde mir unlängst gesagt, und ich glaube, dass das stimmt - ist im Vergleich zur ländlichen Diaspora ein Luxusproblem), um beurteilen zu können, ob das womöglich landauf, landab so "üblich" ist, aber mir kam es tatsächlich so vor, als habe sich in Pfarrer B.'s langer Amtszeit so etwas wie ein eigenständiger Nordenhamer Ritus etabliert, an den sich nun auch "der Neue" halten müsse. An dieser Beobachtung könnte etwas Wahres dran sein, wenn man unterstellt, dass es in St. Willehad eine Art "Liturgiekreis" engagierter Laien gebe, der an der Gestaltung der Gottesdienste mitwirkt und darauf besteht, dass bestimmte Dinge so gemacht werden, wie sie (aus ihrer Sicht) "schon immer" gemacht wurden. Vorstellen könnte ich mir das.
Jedenfalls ging ich am darauffolgenden Sonntag, dem Fest der Heiligen Familie, erneut in St. Willehad in die Messe. Credo und Agnus Dei waren diesmal am ihnen gebührenden Platz, erste Lesung, Antwortpsalm und Embolismus fielen hingegen erneut aus, vor dem Evangelium wurde wieder überflüssigerweise ein Lied gesungen und der Friedensgruß artete erneut zu einem mittelgroßen Betriebsfest aus. Auffälliger fand ich diesmal jedoch etwas Anderes. Die zweite (also einzige) Lesung - Kolosser 3,12-17 - wurde vom Pfarrer als "eindrucksvoll" bezeichnet, aber ich zumindest hätte sie noch ein gutes Stück eindrucksvoller gefunden, wenn, wie im Messbuch eigentlich vorgesehen, auch noch die Verse 18-21 gelesen worden wären, welche da lauten:
"Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt. Ihr Männer, liebt eure Frauen, und seid nicht aufgebracht gegen sie! Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem; denn so ist es gut und recht im Herrn. Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden!"Das Evangelium des Tages wurde weder in der vollständigen Fassung (Lukas 2,22-40) noch in der laut Schott ebenfalls zulässigen Kurzfassung (ohne Vers 23-38) vorgetragen, sondern es gab eine Art Zwischenlösung: Der Lobgesang des Simeon, Freunden des Stundengebets auch als Nunc dimittis bekannt, blieb drin, die Prophetin Hanna hingegen wurde weggelassen. Allerdings ersetzte Pfarrer Jortzick das (auch bei der #Twomplet des Öfteren bemängelte) Wort "Heiden" in Vers 32 durch "Menschen" und ließ auch den an Maria gerichteten Halbvers "Dir selber aber wird ein Schwert durch die Seele dringen" (V. 35b) weg.
Die Predigt ließ bei mir erneut den Wunsch aufkommen, der Pfarrer möge sich mal für die abgefahrene Idee erwärmen, über das Evangelium (oder gegebenenfalls eine der Lesungen) des Tages zu predigen. Aber nö, anlässlich des Fests der Heiligen Familie sprach er über die Synode zur Familienpastoral. Eine Positionierung zu den strittigen Themen der Synode - ich rechnete bereits mit einer, die mir nicht gefallen würde -, unterblieb jedoch, und zum Ende hin faserte die Predigt dann irgendwie aus.
Wenn ich einen gemeinsamen Nenner der genannten Auffälligkeiten bezüglich Lesung, Evangelium und Predigt benennen sollte, dann wäre es der, dass ängstlich alles vermieden wurde, was irgendwie Anstoß erregen könnte. Wer mich kennt, weiß, was ich von einer solchen Strategie halte, aber ich komme in Kürze auch noch darauf zurück. Zuvor muss ich aber noch auf die Kommunion eingehen: Pfarrer Jortzick bat zwei ältere Damen aus der Gemeinde an den Altar, die die Kommunion austeilen sollten - und er selbst blieb hinter dem Altar. -- Der Einsatz von so genannten Kommunionhelferinnen (meist sind es ja Frauen) ist in deutschen Landen zweifellos weit verbreitet, aber mal ehrlich, in den allermeisten Fällen ist er überflüssig und ein Ärgernis. Zulässig ist er eigentlich nur in eng definierten Ausnahmefällen (vgl. die Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester, Artikel 8, § 2). Dass aber der Priester seine Funktion als ordentlicher Kommunionspender komplett an zwei außerordentliche Kommunionspender(innen) abgibt, das geht gar nicht. Das ist einfach falsch.
(Folglich ging ich nicht zur Kommunion.)
Noch gesteigert wurde das Ärgernis dadurch, dass die Kommunionhelferinnen selbst, ebenso wie die Messdiener, die Kommunion eben doch vom Priester empfingen, und zwar, mit Ausnahme der Minderjährigen unter den Messdienern, "unter beiderlei Gestalt", also als Brot und Wein. Zu der Praxis bzw. Unsitte, einzelne "Erzlaien" im Unterschied zur übrigen Gemeinde zur Kelchkommunion zuzulassen, hat sich unlängst schon der Kollege Geistbraus geäußert, und ich brauche seine Argumente hier wohl nicht des Breiteren zu wiederholen. Nur soviel: Diese "Kommunion unter anderthalberlei Gestalt" schafft eine falsche Hierarchie und fördert die Eitelkeit der "Erzlaien", denen damit eine herausgehobene Stellung innerhalb der Gemeinde suggeriert wird, die sie wohl auch tatsächlich gerne hätten oder zu haben glauben. Das ist schädlich, das ist verwirrend, das ist einfach falsch. (Ich weiß, ich wiederhole mich. Das ist ein Stilmittel. Gerngeschehen.)
Alles in allem fallen zwei Charakteristika ins Auge: eine betont "niederschwellige" Verkündigung, die lieber auf Wohlfühlprosa setzt, als den Gemeindemitgliedern etwas zuzumuten, das sie in ihrem So-Sein womöglich in Frage stellen könnte; und eine ungesunde Überbetonung der Rolle einer Clique von "engagierten Laien". Und mir scheint, beides hängt eng miteinander zusammen. Das ist, frei heraus gesagt, ganz und gar nicht das, was ich mir von einem neuen Pfarrer für St. Willehad erhofft hätte. Dennoch mag ich meinen spontanen Ersteindruck, Pfarrer Jortzick sei "ein Guter", noch nicht widerrufen. Er ist ein erfahrener Seelsorger, erfahren insbesondere auch in den spezifischen Erfordernissen und Herausforderungen der Diaspora; gehen wir also einmal davon aus, dass er weiß, was er tut. Möglicherweise ist es einfach eine realistischen Kalkulation, dass er für seine Arbeit in dieser großen, räumlich weit zerstreuten Pfarrei ganz einfach auf die Mitarbeit der alteingesessenen "engagierten Laien" angewiesen ist und es sich daher schlicht nicht leisten kann, sie in irgendeiner Weise vor den Kopf zu stoßen. Ich weiß zwar nicht, wie man es auf diese Weise verhindern können soll, dass die Clique der "Erzlaien" sich selbst für "die Kirche" und den Pfarrer für ihren Angestellten hält; aber vielleicht weiß er es ja.
Nun könnte man natürlich meinen, mir könne es doch egal sein, wo ich doch kaum mehr als ein paar Tage im Jahr vor Ort bin und in Berlin im direkten Vergleich doch erheblich erfreulichere kirchliche Verhältnisse vorfinde. Es ist mir aber nicht egal. Einerseits, weil mir die Zukunft der Katholischen Kirche in meiner Heimatstadt, einem "Außenposten des Katholizismus" gewissermaßen, einfach am Herzen liegt; andererseits aber auch, weil ich glaube, dass die beschriebenen Phänomene im Kern nicht Nordenham-spezifisch sind, sondern symptomatisch für ein Problem, an dem die Katholische Kirche in Deutschland insgesamt krankt. In einem persönlichen Gespräch kleidete Bloggerkollege Tiberius dieses Problem einmal in das starke Bild: "Wenn von zehn Zähnen, die man hat, neun wackeln, dann tischt man eben kein Schwarzbrot auf." - Eine Kirche, die in erster Linie auf "Bestandskundenpflege" setzt und darum die Selbstzufriedenheit und die Eitelkeiten kleiner Gruppen von "Erzlaien" päppelt, verfehlt jedoch ihren göttlichen Auftrag und kann keine missionarische Kraft entfalten. - Man hört heute oft, die Kirche müsse auf die Menschen zugehen, um sie erreichen zu können. Die Richtigkeit dieser Aussage ist ohne Zweifel stark davon abhängig, was man unter diesem Auf-die-Menschen-Zugehen versteht. Denn zum Einen halte ich es für einen Irrtum, anzunehmen, die Kirche würde dadurch attraktiver, dass sie es den Menschen möglichst einfach macht und ihnen möglichst wenig zumutet; und zum Anderen - und vor Allem - ist es eben der Auftrag der Kirche, nicht das zu verkündigen, was die Menschen gern hören wollen, sondern Jesus Christus zu verkündigen. Und der ist nun einmal, wie schon der greise Simeon im Evangelium des vergangenen Sonntags voraussah, "ein Zeichen, dem widersprochen wird".
Pfarrer Torsten Jortzick jedenfalls - der diesen Satz, anders als gewisse andere Sätze, nicht nur nicht unterschlug, sondern sogar mit auffallendem Nachdruck aussprach - wünsche ich für seine Arbeit in St. Willehad von ganzem Herzen viel Glück und Gottes Segen.