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Mittwoch, 22. Mai 2013

"Glauben ist ja kein Zwang in der CDU, aber immer noch weit verbreitet"

Manch einer kennt wohl das Gefühl, sich unversehens an einem Ort und in einer Situation wiederzufinden, die bzw. den man "normalerweise" niemals freiwillig aufgesucht haben würde - und sich zu fragen: Was tue ich hier? Warum bin ich hierhergekommen? Erstaunlich oft lautet die Antwort auf diese Fragen: Na ja, ich dachte halt, es gäb' Freibier. Gibt aber keins. Und dann guckt man doof.

Andererseits: So ist das Leben nun mal, und wo käme man denn hin, wenn man immer nur das täte, was man "normalerweise" tut? Man muss auch mal was riskieren, was Verrücktes tun. Zu einer Veranstaltung der CDU Alt-Pankow gehen, zum Beispiel.

Sympathien für die CDU kann mir eigentlich keiner nachsagen, jedenfalls nicht, seit ich vor mittlerweile fast 20 Jahren aus der Jungen Union ausgetreten bin. Im Grunde aber auch schon vorher nicht. Mein Vater war mal so zu sagen Linksaußen bei der CDU meines Heimat-Landkreises, und eine Zeit lang dachte ich, diese Position könnte ich auch einnehmen. Aber ich konnte mich einfach nicht mit dem "Wirtschaftsflügel" arrangieren (der, das sollte man erwähnen, in meiner Heimatregion größtenteils ein Land-Wirtschaftsflügel war; vgl. die lokale Redensart "Hast du eine Kuh, dann bist du in der CDU"). Bei der ersten JU-Kreisverbandssitzung, an der ich teilnahm, wurde es als "sozialistisch" kritisiert, dass Autofahrer über die Kfz-Steuer zur Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs beitragen müssen, den sie doch gar nicht nutzen. Okay, sagte ich mir, dann bin ich wohl Sozialist.

Meine waghalsige Idee eines Langen Marsches durch die JU-Institutionen scheiterte letzten Endes an der Erkenntnis, dass Meinungsbildung in Parteien und deren Jugendverbänden nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten geschieht. Und davon abgesehen hatte ich nach ein paar Jahren auch einfach die Faxen dicke. Geblieben ist mir aus dieser Zeit eine tief sitzende Abneigung gegen streng gescheitelte Twentysomethings in Anzügen mit schwarz-rot-goldenen Anstecknadeln am Revers sowie gegen die pseudo-joviale "Wir sind ja unter uns, da kann man sowas ja sagen"-Pose, mit der bei geschlossenen Veranstaltungen gern zu populistischen Pöbeleien über Migranten, Arbeitslose, Homosexuelle, Frauen oder die Vertreter anderer Parteien (und deren Wähler) geblasen wird.

Folgerichtig hielt sich meine Begeisterung eher in Grenzen, als ich eine Einladung zu einer Veranstaltung des CDU-Ortsverbands Alt-Pankow erhielt. - Na gut: Im Zeitalter von Facebook wird man ja ständig zu irgendwas eingeladen, und das Meiste davon ignoriert man einfach. Das war in diesem Fall jedoch nicht so leicht: Der Berliner Landesvorsitzende der "Christdemokraten für das Leben" (CDL), Stefan Friedrich, den ich im Zusammenhang mit meinem bescheidenen Einsatz für den Lebensschutz kennen gelernt habe, schien einen gewissen Wert auf meine Anwesenheit zu legen und köderte mich mit dem Hinweis, ich könne ja darüber bloggen. Was ich nun ja auch tue.

Es handelte sich um einen Vortrag des scheidenden Bundestagsabgeordneten Norbert Geis (CSU) unter dem Titel "Meine Bilanz nach 45 Jahren Politik"; in der Ankündigung der CDU Alt-Pankow wurde Geis als "erfahrener und erfolgreicher Haudegen [!]", "politisches Urgestein" und "echte[r] Leitstern[]" gewürdigt; dieses Vokabular stimmte mich einigermaßen misstrauisch, und als ich um der Kontrastwirkung willen die Wikipedia bemühte, war ich nicht überrascht, Geis dort als stramm rechten Knochen portraitiert zu finden. Na gut: Wenn die gern eher linksgerichtete alte Tante Wiki so etwas sagt, muss das nicht unbedingt viel heißen. Dennoch, ich war skeptisch - umso mehr, als wenige Tage vor der Veranstaltung angekündigt wurde, der Neuköllner CDU-Bezirksvorsitzende Michael Büge, der kurz zuvor wegen seiner Mitgliedschaft in der Studentenverbindung Gothia als Staatssekretär für Soziales entlassen worden war, werde quasi als Ehrengast mit von der Partie sein. Mehr und mehr verfestigte sich bei mir der Eindruck, es mit einer Protestveranstaltung des rechten CDU-Flügels gegen den großkoalitionären Schmusekurs der eigenen Partei zu tun zu haben. Dass das Ganze im rustikalen Landhaus Pankow stattfinden sollte, das mit seiner "Deutschen Küche" wirbt, passte da irgendwie ins Bild.

(Nicht dass ich etwas gegen deutsche Küche hätte. Ich mag Kartoffeln, dochdoch. Über die Qualität der Speisen im Landhaus Pankow kann ich allerdings nichts sagen - ich aß dort nichts, denn ich hatte mir bereits unterwegs einen Döner einverleibt.)

Zunächst einmal schien denn auch alles meine Befürchtungen zu bestätigen. Noch vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung (der sich erheblich verzögerte, da MdB Geis noch an einer Abstimmung im Bundestag teilnehmen musste - dem Vernehmen nach ging es um die Verlängerung des Bundeswehr-Mandats für die Operation Atalanta am Horn von Afrika) bekam ich mit, dass der Ortsverband Alt-Pankow - offenbar unter der Ägide des ausgesprochen jung-dynamischen stellvertretenden Vorsitzenden Patrick Albertsmeyer - bestrebt ist, sich als Speerspitze des Konservatismus innerhalb der Berliner CDU zu profilieren und zu diesem Zweck auch darauf setzt, Mitglieder anderer Ortsverbände abzuwerben. Und mit Freibier sah's auch schlecht aus. Ich geriet an einen Tisch mit durchaus sympathisch wirkenden jungen Leuten, darunter ein erfreulich un-CDU-mäßig aussehender Chemiestudent (der, wie ich im Gespräch erfuhr, tatsächlich nicht Parteimitglied ist) und eine in der Frauen-Union aktive Studentin der Agrarwissenschaft; wenig später gesellte sich auch Albertsmeyers Freundin dazu. Der Chemiker und die Agrarwissenschaftlerin fanden, wie man sich leicht vorstellen kann, bald gemeinsamen Gesprächsstoff; als er die Bedeutung seines Faches für das Ihre betonte und erklärte, natürlich gebe es auch ökologische Düngemittel, aber diese seien "nun mal weniger ertragreich", räumte sie das ein, und ich dachte: Ach du Scheiße. Ich bin wieder bei den jung-dynamischen Jungbauern im Landkreis Wesermarsch. Na ja, aber sonst waren sie eigentlich wirklich nett. Trotzdem musste ich, ehe der Hauptredner des Abends eintraf, mehrmals den Drang in mir niederkämpfen, mich heimlich zu verdrücken und ins nahe Yesterday zu flüchten.

Meine Motivation, im Landhaus Pankow auszuharren, erhielt jedoch beträchtlichen Schub, als Stefan Friedrich, der mich ja eingeladen hatte, auf mich zukam und mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, einen Artikel über die Veranstaltung zu schreiben, den man dann evtl. bei kath.net unterbringen könne. Ich fackelte nicht lange, sondern sagte zu - wenngleich mir die Frage ein wenig zu schaffen machte, was ich da denn wohl schreiben könnte und sollte, wenn sich die Veranstaltung als (für mein Empfinden) so schauderhaft erweisen sollte, wie verschiedene Anzeichen es befürchten ließen. Da der betreffende Artikel inzwischen bereits erschienen ist, brauche ich wohl nur darauf zu verweisen, um zu demonstrieren, dass solche Bedenken sich als unnötig erwiesen haben. Für den kath.net-Artikel konnte ich mich ja weitgehend darauf beschränken, Norbert Geis' Äußerungen zu Themen wie Lebensschutz und Familienpolitik zu referieren, und an diesen hatte ich, abgesehen von einigen für meinen Geschmack etwas allzu nationalistischen und biologistischen Zungenschlägen (dazu weiter unten Genaueres), tatsächlich wenig auszusetzen. Auch insgesamt machten sowohl MdB Geis als auch der oben erwähnte Ehrengast Michael Büge, der später zu Wort kam, einen deutlich besseren Eindruck auf mich, als ich das im Vorfeld erwartet bzw. befürchtet hatte. Wo ich dann doch noch das eine oder andere zu differenzieren und/oder kritisch anzumerken habe, kann ich das ja hier tun. Auch wenn mein Blog natürlich weniger gelesen wird als kath.net. Oder gerade deswegen.

Frei heraus gesagt, ich fühle mich in Kreisen, in denen  eine gewisse Übereinstimmung in politischen Fragen mehr oder weniger stillschweigend vorausgesetzt wird, nahezu immer entweder unwohl oder, wenn ich gerade den Schalk im Nacken habe, als Undercover-Agent. Das liegt natürlich primär an den beträchtlichen Komplikationen meiner eigenen politischen Gesinnung. Wo ich auch hinkomme: Bei den Einen missfallen mir die Inhalte, bei den Anderen der Stil, oft beides. In vielen politischen Gruppierungen kann ich mich mit dem Inhalten zum Teil, aber auch nur zum Teil, identifizieren; nur an der FDP habe ich noch überhaupt kein gutes Haar finden können. (Der Vollständigkeit halber hinzugefügt, obwohl sich das beinahe von selbst verstehen dürfte, zumindest für jene, die mich kennen oder zumindest schon mehr von mir gelesen haben: an extrem rechten Gruppierungen ebenfalls nicht.) Sollte ich meinen eigenen politischen Standpunkt auf einen Begriff bringen, fehlen mir buchstäblich die Worte. Noch vor einiger Zeit hätte ich mich vielleicht als "wertkonservativer Linker" bezeichnet, aber der Begriff scheint mir recht sperrig und missverständlich und trifft es irgendwie auch nicht richtig. "Linkssentimentaler Dunkelkatholik"? Vielleicht, mit einem Augenzwinkern. Oder einfach "christlich-sozial, aber nicht so, wie der Begriff in Bayern verstanden wird"? Hm, das hilft auch nicht viel weiter. Festzuhalten bleibt, dass ich in bestimmten Fragen (z.B. Lebensschutz und Familienpolitik, weshalb es mir nicht schwer fiel, Norbert Geis' Aussagen zu diesen Themen in meinem kath.net-Artikel positiv zu würdigen) konservativ bin, in anderen Politikfeldern (nennen wir mal die Ministerressorts: Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Verteidigung, Justiz, Umwelt) eher "links", und ich kriege es hin, beides aus meinem christlichen Glauben heraus zu begründen. Ich verabscheue Nationalismus (auch im Sport). Ich könnte noch fortfahren, aber die genannten Punkte reichen wohl bereits aus, um zu verdeutlichen, weshalb ich bei der hier in Frage stehenden CDU-Veranstaltung permanent zwischen Zustimmung und Widerspruch hin- und hergerissen war. Und, ich deutete es bereits an: Stilfragen kommen noch hinzu.

Dass der schon erwähnte Vize-Ortsverbandsvorsitzende Patrick Albertsmeyer mir nicht besonders ans Herz wachsen würde, war schon dadurch klar, dass er genau so aussah wie mein personifiziertes Feindbild aus meiner Zeit bei der Jungen Union. Er sprach auch so, nur ein bisschen schlimmer. Als er sich in seiner kurzen Begrüßungsansprache ausdrücklich auf das "preußische Motto 'Fasse dich kurz, damit man dir zuhört'" berief, dachte ich schon, ich müsse durchs Klofenster türmen. Auch dem ebenfalls schon (mehrfach) erwähnten Stefan Friedrich, der auf Facebook mit mir befreundet ist und der diesen Artikel daher vermutlich lesen wird, sobald er erscheint, kann ich es nicht ersparen, zu gestehen, dass seine Charakterisierung Norbert Geis' als "standhaft wie die deutsche Eiche" nicht nach meinem Geschmack war; und dass er im Zusammenhang mit der Entlassung Michael Büges als Staatssekretär mehrfach Parallelen zum Fall Martin Hohmann zog - "auch einer, der geopfert wurde" -, bereitete mir gleichfalls Bauchschmerzen. Dass der (im Vergleich zu seinem engagierten Vize Albertsmeyer etwas blass wirkende) Ortsverbandsvorsitzende der CDU Alt-Pankow, Conrad Felgner, Norbert Geis zum Abschied nicht einfach eine Flasche Wein sondern ausdrücklich "einen guten Tropfen aus Deutschland" überreichte - na ja, geschenkt. Zu Geis selbst ist zu sagen, dass er sich zum Teil einer ausgesprochen martialischen Rhetorik bediente, als er etwa über parteipolitische Basisarbeit sprach ("Mehrheiten müssen erkämpft werden", "Ortsverbände müssen mobilisiert werden", "Je mehr eine Partei in den Kommunen verwurzelt ist, desto besser kann sie im offenen Feld bestehen"); nun gut, das sind Redensarten, die man vielleicht nicht überbewerten sollte. Problematischer fand ich es, dass er im Zusammenhang mit der dramatisch niedrigen Geburtenquote in Deutschland von der Notwendigkeit sprach, "unser Volk zu erhalten", und den meist kinderreichen muslimischen Migrantenfamilien "unsere Deutschen" gegenüberstellte. Dass er mit "deutsch" hier nicht allein die Staatsangehörigkeit meinte, ergibt sich aus dem Kontext wohl einigermaßen zwingend.

Nun war solches ja aufgrund der Einschätzungen, die ich im Vorfeld über Norbert Geis gelesen hatte, durchaus zu erwarten gewesen. Wenn ich oben schrieb, dass er insgesamt einen besseren Eindruck auf mich gemacht hat als befürchtet, dann war das - neben meiner ziemlich weitgehenden Zustimmung zu jenen seiner Äußerungen, die ich in meinem kath.net-Artikel referiert habe - zu einem guten Teil seinem schwung- und humorvollen Vortrag zu verdanken. Als das Mikrofon nicht aufhörte, Zicken zu machen, ließ er es kurzerhand weg und war auch so noch bestens zu verstehen. Dass Geis Charisma hat, steht außer Frage; die Agrarwissenschaftlerin an meinem Tisch stellte das bereits fest, als er noch nichts anderes getan hatte als die Treppe herunter zu kommen. Auch Michael Büge war mir gar nicht unsympathisch. Dass er seinen Posten in der Senatsverwaltung verloren hat (bzw. verlieren wird; bis zum 30.06 ist er noch im Amt), weil er sich geweigert hat, aus seiner Burschenschaft auszutreten, trägt ihm ja schon mal meinen Respekt ein: So suspekt mir Burschenschaften tendenziell sind, mag ich einfach die Haltung, die Büge gezeigt hat, indem er es abgelehnt hat, angesichts eines Ultimatums seines Vorgesetzten, des Senators Mario Czaja - Austritt aus der Burschenschaft oder Entlassung! -, klein bei zu geben. Mit anderen Worten, er hat seine Überzeugung über Karriererücksichten gestellt -- oder? Leider, leider fiel es mir in der abschließenden Fragerunde nicht rechtzeitig ein, Michael Büge auf eine Insinuation des Tagesspiegels anzusprechen: dass nämlich eine Burschenschaft schließlich nicht zuletzt ein lebenslang funktionierendes Karrierenetzwerk sei, das somit unter Umständen bessere Aussichten böte als ein politisches Amt, das schließlich von wechselnden Mehrheiten abhängig sei... Aber ich gehe mal davon aus, dass er um eine Antwort nicht verlegen gewesen wäre.

Abschließend muss ich noch ein paar Worte zum Titel dieses Beitrags loswerden: es handelt sich um eine Äußerung Michael Büges, die er fallen ließ, als er mehr oder weniger en passant auf seinen christlichen Glauben zu sprechen kam. Ich fand den Satz hübsch - und noch hübscher fand ich, was die CDU Alt-Pankow schrieb, als sie meinen kath.net-Artikel auf ihrer Facebook-Seite verlinkte: "Hier wird naturgemäß der christliche Standpunkt der Rede von MdB Geis in den Mittelpunkt gestellt" - höre bzw. lese ich da eine leise Distanzierung heraus? - Recht so: Distanziert euch nur, ich tue das ja auch!!

God Gave Rock'n'Roll To You (II)

Im ersten Teil dieser kleinen Serie war u.a. von der erstaunlichen, wenn auch nicht lange vorhaltenden Bekehrung des Rock'n'Roll-Pioniers Little Richard die Rede. So skurril diese Episode anmutet, so wenig ist es doch ein Einzelfall, dass populäre Rock- und Popmusiker zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Karriere eine überraschende und vehemente Hinwendung zum Glauben vollziehen - und dann entweder dem Showbusiness den Rücken kehren oder aber ihr Talent und ihre Popularität ganz oder teilweise in den Dienst der Verkündigung stellen. Ein aus der Frühzeit des Rock'n'Roll stammendes Beispiel für letzteres Vorgehen ist jenes von Cliff Richard, der - bürgerlich Harry Rodger Webb - seinen Künstlernamen tatsächlich in Anlehnung an den vorgenannten Little Richard wählte. Nachdem er bereits mit 19 Jahren seine beiden ersten Nummer-1-Hits in Großbritannien gelandet hatte, stieß er im Alter von 23 Jahren beim Blättern in der Bibel auf die Stelle: "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und und das Abendmahl mit ihm halten" (Offb 3,20). Über den Eindruck, den dieser Vers auf ihn machte, berichtet er:
"In diesem Augenblick schlug wohl Gottes Stunde für mich [...]. Ich lag in meinem Bett und stammelte ein Gebet, das sich ungefähr so anhörte: 'Jesus, ich spüre, dass du anklopfst. Komm bitte herein und nimm mich an.' Es war ganz einfach. Da fiel kein Blitz vom Himmel. Ich hörte auch keine himmlischen Stimmen. Ich meinte es aber ernst und war bereit, die Folgen auf mich zu nehmen. Ich ließ Jesus in mein Leben eintreten. Wie bei einer Hochzeitzeremonie habe ich Jesus mein Ja gegeben. Das war mein Wendepunkt."
Damit nicht genug. Der ehemalige Bandleader von Grand Funk Railroad, Mark Farner, hatte Ende der 70er Jahre ein Bekehrungserlebnis, über das er sich auf seiner offiziellen Homepage zwar ausschweigt, das ihn aber immerhin veranlasste, zwischen 1983 und 1994 vier Christian Rock-Alben aufzunehmen; ähnlich erging es Philip Bailey von Earth, Wind & Fire, der sich ab Mitte der 80er Jahre vorübergehend der Gospelmusik zuwandte, und dem exzellenten Percussionisten Alex Acuña (ehemals Weather Report), der Anfang der 80er Jahre die christliche Jazzband Koinonia mitbegründete und zudem an diversen Produktionen christlicher (lies: evangelikaler) Musiklabels als Gastmusiker und/oder Coproduzent beteiligt war. Ein nahezu apostolisches Bekehrungserlebnis hatte "Righteous Brother" Bill Medley: Saulus von Tarsus verlor sein Augenlicht, Schmusesänger Medley die Stimme. Als er sie zurückerhielt, beschloss er, fortan zur Ehre Gottes zu singen. Das hat mir zumindest mal jemand erzählt; eine Bestätigung dafür habe ich in den Weiten des Internets nicht finden können. Nicht auszuschließen ist somit, dass es sich um eine Verwechslung handelt, gab es doch auch einen Reverend William L. "Bill" Medley, seines Zeichens Pfarrer der evangelikalen "Kirche des Nazareners" - und, wie ein Nachruf auf ihn verrät, ebenfalls ein mehr als passabler Sänger. - Keine Verwechslung liegt hingegen bei Reverend Al Green vor, auch wenn man das annehmen könnte: Wie viele Pfarrer kennt man schon, die früher mal Funk&Soul-Superstars waren und auf den Coverfotos ihrer Platten mit nacktem Oberkörper und Goldkettchen posierten? - Aber tatsächlich: Ebenselbiger Al Green, dem wir unsterbliche Songs wie Tired Of Being Alone, Let's Stay Together (beide 1971) Take Me To The River (1974) und Love And Happiness (1977) verdanken, ist seit 1976 ordentlicher Pfarrer einer Kirche mit dem schönen Namen Full Gospel Tabernacle in Memphis/Tennessee. Um ein spektakuläres Bekehrungserlebnis ist auch er nicht verlegen: 1974 übergoss ihn seine damalige Freundin, während er in der Badewanne saß, mit kochend heißer Grütze, wodurch er schwere Verbrennungen am Oberkörper erlitt, und erschoss sich anschließend mit seiner Waffe. Für ihn ein klares Signal, dass er sein Leben ändern müsse.

Nicht unerwähnt bleiben sollte freilich, dass auch andere Religionen ihre Konvertiten aus dem Bereich des Showbusiness vorzuweisen haben. Während in den späten 60ern die Beatles und andere ihr Heil (zumindest vorübergehend) in der Transzendentalen Meditation suchten und der Gruppe Fleetwood Mac um 1970 permanent die Gitarristen ausgingen, weil einer nach dem anderen in obskure Sekten eintrat oder Einsiedler wurde, traten schwarze Jazzmusiker reihenweise zum Islam über (so z.B. Ahmad Jamal bereits ca. 1952, Abdullah Ibrahim 1968 und Idris Muhammad irgendwann dazwischen); Leonard Cohen trat Mitte der 90er in ein buddhistisches Kloster ein; und von Scientology wollen wir in diesem Zusammenhang mal gar nicht erst anfangen zu reden. Und dann gibt es natürlich auch noch diejenigen, die sich irgendwann selbst für Jesus hielten - was, wie ich mal irgendwo gehört oder gelesen habe, bei einem Ex-Mitglied der Animals und dem früheren Roadmanager der Beatles, Mal Evans, der Fall gewesen sein soll; und à propos Beatles: John Lennon selbst hat, wie man in Ray Colemans Biographie über ihn (die ich gerade nicht zur Hand habe, um daraus zu zitieren) nachlesen kann, in seinen späteren Jahren ebenfalls eine erstaunliche Wendung von "Die Beatles sind populärer als Jesus" hin zu "Ich bin (wie) Jesus" vollzogen. Nicht ganz eindeutig ist der Befund bei Bono von U2.

Auffällig ist es so oder so, dass Rock- und Popmusiker eine überdurchschnittliche Neigung zu religiösen Erweckungserlebnissen zu haben. Wäre es allzu gewagt, die Hypothese aufzustellen, dass daran gerade das - wie in Teil I dieser Serie recht breit ausgeführt - von Kritikern skeptisch beäugte ekstatische Potential dieser Musik, gegebenenfalls verstärkt durch Drogenkonsum, Schlafentzug usw., einen gewissen Anteil haben könnte? Positiv formuliert könnte man argumentieren, dass diese Faktoren zu einer gewissen Offenheit bzw Empfänglichkeit für über- bzw. außersinnliche Realitäten beitragen mögen. Dass dergleichen aber auch mit erheblicher Vorsicht zu genießen ist, liegt auf der Hand - und zeigt sich ja auch überdeutlich an der häufig sehr skurrilen Ausprägung und ebenso häufig sehr begrenzten Dauer dieser Bekehrungen. Als einen besonders bizarren Fall möchte ich Sinéad O'Connor hervorheben, die in den späten 90er Jahren der Irish Orthodox Catholic and Apostolic Church beitrat, einer obskuren schismatischen Gruppierung, über die sonst nicht viel zu erfahren ist. In der schon anlässlich Little Richards Sputnik-Erlebnis zitierten SZ-Magazinbeilage "Die besten Anekdoten aus 50 Jahren Popgeschichte" stand zum Jahr 1999 zu lesen, die zeitweilig in einem kirchlichen Internat erzogene O'Connor sei im besagten Jahr von einem "Bischof" dieser Splittergruppe, Michael Cox, zur "Priesterin" geweiht worden - und zwar in Lourdes!  Cox, ein ehemaliger Hafenpolizist [!], habe sich davon versprochen, mehr Jugendliche für seine Kirche gewinnen zu können - ein interessanter Ansatz, nicht nur deshalb, weil der Karrierehöhepunkt der Sängerin zu diesem Zeitpunkt schon deutlich überschritten war. Cox' Plan ging allerdings auch aus anderen Gründen nicht auf: Schon drei Monate nach ihrer "Weihe" beklagte sich Sinéad O'Connor alias "Mother Mary Bernadette", die an der echten Katholischen Kirche schon zuvor kein gutes Haar gelassen hatte (so hatte sie 1992 bei einem Live-Fernsehauftritt demonstrativ ein Bild Papst Johannes Pauls II. zerrissen), über ihre neue Konfession: Sie äußerte sich unzufrieden mit dem Zölibat, der Ablehnung von Astrologie durch die Kirche sowie den Umstand, dass die Kirche "ihre Fähigkeit, Kontakt mit den Toten aufzunehmen", nicht anerkenne. - Ach so? Sinéad O'Connor kann mit den Toten kommunizieren? Interessant, aber ehe sie sich darüber beklagt, dass die Kirche - und sei es eine noch so obskure Spilttergruppe - das nicht so toll findet wie sie selbst, sollte sie vielleicht mal die Geschichte der Hexe von Endor (1 Sam 28) nachlesen...

Nebenbei bemerkt: Sinéad O'Connors größter Hit, die Edelschnulze Nothing Compares 2 U, wurde von keinem Geringeren als Prince (alias Prince Rogers Nelson) komponiert; dieser ist bzw. war von Haus aus eigentlich Siebenten-Tages-Adventist, trat jedoch 2001 zu den Zeugen Jehovas über - warum? Etwa, weil er, bedingt durch seine Tätigkeit im Showbusiness, des Öfteren samstags arbeiten muss? Wie dem auch sei, Prince nahm seine Konversion offenbar ausgesprochen ernst; wie die besagte SZ-Magazinbeilage zu berichten wusste, beteiligte er sich anno 2003 sogar an der Zeugen-Jehovas-typischen Haustürmission. Allerdings wohl ohne nachhaltigen Erfolg. Kein Wunder im Grunde: Man stelle sich vor, es klingelt an der Tür, und draußen steht Prince -- und sagt "Guten Tag, ich möchte mit Ihnen über Gott sprechen...."!

Samstag, 18. Mai 2013

Man soll den Tag nicht vor dem Abendlob...

Am ersten Sonntag im Mai feierte das Erzbistum Berlin das 50jährige Weihejubiläum der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum. Diese Kirche, 1960-1963 unter der Leitung von Hans Schädel in der Nähe der berüchtigten NS-Haftanstalt und Hinrichtungsstätte Plötzensee erbaut und am 5. Mai 1963 von Julius Kardinal Döpfner, Bischof Alfred Bengsch und Erzbischof Louis de Bazelaire geweiht, ist dem Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes gewidmet. Regina Martyrum, "Königin der Märtyrer", ist einer der Beinamen der Jungfrau Maria in der Lauretanischen Litanei; der Begriff "Märtyrer" bedeutet wörtlich nichts anderes als "Zeuge", wird im Christentum aber mindestens seit dem 2. Jahrhundert für Menschen verwendet, die um ihres Glaubens willen leiden und getötet werden. In diesem Sinne kann man Opfer des Nationalsozialismus also eigentlich nur dann als "Märtyrer" bezeichnen, wenn ihr Tod ein Zeugnis für ihren Glauben darstellt. Und tatsächlich, auch wenn alle diejenigen, die zum Thema "Verhältnis zwischen Kirche und NS" nur die beiden großen R ("Reichskonkordat" und "Rattenlinie") kennen und/oder ganz allgemein von einer Komplizenschaft zwischen Kirche und Staatsmacht ausgehen, sich darüber verwundern mögen: Engagierte Katholiken - Priester, Ordensleute und Laien -, die aus ihrem Glauben heraus in Opposition zum NS-Staat gerieten und dies mit ihrem Leben bezahlten, gab es nicht wenige, nicht zuletzt auch im damaligen Bistum (heute Erzbistum) Berlin. Bekannte Beispiele sind etwa Erich Klausener, preußischer Ministerialbeamter und Leiter der Berliner Katholischen Aktion (1934 im Zuge des sog. "Röhm-Putsches" ermordet), der Dompropst Bernhard Lichtenberg (1943 auf dem Transport ins Konzentrationslager Dachau verstorben) und der Jesuitenpater Alfred Delp (1944 in Plötzensee hingerichtet). Lichtenberg wurde 1996 selig gesprochen, eine Seligsprechung Klauseners wurde bereits seit 1945 wiederholt ins Gespräch gebracht. Die Urne mit den sterblichen Überresten Erich Klauseners wurde am 4. Mai 1963, dem Vorabend der Kirchenweihe, in die Krypta von Regina Maria Martyrum überführt.

Der eigentliche Festgottesdienst zum 50jährigen Bestehen der Gedenkkirche, zelebriert von Rainer Kardinal Woelki und dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, fand am Sonntag, dem 5. Mai, statt; aber da konnte ich nicht hin, weil ich ja zum aramäischen Osterfest wollte. Aber tags zuvor, am 4. Mai, fand in Regina Maria Martyrum ein "Festliches Abendlob" statt, in dessen Rahmen der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, ein "geistliches Wort" sprechen sollte.

Nur wenige Tage nach der ZdK-Frühjahrsvollversammlung, deren bemerkenswertestes Ergebis die irrwitzige "Sockengate" gewesen war, war ich womöglich etwas negativ voreingenommen gegenüber Herrn Glück (der an der Sockenaffäre zwar persönlich unbeteiligt gewesen war, aber als Vorsitzender des Gremiums ja irgendwie doch eine gewisse Verantwortung dafür trug), auf jeden Fall aber auch gespannt auf sein "geistliches Wort". Also ging ich hin, obwohl die Vorstellung, mitten am Nachmittag (16 Uhr) bei strahlendstem Sonnenschein zu einem "Abendlob" zu gehen, schon etwas leicht Abstruses an sich hatte. Nun, ich besann mich auf einen Klassiker des Neuen Geistlichen Liedes und sagte mir:
"Manchmal feiern wir mitten im Tag /
Ein... Abendlob!"
Dass es ausgerechnet dem Vorsitzenden des ZdK überlassen wurde, bei dieser Veranstaltung eine Ansprache zu halten, hatte natürlich seine Gründe. Die Errichtung der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum geht nämlich auf eine Initiative des deutschen Laienkatholizismus zurück, als deren institutionalisierte Stimme das ZdK sich ja sieht. Der erste Anstoß zum Bau einer Gedenkkirche für die Märtyrer aus der NS-Zeit wurde auf dem 75. Deutschen Katholikentag (1952) gegeben, der Beschluss zur Errichtung von Maria Regina Martyrum wurde auf dem 78. Deutschen Katholikentag (1958) gefasst - beide Katholikentage fanden in Berlin statt. Finanziert wurde der Bau sehr wesentlich durch Spenden - u.a. leistete auch die Jüdische Gemeinde zu Berlin einen Beitrag.

Das erste, was mir an der Kirche Regina Maria Martyrum auffiel, als ich mich ihr an diesem sommerlichen Mainachmittag näherte, war ihre schlagende Hässlichkeit. Dankenswerterweise informierte mich das Jesuiten-Magazin, Nr. 2013/1, das in den Bänken auslag, darüber, dass diese Hässlichkeit vollkommene Absicht ist; man bekennt sich sogar mit einem gewissen Stolz dazu, dass dieser Kirchenbau "sperrig" ist und "sich nicht jedem erschließt". Der Rektor der Kirche, Pater Tobias Zimmermann SJ,  der das "Abendlob" leitete, betonte in seiner kurzen Schlussansprache: "Es gibt Kirchen, die laden allein schon durch ihr Erscheinungsbild zum Verweilen ein. Diese Kirche gehört nicht dazu. Diese Kirche treibt einen bewusst wieder hinaus."

Gut und schön, aber erst einmal musste ich ja hinein. Auf der Treppe kam mir Alois Glück entgegen. Ohne Bodyguards. Nun gut, die Treppe hinunterwerfen wollen hätte ich ihn so oder so nicht, vielleicht aber ihn ansprechen; als ich mich ihm aber so plötzlich unmittelbar gegenüber fand, fiel mir absolut nichts ein, was ich zu ihm hätte sagen oder ihn fragen wollen. Nun ja: Vielleicht würde mir ja seine Ansprache die eine oder andere Frage oder Bemerkung eingeben.

Eröffnet wurde das Abendlob durch Begrüßungsansprachen des Vorsitzenden des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin, Wolfgang Klose, und des schon erwähnten Tobias Zimmermann SJ; besonders begrüßt wurden dabei ZdK-Präsident Glück und der stellvertretende Generalvikar des Erzbistums, Prälat Dr. Stefan Dybowski. Quasi als Leitwort der Veranstaltung zitierte Wolfgang Klose zunächst einen Ausspruch Erich Klauseners: "Sei wahrhaftig in deinem Handeln." Im weiteren Verlauf sprach Klose dann hauptsächlich über die Entstehungsgeschichte der Gedenkkirche und Zimmermann über die Vorgeschichte - den christlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Beim Eröfnungsgesang (GL Nr. 683) demonstrierte Pater Zimmermann dann die prinzipielle Berechtigung der Redensart jesuita non cantat - indem er es nämlich trotzdem tat. Davon abgesehen war die musikalische Gestaltung des Abendlobs jedoch über jeden Zweifel erhaben, lag sie doch in den bewährten Händen von Domkapellmeister Harald Schmitt; unter seiner Leitung spielte die Kammersymphonie Berlin und sang der Chor der St. Hedwigs-Kathedrale, dazu vier Gesangssolisten. Kritisch könnte man allerdings anmerken, dass gerade die exzellente Qualität der musikalischen Beiträge dazu beitrug, der Veranstaltung einen gewissermaßen "konzertanten" Charakter zu verleihen: Man hatte kaum den Eindruck, an einer liturgischen Handlung teilzunehmen; die participatio actuosa beschränkte sich über weite Strecken auf die Möglichkeit, die Texte der von Mozart (Mozart geht immer!) vertonten Psalmen, die Chor und Solisten zu Gehör brachten, zweisprachig (lateinisch/deutsch) im Begleitheft mitzulesen. Alles in allem war es eben eher ein Festakt, dem man beiwohnen, an dem man aber nicht teilnehmen konnte. Zwischenzeitlich dachte ich wehmütig an die ("altrituelle") Komplet zurück, die ich ein paar Wochen zuvor in St. Afra mitgefeiert hatte (ja, liebe Leser: Meine an anderer Stelle formulierten Vorbehalte gegenüber der außerordentlichen Form des römischen Ritus haben sich mittlerweile weitgehend verflüchtigt...).

Die Ansprache von Alois Glück trug natürlich das Ihre dazu bei, der Veranstaltung die Aura eines Festakts eher politischen als geistlichen Charakters zu geben. Während der ersten Sätze hatte ich den Eindruck, Glück beabsichtige nichts anderes als eine handelsübliche Festrede zu halten - wozu er als langjähriger Landtagsabgeordneter und Mitglied zahlreicher Vereine, darunter, wie Wikipedia anscheinend nicht ohne Bosheit hervorhebt, auch des Katholischen  Männervereins Tuntenhausen [!], zweifellos jederzeit in der Lage ist -, eine Rede also, die eher durch schöne Worte als durch Inhalte glänzt und niemandem weh tut. So konzentrierte er sich zunächst darauf, noch einmal die Entstehungsgeschichte der Gedenkkirche zu rekapitulieren. Nach einer Weile steuerte er dann aber doch zielstrebig auf die Themen zu, die ihm als ZdK-Vorsitzendem und CSU-Politiker quasi "von Amts wegen" besonders wichtig sind. Zunächst die Ökumene - wobei er sich gleich eingangs einen kleinen fauxpas leistete, indem er erklärte, er komme gerade "vom Evangelischen Kirchentag in Hannover" - das Publikum korrigierte ihn vielstimmig: "Hamburg!!" - Glück ließ sich nicht groß irritieren, sondern sprach zunächst von der guten ökumenischen Zusammenarbeit der zwischen der Gedenkkirche mit den benachbarten evangelischen Kirchen, dem Evangelischen Gemeindezentrum Plötzensee und der Sühne-Christi-Kirche; er verwies auf den "ökumenischen Glockenturm" von Maria Regina Martyrum, der nämlich auch zu den Gottesdiensten der evangelischen Nachbarkirchen läute; davon ausgehend betonte er den ökumenischen Charakter christlich motivierter Widerstandsgruppen der NS-Zeit, wie etwa des Kreisauer Kreises, und zog daraus den Schluss, die ökumenische Bewegung der Nachkriegszeit sei sehr wesentlich eine Frucht des gemeinsamen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Als altgedienter Parteipolitiker konnte er es sich auch nicht versagen, zu betonen, die ökumenische Bewegung habe auch zur Überwindung der konfessionellen Spaltung in der Parteienlandschaft der Weimarer Republik geführt - womit er offenkundig die Gründung der CDU/CSU als ökumenisches "Nachfolgemodell" zur rein katholischen Zentrumspartei meinte.

Bemerkenswerter fand ich Glücks Ausführungen zum christlichen Gehalt des deutschen Grundgesetzes, das nicht umsonst schon in der Präambel die "Verantwortung vor Gott und den Menschen" betone: Daraus spreche die Erkenntnis, dass die "Gottlosigkeit der politischen Ideologie" des Nationalsozialismus der "Treibsatz für die Maßlosigkeit und Orientierungslosigkeit des Handelns" dieses Regimes gewesen sei. Auch die Betonung der Unantastbarkeit der Menschenwürde in Artikel 1 GG resultiere aus der Einsicht, dass ein Gemeinwesen, wenn es human und gerecht sein wolle, der religiösen Fundierung bedürfe: Würde und Rechte des Menschen resultieren aus seiner Gottesebenbildlichkeit! Dies sei auch "wegweisend für eine humane Zukunft".

Anschließend ging Glück dazu über, in handelsüblichen Gemeinplätzen, wie er sie genauso gut in der Aula eines beliebigen Gymnasiums hätte äußern können, über die Abgrenzung vom Rechtsextremismus und "Zivilcourage als erste Bürgertugend" zu dozieren, und ich begann wegzudämmern - wurde aber wieder wach, als er auf Papst Franziskus zu sprechen kam. Im Zuge seiner Äußerungen zur Ökumene hatte Glück damit überrascht, dass er die Ansprache Benedikts XVI. im Augustinerkloster Erfurt vom 23.09.2011 zitierte; nichtsdestoweniger war ich darauf vorbereitet, dass nun das beliebte ZdK-Spielchen, den neuen Papst gegen seinen Vorgänger auszuspielen und für eigene kichenpolitische Positionen zu vereinnahmen, seinen Lauf nehmen würde - und ich wurde nicht enttäuscht. Passend zu Ort und Anlass des Geschehens verwies Glück auf "prophetische Sätze von Alfred Delp", die dieser 1944 im Gefängnis geschrieben hatte:
"Von zwei Sachverhalten wird es abhängen, ob die Kirche nochmal einen Weg zu den Menschen finden wird. [...] Der eine Sachverhalt meint die Rückkehr der Kirchen in die Diakonie: in den Dienst der Menschheit und zwar in einen Dienst den die Not der Menschheit bestimmt, nicht unser Geschmack einer noch so bewährten kirchlichen Gemeinschaft. [...] Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienste des psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonst wie kranken Menschen … Damit meine ich das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheiten des Menschen [...]."
Was denn nun der zweite Sachverhalt sei, den Pater Delp noch erwähnen wollte, ließ Alois Glück offen und verwies stattdessen auf die "verblüffende Übereinstimmung" der zitierten Sätze mit einer Passage der Rede Kardinal Bergoglios, der jetzigen Papstes Franziskus, im Vorkonklave:
"Die Evangelisierung setzt apostolischen Eifer voraus. Sie setzt in der Kirche kühne Redefreiheit heraus, damit sie aus sich selbst herausgeht. Sie ist aufgerufen aus sich selbst heraus zu gehen und an die Ränder zu gehen. Nicht nur an die geographischen Ränder, sondern an die Grenzen der menschlichen Existenz: die des Mysteriums der Sünde, die des Schmerzes, die der Ungerechtigkeit, die der Ignoranz, die der fehlenden religiösen Praxis, die des Denkens, die des jeglichen Elends."
Kein Zweifel: Die Übereinstimmung, auf die Alois Glück hier abhebt, hat er sich nicht ausgedacht - sie steht tatsächlich in den Texten drin. Das ist vielleicht auch gar nicht so verblüffend. Beide Autoren, Delp wie Bergoglio/Franziskus, sind katholische Theologen, Priester und Jesuiten. Das sollte womöglich schon genügen, um gewisse Gemeinsamkeiten im Denken zu erklären. Es bleibt der Eindruck, dass Alois Glück die zitierten Aussagen etwas verkürzt und einseitig interpretiert, damit sie in sein Konzept passen. Aber seien wir fair: Das tut vermutlich jeder, der Texte anderer auszugsweise zitiert. Und das tue ich im Grunde just in diesem Moment auch, indem ich Alois Glück unterstelle - was aus seiner Ansprache dem Wortlaut nach gar nicht hervorgeht! -, dass er die Diakonie, von der Delp spricht, das "an die Grenzen der menschlichen Existenz gehen", zu dem Papst Franziskus aufruft, allzu einseitig als eine Art fromm angestrichene "Sozialarbeit" versteht und übersieht, dass die Sorge um die Menschen an den Grenzen in ihren "äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheiten" in allererster Linie Seelsorge sein muss. Warum unterstelle ich ihm das, wo er doch zuvor so schön über die Verantwortung vor Gott und die Notwendigkeit der Verwurzelung menschlicher Gemeinschaft im Glauben gesprochen hat? Ich weiß es nicht, es ist einfach mein Eindruck: der Eindruck eines innerkirchlichen "Lagerdenkens", das die Nähe zu den Menschen gegen die Treue zum Lehramt, Diakonie gegen Liturgie, lebendigen Geist gegen Tradition, Franziskus gegen Benedikt ausspielt. Hier in der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum mit ihrer betont modern-hässlichen Ästhetik beschlich mich der Eindruck, das Gedenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus - ein Anliegen, das mit Ausnahme einiger unverbesserlicher Alt- und Neonazis jeder ehrenwert finden wird - werde einseitig für eine der genannten Richtungen in Anspruch genommen, daran änderten auch Mozart und lateinische Psalmentexte nichts. Ich will aber nicht ausschließen, dass meine durch die Sockengeschichte gerade erst neu angefachte negative Voreingenommenheit meine Wahrnehmung verzerrt hat. Vor dem Horizont dieser meiner Voreingenommenheit erschien mir auch das von Pater Zimmermann und einer alten Karmelitin "dialogisch" vorgetragene Schlussgebet von der Tendenz her unangenehm aktivistisch-"linkskatholisch" vorkam, obwohl ich an seinem Wortlaut ohne erheblichen interpretatorischen Aufwand nichts zu tadeln finde.

Im Anschluss an das Abendlob gab es vor der Kirche noch einen Sektempfang, und dazu gab's Brezeln - die gleichen (wenn auch hoffentlich nicht dieselben) Brezeln, die schon am Abend zuvor in der Katholischen Akademie zum Wein gereicht worden waren. Merke: in puncto Catering glänzen kirchliche Veranstaltungen nicht unbedingt durch Originalität. Nicht unerwähnt lassen möchte ich ein kleines Erlebnis am Rande, das mich zum Schmunzeln brachte: Kurz vor dem Verlassen der Kirche fragte mich meine Sitznachbarin, der es nicht entgangen sein konnte, dass ich mir während Alois Glücks Ansprache eifrig Notizen gemacht hatte: "Schreiben Sie fürs Petrusblatt?" Das musste ich verneinen, aber es wäre mir zu kompliziert erschienen, ihr zu erläutern, für wen oder was ich denn dann schreibe. Vielleicht sollte ich mir Visitenkarten für meinen Blog drucken lassen...


Mittwoch, 15. Mai 2013

The Rabbit Diaries, Pt. IV

Es ist bestimmt in Gottes Rat, dass jeder, der ein Haustier hat, früher oder später mit dessen Sterblichkeit konfrontiert wird. So ein kleiner pelziger Hausgenosse kann einem schnell ans Herz wachsen, aber Hund, Katze, Meerschweinchen oder eben Zwergkaninchen haben leider eine recht überschaubare Lebenserwartung, verglichen mit der eines Menschen. Und irgendwann heißt es dann Abschied nehmen.

Es läge jetzt nahe, zu behaupten, dass ich mir deshalb nie ein Haustier zugelegt habe; aber eigentlich glaube ich nicht, dass das der entscheidende Grund war. Ehrlich und selbstkritisch gesagt scheue ich wohl noch mehr als den irgendwann zu erwartenden Trennungsschmerz die Kosten, den Zeit- und Arbeitsaufwand, kurz: die Verantwortung der Haustierhaltung. So richtig "Generation Maybe"-mäßig halt. -- Diejenigen Leser, die "Huhn meets Ei..." schon etwas länger verfolgen, werden sich aber vielleicht erinnern, dass ich letzten Sommer gleichwohl für ein paar Wochen die Betreuung zweier Kaninchen übernommen hatte - und dass das durchaus eine schöne und bereichernde Erfahrung für mich war. Man hätte denken können, ich hätte, nachdem die kleinen Nager und ich uns einmal aneinander gewöhnt hatten, den Kontakt zu ihnen so einigermaßen aufrecht erhalten; eigentlich hatte ich das auch vor, aber irgendwie ist es nicht dazu gekommen. Ihre Besitzerin - nein, Moment: Der Begriff "Besitz" ist im Grunde keine zutreffende Bezeichnung für das Mensch-Kaninchen-Verhältnis; sagen wir also lieber: "ihre Mutti" - sehe ich zwar einigermaßen regelmäßig, zumeist jedoch in der Bar, in der sie ein paar Abende pro Woche arbeitet. Da bleiben die Kaninchen natürlich schön zu Hause. Immerhin, vor ein paar Monaten habe ich Flocke und König Friedrich dann doch mal wieder gesehen: Da habe ich, zusammen mit sechs oder sieben anderen Freiwilligen, Kaninchenmutti Kati beim Umzug geholfen. Die Kaninchen waren schon einen Tag vorher in die neue Wohnung eingezogen, sie saßen in ihrem Laufstall und beobachteten uns mit der ihnen eigenen distanzierten Neugier beim Umzugskistenschleppen. Wenn es ihnen zu unruhig wurde, verzogen sie sich in ihre Schlafhöhle. Auf jeden Fall war es schön zu sehen, dass die beiden Nager den Wohnungswechsel offenbar gut überstanden hatten - nachdem Kati schon letztes Jahr die Befürchtung geäußert hatte, speziell für Flocke, die bereits im für ein Zwergkaninchen geradezu greisenhaftenm Alter von neun Jahren stand, könne ein Umzug in eine andere Wohnung zu viel Stress bedeuten.


Vor ein paar Tagen nun allerdings teilte Kati mir betrübt mit, es gehe mit Flocke zu Ende: Die in jüngeren Jahren sehr agile Kaninchendame könne sich kaum mehr bewegen, fresse auch nicht mehr, es sei denn, sie werde gefüttert, und auch dann nur widerwillig. "Ich fand, du solltest das wissen", sagte Kati, "es betrifft dich ja irgendwie auch." Das stimmte. Wie ich später erfuhr, vermutete die Tierärztin einen Bandscheibenvorfall; mit Sicherheit wäre dies nur durch Röntgen zu diagnostizieren gewesen, aber davon hatte die Ärztin abgeraten. Typische Fluchttiere wie Kaninchen kann man nämlich praktisch nicht ohne Narkose röntgen, und dann wäre es fraglich gewesen, ob Flocke die Narkose überleben würde.

Kati rang sich schließlich, mit einiger Mühe, dazu durch, das treue Tier von seinem Leiden erlösen zu lassen. Hinterher rief sie mich an, und wir verabredeten uns zu einem kleinen Flocke-Gedächtnis-Umtrunk.

Als wir uns trafen, hatte Kati sich, wie sie sagte, bereits gründlich ausgeheult und war nun einigermaßen gefasst. Im Grunde, sagte sie, war sie sogar ganz froh, dass Flocke es nun überstanden hatte – hatte aber gleichzeitig ein schlechtes Gewissen ob solcher Gedanken und fragte sich, ob das eine moralisch vertretbare Haltung sei. Ich redete ihr diesbezüglich gut zu, Kati schilderte mir ihren Abschied von Flocke und ging dann dazu über, von allerlei lustigen Begebenheiten zu erzählen, die sie in all den Jahren mit Flocke erlebt hatte.

Ein Thema für sich war allerdings der Umstand, dass Flocke noch einen weiteren trauernden Hinterbliebenen hinterlassen hat: ihren Käfiggefährten König Friedrich. Kaninchen sind gesellige Tiere, sie können nicht gut allein leben; artgerechte Haustierhaltung erfordert es daher, dass man sie immer mindestens zu zweit hält. Somit sieht Kati sich nun vor die Alternative gestellt, sich entweder in absehbarer Zeit ein weiteres Kaninchen zuzulegen ("Aber ich weiß nicht, ob ich das auf lange Sicht will. Dann stirbt irgendwann wieder eins, und das Ganze geht von vorne los…") oder den putzigen kleinen Friedel in fremde Hände abzugeben ("Wenn ich jemanden kennte… äh… kennte?" – Ich nickte. – "Also, wenn ich jemanden kennte, der einen Bauernhof hat oder so etwas, wo Friedel richtig viel Auslauf hätte und andere Tiere um sich herum, dann könnte ich ihn guten Gewissens abgeben. Ich glaube, Robby hat sowas Ähnliches wie einen Bauernhof – aber Robby sieht aus wie jemand, der kleine Hasen zum Frühstück verputzt! Auf einen Haps! – Ich will niemandem was unterstellen, aber er sieht einfach so aus!"). Keine leichte Entscheidung, deshalb riet ich ihr, sich damit etwas Zeit zu lassen. Klar war ihr jedenfalls eines: "Ganz ohne Haustier geht es nicht. Ich brauch' so ein kleines Wesen bei mir zu Hause, das ich bemuttern kann. Sonst werd' ich schwanger!" Lassen wir das mal so stehen.

Neben solchen Erwägungen zeigte dieses Gespräch aber auch, dass der Tod eines Haustiers reichlich Anlass bietet, sich allerlei Gedanken über das Leben, den Tod und das Leben nach dem Tod zu machen – nicht nur auf das Tier bezogen, sondern auch auf sich selbst. Wenn man sich - und sei es nur zum eigenen Trost - das Jenseits für Kaninchen als eine Art "Ewige Hoppelgründe" mit Wiesen voller bestem Klee vorstellt, dann liegt es nahe, sich auch zu fragen, was für ein Jenseits man denn für sich selbst erwartet bzw. erhofft. Kati gab zu Protokoll, sie sehe das für sich persönlich "eher buddhistisch". Dass ich als Katholik da anderer Auffassung bin, musste ich ihr gegenüber nicht eigens ausführen und muss es wohl auch hier und jetzt nicht. Meine Gedanken kreisten - ohne dass ich sie aussprach - eher um eine andere Frage: Wie verhält sich denn der Katholizismus zur Vorstellung eines "Hopperlhimmels" für Kaninchen? - Insbesondere in christentumskritischen Tierschützerkreisen ist die Meinung weit verbreitet, der christliche Glaube lehre, dass Tiere keine Seele haben. Wenn man sich zu dieser Frage ein wenig beliest, kann man aber schnell feststellen, dass das gar so eindeutig nicht ist: Tatsächlich gewinnt schon seit längerer Zeit unter Theologen verschiedener christlicher Konfessionen die Auffassung, dass Tiere sehr wohl eine Seele haben, mehr und mehr Zustimmung. Hiervon ausgehend könnte man unschwer argumentieren: Wenn Tiere eine Seele haben, dann kommen sie ganz bestimmt in den Himmel - weil sie, anders als Menschen, nicht sündigen können: Sie handeln ihrer Natur entsprechend, ohne freien Willen, damit aber zugleich auch ohne Verlockung zum Bösen.

Daran schließt sich freilich eine weitere diffizile Frage an: die Frage nach den Rechten, die man den Tieren zubilligen müsse, wenn man voraussetzt, dass sie eine Seele haben wie wir. Den Fleischesser und Lederschuhträger in mir könnte diese Frage radikalen Tierrechtsaktivisten gegenüber schon in einige Erklärungsnot bringen; tatsächlich kreisten meine Gedanken - veranlasst durch aktuelle Debatten über Sterbehilfe - aber hauptsächlich um einen ganz anderen Aspekt: Ist es zu rechtfertigen, aktive Sterbehilfe für Menschen kategorisch abzulehnen, gleichzeitig das Einschläfern schwer kranker Tiere aber gutzuheißen? Diese Frage hat mich so gefühlte eineinhalb Tage lang durchaus ernsthaft beschäftigt, aber endlich fand sich eine Antwort: Dass das Tier eine Seele hat, bedeutet nicht zwingend, dass es eine Seele wie wir hat. So unterschied etwa der Hl. Thomas von Aquin zwischen der anima sensitiva der Tiere und der intellektuellen, also vernunftbegabten Seele des Menschen. Ganz konkret gesagt: Sowohl aus theologischer wie aus biologischer Sicht kann man davon ausgehen, dass das Kaninchen nicht über das Kaninchensein reflektiert. Es hoppelt herum und frisst. Wenn es das nicht mehr kann, ist sein ganzer Lebensinhalt dahin. In freier Wildbahn würde es in diesem Zustand vermutlich entweder verhungern oder gefressen werden. Ein Mensch kann im Leiden Sinn finden, kann daran wachsen; ein Kaninchen kann das nicht. Laut Gen 1,26 u. 28 hat Gott die Tiere der Verantwortung der Menschen übergeben, daher hat der Mensch auch das Recht, ein schwer krankes oder verletztes Tier von seinem Leiden zu erlösen; einem Mitmenschen gegenüber hat er dieses Recht nicht.

Ich kann es wieder einmal nur als bemerkenswerte Fügung bezeichnen, dass in der Lectio continua des Jugendkatechismus YouCat, die Prälat Peter Hilger auf seiner Facebook-Seite anbietet, ausgerechnet heute, während ich an diesem Artikel arbeite, Nr. 437 an die Reihe kam: "Wie sollen wir mit Tieren umgehen?" Dort ist zu lesen:

"Tiere sind unsere Mitgeschöpfe, die wir lieben und an denen wir uns freuen sollen, wie Gott sich an ihrem Dasein freut.
Auch Tiere sind fühlende Geschöpfe Gottes. Es ist eine Sünde, sie zu quälen, sie leiden zu lassen und sie nutzlos zu töten. Dennoch darf ein Mensch nicht die Tierliebe über die Menschenliebe stellen."
Etwas ausführlicher - und daher hier von mir auf die im Kontext dieses Artikels relevanten Aspekte zusammengekürzt - heißt es im "großen" Katechismus, Nr. 2416-2418:
"Tiere sind Geschöpfe Gottes und unterstehen seiner fürsorgenden Vorsehung. Schon allein durch ihr Dasein preisen und verherrlichen sie Gott. Darum schulden ihnen auch die Menschen Wohlwollen. Erinnern wir uns, mit welchem Feingefühl die Heiligen, z.B. der hl. Franz von Assisi und der hl. Philipp Neri, die Tiere behandelten.
Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt, den er nach seinem Bild geschaffen hat. Somit darf man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen. Man darf sie zähmen, um sie dem Menschen bei der Arbeit und in der Freizeit dienstbar zu machen. [...]
Es widerspricht der Würde des Menschen, Tiere nutzlos leiden zu lassen und zu töten. [...] Man darf Tiere gern haben, soll ihnen aber nicht die Liebe zuwenden, die einzig Menschen gebührt."
Auf die Frage nach einem Jenseits für Tiere wird hier wohlgemerkt nicht eingegangen, und auch sonst lassen die hier zitierten und nicht zitierten Sätze sicherlich noch reichlich Raum für Fragen und Diskussionen unter christlichen wie auch nichtchristlichen Tierfreunden. Aber ich fühle mich dadurch bis auf Weiteres zufriedengestellt und erhebe abermals mein Glas auf Flocke, einen liebenswerten kleinen Nager...

Montag, 13. Mai 2013

Ostern auf Aramäisch

Da hatte ich mir ja was Schönes eingebrockt: Auf meine unvorsichtige Ankündigung, bei Gelegenheit mal die aramäische Gemeinde in Berlin-Tiergarten besuchen zu wollen - vielleicht zu Ostern - und dann auch etwas darüber zu schreiben, reagierte Bloggerkollege Admiral mit dem fröhlichen Kommentar: "Ich freu mich schon auf den Bericht zum aramäischen Osterfest". Tja, aus der Nummer kam ich wohl nicht mehr raus. Seine treuen Leser will man ja nicht enttäuschen.

Die erste Herausforderung bestand nun darin, erst einmal in Erfahrung zu bringen, wann genau die Osterfeierlichkeiten dort stattfanden; mein aramäischer Bekannter aus der Kneipe, offenbar kein allzu fleißiger Kirchgänger, wusste es selbst nicht genau, im Internet konnte ich nichts darüber herausfinden, und dem Schaukasten am Metallzaun vor der Kirche Mor Jacob waren auch nur die regelmäßigen wöchentlichen Gottesdienstzeiten zu entnehmen, nicht aber die Termine für außerordentliche Festgottesdienste. Glücklicherweise traf ich meinen Bekannten am vorletzten Donnerstag noch einmal, und als ich bekräftigte, ich sei wirklich, ernsthaft interessiert, die Ostermesse in "seiner" Kirche zu besuchen, erklärte er, er werde seine Eltern fragen und mir dann Bescheid geben.

Am Samstagabend rief er mich an. "Ostermesse ist morgen früh, von Sechs bis Neun!" Na toll. Hätte ich das früher gewusst, wäre ich zum Zeitpunkt seines Anrufs wohl schon im Bett gewesen. Dass die Messe auf eine Dauer von drei Stunden angesetzt war, irritierte mich hingegen nicht: Kenner orthodoxer Liturgien hatten mich darauf vorbereitet, dass es durchaus auch sechs oder mehr Stunden sein könnten.

Dennoch teilte mein Bekannter mir mit, seine Mutter habe gesagt, damit ich mich nicht langweile, sollte ich vielleicht besser erst um Sieben oder halb Acht kommen. "Andererseits könnte das ein Problem mit dem Platz geben", fügte er hinzu: "Die Kirche wird total überfüllt sein."

Aber Platzproblem hin oder her, für mich kam es natürlich nicht in Frage, erst eine oder eineinhalb Stunden nach Beginn der Messe in der Kirche einzutreffen; schließlich wollte ich nicht aus lauter Jux und Tollerei zum Aramäischen Osterfest, sondern in bloggender Mission. Allerdings kam ich am Sonntagmorgen nicht ganz so früh aus den Federn und in die Klamotten, wie ich es eigentlich geplant hatte. Trotzdem wäre ich wohl noch halbwegs pünktlich gekommen, wenn die Berliner Verkehrsbetriebe nicht - vermutlich nicht ganz ohne Grund - der Auffassung wären, sonntags vor 6 Uhr früh sei es ja praktisch noch mitten in der Nacht, da müsse ja kein normaler Mensch irgendwo hin und es genüge folglich, wenn die Bahnen drei- bis viermal in der Stunde fahren. So war es dann doch schon fast halb Sieben, als ich an der Kirche ankam.


Die Kirche Mor Jacob (oder auch "St. Jacob") hieß früher einmal St. Ludgerus und war ursprünglich ein katholisches Gotteshaus - was man dem Innenraum immer noch ansieht, denn einige Ausstattungsstücke aus dieser Zeit - ein Porträt des früheren Kirchenpatrons, ein geschnitzter Kreuzweg, eine Replik der Sixtinischen Madonna - sind immer noch vorhanden, jetzt in einträchtiger Nachbarschaft mit orthodoxen Ikonen. 1984, als St. Ludgerus mit der benachbarten Pfarrei St. Matthias zusammengelegt wurde, überließ man das Gebäude der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien zur Nutzung - einer altorientalischen Kirche, die ihre Geschichte, wie der Namenszusatz zeigt, auf das altkirchliche Patriarchat von Antiochia zurückführt; dieses wurde der kirchlichen Tradition zufolge vom Hl. Petrus begründet. Damit ist die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien ihrem Selbstverständnis zufolge eine der ältesten christlichen Konfessionen - in gewissem Sinne sogar die älteste überhaupt, da, wie die Apostelgeschichte (11,26) berichtet, die Bezeichnung "Christen" für die Jünger Jesu Christi erstmals in Antiochia aufkam. - Heute hat die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien die beiweitem meisten Anhänger in Indien, aber ursprünglich war sie im Wesentlichen im nahöstlichen Volk der Aramäer verwurzelt, dessen traditionelles Siedlungsgebiet auf dem Territorium der heutigen Staaten Türkei, Syrien, Libanon, Irak und Iran liegt. Nicht wenige Aramäer leben heute aber auch in den USA oder Europa - und rund 60.000 von ihnen in Deutschland. Aramäisch ist auch die Liturgiesprache der Syrisch-Orthodoxen Kirche.

Zu meiner Überraschung war die Kirche nicht annähernd voll. Nur etwa das vordere Drittel der Bankreihen war besetzt; rechts (vom Chor aus gesehen) saßen die Männer, überwiegend in grauen oder schwarzen Anzügen und alle mit Krawatten, selbst einige Jungen im Grundschulalter; links die Frauen, die älteren mit dunklen, unter dem Kinn verknoteten Kopftüchern, die jüngeren mit lose über das Haar gebreiteten weißen Spitzenschleiern. Der Chorraum war hinter einem bunten Vorhang verborgen, auf dem - von unten nach oben - Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt Christi dargestellt waren, flankiert von Bildern anderer biblischer Episoden, überwiegend aus den Evangelien, aber auch die Entrückung Elijas in den Himmel (2 Kön 2,1-18) war vertreten. Vor diesem Vorhang waren zwei kleine Altäre (oder einfach nur Tische?) aufgebaut, und um diese waren Männer und Frauen - ebenso getrennt voneinander wie in den Bankreihen - versammelt und sangen. Der Gesang bestand aus wenigen einfachen, sich ständig wiederholenden Melodiephrasen, sodass man sie monoton hätte nennen können, wenn das nicht so abwertend klänge: tatsächlich empfand ich den Gesang als sehr schön und bewegend.


Weiter passierte erst einmal nichts, und an dieser Stelle muss ich erst einmal ein Geständnis ablegen: Die Aufgabe, den weiteren Verlauf der aramäischen Ostermesse zu schildern, stellt mich vor einige Schwierigkeiten - denn mangels irgendwelcher Vorkenntnisse über orthodoxe, geschweige denn altorientalische Liturgien hatte ich zeitweilig erhebliche Mühe, mir einen Reim darauf zu machen, was um mich herum vorging, und teilweise hatte ich das Gefühl, mir fehle ganz einfach das Vokabular, um meine Beobachtungen korrekt zu beschreiben. Ich werde dennoch mein Bestes tun. Sollte unter meinen Lesern jemand sein, der sich besser auskennt, freue ich mich über ergänzende und berichtigende Kommentare.

Nun, seien wir ehrlich: Wenn, beispielsweise, jemand aus einer Freien evangelischen Gemeinde zum ersten mal in seinem Leben in eine katholische Kirche ginge, und dies dann ausgerechnet in der Osternacht - und diese würde dann auch noch auf Latein (oder in einer anderen Sprache, die der Besucher nicht versteht) zelebriert -, dann wäre der vermutlich auch reichlich überfordert und verwirrt. Womöglich sogar noch weit mehr als ich bei den Aramäern, denn in manchen Punkten hat deren ritus eben doch seine Gemeinsamkeiten mit dem katholischen - besonders mit jenem der außerordentlichen Form, mit der ich ja unlängst in St. Afra in Berlin-Wedding meine ersten Erfahrungen gesammelt habe. (Ein Thema, zu dem ich meinen Lesern übrigens noch ein Update schulde, denn ich war inzwischen erneut dort, sogar zu einer Stillen Messe, obwohl man mich davor "gewarnt" hatte - und dieser zweite Eindruck war schon wesentlich positiver als der erste. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden...) Zu diesen Gemeinsamkeiten zählte etwa der Umstand, dass die Gläubigen sich an zahlreichen Punkten der Liturgie - dem Anschein nach auf bestimmte, für mich allerdings nicht identifizierbare "Stichworte" hin - bekreuzigten (oft mehrmals nacheinander) und/oder verneigten; auch andere Gesten kamen mir aus dem katholischen Bereich bekannt vor, etwa dreimaliges An-die-Brust-Schlagen (Schuldbekenntnis?) oder das Berühren von Stirn, Mund und Brust mit den Fingerspitzen (ob dabei, wie "bei uns" vor der Verlesung des Evangeliums, mit den Fingerspitzen ein Kreuz gezeichnet wurde, kann ich nicht mit Sicherheit behaupten). Weihrauch kam reichlich zum Einsatz, und eine spezielle Übereinstimmung mit der außerordentlichen Form des römischen Ritus bestand darin, dass die Priester größtenteils ad orientem, also dem Altar zugewandt und somit mit dem Rücken zur Gemeinde agierten. Aber jetzt greife ich mir vor - zunächst waren nämlich gar keine Priester zu sehen, und der Altar, wie erwähnt, auch nicht.

Als dann doch zwei Geistliche - in schwarzen Talaren und mit ebenfalls schwarzen Käppchen, einer von ihnen mit goldenem Brustkreuz - vor dem geschlossenen Vorhang erschienen, erhob sich die Gemeinde; wenig später öffnete sich der Vorhang zum Chorraum, zwei Diakone (oder etwas Vergleichbares) in weißen Gewändern mit rotgoldenen Schärpen traten ein, einer trug ein Weihrauchgefäß, der andere ein reich geschmücktes Evangeliar, das von den Priestern geküsst wurde. Es dauerte allerdings nicht lange, bis die Priester und Diakone erst einmal wieder hinaus gingen, gefolgt von den männlichen Vorsängern, die im Nebenraum (Sakristei?) vernehmlich weiter sangen.

Als Minuten der Hauptzelebrant - ein sehr alter Mann, der sich auf einen Gehstock stützte - den Chorraum betrat, nun in festlichem Gewand und begleitet von zwei Männern, die Schellen an langen Stangen trugen (wie in aller Welt nennt man so etwas?), stimmten die beim Auszug der männlichen Vorsänger an ihrem Platz verbliebenen Vorsängerinnen ein Jubelgeheul an, das mich - ohne despektierlich klingen zu wollen - stark an indianisches Kriegsgeschrei erinnerte, wie man's aus Wildwestfilmen kennt. Einschließlich des Umstandes, dass die Damen sich mit der flachen Hand auf den Mund schlugen, um Triller zu erzeugen. Es folgten einige (gesungene) Schriftlesungen, von denen ich - natürlich - kein Wort verstand. (Mein Kneipen-Bekannter hatte mir schon im Vorfeld mitgeteilt. "Manchmal, wenn wir einen Gastprediger haben, aus dem Libanon zum Beispiel, verstehen wir selber nichts.") Kurz vor Schluss der Messe gab es dann allerdings auch eine Lesung in deutscher Sprache - aus Röm 8,1-17.

Im Laufe der Messe verließen die Priester und Diakone, einige Male auch die Vorsänger, noch mehrmals den Raum (wobei die Männer durch den Chorraum abgingen, die Frauen hingegen nicht); auch der Vorhang wurde noch mehrmals zu- und wieder aufgezogen. So ganz konnte ich die "Dramaturgie" des Geschehens nicht durchschauen, aber es wurde doch deutlich, dass jeder neue "Aufzug" eine Steigerung an Feierlichkeit und Intensität mit sich brachte. So legten auch die (bis dahin genauso wie die anderen Gemeindemitglieder gekleideten) Vorsänger - Männer wie Frauen - weiße Gewänder und farbenprächtige Schärpen an, und der Hauptzelebrant brachte ein ca. 30-40 cm hohes, mit einem roten Tuch geschmücktes Messingkreuz in den Chorraum, das im weiteren Verlauf immer wieder der Gemeinde gezeigt und von den Zelebranten und Vorsängern geküsst wurde.

Allmählich dämmerte mir auch, dass ich den Hinweis, um mich nicht zu langweilen, sollte ich vielleicht besser erst später kommen, wohl zu Unrecht auf die Tatsache bezogen hatte, dass ich ein des Aramäischen unkundiger und mit der Liturgie nicht vertrauter "Fremder" bin: Tatsächlich scheint es in dieser Kirche völlig normal zu sein, eine mehrere Stunden dauernde Messe nicht von Anfang an mitzufeiern. Nach der Ankündigung meines Bekannten, die Kirche werde "total überfüllt" sein, hatte ich mich schon über den eher schwachen Besuch gewundert, aber nach und nach füllten sich die Bänke - zunächst langsam, verstärkt dann ab ca. 7:30 Uhr. Gegen 8 Uhr war die Kirche praktisch voll, gegen 9 Uhr platzte sie aus allen Nähten. Wohl nicht ganz zufällig war es, dass mit zunehmender Dauer der Messe der Anteil der jüngeren und weniger formell gekleideten Teilnehmer tendenziell zunahm. Aber alle hielten sich an die Sitzordnung - Männer auf der einen Seite des Mittelgangs, Frauen auf der anderen. Ausnahmen wurden nur bei ganz kleinen Kindern gemacht; in meiner Bankreihe etwa nahm ein Mann Platz, der seine kleine Tochter auf den Schultern trug.

Die Unbekümmertheit, mit der hier ein großer Teil der Gottesdienstbesucher erst lange nach Beginn und zum Teil sogar erst relativ kurz vor Schluss der Messe in die Kirche kam, verblüffte mich schon ein wenig; aber damit nicht genug: Solange die Kirche noch nicht total überfüllt war, kam es immer mal wieder vor, dass einzelne Gemeindemitglieder vorübergehend wieder hinausgingen oder von Bank zu Bank gingen, um Bekannte zu begrüßen. Ich kenne so einige Kirchengemeinden, katholische wie evangelische, wo ein solches Verhalten als Respektlosigkeit, als Mangel an Ehrfurcht aufgefasst werden würde. Diesen Eindruck hatte ich hier aber ganz und gar nicht: Vielmehr schien es mir, dass die Gemeindemitglieder sich in der Kirche im besten Sinne "wie zu Hause fühlten" - und einer innigen Anteilnahme am liturgischen Geschehen tat diese "familiäre" Atmosphäre keinen Abbruch, ganz im Gegenteil: Beides ging Hand in Hand und wirkte so authentisch und - für die Beteiligten - selbstverständlich, dass sich meine Verwunderung darüber bald verlor. Im Rückblick glaube ich dieses Nebeneinander von ungezwungener Geselligkeit und tiefer Andacht nicht besser beschreiben zu können als mit einem Begriff, der für mich in meiner Zeit als zwar kirchlich engagierter, dabei aber gern betont "kritischer" Teenager eindeutig negativ konnotiert war: dem Begriff Volksfrömmigkeit. Um ein gewisses "volkstümliches" Element in der religiösen Praxis schätzen zu lernen, musste ich freilich nicht erst zu den Aramäern gehen, man kann es durchaus auch in katholischen Gemeinden (ja, sogar in Berlin!) erleben - aber beim aramäischen Osterfest erlebte ich es doch besonders intensiv.

Vor allem zwei Momente in der Liturgie beeindruckten mich sehr stark: Einmal ein Ritual, das wohl in etwa dem Friedensgruß entsprach, mit dem Unterschied, dass dieser Gruß hier zunächst von den Priestern an die dem Altar am nächsten Stehenden gespendet und dann von vorn nach hinten "weitergegeben" wurde, und zwar in atemberaubendem Tempo. Dabei legte man die Handflächen an diejenigen des Vorder-, Hinter- bzw. Nebenmannes und anschließend an die eigenen Wangen. Ich war gerührt, dass ich als - vermutlich - einziger Nicht-Aramäer im Raum umstandslos und herzlich in dieses Ritual einbezogen wurde und dafür, dass ich mich dabei etwas ungeschickt anstellte, mit einem freundlichen Lächeln bedacht wurde. Den ("dramaturgischen") Höhepunkt der Liturgie bildete eine Prozession der Priester und Vorsänger, bei der sie das Evangeliar und das Messingkreuz durch das Kirchenschiff trugen; alle diejenigen, die ihre Plätze nahe genug am Gang hatten, bemühten sich, eine flüchtige Berührung dieser Gegenstände zu erhaschen. Bei der Entlassung gab es dann noch einmal für alle die Gelegenheit, bis an die Grenze des Chorraums vorzutreten und Evangeliar und Kreuz zu küssen.

Einen kleinen Zwischenfall gab es während der Predigt; ich verstand ihn natürlich nicht, konnte mir aber aus den geflüsterten Anmerkungen einiger Männer in meiner Bankreihe (die untereinander deutsch sprachen) so halbwegs zusammenreimen, was da vorging: Der Hauptzelebrant unterbrach seine Predigt, und ein Mann im grauen Anzug, von dem man sich gut vorstellen konnte, dass er im Zivilberuf als Türsteher arbeitet, trat vor, um in strengem Ton einige junge Männer in den vorderen Bänken zu ermahnen - offenbar hatte der Priester sich von ihnen gestört oder sogar provoziert gefühlt. Anschließend übernahm dann der zweite, deutlich jüngere Priester das Predigen; ob dies "so gehörte" oder dadurch bedingt war, dass der alte Priester beleidigt war und nicht mehr weiterpredigen wollte, kann ich nicht beurteilen.

Eine Kommunion oder etwas damit Vergleichbares gab es übrigens nicht, aber beim Verlassen der Kirche sah ich, dass eine Schale an der Wand neben dem Ausgang, in früheren Zeiten vermutlich eine Weihwasserschale, mit einem flockigen, auf den ersten Blick wie Popcorn aussehenden Gebäck gefüllt worden war, von dem sich die Gemeindemitglieder im Vorübergehen eine Handvoll nahmen. Im Vorhof der Kirche war eine Kaffeetafel aufgebaut worden; und außerdem gab es -- Ostereier!




Insgesamt hatte die Messe übrigens nicht nur bis 9 Uhr, sondern fast bis Viertel vor Zehn gedauert; ich war also trotz meiner leichten Verspätung über drei Stunden dort gewesen, und entgegen der wohlmeinenden Befürchtung der Mutter meines Bekannten hatte ich mich überhaupt nicht gelangweilt. Im Gegenteil, ich fand es enorm interessant und schön, und die aramäische Gemeinde hat einen sehr sympathischen Eindruck auf mich gemacht. Ich schätze, da gehe ich mal wieder hin. Vielleicht zu Pfingsten...

(So, und jetzt zum Abschluss noch ein paar Bilder, damit Kollege Admiral auch zufrieden mit mir ist...)