Vor einigen Wochen feierte die Kreuzberger St.-Bonifatius-Gemeinde, deren Sonntagsmessen zur Zeit (wegen Renovierung) in St. Clemens stattfinden, den Dankgottesdienst der Erstkommunionkinder. Ich ging daher wie selbstverständlich davon aus, dass in dieser Messe die "allseits beliebten gelben Bücher", wie Pfarrer Cornelius sie mal genannt hatte, zum Einsatz kommen würden - die NGL-Liederbücher also, die sich einträchtig mit dem Gotteslob den Bücherschrank der Kirche teilen und geradezu prädestiniert für die Verwendung in Kinder- und Familiengottesdiensten scheinen. Das war aber ein Irrtum: Vor Beginn der Messe sagte Pfarrer Cormelius an "Wir singen heute aus dem Gotteslob". Auch schön. Nun hatte ich mir aber bereits eins der gelben Bücher mit dem Titel Jubilate Deo aus dem Schrank genommen, und mein kurz zuvor neu erwachtes Interesse am Neuen Geistlichen Lied veranlasste mich dazu, das Buch nicht zurückzubringen, sondern es mir vielmehr bis zum nächsten Sonntag (oder einem der nächsten Sonntage) "auszuleihen". Und zwar um es einer umfassenden und kritischen Analyse zu unterziehen.
-- Wohlan denn! Das Liederbuch trägt zwar, wie gesagt, den Titel Jubilate Deo, aber ich bin dennoch annähernd überzeugt, dass es nicht mit dem gleichnamigen Liederbuch der Initiative "Jugend 2000" identisch ist. Das Buch hat kein Impressum, trägt stattdessen aber im inneren vorderen Buchdeckel den Vermerk, es sei "ausschließlich zum internen Gebrauch in unserer Kirche für die Gestaltung der Gottesdienste bestimmt". Zu den allermeisten Liedern gibt es keinerlei Quellenhinweise, selbst Komponist und Texter werden nur in Einzelfällen namentlich genannt. Die Unterschiede in Format, Schrifttype usw. von Lied zu Lied lassen vermuten, dass das Buch in seiner vorliegenden Form am Fotokopierer entstanden ist.
Jubilate Deo enthält stolze 410 Lieder, die ungleichmäßig auf 20 thematische Abschnitte verteilt sind, sowie einen Anhang mit weiteren 21 Liedern. Die ersten fünf Abschnitte ordnen die darin enthaltenen 52 Lieder hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit in der Liturgie und tragen daher die Überschriften "Kyrie", "Credo", "Gabenbereitung", "Sanctus" und "Vaterunser" (wobei das Fehlen von Gloria und Agnus Dei auffällt); die Überschriften der weiteren Abschnitte - z.B. "Frieden und Versöhnung", "Vertrauen und Liebe", "Suchen und Fragen" - erinnern vage an die Nachrichtenkategorien der Online-Präsenz von Radio Vatikan. Ab Nr. 351 folgen 43 "Gesänge aus Taizé", ab Nr. 394 dann 16 "Gospels und Spirituals"; diese klammere ich mal aus meiner Analyse aus. Es bleiben also, einschließlich des Anhangs, noch 371 Lieder zu evaluieren. Von diesen kenne ich übrigens 75 Stücke gut genug, um sie beim bloßen Lesen des Texts sogleich im Ohr zu haben; zum Teil, ich gestehe es halb mit, halb ohne Scham, habe ich sie sogar selbst schon mal gesungen. Das macht eine Quote von gut 20% - was einerseits eine so umfassende NGL-Kenntnis meinerseits belegt, dass ich es selbst fast erschreckend finde; andererseits heißt das aber eben auch, dass ich fast 80% der in diesem Buch versammelten Lieder eben nicht kenne. Und meine musikalischen Fähigkeiten reichen nicht aus, mir allein anhand des Notenbildes auszumalen, wie ein Lied klingt. Folglich beziehe ich mich bei meiner Evaluation dieses Liedgutes ausschließlich auf die Texte - und zwar, im Interesse der Gleichbehandlung, auch bei denjenigen Liedern, deren Melodie ich nur allzu gut kenne.
Das hat durchaus Auswirkungen auf die Bewertung. So habe ich an immerhin 78 der 371 Liedtexte - also 21% - nichts auszusetzen gefunden, darunter sind 13 der mir bekannten Stücke. Und da war ich noch großzügig. Von dem zweistimmigen Kanon "Wo zwei oder drei" (Nr. 179) beispielsweise wird wohl keiner leugnen, dass er - zumindest, wenn er von plärrenden Kinderstimmen vorgetragen wird, und genau dafür ist er ja da - absolut zum Davonlaufen ist; aber am Text gibt es nun mal nichts zu bemängeln. Ähnliches gilt für "Kommt herbei, singt dem Herrn" (Nr. 261). Bei dem Vers "Singend lasst uns vor Ihn treten" habe ich schon als Kind immer unwillkürlich gedacht: Och nö, lieber nicht. Trotzdem gibt's an dem Text nicht viel zu tadeln. Und selbst dem an anderer Stelle scharf kritisierten "Nimm, o Herr, die Gaben, die wir bringen" (Nr. 25) konnte ich nach Maßgabe meiner selbst aufgestellten Regeln den Persilschein nicht verweigern, denn seine hier und da leicht ins Häretische lappende Doppelbödigkeit bezieht der Text eben erst daraus, dass er auf die Melodie von Andrew Lloyd Webbers "The Last Supper" gesungen wird. Ohne diesen doppelten Boden wäre es ein durchaus untadeliger Text für ein Gabenbereitungslied.
Dass ich trotz aller Kulanz nicht mehr als 21% der untersuchten Liedtexte als untadelig eingestuft habe, bedeutet im Übrigen nicht, dass die übrigen 79% des Buch-Inhalts durchweg gleichermaßen scheußlich und verdammenswert wären. Vielmehr habe ich die verbleibenden 293 Liedtexte in drei Kategorien (B, C und D -- Kategorie A umfasst die 78 Texte, an denen ich nichts Schwerwiegendes auszusetzen gefunden habe) eingeteilt, und tatsächlich ist Kategorie B - nennen wir sie mal, in klassischem Angeberlatein, "de gustibus..." - sogar mit einigem Abstand die umfangreichste: Sie umfasst 142 Liedtexte (38,3%), nämlich solche, die zwar für mein Empfinden sprachlich unschön oder formal mangelhaft sind (also z.B. in Hinblick auf Metrum u./o. Reim), die inhaltlich banal, redundant oder kitschig sind oder denen es - gemessen an ihrem Anspruch, geistliche Lieder zu sein - an religiösem Gehalt fehlt; das alles aber in noch erträglichem Maße, also so, dass ich die Verwendung dieser Lieder im Gottesdienst zwar nicht gerade toll fände, aber doch noch ganz gut damit leben könnte. Diejenigen Lieder, bei denen dieselben Mängel so stark ausgeprägt sind, dass es schon weh tut, bilden die Kategorie C ("Ohrenkrebs") - und die umfasst auch immerhin 119 Liedtexte (32,1%). - Die Abgrenzung zwischen Kategorie B und C ist somit nur eine graduelle; wo die Grenze verläuft, lässt sich wohl am besten an ein paar Beispielen aufzeigen.
Die ausgesprochenen NGL-Klassiker "Ins Wasser fällt ein Stein" (Nr. 128; Text: Manfred Siebald, Musik: Kurt Kaiser) und "Kleines Senfkorn Hoffnung" (Nr. 126; Text: Alois Albrecht, Musik: the one and only Ludger Edelkötter) haben viel gemeinsam - und zwar nicht nur, dass beide Seit' an Seit' (als Nr. 812 und 813) in den gemeinsamen Regionalteil des neuen Gotteslobs für das Erzbistum Berlin und die Bistümer Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz und Magdeburg aufgenommen wurden, und auch nicht nur, dass sie so oft so grausig schlecht gesungen werden, was aber ja nicht Gegenstand dieser Evaluation sein soll. - In beiden Texten geht es um kleine Dinge, die große Wirkung entfalten. Besonders in der jeweils zweiten Strophe kommen sich die Texte beider Lieder auffallend nahe:
In der Rubrik "Gabenbereitung" des Liederbuchs finden sich u.a. die sehr bekannten Lieder "Wenn das Brot, das wir teilen", hier unter dem Titel "Liebe, die alles umfängt" (Nr. 16; Text: Claus-Peter März, Musik: Kurt Grahl) und "Wenn jeder gibt, was er hat", hier kurz "Wenn jeder gibt" überschrieben (Nr. 18; Text: Wilhelm Willms, Musik: der unvermeidliche Peter Janssens). Besonders das erstere war in meiner Kindheit und Jugend sehr beliebt und ist es vermutlich immer noch - es steht, als Nr. 470, sogar im Stammteil des neuen Gotteslobs.
Das Lied hat fünf Strophen; jede von diesen besteht aus zwei durch "und" verbundenen Konditionalsätzen, dann folgt der Refrain:
Erheblich weniger Text hat "Wenn jeder gibt, was er hat": nur drei Strophen, die ebenfalls aus je zwei Versen bestehen - aber deutlich kürzeren Versen als "Wenn das Brot, das wir teilen". Auch der Refrain ist deutlich kürzer:
Zwei weitere recht bekannte Lieder, die zu einem direkten Vergleich miteinander herausfordern, finden sich im Abschnitt "Das Leben Feiern": "Unser Leben sei ein Fest" (Nr. 265; Text: Josef-Metternich-Team, Musik: der unvermeidliche Peter Janssens) und "Manchmal feiern wir mitten im Tag" (Nr. 268; Text: Alois Albrecht, Musik: ebenfalls der unvermeidliche Peter Janssens, 1974). Letzteres Lied ist als Nr. 472 ins neue Gotteslob aufgenommen worden, ersteres immerhin in den schon erwähnten Regionalteil der ostdeutschen Bistümer.
Die Verfasserangabe "Josef-Metternich-Team" beim Text von "Unser Leben sei ein Fest" lässt auf kollektive Autorschaft schließen, und so sieht der Text auch aus: Man kann ihn sich gut als das Ergebnis eines Brainstormings vorstellen. Jede der vier Strophen beginnt mit dem Vers "Unser Leben sei ein Fest" und endet mit den Versen "Unser Leben sei ein Fest, / An diesem Abend und jeden Tag" (wobei "Abend" bei Bedarf auch durch "Morgen" ersetzt werden kann); dazwischen folgen pro Strophe drei weitere Verse, die einander strukturell allesamt gleichen und durchaus durch kollektive Assoziation entstanden sein mögen. Man kann von Glück sagen, dass auf diese Weise nicht noch mehr Strophen entstanden sind, denn durch diesen Aufbau wirkt das Lied doch arg redundant und ermüdend.
"Manchmal feiern wir..." hat ebenfalls vier Strophen, die ähnlich schematisch aufgebaut sind; das Schema lässt sich wie folgt darstellen:
Während also formal gesehen beide Lieder gleichermaßen schrottig sind, erhält "Unser Leben sei ein Fest" klare Pluspunkte auf der inhaltlichen Seite und wird mit der Aufnahme in Kategorie B belohnt, während "Manchmal feiern wir..." in Kategorie C darben und riesige Paella-Pfannen säubern muss. Die Aufnahme dieses Liedes ins Gotteslob betrachte ich als eine klare Fehlentscheidung.
Insgesamt ist es sicherlich ermutigend, dass das Buch "Jubilate Deo" mehr Lieder der Kategorie B als der Kategorie C enthält; aber dann gibt es ja auch noch die Kategorie D: 32 Lieder - 8,6% des gesamten Textkorpus -, die nun wirklich gar nicht gehen. Lieder, bei denen ich nicht nur selbst die Flucht ergreifen, sondern dies auch meinen geneigten Lesern nahelegen würde - weshalb ich die Kategorie D, nach einem berühmten Ausspruch Gandalfs des Grauen, "Flieht, ihr Narren!" benannt habe. Diese Kategorie ist solchen Liedtexten vorbehalten, die deshalb nichts im Gottesdienst oder in gottesdienstartigen Feiern verloren haben, weil sie nicht einfach nur doof, sondern mehr oder weniger offen häretisch sind. Oder, in einem nicht ganz so streng nach Inquisition und Scheiterhaufen riechenden Vokabular gesagt: weil sie für die Verkündigung der christlichen Heilsbotschaft nicht nur nicht förderlich, sondern sogar schädlich sind. Nämlich indem sie diese Botschaft einseitig verkürzen oder verzerren, ideologisch aufladen oder gleich ganz und gar durch eine andere Heilslehre ersetzen. Die betreffenden 32 Liedtexte bieten genug Stoff für nicht nur einen, sondern sogar zwei eigenständige Blogbeiträge... demnächst also mehr zu diesem Thema!
Das hat durchaus Auswirkungen auf die Bewertung. So habe ich an immerhin 78 der 371 Liedtexte - also 21% - nichts auszusetzen gefunden, darunter sind 13 der mir bekannten Stücke. Und da war ich noch großzügig. Von dem zweistimmigen Kanon "Wo zwei oder drei" (Nr. 179) beispielsweise wird wohl keiner leugnen, dass er - zumindest, wenn er von plärrenden Kinderstimmen vorgetragen wird, und genau dafür ist er ja da - absolut zum Davonlaufen ist; aber am Text gibt es nun mal nichts zu bemängeln. Ähnliches gilt für "Kommt herbei, singt dem Herrn" (Nr. 261). Bei dem Vers "Singend lasst uns vor Ihn treten" habe ich schon als Kind immer unwillkürlich gedacht: Och nö, lieber nicht. Trotzdem gibt's an dem Text nicht viel zu tadeln. Und selbst dem an anderer Stelle scharf kritisierten "Nimm, o Herr, die Gaben, die wir bringen" (Nr. 25) konnte ich nach Maßgabe meiner selbst aufgestellten Regeln den Persilschein nicht verweigern, denn seine hier und da leicht ins Häretische lappende Doppelbödigkeit bezieht der Text eben erst daraus, dass er auf die Melodie von Andrew Lloyd Webbers "The Last Supper" gesungen wird. Ohne diesen doppelten Boden wäre es ein durchaus untadeliger Text für ein Gabenbereitungslied.
Dass ich trotz aller Kulanz nicht mehr als 21% der untersuchten Liedtexte als untadelig eingestuft habe, bedeutet im Übrigen nicht, dass die übrigen 79% des Buch-Inhalts durchweg gleichermaßen scheußlich und verdammenswert wären. Vielmehr habe ich die verbleibenden 293 Liedtexte in drei Kategorien (B, C und D -- Kategorie A umfasst die 78 Texte, an denen ich nichts Schwerwiegendes auszusetzen gefunden habe) eingeteilt, und tatsächlich ist Kategorie B - nennen wir sie mal, in klassischem Angeberlatein, "de gustibus..." - sogar mit einigem Abstand die umfangreichste: Sie umfasst 142 Liedtexte (38,3%), nämlich solche, die zwar für mein Empfinden sprachlich unschön oder formal mangelhaft sind (also z.B. in Hinblick auf Metrum u./o. Reim), die inhaltlich banal, redundant oder kitschig sind oder denen es - gemessen an ihrem Anspruch, geistliche Lieder zu sein - an religiösem Gehalt fehlt; das alles aber in noch erträglichem Maße, also so, dass ich die Verwendung dieser Lieder im Gottesdienst zwar nicht gerade toll fände, aber doch noch ganz gut damit leben könnte. Diejenigen Lieder, bei denen dieselben Mängel so stark ausgeprägt sind, dass es schon weh tut, bilden die Kategorie C ("Ohrenkrebs") - und die umfasst auch immerhin 119 Liedtexte (32,1%). - Die Abgrenzung zwischen Kategorie B und C ist somit nur eine graduelle; wo die Grenze verläuft, lässt sich wohl am besten an ein paar Beispielen aufzeigen.
Beispiel 1: Stein vs. Senfkorn
Die ausgesprochenen NGL-Klassiker "Ins Wasser fällt ein Stein" (Nr. 128; Text: Manfred Siebald, Musik: Kurt Kaiser) und "Kleines Senfkorn Hoffnung" (Nr. 126; Text: Alois Albrecht, Musik: the one and only Ludger Edelkötter) haben viel gemeinsam - und zwar nicht nur, dass beide Seit' an Seit' (als Nr. 812 und 813) in den gemeinsamen Regionalteil des neuen Gotteslobs für das Erzbistum Berlin und die Bistümer Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz und Magdeburg aufgenommen wurden, und auch nicht nur, dass sie so oft so grausig schlecht gesungen werden, was aber ja nicht Gegenstand dieser Evaluation sein soll. - In beiden Texten geht es um kleine Dinge, die große Wirkung entfalten. Besonders in der jeweils zweiten Strophe kommen sich die Texte beider Lieder auffallend nahe:
"Ein Funke, kaum zu seh'n,respektive
Entfacht doch helle Flammen,
Und die im Dunkeln steh'n,
Die ruft der Schein zusammen.
Wenn Gottes große Liebe in einem Menschen brennt,
Dann wird die Welt
Vom Licht erhellt,
Da bleibt nichts, was uns trennt."
"Kleiner Funke Hoffnung,Zur Form ist zu sagen, dass "Ins Wasser fällt ein Stein" drei Strophen hat, "Kleines Senfkorn Hoffnung" hingegen fünf; während in den fünf Strophen des letzteren Liedes, die alle genau parallel aufgebaut sind (der zweite Vers "Mir umsonst geschenkt" kehrt in jeder Strophe wieder), lediglich verschiedene Metaphern für Hoffnung aneinander gereiht werden, die jeweils unterschiedliche Aspekte oder, wenn man so will, "Früchte" der Hoffnung symbolisieren sollen, bringt Siebalds Text lediglich zwei verschiedene Bilder (Stein, der im Wasser Kreise zieht, und Funke, der ein Feuer entfacht) für "Gottes große Liebe"; die dritte Strophe zieht gewissermaßen die Nutzanwendung aus den beiden vorangegangenen und greift dabei deren Metaphorik wieder auf:
Mir umsonst geschenkt,
Werde ich dich nähren,
Dass du überspringst,
Dass du wirst zur Flamme,
Die uns leuchten kann,
Feuer schlägt in allen, allen
Die im Finstern sind."
"Nimm Gottes Liebe an!Ich glaube, es wird deutlich, warum ich Siebalds Text schon rein vom Aufbau her kunstvoller und gelungener finde als den von Albrecht. Zu Kategorie A hat es dennoch nicht gereicht; dafür sind einzelne Formulierungen zu ungelenk geraten ("Wenn Gottes große Liebe / In einen Menschen fällt", also bitte!), zudem erscheint es nicht recht plausibel, dass "Gottes große Liebe" so betont mit kleinen Dingen verglichen wird, und die Reime sind mir tendenziell ein bisschen zu offensichtlich. An "Kleines Senfkorn Hoffnung" - wo sich, nebenbei bemerkt, überhaupt nichts reimt - habe ich im direkten Vergleich aber doch noch mehr zu kritisieren: Dass das "kleine Senfkorn", der "kleine Funke", die "kleine Münze" usw. direkt angesprochen werden, gibt dem Text etwas unangenehm Verniedlichendes; zudem wäre es besser gewesen, nach drei Strophen aufzuhören, umso mehr, als die in Strophe 4 und 5 herangezogenen Metaphern "Kleine Träne" respektive "Kleines Sandkorn" (im Getriebe!!) allzu gesucht und wenig überzeugend daherkommen. Erschwerend kommt hinzu, dass, obwohl Strophe 1 und 3 direkt an Gleichnisse Jesu (Matthäus 13,31f. und Lukas 15,8-10) anknüpfen und obwohl Hoffnung zu den christlichen Haupttugenden gehört, ein eindeutiger Gottesbezug fehlt: Ein Loblied auf die Hoffnung könnten Nichtchristen, ja sogar religiös gänzlich bekenntnislose Menschen ebensogut anstimmen. Dagegen geht es bei "Ins Wasser fällt ein Stein" explizit um Gottes große Liebe und darum, dass diese es ist, die den Menschen erst befähigt, hinauszugehen und Liebe auszuteilen. Und somit landet dieses Lied bei mir in Kategorie B, "Kleines Senfkorn Hoffnung" hingegen in Kategorie C.
Du brauchst dich nicht allein zu müh'n,
Denn Seine Liebe kann
In deinem Leben Kreise zieh'n.
Und füllt sie erst dein Leben
Und setzt sie dich in Brand,
Gehst du hinaus,
Teilst Liebe aus,
Denn Gott füllt die die Hand."
Beispiel 2: Die Hl. Elisabeth von Thüringen gegen die Dreizehnte Fee
In der Rubrik "Gabenbereitung" des Liederbuchs finden sich u.a. die sehr bekannten Lieder "Wenn das Brot, das wir teilen", hier unter dem Titel "Liebe, die alles umfängt" (Nr. 16; Text: Claus-Peter März, Musik: Kurt Grahl) und "Wenn jeder gibt, was er hat", hier kurz "Wenn jeder gibt" überschrieben (Nr. 18; Text: Wilhelm Willms, Musik: der unvermeidliche Peter Janssens). Besonders das erstere war in meiner Kindheit und Jugend sehr beliebt und ist es vermutlich immer noch - es steht, als Nr. 470, sogar im Stammteil des neuen Gotteslobs.
Das Lied hat fünf Strophen; jede von diesen besteht aus zwei durch "und" verbundenen Konditionalsätzen, dann folgt der Refrain:
"Dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut,Die Konditionalsätze in den Strophen beschreiben also so zu sagen Situationen, in denen die Anwesenheit Gottes in der Welt sicht- bzw. spürbar wird. Zwei solcher beispielhafter Situationen pro Strophe ergeben insgesamt zehn, und das ist zuviel. Der von Strophe zu Strophe immer gleiche Satzbau wirkt ermüdend, und besonders wird der Eindruck von Redundanz durch den Refrain verstärkt, der zu allem Übel deutlich länger ist als die Strophen. - Hinzu kommt, dass die sprachlichen Bilder nicht immer geschickt gewählt sind. Der erste Vers der ersten Strophe - "Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht" - bezieht sich natürlich auf das Rosenwunder der Hl. Elisabeth von Thüringen, zu deren 750. Todestag (1981) das Lied geschrieben wurde (wie auch der 2. Vers der 3. Strophe, "Und das Kleid, das wir schenken, auch uns bedeckt", auf ein derselben Heiligen zugeschriebenes Mantelwunder anspielt); aber wenn man das nicht weiß, könnte man auf die Idee kommen, den Hungernden wäre mit einer Verwandlung von Brot in Rosen schlecht gedient. Bei anderen Textstellen sollte man tunlichst die anarchische Phantasie von Kindern und Jugendlichen einkalkulieren, für die das Lied ja in erster Linie geschrieben zu sein scheint. Der Vers "Wenn die Hand, die wir halten, uns selber hält" (Strophe 3) etwa ist ja an und für sich durchaus schön, verführt aber im Zusammenspiel mit der unbeirrbaren Gleichförmigkeit des Satzbaus aller fünf Strophen zu Verballhornungen à la "Wenn das Brot, das wir teilen, uns selber teilt".
Dann wohnt Er schon in unserer Welt,
Ja, dann schauen wir heut schon Sein Angesicht
In der Liebe, die alles umfängt."
Erheblich weniger Text hat "Wenn jeder gibt, was er hat": nur drei Strophen, die ebenfalls aus je zwei Versen bestehen - aber deutlich kürzeren Versen als "Wenn das Brot, das wir teilen". Auch der Refrain ist deutlich kürzer:
"Wenn jeder gibt, was er hat,Man könnte nun denken, wer weniger Text schreibe, könne dabei auch weniger falsch machen, und tatsächlich trifft diese Faustregel im NGL-Bereich häufig zu; in diesem Fall jedoch nicht:
Dann werden alle satt." (2x)
"Wir spinnen, knüpfen, weben,wer denkt da nicht unwillkürlich an Heinrich Heines "Die schlesischen Weber"? - "Kirche, wir weben dein Leichentuch..." - Nun, ganz so weit muss man wohl nicht gehen; aber zumindest liegt es nahe, sich an die als Spinnerinnen dargestellten Schicksalsgöttinnen der griechischen und römischen Mythologie erinnert zu fühlen, die Moiren bzw. Parzen, die in der altnordischen Sagenwelt als Nornen wiederkehren und auch in diversen Märchen ihre Spuren hinterlassen haben, deren bekanntestes sicherlich Dornröschen (KHM 50) ist. - Die Weber-Metaphorik kommt zugegebenermaßen auch in Jesaja 38,12 vor, aber für "neues Leben" steht sie dort gerade nicht - im Gegenteil:
Wir säen neues Leben" -
"Wie ein Weber hast Du mein Leben zu Ende gewoben,- Und in seiner zweiten Strophe reizt Willms dann auch noch die umgangssprachliche Doppeldeutigkeit des Verbs "spinnen" aus:
Du schneidest mich ab wie ein fertig gewobenes Tuch."
"Wir spinnen, träumen, schauen,Auf der inhaltlichen Ebene ist der gravierendste Unterschied zwischen den beiden Liedtexten aber das Verhältnis zwischen dem Handeln des Menschen und dem Handeln Gottes. In beiden Liedern ist durchgängig von einem "Wir" als Handlungsträger die Rede: In "Wenn jeder gibt, was er hat" beginnt jeder Vers in jeder Strophe mit diesem "Wir", was bei der Knappheit des Texts bedeutet, dass für kaum etwas Anderes Platz bleibt. Dagegen sind es zwar auch in "Wenn das Brot, das wir teilen" wiederum "wir", die das Brot teilen, das Wort sprechen, die Not lindern usw.; aber wenn aus diesem menschlichen Handeln ein Wunder entsteht - das Brot als Rose blüht, das Wort als Lied erklingt -, dann ist das ein Zeichen für die Anwesenheit Gottes in der Welt. Das heißt: Gott wirkt durch das Handeln der Menschen, aber Er ist es, der die Früchte dieses Handelns verwandelt und daraus etwas schafft, was die Menschen aus eigener Kraft nicht zu vollbringen vermöchten. In "Wenn jeder gibt, was er hat" hingegen ist von einem Handeln Gottes - oder überhaupt von Gott - keine Rede. Der Refrain, der in der 3. Strophe ("Wir teilen, was wir haben, / Wir bringen uns're Gaben") lediglich noch einmal paraphrasiert wird, spricht in aller Deutlichkeit die Überzeugung aus, um "alle satt" zu machen, genüge es, dass der Mensch "gibt, was er hat"; der Gedanke, dass der Mensch erst einmal etwas empfangen müsse - von Gott nämlich -, um etwas geben zu können, ist auffallend abwesend. Und das soll ein Gabenbereitungslied sein? Im Grunde hätte man dieses Lied fast schon in Kategorie D (s. unten) einordnen können, aber ich habe ein Auge zugedrückt und es in Kategorie C einsortiert. Folgerichtig drücke ich bei dem wesentlich weniger schlechten "Wenn das Brot, das wir teilen" noch ein weiteres Auge zu und nehme es trotz aller formalen Mängel in Kategorie B auf.
Wir fangen an zu bauen."
Beispiel 3: Das Leben feiern oder die Auferstehung?
Zwei weitere recht bekannte Lieder, die zu einem direkten Vergleich miteinander herausfordern, finden sich im Abschnitt "Das Leben Feiern": "Unser Leben sei ein Fest" (Nr. 265; Text: Josef-Metternich-Team, Musik: der unvermeidliche Peter Janssens) und "Manchmal feiern wir mitten im Tag" (Nr. 268; Text: Alois Albrecht, Musik: ebenfalls der unvermeidliche Peter Janssens, 1974). Letzteres Lied ist als Nr. 472 ins neue Gotteslob aufgenommen worden, ersteres immerhin in den schon erwähnten Regionalteil der ostdeutschen Bistümer.
Die Verfasserangabe "Josef-Metternich-Team" beim Text von "Unser Leben sei ein Fest" lässt auf kollektive Autorschaft schließen, und so sieht der Text auch aus: Man kann ihn sich gut als das Ergebnis eines Brainstormings vorstellen. Jede der vier Strophen beginnt mit dem Vers "Unser Leben sei ein Fest" und endet mit den Versen "Unser Leben sei ein Fest, / An diesem Abend und jeden Tag" (wobei "Abend" bei Bedarf auch durch "Morgen" ersetzt werden kann); dazwischen folgen pro Strophe drei weitere Verse, die einander strukturell allesamt gleichen und durchaus durch kollektive Assoziation entstanden sein mögen. Man kann von Glück sagen, dass auf diese Weise nicht noch mehr Strophen entstanden sind, denn durch diesen Aufbau wirkt das Lied doch arg redundant und ermüdend.
"Manchmal feiern wir..." hat ebenfalls vier Strophen, die ähnlich schematisch aufgebaut sind; das Schema lässt sich wie folgt darstellen:
"Manchmal feiern wir mitten im (a)Hinsichtlich ihrer strukturellen Eintönigkeit nehmen sich die beiden Liedtexte also nichts. Inhaltlich fallen aber selbst in dieser schematischen Darstellung schon einige Unterschiede ins Auge. Während in Lied Nr. 265 das ganze Leben "ein Fest" sein soll, wird in Nr. 268 nur "manchmal", und zwar mitten in irgendwas Anderem, ein Fest gefeiert; andererseits wird dieses immerhin konkreter benannt: ein Fest der Auferstehung soll es sein. Hat Nr. 268 also im Vergleich zu Nr. 265 den ausgeprägteren christlichen Gehalt? -- Weit gefehlt. Die oben ausgelassenen Mittelverse der vier Strophen von "Unser Leben sei ein Fest" verleihen dem Lied stellen nämlich explizit Jesus in den Mittelpunkt; hier ein paar Beispiele:
Ein Fest der Auferstehung.
(b) werden (c),
Und ein (d) ist da."
- Jesu Geist in unserer MitteGerade die prägende Gegenwart Jesu in unserem Leben, so wird hier deutlich, ist es, die unser Leben zu einem Fest machen soll. Mit der Klarheit dieser christozentrischen Botschaft kommt "Manchmal feiern wir mitten im Tag" nicht mit. Da ist zwar von "Auferstehung" die Rede, aber ob damit wirklich die Auferstehung Jesu als reales Ereignis, ja als das zentrale Ereignis der Heilsgeschichte gemeint ist, bleibt ungewiss; ja, man kann den Eindruck haben, "Auferstehung" stehe hier lediglich als Chiffre für einen plötzlichen Zuwachs an ideeller Lebensqualität - an "Glück" (Strophe 1), "Friede" (Strophe 3), "Geist" (Strophe 4). Und mit was für einem technischen Vokabular das, was in solchen Momenten geschieht, beschrieben wird! Da werden Stunden eingeschmolzen, Sätze aufgebrochen, Waffen umgeschmiedet, Sperren überwunden... aber eben nur manchmal. Die Welt von "Manchmal feiern wir..." ist gewissermaßen ein geistliches Villabajo, wo man noch schrubbt, während in Villariba schon gefeiert wird - weil da Jesus ist.
- Jesu Licht auf unseren Wegen
- Jesu Wort als Quell unserer Freude
- Jesus selbst als Stamm der Gemeinde.
Während also formal gesehen beide Lieder gleichermaßen schrottig sind, erhält "Unser Leben sei ein Fest" klare Pluspunkte auf der inhaltlichen Seite und wird mit der Aufnahme in Kategorie B belohnt, während "Manchmal feiern wir..." in Kategorie C darben und riesige Paella-Pfannen säubern muss. Die Aufnahme dieses Liedes ins Gotteslob betrachte ich als eine klare Fehlentscheidung.
Insgesamt ist es sicherlich ermutigend, dass das Buch "Jubilate Deo" mehr Lieder der Kategorie B als der Kategorie C enthält; aber dann gibt es ja auch noch die Kategorie D: 32 Lieder - 8,6% des gesamten Textkorpus -, die nun wirklich gar nicht gehen. Lieder, bei denen ich nicht nur selbst die Flucht ergreifen, sondern dies auch meinen geneigten Lesern nahelegen würde - weshalb ich die Kategorie D, nach einem berühmten Ausspruch Gandalfs des Grauen, "Flieht, ihr Narren!" benannt habe. Diese Kategorie ist solchen Liedtexten vorbehalten, die deshalb nichts im Gottesdienst oder in gottesdienstartigen Feiern verloren haben, weil sie nicht einfach nur doof, sondern mehr oder weniger offen häretisch sind. Oder, in einem nicht ganz so streng nach Inquisition und Scheiterhaufen riechenden Vokabular gesagt: weil sie für die Verkündigung der christlichen Heilsbotschaft nicht nur nicht förderlich, sondern sogar schädlich sind. Nämlich indem sie diese Botschaft einseitig verkürzen oder verzerren, ideologisch aufladen oder gleich ganz und gar durch eine andere Heilslehre ersetzen. Die betreffenden 32 Liedtexte bieten genug Stoff für nicht nur einen, sondern sogar zwei eigenständige Blogbeiträge... demnächst also mehr zu diesem Thema!