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Sonntag, 31. Mai 2015

Der Fußballgott, der Gott der Ruhe und die Götter des Dschungels

„Unsere Hoffnung gründet sich auf das Sportpublikum. Unser Auge schielt, verbergen wir es nicht, nach diesen ungeheuren Zementtöpfen, gefüllt mit 15.000 Menschen aller Klassen und Gesichtsschnitte, dem klügsten und fairsten Publikum der Welt.“

Das schrieb Bertolt Brecht im Jahr 1926, und mit dem „Wir“, das den Sport um dessen Publikum beneidet, meinte er das Theater. Er hätte ebensogut auch die Kirche meinen können. Nun gut: damals, 1926, vielleicht noch nicht. Aber heute ganz bestimmt. Es ist ja wahr: Sportereignisse – in besonderem Maße Fußballereignisse – lösen bei zahllosen Menschen ein Ausmaß an Euphorie, Enthusiasmus, ja Ekstase aus, von dem Religionsgemeinschaften bei ihren Anhängern nur träumen können. Bei Welt- und Europameisterschaften wird dies regelmäßig zu einem Massenphänomen, das auch Menschen ergreift, die sich sonst kaum für Fußball interessieren; aber auch im Vereinsfußball gibt es Ereignisse, bei denen Tausende von Menschen – sei es im Stadion oder vor dem Fernseher – so ergriffen mitfiebern, als hinge ihr persönliches Wohl und Wehe davon ab, ob „ihr“ Verein den DFB-Pokal gewinnt, die Qualifikation für die Champions' League erreicht oder in die 2. Liga absteigt. Kein Wunder, dass dabei auch Gebete zum „Fußballgott“ nicht fehlen.

Ebenfalls kein Wunder ist es, dass sich „bei Kirchens“ Mancher fragt, was man tun könnte, um bei den Menschen eine ähnlich große Begeisterung für das eigene „Angebot“ hervorzurufen. Okay, wenn der Papst zu Besuch ist, dann schafft man es auch schon mal, ein Fußballstadion zu füllen. Aber sonst?

Im Sinne des (wie es scheint) obersten pastoralen Grundsatzes, „die Menschen da abzuholen, wo sie stehen“, wird in Hochphasen der Fußballbegeisterung gern darauf gesetzt, das Thema Fußball in die Kirche hineinzuholen. Da wimmelt es in den Predigten von Fußballmetaphern, Gemeindereferenten treten mit Bayern-München-Schals an den Ambo, und das Online-Portal katholisch.de befragt die „zuständigen“ Bischöfe von fünf abstiegsbedrohten Bundesligaklubs (beim sechsten, Hertha BSC, herrscht gerade Sedisvakanz) nach ihren Tipps für den letzten Spieltag – „und nach einem Bibelzitat für Club und Fans“. (Für das Erzbistum Hamburg bzw. den HSV äußerte sich übrigens der emeritierte Erzbischof Werner Thissen, da sein Nachfolger Stefan Heße sich – wie er jüngst in einem Interview mit der WELT gestand – nicht für Fußball interessiert.) Und dann war ja gerade Pokalfinale in Berlin, und zu diesem Anlass gab es in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche einen ökumenischen Gottesdienst unter dem Motto „Doppelpass“. In der Predigt ging es um „das Doppelgebot der Liebe als 'genialen Doppelpass Jesu'“:

„Das Liebesgebot finde sich im Kern auch wieder im 'Fairplay' als höchstem Gebot für Spieler, Fans und Funktionäre […]. 'Wo es nicht eingehalten wird, wird der Fußball zerstört' […]. Das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe ziele darauf, 'gut miteinander zu leben'. Gott sei ein 'Liebhaber des Lebens' und traue den Menschen zu, fair miteinander umzugehen. […] Jeder Gottesdienst biete [...] die Gelegenheit, den 'Doppelpass Gottes und sein unverdientes Fairplay an uns mit Freude und Dank zu feiern'.“

Wie finde ich das? Doof finde ich das. Der Fußballgott ist heute, um mal ein berüchtigtes Zitat von John Lennon abzuwandeln, „beliebter als Jesus“; und die Kirchen ziehen daraus die Konsequenz, dass sie, wenn sie sich popularitätsmäßig schon nicht mit dem Fußball messen können, wenigstens ein bisschen an dessen Massenwirkung partizipieren wollen, indem sie ein bisschen im Vorprogramm 'rumturnen. Oder – was man auch schon erlebt hat – als Pausenclowns, mit dem „Wort zum Sonntag“ in der Halbzeitpause. Ähnlich geht man auch beim Eurovision Song Contest vor, einem weiteren medialen Großereignis mit kultischem Charakter. Nun mal im Ernst, wie würdelos und ranschmeißerisch geht’s denn noch? Das ist in etwa so, als hätte der Prophet Elija am Fuße des Bergs Karmel einen Kiosk eröffnet, um denen, die zum Baalskult pilgern, Popcorn in Tüten mit dem Logo seines Gottes zu verkaufen.

Nun muss man der Fußballpredigt zum DFB-Pokalfinale allerdings noch zugute halten, dass darin, bei aller himmelschreienden Banalisierung, ansatzweise noch auf christliche Inhalte rekurriert wurde. Das ist, wo „Kirche“ (ohne bestimmten Artikel) heutzutage „nah an den Menschen“ zu sein versucht, durchaus nicht selbstverständlich. Greift man hier gewissermaßen zur Mimikry, indem man sich metaphorisch in Fußballtrikot oder Vereinsschal kleidet, praktiziert man anderswo den bewährten Opossum-Trick: Man stellt sich tot, um nicht gefressen zu werden.

Erst unlängst hatte ich das Social-Media-Team des Bistums Münster wegen eines Facebook-Postings am Wickel, das mir exemplarisch für die in der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit grassierende Tendenz erschien, statt Bekenntnissen zum christlichen Glauben lieber unverbindlich-schwammige „Wir sollten alle etwas netter zueinander sein“-Botschaften zu verbreiten, um nur ja niemandem auf die Füße zu treten. Nun habe ich, und zwar als unmittelbare Folge des betreffenden Blogbeitrags, beim Bistum Münster gerade eine Bewerbung als Social-Media-Redakteur am Laufen, sodass es taktisch ungeschickt sein mag, schon wieder ausgerechnet an diese Adresse einen Tadel zu erteilen – aber da kann ich nun (wie der Norddeutsche sagt) auch nichts für: Oops, they did it again. Darauf hingewiesen wurde ich ausgerechnet von jenem Bloggerkollen, der meine Kritik am Münsteraner Himmelfahrts-Posting noch als überzogen zurückgewiesen hatte. Nun, am Dreifaltigkeitssonntag, hatte er aber ebenfalls die Faxen dick.



Was gab's? Abermals ein Blumenbild, und dazu einen Text von Peter Handke. Zum Thema Ruhe.
„Ich glaube an die Ruhe. Für mich ist die Ruhe das Höchste, das Intensivste am Menschen. Aus der Ruhe kommt alles. Die Ruhe ist dramatisch. Die Ruhe will aktiv werden. Die Ruhe strahlt. Das sagt man ja: Er strahlt Ruhe aus. Die schönste Strahlung ist die Ruhe. Ruhe ist Freude, ist Teilnahme, ist Erbarmen, ist Gott. Ich spreche von einem Ideal. Die Ruhe ist auch Lust.“

So so, hm hm. Dass die Ruhe ein hohes Gut ist: Wer wollte das bestreiten? Insofern ist Manches von dem, was Handke hier in seiner Handke-typisch verschwurbelten Handke-Prosa sagt, ja gar nicht mal so verkehrt. Was aber will das Bistum Münster seinen Gläubigen ausgerechnet am Hochfest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit mit diesem – pikanterweise als Glaubensbekenntnis („Ich glaube an...“) formulierten – Text mitteilen? Wo liegt da der typologische, der tropologische, ja gar der anagogische Sinn? Verschiedenen Kommentatoren auf Facebook und Twitter fiel durchaus Mancherlei dazu ein. Etwa, dass Gott laut Genesis 2,2f. am siebten Schöpfungstag geruht habe und die Ruhe somit gewissermaßen das letzte, das abschließende Schöpfungswerk sei. Man zitierte Goethe („Über allen Gipfeln ist Ruh... Warte nur, balde / ruhest du auch“) und Georg Thurmair („Wir sind nur Gast auf Erden / und wandern ohne Ruh / mit mancherlei Beschwerden / der ew'gen Heimat zu“), verwies auf den Hesychasmus, eine Spiritualitätsform des byzantinisch-slawischen Christentums, die das Erlangen von hesychia, Seelenruhe, erstrebte und für die besonders der Asket und Kirchenschriftsteller Johannes Climacus richtungsweisend war. Mir selbst fiel Augustinus ein: „Ruhelos ist unser Herz, bis es ruht in Dir, o Herr“.

Man sieht, Ruhe ist ein durchaus ergiebiges Thema. Eines aber ist die Ruhe, im Gegensatz zu den Worten Peter Handkes, ganz entschieden nicht: Gott. Ein guter Freund, seines Zeichens evangelisch-freikirchlicher Christ, brachte es auf Facebook wie folgt auf den Punkt:

„Ruhe ist göttlich, Liebe ist göttlich – so viele schöne Dinge können 'göttlich' sein – weil sie von Gott kommen und ihm entsprechen, aber sie SIND nicht Gott...“

Eigentlich ist es ja traurig, dass man die Social-Media-Abteilung eines katholischen Bistums auf so etwas eigens hinweisen muss. Derweil schlug Bloggerkollege Peter von Echo Romeo vor, den Text „meditativ und langsam“ zu sprechen und dabei den Begriff „Ruhe“ durch „Rübe“ zu ersetzen. – Die unkritische Übernahme eines Schriftstellerzitats, in dem ein Satz wie „Ruhe […] ist Gott“ vorkommt, auf der Facebook-Seite eines katholischen Bistums verweist eindringlich auf die Versuchung des Pantheismus – eines Pantheismus der plattesten und fadenscheinigsten Art noch dazu. Wie ich z.T. auch aus meinem persönlichen Umfeld weiß, erfreut sich dieser einer erheblichen Beliebtheit bei Menschen, die zwar irgendeine spirituelle Dimension in ihrem Alltag suchen, sich aber nicht auf ein konkretes religiöses Bekenntnis festlegen möchten. Gott ist irgendwie in Allem, und Alles ist irgendwie Gott – das ist total modern und auch total tolerant, denn auf diese Weise kann man natürlich auch in jeder Religion ein Stückchen Wahrheit finden und meinen, letztlich seien ja alle Religionen nur verschiedene Wege zum selben Ziel. Mit einem Jesus Christus, der von sich sagt „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ - und nicht etwa „ich bin ein Weg und eine Wahrheit unter vielen“ - , bekommt man da natürlich Probleme. Aber ich habe noch keinen Hobbypantheisten getroffen, der es nicht geschafft hätte, sich da irgendwie rauszuwinden.

Von diesem modischen, auf die Befindlichkeiten der Generation Maybe zugeschnittenen „Pantheismus light“ ist es gedanklich nur noch ein kleiner Schritt zum Polytheismus. Wenn Gott irgendwie in Allem und Alles irgendwie Gott ist, und wenn darüber hinaus auch alle Religionen irgendwie wahr sind, dann liegt es nahe, dass man auch die Existenz mehrerer Götter annehmen kann – die letztlich natürlich wieder nur verschiedene Emanationen der Einen Kosmischen Ursuppe sind (man kennt das). Polytheismus hat den großen Vorteil, dass er anschaulicher, bunter und irgendwie pittoresker ist als die eher abstrakten Gottesvorstellungen eines „reinen“ Pantheismus. Das wurde mir unlängst am Getränkeregal des Supermarkts deutlich.

Ich wollte mir nur schnell ein Erfrischungsgetränk für unterwegs in einer handlichen Halbliterflasche kaufen, und ehe ich's mich versah, stand ich vor einer neuen Limonade mit dem Namen Original Lapacho. Na klar. Erfrischungsgetränke auf Mate-Basis sind ja mittlerweile nichts Neues mehr, da wurde es ja langsam Zeit, dass die Softdrink-Industrie sich auf die nächste Andenpflanze stürzt. Wenn man aus Baumrinde Tee machen kann, warum dann nicht auch Limo? - Ein paar Minuten lang rangen Neugier und Skepsis um meine Kaufentscheidung. Schließlich studierte ich gründlich das hintere Etikett der Flasche – und da stand: „das belebende Getränk der Götter des Dschungels“. Ich stellte die Flasche zurück ins Regal. Wer weiß, am Ende dient das Gebräu dazu, potentielle Menschenopfer gefügig zu machen. Davon abgesehen: Zieht man sich womöglich die Exkommunikation zu, wenn man Erfrischungsgetränke konsumiert, die dem Götzendienst geweiht sind? Musste sich nicht schon der Apostel Paulus mit solchen Fragen herumschlagen

Ein alter Schulfreund, mit dem ich via Facebook und Twitter in Kontakt stehe, merkte an, er halte den Spruch mit den „Göttern des Dschungels“ zwar für „Marketing-Gesabbel mit schlechten Kolonial-Stereotypen“, aber für „nichts, was religiös irgendwie von Belang wäre“. Das sah ich anders. Mein Freund beharrte, er könne sich „nicht vorstellen, dass es den Schöpfer des Universums auch nur im Ansatz interessiert“, was auf dem Etikett dieser Limo stehe. Nun gut – Einwände dieser Art hört man ja öfter, wenn man Kritik an blasphemischen und/oder häretischen Äußerungen in der Werbung oder allgemein in den Medien übt: Da müsse Gott doch drüber stehen. Stimmt wohl: Ich glaube im Grunde ebenfalls nicht, dass Gott Vater den Herstellern oder dem Vertrieb von Original Lapacho dafür grollt, dass sie irgendwelchen Dschungelgöttern huldigen und nicht Ihm, wo Er es doch war, der den Lapacho-Baum hat wachsen lassen. Wo also sehe ich dann das Problem? Ad hoc formulierte ich es so:
„Ebenso wie die übrigen Gebote ist auch das 1. Gebot zum Wohle und Nutzen der Menschen da. Andere Götter anzurufen, und sei es auch nur in einer spielerisch-unernsten 'tongue-in-cheek'-Art und Weise, führt in die Irre.“

Das gilt übrigens auch für den Fußballgott.

Im Übrigen: Weckt mich, wenn die erste Rooibos-Limonade auf den Markt kommt...



Mittwoch, 27. Mai 2015

Was ist eigentlich aus der Populären Front geworden?

Die sitzt da drüben, wie sich wohl Jeder erinnern wird, der den Monty Python-Klassiker „Das Leben des Brian“ kennt. Der Film bezieht einen nicht geringen Teil seiner Komik aus der Darstellung von Flügelkämpfen zwischen verschiedenen Widerstandsgruppen gegen den „römischen Imperialismus“: Jede dieser Gruppen, deren Namen sich nur minimal voneinander unterscheiden und die darum permanent miteinanderverwechselt werden, betrachtet sich als die einzig legitime Vertreterin des Widerstands gegen die Römer, die konkurrierenden Gruppen werden als „Spalter“ beschimpft. Als die Volksfront von Judäa sich endlich dazu aufrafft, revolutionär tätig zu werden, statt in konspirativen Wohnungen endlos über den Wortlaut realitätsferner Resolutionen zu debattieren, und sich anschickt, die Frau des römischen Statthalters Pontius Pilatus zu entführen, trifft sie auf ein Kommando der Kampagne für ein freies Galiläa, das denselben Plan hat. Sofort wollen sie übereinander herfallen, aber Brian ermahnt sie: „Lasst uns gemeinsam kämpfen gegen den gemeinsamen Feind!“ Woraufhin die Aktivisten beider Gruppen begeistert ausrufen: „Die Judäische Volksfront!“
Nein“, beharrt Brian, „die Römer!“

Wie gewisse charakteristische Formulierungen in den internen Hinterzimmerdebatten der Volksfront von Judäa unverkennbar deutlich machen, wird hier speziell das Gebaren diverser linksradikaler Splittergruppen satirisch aufs Korn genommen, und wer sich wie ich ein paar Jahre lang im linksalternativ-autonomen VoKü- und Hausprojekt-Milieuherumgetrieben hat, der kann bestätigen, dass die Darstellung gar nicht mal so sehr übertrieben ist. Was freilich nicht heißt, dass es vergleichbare Denk- und Verhaltensmuster in weltanschaulich anders orientierten Gruppierungen nicht auch gäbe.

Zu was für Verzettelungen dieses politisch-ideologische Sektierertum führen kann, war unlängst sehr schön im Vorfeld der Verleihung des Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidverminderung an, genau, Peter Singer zu beobachten. Der australische „Bio-Ethiker“ Singer, Professor für Ethik an der renommierten Universität Princeton, ist einerseits bekannt für seinen Einsatz für Tierrechte, andererseits aber für seine unverhohlene Ablehnung der Idee einer bedingungslosen, unantastbaren Menschenwürde. Denkt man sich ein wenig in den Präferenzutilitarismus hinein, der das gedankliche Rückgrat von Singers Ethik bildet, dann stellt man fest, dass beides eng miteinander zusammenhängt. Geht man ganz evolutionär-biologistisch davon aus, dass der Mensch letztlich auch nur ein – meinetwegen besonders hoch entwickeltes – Säugetier ist, dann kann, so Singer, in ethischer Hinsicht zwischen Menschen und (anderen) Tieren kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied gemacht werden. Der Vorrang des Menschen- vor dem Tierrecht kann demnach kein absoluter, sondern nur ein relativer sein; im Klartext heißt das, dass unter bestimmten Umständen einem gesunden Tier ein größeres Lebensrecht zukommt als einem kranken Menschen. Und so gelangt Singer mit kühler Folgerichtigkeit zu dem Schluss, Euthanasie und Säuglingstötung seien gutzuheißen. Unter bestimmten Voraussetzungen, wie gesagt.

Abstrakt und nüchtern betrachtet ist Peter Singer ein äußerst illustratives Beispiel dafür, wie man von einem moralisch an sich richtigen Impuls – hier: dem Widerspruch gegen grausame Behandlung von Tieren – zu durch und durch amoralischen und menschenverachtenden Schlussfolgerungen gelangen kann. Was nun in den letzten Tagen und Wochen anhand der Reaktionen auf die Ankündigung, Peter Singer solle in der Berliner Urania einen nach ihm selbst benannten Preis verliehen bekommen, sehr spannend zu beobachten war, war, wie Personen oder Personengruppen, die mit den Prämissen von Singers Ethik grundsätzlich übereinstimmen, sich darüber in die Haare kriegten, bis zu welchem Punkt man die logischen Konsequenzen aus diesen Prämissen noch mittragen kann oder darf.

Die erste Eskalationsstufe bestand in der Formierung eines Aktionsbündnisses „Kein Forum für Peter Singer!“, das für den Abend der Preisverleihung, den 26.05., zu einer Protestkundgebung vor der Urania aufrief – und dafür mit einem Plakatmotiv warb, auf dem ein junger Gorilla den Stinkefinger zeigt. Eine feinsinnige Anspielung auf Singers Einsatz für die Rechte von Menschenaffen. Die Ikonographie des Plakats bietet bereits einen Anhaltspunkt, aus welcher ideologischen „Ecke“ die Initiatoren des Aktionsbündnisses kommen: „antifaschistisch, antisexitisch,emanzipatorisch... die Guten halt“. Die URL der „Kein Forum für Peter Singer!“-Website lautet „no218nofundis.wordpress.com“, und das hat seinen Grund: Wie man einem Informationstext in der Seitenleiste entnehmen kann, war dies ursprünglich mal ein Blog des Bündnisses gegen den Marsch für das Leben.

Halten wir das kurz mal fest: Eine Website, die ursprünglich der Propagierung eines „Rechts auf Abtreibung“ und der Mobilisierung von Protesten gegen den Lebensschutz gewidmet war, wird umgewidmet zum Protest gegen einen Vorkämpfer von Abtreibung und Euthanasie. Ein bemerkenswerter Vorgang – aber wer glaubt, da hätten sich Saulusse zu Paulussen gewandelt, der wird schnell eines Besseren belehrt: Das Aktionsbündnis lässt weiterhin keine Gelegenheit ungenutzt, gegen die Lebensschutzbewegung zu polemisieren, und erklärt: „Auf der Protestkundgebung sind 'Lebensschützer' ausdrücklich nicht willkommen!“

Halten wir auch das mal fest: Zwar empört sich das Aktionsbündnis zu Recht darüber, dass Peter Singer „Behinderten Menschen das Recht auf Leben und andere fundamentale Menschenrechte“ abspricht – spricht aber im selben Atemzug just dieselben Rechte ungeborenen Menschen ab, sobald diese ihrer Mutter irgendwie ungelegen kommen. Und Lebensschützer sind mindestens genauso superkackeekelig wie Peter Singer selbst. – Diese kognitive Dissonanz, die es den „Aktionsbündnis“-Leuten ermöglicht, zwar Singers Relativierung von Menschenwürde und Lebensrecht abzulehnen, gleichzeitig aber ein „Recht auf Abtreibung“ zu postulieren, fiel derweil auch Anderen auf, doch dazu später.

Unterstützt wurde der Aufruf des Aktionsbündnisses unter anderem von der Tierschutzpartei(Mensch Umwelt Tierschutz) – womit eine zweite Eskalationsstufe erreicht war, denn die Haltung der Tierschutzpartei zu Peter Singer hat eine komplexe Vorgeschichte. Tatsächlich war es gerade diese Partei, aus deren Reihen die Initiative zur Schaffung eines „Peter-Singer-Preises“ hervorging: Der Stifter des Preises, Dr. Walter Neussel, war ein langjähriges Parteimitglied und hatte auf dem 33. Bundesparteitag der Tierschutzpartei am 08.11.2014 den Vorschlag gemacht, diesen Preis – zu dem er das Preisgeld aus seinem Privatvermögen zur Verfügung zu stellen anbot – als eine von der Tierschutzpartei zu vergebenden Auszeichnung zu installieren. Unterstützt wurde dieses Ansinnen von mehreren Mitgliedern des Bundesvorstandes, darunter Stefan Bernhard Eck, Mitglied des Europäischen Parlaments und damals einer von drei gleichberechtigten Parteivorsitzenden. Eck hatte anno 2006 erhebliches Aufsehen erregt, als er vor der KZ-Gedenkstätte Dachau mit einem Schild mit der Aufschrift „Für Tiere ist jeden Tag Dachau“ demonstriert hatte. Auf dem Parteitag opponierte jedoch die Mehrheit der Delegierten gegen den Namen „Peter-Singer-Preis“, woraufhin Neussel, Eck und einige andere Unterstützer dieses Projekts aus der Partei austraten. Eck behielt jedoch seinen Sitz im Europaparlament und gab als Grund für seinen Parteiaustritt eine zu große Offenheit der Partei für „Personen mit rechtspopulistischem, antiemanzipatorischem oder sogar faschistischem Gedankengut“ an. Für die Verleihung des Peter-Singer-Preises an Peter Singer am 26.05. waren sowohl Neussel als auch Eck als Redner vorgesehen.

Im Jungleblog der linken Wochenzeitung Jungle World, einer 1997 entstandenen Abspaltung von der orthodox-marxistischen Jungen Welt, ging Ivo Bozic am 21.05. hart mit der Tierschutzpartei und anderen Anhängern einer Tierrechtsideologie ins Gericht, die eine „Abkehr vom anthropozentischen Denken“ propagiert und „den Tieren, ebenso wie den Menschen, elementare Grundrechte zuerkennt“: Deren Protest gegen Singer sei inkonsequent und verlogen. „[I]deologischen Tierrechtlern fehlt für eine Kritik an Singer die ethische Grundlage. Sie können nicht Teil der Lösung sein, sie sind das Problem.“ Zwar sei die – von Singer wie auch von anderen Verfechtern der Tierrechtsidee in Frage gestellte – prinzipielle „Grenzziehung zwischen Menschen und Tieren“ zugegebenermaßen „biologisch völlig willkürlich“; dennoch sei sie notwendig: „[D]ass es einen universellen Anspruch der Menschenrechte gibt, ist […] die unabdingbare Voraussetzung dafür, die gleichen Rechte für ALLE Menschen überhaupt einfordern zu können. Alles andere öffnet der Relativierung der Menschenrechte und ihrer Negation Tür und Tor“:
„Wenn es […] keine ethnische und juristische Grenze zwischen Menschen und Tieren gibt, dann kann man über den Wert von behinderten und nichtbehinderten Menschen oder Juden und Arier[n] oder Frauen und Männern ebenso verhandeln wie über den von Fliegen und Gorillas – und eben auch zur dann nur noch von den jeweils favorisierten Kriterien abhängigen Meinung gelangen, bestimmte Menschen hätten weniger Recht zu leben als z.B. Delfine oder Hausschweine.“

Das heißt: letztendlich denkt Peter Singer den Tierrechtsgedanken einfach nur konsequenter zu Ende, als Andere es tun; und wenn diese Anderen dann gegen ihn demonstrieren, dann deshalb, weil sie von den logischen Konsequenzen ihrer eigenen gedanklichen Prämissen zurückschrecken.


Dasselbe gilt natürlich für die Abtreibungsbefürworter. Niemand sah dies klarer als Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der radikal-atheistischen Giordano Bruno Stiftung, der als Laudator für die Preisverleihung vorgesehen war. Dito am 21.05. schrieb er dem Anti-Singer-Aktionsbündnis ins Stammbuch, "die von Peter Singer vorgenommene Unterscheidung zwischen menschlichen Personen und nicht-personalem menschlichen Leben" sei "notwendig" (!), 
"um die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs zu legitimieren. Gibt man nämlich die wertende Unterscheidung zwischen den personalen Interessen der Mutter und den nichtpersonalen Interessen des Embryos bzw. Fötus auf, hat dies zur Folge, dass jeder Schwangerschaftsabbruch als 'Mord' eingestuft werden müsste." 

Schmidt-Salomons Schlussfolgerung lautete, das Aktionsbündnis gegen Singer sei "auf die Propaganda christlich-fundamentalistischer 'Lebensschützer' hereingefallen" und habe sich "vor den Karren extrem rechter Interessengruppen spannen lassen" (merke: "christlich-fundamentalistisch" und "extrem rechts" ist in Schmidt-Salomons Weltsicht offenbar ein und dasselbe); kurz, es sei "beschämend, dass Linke solch reaktionäre Positionen unterstützen". 

Mit diesen Angriffen auf die Initiatoren des Protests gegen Singer war offenkundig eine dritte, wo nicht gar schon vierte Eskalationsstufe erreicht. Schmidt-Salomons Einschätzung, der Widerstand gegen die Peter Singer zugedachte Ehrung sei in letzter Instanz das Werk "religiöse[r] Strippenzieher", mochte so manchen Christen erfreuen (oder auch darüber trösten, dass weder das katholische Erzbistum Berlin noch die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz es für nötig befunden hatte, sich zur Preisverleihung an Singer zu positionieren); aber die Leute vom Aktionsbündnis waren begreiflicherweise not amused, sich (wörtlich!) "als tumbe Marionetten der christlichen 'Lebensschutz'-Bewegung" dargestellt zu sehen. Daher schlug man auf der "Kein Forum für Peter Singer!"-Seite am 22.05. mit einem "Leser_innenbrief" zurück, dessen Inhalt man füglich mit "Michael Schmidt-Salomon ist doof" zusammenfassen kann. 

Derweil wurde auf der Website des "Fördervereins des Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidvermeidung e.V." ein Statement des oben erwähnten Preisstifters Dr. Walter Neussel vorveröffentlicht, das bei der Preisverleihung vorgetragen werden sollte. Darin prangerte Neussel die "Hasstiraden gegen Peter Singer" an, bezeichnete die "seit Jahrzehnten" stattfindenden "Protestdemonstrationen von Behindertenverbänden" gegen den australischen Philosophen als "eine Schande" und erinnerte an den Sonderpädagogen Christoph Anstötz, "der Peter Singer im Jahre 1990 nach Dortmund eingeladen hatte" und später "auf Grund der extremen Anfeindungen seitens der Behindertenverbände gegen ihn Selbstmord begangen" habe. Welche Eskalationsstufe haben wir jetzt erreicht? Fünf? Sechs? Sieben? 

Die größte Bombe platzte jedoch am 25.05., mithin einen Tag vor der Preisverleihung: Michael Schmidt-Salomon distanzierte sich von Peter Singer und sagte die Laudatio ab. - Was war passiert? Einen Tag zuvor war in der Sonntagsausgabe der Neuen Zürcher Zeitung ein Interview mit Peter Singer erschienen, in dem der Philosoph seine Auffassung von Präferenzutilitarismus anhand von Fallbeispielen illustrierte, die sogar Schmidt-Salomon schockierten. So hatte Singer erörtert, dass im Interesse des größeren Glücks der Menschheit sogar die Folterung eines Kindes ethisch "richtig" sein könne, und hatte es als "nicht unbedingt unvernünftig" bezeichnet, wenn alte und kranke Menschen meinten, sich das Leben nehmen zu müssen, um ihren Angehörigen nicht zur Last zu fallen. Schmidt-Salomon entschied daraufhin: "In dieser Situation muss ich die Reißleine ziehen." 

Und was taten derweil Diejenigen, die gegen die "Ethik" Peter Singers nicht nur halbherzige und inkonsequente, sondern ganz grundsätzliche Einwände haben - weil sie sich zu dem von Schmidt-Salomon so hart gescholtenen Glauben an die "Heiligkeit des Lebens" bekennen und sich für etwas so Grausiges wie die "Rettung des christlichen Menschenbildes" einsetzen? Was, um es auf den Punkt zu bringen, taten die "religiösen Strippenzieher", die "christlich-fundamentalistische[n] 'Lebensschützer'" und "selbsternannte[n] Abtreibungsgegner_innen", die ja auf der Kundgebung des Aktionsbündnisses "ausdrücklich nicht willkommen" waren? - Die beiden großen Kirchen, ich erwähnte es schon, hatten sich zur Singer-Preisverleihung mit keiner Silbe geäußert, geschweige denn dass sie etwa ihrerseits zu einer Protestaktion aufgerufen hätten. So enttäuschend das war: kein Grund, nicht trotzdem hinzugehen und Gesicht zu zeigen. Durch ein bisschen Herumfragen im einschlägig engagierten Freundes- und Bekanntenkreis erfuhr ich - wenn auch etwas kurzfristig - dass der als Veranstalter des alljährlichen Marschs für das Leben bekannte Bundesverband Lebensrecht e.V., vertreten durch die Regionalgruppe des diesem Verband korporativ angehörigen Vereins KALEB e.V., für den Tag der Preisverleihung von 16:30 bis 18:30 Uhr eine Mahnwache vor der Urania angemeldet hatte. Da ging ich hin. 


Foto: (c) Andreas Kobs. -- Weitere Fotos hier.

(Wer mich auf dem Bild sucht, den muss ich enttäuschen: Ich bin nicht drauf, ich stieß erst später dazu.)

Direkt auf dem Vorplatz der Urania - laut einem Bericht der Behindertenorganisation Kobinet "in einem von der Polizei 'geschützten Bereich'" - demonstrierten "die Anderen". Also das Aktionsbündnis. Zusammen mit der an ihren Flaggen weithin erkennbaren Tierschutzpartei sowie Behindertenverbänden, aber eben nicht - wie der Bericht des Humanistischen Pressedienstes es darstellt - "gemeinsam" mit "selbsternannte[n] 'Lebensschützer[n]'", denn die, also wir, waren ja nicht eingeladen und mussten auf der anderen Straßenseite protestieren. Die Anderen waren mehr und lauter als wir, aber wie der einzelne alte Mann, der in der Amphitheater-Szene von "Das Leben des Brian" die Populäre Front repräsentiert, mussten wir uns denn doch nicht fühlen, auch wenn wir von der anderen Seite zwar nicht wortwörtlich als "Spalter", aber doch als so manches Andere beschimpft wurden. Im Großen und Ganzen blieb aber alles friedlich, man verteilte Flyer, kam mit Passanten ins Gespräch. Derweil befand sich der Geschäftsführer von KALEB e.V., Gerhard Steier, in der Urania, um die von den Veranstaltern der Preisverleihung angebotene Möglichkeit zu nutzen, ein kritisches Statement abzugeben. Das "Aktionsbündnis" hatte auf seinem Blog über die Ankündigung dieser Stellungnahme gelästert
"Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass die Singer-Kritiker und das Aktions-Bündnis 'Kein Forum für Peter Singer' nichts mit den Lebensschützern zu schaffen haben, dann ist es wohl das: während wir protestieren, geben sie kritische Stellungnahmen ab." 

(Zugegeben, dass von den bösen, bösen Lebensschützern auch einige vor der Urania auf die Straße gehen würden, konnte das Aktionsbündnis noch nicht wissen oder ahnen, als es diesen Text veröffentlichte. Bemerkenswert sinnfrei wirkt er trotzdem, aber in dieser Hinsicht hat die Seite noch weit Blöderes zu bieten.) 

In seinem rund zehn Minuten langen Redebeitrag betonte Gerhard Steier unter anderem, dass Peter Singers Visionen schon längst ihre Entsprechung in der Realität fänden: 
"Embryos werden zu Schönheitscreme verarbeitet; lebensfähige Babys wurden in der DDR in Wassereimern ertränkt - und heute anderswo auf der Welt -; [...] behinderte Babys werden bei uns mit der Säurespritze ins schlagende Herz vor ihrer Austreibung getötet, und wir nennen das vornehm 'Fetozid'. Und die 100.000 'normalen Abtreibungen stören uns sowieso nicht. Keine Partei im Bundestag will daran etwas ändern, im Gegenteil, es soll noch in diesem Jahr nach den Vorstellungen etlicher Abgeordneter die Mitwirkung am Suizid Ärzten und nahestehenden Personen straffrei erlaubt werden."

Der Humanistische Pressedienst kommentierte: "Gerhard Steier, der jährlich den 'Marsch für das Leben' organisiert, versuchte zwar, sich zurückzuhalten in seiner Rede, konnte aber seinen christlich-fundamentalistischen Background dabei nicht verstecken."

Übrigens gibt derselbe Artikel des Humanistischen Pressedienstes die Zahl der Protestierer vor der Urania mit rund 250 an, darunter nur "einige[] wenige[] Linke[]". Dagegen beziffert kobinet die Teilnehmer an der Kundgebung des Aktionsbündnisses nur auf "an die 100". Jetzt könnte ich behaupten, die anderen 150 wären alle bei der Mahnwache von KALEB gewesen, aber ich will ehrlich sein: So viele waren wir nicht. 

Pünktlich um 18:30 Uhr tauchte die Polizei auf und erinnerte daran, dass die Genehmigung für die Mahnwache nunmehr abgelaufen sei. Das hatte ich so auch noch nicht erlebt. Beim Verlassen des Platzes fiel mir auf der anderen Straßenseite, also bei der Kundgebung des Aktionsbündnisses, ein bemerkenswertes Schild auf: 



Lebensrecht für Alle? Man könnte fast den Eindruck haben, es gäbe doch eine gewisse Basis für eine Verständigung zwischen den Gruppen, die an diesem Abend auf unterschiedlichen Straßenseiten für dieselbe Sache demonstrierten. Aber nüchtern betrachtet stehen die Chancen für eine solche Verständigung wohl eher schlecht. Ich sehe es schon kommen, dass wir im September beim Marsch für das Leben erneut nicht nur physisch auf unterschiedlichen Straßenseiten stehen werden, sondern auch und erst recht ideologisch... 


Montag, 25. Mai 2015

The Schlechtst Of

Kürzlich fiel mir auf, dass ich mich dem 150. Beitrag auf meinem Blog nähere (et voilà: dies ist er!), darum habe ich mir gedacht, ich nutze dieses "kleine Jubiläum" - wie schon das große Jubiläum des 100. Beitrags - für einen partiellen Rückblick auf mein bisheriges Blogschaffen (oder man könnte natürlich auch "Eigenwerbung" dazu sagen). Und nachdem ich im Beitrag Nr. 100 die zehn bis dahin meistgelesenen - oder sagen wir korrekter: meist-aufgerufenen - Artikel meines Blogs vorgestellt habe, wäre es, so dachte ich zunächst, vielleicht eine lustige Idee, beim "kleinen Jubiläum" den umgekehrten Weg einzuschlagen und Werbung für die zehn am wenigsten gelesenen bzw. aufgerufenen Artikel zu machen. Beim Durchsehen der Blogstatistik bin ich davon aber wieder abgekommen. Wie sich zeigte, sind die zehn am wenigsten erfolgreichen Artikel tatsächlich überwiegend solche, die ich selbst nicht besonders hervorhebenswert finde - sei es, weil sie inhaltlich wenig bedeutend sind, von nur kurzfristiger Aktualität waren oder weil sie mir im Rückblick nicht mehr so besonders gelungen erscheinen. Also habe ich mein ursprüngliches Konzept für diesen Jubiläumsartikel etwas modifiziert und präsentiere im Folgenden zehn Artikel, von denen ich ganz subjektiv der Meinung bin, sie hätten ein bisschen mehr Aufmerksamkeit verdient, als sie bisher bekommen haben. (Artikel aus dem laufenden Jahr habe ich dabei nicht berücksichtigt, denn die laufen auch schon ganz gut, und es liegt ja irgendwie in der Natur der Sache, dass ältere Artikel es nötiger haben, mal wieder in Erinnerung gerufen zu werden.) Also, here goes

Ein Frühwerk, das sich, veranlasst durch die seitdem nie so ganz zum Erliegen gekommene Debatte über das Betreuungsgeld, mit der (mangelnden) gesellschaftlichen Anerkennung der Erziehungsleistung von Eltern, insbesondere Müttern, befasst. Habe den Artikel meiner Mutter gewidmet. Sie war gerührt. 

Platz 9: "Morgen früh, wenn Gott will" (12.08.2012) 
Einige Gedanken über die Tabuisierung des Todes in der Gesellschaft - besonders in der Kindererziehung, aber auch darüber hinaus. Berührt auch Aspekte der "Sterbehilfe"-bzw. Euthanasieproblematik und hat somit an Aktualität eher zu- als abgenommen... 

Veranlasst durch ein Foto vom Multi-Religious Prayer Room des Flughafens Singapur, das mir in einem der ersten Beiträge des ausgesprochen lesenswerten Blogs Mein Sabbatical ins Auge fiel. Läuft letztlich auf die Frage hinaus, welchen Platz religiöse Praxis in einer säkularen Gesellschaft bzw. einem weltanschaulich neutralen Staat beanspruchen kann, darf und sollte. Zum Beispiel an Schulen. 

Platz 7: "God Gave Rock'n'Roll To You (II)" (22.05.2013) 
Der Titel deutet es an: Es handelt sich um einen Teil einer kleinen Serie über Rockmusik und Religion. Im Zentrum dieser Folge stehen teils beeindruckende, teils bizarre Bekehrungserlebnisse prominenter Musiker. Am interessantesten finde ich die Passage über Reverend Al Green. 

Tja: Da kam mir einigermaßen zufällig ein Presseartikel über Weinprinzessinnen-Mangel im Breisgau (sic!) zu Gesicht, und ich dachte mir spontan, ich frisier' den Text ein bisschen um und mach' eine kleine Satire zum Thema Priestermangel daraus. Viel Spaß damit! 

Platz 5: "Ohrfeigen im Hause Tabori" (02.02.2013) 
Eine kleine Fallstudie über die Tücken der political correctness. Ich muss wohl damit rechnen, dass der eine oder andere Leser dieses Artikels mich (mal wieder) der "Homophobie" zeihen wird - denn, wie mir gestern erst als Kommentar zu meinem (bis dahin) jüngsten Blogartikel ins Stammbuch geschrieben wurde: "Mancherorts gilt man heute ja schon als 'homophob' wenn man 'schwule Drecksau' sagt. Wie soll man da noch seinen christlichen Glauben leben?" -; aber das Risiko muss ich wohl eingehen. Aufmerksame und zum Mitdenken bereite Leser werden mich schon richtig verstehen. 

Platz 4: "Fünfmal täglich oder öfter" (21.04.2013) 
Ein kleiner, aber (wie ich hoffe) feiner Artikel, angeregt durch ein vom Berliner Senat lanciertes Werbeplakat für Einbürgerung. Läuft auf die Frage hinaus, wieso der Islam in Berlin als zu integrierende religiöse Minderheit angesehen wird, das Christentum jedoch nicht. (Wer hier nun allerdings islamfeindliche Töne erhofft, den werde ich enttäuschen müssen.) Die schönste Reaktion auf diesen Artikel erreichte mich via Twitter


Leider noch ein weiterer Artikel, mit dem ich mich wohl einem gewissen Homophobie-Verdacht aussetze. Aber die auf dem Portal evangelisch.de publizierte Geschichte einer "Liebe auf den ersten Blick", die in kitschromantauglicher Diktion suggeriert, sogar Gott höchstselbst fände eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft irgendwie knorker als die Entscheidung für ein Leben im Kloster, konnte ich nicht unkommentiert lassen. 

Platz 2: "Bisch der Deifi?" (16.09.2014) 
Ein Artikel über den Teufel. Genauer: über seine seine Rolle als Verwirrer, der den Menschen dazu bringt, das Böse für gut und das Gute für böse zu halten. Richard Dawkins, Peter Singer und Michael Schmidt-Salomon kommen auch im Artikel vor. Angeregt wurde ich zu diesem Text durch eine Diskussion mit einem atheistischen Freund auf Facebook, und schmeichelhafterweise fand sogar dieser meine Argumentation nachvollziehbar. 

Ebenfalls das Ergebnis einer Facebook-Diskussion, diesmal über Pascals Wette und die "Kosten des Glaubens". Bloggerkollegin Gertie von Das hörende Herz teilte mir seinerzeit mit, sie halte diesen Artikel für einen meiner besten. Ich selbst will mir darüber kein Urteil anmaßen, aber vielleicht sehen es ja noch Andere so... 

So: Ich denke, damit haben wir ein nettes Potpourri aus Artikeln der Jahre 2012-2014, die man ruhig mal bei 'nem Tässchen Tee und einem Schälchen Gebäck durchschmökern kann. Und jetzt bin ich gespannt, wie sich die Zugriffsstatistik entwickelt. 

Neuer Content kommt dann auch demnächst! 
Und: Gesegnete Pfingsten allerseits! 


Samstag, 23. Mai 2015

Fragt mich was Schwierigeres!

Neulich war ja "Internationaler Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie", und natürlich waren die Sozialen Netzwerke voll davon. Als Christ, oder zumindest als "christlicher Fundi", steht man bei diesem Thema ja unter einem gewissen Generalverdacht, daher ging ich innerlich instinktiv in Deckung, obwohl ich persönlich durchaus keine Feindseligkeit gegen homosexuell empfindende Menschen hege. Andere reagierten anders: Besonders auf Twitter schickten einige meiner virtuellen Bekannten, deren Twittertätigkeit i.d.R. stark von christlichem Content geprägt ist, zur Feier des Tages überschwängliche Solidaritätsadressen an die LGBTTIQ-Community über den elektronischen Äther. Dies als "vorauseilenden Gehorsam" zu bezeichnen, hieße die Ernsthaftigkeit dieser Stellungnahmen in Zweifel zu ziehen, und das will ich mir nicht anmaßen. Aber wie dem auch sei, mich berührten diese Statements etwas zwiespältig. Es wurde auch versucht, das Thema in das tägliche Twitter-Abendgebet #Twomplet hineinzutragen, aber die für diesen Abend zuständige Vorbeterin blockte das ab.

Übrigens war gleichzeitig auch Welt-Hypertonie-Tag, und das entsprach zunehmend meiner Stimmung. Homophobie und Hypertonie, das passt ja schon rein lautlich prima zusammen - genauso gut wie Buch und Bier, die sich den 23.04. teilen. Den Höhepunkt erreichte meine Genervtheit, als ich in meinem üblichen Lokal ein gemütliches Feierabendbier zu mir nehmen wollte und neben mir eine kleine Gruppe von Studenten und -innen Platz nahm: Wie sich zeigte, waren die jungen Leute an der Uni und wohl auch außerhalb derselben politisch engagiert, und zwar schwerpunktmäßig im Bereich Queer- und Gender-Politik. Und nun diskutierten sie unermüdlich und bemerkenswert ironiefrei über Aspekte bzw. Konzepte von queerness, über gendergerechte Sprache, Polyamorismus und die beklagenswerte Rückständigkeit mancher ihrer Kommiliton*x, selbst solcher, die sich selbst als feministisch betrachteten; an einer Stelle fiel - immerhin - die beachtliche Aussage, es sei ja "an sich nichts Schlimmes", wenn jemand hetero sei und eine monogame Beziehung führe.

Ich widerstand meinen Fluchtreflexen und trank mein Bier, und dann kam ich doch tatsächlich, wenn auch etwas widerstrebend, mit meinen Sitznachbarn ins Gespräch. Als ich unvorsichtigerweise erwähnte, dass ich blogge, fragte mich eine der Damen, was ich denn so blogge.
"Das willst du gar nicht wissen", erwiderte ich lächelnd.
"Doch", beharrte meine Gesprächspartnerin, "ich frage dich doch."
Auf mein Bekenntnis hin, ich betriebe "so einen Hardcore-Katholen-Blog", wurde ich bestaunt wie ein exotisches Tier im Zoo. Nun gut, das ist mir in meiner Kneipenapostolats-Praxis nicht unbedingt neu. Einer der Jungs fragte mich, ob ich denn ("wenigstens", setzte ich in Gedanken dazu) zu denen gehöre, die sich dafür einsetzen, dass die Kirche "moderner" werde. "Nein, ganz im Gegenteil", erwiderte ich, fügte dann aber hinzu: "Reformbedarf gibt es natürlich immer, und gerade zur Zeit und gerade in Deutschland sehe ich sogar ganz erheblichen Reformbedarf. Aber meine Vorstellungen gehen da nicht gerade in eine Richtung, die man als 'Modernisierung' bezeichnen würde."
Die Dame, die mich zuerst angesprochen hatte, wollte es nun genau wissen und fragte mich, wie denn meine Einstellung zum Thema Homosexualität sei. Na gut, das war ja klar, dass die Frage kommen würde. Noch vor ein paar Jahren wäre es vielleicht die Pille gewesen, oder Kondome, oder Frauenordination oder Zölibat, aber inzwischen ist "Homophobie" ja zur unbestrittenen Nr. 1 unter den Gedankenverbrechen avanciert, und außerdem war es ja gerade das Thema des Tages. Ich verwies auf die einschlägigen Aussagen des Katechismus (Art. 2357ff.) und fügte hinzu, ich persönlich fände das Thema eigentlich gar nicht so furchtbar interessant bzw. relevant. Damit stieß ich auf Unverständnis.

Was also meinte ich damit? -- Wie schon mehrfach ausgeführt, finde ich es ja im Allgemeinen gut, wenn das Bekenntnis, ich sei gläubiger Katholik, Fragen nach sich zieht. Wenn diese Fragen sich dann aber sofort auf Einzelaspekte der kirchlichen Sittenlehre beziehen - ob das nun Homosexualität, Verhütung, außerehelicher Geschlechtsverkehr oder was auch immer ist -, dann habe ich oft das Gefühl, da versucht jemand das Wollknäuel vom falschen Ende her abzuwickeln. Ich meine, es ist ja nicht so, dass man sich seinen Glauben aus dem Katalog bestellt und dass ich es bei meiner Bestellung dusseligerweise versäumt hätte, bei "nur Produkte, die vorbehaltlose Akzeptanz und Wertschätzung unterschiedlicher Lebensformen und -entwürfe enthalten" einen Haken zu setzen. Mag ja sein, dass es Leute gibt, die sich ihr religiöses Bekenntnis nach solchen Kriterien "aussuchen", aber das verdient dann für mein Verständnis nicht die Bezeichnung "Glauben". -- Mir ist zwar klar, dass man sich nicht aussuchen kann, was für Fragen an einen herangetragen werden, aber im Grunde fände ich es sinnvoller, wenn Menschen, die Fragen zu meinem Glauben haben, erst mal mit dem Grundsätzlichen anfangen würden. Wenn sie also nach dem Glauben an Gott fragen würden, und zwar an den ganz konkreten Gott, der sich Mose und den Propheten des Alten Bundes offenbart hat, was ja schon mal etwas ganz Anderes ist als etwa der Glaube an irgendeine höhere Macht im Universum, die man in Ermangelung eines besseren Begriffs "Gott" nennt. Sodann könnte man über den Glauben daran sprechen, dass dieser Gott in Gestalt der konkreten historischen Person Jesus aus Nazaret Mensch geworden ist. Den Glauben also, dass dieser Jesus nicht einfach ein vorbildlicher Mensch und großer Lehrer mit einer großartigen message gewesen ist, sondern Gottes lebendiges Wort. Und dass dieser Jesus durch Seinen Tod am Kreuz die Sünden der ganzen Welt gesühnt hat. (An dieser Stelle könnte man dann auch mal versuchen, sich über den Begriff "Sünde" zu verständigen. Das wäre für die Auseinandersetzung mit ethischen Einzelfragen sicherlich hilfreich.) Man könnte über den Glauben sprechen, dass Jesus auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist und wiederkommen wird in Herrlichkeit. Und dass Er selbst die Kirche gestiftet hat und ihr den Beistand des Heiligen Geistes zugesagt hat, und das bis ans Ende der Zeiten. Wer bis zu diesem Punkt der Diskussion bereits zu der Überzeugung gelangt ist, jemand, der das alles glaubt, könne ja wohl nicht ganz dicht sein, wird vermutlich umso leichter mit gewissen Meinungsverschiedenheiten in ethischen Einzelfragen leben können. Aber das muss ja nicht das Ergebnis der Diskussion sein. Hat man sich erst einmal über die oben genannten Basics des christlichen - und, wo es das Kirchenverständnis betrifft, speziell des katholischen - Glaubens verständigt, dann hat man zumindest mal eine bessere Grundlage, um in der Folge das Menschenbild und damit einhergehend die ethischen Maßstäbe näher ins Auge zu fassen, die die Kirche vertritt. Und dann kommt man vielleicht irgendwann bei den "heißen Themen" aus dem Bereich der Sexualmoral an. Der nichtgläubige Gesprächspartner mag den kirchlichen Standpunkt zu diesen Fragen dann immer noch genauso falsch finden wie vorher, aber immerhin kann er ihn dann besser einordnen.

Ich weiß, es ist viel verlangt, dass eine Glaubensdiskussion so ablaufen sollte. Gerade in einer Kneipe. Das ist schließlich alles ganz schön anstrengend und erfordert Zeit und geistige Wachheit. Aber auch wenn das Gespräch vielleicht nicht ganz mit der wunschgemäßen Systematik abläuft, ist es zuweilen doch erstaunlich, was für Gespräche bei 'nem Bier am Tresen möglich sind, Erst gestern hatte ich mal wieder so eins. Es ging los mit Tierschutz und Klimawandel, und irgendwann fiel dann seitens meines Bekannten die etwas flapsig hingeworfene Frage: "Was steht denn dazu in eurem Buch?" Und ehe ich mich's versah, waren wir mittendrin in einer gut einstündigen Diskussion über das Spannungsverhältnis von göttlicher Allmacht und menschlicher Willensfreiheit, über Gut und Böse, Naturrecht, Gewissen und Theodizee. Die Diskussion brach zwar aus Zeitgründen mehr oder weniger ergebnislos ab, aber das lässt sich ja mal fortsetzen. Und ich möchte behaupten, dass so ein Gespräch für beide Seiten interessanter und ergiebiger ist als jede Auseinandersetzung darüber, ob die Kirche in diesem oder jenem Punkt ihrer Lehre nicht "zeitgemäßer werden" oder "im 21. Jahrhundert ankommen" müsse...

Samstag, 16. Mai 2015

Es ist Christi Himmelfahrt, ihr Luschen!

"Katholiken, die den Glauben der Kirche, wie ihn die Konzilien über Jahrhunderte zu glauben vorgelegt haben und wie ihn das letzte Konzil, sowie die nachkonziliare Lehrentwicklung für unsere Zeit entfaltet hat, für sich angenommen haben [...,] fühlen sich in den letzten Jahren zunehmend innerhalb der Kirche - auch von ihren Bischöfen - marginalisiert". Das schrieb vor wenigen Tagen Bloggerkollege Cicero im Zusammenhang mit den neuesten Verlautbarungen des "ZdK". Es ist noch gar nicht so lange her, da hätte ich derartige Klagen über die Marginalisierung gläubiger Katholiken innerhalb der eigenen Kirche noch für übertrieben gehalten bzw. zumindest halten wollen. Da hätte ich zu der Auffassung geneigt, diejenigen Vertreter von kirchlichen Gremien, Verbänden oder gruseligen "Laieninitiativen" à la "Wir sind Kirche", die immer fordern, die Kirche müsse "zeitgemäß" werden und sich darum von Ewigen Wahrheiten trennen, wären eine zwar laute, an Zahl und tatsächlichem Einfluss jedoch recht überschaubare Minderheit. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Es scheint, dass die Idee, die Kirche müsse, um sich in einer pluralen Gesellschaft zu behaupten, ihr seelsorgerliches und spirituelles "Angebot" möglichst stromlinienförmig und marktkonform gestalten, zunehmend auch in den Ordinariaten Einzug hält - und erst recht in den Pressestellen der deutschen Bistümer. Da breitet sich ein Klima aus, in dem Katholiken, die sich engagiert und unmissverständlich zum Glauben der Kirche bekennen, zunehmend als störend empfunden werden

Da störe ich dann allerdings nur allzu gern.

Am Hochfest von Christi Himmelfahrt erlebte ich in der St.-Clemens-Kirche am Anhalter Bahnhof ein sehr schönes und feierliches Hochamt - einschließlich einer bemerkenswerten Predigt von Pfarrer Oliver Cornelius, der die interessante Frage aufwarf: Warum muss Christus nach seiner Auferstehung eigentlich in den Himmel auffahren? Warum bleibt er nicht auf der Erde? In diesem Zusammenhang hob Pfarrer Cornelius es als bemerkenswert hervor, dass sowohl im Markusevangelium (16,15-20) als auch in der Apostelgeschichte (1,1-11) die Himmelfahrt Christi unmittelbar auf die Aussendungsrede an die Jünger folgt. "Vierzig Tage lang hat der Auferstandene Seine Jünger instruiert, wie sie Sein Werk fortsetzen, Seine Botschaft verkündigen sollen. Jetzt ist die Zeit der Ausbildung vorbei - der Meister zieht sich zurück, und die Gesellen müssen sich selbst an die Arbeit machen." Natürlich lässt der Meister die Seinen nicht wirklich, nicht ganz und gar allein: Er sendet ihnen den Heiligen Geist als Seinen Beistand - das feiern wir dann demnächst an Pfingsten. Dennoch gehört zur Botschaft von Christi Himmelfahrt auch und nicht zuletzt die Botschaft: "Geht hinaus in alle Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!" (Mk 16,15). Ich war begeistert von dieser Predigt und strotzte geradezu vor Motivation. 

Nach der Messe betrachtete ich meine Facebook-Timeline, und auch da wurde eifrig Christi Himmelfahrt gefeiert, mit vielen künstlerischen Darstellungen, Bibelzitaten und geistlichen Reflexionen. Mittendrin ein Beitrag des Bistums Münster, der aus dem Rahmen fiel: ein Foto mit Blümchen, genauer gesagt mit Tulpen. Nanu, dachte ich, Muttertag war doch erst? Beigefügt war dem Bild ein Gedicht, oder so etwas Ähnliches. Ein "Spruch im Treppenhaus eines Wohnblocks", wie das Social-Media-Team des Bistums Münster freundlicherweise mitteilte. "The words of the prophets are ritten on the subway walls / And tenement halls", wussten ja schon Simon und Garfunkel.

"Ein bisschen mehr Friede und weniger Streit. 
Ein bisschen mehr Güte und weniger Neid.
Ein bisschen mehr Wahrheit immerdar und viel mehr Hilfe in jeder Gefahr!
Ein bisschen mehr "Wir" und weniger ich. 
Ein bisschen mehr Kraft - nicht so zimperlich! 
Und viel mehr Blumen während des Lebens, 
denn auf den Gräbern da sind sie vergebens! 

Bei den Facebook-"Fans" des Bistums Münster kam dieser Eintrag offenbar bestens an (bis zur Stunde hat er 124 "Likes" eingeheimst und wurde 39mal geteilt); meine erste Reaktion auf diese süßlich-klebrigen Verse war jedoch ein spontaner Würgereiz. Mein nächster Gedanke war: Gebt mir eine Ukulele, und ich mache ein NGL daraus. Dann aber dachte ich: Das darf ja wohl nicht wahr sein, dass einem deutschen Bistum zum Hochfest von Christi Himmelfahrt nichts Besseres einfällt als derart platte Poesiealbums-Lyrik ohne den leisesten Hauch eines christlichen Bekenntnisses! Ich hätte gedacht, für Spruchweisheiten dieses Kalibers gäbe es schon Seiten wie Made My Day, Collective Evolution oder Hör auf damit, wir müssen jetzt seriös wirken, dafür bräuchte man die Kirche nicht. Nun ja, und da ich eher selten dazu neige, meine Meinung für mich zu behalten, versah ich den Facebook-Beitrag des Bistums Münster mit folgendem Kommentar: 


Prompt meldeten sich andere Nutzer des Sozialen Netzwerks und merkten pikiert an, der Spruch sei doch total schön und wahr und nett und, und was ich denn dagegen einzuwenden hätte. Unter meinen Gegenrednern war auch ein Ordenspriester, und ausgerechnet dieser setzte direkt zum Tiefschlag an:


Schon klar: Wer an Blumenbildern keine Freude hat und wessen Herz von Treppenhauspoesie unberührt bleibt, der muss ein schlimmer Bösewicht sein, und wer die Heilige Dreifaltigkeit des Friedens, der Freude und des Eierkuchens leugnet, der sei anathema. Aggressive Einwürfe wie der meine beweisen gerade, wie nötig wir "ein bisschen mehr Friede und weniger Streit" haben. Derartige "Argumentations"-Strategien sind mir durchaus nicht neu, aber ich muss sagen, aus geweihtem Munde ärgerten sie mich dann doch besonders - weshalb ich prompt zurückpampte: 


Hier nun schritt die Moderation ein. Hatte ich ja eigentlich schon längst erwartet. 


Also: Ab in die Ecke und schämen! Zu meinem Glück und meiner Freude schaltete sich just in diesem Stadium der Debatte Bloggerkollege Andreas von Pro Spe Salutis zu - und las der Social-Media-Abteilung des Bistum Münster mit weit kühlerem Kopf, als ich ihn in diesem Moment hätte aufbringen können, die Leviten: 
"Das Problem scheint mir darin zu liegen, dass sich diese Allerweltspoesie (so nett sie auch sein mag) immer mehr an die Stelle der Verkündigung setzt. [...] Gewiss schadet es nicht, sowas zu beherzigen [...], aber es ist der Kirche aufgetragen,  Größeres und Umfassenderes zu verkündigen." 
In Münster zeigte man sich uneinsichtig:


An dieser Stelle stieg ich aus der Debatte aus, weil es mir schlicht zu blöd wurde. Nicht so Andreas, der erneut betonte, es wäre wünschenswert, wenn kirchliche Medienarbeit sich mehr einer "Evangelisierung", die "diesen Namen auch verdient", widmete, anstatt über "Bienchen, Blümchen und Bäumchen" zu säuseln:
"Der Spruch oben, an dem sich diese Debatte entzündet, mag ja meinethalben nicht schlecht sein [...]. Aber Hand aufs Herz: Brauche ich dazu Christus, den Glauben oder die Kirche? Nein! Darauf kann ich mich ohne Gott, ohne Kirche und ohne Glauben mit jedem Atheisten einigen. Haben wir als Christen nicht ein "Mehr" zu bieten? Und warum wird dieses "Mehr" so oft verschwiegen oder (verschämt?) unter den Teppich gekehrt?" 
Auf eine überzeugende Münsteraner Antwort hierauf wartete man vergeblich. Stattdessen berief man sich in der Social-Media-Redaktion des Bistums auf die positive "Resonanz auf den von Ihnen so kritisierten Beitrag" (schon klar, Wohlfühlsprüche, die niemandem weh tun, finden immer eine positive Resonanz - fragt mal die Redaktion von Made My Day!) und resümierte: 
"Offensichtlich haben wir ein anderes Verständnis, wie und auf welchen Wegen die Verkündigung des Glaubens erfolgt."
Das scheint mir in der Tat auch so. Habe mal auf der Facebook-Chronik des Bistums Münster zurückgescrollt, um zu schauen, wann da zuletzt ein Beitrag mit "Glaubenscontent" erschienen ist. Ich fand: eine Segensbitte, gepostet am 13. Mai; eine Reflexion über Sinn und Nutzen des Betens, gepostet am 12. Mai; am 11. Mai einen Gebetstext von Jörg Zink; danach hört ich auf zu suchen. Es gibt ihn also, den "Glaubenscontent" auf dieser Seite, aber er ist gut versteckt zwischen allerlei Belanglosem und bleibt auch selbst gern ein wenig schwammig. 

Die Konsequenz, die ich für mich aus dieser ganzen Auseinandersetzung ziehe, ist, dass ich der Abteilung Medien- und Öffentlichkeitsarbeit des Bischöflichen Generalvikariats Münster am Montag eine Initiativbewerbung für den Bereich "Neue Medien" schicken werde. Das kann ja so nicht weitergehen mit denen, und qualifiziert fühle ich mich allemal. Es könnte aber natürlich sein, dass ich ein bisschen zu katholisch für den Job bin. 

Als sehr treffend gestaltet empfinde ich angesichts der hier beschriebenen Tendenzen übrigens das offizielle Logo des Bistums Münster: Es ist bunt und unscharf. Aber es besteht Hoffnung: Mit ein bisschen Phantasie kann man in der Mitte ein Kreuz erkennen. 


Samstag, 2. Mai 2015

"Wir zwei werden jetzt ein Lied singen, aber eigentlich brauchen wir dafür noch einen Jungen!"

Aufmerksamen regelmäßigen Lesern meines Blogs mag es vielleicht schon einmal aufgefallen sein, dass mein zutiefst gespaltenes Verhältnis zum Neuen Geistlichen Lied (NGL) sich wie ein zwar dünner, aber fester roter Faden durch diverse Beiträge zieht. Manchmal habe ich diesem Liedgut gegenüber gewisse "postironische" Anwandlungen von Sympathie, aber meistens finde ich es (von wenigen Ausnahmen abgesehen) einfach nur furchtbar. Das war zugegebenermaßen nicht immer so; aber nach einer stark kirchlich geprägten Kindheit und Jugend in einem Küstenbadeort, wo ich Jahr für Jahr einen Großteil des Sommers zwischen der katholischen "Strandkorbkirche" (die neuerdings, wie ich unlängst erfahren habe, nach rund 30 Jahren von einem neuen Urlauberseelsorge-Projekt abgelöst worden ist) und ihrem evangelisch-pietistischen Pendant, der "Strandmission" des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, verbracht habe, ist mein Bedarf an plärrendem Kindergesang, monotonem Gitarrengeschrammel, schiefen Metaphern und banalen "Piep-piep-piep, wir hab'n uns alle lieb"-Botschaften lebenslang gedeckt. 

-- Oder doch nicht? Als ich neulich mit meinem Arbeitskollegen W. eine intensive Debatte über Sacropop in seinen  verschiedensten Ausprägungen führte und ihm, um meine Abneigung gegen NGL zu illustrieren, mit quäkend verstellter Stimme die Genreklassiker "Kleines Senfkorn Hoffnung" und "Ins Wasser fällt ein Stein" vorsang, meinte W., ich solle mal darüber nachdenken, ein Comedy-Bühnenprogramm daraus zu machen. Ein Programm also, in dem sich möglichst trashige Darbietungen bekannter NGL-Schlager mit sarkastischen Kommentaren zu den Liedtexten abwechseln. Einen Titel für dieses Programm fanden wir im Handumdrehen: "Wirr-Sing". - Im Grunde gibt es da nur gibt es da nur noch ein Problem: Ich kann zwar leidlich singen, spiele aber kein Instrument, Ich bräuchte also noch jemanden, der mich auf der Gitarre begleitet. Oder, vielleicht noch besser: auf der Ukulele. Meine allerbeste Freundin Kati lernt seit einiger Zeit Ukulele spielen. Ich sehe da Potential. 

Entzückt war ich, als ich neulich in der Online-Ausgabe der FAZ einen Artikel über das vermutlich bekannteste, auf jeden Fall aber furchtbarste NGL aller Zeiten entdeckte: das Lied "Danke" von Martin Gotthard Schneider. Anlass für den FAZ-Artikel war einerseits Schneiders 85. Geburtstag am 26. April, andererseits das Erscheinen einer ersten literaturwissenschaftlichen Abhandlung über den Text des Liedes, verfasst von dem Siegener Germanistik-Dozenten Jörg Döring. Ein Name mit zweimal Ö, das finde ich herzallerliebst, gerade für einen Germanisten. "'Danke für diesen guten Morgen', Zur Rhetorik von Katalog und enumeratio im neuen geistlichen Lied" (in: Dank sagen. Politik, Semantik und Poetik der Verbindlichkeit. Hg. von Natalie Binczek, Remigius Bunia, Till Dembeck und Alexander Zons. München: Fink 2014). Man versuche einmal, das laut auszusprechen, ohne dabei zu lachen. Erfahrungsberichte dürfen gern im Kommentarbereich hinterlassen werden. 

Das Schöne an Dörings Arbeit ist, dass man anhand der im FAZ-Artikel enthaltenen direkten und indirekten Zitate schlechterdings nicht unterscheiden kann, ob die Diskrepanz zwischen ihrer wissenschaftlichen Akribie und der Banalität ihres Untersuchungsgegenstandes unfreiwillig komisch wirkt oder von vornherein satirisch gemeint ist. Ich glaube, es war Max Goldt, der schon in den 90er Jahren feststellte, absichtlich den Eindruck unfreiwilliger Komik zu erzeigen sei die hohe Schule der Satire. 
So oder so hat der Herr Döring mit Vielem, was er über den Text des "Danke"-Liedes feststellt, schlicht und ergreifend einfach mal Recht. Zum Beispiel, wenn er zum berüchtigten Vers "Danke für meine Arbeitsstelle" anmerkt: "Im einzigen Vollbeschäftigungsjahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts formuliert, wird sich dieser Dank historisch schon bald nicht mehr von selbst verstehen." Oder wenn er angesichts der Formulierung "Danke, wenn auch dem größten Feinde ich verzeihen kann" darauf hinweist, dass es "keineswegs schon ausgemacht" sei, ob man dem Feinde wirklich verzeihe - schließlich handle es sich um einen Konditionalsatz ("wenn"). Aber auch ganz allgemein gelingt es Döring sehr überzeugend, das den Liedtext prägende rhetorische Mittel der enumeratio, der Aufzählung, ad absurdum zu führen: "Das 'Frohe' und das 'Helle' werden nur noch benannt, die semantische Spanne von 'Arbeitsstelle' bis 'Musik' kann auch durch die Liedform nicht mehr überzeugend verklammert werden."
(Tatsächlich hängt das Prinzip der enumeratio ja vielen NGL-Liedtexten an wie ein hartnäckiger Schnupfen. Besonder schlimm ist das, wenn dabei mit Vergleichen - "wie Gras und Ufer, wie Wind und Weite..." - gearbeitet wird. Auf die Spitze getrieben wird das in Detlef Jöckes gar grausigem Werk "Gott, dein guter Segen", wo eine allzu große Zahl von Strophen allmählich den Eindruck erweckt, Gottes Segen lasse sich mit absolut allem vergleichen, was vier Silben hat. Aber dazu vielleicht demnächst mal ein eigener Artikel.)  

Am Donnerstag nun flammte die NGL-Diskussion zwischen meinem Kollegen W. und mir erneut auf. Das begann damit, dass W. - der, obwohl gebürtiger Berliner, ein großer Freund der plattdeutschen Sprache ist - mir von einer in der Plattdeutsch-Szene sehr angesagten Hamburger Band namens Tüdelband erzählte; ein lustiges Wortspiel, da "Tüdelband" im Hamburger Platt einen als Spielgerät genutzten Reifen bezeichnet, aber "Band", englisch ausgesprochen, natürlich als "Musikgruppe" verstanden werden soll. Kollege W. schätzt die Tüdelband - sehr im Gegensatz etwa zu der plattdeutschen HipHop-Formation De fofftig Penns - nicht besonders, weil ihre Musik ihm zu seicht, zu locker-flockig und allgemein zu hippiemäßig ist; er merkte jedoch an: "Aber für dich wären die interessant - die Sängerin macht nämlich auch Kirchenmusik. Also, so Pop-Kirchenmusik natürlich." 
"Und wie heißt die Frau?" 
"Miriam Buthmann. Mit th." 
"Schöner Name. Wenn man von ihren Auftritten heimlich Live-Mitschnitte macht und die dann illegal vertreibt, ist das dann ein Buthleg?" 

Eine kurze Google-Recherche ergab, dass Miriam Buthmann neben ihrer Karriere als Frontfrau der Tüdelband tatsächlich auch "B-Kirchenmusikerin für Popularmusik" ist ("Da haben wir's endlich mal schriftlich, dass Sacopop nur B-Kirchenmusik ist", frotzelte ich) und dass sie an der zur Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst in Hamburg gehörenden Heilandskirche einen Gospelchor mit dem Namen Die Heiländer leitet (wat hebbt wi lacht, wat hebbt wi grööhlt, wat hebbt wi Botterkoken fräten). 
Weiterhin ergab meine Recherche, dass "Miri", wie ich sie fortan zu nennen beschloss (auch wenn sie selbst, jedenfalls in ihrer Manifestation als Frontfrau der Tüdelband, ihren Vornamen als Mire abkürzt), mit ihren üppigen Dreadlocks plus Ballonmütze, Unterlippen- und Nasenflügelpiercing fast schon ein bisschen zu klischeehaft aussieht, um echt zu sein - andererseits aber schon auch irgendwie ganz süß. Kollege W., dem ich letztere Einschätzung mitteilte, folgerte sogleich, ich sei verliebt. Fand er aber gut. Ein hardcore-katholischer Blogger und eine evangelische Kirchenmusikerin, das sei doch quasi a match made in Heaven. Er ist sehr für Ökumene. -- In der Folge driftete unser Dialog ziemlich ins Überkandidelte ab. Ich bedaure nur, dass wir ihn nicht aufgezeichnet haben, denn dann könnte ich ihn jetzt podcasten
Ich: "...und unsere Kinder nennen wir Johnny, Donnie, Bonnie und Lonnie. Also, in ausgeschriebener Form natürlich Johannes, Donatus, Bonaventura..."
W.: "Nicht Bonifatius?"
Ich: "Bonifatius, auch gut. Und Lonnie ist Longinus."
W. (plötzlich ganz ernst): "Du kannst ein Kind nicht Longinus nennen."
Ich (entgeistert): "Wieso nicht??" (mit affektiert verstellter Stimme:) "Was ist so komich an dem Namen Chwanzus Longus? - Ich hape einen liepen Freund in Rom... Er ist ein peliepter Redner und Chöngeist!"
W. (mit Nachdruck): "Was spricht denn gegen Sven?!" 
Wenn es stimmt, dass Lachen gesund ist, dann habe ich an diesem Donnerstag sehr viel für meine Gesundheit getan. - Nun aber mal Scherz beiseite und zurück zu den Fakten: Für den Evangelischen Kirchentag 2013 in Hamburg schrieb Miri ein plattdeutsches NGL mit dem Titel "Allens wat du bruukst", das man während des Kirchentags (danach aber nicht mehr) kostenlos aus dem Internet downloaden konnte. Und auch beim diesjährigen Kirchentag in Stuttgart ist Miri wieder am Start. Für diesen hat sie zusammen mit dem Bad Segeberger Kirchenmusiker Jan Simowitsch ein Abendlied mit dem Titel "Es wird Abend mit Dir" geschrieben; eine Aufnahme dieses Liedes - gesungen von Miri herself, mit Jan Simowitsch am Piano und Tüdelband-Drummer Malte Müller an der Schießbude, gibt's bei YouTube. Hey toll, ein Abendlied, dachte ich mir. Das kann ich ja mal bei der #Twomplet einbauen - besonders wenn mal wieder Beschwerden wegen mangelnder Ökumene oder allgemein wegen mangelnder Friede-Freude-Eierkuchen-Gesinnung kommen. 

Das Lied ist übrigens tatsächlich gut. Auch was man von Miris kirchenmusikalischem Schaffen sonst noch im Netz findet - was allerdings leider nicht besonders viel ist -, hat mit der Betulichkeit und dem dick aufgetragenen politisch-moralischen Impetus, der für die NGL der 60er und 70er Jahre so charakteristisch ist, erfreulich wenig gemein. Wahrscheinlich ist diese Erkenntnis recht symptomatisch dafür, dass der Großteil dessen, was unter dem Label "Neues geistliches Lied" läuft und es auf seinem Langen Marsch durch die Liederbücher teilweise bis ins Gotteslob geschafft hat, in Wirklichkeit schon ganz schön oll ist. Das ist halt ein Problem aller Dinge, die sich schon im Namen als "neu" bezeichnen, irgendwann aber eben doch alt werden. Wie sollte man Kirchenmusik à la Miri nun aber nennen, um sie vom NGL alten Schlages abzugrenzen? "Noch neueres geistliches Lied (NNGL)" etwa? 

Das Allermeiste, was man von Miris Musik im Netz findet, stammt jedoch von der Tüdelband. Und auch die finde ich gar nicht so schlecht, wie ich es nach W.s Schilderungen (oder auch nach ihrer Selbstbeschreibung, sie lägen musikalisch irgendwo "zwischen Heidi Kabel und Jamiroquai") erwartet hätte. Okay, ausgerechnet ihre wohl größten Hits "Uwe" (2011) und "Sommerkinner" (2014) finde ich eher so mittel, zudem sind sie einander für meinen Geschmack erheblich zu ähnlich; aber so alles in Allem: Gar nicht mal übel. Im Zuge meiner Recherchen habe ich übrigens herausgefunden, dass die Tüdelband am Gründonnerstag ganz in der Nähe meiner Heimatstadt aufgetreten ist - in der Huder Klostermühle. Und wer war nicht da? Ich! Dass die sympathischen Plattdeutsch-Barden sich mal nach Berlin verirren, ist wohl eher unwahrscheinlich - obwohl: Im Juni treten sie sogar in Stuttgart auf. Fernab jener Lande, wo die plattdeutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt. Was aber vermutlich in erster Linie dadurch bedingt ist, dass dort gleichzeitig Evangelischer Kirchentag ist. Denn da, wie schon gesagt, ist Miri natürlich am Start. Ich hingegen fahr' da wohl eher nicht hin - ganz so groß ist die Liebe dann doch nicht...