„Unsere Hoffnung gründet sich auf das Sportpublikum. Unser Auge schielt, verbergen wir es nicht, nach diesen ungeheuren Zementtöpfen, gefüllt mit 15.000 Menschen aller Klassen und Gesichtsschnitte, dem klügsten und fairsten Publikum der Welt.“
Das schrieb Bertolt
Brecht im Jahr 1926, und mit dem „Wir“, das den Sport um dessen Publikum beneidet, meinte er das Theater. Er hätte ebensogut auch
die Kirche meinen können. Nun gut: damals, 1926, vielleicht noch
nicht. Aber heute ganz bestimmt. Es ist ja wahr: Sportereignisse –
in besonderem Maße Fußballereignisse – lösen bei zahllosen
Menschen ein Ausmaß an Euphorie, Enthusiasmus, ja Ekstase aus, von
dem Religionsgemeinschaften bei ihren Anhängern nur träumen können.
Bei Welt- und Europameisterschaften wird dies regelmäßig zu einem
Massenphänomen, das auch Menschen ergreift, die sich sonst kaum für
Fußball interessieren; aber auch im Vereinsfußball gibt es
Ereignisse, bei denen Tausende von Menschen – sei es im Stadion
oder vor dem Fernseher – so ergriffen mitfiebern, als hinge ihr
persönliches Wohl und Wehe davon ab, ob „ihr“ Verein den
DFB-Pokal gewinnt, die Qualifikation für die Champions' League
erreicht oder in die 2. Liga absteigt. Kein Wunder, dass dabei auch
Gebete zum „Fußballgott“ nicht fehlen.
Ebenfalls kein Wunder ist
es, dass sich „bei Kirchens“ Mancher fragt, was man tun könnte,
um bei den Menschen eine ähnlich große Begeisterung für das eigene
„Angebot“ hervorzurufen. Okay, wenn der Papst zu Besuch ist, dann
schafft man es auch schon mal, ein Fußballstadion zu füllen. Aber
sonst?
Im Sinne des (wie es
scheint) obersten pastoralen Grundsatzes, „die Menschen da abzuholen, wo sie stehen“, wird in Hochphasen der
Fußballbegeisterung gern darauf gesetzt, das Thema Fußball in die
Kirche hineinzuholen. Da wimmelt es in den Predigten von
Fußballmetaphern, Gemeindereferenten treten mit
Bayern-München-Schals an den Ambo, und das Online-Portal
katholisch.de befragt die „zuständigen“ Bischöfe von fünf abstiegsbedrohten Bundesligaklubs (beim sechsten, Hertha BSC,
herrscht gerade Sedisvakanz) nach ihren Tipps für den letzten
Spieltag – „und nach einem Bibelzitat für Club und Fans“. (Für
das Erzbistum Hamburg bzw. den HSV äußerte sich übrigens der
emeritierte Erzbischof Werner Thissen, da sein Nachfolger Stefan Heße
sich – wie er jüngst in einem Interview mit der WELT gestand –
nicht für Fußball interessiert.) Und dann war ja gerade Pokalfinale in Berlin, und zu diesem Anlass gab es in der
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche einen ökumenischen Gottesdienst unter dem Motto „Doppelpass“. In der Predigt ging es um „das
Doppelgebot der Liebe als 'genialen Doppelpass Jesu'“:
„Das Liebesgebot finde sich im Kern auch wieder im 'Fairplay' als höchstem Gebot für Spieler, Fans und Funktionäre […]. 'Wo es nicht eingehalten wird, wird der Fußball zerstört' […]. Das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe ziele darauf, 'gut miteinander zu leben'. Gott sei ein 'Liebhaber des Lebens' und traue den Menschen zu, fair miteinander umzugehen. […] Jeder Gottesdienst biete [...] die Gelegenheit, den 'Doppelpass Gottes und sein unverdientes Fairplay an uns mit Freude und Dank zu feiern'.“
Wie finde ich das? Doof
finde ich das. Der Fußballgott ist heute, um mal ein berüchtigtes Zitat von John Lennon abzuwandeln, „beliebter als Jesus“; und die
Kirchen ziehen daraus die Konsequenz, dass sie, wenn sie sich
popularitätsmäßig schon nicht mit dem Fußball messen können,
wenigstens ein bisschen an dessen Massenwirkung partizipieren wollen,
indem sie ein bisschen im Vorprogramm 'rumturnen. Oder – was man
auch schon erlebt hat – als Pausenclowns, mit dem „Wort zum Sonntag“ in der Halbzeitpause. Ähnlich geht man auch beim
Eurovision Song Contest vor, einem weiteren medialen Großereignis
mit kultischem Charakter. Nun mal im Ernst, wie würdelos und
ranschmeißerisch geht’s denn noch? Das ist in etwa so, als hätte
der Prophet Elija am Fuße des Bergs Karmel einen Kiosk eröffnet, um
denen, die zum Baalskult pilgern, Popcorn in Tüten mit dem Logo seines Gottes zu verkaufen.
Nun muss man der
Fußballpredigt zum DFB-Pokalfinale allerdings noch zugute halten,
dass darin, bei aller himmelschreienden Banalisierung, ansatzweise
noch auf christliche Inhalte rekurriert wurde. Das ist, wo „Kirche“
(ohne bestimmten Artikel) heutzutage „nah an den Menschen“ zu
sein versucht, durchaus nicht selbstverständlich. Greift man hier
gewissermaßen zur Mimikry, indem man sich metaphorisch in
Fußballtrikot oder Vereinsschal kleidet, praktiziert man anderswo
den bewährten Opossum-Trick: Man stellt sich tot, um nicht gefressen
zu werden.
Erst unlängst hatte ich
das Social-Media-Team des Bistums Münster wegen eines
Facebook-Postings am Wickel, das mir exemplarisch für die in der
kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit grassierende Tendenz erschien,
statt Bekenntnissen zum christlichen Glauben lieber
unverbindlich-schwammige „Wir sollten alle etwas netter zueinander
sein“-Botschaften zu verbreiten, um nur ja niemandem auf die Füße
zu treten. Nun habe ich, und zwar als unmittelbare Folge des
betreffenden Blogbeitrags, beim Bistum Münster gerade eine Bewerbung
als Social-Media-Redakteur am Laufen, sodass es taktisch ungeschickt
sein mag, schon wieder ausgerechnet an diese Adresse einen Tadel zu
erteilen – aber da kann ich nun (wie der Norddeutsche sagt) auch
nichts für: Oops, they did it again. Darauf hingewiesen wurde ich
ausgerechnet von jenem Bloggerkollen, der meine Kritik am Münsteraner
Himmelfahrts-Posting noch als überzogen zurückgewiesen hatte. Nun,
am Dreifaltigkeitssonntag, hatte er aber ebenfalls die Faxen dick.
Was gab's? Abermals ein Blumenbild, und dazu einen Text von Peter Handke. Zum Thema Ruhe.
„Ich glaube an die Ruhe. Für mich ist die Ruhe das Höchste, das Intensivste am Menschen. Aus der Ruhe kommt alles. Die Ruhe ist dramatisch. Die Ruhe will aktiv werden. Die Ruhe strahlt. Das sagt man ja: Er strahlt Ruhe aus. Die schönste Strahlung ist die Ruhe. Ruhe ist Freude, ist Teilnahme, ist Erbarmen, ist Gott. Ich spreche von einem Ideal. Die Ruhe ist auch Lust.“
So so, hm hm. Dass die
Ruhe ein hohes Gut ist: Wer wollte das bestreiten? Insofern ist
Manches von dem, was Handke hier in seiner Handke-typisch
verschwurbelten Handke-Prosa sagt, ja gar nicht mal so verkehrt. Was
aber will das Bistum Münster seinen Gläubigen ausgerechnet am
Hochfest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit mit diesem –
pikanterweise als Glaubensbekenntnis („Ich glaube an...“)
formulierten – Text mitteilen? Wo liegt da der typologische, der tropologische, ja gar der anagogische Sinn? Verschiedenen
Kommentatoren auf Facebook und Twitter fiel durchaus Mancherlei dazu
ein. Etwa, dass Gott laut Genesis 2,2f. am siebten Schöpfungstag
geruht habe und die Ruhe somit gewissermaßen das letzte, das
abschließende Schöpfungswerk sei. Man zitierte Goethe („Über allen Gipfeln ist Ruh... Warte nur, balde / ruhest du auch“) und
Georg Thurmair („Wir sind nur Gast auf Erden / und wandern ohne Ruh
/ mit mancherlei Beschwerden / der ew'gen Heimat zu“), verwies auf
den Hesychasmus, eine
Spiritualitätsform des byzantinisch-slawischen Christentums, die das
Erlangen von hesychia, Seelenruhe, erstrebte und für die besonders
der Asket und Kirchenschriftsteller Johannes Climacus
richtungsweisend war. Mir selbst fiel Augustinus ein: „Ruhelos ist
unser Herz, bis es ruht in Dir, o Herr“.
Man sieht, Ruhe ist ein
durchaus ergiebiges Thema. Eines aber ist die Ruhe, im Gegensatz zu
den Worten Peter Handkes, ganz entschieden nicht: Gott. Ein guter
Freund, seines Zeichens evangelisch-freikirchlicher Christ, brachte
es auf Facebook wie folgt auf den Punkt:
„Ruhe ist göttlich, Liebe ist göttlich – so viele schöne Dinge können 'göttlich' sein – weil sie von Gott kommen und ihm entsprechen, aber sie SIND nicht Gott...“
Eigentlich ist es ja
traurig, dass man die Social-Media-Abteilung eines katholischen
Bistums auf so etwas eigens hinweisen muss. Derweil schlug
Bloggerkollege Peter von Echo Romeo vor, den Text „meditativ und
langsam“ zu sprechen und dabei den Begriff „Ruhe“ durch „Rübe“
zu ersetzen. – Die unkritische Übernahme eines
Schriftstellerzitats, in dem ein Satz wie „Ruhe […] ist Gott“
vorkommt, auf der Facebook-Seite eines katholischen Bistums verweist
eindringlich auf die Versuchung des Pantheismus – eines Pantheismus
der plattesten und fadenscheinigsten Art noch dazu. Wie ich z.T. auch
aus meinem persönlichen Umfeld weiß, erfreut sich dieser einer
erheblichen Beliebtheit bei Menschen, die zwar irgendeine spirituelle
Dimension in ihrem Alltag suchen, sich aber nicht auf ein konkretes
religiöses Bekenntnis festlegen möchten. Gott ist irgendwie in
Allem, und Alles ist irgendwie Gott – das ist total modern und auch
total tolerant, denn auf diese Weise kann man natürlich auch in
jeder Religion ein Stückchen Wahrheit finden und meinen, letztlich
seien ja alle Religionen nur verschiedene Wege zum selben Ziel. Mit
einem Jesus Christus, der von sich sagt „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ - und nicht etwa „ich bin ein Weg und
eine Wahrheit unter vielen“ - , bekommt man da natürlich Probleme.
Aber ich habe noch keinen Hobbypantheisten getroffen, der es nicht
geschafft hätte, sich da irgendwie rauszuwinden.
Von diesem modischen, auf
die Befindlichkeiten der Generation Maybe zugeschnittenen
„Pantheismus light“ ist es gedanklich nur noch ein kleiner
Schritt zum Polytheismus. Wenn Gott irgendwie in Allem und Alles
irgendwie Gott ist, und wenn darüber hinaus auch alle Religionen
irgendwie wahr sind, dann liegt es nahe, dass man auch die Existenz
mehrerer Götter annehmen kann – die letztlich natürlich wieder
nur verschiedene Emanationen der Einen Kosmischen Ursuppe sind (man
kennt das). Polytheismus hat den großen Vorteil, dass er
anschaulicher, bunter und irgendwie pittoresker ist als die eher
abstrakten Gottesvorstellungen eines „reinen“ Pantheismus. Das
wurde mir unlängst am Getränkeregal des Supermarkts deutlich.
Ich wollte mir nur
schnell ein Erfrischungsgetränk für unterwegs in einer handlichen
Halbliterflasche kaufen, und ehe ich's mich versah, stand ich vor
einer neuen Limonade mit dem Namen Original Lapacho. Na klar.
Erfrischungsgetränke auf Mate-Basis sind ja mittlerweile nichts Neues mehr, da wurde es ja langsam Zeit, dass die Softdrink-Industrie
sich auf die nächste Andenpflanze stürzt. Wenn man aus Baumrinde
Tee machen kann, warum dann nicht auch Limo? - Ein paar Minuten lang
rangen Neugier und Skepsis um meine Kaufentscheidung. Schließlich
studierte ich gründlich das hintere Etikett der Flasche – und da
stand: „das belebende Getränk der Götter des Dschungels“. Ich
stellte die Flasche zurück ins Regal. Wer weiß, am Ende dient das
Gebräu dazu, potentielle Menschenopfer gefügig zu machen. Davon
abgesehen: Zieht man sich womöglich die Exkommunikation zu, wenn man
Erfrischungsgetränke konsumiert, die dem Götzendienst geweiht sind?
Musste sich nicht schon der Apostel Paulus mit solchen Fragen herumschlagen?
Ein alter Schulfreund,
mit dem ich via Facebook und Twitter in Kontakt stehe, merkte an, er
halte den Spruch mit den „Göttern des Dschungels“ zwar für
„Marketing-Gesabbel mit schlechten Kolonial-Stereotypen“, aber
für „nichts, was religiös irgendwie von Belang wäre“. Das sah
ich anders. Mein Freund beharrte, er könne sich „nicht vorstellen,
dass es den Schöpfer des Universums auch nur im Ansatz
interessiert“, was auf dem Etikett dieser Limo stehe. Nun gut –
Einwände dieser Art hört man ja öfter, wenn man Kritik an
blasphemischen und/oder häretischen Äußerungen in der Werbung oder
allgemein in den Medien übt: Da müsse Gott doch drüber stehen.
Stimmt wohl: Ich glaube im Grunde ebenfalls nicht, dass Gott Vater
den Herstellern oder dem Vertrieb von Original Lapacho dafür grollt,
dass sie irgendwelchen Dschungelgöttern huldigen und nicht Ihm, wo
Er es doch war, der den Lapacho-Baum hat wachsen lassen. Wo also sehe
ich dann das Problem? Ad hoc formulierte ich es so:
„Ebenso wie die übrigen Gebote ist auch das 1. Gebot zum Wohle und Nutzen der Menschen da. Andere Götter anzurufen, und sei es auch nur in einer spielerisch-unernsten 'tongue-in-cheek'-Art und Weise, führt in die Irre.“
Das gilt übrigens auch
für den Fußballgott.
Im Übrigen: Weckt mich,
wenn die erste Rooibos-Limonade auf den Markt kommt...