Zurückgekehrt von der
MEHR 2017, stehe ich vor einem Dilemma: Meine Leser - zumindest
einige von ihnen - erwarten von mir zweifellos einen mit witzigen Anekdoten und sarkastischen Anmerkungen über verrückte Charismatiker gewürzten Bericht.
Klar, diese Erwartungshaltung habe ich zu einem gewissen Grad selbst erzeugt. Und es macht ja auch
Spaß, sowas zu schreiben. Aber viel
wichtiger ist es mir eigentlich, darüber zu schreiben, wie sehr dieses Gebetstreffen (denn ein solches
war es in erster Linie) mich
begeistert hat und wie
wichtig ich diese Veranstaltung und die daraus hervorgehenden Impulse
für die Kirche in Deutschland und darüber hinaus finde.
Natürlich hat mir nicht alles gefallen. Aber ich habe etwas Wichtiges gelernt: nämlich, dass es den Heiligen Geist nicht sonderlich interessiert, ob das, was Er tut, mir gefällt.
Wie gehe ich nun also vor? -- Nun, ich denke, die Eindrücke dieser vier Tage in Augsburg bieten ohnehin Stoff für
mehrere Artikel. Und um meine Leser nicht zu lange auf einen
ersten Bericht warten zu lassen, verschiebe ich detaillierte Betrachtungen zu einzelnen Programmpunkten und weiterreichende Reflexionen erst mal auf später und halte zunächst einige allgemeine Eindrücke fest. Da wird durchaus auch Platz für Komik sein. In diesem ersten Bericht werde ich mich einerseits - der Einfachheit halber - so ungefähr an der chronologischen Reihenfolge des Geschehens entlang hangeln und andererseits dem Leitgedanken folgen: Was unterscheidet die MEHR eigentlich
einerseits vom Katholikentag (oder
meinetwegen auch dem Evangelischen Kirchentag - das ist ja mehr oder weniger Jacke wie Hose) und andererseits von einem Rockfestival?
Eins vorweg: Wie im Rahmen der Eröffnungsmoderation geschildert wurde, fand die erste MEHR-Konferenz vor zehn Jahren in einem Pfarrsaal statt, mit rund 120 Teilnehmern. Damals, so erinnerten sich die Veranstalter, hätten sie sich "total gefreut", dass "sooo viele Leute" gekommen seien. Glaube ich sofort. Wenn man eine Veranstaltung in einem Pfarrsaal ausrichtet, und zwar die erste Veranstaltung ihrer Art, und da kommen dann 120 Leute, dann ist das ein beeindruckender Erfolg. Aber nun vergleiche man das mal damit, wie die MEHR heute aussieht: Vier Tage, rund 10.000 Teilnehmer, zwei große Messehallen plus angrenzende Räumlichkeiten, hochkarätige Redner und Musiker aus aller Welt, Laser-Lightshow und Videoinstallationen auf der Bühne. Fett.
Aber von vorne: Am Donnerstag kam ich schon vor Mittag in Augsburg an, fuhr aber erst mal noch ein Stück weiter mit der Regionalbahn. Ein Leser meines Blogs (!), der ein Stückchen außerhalb von Augsburg wohnt, hatte mich nämlich vor einiger Zeit über Twitter angeschrieben und mir unterbreitet, falls meine Liebste und ich vorhätten, zur MEHR zu kommen, würde er uns eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten. Nun reiste ich zwar zunächst allein an, da meine Liebste am Donnerstag und Freitagvormittag noch arbeiten musste, aber sie kam dann nach. Im Hause des besagten Lesers bekam ich nicht nur eine recht komfortable Luftmatratze im Dachgeschoss, sondern auch dreimal Frühstück und am Anreisetag sogar Mittagessen. Vor allem aber wäre ich ohne diese Einladung vermutlich gar nicht zur MEHR gefahren; insofern kann ich dem Franz und seiner Familie gar nicht g'nug danken für ihre Gastfreundschaft -- und natürlich dem Herrn für diese erstaunliche Fügung. Ich meine das ganz ernst: Dass ich überhaupt dort war, war für mich persönlich bereits das erste Zeichen des machtvollen Wirkens des Heiligen Geistes.
-- Klinge ich komisch? Nun ja, ich kann's nicht ändern: So war's eben.
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Hier ist man MEHR willkommen als woanders. |
Die MEHR öffnete um 16 Uhr ihre Pforten; wir waren schon etwas früher auf dem Messegelände und hatten bereits in der Warteschlange vor dem Einlass einige interessante Gespräche. Vor dem Eingang, in der klirrenden Winterkälte, spielte eine Band rockigen Lobpreis. Nachdem wir durch die Einlasskontrolle durch waren, schauten wir uns erst mal in Halle 7 um - wo sich neben dem
Gebetshaus-Shop und dem
Gebetshaus-Café auch das
MEHRforum befand, eine bunte Ansammlung von Infoständen christlicher Vereine und Initiativen, strukturell durchaus vergleichbar mit der
"Kirchenmeile" beim Katholikentag. Zum Teil - zu einem ziemlich
kleinen Teil, zugegeben - waren sogar dieselben Aussteller vertreten, beispielsweise die
Youcat Foundation, die Lebensschutzinitiative
ALfA oder das
Institut für natürliche Empfängnisregelung (INER). Aber gerade die oberflächlichen Ähnlichkeiten machten die Unterschiede nur umso deutlicher. Während die Infomeilen von Kirchen- und Katholikentagen vielfach von Initiativen dominiert werden, deren Verständnis von
Reformen darauf hinausläuft, die Kirche(n) müsste(n) sich mehr "der Lebensrealität der Menschen" anpassen, oder die die Kirche(n) mehr oder weniger explizit als Vorfeldorganisation(en) der
Grünen sehen (möchten), fehlten auf der MEHR
völlig, und somit auch die sauertöpfische Aura, die sie vielfach ausstrahlen. Umgekehrt würde man etwa das "umstrittene" Hilfswerk
Open Doors bei Kirchen- oder Katholikentagen wohl vergeblich suchen. Viele der vertretenen Initiativen - beispielsweise
Campus für Christus, deren spanischen Ableger ich vom Jakobsweg her in sympathischer Erinnerung hatte, und die
Christliche Initiative für Indien (CIFI), bei der es kostenlosen Chai-Tee und indische Knabbereien gab - waren überkonfessionell ausgerichtet, wenn auch mit einem gewissen evangelikalen Grundton. Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass die Initiatoren und ständigen Mitarbeiter des
Gebetshauses Augsburg, das die MEHR-Konferenz ausrichtet, zwar mehrheitlich Katholiken sind, aber großen Wert auf den konfessionsübergreifenden Charakter ihres Engagements legen. Das prägte auch den Gesamtablauf der Konferenz. Ein mir bekannter freievangelischer Pastor kommentierte dies auf
Facebook mit den Worten: "Ökumene kann was richtig Geniales sein - solange sie nicht von Kirchenfunktionären veranstaltet wird..." Dass das Bemühen um Ökumene nicht immer
konfliktfrei verlaufen kann, wurde zwar auch hier an der einen oder anderen Stelle deutlich - dazu eventuell später etwas mehr -, aber Alles in Allem standen doch die
Gemeinsamkeiten - das für gläubige Christen verschiedenster Konfessionen
Verbindende -
deutlich im Vordergrund.
Auch das Bistum Augsburg hatte einen Stand auf dem
MEHRforum, und an katholischen Medienvertretern waren die
Tagespost und
Radio Horeb mit Infoständen vertreten; bei der
Tagespost stand am ersten Konferenztag der Chefredakteur persönlich am Infostand und verteilte Freiexemplare der Zeitung. Auffallend stark vertreten, unter den Ausstellern wie im Publikum, waren Mönche und Ordensschwestern im Habit (darunter auch
evangelische Marienschwestern - ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas
gibt) und Priester im Kollarhemd oder sogar in Soutane. Einträchtig daneben und dazwischen sah man aber auch Hipster mit
Sidecut, Nerd-Brille und Piercings, Jugendliche und junge Erwachsene mit Basecaps oder Dreadlocks, Familien mit kleinen Kindern - insgesamt ein sehr bunter (und sehr
fröhlicher) Haufen.
Eine ganze Reihe von Bloggerkollegen und/oder Facebook-Freunden von mir - von denen ich ungefähr die Hälfte schon bei anderen Anlässen mal live kennengelernt hatte - hatten angekündigt, ebenfalls zur MEHR kommen zu wollen, und wir hatten ausgemacht, uns bei der Gelegenheit mal treffen zu wollen; zunächst sah ich allerdings niemanden von diesen, dafür aber andere Bekannte - zum Beispiel den Diakon meiner ehemaligen Berliner Wohnortpfarrei (mit "ehemalig" meine ich: vor meinem jüngsten Umzug innerhalb Berlins), aber auch Leute, die ich lose über Facebook und/oder Twitter kannte, aber bisher nicht mit ihnen "befreundet" gewesen war.
Halle 5, in der sich das "Auditorium" mit Bühne und rund 10.000 Sitzplätzen befand, öffnete gegen 18 Uhr, aber die offizielle Eröffnung der Konferenz stand erst um 19:30 Uhr an. Als ich irgendwann zwischen diesen Zeitpunkten dem Auditorium zustrebte, traf ich erstmals einige von
den Leuten, die ich zu treffen
gehofft und
erwartet hatte - eine Gruppe, die ich fortan als "die Jungs" zu bezeichnen gedenke, da sie wohl gerade mal halb so alt sind wie ich. Mit diesen nahm ich auf der Tribüne Platz - und lief dabei einem Priester über den Weg, den ich
vom Nightfever in Berlin kenne und der mich jovial begrüßte: "Wo hast du deine Frau gelassen?" - "Die kommt nach. Am Samstag." -- Der Anblick des Auditoriums war beeindruckend, dabei war es zu diesem Zeitpunkt gerade erst rund zur Hälfte gefüllt.
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Ich sag mal: Boah. |
"Aber
ich war immerhin schon mal bei den
Stones!", sagte ich zu "den Jungs". "Und zwar zu einem Zeitpunkt, als
ihr noch als Quark im Schaufenster gelegen habt!"
Auf den Sitzen lagen
"Center Shocks" - "Charismatiker-Kaugummi", scherzte ich - und kleine Kärtchen mit Tipps dazu, wie man in den Lobpreis-Sessions in die richtige andächtige Stimmung kommen konnte. Ich fand diese Anregungen gar nicht doof, hatte aber zunächst eher wenig Lust, sie auf mich selbst anzuwenden - womit ich sagen will: Ich wollte vorläufig nicht so recht aus meiner distanzierten Beobachterrolle raus. Was angesichts der bombastischen Stimmung gar nicht so einfach war. Aber über mein Fremdeln mit der charismatischen Gebetspraxis (und überhaupt mit dem
Stil charismatischer Veranstaltungen) habe ich mich ja unlängst bereits geäußert. Was dabei natürlich
auch eine Rolle spielt, ist, dass ich aus einem Landstrich stamme, wo ein andernorts als
normal geltender Grad an Emotionalität bereits als obszön und ein bisschen schockierend wahrgenommen wird. Dort gelte
ich schon als exaltiert. Vor diesem Hintergrund erschienen mir die Gebetshaus-Mitarbeiter auf der Bühne - die Moderatoren Sebastian Lohmer und Elke Mölle, die Lobpreisleiterin Veronika Lohmer und
last not least Hauptredner und Gebetshaus-Leiter Johannes Hartl - anfangs arg überkandidelt und affektiert, und zeitweilig dachte ich, wenn ich noch
einmal die Wörter
"genial" und
"Faszination" hören müsste, müsste ich schreiend weglaufen. Insofern war Johannes Hartls Eröffnungsvortrag eine echte Herausforderung für mich, denn der stand unter dem Motto
"Heilige Faszination". Bisher hatte ich Wortbeiträge von Hartl nur in
schriftlicher Form gekannt, und die hatte ich fast durchweg
großartig gefunden; den Vortrag fand ich nun
inhaltlich ebenfalls sehr gut, aber mit seinem Sprachduktus, seinem Tänzeln, seinen Comedy-Einlagen tat ich mich doch recht schwer. Um's mal auf den Punkt zu bringen: Ich fühlte mich zeitweilig stark an Jan Delay in seiner Sprecherrolle als
"Vector" im Animationsfilm "Ich - einfach unverbesserlich" erinnert.
An den Vortrag von Johannes Hartl schloss sich ein Konzert von Michael Patrick ("Paddy") Kelly an. Ich hatte ja schon vorausgeschickt, dass ich mich auf diesen Auftritt richtig freute, wenn auch aus nicht ganz ironiefreien Gründen. Tatsächlich war das Konzert
richtig klasse. Also noch weit besser als ich erwartet hätte. Mit dem, was die
Kelly Family vor rund zwanzig Jahren so gemacht hat, hatte das nur noch sehr entfernt etwas gemeinsam:
Der "neue" Paddy Kelly klingt eher nach U2. Im guten Sinne.
Allerdings war ich - was wohl verständlich ist, wenn man bedenkt, dass ich seit knapp 19 Stunden auf den Beinen war - allmählich extrem müde; daher suchte ich meine "Gastfamilie" auf und war recht zufrieden, dass diese auch bald mal nach Hause wollte.
Am nächsten Tag, Freitag, öffneten die Messehallen ab 8 Uhr, aber wir trafen "erst" gegen 9 dort ein. Ich drehte erneut eine Runde durch das MEHRforum und steuerte dann gegen 9:30 Uhr das Auditorium an, wo Veronika Lohmer und ihre Lobpreisband spielten. Ohne lange nachzudenken, schritt ich direkt auf den Bereich vor der Bühne zu, wo sich bei Punkkonzerten der Moshpit befinden würde -- den Praise Pit also gewissermaßen. Und guck einer an, der innere Widerstand, den ich am Abend zuvor noch geradezu körperlich gespürt hatte, war plötzlich einfach mal weg. Ich ließ mich einfach mitreißen, und ehe ich's mich versah, stand ich mit verzückt in die Höhe gereckten Armen da.
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Lobpreis am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.
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An dieser Stelle vielleicht mal ein paar generelle Anmerkungen zum
Lobpreis-Pop als Musikrichtung und Performance.
Man darf den modernen Lobpreis-Pop keinesfalls mit dem Neuen Geistlichen Lied verwechseln - in gewisser Hinsicht ist er sogar dessen glattes
Gegenteil. Die Texte sind oft an Psalmen oder neutestamentliche
Cantica angelehnt oder zumindest von einer biblisch inspirierten Sprache und Metaphorik geprägt; die Melodien sind eingängig und (natürlich) mitsingtauglich, dabei deutlich energiegeladener, mitreißender und wesentlich weniger
banal, als das beim
NGL allzu oft der Fall ist. Ein besonderes Charakteristikum dieser Songs, das mir schon
bei meinen Besuchen bei der Praystation in Berlin aufgefallen war, habe ich erst bei der MEHR richtig
verstanden: An bestimmten Stellen ruft der jeweilige Lobpreisleiter in die Gesangspausen die Anfangsworte des nächsten Verses hinein. Das ist nicht einfach ein
Stilmittel, sondern hat einen ganz praktischen Zweck: Ein typischer Lobpreis-Song besteht aus drei oder manchmal auch vier verschiedenen Teilen, die man als
Strophe,
Refrain und
Bridge (oder gegebenenfalls
Bridge 1 und
Bridge 2) bezeichnen könnte. Da diese Teile jeweils ein unterschiedliches Level an
emotionaler Intensität haben, wird beim Vortrag oft spontan zwischen ihnen gewechselt -- und dann ist es für die Band (und für den Techniker, der den Text zum Mitsingen auf dem Bildschirm einblendet) natürlich wichtig,
zu wissen, was als Nächstes kommt.
Was übrigens die oben aufgeworfene Frage nach dem Unterschied zu einem Rockfestival angeht: Bei letzteren, oder zum Beispiel bei dem Stones-Konzert, bei dem ich wie gesagt vor ewigen Zeiten mal war, kann man beim Publikum (oder gegebenenfalls bei sich selbst) durchaus einen ähnlichen Grad an Verzückung wahrnehmen. Manch Einem geht es wohl - darauf wurde in mehreren Vorträgen der Konferenz angespielt - beispielsweise auch im Fußballstadion so. Dennoch ist das irgendwie anders, auf eine Weise, die sich kaum präzise in Worte fassen lässt. Wenn die Stones oder meinetwegen - um andere selbst erlebte Beispiele zu nennen - die Fugees, die Fantastischen Vier oder Aerosmith auf der Bühne stehen, ist die Stimmung im Publikum wohl euphorisch, aber nicht im eigentlichen Sinne entrückt, sondern durchaus irdisch und hat auch einen gewissen Anteil von Aggressivität; wenn Bayern München gegen Real Madrid oder was weiß ich wen spielt, dürfte es ähnlich sein. Bei einer guten Lobpreis-Session hat man das Gefühl, dass der Himmel offen steht, auch wenn da im physischen Sinne das Dach einer Messehalle ist. Zudem feiert der Rock- oder Popstar sich selbst und wird vom Publikum gefeiert; beim Lobpreis wird nur Einer gefeiert, nämlich Jesus.
Bei der Lobpreis-Session am Freitagmorgen blieb ich zwar nur rund eine halbe Stunde, aber es folgten ja noch diverse weitere, jeweils ab 19:30 Uhr und dann noch einmal am späten Abend. In den Auslaufzonen neben den Zuschauerrängen machten junge Frauen Ausdruckstanz, und dazwischen standen Grüppchen von je drei bis fünf Personen, die einander die Hände auf die Schultern legten und füreinander beteten. Übrigens unterschied sich die MEHR auch darin von handelsüblichen Festivals, dass es nicht nur ein Sanitätsteam gab, sondern auch Segnungsteams, die auf Wunsch auch Heilungsgebete praktizierten. Auch dazu später noch mehr, wenn nicht in diesem Artikel, dann im nächsten.
Übrigens muss ich einräumen, dass ich schon ziemlich lange auf keinem Festival mehr war und deshalb bei einigen Beobachtungen, die ich am Rande des MEHR-Programms machte, nicht mit letzter Sicherheit sagen kann, ob es sich um normale Festival-Phänomene handelte oder ob da der Heilige Geist am Werk war. "Da hinten liegt eine junge Frau auf dem Boden, und alle streicheln an der jungen Frau herum", teilte mir einer der "Jungs" am Freitagnachmittag mit.
"Äh... soll das so?"
"Keine Ahnung. Geh hin und schau's dir an, es ist nur ungefähr zwei Meter von dir entfernt."
Das tat ich. Richtig, da lag eine junge Frau auf dem Boden, ein junger Mann hielt ihre Hand in seiner und streichelte sie, und drumherum standen zwei, drei weitere junge Leute, die wohl für die Liegende beteten, wobei eine sich selbst streichelte. Ich hatte mir die Szene irgendwie extremer vorgestellt. Im Laufe der folgenden Tage hörte ich andeutungsweise immer mal wieder von einem Phänomen, das "Ruhen im Geist" genannt wird und äußerlich betrachtet wohl Ähnlichkeit mit einer Ohnmacht hat. Soll eine tolle Erfahrung sein für die, die sich darauf einlassen. Ich schwanke da noch ein bisschen zwischen Skepsis und Bewunderung.
Zurück zur chronologischen Reihenfolge: Meine nächste Amtshandlung am Freitagvormittag bestand darin, dass ich den
Raum der Stille aufsuchte, wo es, wie das Programmheft verriet, die "Möglichkeit zum stillen Gebet für Besucher aller Konfessionen" und "zusätzlich
eucharistische Anbetung nach dem katholischen Verständnis" gab. Auch etwas, was man bei gewöhnlichen Festivals eher
nicht findet und beim Katholikentag auch nur mit Mühe. Also, Möglichkeiten zum
stillen Gebet wohl
schon, aber Eucharistische Anbetung kam im Programm des letztjährigen Katholikentags praktisch nicht vor,
abgesehen natürlich vom Nightfever. Ich kniete also eine Weile vor dem Allerheiligsten, und das war schön; am Nachmittag kam ich noch einmal wieder und blieb länger.
Zum zweiten Vortrag von Johannes Hartl (
"Willkommen in der Wirklichkeit"), der um 10:25 Uhr begann, wollte ich zunächst gar nicht gehen und trieb mich stattdessen noch eine Weile an den Infoständen in Halle 7 herum, aber in der Pause des Vortrags traf ich einen der "Jungs", der mich überredete, mir die zweite Hälfte mit ihm zusammen anzuhören. "Wenn der Hartl mal
normal spricht - also, so normal er eben
kann -, dann finde ich ihn
richtig gut", merkte ich zwischendrin an. Tatsächlich war es wohl so, dass ich anfing, mich an seinen Stil zu gewöhnen, und mich deshalb umso mehr auf den
Inhalt dessen konzentrieren konnte, was er sagte. Übrigens muss man ja auch die Zusammensetzung des
Publikums bedenken. Ich habe gelesen, das Durchschnittsalter auf der MEHR soll 37 gewesen sein. Da lag ich ja noch einigermaßen in der Mitte, aber wenn man bedenkt, dass auch einige
erheblich ältere Leute da waren, kommt man unschwer zu dem Schluss, dass es sich bei einem Großteil des Publikums um
"Millennials" handelte (ein Eindruck, den man auch bekommen konnte, wenn man sich einfach nur
umsah), und zu denen
muss man vielleicht so reden. Übrigens war gerade das Thema
dieses Vortrags sicherlich nicht
nur, aber
besonders für "Millennials" ausgesprochen
wichtig. Das erläutere ich vielleicht noch in einem der folgenden Beiträge, aber vielleicht erklärt es sich auch von selbst.
In der Mittagspause wanderte ich mit meinem jungen Freund durch Halle 7 und führte an verschiedenen Infoständen interessante Gespräche - vor allem an einem Stand, an dem es, sehr passend zum Thema des vorangegangenen Vortrags, um Pornographie- und Computerspielsucht ging. Der junge Mann, der uns informierte, fragte uns, ob wir "mit Jugendlichen arbeiten", und als wir bejahten, empfahl er uns ein Arbeitsbuch zum Thema Medienkompetenz und Suchtverhalten: Es koste normalerweise 29,90 €, sagte er, aber hier und jetzt könne man es für eine Spende erwerben. Ich nahm eins. Am Stand der (freievangelischen)
Theologischen Hochschule Ewersbach kamen wir mit einer jungen Studentin dieser Hochschule ins Gespräch. Und das war, so nett das Gespräch auch war, so ein Punkt, wo es mit der Ökumene ein bisschen schwierig wurde. Die junge Dame war nämlich ursprünglich katholisch gewesen, hatte aber, wie sie erzählte, in ihrer katholischen Heimatgemeinde "überhaupt keinen lebendigen Glauben erlebt" und war deshalb im Teenageralter zur Freien evangelischen Gemeinde übergetreten. Sie freue sich aber, sagte sie, bei dieser Veranstaltung festzustellen, "dass es auch Katholiken gibt, die für den Glauben an Jesus Christus brennen". Das war sicher nett gemeint, klang für mein katholisches Ohr aber ein bisschen herablassend - umso mehr, als wir uns schließlich auf einer Veranstaltung befanden, die sehr wesentlich
von Katholiken initiiert worden war. Gleichzeitig konnte ich mir schon irgendwie vorstellen, was sie meinte - dazu mehr in einem späteren Beitrag... Noch heikler wurde es, als das Thema
Taufe zur Sprache kam: Obwohl der
Bund Freier evangelischer Gemeinden die Kindertaufe zwar nicht selbst
praktiziert, wohl aber die Kindertaufe anderer Konfessionen
als gültig anerkennt, hatte unsere Gesprächspartnerin ihren Konfessionswechsel durch eine erneute Taufe besiegelt - da sie meinte, von ihrer Säuglingstaufe habe sie ja "nichts gehabt", und für sie sei es wichtig,
durch die Taufe ihren Glauben zu bekennen. Ich sagte mir:
Nein, ich werde jetzt KEINE Diskussion über Sakramententheologie vom Zaun brechen. Aber kurz darauf traf ich einen oben bereits kurz erwähnten Bekannten, der Pastor einer freievangelischen Gemeinde ist, und
den sprach ich darauf an, ob es nicht ein
Widerspruch sei, dass sein Gemeindebund zwar die Kindertaufe anderer Konfessionen
als gültig anerkennt, aber
trotzdem als Kind getaufte Personen auf deren Wunsch
erneut tauft. Er räumte ein, dass das sakramententheologisch nicht unproblematisch und auch innerhalb des Gemeindebundes nicht unumstritten sei.
Um 15 Uhr folgte ein Vortrag des evangelikal-charismatischen Erweckungspredigers
Walter Heidenreich, aber ich verhielt mich "antizyklisch", blieb zunächst in der sich angesichts des Vortrags im Auditorium rapide leerenden Halle 7, um mir etwas zu essen zu kaufen, konferierte auf elektronischem Weg mit meiner Liebsten, die gerade dabei war, sich auf den Weg nach Augsburg zu machen, und ging noch einmal zur Eucharistischen Anbetung. Erst gegen 16 Uhr ging ich ins Auditorium, um zu schauen, ob Walter Heidenreich schon mit seinem Vortrag fertig war, denn um 16:30 stand die Heilige Messe zum Hochfest der Erscheinung des Herrn an. Aber Heidenreich überzog. Als ich in seiner Hörweite ankam, berichtete er gerade von der Bekehrung eines Mannes, der in Manila auf einer Müllkippe lebte, und anschließend von einem Einsatz in einem Altenheim, wo sechs Seniorinnen "geistgetauft" wurden und sofort anfingen, "in neuen Sprachen anzubeten". Ich ging erst mal wieder. Als ich wiederkam, ging Heidenreich gerade dazu über, in assoziativer Reihenfolge alle erdenklichen Krankheiten wegzubeten. Das war alles ein bisschen
too much für mich, aber auch darauf werde ich noch zurückkommen.
Die Heilige Messe - zelebriert von Pater Raniero Cantalamessa OFMCap, seit 1980 Prediger des Päpstlichen Hauses - war jedenfalls aus katholischer Sicht ein Highlight, und nebenbei bemerkt war sie - ebenso wie die von Weihbischof Florian Wörner zelebrierte Abschlussmesse zum Fest
Taufe des Herrn am Sonntag - ungeachtet der poppigen Musikauswahl und der charismatisch aufgeputschten Atmosphäre in der Halle liturgisch korrekter als alle anderen Messen, die ich in dieser Weihnachtszeit mitgefeiert habe, sei es in Nordenham oder Berlin. (Das erscheint mir vor allem
deshalb erwähnenswert, weil in der Anmoderation eines
Tagesthemen-Beitrags zur MEHR-Konferenz behauptet wurde, die hier praktizierten Frömmigkeitsformen hätten "mit den traditionellen Ritualen nicht mehr viel gemein" - der Beitrag aber gleichwohl ausgiebig mit Szenen aus den beiden Eucharistiefeiern bebildert wurde.) Pater Cantalamessa ist eine beeindruckende Persönlichkeit, und seine Predigt war
enorm stark (mehr dazu in einem der folgenden Beiträge).
Anschließend traf ich mich im Gebetshaus-Shop mit ein paar Bloggerkollegen, die ich am Abend zuvor nur flüchtig und von Weitem gesehen hatte. Anders als ich waren sie auch im Heidenreich-Vortrag gewesen, und ich war zunächst verblüfft, festzustellen, dass sie den
toll gefunden hatten. "Natürlich ist Manches von dem, was er sagt und tut, schwer zu schlucken, gerade für Katholiken", räumten sie ein. Als ich meine Bedenken angesichts des Heilungsgebets am Schluss des Vortrags äußerte, erklärten sie mir, es gebe auch katholische Priester, die
genau solche Heilungsgebete
im Auftrag des Vatikans praktizierten. "Aber ist nicht genau
das ein erheblicher Unterschied?", wandte ich ein. -- Nicht unbedingt, meinten die Kollegen:
Der Heilige Geist verleihe Seine Gaben schließlich, wie und wem Er will, und entscheidend sei doch, "was am Ende rauskommt". Tatsächlich hatten meine Gesprächspartner in ihrem engsten Umfeld, sogar in der eigenen Familie, Fälle medizinisch unerklärlicher Heilungen durch Gebet (nennen wir sie doch einfach
Wunder. Wir sollten keine Angst haben, den Begriff "Wunder" in den Mund zu nehmen. Überhaupt:
Menschenfurcht. Äh, darauf komme ich noch...) erlebt. -- An dieser Stelle ein kleiner Vorgriff. Am Samstagnachmittag kam im Kreise der Bloggerkollegen und "der Jungs" das Gespräch erneut auf das Thema "Heilungsgebet", und dabei ergab sich der folgende Dialog:
"Wo ich schon mal hier bin, sollte ich vielleicht die Gelegenheit nutzen, mir meine Rückenprobleme wegbeten zu lassen."
"Mach doch. Vielleicht erwischst du ja den Heidenreich noch."
"Nee, den nicht. Bei dem hätte ich Angst, dass der mir bei der Gelegenheit gleich noch das Rauchen abgewöhnt."
Und wisster was, Leser? Da das so ein schöner Cliffhanger ist und dieser Artikel ohnehin schon so lang geworden ist, mache ich an dieser Stelle erst mal einen Punkt. Fortsetzung folgt (bald!)!