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Dienstag, 29. Juni 2021

Die Sommerausgabe ist da!

Ich darf mir wohl mal selbst auf die Schulter klopfen: Bereits den fünften Monat in Folge ist es mir in meiner Eigenschaft als Chefredakteur gelungen, termingerecht eine neue Ausgabe der "Lebendigen Steine" zu veröffentlichen! Auch wenn es diesmal, u.a. urlaubsbedingt, ein bisschen knapp war. Herzlichen Dank daher an alle, die zum Gelingen (und zur rechtzeitigen Fertigstellung) der neuen Ausgabe beigetragen haben! 



Zu den thematischen Schwerpunkten der Juli-Nummer zitiere ich der Einfachheit halber mal das Editorial: 

Der Sommer ist für viele von uns eine Zeit des Urlaubs und damit des Reisens. Da trifft es sich gut, dass zwei markante Daten des Festkalenders im Monat Juli wesentlich mit dem Thema des „Unterwegsseins“ zu tun haben: An Mariä Heimsuchung (02. Juli) erinnern wir uns daran, wie Maria sich ins Bergland von Judäa aufmachte, um ihre Verwandte Elisabet zu besuchen, als beide Frauen schwanger waren; und am 25. Juli feiern wir das Fest des Apostels Jakobus, dessen Grab in Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens das Ziel des wohl berühmtesten Pilgerwegs Europas, des Jakobswegs, ist.
Andererseits feiern wir im Juli aber auch das Fest des Hl. Benedikt, in dessen Ordens- und Lebensregel gerade die stabilitas loci, das „An-einem-Ort-Bleiben“, eine wichtige Rolle spielt.
All diese Themen versuchen wir in der vorliegenden Ausgabe der „Lebendigen Steine“ miteinander in Beziehung zu setzen. Darüber hinaus freuen wir uns, dass wir für die Rubrik „Debatte“ zwei Gastbeiträge aus dem Kreis unserer Leser gewinnen konnten. Davon wünschen wir uns für die Zukunft noch mehr!

Zum Download der neuen Ausgabe geht's hier

Kurz vor Ende Juni ist übrigens auch die zweite Nummer der schon einmal erwähnten "Texte für den Augenblick" - also des Hefts mit den geistlichen Impulsen unserer pastoralen Mitarbeiter - erschienen. Es mag an meinem typischen Hang zur Selbstüberschätzung (oder sagen wir: zur Überschätzung meiner "Relevanz") liegen, aber jedenfalls neige ich dazu, in den "Texten für den Augenblick" eine Reaktion auf die "Lebendigen Steine" zu sehen. Aber auch wenn das von den Initiatoren gar nicht so beabsichtigt gewesen sein sollte, bietet sich ein vergleichender Blick auf diese Publikationen wohl an. 

Dazu will ich zunächst mal sagen: Dass unsere pastoralen Mitarbeiter geistliche Impulse verfassen und nicht nur als telefonisch abrufbares Audio, sondern auch in Schriftform veröffentlichen, finde ich grundsätzlich absolut begrüßenswert, und auch an den Texten selbst, soweit ich sie bisher gelesen habe, habe ich wenig auszusetzen -- jedenfalls kaum etwas, was man nicht unter "Geschmackssache" verbuchen könnte. Gleichzeitig ist aber kaum zu leugnen, dass das Blättchen unserer pastoralen Mitarbeiter vor allem in gestalterischer, aber auch in redaktionell-konzeptioneller Hinsicht noch Einiges an Luft nach oben hat. 

Nun könnte man sagen, das könnte mir doch eigentlich nur recht sein, denn im direkten Vergleich mit den "Lebendigen Steinen" müssten die Qualitätsunterschiede jedem unvoreingenommenen Betrachter unmittelbar ins Auge fallen. Allerdings ist so ein "direkter Vergleich" gar nicht so leicht herzustellen, da die "Texte für den Augenblick", soweit ich bisher gesehen habe, nur in den Kirchen unseres Pastoralen Raums ausliegen, wohingegen die "Lebendigen Steine", als "Underground"-Publikation, in den offiziellen Schriftenauslagen unserer Kirchen eher nicht zu finden sind (sondern eher bei Edeka, REWE sowie in öffentlichen Bücherschränken, von denen es passenderweise auf dem Territorium jeder der vier Pfarreien unseres Pastoralen Raums genau einen gibt). 

Aber wie dem auch sei. Der Hauptverantwortliche für die Druckversion der "Texte für den Augenblick" ist allem Anschein nach einer unserer Ständigen Diakone; wenn ich den bei Gelegenheit mal zu fassen kriege, sollte ich vielleicht mal mit ihm darüber verhandeln, ob man die "Texte für den Augenblick" nicht in die "Lebendigen Steine" integrieren könnte. Da würde ich dann zwar pro Monat eher einen oder zwei geistliche Impulse unserer pastoralen Mitarbeiter veröffentlichen statt fünf oder sechs, dafür aber mit besserem Layout und besserem Lektorat; im Gegenzug könnte man sich die Druckkosten teilen und ggf. die Auflage erhöhen, und die "Lebendigen Steine" bekämen Zugang zu den Schriftenauslagen. Win-win, oder? 

Noch wichtiger ist aber vielleicht die Frage: Wann bringst DU, Leser, Deinen EIGENEN "Independent-Gemeindebrief" heraus? Punkpastoral lebt vom Selbermachen, und Ideen verbreiten sich durch Nachahmung. Und im Grunde braucht man gar nicht besonders viel, um so ein Heft herauszubringen; man muss sich nur trauen. Und es müssen ja nicht unbedingt gleich 24 oder 28 oder 32 Seiten pro Monat sein. Also, Leute: Zeigt mir, was Ihr drauf habt! Gründen wir zehn, zwanzig, hundert "Independent-Gemeindebriefe" in ganz Deutschland (oder auch darüber hinaus)! 

Das wär doch mal was, oder? 


Montag, 28. Juni 2021

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #4 (13. Woche im Jahreskreis)

Hurra, die Wochen-Briefings sind wieder da! Corona is over if you want it, um's mal frei nach John Lennon auszudrücken (und ehe man mich jetzt in die "Covidioten"-Ecke stellt: Ich weiß, dass das nicht so ganz stimmt, aber das galt für Lennons Antikriegsbotschaft schließlich auch), und ganz davon abgesehen habe ich ganz einfach Bock darauf, diese vor gut 15 Monaten aus pandemischen Gründen zunächst umbenannte und wenig später dann gänzlich gelockdownte (oder "downgelockte"?) Artikelserie wieder aufzugreifen. Besonders nachdem ich die bislang letzte Folge kürzlich zufällig noch einmal gelesen habe und, so viel Eigenlob muss sein, Alles in Allem ziemlich prima fand. Also genug der Vorrede und auf ins Gefecht! 


Was bisher geschah: Diese Frage zu beantworten, wäre ganz schön aufwändig, wenn man sie auf den gesamten Zeitraum seit dem letzten Wochen-Briefing beziehen wollte; also beschränke ich mich mal auf die zurückliegende Woche. Am Montag, dem 21. Juni, wäre eigentlich der Redaktionsschluss für die Juli-Ausgabe der "Lebendigen Steine" gewesen -- aber wir hatten, abgesehen vom Termin- und Adressenteil, der Rubrik "Aus dem liturgischen Kalender" und ein paar Gedichten und Gebeten, noch fast nichts fertig, weshalb ich mich (erstmals!) zu einer Fristverlängerung entschloss, nämlich bis Freitag. Gleichzeitig startete ich via Facebook einen Aufruf an befreundete "Netzkatholiken", Gastbeiträge einzusenden -- zumal ich schon länger der Meinung war, gerade in der Rubrik "Debatte" dürften ruhig mal mehr unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen. Und siehe, im Laufe der folgenden Tage wurden mir gleich zwei ausgesprochen interessante Debattenbeiträge zugesandt, die ich mit etwas Bastelei beide im Heft unterbringen konnte. 

Am Dienstag war der Gedenktag der Märtyrer Thomas Morus und John Fisher, was ich auch im Rahmen unserer Lobpreisandacht gebührend würdigte; außerdem brachte die Post mir ein verspätetes Geburtstagsgeschenk, nämlich das unlängst erschienene Buch "Dorothy Day: On Pilgrimage - The Sixties". "On Pilgrimage" war der Titel von Dorothy Days regelmäßiger Kolumne in der von ihr mitbegründeten Zeitschrift  The Catholic Worker, und dieses Buch enthält eine Auswahl dieser Kolumnen aus den Jahren 1960-69. (Eine erste Lesefrucht aus diesem Buch folgt weiter unten in der Rubrik "Zitat der Woche").  


Am Mittwoch nahm ich erstmals an einer Sitzung der Arbeitsgruppe Liturgie des Pastoralausschusses Reinickendorf-Süd teil; über den Inhalt der Sitzung kann ich hier nichts verraten, aber die Atmosphäre war durchaus produktiv. 

Am Donnerstag war das Hochfest der Geburt Johannes des Täufers (übrigens ein schönes Beispiel dafür, was ich am liturgischen Kalender so liebe: Der Erzengel Gabriel sagt bei der Verkündigung zu Maria "Deine Verwandte Elisabet ist schon im 6. Monat", also feiern wir die Geburt Johannes des Täufers 6 Monate vor Weihnachten, logisch, oder?), und außerdem erschien nach längerer Zeit mal wieder ein ganzseitiger Essay von mir in der Tagespost. Am frühen Abend wäre ich an sich ganz gern zur Rosenkranzandacht in der Allerheiligen-Kirche in Borsigwalde gegangen, konnte meine Tochter aber nicht zum Mitkommen überreden; na, vielleicht klappt's ja diese Woche. 

Am Freitag ging meine Liebste mit den Kindern in den Tierpark, was mir Zeit und Ruhe verschaffte, die Endredaktion der neuen "Lebendige Steine"-Ausgabe in Angriff zu nehmen, an diesem Blogartikel hier zu arbeiten und schließlich noch rund eine halbe Stunde zur Anbetung und dann zur Abendmesse zu gehen, ehe ich zur Sitzung des Lokalausschusses der örtlichen Kirchengemeinde antanzte. Dieses Gremium hatte eine ganze Weile gar nicht getagt und dann zuletzt "nur" per Telefonkonferenz, folglich gab es bei dieser ersten "Präsenz"-Sitzung seit rund einem Jahr eine Menge Aussprachebedarf, aber auch darüber kann und will ich hier nicht ins Detail gehen. 

Am Samstag hatte ich abermals ein paar Stunden Zeit zum konzentrierten Arbeiten, während der Rest der Familie einen Ausflug zur Revierförsterei unternahm; und am Sonntag wurde in der Messe eine Frau mit zwei jugendlichen Söhnen feierlich in die katholische Kirche und mithin in unsere Gemeinde aufgenommen. Im Anschluss an die Messe kamen wir ein wenig mit ihnen ins Gespräch. Ich hoffe, der Kontakt wird sich zukünftig noch ausbauen lassen. 


Was ansteht: In erster Linie natürlich die Veröffentlichung der neuen "Lebendigen Steine"! Die Online-Ausgabe soll wie gewohnt einen Tag vor Monatsanfang erscheinen, das wäre dann also Mittwoch; die Print-Ausgabe würde ich ebenfalls gern bis zu diesem Zeitpunkt fertig haben, kann aber im Moment noch nicht absehen,  wann ich Zeit für einen Trip zu Berlins günstigstem Copyshop haben werde. Ebenfalls am Mittwoch ist der Geburtstag meiner Liebsten, und wie ich habe läuten hören, wollen die Schwiegereltern zu diesem Anlass wohl einen Restaurantbesuch springen lassen... 

Aber auch schon vorher steht einiges Interessantes auf dem Programm: Heute Nachmittag treffe ich mich mit einem jungen Mann, der Interesse geäußert hat, an unserem Büchereiprojekt mitzuarbeiten; morgen, also Dienstag, ist das Hochfest Peter und Paul, und da (oder danach) wird zwar vielleicht, wie jedenfalls der Volksmund behauptet, "der Pfarrer faul", wir aber nicht: Wir feiern da Lobpreis, wie jeden Dienstag, aber unter besonderer thematischer Berücksichtigung des Festanlasses. 

Das nächste Fest folgt dann schon am Freitag, nämlich Mariä HeimsuchungAn ebendiesem Tag soll auch ein erstes Treffen zum Aufbau eines Instagram-Accounts für die Jugendarbeit des Pastoralen Raums Reinickendorf-Süd stattfinden. Der Termin stand drei Wochen lang in den Vermeldungen der Pfarrei,  trotzdem ist mir der "institutionelle Status" dieser Initiative (wenn ich das mal so nennen darf) nicht recht klar; der in den Vermeldungen genannte Ansprechpartner ist mir jedenfalls nicht bekannt. In den Vermeldungen war auch angegeben worden, Interessierte sollten sich per eMail zu diesem ersten Treffen anmelden; das haben meine Liebste und ich bereits vor über zwei Wochen getan, allerdings keinerlei Rückmeldung erhalten. Na, schauen wir mal. 

Weiter steht erst mal nichts auf dem Terminkalender, aber zu tun gibt es natürlich immer was. Ich könnte zum Beispiel auch mal die unterbrochene "Hundert-Bücher-Challenge" wieder aufgreifen... (Ist natürlich alles eine Zeitfrage, aber seien wir mal ehrlich: Mehr Zeit als jetzt, während meine Liebste in Elternzeit ist, werde ich wahrscheinlich nicht so bald wieder haben - jedenfalls nicht, bevor beide Kinder eingeschult sind...) 


Zitat der Woche: 

"Wir haben einen freien Willen, das ist unser größtes Geschenk. Wir haben die Freiheit, uns zu entscheiden, und je klarer wir sehen, desto eindeutiger werden unsere Entscheidungen ausfallen und desto leichter wird es, sie zu treffen. Aber noch sehen wir alle undeutlich wie durch einen Spiegel [vgl. 1 Kor 13,12]. Die Wahrheit von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wäre schon der Himmel. 

Wir veröffentlichen eine Zeitung, in der Ideen diskutiert und zur Klarheit gebracht und durch praktisches Handeln illustriert werden. Das heißt, wir sind nicht nur ein Nachrichtenblatt. Wir sind, wie Peter Maurin zu sagen pflegte, eine Revolution, eine Bewegung. Wir sind Verkündiger des Glaubens. Wir sind die Kirche. Wir sind Glieder des Mystischen Leibes. Wir alle müssen uns darum bemühen, gesund zu sein und unsere Aufgabe zu erfüllen. Wir haben nicht alle dieselbe Aufgabe, aber wir alle haben eine Berufung. Die unsere ist eine 'prophetische', wie uns viele Priester gesagt haben. Papst Johannes [XXIII.] hat erst kürzlich auf den Mut Johannes des Täufers als ein Vorbild für die heutige Zeit verwiesen. Die Propheten nutzten große Gesten, um Aufmerksamkeit für das zu bekommen, was sie zu sagen hatten. Das haben auch wir getan." 

(Dorothy Day in The Catholic Worker, November 1960; Übersetzung: T.K.) 

Linktipps: 

Der Name Christian Smith mag dem einen oder anderen Leser meines Blogs ein Begriff sein: Dieser an der katholischen Universität Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana tätige Religionssoziologe hat - zusammen mit seiner Kollegin Melinda Lundquist Denton von der University of Texas - den Begriff "Moralistisch-therapeutischer Deismus" geprägt und dem so benannten Phänomen mehrere Studien gewidmet. Sein aktuelles Forschungsprojekt, das er in dem hier verlinkten Beitrag für das Magazin First Things vorstellt, betrifft hingegen die Frage, wie es Eltern gelingt (oder eben nicht gelingt), ihren Glauben an ihre Kinder weiterzugeben. In seinem Essay betont er, er habe mit seiner Studie ursprünglich nicht die Absicht verfolgt, einen "How to"- Ratgeber zu verfassen; dennoch seien die Ergebnisse seiner Forschungen durchaus dazu geeignet, in diesem Sinne gelesen (und angewendet!) zu werden. 

Smiths Untersuchungen zufolge ist der Einfluss von Eltern auf die religiöse Entwicklung ihrer Kinder unvergleichlich größer als derjenige der Schule, Kirchengemeinde oder irgendwelcher anderer Instanzen. Von entscheidender Bedeutung ist hier zunächst, wie die Eltern selbst ihren Glauben praktizieren und in welchem Maße der Glaube im Alltag der Familie präsent ist; aber auch der allgemeine "Erziehungsstil" und der Grad der emotionalen Bindung zwischen Eltern und Kindern spielen eine wichtige Rolle. 

Das alles ist für mich als Familienvater natürlich schon aus persönlichen Gründen von hohem Interesse, darüber hinaus aber natürlich auch für die pastorale Arbeit in der Gemeinde. Ich schätze, mindestens einige Kernsätze aus diesem Artikel werde ich übersetzen und, beispielsweise, die AG Familie des Pastoralausschusses damit nerven müssen... 


Ich weiß nicht genau, wie ich auf diesen gut zehn Jahre alten Artikel aufmerksam geworden bin - ich vermute mal, durch einen Link in irgendeinem sozialen Netzwerk; aber jedenfalls habe ich diese Reportage über Aussteiger in der Uckermark, auch wenn sie inhaltlich nicht mehr ganz aktuell sein mag, mit Interesse und durchaus auch mit Vergnügen gelesen. Der Blick des 1981 geborenen Autors Grossarth auf die überwiegend einigermaßen angegrauten (Über-)Lebenskünstler, die er beschreibt - Menschen, die nach der "Wende" ihre urbane Existenz aufgegeben haben, um in strukturschwachen ländlichen Regionen der ehemaligen DDR Land zu kaufen oder zu pachten und Selbstversorger-Landwirtschaft zu betreiben, ist zwar nicht ganz frei von Spott (oder zumindest ungläubigem Staunen darüber, dass man so leben kann, und das auch noch freiwillig), und zum Teil kann man ihm das auch gar nicht verdenken (etwa im Falle von "Reiner", der "eigentlich anders" heißt, die Qualität des Wassers aus seinem eigenen Brunnen mit einem Pendel prüft und beim Frühstück beiläufig erklärt, es gebe "nirgendwo einen Hinweis darauf, dass Gott Staaten wollte"); aber das hindert nicht, dass hier und da doch der Gedanke aufscheint, möglicherweise hätten diese Althippies mit ihrem selbstangebauten Gemüse und ihren Tauschnetzwerken für Waren und Dienstleistungen wie "Honig und Brot [...], Fleisch und Ziegenkäse, [...] Pullover aus Filz, gehäkelte Socken, Saatgut, Obstwein, Keramik, Polnischunterricht, Reiturlaub, Lebensberatung, Bauarbeiten" am Ende doch eine gesündere, vernünftigere und realistischere, weil nachhaltigere Einstellung zu den Dingen des Lebens als die Normalos der Konsumgesellschaft. 

Erst ganz am Ende des Artikels wurde ich darauf aufmerksam, dass es sich um eine Vorab-Veröffentlichung eines Auszugs aus Jan Grossarths Buch "Vom Aussteigen und Ankommen - Besuche bei Menschen, die ein einfaches Leben wagen" (München 2011) handelt; vielleicht sollte ich mir das Buch mal besorgen. Vorsichtshalber aber erst mal aus der Leihbücherei. 


Wenn Du, geschätzter Leser, Dich so einigermaßen für "kirchliche Nachrichten" aus dem In- und Ausland interessierst, wirst Du vermutlich mitbekommen haben, dass die katholische Bischofskonferenz der USA beschlossen hat, Präsident Joe Biden wegen seiner liberalen Haltung zum Thema Abtreibung die Kommunion zu verweigern. Darüber wurde ja weit und breit berichtet. Nur: Das stimmt so nicht. Zumindest stellt es den Sachverhalt arg verzerrt dar. Tatsächlich hat eine Kommission der US-Bischofskonferenz zunächst einmal - nach einer kontroversen Debatte, dann aber doch mit großer Mehrheit - beschlossen, ein Papier zum Thema Eucharistie auszuarbeiten, in dem es unter anderem auch darum gehen soll, dass Personen, die sich in Wort und Tat offen und in schwerwiegendem Maße gegen die Lehre der Kirche stellen, von der Kommunion ausgeschlossen sind. Das ist zwar von der Sache her überhaupt nichts Neues, aber nicht erst seit der jüngsten Instruktion der Glaubenskongregation bezüglich der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften weiß man ja, wie gefährlich es sein kann, etwas explizit zu bekräftigen, was jeder, der die Güte hätte, es zur Kenntnis nehmen zu wollen, auch so hätte wissen können. -- Kirchenrechtler und Journalist J.D. Flynn beleuchtet die politischen Implikationen dieses Vorgangs ebenso sachkundig wie allgemeinverständlich (wobei der etwas sperrige Titel des Artikels sich im Grunde nur auf einen Nebenaspekt bezieht), und "aus deutscher Sicht" (wie die Sportjournalisten sagen) kann einem schon etwas wehmütig zumute werden, dass es ein in kirchlichen Angelegenheiten so kompetentes Nachrichtenmagazin wie The Pillar nicht auch hierzulande gibt. Wir haben stattdessen häretisch.de, Doofradio und das "Neue Ruhr-Wort"... seufz. 


Viel ist geredet worden über ein angeblich "schwulenfeindliches" Gesetz in Ungarn; besonders im Vorfeld des Fußball-EM-Vorrundenspiels Deutschland-Ungarn im Münchner Olympiastadion (2:2) kochten die Emotionen hoch, man konnte den Eindruck haben, die deutsche Elf vertrete gewissermaßen die Interessen der LGBTQ-Commuity auf dem Fußballplatz, während die Ungarn gewissermaßen eine Bastion der Homophobie darstellten. -- Was nun aber in diesem furchtbaren Gesetz, von dem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen meint, es sei "eine Schande" und verstoße "gegen fundamentale EU-Werte" (offenbar dieselben "Werte", aufgrund derer jüngst im sogenannten "Matić-Bericht" Abtreibung zum Menschenrecht erhoben wurde) -- was da nun also tatsächlich drinsteht,  darüber hört man wenig Konkretes. Umso bedauerlicher, dass die Europa-Ausgabe des Magazins Politico es abgelehnt hat, einen Leitartikel der ungarischen Justizministerin Judit Varga zu diesem Thema zu veröffentlichen. Daher ist der Text nun im Blog der von der ungarischen Regierung betriebenen Website About Hungary erschienen. Ich kann nur empfehlen, ihn zur Kenntnis zu nehmen, unabhängig davon, ob man nun mit der Familien- und Geschlechterpolitik Ungarns sympathisiert oder nicht. Ministerin Varga betont, Ziel des Gesetzes sei es, die Verantwortung für die Sexualerziehung von Kindern in die Hände der Eltern zu legen und sicherzustellen, dass die elterliche Autorität in dieser Frage nicht von anderen Instanzen - sei es Staat oder Schule - unterlaufen wird. Ob das gut ist, darüber mag es legitimerweise unterschiedliche Meinungen geben, aber als Katholik möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass auch der Katechismus der Katholischen Kirche die Eltern als "die Erstverantwortlichen für die Erziehung ihrer Kinder" benennt (KKK 2223) -- was übrigens auch in Papst Franziskus' nachsynodalem Schreiben Amoris Laetitia von 2016 nochmals eindringlich bekräftigt wird, wobei auch die Sexualerziehung explizit thematisiert wird. -- Ob die Bestimmungen des ungarischen Gesetzes geeignet, angemessen oder notwendig sind, um diese Erstverantwortung der Eltern für die Erziehung der Kinder zu stärken und zu schützen, ist wieder eine andere Frage, über die man sich sicherlich differenziert auseinandersetzen könnte --- wenn, ja, wenn man erst einmal zur Kenntnis nähme, was das Gesetz denn nun eigentlich im Einzelnen besagt. Sich einfach die Ohren zuzuhalten und "Homophobie!" zu schreien, ist wohl eher weniger zielführend. 


Ohrwurm der Woche: 

Soul Asylum, "Get On Out" (1992) 

Mein Vorsatz fürs neue Lebensjahr: mehr Soul Asylum hören. Es steht somit durchaus zu erwarten, dass diese Band in dieser Rubrik noch öfter zum Einsatz kommen wird. 


Aus der Lesehore: 

Die Herrlichkeit Gottes verleiht Leben. Die Gott schauen, erhalten Anteil am Leben. Deswegen macht sich der unfassbare, unbegreifliche und unsichtbare Gott sichtbar, begreifbar und fassbar für die Menschen, um ihnen Leben zu schenken, wenn sie ihn durch den Glauben aufnehmen und sehen. 

(Hl. Irenäus von Lyon, Gegen die Irrlehren)


Sonntag, 20. Juni 2021

Camino de Willehado: Der Prophet im eigenen Land (Teil 3 von 3)

Herzlich willkommen zum Finale meiner kleinen Artikelserie über die kirchenbezogenen Aspekte meines jüngsten Familienurlaubs in Butjadingen! In Teil 2 war ich mit meiner Schilderung bis zum Donnerstag der 10. Woche im Jahreskreis gekommen; tags darauf war das Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu, und damit möchte ich meine Schilderung nun wieder aufnehmen. Teilweise bedingt durch unsere Aktivitäten in der Kirchengemeinde Herz Jesu in Berlin-Tegel hat die Herz-Jesu-Verehrung im Laufe der letzten Jahre einen besonderen Stellenwert im Glaubensleben meiner Familie gewonnen; es traf sich somit günstig, dass es - wie schon erwähnt - in der Nordenhamer St.-Willehad-Kirche am frühen Freitagabend eine Messe anlässlich des Herz-Jesu-Fests gab. Um daran teilzunehmen, fuhren wir mit dem Bus nach Nordenham. 

Dies ist leider nicht der Schaukasten der katholischen Kirche St. Willehad -- sondern derjenige der baptistischen Zoar-Kapelle, an der wir auf dem Weg nach St. Willehad vorbeikamen.

Ich hatte spekuliert, der Umstand, dass das Herz-Jesu-Fest in Nordenham besonders gefeiert wird, habe womöglich auch damit zu tun, dass es das Titularfest der inzwischen profanierten Kirche im Ortsteil Einswarden gewesen war; nicht im Blick gehabt hatte ich dabei, dass in St. Willehad auch allmonatlich eine Messe zum Herz-Jesu-Freitag (dem ersten Freitag des jeweiligen Monats) gefeiert wird. Insgesamt geht man wohl nicht fehl, wenn man annimmt, dass die Herz-Jesu-Verehrung ein Refugium des eher "konservativ"-frommen bzw. traditionsorientierten Teils der Gemeinde darstellt; davon, wie dieser Gemeindeteil personell aufgestellt ist, vermittelte die Messe zum Herz-Jesu-Fest allerdings kein sehr ermutigendes Bild: Außer den Mitwirkenden (Pfarrer, Küsterin und eine Musikerin, die originellerweise nicht Orgel, sondern Geige spielte) und uns nahmen ungefähr fünf überwiegend sehr betagte Personen an der Messfeier teil.

Überrascht war ich, als vor Beginn der Messe die Küsterin auf mich zukam und mich fragte, ob ich den Vortrag der 1. Lesung (Hosea 11,1-9) und der Fürbitten übernehmen möge. Machte ich natürlich gern. Ob die Küsterin mich erkannt hatte oder bloß dachte "Junge Familie, die an einem Werktag in die Messe kommt, das werden schon Leute sein, denen man so eine Aufgabe anvertrauen kann", sei mal dahingestellt. 

Zum ersten Mal stutzen musste ich, als der Pfarrer nach dem Kyrie direkt zum Tagesgebet überging. Nanu, dachte ich: kein Gloria? Dabei ist doch Hochfest! Ich ahnte schon fast, dass es folgerichtig auch kein Credo geben würde, trotzdem wartete ich nach der (im Guten wie im Bösen nicht besonders bemerkenswerten) Predigt erst einmal ab, ehe ich zu den Fürbitten ans Ambo trat. Genauer gesagt wartete ich so lange, bis die Geigerin in der Bank hinter mir sich vernehmlich räusperte. -- Davon abgesehen, und vor allem verglichen damit, was ich bei anderen Gelegenheiten an diesem Ort (und durchaus auch woanders, z.B. in Stuttgart) schon so alles erlebt habe, hielten sich die liturgischen Fouls einigermaßen in Grenzen -- wobei ich mich in solchen Fällen immer frage, warum man sich diese Verstöße gegen die liturgische Ordnung dann nicht auch noch hat sparen können; aber der innere Drang, die Messe keinesfalls genau so zu zelebrieren, wie sie im Messbuch steht, scheint bei einigen Priestern schier unbesiegbar zu sein, und die Gemeinde weiß es oftmals schlicht nicht besser. Welchen Sinn soll es beispielsweise haben, den Antwortpsalm (Jesaja 12,2-6) und die zweite Lesung (Epheser 3,8-19) wegzulassen, nur um dann nach der Kommunion einen anderen Psalm (in diesem Fall Psalm 42) zu rezitieren? Nichts gegen Psalm 42, er ist wunderschön, aber was soll sowas? Und sollte es nicht einigermaßen einleuchtend sein, dass die erste Strophe von "Großer Gott, wir loben dich" zwar an und für sich gut und schön ist, aber trotzdem nicht dafür geeignet ist, anstelle des Sanctus gesungen zu werden? -- Meine Liebste ist der Meinung, mangelnder Sinn für Liturgie oder mangelnder Respekt gegenüber liturgischen Vorschriften seien Anzeichen für ein fundamentales Nichtverstehen oder Nicht-Akzeptieren-Wollen der göttlichen Ordnung der Dinge, die sich in der Liturgie widerspiegelt; und ich bin geneigt, ihr Recht zu geben. In besonderem Maße gilt das für die noch auf Pfarrer Bögershausen zurückgehende Unsitte, dass der zelebrierende Priester selbst erst am Ende der Kommunionausteilung kommuniziert. Im direkten Vergleich eher eine Kleinigkeit, aber dennoch auf ähnliche Weise bezeichnend ist der häufig zu beobachtende "kreative" Umgang mit den Interzessionen im Eucharistischen Hochgebet, namentlich mit der Formulierung "alle, die zum Dienst in der Kirche bestellt sind": Unser Gemeindepfarrer in Berlin sagt an dieser Stelle gern "alle Frauen und Männer, die sich in der Kirche engagieren", was ja schon mal nicht zwingend dasselbe ist wie zum Dienst bestellt zu sein; aber der Pfarrer von St. Willehad legt in Sachen Inklusivität noch eine Schippe drauf, indem er sagt "alle, die sich in der Kirche oder im Sinne des Evangeliums in der Welt engagieren". Grönch. 

Aber konzentrieren wir uns mal aufs Positive: Nicht nur war es schön, an diesem Hochfest überhaupt eine Heilige Messe mitfeiern zu dürfen (und zwar dank niedriger Corona-Inzidenz sogar mit Gemeindegesang und mit der Erlaubnis, am Platz die Maske anzunehmen); zum Abschluss wurde sogar das Allerheiligste ausgesetzt, die Herz-Jesu-Litanei aus dem Gotteslob (Nr. 564) gebetet, das Tantum ergo gesungen (leider in der deutschen Nachdichtung von Friedrich Dörr, die ich ein bisschen kitschig finde) und ganz zum Schluss der Eucharistische Segen gespendet. Sehr schön! Entzückt war ich, dass meine dreieinhalbjährige Tochter sich während zur Wandlung und während der Aussetzung hinkniete, und zwar aus eigenem Entschluss; dass sie auch vor dem Verlassen der Kirche eine Kniebeuge vor dem Altar machte, trug uns ein huldvolles Lächeln seitens der Küsterin ein. 


*

Auf das Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu folgte der Gedenktag des Unbefleckten Herzens Mariens; zu diesem Anlass hatte ich, wie berichtet, eine Andacht vorbereitet, war mir bis zum Samstagmittag jedoch nicht so recht darüber im Klaren, was wir nun mit dieser Andacht machen sollten. Und dann saßen wir, wie einige Tage zuvor, wieder bei einem Mittagspicknick - diesmal nicht im Garten der Kirche, wo bereits Bänke aufgebaut worden waren, um die Vorabendmesse unter freiem Himmel feiern zu können, sondern im angrenzenden "Bürger-Obstgarten" -, und als wir unsere Snacks verspeist hatten und beide Kinder friedlich Mittagsschlaf hielten, fragte ich meine Liebste: 

"Wie machen wir's jetzt eigentlich mit unserer Guerilla-Andacht?" 
"Also, von mir aus können wir", entgegnete meine Liebste schlicht. 

"Jetzt gleich?" (Es war ungefähr 15 Uhr.) 

"Ja, ist wohl besser. Das vermindert das Risiko, dass wir den Vorbereitungen für die Abendmesse in die Quere kommen." 

Also gingen wir in die Kirche, stöpselten unsere mobile Lautsprecherbox ein und begannen unsere Andacht, zu der meine Liebste an den dafür vorgesehenen Stellen sehr schöne freie Gebete beisteuerte (sie ist einfach die größere Charismatikerin von uns beiden). Alles in allem dauerte die Andacht wohl etwa eine Dreiviertelstunde, und positiv ausgedrückt störte uns niemand dabei -- oder umgekehrt, wir störten niemanden damit. Erst während des letzten Liedes ("Zehntausend Gründe" -- zum Abschluss muss man immer einen Kracher bringen, das habe ich in meiner Zeit als DJ gelernt) kam eine Frau mittleren Alters herein, die vor der Marienfigur eine Kerze anzünden wollte. Falls sie sich über die Musik wunderte, ließ sie sich jedenfalls nichts anmerken. Nahezu unmittelbar nach dem Ende unserer Andacht kam der Küster herein und teilte uns mit, die Vorabendmesse werde draußen stattfinden - was wir allerdings schon gewusst hatten. 



Die Open-Air-Messfeier war durchaus gut besucht; dennoch senkten wir, ebenso wie tags zuvor in St. Willehad, den Altersdurchschnitt durch unsere Anwesenheit ganz erheblich, und zwar selbst dann, wenn man unsere Kinder nicht mitrechnete. Neben dem Diakon und dem Ministranten und Lektor waren wir eindeutig die einzigen Unter-50-Jährigen unter den Anwesenden, und die beiweitem meisten Mitfeiernden waren wohl jenseits der 70. Angesichts dieser Altersstruktur war es wohl einigermaßen folgerichtig, dass auf dem Liederzettel, der vor Beginn der Messe ausgeteilt wurde, ausschließlich Stücke des NGL-Genres vertreten waren. Das einzige nicht dieser Stilrichtung zugehörige Lied, das in dieser Messe gesungen wurde - "Maria, breit' den Mantel aus" - stand nicht auf dem Zettel und wurde als bekannt vorausgesetzt. Begleitet wurde der Gemeindegesang übrigens auf dem Akkordeon - von einer Frau, die schon in meiner Kindheit sehr aktiv in der Kirchengemeinde war und ihre Aktivität seither sukzessive ausgeweitet hat -- wie man diesem Presseartikel entnehmen kann, den ich mal gänzlich unkommentiert für sich selbst sprechen lassen will. Meine musikalische Schmerzgrenze wurde überschritten durch ein Lied, das ebenfalls nicht auf dem Zettel stand, weil es wohl als bekannt vorausgesetzt wurde; ein Lied, das ich schon als Kind innig verabscheut habe: "Lasst uns miteinander". Das wurde zum Gloria gesungen, und zu meinem Leidwesen kann man nicht einmal behaupten, dass es völlig unpassend gewesen wäre, denn es ließe sich durchaus argumentieren, dass der Text des Liedes auf einer Passage aus dem Gloria basiere ("Wir loben dich, wir preisen dich, wir beten dich an, wir rühmen dich und danken dir, denn groß ist deine Herrlichkeit"). Trotzem: grässlich! 

Des Gedenktags des Unbefleckten Herzens Mariens wurde an ein paar Stellen der Messe durchaus gedacht - dazu gehörte das bereits erwähnte Marienlied sowie der Umstand, dass nach der Kommunion der Engel des Herrn gebetet wurde; im Großen und Ganzen wurde sie aber als Vorabendmesse zum 11. Sonntag im Jahreskreis gefeiert.  Das Evangelium vom Tag war somit Markus 4,26-34 - das Gleichnis vom Wachsen der Saat und das Gleichnis vom Senfkorn -, und man kann von Glück sagen, dass niemand auf die Idee gekommen war, dies zum Anlass zu nehmen, "Kleines Senfkorn Hoffnung" auf den Liederzettel zu setzen. Na ja, vielleicht auch nicht: Das hätte wenigstens gezeigt, dass die in dieser Gemeinde für die "Liturgie" Verantwortlichen sich irgend etwas bei der Liedauswahl denken. 

Und dann kam die größte Überraschung dieser Messe, nämlich die Predigt. Von der war ich wider Erwarten beeindruckt -- ja, es wäre tatsächlich eine Untertreibung,  hier ein schwächeres Wort als "beeindruckt" zu verwenden. Das lag nicht an ihrer rhetorischen Qualität; unter diesem Aspekt musste man die Predigt vielmehr als teilweise zerfahren und unausgegoren bezeichnen, was für Pfarrer Jasbinschek leider nicht untypisch ist. Aber wenn man diese Mängel wegdenkt, dann war das, was übrig blieb, tatsächlich die stärkste Predigt,  die ich seit einer ganzen Weile gehört hatte. Weichen und Zunder, kann man da nur sagen! 

Aufhorchen ließ zunächst, dass Pfarrer Jasbinschek Kardinal Marx' Amtsverzichts-Angebot kritisierte; nun gut, "kritisierte" ist vielleicht etwas zu viel gesagt, er drückte sich sehr zurückhaltend und etwas vage aus, aber wenn man seine Äußerungen ein bisschen zuspitzte, konnte man den Vorwurf heraushören, die Rücktrittsabsicht des Erzbischofs von München und Freising verrate ein defizitäres Amtsverständnis und ein fehlerhaftes Verständnis von Verantwortung. Im Gesamtkontext der Predigt blieb das allerdings eher eine Randbemerkung. Im Kern ging es in Pfarrer Jasbinscheks Auslegung des Gleichnisses vom Wachsen der Saat - so wie ich sie verstand, jedenfalls - darum, dass man, wenn man für das Reich Gottes wirken wolle, nicht auf schnelle Erfolge aus sein dürfe, oder andersherum ausgedrückt: dass man sich vom Ausbleiben unmittelbar augenfälliger Erfolge nicht entmutigen lassen solle. Und das ist ja ein ausgesprochen #BenOp-relevantes Thema. Der Pfarrer illustrierte dies mit einer angeblich wahren Geschichte über einen französischen Bauern, der in einer durch Bodenerosion verödeten Gegend in den Cevennen im Alleingang Hunderttausende Bäume pflanzte; diese Geschichte fand ich so großartig, dass ich wohl bei anderer Gelegenheit noch einmal darauf werde zurückkommen müssen. Abschließend sagte der Pfarrer noch: "Ich glaube, dass wir die Kirche nicht durch Pläne voranbringen, sondern in erster Linie durch das Gebet." Wow! 

Im Anschluss an die Messe kamen wir noch kurz mit einigen Gemeindemitgliedern ins Gespräch, die sich gebührend entzückt von unseren Kindern zeigten und ansonsten (abgesehen von der oben erwähnten Frau mit dem Akkordeon, die mich noch von früher her kennt) wohl einfach neugierig waren, was uns wohl in "ihren" Gottesdienst verschlagen hatte. Die "Takeaways" aus diesem Gespräch lauteten im Wesentlichen: Die katholische Kirche gelte ja im Allgemeinen als hoffnungslos rückständig,  aber so ganz langsam und allmählich bewege sie sich ja doch, und gerade diese Gemeinde sei "sehr fortschrittlich"; zudem sei hier die Gemeinschaft sehr gut. Dies unterstreichend, verriet eine grauhaarige Dame, sie sei "eigentlich evangelisch", habe aber Anschluss an die katholische Gemeinde gesucht und gefunden, da es in der evangelischen Kirche - aus pandemischen Gründen, versteht sich - schon seit Monaten keine Gottesdienste mehr gegeben habe. Auf Nachfrage präzisierte sie, Andachten gebe es in der örtlichen evangelischen Kirche durchaus, "aber man will ja auch mal zur Kommunion gehen" (sie sagte tatsächlich "Kommunion" und nicht "Abendmahl", das fand ich auffällig). Wir sagten zu alledem nicht viel. 

Kommentarwürdig finde ich aber doch, wie sich die Gemeinde von Herz Mariä Burhave verändert hat im Vergleich zu der Zeit, als ich noch dort gewohnt habe. Ich erinnere mich gut, dass ich vor rund 30 Jahren mal - mit dem begrenzen analytischen Instrumentarium, das mir als Teenager eben zu Gebote stand - den Versuch einer kritischen Darstellung der verschiedenen Fraktionen innerhalb der Pfarrgemeinde in mein Tagebuch gekritzelt habe; ich hoffe, ich finde dieses Tagebuch irgendwann mal wieder. Jedenfalls wurde das Erscheinungsbild der Gemeinde damals einerseits stark durch eine Anzahl betagter Schlesierinnen mit einem sehr traditionsorientierten Frömmigkeitsstil bestimmt, andererseits gab es auch damals schon eine eher NGL- und Batikhalstuch-orientierte Fraktion, deren Mitglieder ebenfalls überwiegend weiblich, aber im Durchschnitt etwa eine Generation jünger waren als die schlesischen Witwen und sich im Vergleich zu diesen durchaus mit einigem Recht als der "fortschrittlichere" Teil der Gemeinde empfinden durften. Dass sie sich 30 Jahre später immer noch so sehen, ist nicht unbedingt verwunderlich (ich erwähne es immer wieder gern: Auch im ZK der SED haben die alten Herren bis zuletzt voller Überzeugung gesungen "Wir sind die junge Garde des Proletariats"); und ebenso wenig muss man sich wundern, dass sie mangels solider Katechese bis heute nicht richtig mitbekommen haben, dass die esoterisch und universalistische angehauchte Spiritualität, die sie aus ihren bevorzugten NGL-Songtexten herausgehört oder -gelesen haben, nicht so ganz mit der Glaubenslehre der katholischen Kirche deckungsgleich ist. Anders als vor 30 Jahren haben sie heute allerdings niemanden mehr, gegen den sie opponieren könnten oder müssten: Zum einen, weil sie sich - wofür die Frau mit dem Akkordeon das Paradebeispiel ist - längst selbst an die Schlüsselstellen der Gemeinde gesetzt haben, und zum anderen, weil es außer ihnen schlichtweg niemanden mehr gibt. Die schlesischen Kriegswitwen sind längst ausgestorben, und ihre Enkel - so wie ich - sind weggezogen. Umgekehrt hat die Fraktion der "Boomer Catholics" - wie ich aus dem Umstand schließe, dass ich einen großen Teil der Gottesdienstteilnehmer bei dieser Vorabendmesse nicht kannte - Zuwachs durch Zugezogene erhalten, aber eben nur von Leuten, die im Wesentlichen so sind wie sie selber. Sicherlich trägt das dazu bei, dass sie die Gemeinschaft in dieser Kirchengemeinde so toll finden. Aber dass die Gemeinde mit einer solchen Mitgliederstruktur nicht besonders viel Zukunft hat, müsste eigentlich offensichtlich sein.  

Was also müsste sich ändern, damit die Kirche an diesem Ort die kommenden Jahrzehnte überlebt? -- Es mag ein naheliegender Gedanke sein, auf dieselbe oder ähnliche Weise, wie die liberalen "Boomer"-Katholiken im Laufe der vergangenen Jahrzehnte in dieser und vielen anderen Gemeinden das Ruder übernommen haben, müsste es einer Handvoll engagierter und glaubensfester junger Leute möglich sein, das Ruder der Gemeinde wieder in eine andere Richtung zu drehen. Man könnte sogar der Meinung sein, das sei im Wesentlichen das, was meine Liebste und ich in unserer Berliner Pfarrei zu tun versuchen. Aber ich sehe das nicht ganz so, und das nicht nur, weil in unserer Gemeinde (im "Pastoralen Raum" insgesamt sieht das schon wieder anders aus) die engagierten Laien tendenziell eher weniger liberal sind als die Hauptamtlichen. Mein wesentlicher Einwand lautet vielmehr: Wenn man Gemeindeerneuerung als Machtkampf betrachtet und betreibt, dann liegt da kein Segen drauf. Dass die hypothetische "Handvoll engagierter und glaubensfester junger Leute" eine Menge dafür tun kann, dem kirchlichen Leben in einer Pfarrei oder Ortsgemeinde eine neue Richtung zu geben, ist sicherlich richtig und auch gut so; aber dabei darf nicht es nicht darum gehen, Schlüsselpositionen in der Gemeinde zu besetzen, um eigene Vorstellungen durchzudrücken und andere Interessengruppen innerhalb der Gemeinde an den Rand zu drängen. Das Ziel muss vielmehr sein, in erster Linie dem Wirken des Geistes Gottes in der Gemeinde Raum zu geben. Dafür ist es wesentlich, dem Gebet und dem Hören auf Gottes Wort Priorität einzuräumen. Und schließlich sollte uns gerade das oben angesprochene Gleichnis vom Wachsen der Saat daran erinnern, dass wir mit allem, was wir tun, letztlich nur Samen ausstreuen können; und dann müssen wir es Gott überlassen, was Er daraus wachsen lässt. 

Abschließend noch eine Bemerkung, die ich mir schlechterdings nicht verkneifen kann: Irgendwie finde ich es ja lustig, dass die - ihrer Selbstwahrnehmung zufolge - "fortschrittlichen" Boomer-Katholiken, wenn sie auf jüngere Gottesdienstbesucher treffen, meist quasi automatisch annehmen, diese müssten gerade aufgrund ihres Alters in "kirchenpolitischer" Hinsicht ganz auf ihrer Linie oder allenfalls noch "liberaler" als sie selbst sein. Diese irrige Annahme ist ihrer Auffassung von "Fortschritt" zwar in gewissem Sinne inhärent, aber genau das macht die Sache aus meiner Sicht nur umso lustiger. Unter diesem Aspekt finde ich es ja doch ein bisschen schade, dass die Gemeindemitglieder, mit denen wir im Anschluss an die Messe sprachen, nichts von unserer Andacht mitgekriegt haben. Ich vermute mal, sie hätten überhaupt nicht gewusst, wie sie die in ihrem kirchenpolitischen Koordinatensystem hätten einordnen sollen... 



Freitag, 18. Juni 2021

Camino de Willehado: Der Prophet im eigenen Land (Teil 2 von 3)

Willkommen zurück! Nachdem der erste Teil meines Berichts über den jüngsten Butjadingen-Trip meiner Familie zur Gänze mit allgemeinen Vorbemerkungen draufgegangen ist, wird es nun wohl Zeit, dass ich zur chronologischen Schilderung der kirchenbezogenen Erlebnisse und Aktivitäten komme, die unseren Aufenthalt dort geprägt haben. Wohlan denn: 

Weil uns die Kirche nicht Latte ist. (Symbolbild)

Bereits am ersten Tag nach unserer Ankunft - einem Dienstag - statteten wir der hübschen kleinen Kirche Herz Mariä in Burhave einen ersten Besuch ab. Genauer gesagt machten wir, nachdem wir uns bei einem nahe gelegenen Supermarkt mit Snacks eingedeckt hatten, erst einmal ein Mittags-"Picknick" im Garten der Kirche - der besonders bei Sonnenschein sehr idyllisch ist.

Anschließend probierten wir aus, ob die Kirche offen ist; das war der Fall, also gingen wir hinein - und beteten kurz entschlossen die Nachmittagshore aus dem Stundenbuch (die Non, d.h. "neunte Stunde" - gerechnet ab Sonnenaufgang). Wir blieben danach noch eine Weile in der Kirche, ohne irgendwem (seien es Mitarbeiter der Gemeinde oder spontane Kirchenbesucher wie wir) zu begegnen; aber dass die Kirche tagsüber offen gehalten wird, auch "unbeaufsichtigt", ist allemal zu begrüßen und zu loben (vgl. den Themenschwerpunkt "Offene Kirche" in der Nr. 2 der "Lebendigen Steine"). 


*

Am dritten Tag unseres Aufenthalts, am Donnerstag also, fuhren wir gleich nach dem Frühstück mit dem Bus ins Nachbardorf Tossens, wo es - auch wenn ich das als alter Burhaver nicht gern sage - einen schöneren Strand (mit größerem und besser ausgestattetem Kinderspielplatz) gibt als in Burhave. Was es in Tossens außerdem gibt, ist das "Katholische Kommunikationszentrum OASE", das ich in der Vergangenheit auch schon mehrfach erwähnt habe; vor rund drei Jahren habe ich dort mal einen Vortrag gehalten, über die "Benedikt-Option". An dem Tag, an dem wir in Tossens am Strand waren, fand in der OASE um 15 Uhr ein Wortgottesdienst mit dem Diakon der Pfarrei statt, und anschließend ein Treffen der "Gruppe 60+" mit Kaffee und Kuchen sowie einem Vortrag des Diakons zum Thema "Der Jahreskreis der Kirche". Theoretisch hätten wir es durchaus zum Gottesdienst schaffen können, auch wenn meine Liebste meinte, sie hätte im Zweifel "eher Lust, zu diesem Omma-Kaffeeklatsch zu gehen, als zu einem Wortgottesdienst". Aber dann vertrödelten wir uns auf dem Weg vom Strand in den Ort ein wenig, aßen unterwegs noch ein Eis, und dann wachte unser Jüngster auf und musste gestillt werden. Und ehe wir einen dafür geeigneten Ort gefunden hatten und der Knabe sich so weit beruhigt hatte, dass wir unseren Weg fortsetzen konnten, war alles in allem eine Stunde vergangen. Folglich war der Wortgottesdienst längst vorbei, ehe wir die OASE erreichten, und der Vortrag des Diakons war schon in vollem Gange. Da wollten wir nun nicht hineinplatzen und betraten die OASE daher nur, um aufs Klo zu gehen und in echter Pilgermanier unseren Trinkwasservorrat aufzufüllen. Dabei drangen aus dem Saal Bruchstücke des Vortrags an unsere Ohren: Der Diakon sprach gerade über die liturgischen Farben im Kirchenjahr und ihre Bedeutung. "Es sagt schon viel über den Zustand der Katechese in Deutschland aus", murrte meine Liebste später, "wenn man vor einem Publikum von Über-60-Jährigen einen Vortrag zu so einem Thema halten und dabei davon ausgehen kann, dass man ihnen damit noch was Neues erzählt." Etwas Ähnliches hatte ich auch gedacht. Wahrscheinlich erzählt man den Leuten damit wirklich noch was Neues; und das, obwohl man doch davon ausgehen muss, dass sich nur ein verhältnismäßig "kirchennahes" Publikum überhaupt für solche Vorträge interessiert. Ich habe es auch in Berlin schon erlebt, dass die Pastoralreferentin vor Mitgliedern des Pfarrgemeinderats über die Zweiquellentheorie zu den synoptischen Evangelien referierte, und zumindest einige der Zuhörer fanden das alles enorm interessant und lehrreich -- während ich nur dachte: Das ist doch Lehrstoff für den Religionsunterricht in der 10. Klasse, und davon abgesehen längst nicht so unumstritten, wie es einem immer verkauft wird. Aber das mal nur nebenbei. 

Übrigens ahne ich, dass insbesondere kritische Leser (huhu, Jochen!) sich wundern werden, was ich - als jemand, der bekanntermaßen großen Wert auf Liturgie legt - eigentlich an dem Thema des Vortrags in der OASE auszusetzen habe. Sollte ich es nicht eigentlich gut finden, dass die liturgische Bildung der Gemeinde verbessert wird, und könnte man in Hinblick auf das Alter der Zielgruppe nicht sagen "Besser spät als nie"? -- Ja, könnte man vielleicht. Allerdings bin ich geneigt, anzunehmen, wer mit 60+ die Bedeutung der liturgischen Farben nicht kennt, der weiß vermutlich eine ganze Reihe wichtigerer Dinge über Glaubenslehre und -praxis der Kirche ebenfalls nicht, und vielleicht sollte man dann lieber erst mal darüber reden. Aber auch das bringt den Sachverhalt noch nicht so ganz auf den Punkt. Denn auch wenn Katechese natürlich viel mit Wissensvermittlung zu tun hat, bewirkt ein Mehr an Wissen allein noch kein Wachstum im Glauben, und deshalb bin ich grundsätzlich skeptisch, wenn im kirchlichen Rahmen Vorträge gehalten werden, in denen hauptsächlich Wissen referiert wird, sei es historisches, kulturelles oder auch exegetisches. Bei manchen Priestern zieht sich das bis in die sonntägliche Predigt hinein. Ich habe dabei oft den Verdacht, die Konzentration auf das Referieren von Wissen diene nicht zuletzt dazu, nicht über etwas so Heikles wie Glauben sprechen zu müssen; der jeweilige Redner kann sich auf den sicheren Boden der Fakten zurückziehen und bleibt davor bewahrt, sich irgendwie positionieren zu müssen -- oder gar seinen Zuhörern eine Positionierung abzuverlangen. 

Natürlich muss man bedenken, dass ich den Vortrag, den Diakon Richter an jenem Donnerstagnachmittag in der OASE gehalten hat, bis auf einige Satzfetzen gar nicht gehört habe; es ist also möglich, dass er erheblich besser war, als ich ihn mir vorstelle. Ich habe auch gar kein Interesse daran, den Diakon persönlich schlecht zu machen -- eher im Gegenteil. Der 2009 zum ständigen Diakon geweihte Christoph Richter ist schon seit fast sieben Jahren in der Pfarrei St. Willehad tätig, hat sein Amt dort also ungefähr gleichzeitig mit Pfarrer Torsten Jortzick angetreten, und nahezu alles, was ich während Pfarrer Jortzicks von allerlei Konflikten überschatteter Amtszeit und in der auf seine Absetzung folgenden Übergangsphase von und über Diakon Richter wahrgenommen oder mitgeteilt bekommen habe, hat mir den Eindruck vermittelt, dass er "ein Guter" ist. Und wenn ich mir einmal eine positive Meinung über jemanden gebildet habe, lasse ich mir die nur ungern wieder ausreden. Auch persönlich ist er jemand, den ich ganz gern sympathisch finden möchte, auch wenn er mir das in letzter Zeit nicht ganz leicht macht. Letzteres hat natürlich in erster Linie mit der demonstrativ desinteressierten Haltung zu tun, die er an den Tag legt, wenn meine Liebste und ich ihm mit irgendwelchen Ideen kommen, wie man das Gemeindeleben und/oder die Urlauberseelsorge mit einigen unkonventionell-punkigen und zugleich... wie soll ich sagen... "glaubensintensiveren" Elementen aufmotzen könnte. Dabei ist es durchaus nicht so, dass wir nur Ideen hätten und die Mühen der Umsetzung Anderen (wie z.B. eben dem Diakon) überlassen würden; wir würden das schon selber machen, gegen eine geringe Aufwandsentschädigung -- also beispielsweise gegen freie Kost und Logos in einem der Gästehäuser der Pfarrei. -- Nun gut, zugegeben: Für jemanden, der von seinem Bistum dafür bezahlt wird, "ganz normale" Gemeindepastoral zu machen, und das in einer bekanntermaßen nicht ganz einfachen Gemeinde (wobei: gibt es überhaupt "einfache" Gemeinden?), müssen Leute wie meine Liebste und ich wohl ziemlich anstrengend sein, von daher sollten wir diese Ablehnung wohl nicht persönlich nehmen. 

Wobei die wesentlich in Diakon Richters Aufgabenbereich fallende Urlauberseelsorge ja schon so etwas wie ein "pet peeve" von mir ist -- wie nennt man das eigentlich auf Deutsch? "Lieblingsärgernis"? Ich habe diesem Thema ja schon in der Vergangenheit den einen oder anderen Artikel gewidmet und könnte Vieles von dem, was ich damals geschrieben habe, hier und jetzt novh einmal wiederholen, aber muss ja nicht sein. Lies es selber nach, Leser! -- Dass die Urlauberseelsorge für die Pfarrei St. Willehad ein wichtiges Thema, ja geradezu ein Prestigeprojekt ist, kann nicht überraschen, besonders wenn man bedenkt, dass diese Pfarrei neben St. Benedikt Jever (mit der Filialkirche St. Marien in Schillig) und der ebenfalls nach St. Willehad benannten Kirchengemeinde auf der Insel Wangerooge die einzige Pfarrei im Bistum Münster ist, auf deren Territorium es einen Strand gibt (bzw. sogar mehrere Strände). Im kürzlich erwähnten Pastoralplan von St. Willehad bildet das Thema Urlauberseelsorge folgerichtig einen von sechs thematischen Hauptabschnitten; darin heißt es u.a.: 

"In den beiden Kirchenzelten wird kinder- und familienfreundlich die Botschaft Jesu verkündet. Hier ereignet sich in unkomplizierter Weise der Auftrag Jesu: 'Verkündet allen Völkern das Evangelium' (Mk 16,15)." 

Ach. Und wie genau macht ihr das? Mit Bastelbögen und den kleinen Leuten von Swabedoo 

Ohne Scheiß, Leser: Ehe ich die Materialienliste für die Teams der Urlauberkirche in Butjadingen zu Gesicht bekam, hätte ich nicht gedacht, dass es "Die kleinen Leute von Swabedoo" immer noch gibt -- will sagen: dass sie immer noch in der kirchlichen Kinderbespaßung (Katechese möchte ich das nicht nennen) zum Einsatz kommen. "Der kleine Prinz", ja, damit hatte ich gerechnet. Michael Endes "Momo"? Hätte ich in einem kirchlichen Kontext nicht unbedingt erwartet, ist davon abgesehen aber ein tolles Buch. Aber "Die kleinen Leute von Swabedoo"? Im Ernst? - Ja, im Ernst. Sie sind schlechthin nicht totzukriegen, und wenn sie nicht gestorben sind, dann tauschen sie noch heute Pelzchen miteinander. Vielleicht sollte mal jemand PETA informieren, oder vielleicht lieber doch nicht. 

Aber halten wir uns nicht mit Details auf, sondern wenden uns lieber der zentralen Tatsache zu, die sowohl das Urlauberseelsorge-Konzept des Bistums Münster als auch meine tiefe Unzufriedenheit damit auf den Punkt bringt: Dieses Konzept ist - was immer der Pastoralplan auch Gegenteiliges behaupten mag - nicht missionarisch und will es auch gar nicht sein. Als Zielgruppe kommen daher, von zufälligen Schnupperkontakten abgesehen, nur solche Urlauber in Frage, die von sich aus ein Interesse mitbringen, am Urlaubsort kirchliche Angebote zu nutzen, weil sie es so gewohnt sind. (Es erscheint in diesem Zusammenhang erwähnenswert, dass der typische Butjadingen-Urlauber, statistisch gesehen, aus dem Ruhrpott oder vom Niederrhein kommt und folglich mit hoher Wahrscheinlichkeit katholisch ist -- mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit jedenfalls als die einheimische Bevölkerung.) Nun könnte man natürlich fragen: Wenn die Angebote der Urlauberseelsorge ohnehin nur von einem vergleichsweise kirchennahen Publikum in Anspruch genommen werden, warum sind diese Angebote dann in religiöser Hinsicht so substanzarm? -- Say it with me, Leser: Weil die Leut' es so gewohnt sind. Weil die kirchlichen Angebote bei ihnen zu Hause genauso aussehen. Wer heute Kinder im erstkommunfähigen Alter hat und selbst kirchlich sozialisiert wurde, der hat vor 25 oder 30 oder 35 Jahren selbst in der Kinderkirche die Geschichte von den kleinen Leuten von Swabedoo gehört und Mobiles gebastelt, und deshalb erwartet er genau das, wenn er kirchliche Kinderbetreuungsangebote in Anspruch nimmt. 

Und das betrifft nicht nur Angebote für Kinder. Es mag widersinnig klingen und ist es eigentlich auch, wird mir aber immer klarer, je länger und intensiver ich mich mit solchen Fragen befasse: Das System Volkskirche, oder genauer gesagt: Die ehemalige Volkskirche in ihrem Transformationsprozess zur Dienstleistungskirche ist auf ein Zielpublikum ausgerichtet, das nicht besonders religiös ist und sich auch nicht besonders für Religion interessiert; und wer in diesem System sozialisiert wird, der wird geradezu darauf konditioniert, Religion als uninteressant, unverständlich und ein bisschen peinlich wahrzunehmen. Es ist ein sich selbst erhaltendes Paradox -- wobei "sich selbst erhaltend" wohl nicht ganz stimmt, denn allmählich (wenn auch sehr viel langsamer, als man eigentlich annehmen sollte!) geht diesem Kirchenmodell wohl doch der Nachwuchs aus. 

Wir jedenfalls kamen während unseres Aufenthalts in Butjadingen gar nicht in die Verlegenheit, irgendwelche Angebote der Urlauberkirche zu nutzen: Es war noch zu früh im Jahr. Aus oben angedeuteten Gründen konzentriert sich das Angebot weitgehend auf den Zeitraum, in dem in Nordrhein-Westfalen Sommerferien sind. Wie man den Pfarrnachrichten von St. Willehad entnehmen konnte, war zwar am Fronleichnamswochenende eine Familie Fischer Emsdetten auf dem Campingplatz in Tossens und bot "im Rahmen der Urlauberkirche ein kleines Bastelangebot 'to-go'" an - "mehrere kleine Bastelsets zum Mitnehmen [...], die kostenfrei für Kurzweile im Campingwagen sorgen sollen"; aber das Fronleichnamswochenende war schon vorbei, als wir in Butjadingen ankamen, und langweilig war uns im Übrigen sowieso nicht. 

Hingegen waren wir während unseres Urlaubs zweimal in der Heiligen Messe: Freitag und Samstag. Und da gab es durchaus einige Überraschungen. Davon berichte ich aber im dritten und letzten Teil dieser kleinen Serie! 


Mittwoch, 16. Juni 2021

Camino de Willehado: Der Prophet im eigenen Land (Teil 1 von 3)

Wenn ich einmal ganz, ganz viel Zeit habe, schreibe ich einen wilden Mystery-Thriller über die Suche nach den in der Reformationszeit verloren gegangenen Reliquien des Hl. Willehad. Aber eigentlich ist das nicht das Thema dieses Artikels, und es ist auch nicht der Grund dafür, dass ich unseren spontanen frühsommerlichen Familienurlaub unter das Motto Camino de Willehado gestellt habe. Das hatte andere Gründe. 

Symbolbild: Backfisch in Jakobsmuschel-förmigem Brötchen (von "Micha's Räucherfisch", Fedderwardersiel

Es begann damit, dass meine Liebste sich im Vorfeld der Reise mit der nicht ganz undiffizilen Herausforderung befasste, wie wir unser für den Aufenthalt benötigtes Gepäck so organisieren konnten, dass wir mit zwei kleinen Kindern eine Bahnreise mit fünfmaligem Umsteigen (wenn man den Weg von unserer Wohnung zum Berliner Hauptbahnhof und den Bus vom letzten Bahnhof auf der Strecke bis zu unserer Unterkunft mitzählt) möglichst gut bewältigt bekommen, und dabei zu dem Schluss kam, am besten sollten wir alles in unsere Jakobsweg-Wanderrucksäcke packen, dann hätten wir die Hände frei für die Kinder. 

Unser gemeinsamer Jakobsweg ist bald fünf her, aber an meinem Wanderrucksack hängt immer noch eine Jakobsmuschel als Pilgerabzeichen. Als ich am Morgen des Reiseantritts aus der Dusche stieg, hing mein seinerzeit in einem kleinen Laden für Pilgerbedarf und Reiseandenken direkt neben der Kathedrale von Burgos gekauftes T-Shirt mit der Aufschrift "Camino de Santiago" sauber und trocken an der Wäscheleine, also zog ich es kurz entschlossen an. Meinen in Castrojeriz als Sonnenschutz gekauften Strohhut nahm ich nicht mit, da ich fürchtete, der kräftige Seewind würde mir ihn vom Kopf pusten; stattdessen nahm ich ein ebenfalls vom Jakobsweg mitgebrachtes und erst kürzlich beim Aufräumen wiedergefundenes Bandana mit, auf dem das Jakobsweg-Logo prangt: eine stilisierte Jakobsmuschel mit der Umschrift "Camino de Santiago". 


Schön war es auch, festzustellen, dass das Stundenbuch in der 2. Vesper vom 10. Sonntag im Jahreskreis - und somit am Vorabend unserer Abreise! - eine Fürbitte für Reisende "zu Wasser, zu Land und in der Luft" enthielt ("schenke ihnen eine glückliche Ankunft"); nicht ganz dasselbe wie ein persönlich erteilter Reise- oder Pilgersegen, aber immerhin. 

Für "Camino-Feeling" auf der Reise war also gesorgt; und der Namensbestandteil "Willehado" rührt natürlich daher, dass das Ziel unserer Reise die grüne Halbinsel Butjadingen war, wo der eingangs erwähnte Hl. Willehad wirkte und starb und wo die örtliche katholische Pfarrei seinen Namen trägt. -- Wer meinen Blog schon seit längerer Zeit verfolgt, dem wird bereits aufgefallen sein, dass die Pfarrei St. Willehad in Nordenham - deren Territorium sich auch über die ländlichen Gemeinden Butjadingen und Stadland erstreckt - hier immer wieder eine prominente Rolle spielt; und das aus mehreren Gründen. Zum einen bin ich in diesem Landstrich geboren und aufgewachsen und eben auch "kirchlich sozialisiert" worden und fühle mich der dortigen Kirche daher immer noch verbunden. Zum zweiten hatte ich schon oft den Eindruck, die dortige kirchliche Situation könne in vielfacher Hinsicht als Anschauungsbeispiel für die Malaise des "Systems Volkskirche" betrachtet werden. Und drittens schließlich - was in gewisser Weise eine Synthese aus den beiden vorgenannten Punkten darstellt - spiele ich immer mal wieder mit dem Gedanken, gerade dieser in religiöser Hinsicht weitgehend verödete Landstrich böte Potential für ein missionarisches Projekt im "Punkpastoral"-Stil - etwa in der Art, wie Katharina Fassler es im "Mission Manifest"-Unterkapitel "Der Traum vom lebendigen Pfarrhaus" beschreibt, aber zur Not könnte man statt eines ehemaligen Pfarrhauses auch einen Resthof, einen nicht mehr genutzten Wasserturm oder, noch radikaler, einen Bauwagen am Strand als Operationsbasis nutzen. In Anlehnung an die "Benedikt-Option" (kurz #BenOp) habe ich diesem Gedankenspiel den Namen "Willehad-Option" gegeben. 

All dies führt dazu, dass ich jedesmal, wenn ich in Nordenham und/oder Butjadingen bin, das Gefühl habe, nicht einfach in Urlaub zu sein, sondern auf einer Mission ("Sie können uns nicht aufhalten, wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs!"). Gleichwohl ist es natürlich auch Urlaub, und ich denke mir, "Urlaub mit Kindern an der Nordsee unter zwar gelockerten, aber prinzipiell immer noch bestehenden Corona-Bedingungen" ist durchaus auch ein interessantes Thema, um drüber zu bloggen. Da aber die Schilderung unserer kirchenbezogenen Erlebnisse und Aktivitäten während dieses Urlaubs mitsamt den dadurch ausgelösten oder angeregten Reflexionen wohl schon allein ausreichend Stoff für eine dreiteilige Artikelserie bietet, denke ich mir, die touristischen Aspekte lagere ich lieber aus in einen separaten Artikel ("Camino de Willehado - Tourist Edition"). Punktuelle Überschneidungen werden sich allerdings wohl nicht ganz vermeiden lassen. 

*

Wenn ich über die "kirchliche Situation" im Gebiet der Pfarrei St. Willehad sprechen will, dann bietet sich vielleicht an, zunächst auf den lokalen Pastoralplan einzugehen, den die Gremien der Pfarrei in einem jahrelangen Prozess erarbeitet haben und der im vergangenen Jahr "am Fest des Pfarrpatrons St. Willehad", dem 8. November, veröffentlicht wurde. Diesen Pastoralplan gibt es auch online, es hat also jeder die Möglichkeit, persönlich zu überprüfen, ob er mit meiner Ansicht übereinstimmt, dass das Ergebnis in einem bizarren Missverhältnis zu dem Aufwand steht, der dafür betrieben wurde. 

Das ist indes - wieder einmal - nichts, was allein auf diese Pfarrei zuträfe. Über den ganz realen Irrsinn kirchlicher Organisationsentwicklungsprozesse im Allgemeinen und "lokaler Pastoralpläne" im Speziellen habe ich mich schon früher geäußert, daher hier nur soviel: Aus der Thermodynamik wissen wir, dass jede Form von Energie schließlich in nicht mehr nutzbare Wärmeenergie umgewandelt wird. Das ist ein natürlicher Prozess, den man eigentlich nicht noch künstlich forcieren müsste. Aber genau das passiert, wenn man Pfarreien dazu verpflichtet, einen lokalen Pastoralplan zu erarbeiten: Wertvolle und zumeist knappe Ressourcen an Arbeitszeit und -kraft, Kreativität und Motivation werden verheizt, um nichts anderes zu erzeugen als heiße Luft - oder oftmals wohl sogar nur lauwarme. 

Was nun konkret den Pastoralplan von St. Willehad angeht, kann man Manches daran auf den ersten Blick durchaus vielversprechend finden: Die Titelseite trägt als Motto das Jesuswort "Ihr seid das Salz der Erde" (Mt 5,13), den einzelnen thematischen Abschnitten ist jeweils ein biblisches Leitwort vorangestellt, und auf der rückwärtige Umschlagseite liest man ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry,  das ich sehr mag und das ich auch schon mal in einem Thesenpapier für den Lokalausschuss meiner Wohnortgemeinde verwendet habe: 

"Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer." 

-- Nur dass von dieser Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer in diesem Pastoralplan nichts, aber auch gar nichts zu spüren ist. Stattdessen dominieren nichtssagende Worthülsen und ausgelutschte Gemeinplätze, und um die inhaltliche Dürftigkeit des Texts zu kaschieren, hat man ihn mit extra großem Zeilenabstand und einigen bunten Bildchen auf 20 Seiten gestreckt. Das Ganze kommt einem so vor, als hätte jemand einen Schulaufsatz zum Thema "Mein schönstes Ferienerlebnis" schreiben sollen, hätte aber in den Ferien leider nichts Schönes erlebt und darum notgedrungen bei seiner Banknachbarin abgeschrieben. Die Krönung ist dann der letzte Satz des Abschnitts "Epilog": "Durch diesen Pastoralplan konnten Sie sich einen Eindruck von unserer Pfarrei verschaffen, die wir Ihnen mit unseren Schwerpunkten vorgestellt haben." Nein, tut mir leid: Das konnte ich nicht. Nicht nur kann ich auf diesen Seiten nichts erkennen, was einer Vision für die zukünftige Entwicklung der Pfarrei ähnlich sähe; der Pastoralplan verrät mir auch nichts über die Motivation der Verantwortlichen, also darüber, was sie dazu bewegt, sich gerade in der Kirche zu engagieren und nicht im Bürgerverein oder bei den Kaninchenzüchtern. Zwar ist auf annähernd jeder Seite von der "Botschaft Jesu" und von "gelebtem Glauben" die Rede, aber das bleibt vage und formelhaft; man sollte denken, jemand, der wirklich von der Liebe Christi ergriffen und von dem Wunsch beseelt ist, andere für Christus und für die Mitarbeit am Aufbau des Reiches Gottes zu begeistern, der müsste anders darüber reden. Gerade in einem so programmatischen Text, an dem, wie gesagt, jahrelang gearbeitet wurde. 

Dieser Mangel an Sprach- und Auskunftsfähigkeit über den Glauben ist ein Problem, das die Pfarrei St. Willehad gewiss nicht mehr und nicht weniger betrifft als zahllose andere Pfarreien auch. "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt", mahnte der Apostel Petrus (1 Petr 3,15); ich fürchte sehr, dass er mit dieser Aufforderung heutzutage und hierzulande bei vielen haupt- und ehrenamtlichen Kirchenfunktionären nur leere Blicke ernten würde. Wie ist es dazu gekommen? 

Recht aufschlussreich in Hinblick auf diese Frage finde ich ein Buch, das ich vor ungefähr 30 Jahren vom damaligen Pfarrer von Herz Jesu Einswarden und Herz Mariä Burhave zur Firmung geschenkt bekommen habe und das meine Mutter kürzlich wiedergefunden hat: 


Im Wesentlichen handelt es sich um einen Bildband, dessen Struktur sich am Apostolischen Glaubensbekenntnis orientiert: Zu jedem einzelnen Satz des Credo gibt es ein großformatiges Foto und einen "Impuls" von der Art, die durch den inflationären Einsatz von Zeilenumbrüchen irgendwie nach Lyrik aussehen sollen; zum Beispiel: "Gott / hat uns / die Erde gegeben / als Garten. // Seine Liebe / begegnet uns / in allen Geschöpfen. // Alle Geschöpfe / sind unsere / Geschwister". -- Mein Eindruck von diesem Buch war zwiespältig. Gemessen an den Ansprüchen, die Leute wie meine Liebste und ich an eine sinnvolle und nachhaltige Kinder- und Jugendkatechese stellen würden, sind die Texte entschieden zu schwammig, gefühlsduselig, vom Jargon der neuen Innerlichkeit angekränkelt und auf spirituelle Wellness ausgerichtet und bergen dadurch die Gefahr, die konkreten Glaubensaussagen des Credo eher zu vernebeln als zu verdeutlichen. Andererseits steht zu befürchten, dass das katechetische Niveau, das dieses erstmals 1986 erschienene Buch widerspiegelt, heutzutage in der landläufigen Erstkommunion- und Firmvorbereitung nicht einmal mehr annähernd erreicht wird. 

Ein Indiz hierfür mag man in einem Beitrag zum Thema Erstkommunion erkennen, den die Social-Media-Abteilung des Erzbistums Hamburg unlängst auf Instagram und Facebook veröffentlicht hat und der mir während des Urlaubs vor die Augen gekommen ist. Darin wird die Erstkommunion eines Mädchens aus Sicht ihrer Mutter kommentiert - "Dieses große Ritual in der Kirche. Einer Kirche, die uns manchmal ganz schön verzweifelt da stehen lässt. Wir machen es trotzdem. Geben das Kind zur Erstkommunion. Warum? Weil unsere Gemeinde klasse ist. Weil in unserer Kirche getanzt, gelacht und geklatscht wird." Ach so. Aha. Ist das alles? Nein, nicht ganz: 

"Aber auch, weil es ein Zeichen ist. All die religiösen Geschenke und der Blumenkranz im Haar sind eine Tür. Da gibt es noch was. Da ist diese Kraft. Diese Liebe. Das Göttliche. Ist da und liebt. Immer." 

Tanzen, lachen und klatschen, und irgendwie ist da dann noch eine Tür zu irgendwas Göttlichen -- darum geht's also bei der Erstkommunion? -- Gewiss: Wenn man davon ausgeht, dass dieser Text die authentischen Empfindungen und Wahrnehmungen einer Erstkommunion-Mutter widerspiegelt, dann ist er ein Dokument, das man zur Kenntnis nehmen sollte -- und das zu denken geben sollte. Wenn eine Bistumsredaktion diesen Text aber ohne jeden Kommentar, ohne jede Einordnung für ihre mediale Selbstdarstellung nutzt, ja geradezu zur Eigenwerbung einsetzt, muss man sich schon fragen, ob die eigentlich noch alle Latten am Zaun haben

Kritische Kommentare zu diesem Beitrag konnten daher nicht ausbleiben. "In Hinsicht auf die Erstkommunion Gott zu entpersonalisieren, in dem man von 'dem Göttlichen' spricht, das ist schon eine Schamlosigkeit, die alles toppt, was ich bisher an diözesanen Apostasien gelesen habe", merkte etwa ein befreundeter Netzkatholik an, und eine andere Freundin und Bloggerkollegin, die übrigens - was ich in diesem Zusammenhang durchaus irgendwie relevant finde - die Taufpatin meiner Tochter ist, warf die Frage auf, ob in der Erstkommunionvorbereitung "irgendwann, irgendwie nebenbei auch erwähnt" worden sei, "dass es sich bei der Eucharistie um den Herrn persönlich handelt und um die innigste Vereinigung mit Ihm". Die Redaktion reagierte, wie man es von Social-Media-Redaktionen deutscher Bistümer leider gewohnt ist, nämlich nassforsch und uneinsichtig. Die Kolumne, deren Abschluss der kritisierte Text darstelle, sei "bewusst 'etwas lockerer' geschrieben" und der "Anspruch dieses Formats" liege "nicht darin, theologische Abhandlungen zu verfassen". Es steht zu befürchten, dass die Verantwortlichen tatsächlich nicht kapiert haben, was die kritischen Kommentatoren an diesem Beitrag auszusetzen haben.

Es gab indes auch Kommentare, die den Beitrag verteidigten. "Kinder muss man genau da abholen", meinte beispielsweise eine mir nicht näher bekannte Facebook-Nutzerin: "sie begeistern, ihnen zeigen, dass sie ganz wichtig sind für Jesus" -- ja aber Moment mal, von Jesus war in dem Beitrag doch überhaupt keine Rede, und genau das war Gegenstand der Kritik

Offen gestanden kann ich mir kaum etwas Bizarreres vorstellen als die Auffassung, man könne oder müsse kirchenfern sozialisierte Menschen an den christlichen Glauben "heranführen", indem man alles explizit und spezifisch Christliche erst mal weglässt. Ein methodischer Griff ins Klo wie das berüchtigte "Schreiben nach Gehör", oder eigentlich noch schlimmer. Die in der pastoralen Praxis so allgegenwärtigen Metaphern vom "Abholen" und "Mitnehmen" ergeben nur dann einen Sinn, wenn derjenige, der die anderen abholen und mitnehmen will, selbst weiß, wo's langgeht. Heutzutage und hierzulande hat man aber immer öfter den Eindruck, der institutionelle Apparat der Kirche - auf allen ebenen, von den Ortspfarreien bis zu den Bistümern - sei voll mit Leuten, die das eben nicht wissen; und die womöglich gar meinen, es käme gar nicht so darauf an, wohin man "die Leute" mitnimmt, denn letztlich sei ja der Weg das Ziel. Anders ausgedrückt: Wenn man, offen oder insgeheim, der Auffassung ist, Gott sei bloß eine Metapher - ein Konzept, das den Menschen dabei helfen soll, ein Gefühl von Sinn (sense of purpose) in ihrem Dasein zu finden, nett zueinander zu sein und die Umwelt zu schonen, dann kommt es tatsächlich nicht so genau darauf an, in was für Begriffen oder Bildern wir von Gott sprechen, solange es den genannten Zwecken dient. Ganz anders verhält es sich natürlich, wenn man an einen persönlichen Gott glaubt, der wirklich in der Welt - und erst recht in der Kirche - lebt und herrscht. Deshalb werden Menschen, die in einer Weise von oder sogar mit Gott sprechen, als existierte Er tatsächlich, vom volkskirchlichen Mainstream oft als so lästig empfunden. 

-- So, lieber Leser. Du magst vielleicht denken, diese Exkurse über den Pastoralplan von St. Willehad, das Buch "Unsere Firmung" und den unsäglichen Erstkommunion-Beitrag des Erzbistums Hamburg (dabei gehört St. Willehad doch zum Bistum Münster!) führe vom eigentlichen Thema, nämlich unserem Trip nach Butjadingen, weg; ich aber sage: Ganz im Gegenteil, es führt zum Thema hin! Zur chronologischen Schilderung der Ereignisse werde ich trotzdem erst in der nächsten Folge kommen. Aber die kommt bald -- versprochen!