Mittwoch, 13. Juni 2018

Tiny Living in Pferdeställen und Wassertürmen

Wenn man sich die Lokalpresse so ansieht, könnte man den Eindruck haben, in der Wesermarsch gebe es gerade einen Bauboom. Und zwar, was zumindest mir besonders erstaunlich vorkommt, einen Wohnungsbauboom. Innerhalb weniger Tage berichtete die Nordwest-Zeitung von zwei ambitionierten Bauvorhaben - einem in Butjadingen und einem in Brake - die gerade von den zuständigen Ausschüssen des jeweiligen Gemeinde- bzw. Stadtrats genehmigt wurden. Dass dies der Zeitung mehr als nur eine Kurznotiz wert war, hängt wohl nicht unwesentlich damit zusammen, dass jedes dieser Bauprojekte so seine Eigentümlichkeiten, um nicht zu sagen: seine Tücken hat. 

Abb. ähnlich (Bildquelle mit Lizenz hier).
In Butjadingen handelt es sich um den Bau von sieben Wohnhäusern - "drei davon zweigeschossig, die restlichen vier Gebäude eingeschossig" - auf der historischen und darum denkmalgeschützten Sillenser Dorfwurt. Der Denkmalschutz hat grünes Licht gegeben, da der Investor einen cleveren Plan hat, der ihn "in die Lage versetzt, die historische Wurt gar nicht angreifen zu müssen": 
"Der Trick [...] besteht darin, dass er auf die historische Wurt Sand auftragen und diesen als festen Baugrund verdichten lassen will. So muss nicht in die Wurt gebaut werden. Dass das Verfahren auch aus statischer Sicht machbar ist, habe der Investor berechnen lassen" -- 
-- aber ein bisschen abenteuerlich klingt das schon. Na, warten wir's mal ab. Derweil hat der Planungsausschuss allerdings auch noch weitere Auflagen für den Investor in petto; so etwa, 
"dass die Gemeinde dem Investor mehr Vorgaben hinsichtlich der Gestaltung der Gebäude machen soll als üblich. Damit soll sichergestellt werden, dass die Neubauten auch ins Ortsbild passen. [...] Kritisch wurde im Ausschuss der Plan diskutiert, auch zweigeschossige Häuser zu errichten. Hier dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein." 
In Brake geht es unterdessen um die Bebauung einer Fläche "südlich der Straße Timmermanns Hellmer" -- einer Fläche, die derzeit hauptsächlich als Weideland für Pferde genutzt wird. Mit der Bebauung soll laut Auffassung der Stadtverwaltung "der Siedlungszusammenhang [...] arrondiert" und zugleich "der hohen Nachfrage nach Grundstücken für Einfamilienhäuser in Brake nachgekommen werden". Ein nicht unerhebliches Risiko für den Investor besteht hier darin, dass zwar der Bebauungsplan genehmigt wurde, eine ebenfalls erforderliche Änderung des Flächennutzungsplans jedoch noch nicht "durch" ist. Ich persönlich verstehe von diesem ganzen Verwaltungsfachchinesisch nicht das Geringste - vielleicht kann mich ja der eine oder andere Leser aufklären -, aber immerhin sind dem Zeitungsartikel ein paar mögliche Probleme zu entnehmen, die einer Bebauung der in Frage stehenden Fläche mit Wohnhäusern im Weg stehen könnten. Die Straße Timmermanns Hellmer ist derzeit nur ein Schotterweg "und müsste entsprechend ausgebaut werden"; es muss noch geprüft werden, "inwieweit das bestehende Grabensystem zur Oberflächenentwässerung genutzt werden kann"; es ist "mit Verkehrslärm zu rechnen"; und schließlich muss auch noch "die Geruchssituation [...] aufgrund der westlich befindlichen Deponie Käseburg [sic!] untersucht" werden. Kannste dir nicht ausdenken. "Das Entsorgungszentrum liegt in einer Entfernung von etwa 500 Metern zum Plangebiet" -- und wie die NWZ in diesem Zusammenhang zwar nicht, dafür aber ausführlich an anderer Stelle berichtet, ist derzeit heftig umstritten, ob in Käseburg zukünftig auch "freigemessene" radioaktive Abfälle aus dem Kernkraftwerk Unterweser gelagert werden sollen. 

Ganz so idyllisch, wie es auf dem Foto zum Artikel aussieht, sind die Verhältnisse an Timmermanns Hellmer demnach also nicht; aber ich muss sagen, beim Betrachten dieses Fotos tränten mir schon ein bisschen die Augen, wenn ich mir vorstellte, dass diese Landschaft mit Wohnhäusern zugepflastert werden soll. "Können die Leute nicht direkt in den Pferdestall ziehen und da ein Tiny House draus machen?", war mein spontaner Gedanke. 

Ich räume ein, dass sich hier der Einfluss meiner Liebsten bemerkbar macht. An ihr ist nämlich eine Innenarchitektin verloren gegangen. Wenn ihr langweilig ist, lädt sie sich aus Online-Immobilienangeboten Haus- und Wohnungsgrundrisse herunter und entwirft Pläne dafür, wie man die betreffenden Immobilien einrichten könnte. Und seit einiger Zeit hat sie eine intensive, wenn auch bislang rein theoretische Leidenschaft für das Tiny House Movement entwickelt. Einerseits, weil es für sie eine faszinierende Denksportaufgabe ist, sich zu überlegen, wie man eine ganze Familie sinnvoll auf einer Grundfläche von, sagen wir mal, 15 bis 45 m² unterbringt, andererseits aber durchaus auch aus einer Sympathie für alternative Lebensentwürfe, die ich durchaus teile. An manchen Tagen habe ich den Eindruck, meine Liebste verbringt nahezu jede freie Minute damit, sich auf YouTube Tutorials zum Bau von Tiny Houses anzusehen. 

Nun ist es, wie man sich vorstellen kann, im Land der bürokratischen Überregulierung nicht so ohne weiteres möglich, sich ein Tiny House mit Rädern dran zu bauen, es an sein Auto anzukoppeln und dann mal zu schauen, wo man es hinstellen kann (wie man es beispielsweise in den USA oder in Australien tun würde). Umso interessanter ist unter den hiesigen Verhältnissen der Ansatz, bereits bestehende Gebäude nach den Prinzipien von Tiny Living umzugestalten. Und dafür käme so ein Pferdestall durchaus in Frage. 

Nur würde das natürlich nicht das Problem der "hohen Nachfrage nach Grundstücken für Einfamilienhäuser in Brake" lösen. Aber wieso gibt es diese hohe Nachfrage überhaupt? -- Nun gut, Brake ist klein, aber Kreisstadt. Das heißt, es gibt Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Butjadingen hingegen - um mal auf das Bauprojekt auf der Sillenser Dorfwurt zurückzukommen - scheint mir eher ein Landstrich zu sein, wo man hinzieht, um seinen Lebensabend zu genießen. Das mag man als eine Form von Gentrifizierung des ländlichen Raums betrachten, aber nachhaltig ist das nicht. Es hat wohl eine gewisse Folgerichtigkeit, dass (wie ich gehört habe; falls das nicht stimmt, lasse ich mich gern korrigieren) neben dem Tourismus die Kranken- und Altenpflege der florierendste Wirtschaftszweig in Butjadingen ist. Nun ist der Pflegebereich aber bekanntlich unterbezahlt, das heißt, davon kann man schlecht Wohneigentum finanzieren

In den geplanten Neubauten auf der Sillenser Dorfwurt soll dem Pressebericht zufolge "dauerhaftes Wohnen ebenso uneingeschränkt möglich sei wie eine Nutzung als Ferienhaus" - wozu, nebenbei bemerkt, auch hier eine Änderung des Flächennutzungsplans vonnöten ist. Das Baugrundstück gehört zu einem stillgelegten landwirtschaftlichen Betrieb; das Bauernhaus soll ebenfalls saniert und einer neuen Nutzung zugeführt werden. Ob da wohl Ferienwohnungen rein kommen sollen oder ein Seniorenwohnheim? Beides scheint denkbar. Aber eigentlich habe ich ja bei leerstehenden Bauernhäusern mitsamt Nebengebäuden immer die Vision, da könnte eine Benedikt-Options-Kommune einziehen -- so ähnlich wie in dem Film "Sommer in Orange", nur eben mit Christen, die das Stundengebet pflegen und einen Permakultur-Garten betreiben. Oder so. Na, vielleicht kann man das ja mal im Hinterkopf behalten für den Fall, dass die Baugrundverdichtung auf der historischen Wurt doch nicht so klappt wie geplant oder der Investor aus anderen Gründen das Handtuch wirft. 

Im benachbarten Nordenham hat man derweil eher keine Probleme mit erhöhtem Wohnraumbedarf, sondern vielmehr mit Leerstand. Das ist an und für sich nichts Neues, dennoch gibt es auch von dieser Front Aktuelles zu vermelden: Derzeit wird zum wiederholten Male ein Anlauf unternommen, den alten Wasserturm zu verkaufen. Nicht den baufälligen Rathausturm, dessen Abriss bereits seit Jahren im Gespräch ist, sondern dessen 1907/08 im Auftrag der Oldenburgischen Staatseisenbahn erbauten Vorgänger, der seit 1973 ungenutzt ist. "Seitdem sind immer wieder neue Ideen und Vorschläge für eine Nachnutzung durch die Stadt gegeistert" -- die jedoch sämtlich scheiterten. Derzeitige Eigentümerin ist eine Firma in Bochum, und die bietet den Turm jetzt für einen Kaufpreis von 278.000 Euro an. Bei einer Wohn- und Nutzfläche von ca. 870 m² sieht das nach einem Schnäppchen aus, aber das ist relativ: Anno 1990 wurde der Turm zwangsversteigert und ging damals für 14.600 DM über den Ladentisch. Ein Problem für mögliche Interessenten dürfte der Denkmalschutz darstellen: "Da der Turm ein Baudenkmal ist, gelten strenge Auflagen für Umbaumaßnahmen". Immerhin gibt es allerdings "eine Architekten-Vorplanung [...], die der neue Eigentümer übernehmen kann. Dieser Entwurf sieht eine gemischte Nutzung aus Wohnen und Gewerbe vor." Bereits Mitte der 1990er Jahre hatte die Nordenhamer Immobilienfirma Boekhoff in Zusammenarbeit mit dem Bochumer Architekten Siegfried Dué "das exklusive Konzept 'Wohnen im Turm'" entwickelt: 
"Neun Eigentumswohnungen sollten in dem 42,70 Meter hohen Gebäude entstehen. Darunter als Sahnestück eine Loft-Etage ganz oben im Turm mit einem fantastischen Ausblick in alle Himmelsrichtungen. Aber auch dieses Projekt versandete irgendwann, weil die Vermarktung nicht so lief, wie es sich die Investoren erhofft hatten." 
Anscheinend ist Nordenham einfach kein geeignetes Pflaster für Gentrifizierung. Weil da keiner hin will. 

Abermals: Abb. ähnlich. (Wasserturm der ehemaligen Zinkhütte Uthemann, Katowice; Foto von Andrzej Stempa, Quelle und Lizenz hier.) 
Aber genau das macht den Fall ja auch wiederum gerade interessant, jedenfalls unter Kommunengründungs-Gesichtspunkten. Zunächst einmal erscheint es ja recht fraglich, wieso jemand eine gute Viertelmillion Euro für einen über hundert Jahre alten Wasserturm ausgeben sollte, in den er dann vermutlich ein Vielfaches dieser Summe investieren müsste, um ihn sinnvoll nutzen zu können, und sich dabei obendrein noch mit dem Denkmalschutz herumschlagen müsste. Vielleicht muss man also erst mal auf die nächste Zwangsversteigerung warten, oder darauf, dass der Eigentümer die Immobilie kurzerhand verschenkt, um sie los zu sein. 

Der Investitionsbedarf und die Denkmalschutzauflagen wären natürlich auch dann immer noch da;  aber, so dachte ich mir (keine Ahnung von sowas habend, wohl aber mit Phantasie und Abenteuerlust begabt): Müsste nicht gerade mit Hilfe der Tiny Living-typischen Holzrahmenbauweise eine verhältnismäßig preisgünstige und obendrein denkmalschutzkonforme (weil ohne bleibende Veränderungen an der Bausubstanz wieder "rückbaubare") Innenraumgestaltung möglich sein? Als ich meine Frau darauf ansprach, hielt sie mir aus dem Stand einen ca. 15minütigen Vortrag darüber, was man in Hinblick auf Tageslichtzufuhr, Wärmedämmung, Strom- und Wasserleitungen so alles beachten müsse; aber ihr Interesse war geweckt. Ich möchte mal behaupten, wenn sie die Auf- und Grundrisse des Gebäudes hätte, würde sie im Handumdrehen einen Innenraumgestaltungs- und Nutzungsplan aushecken, der sich gewaschen hat. 

"Wenn man das Beleuchtungsproblem gelöst bekommt", meinte sie, "könnte man sogar im Gebäude einen Aquaponik-Selbstversorgergarten anlegen. Und im Erdgeschoss hättest du Platz für einen richtig fetten Veranstaltungsraum." Der Pressebericht bestätigt das: "Die Eingangshalle hat eine Größe von 13 mal 13 Metern" -- das sind, für diejenigen unter uns, die das große Einmaleins nicht mehr auswendig können, 169 m². 

"Theoretisch", resümierte meine Liebste, "könntest du in so einem Wasserturm tatsächlich ein ganzes Kloster unterbringen. Einschließlich der Kirche." 


(Ich liebe diese Frau, habe ich das schon erwähnt?) 




2 Kommentare:

  1. "Sommer in Orange" muß ich mal anschauen ;-)

    AntwortenLöschen
  2. Holzbau im Turm scheint mir unter dem Gesichtspunkt des baulichen Brandschutzes nicht habt unproblematisch.

    AntwortenLöschen