Donnerstag, 26. März 2020

Die 100-Bücher-Challenge: Etappe 4

Diese Artikelserie hat eine ganze Weile brachgelegen, aber keine Sorge: An meinem Plan, bis zum Ende des laufenden Kirchenjahres 100 Bücher zu lesen und zu rezensieren, bin ich nach wie vor "dran". Nachdem die vierte Leseetappe mehr Zeit in Anspruch genommen hatte als geplant, hat die Auswertung noch erheblich länger gedauert; beim Lektürepensum habe ich den Rückstand inzwischen aber wieder ausgeglichen, was natürlich bedeutet, dass ich mich nun bei den Auswertungs-Artikeln ganz schön ranhalten muss. 

Hier die Übersicht über die in Etappe 4 gelesenen Bücher: 



  • Juli Sommermond: Tod einer Kinderseele Bd. I 
Auf dieses Buch war ich ja schon aufgrund der Art und Weise, wie es in meinen Besitz gelangt ist, und der Tatsache, dass die Autorin mal (allerdings "vor meiner Zeit") in "meiner" Kirchengemeinde aktiv war, sehr gespannt; aber kurz und gnadenlos gesagt, ich kann mich nicht erinnern, jemals zuvor etwas derart Bizarres gelesen zu haben. Okay, in gewissem Sinne ist das natürlich auch eine Qualität des Buches, und deshalb habe ich es auch zu Ende gelesen, obwohl ich schon im ersten Viertel den Impuls verspürt habe, die Lektüre abzubrechen. Letztlich ist es mit diesem Buch aber wie mit einer Massenkarambolage auf der Autobahn: Kein schöner Anblick, aber wegschauen kann man irgendwie doch nicht.

Schon der Titel wirkt einigermaßen irreführend, denn nur ein sehr kleiner Teil des Buches dreht sich tatsächlich um die Kindheit der Hauptfigur. Auf S. 26 ist sie bereits 13 Jahre alt -- und schwanger, nachdem man unmittelbar zuvor noch gelesen hatte: "Was das Männliche betraf, mochte ich es nicht. Jungfräulich zu sein schien mir von hohem Wert." Na, das hat ja nicht lange vorgehalten. -- Diese Teenager-Schwangerschaft, die "[d]amals - in der DDR - fast ein Verbrechen" war (ebd.), endet mit einer Abtreibung; das wird nur beiläufig erwähnt (im Gegensatz zu einer zweiten Abtreibung gut zwei Jahrzehnte später, der ein eigenes Unterkapitel mit der drastischen Überschrift "Mord" gewidmet wird), aber der Weg in die gesellschaftliche Devianz im Arbeiter-und-Bauern-Staat scheint unaufhaltsam: Wenig später folgt eine Festnahme wegen des Verdachts der Prostitution, zur Resozialisierung kommt die Protagonistin auf einen "Jugendwerkhof". -- All das könnte ja theoretisch einen gewissen dokumentarischen Wert haben, aber dafür ist die Erzählweise zu oberflächlich, wird über allzu vieles allzu flüchtig hinweggegangen; es fehlt an Struktur und Kontext, einzelne Szenen aus dem Leben der Protagonistin tauchen wie aus einem Nebel vor den Augen des Lesers auf und werden mit esoterischem Geraune verbrämt. So zum Beispiel, als sie während ihrer Jugendwerkhofs-Zeit die Chance erhält, in einer Marschkapelle Fanfare zu spielen: 
"[Ich b]lies hinein und erschrak im gleichen Augenblick zutiefst. Der Ton kehrte daraus zu mir zurück wie eine helllichte Offenbarung. Kein Gedanke mehr. Nur noch Sein. Ton-Sein! Schwingung! Etwas lang Ersehntes hatte mich darin angerührt. Nur dass ich vergessen hatte, was es war. Ich kannte es nicht. Aber der Ton war da. Und wenn es ihn gab, gab es auch das andere darin - ganz real! Das andere, das ich nicht kannte, das sich aber doch so gut anfühlte, nach dem ersten Schrecken. Wärme, Kraft, Hoffnung, Geborgenheit." (S 32) 
Auch als Stilprobe ist diese Passage durchaus aussagekräftig für das gesamte Buch; kann ich bitte ein bisschen Anerkennung oder wenigstens Mitleid dafür bekommen, dass ich diese pathetische Schreibe über 300 Seiten lang ertragen habe?

Jedenfalls gelingt es der Heldin, sich in den Augen der DDR-Gesellschaft zu rehabilitieren, sie bekommt sogar einen Job in der Verwaltung; aber dann, kurz vor dem Mauerfall, stellt sie - aus Gründen, die dem Leser weitgehend verborgen bleiben - erst einen Ausreiseantrag und unternimmt dann einen Fluchtversuch über die tschechische Grenze, wird verhaftet, überraschend wieder freigelassen und setzt sich am Tag der Maueröffnung in den Westen ab. Wo sich ihr natürlich ganz neue Betätigungsfelder für ihren impulsiv-erratischen Lebenswandel eröffnen. 

Frappierend ist bei alledem der extreme Egozentrismus der Protagonistin, der auch ihre verschrobene Privat-Spiritualität prägt: Man hat den Eindruck, sie fühle sich durch "das Namenlose in ihr" (oder wie sie das jeweils gerade nennt) dazu legitimiert, sich so zu verhalten, als habe sie ein Recht darauf, ihren Willen zu bekommen. Als sie nach ihrer Ausreise nach West-Berlin feststellt, dass sie keinen Anspruch auf eine gemeinsame Sozialwohnung mit ihrem Partner hat, solange sie mit diesem nicht verheiratet ist, motzt sie "Hatte ich doch gedacht, ich sei in eine fortschrittlich aufgeklärte Welt übergesiedelt, nun aber schien ich im Mittelalter gelandet zu sein" (S. 93) und spricht sogar von  "Nötigung zur Ehe" (S. 95) -- dabei ist sie es doch, die etwas vom Sozialstaat fordert, und nicht umgekehrt! Auch im ihrem Privatleben verhält "Juli Sommermond" sich völlig skrupellos und instrumentalisiert bedenkenlos andere Menschen für ihre Interessen, so als wären alle anderen nur um Ihretwillen auf der Welt und hätten darüber hinaus gar keine eigenständige Daseinsberechtigung. Exemplarisch deutlich wird das, als sie ihren widerwillig geheirateten Mann wieder loswerden will, er sich aber weigert, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen: Ein Anwalt teilt ihr mit, rechtlich habe sie nur eine Handhabe gegen ihren Mann, wenn der sie schlagen würde. Daraufhin provoziert und demütigt sie ihn - was sie geradezu genüsslich ausmalt - so lange, bis er endlich einmal zuhaut (S. 104ff.). 

Zugegeben: Sowohl das Anspruchsdenken gegenüber dem Sozialstaat als auch der krasse Egoismus im zwischenmenschlichen Bereich findet sich durchaus auch bei Menschen ohne einen besonderen "Sinn fürs Übersinnliche"; ich habe durchaus auch schon Erfahrungen mit so gestrickten Leuten gemacht. Dass "Juli" trotz aller dramatischen Wendungen in ihrem Leben beruflich immer wieder recht schnell Fuß fasst und erfolgreich ist, scheint mir irgendwie ganz gut ins Bild zu passen. -- Das "framing" dieser Autobiographie als Geschichte einer "spirituellen Reise" tritt jedenfalls im zweiten Abschnitt des Buches, betitelt "Auf der Suche" (ab S. 132), verstärkt in den Vordergrund: In der "ersten esoterischen Sauna Berlins" (S. 133) findet sie einen spirituellen Mentor in Gestalt des Bademeisters. Kein Scherz. Als dieser ihr auf den Kopf zusagt, sie sei auf der Suche nach Gott, ist das für sie eine Offenbarung: "Gott! So also der Name meines Namenlosen, nach dem ich so lange gesucht hatte..." (S. 136) Daraufhin kauft sie sich erst mal eine Bibel (wozu ich anmerken muss, dass es mir einigermaßen bezeichnend für die totale Unbedarftheit der Dame spricht, dass sie beim Stichwort "Gott" automatisch davon ausgeht, es müsse der Gott der jüdisch-christlichen Tradition damit gemeint sein, aber nun gut...):
"Doch schon nach den ersten Kapiteln lege ich enttäuscht wieder beiseite. Was ich darin finde, kann ich so absolut nicht mit dem vereinbaren, was ich kenne, und schon gleich gar nicht mit dem, was ich fühle: ‘Dieser Bibel gemäß wäre Gott also entweder ein Irrer oder schlichtweg nur ein grausamer Despot', stelle ich ernüchtert fest." (S. 138) 
Schnarch. -- Nun ja, wenig später. erzählt sie ihrem Bademeister von ihrem "Erlebnis mit der Bibel, worauf der mit schlichtem Lächeln reagiert: 'Ah, du bist Heidin?! Weißt du, dann lass das mal mit der Bibel noch sein. Sie wird dich rufen, wenn es so weit ist. Bis dahin gehe einfach weiter'" (ebd.). Das tut sie -- und probiert so allerlei aus - "spirituelle Sitzungen, Akasha-Lesungen, Tantra [...], Reiki, Astrologie, Hexensabbate, schwarze Magie, weiße Magie, Kartenlegen, Pendeln, Spontanheilungen" (S. 139), "automatisches Schreiben, Poltergeistklopfen oder Engelerlebnisse" (S. 144) -, kommt nebenbei zu dem (schon anno 1908 von Chesterton in "Orthodoxie" als irrig entlarvten) Schluss, dass die diversen Weltreligionen (sie nennt "Hinduismus, Islam, Taoismus, Brahmanismus, Christentum") "alle einen gemeinsamen Fokus haben" -- dabei jedoch "durchweg verordnet sind. Und das war etwas, was mir generell missfiel, schon immer missfallen hat" (S. 183); und fängt schließlich doch erneut damit an, 
"die Bibel zu studieren. Und hatte so absolut keine Schwierigkeiten mehr damit, sie für mich zu entschlüsseln. Es war, als besuchte ich tagtäglich einen lieben Freund und ginge in den Dialog mit ihm. Nicht jedes Wort berührte mich, aber ich sog doch jedes einzelne ein, verschlang es gierig und kaute es wieder und [185] wieder durch, ähnlich wie die Kuh das frische Gras." (S. 184f.)
Was dabei herauskommt, kann man indes im Grunde nur als Warnung vor selbständiger, unangeleiteter Bibellektüre auffassen. Hier ein besonders eindringliches Beispiel:
"Ist der Teufel wahrhaftig ein Feind? Antwort: Der uralten Überlieferung - dem Alten Testament nach - nicht! Demnach ist der Teufel nichts weiter als ein Bote Gottes [...]. Wenn Gott also den Teufel oder Satan sendet [...216...], dann nur, um seinen geliebten Menschen auf den rechten Weg der Liebe, Freude, Fülle, des Friedens und der Gerechtigkeit im Heiligen Geist zu führen. [...] Praktisch heißt das: Schützt du dich vor dem Würgegriff des Teufels, schützt du dich vor Gott, oder anders, stellst du dich gegen den Teufel, kämpfst du gegen Gott." (S. 215f.) 
Nicht ohne Grund äußert sich eine Leserin/Rezensentin auf Lovelybooks scharf kritisch über den "Versuch ein gottloses Leben tatsächlich durch die Bibel zu rechtfertigen und ihre Taten damit zu entschuldigen": "Für Menschen die auf der Suche nach Gott sind oder sich [...] mit dem Christentum beschäftigen und dieses Buch in die Hand bekommen, wird ein komplett falsches Bild des christlichen Glaubens abgeliefert". Dieser Kritik kann ich mich nur anschließen. Übrigens finden sich auf Lovelybooks durchaus auch positive Leser(innen)rezensionen zu diesem Werk; und das finde ich fast noch befremdlicher als das Buch selbst. -- Natürlich, wollte man - mit dem Vorwissen, dass die Verfasserin später zum Katholizismus konvertiert und sogar in ein Kloster eintritt - voraussetzen, dass diese ganze auf drei Bände angelegte Autobiographie als Geschichte einer Bekehrung zu verstehen sei, dann könnte man sagen, rein von den geschilderten biographischen Fakten spreche nichts - weder sexuelle Eskapaden noch Abtreibungen und Selbstmordversuche, weder Glücksspiel noch fragwürdige Geschäftspraktiken noch esoterisch-okkultistische Experimente - zwingend dagegen, dass aus dieser Frau später doch noch eine Heilige werden könnte. Das Problem sind weniger diese Sachverhalte an sich als vielmehr die Art, wie sie darüber schreibt. Denn das tut sie ja schließlich rückblickend. Hätte sie inzwischen eine echte Bekehrung (Metanoia, was ja schließlich auch Um-Denken heißt!) erfahren, dann sollte man eigentlich erwarten, dass ihre Rückschau auf ihr früheres Leben etwas mehr kritische Distanz (um nicht zu sagen Reue) erkennen ließe. Tatsächlich macht die Erzählerin jedoch ganz und gar nicht den Eindruck, jemals über die subjektivistisch-egozentrische Idolisierung einer mit "dem Göttlichen" identifizierten "inneren Stimme" hinausgekommen; und so steht zu befürchten, dass sie sich auch die katholische Glaubenslehre genauso eigenwillig und wirr zurechtinterpretiert hat wie alles andere. -- Übrigens: Während vom zweiten Band von Juli Sommermonds "Tod einer Kinderseele" noch einige wenige Exemplare durch den Online-Buchhandel geistern, habe ich keine Belege dafür entdecken können, dass der dritte überhaupt jemals erschienen ist. Die Website der Autorin existiert nicht mehr, die Domain ihres (Selbst-)Verlags steht zum Verkauf

  • William Makepeace Thackeray: Jahrmarkt der Eitelkeit 
Ein Klassiker der Weltliteratur und damit - gemäß einer im vorigen Jahr aufgestellten Regel - von vornherein von der Rangliste der #BenOp-relevanten Lesefrüchte ausgeschlossen, habe ich dieses Buch rein zum Vergnügen gelesen -- und kann zu Protokoll geben, dass es sich für diesen Zweck tatsächlich ganz ausgezeichnet eignet; ja, man könnte sogar sagen: geradezu zur Erholung von dem ganzen anderen Kram, den man so lesen muss. Gerade in dieser Etappe war das ein willkommener Ausgleich, auch wenn man einräumen muss, dass die Lektüre angesichts des gewaltigen Umfangs dieses Romans eine ganze Menge Zeit gekostet hat. Egal, das war's wert! 

Ich hatte keine ganz klare Vorstellung davon, was ich mir unter dem großangelegten Gesellschaftsroman des Viktorianischen Zeitalters, der dies laut Kritikermeinung sein sollte, konkret vorzustellen hätte, und stellte schon ziemlich zu Beginn der Lektüre geradezu erleichtert fest: Die Welt, in der die Romanhandlung spielt, ist mir ausgesprochen vertraut aus einer Reihe anderer Romane. Es wäre ein reizvolles Gedankenspiel, sich auszumalen, wie beispielsweise ein Dickens, eine Jane Austen, ein Wilkie Collins, eine der Brontë-Schwestern oder gar meine alte Freundin Marlitt diese selbe Geschichte erzählt haben würde. Thackeray jedenfalls erzählt sie mit einer großen Portion Sarkasmus. Aber nicht nur das: Ich bin geneigt zu sagen, in der Erzählerrolle, die er für diesen Roman annimmt, gibt er sich betont schrullig. Der Erzähler ist zwar selbst keine handelnde Person des Romans, aber auch keine rein auktoriale "Stimme aus dem Off", sondern durchaus ein Charakter, der in allerlei Exkursen und Anekdoten aus dem Rahmen der erzählten Handlung heraustritt; und in solchen Momenten hat er bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den exzentrischen, zerstreuten, aber herzensguten alten Junggesellen, die etwa das Werk seines Zeitgenossen Dickens bevölkern.

Dass ich diesen Roman rein zum Vergnügen und zur Erholung  gelesen habe, bedeutet übrigens nicht, dass es darin nicht auch für einen analytischen Blick auf den religiösen Gehalt allerlei Interessantes zu entdecken gäbe. Bedenken wir, dass wir es hier mit einer Epoche zu tun haben, in der der gesellschaftliche Status des Christentums zwar nicht mehr so ungebrochen war, dass es nicht möglich gewesen wäre, unterschiedliche Haltungen zu ihm einzunehmen, aber doch noch bedeutend genug, dass es praktisch unmöglich war, überhaupt keine Haltung zu ihm einzunehmen. Folgerichtig spielt die sprichwörtliche "Gretchenfrage" in Bezug auf verschiedene Romancharaktere immer mal wieder eine gewisse Rolle, und auch der Erzähler selbst bedient sich gern biblischer Sprachbilder und appelliert an die christliche Moral. Eine gewisse Präsenz religiös-kirchlicher Themen im Romangeschehen ist schon dadurch bedingt, dass zu den Standesprivilegien der ansonsten ziemlich heruntergekommenen Adelsfamilie Crawley die Besetzung einer ländlichen Pfarrstelle zählt; die reiche Erbtante der Crawleys geriert sich als freigeistige Weltdame, während Lady Southwood, die Schwiegermutter des Gutserben, religiöse "Dissenters" verschiedenster Couleur protegiert. Die ebenso blumigen wie stereotypen Titel evangelikaler Erweckungs-Traktate ziehen sich geradezu wie ein "running gag" durch den Roman. Am Rande kommt auch die heikle Frage der Katholikenemanzipation wiederholt zur Sprache. In diesem Zusammenhang möchte ich eine ganz entzückende Passage hervorheben, in der die als herzensgut, aber nicht eben weltläufig charakterisierte weibliche Nebenheldin Amelia von anderen Damen der Gesellschaft - rein zu Konversationszwecken - gefragt wird, "ob ihrer Meinung nach im Jahre 1836, wie Jowls meint, oder erst 1839, wie Wapshot vermutet, der Papst fallen würde" -- worauf sie arglos erwidert: "Der arme Papst! Hoffentlich nicht -- was hat er denn getan?" (S. 837) 

Sehr amüsiert habe ich mich über diejenigen Kapitel gegen Ende des Romans, die in einer fiktiven deutschen Residenzstadt namens Pumpernickel spielen; eine herrliche Satire auf die damalige deutsche Kleinstaaterei und überhaupt auf die deutsche Mentalität, wie sie sich aus britischer Sicht darstellte. Bemerkenswert fand ich in diesem Zusammenhang nicht zuletzt eine Bemerkung zum Zustand der öffentlichen Moral in Deutschland: "[I]n einem Lande, wo [...] Goethes 'Wahlverwandtschaften' als erbauliche Moralschrift gelten", sei es kaum verwunderlich, eine Dame sich "scheiden lassen, sooft sie wollte, und doch ihre gesellschaftliche Stellung behalten" könne (S. 918). 

Alles in allem möchte ich den "Jahrmarkt der Eitelkeit" als ein äußerst unterhaltsames Stück Literatur bezeichnen, oft sehr witzig, nicht selten aber auch anrührend, und wenngleich praktisch keine der Hauptfiguren frei von charakterlichen Schwächen ist (Thackeray nannte sein Werk einen "Roman ohne Helden"), so ist andererseits auch keine von ihnen durch und durch unsympathisch. -- Übrigens: Dass auf S. 147 die Königin von Saba erwähnt wird, ist zwar eigentlich völlig unerheblich, aber mit Blick auf die zwei folgenden Bücher auf meiner Leseliste doch irgendwie eine auffällige Kuriosität...

  • Georg Holmsten: Die Königin von Saba 
Historische Romane mit biblischem Sujet kann man wohl grob in drei Kategorien einteilen: Entweder es handelt sich um Hochliteratur wie Thomas Manns "Joseph"-Tetralogie (die ich, ich gestehe es, noch nicht gelesen habe; sie steht aber immerhin schon mal im Regal der im Aufbau befindlichen Pfarrbibliothek); oder es sind religiöse Erbauungsschriften im Gewand von Unterhaltungsliteratur (von dieser Sorte gibt es sowohl rechtgläubige als auch häretische Varianten, allerdings habe ich den Verdacht, dass die letzteren deutlich überwiegen); oder es ist schlichtweg Schundliteratur. Zu welcher dieser Kategorien Georg Holmstens "Königin von Saba" gehört, lässt sich unschwer beantworten: Schund. Mehr als an irgendein anderes Buch, das ich im Laufe des letzten Jahres gelesen habe, erinnert mich dieser Roman an Eric Walz' "Herrin der Päpste", auch wenn es dankenswerterweise erheblich kürzer ist. Da Holmstens Roman aus den 50ern stammt und der von Walz aus dem Jahr 2003, sollte man außerdem wohl annehmen, dass die "Königin von Saba", einem konservativeren Zeitgeschmack entsprechend, sowohl in erotischer als auch in - sagen wir mal - "religionsskeptischer" Hinsicht zurückhaltender ist als die "Herrin der Päpste", aber tatsächlich ist dieser Unterschied weniger ausgeprägt, als man hätte erwarten können.

Was den ersteren Aspekt angeht, wandelt Holmstens Titelheldin bevorzugt halb nackt oder in durchsichtigen Gewändern durch die Romanhandlung, wird von allen Männern begehrt, sofern diese nicht schwul oder schon steinalt sind, und weiß diesen Umstand geschickt für die politischen Interessen ihres kleinen Landes einzusetzen; polemisch zugespitzt könnte man sagen, neben Weihrauch und Myrrhe ist die verführerische Attraktivität der Königin die wichtigste Ressource Sabas.

Schon ziemlich zu Beginn der Romanhandlung beginnt die Protagonistin eine leidenschaftliche Affäre mit dem Kaufmannssohn Kedar, den sie in ihrer Eigenschaft als Königin und Priesterin des Mondgottes allerdings nicht heiraten darf  - wogegen sie zunächst aufbegehrt ("Was haben die uralten Gebote der Priesterfürsten mit unserer jungen Liebe zu tun?", S. 124), sich dann aber auf ihre Art mit dieser rituellen Vorschrift arrangiert:  "Nicht heiraten wollten wir, nur lieben..." (S. 154); "Oder willst du etwa behaupten, daß Liebe nur in der Ehe gedeihen kann?" (S. 274). Die aus der Bibel (1 Kön 10,1-13 / 2 Chr 9,1-12) bekannte Reise an den Hof des Königs Salomo unternimmt sie explizit in der Absicht, von diesem einen Sohn und Erben zu empfangen, aber nebenbei umgarnt sie auch Salomos Sohn und Thronfolger Rehabeam. Wieder zu Hause, setzt sie ihr Verhältnis mit Kedar fort und verheimlicht ihm, "daß sie in Salomo nicht nur den König, sondern auch den Mann und Menschen geliebt hatte" (S. 276).

Was die religiöse Thematik angeht, fällt es auf, dass es in der Welt des Romans zwar religiöse Institutionen - sprich: Tempel und Priester - gibt, die auch beträchtlichen politischen und gesellschaftlichen Einfluss ausüben, aber abgesehen vielleicht vom "einfachen Volk" - das jedoch keinen aktiven Anteil am Geschehen hat - scheint niemand ernsthaft an Gott oder Götter zu glauben. Selbst der Hohepriester des Mondgottes ist voller Zweifel, wie er der Königin gesteht: 
"Es gibt viele Götter, und der Mensch ist nicht weise genug, um zu entscheiden, welche Götter anbetungswürdig sind und welche nicht. Ja, vielleicht gibt es sogar nur einen Gott, der wahrhaft Anbetung verdient. Aber wer von uns vermag zu sagen,  welcher der vielen Götter es ist, die von den Völkern in allen Ländern verehrt werden. Weil ich den richtigen Gott noch nicht gefunden habe, halte ich dem Gott meiner Ahnen, Almaka, die Treue." (S. 63) 
Der christliche Leser mag an dieser Stelle vielleicht noch hoffen, als der eine Gott, "der wahrhaft Anbetung verdient", werde sich im weiteren Verlauf der Handlung der Gott der Juden erweisen, aber als die Königin von Saba zu König Salomo reist, wird diese Hoffnung enttäuscht, denn die Romanheldin "wagte es sogar, an der Allmacht des großen Gottes Jahwe zu zweifeln":
"Glauben deine Priester eigentlich an den Gott, den sie dem Volk verkünden, o Salomo? Ich habe schon einmal einen Priester kennengelernt, der an der Macht des Gottes zweifelte, zu dem er betete." (S. 241)
Salomo hat dem nicht viel entgegenzusetzen; somit bleibt der Eindruck im Raum stehen, zwischen JHWH und den anderen Göttern werde kein qualitativer Unterschied gesehen. -- Man könnte argwöhnen, dass moderne (schlechte) Historienromane so bevölkert mit Religionszweiflern, -spöttern und -verächtern sind, rühre daher, dass ihre "aufgeklärten" Autoren meinen, es sei eine schätzenswerte Eigenschaft, ja geradezu ein Ausweis geistiger Größe, "Dogmen zu hinterfragen". Ich habe jedoch den Verdacht, es ist in Wirklichkeit viel banaler: Diesen Autoren ist religiöser Glaube derart unverständlich, dass sie gar nicht in der Lage wären, ihn plausibel darzustellen. Dass sich in dieser Hinsicht auch "Flieg, Friedenstaube", der Jesaja-Roman des evangelischen Katecheten Hermann Koch, nur graduell von Holmstens "Königin von Saba" oder Walz' "Herrin der Päpste" unterscheidet, erscheint so gesehen eigentlich noch bedenklicher; aber das mal nur am Rande.

Immerhin, nach dem Motto "Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn" findet sich im Rahmen der Thematisierung von Religion in Holmstens "Königin von Saba" eine Passage, die es gerade vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals wert sein könnte, dass man zwei- oder dreimal darüber nachdenkt:
"Seit altersher herrscht im Volk der Glaube, daß derjenige, der von der Sünde eines Priesters redet, des gleichen Verbrechens schuldig wird. [...] Dem Volke ist am Priester alles heilig, auch seine Sünde." (S. 166) 
Auf welche Weise und in welchem Maße der Autor die Bibel als Quelle heranzieht, schildert man wohl am besten anekdotisch: Auf S. S. 216-219 wird das sprichwörtliche "salomonische Urteil" aus 1 Kön 3,16-28 nacherzählt, und zwar mit allerlei recht abgeschmackten Ausschmückungen; direkt im Anschluss hat Salomo einen weiteren, nicht biblisch belegten Streitfall zu schlichten, wobei ihm die Königin von Saba zu Hilfe kommt und Salomo prompt an Weisheit übertrifft. Auf S. 243 werden einige Verse aus dem 4. Kapitel des Hoheliedes in paraphrasierter Gestalt wiedergegeben und als "ein altes jüdisches Liebeslied" bezeichnet. Und nebenbei bemerkt: Den ersten König des Nordreichs Israel, Jerobeam, nennt Holmsten "Jerob", wohl damit der Name dem des gleichzeitigen Königs des Südreichs Juda, Salomos Sohn Rehabeam, nicht so ähnlich ist. Aber wenn Gott nun einmal wollte, dass die Namen dieser beiden Rivalen einander so sehr ähneln sollten, who are you to judge, Muchacho? Übrigens lässt der Autor die beiden späteren Könige erstmals im Rahmen eines Wagenrennens à la Ben Hur aufeinandertreffen (S. 233-237), das allerdings nicht annähernd die Dramatik des Vorbilder erreicht -- unter anderem gerade weil es das erste Zusammentreffen der Kontrahenten innerhalb der Romanhandlung ist und die Spannung nicht durch ein so komplexes Rivalitätsverhältnis gehoben wird, wie es zwischen Ben Hur und Messala besteht. 

Im Übrigen enthält der Roman durchaus einzelne Handlungselemente - wie etwa die geheimen Verliese im Tempel des Mondgottes oder, damit zusammenhängend, den Nebenstrang um den "Scheich der Namenlosen" und seine Räuberbande - die theoretisch einiges Potential hätten, sodass man es ein wenig bedauern mag, dass sie nicht von einem begabteren Erzähler (ich sag mal: Retcliffe!) bearbeitet wurden.

Für die Trivialliteraturforschung mag es indes eine durchaus nicht uninteressante Erkenntnis sein, dass es schon in den 1950er-Jahren Vorläufer des heutzutage massenhaft produzierten Genres "Softcore-Erotik-Frauenroman im pseudohistorischen Gewand" gab. Aber eigentlich hatte ich mir mehr bzw. Anderes von diesem Buch versprochen. Na ja, shit happens

  • Gabriel Mandel: Das Reich der Königin von Saba 
Populärwissenschaftliche Bücher über Archäologie habe ich besonders als Jugendlicher gern gelesen, und ich würde mal sagen, dies ist keins der schlechtesten. Während sich einzelne Passagen - wie etwa über die diversen Theorien zur Entstehung und Entwicklung des antiken südarabischen Alphabets - für Nicht-Fachleute ein bisschen zäh lesen sind und die kleine Schrifttype etwas anstrengend ist, ist das Buch doch im Ganzen unterhaltsam geschrieben; und auch in inhaltlicher Hinsicht finde ich es durchaus lesenswert, wenngleich eine spezifische #BenOp-Relevanz sich nicht feststellen lässt -- aber das war ja auch nicht zu erwarten. Im Grunde habe ich es ja hauptsächlich deshalb auf meine Leseliste gesetzt, um es  quasi "live" mit Holmstens "Königin von Saba" abgleichen zu können, und dieser Abgleich erweist sich tatsächlich als einigermaßen aufschlussreich. Schließlich legt Holmsten großen Wert darauf, seinem Roman den Anschein zu geben, er sei historisch gut recherchiert, und protzt daher gern mit z.T. recht umfangreichen Fußnoten; dadurch lässt sich nachvollziehen, dass er teilweise dieselben Quellen benutzt hat wie Mandel, auch wenn dessen Buch gut 20 Jahre später entstanden ist.

So berichtet Mandel auf S. 103ff. über die Ausgrabung des Mondtempels von Marib, auf die Holmsten in einer Fußnote auf S. 39 hinweist; neben Ausgrabungsbefunden wertet Mandel aber auch antike und z.T. vorislamische Quellen über die Kulturen Südarabiens aus, und gerade die antiken Autoren - allen voran Strabo und Diodor - hat offenkundig auch Holmsten ausgiebig zur Kenntnis genommen. Bedauerlich finde ich es allerdings, dass er - wohl in der Absicht, einen "realistischen" Historienroman zu schaffen - die phantastischen Elemente, die sich bei den antiken Historiographen und Geographen wie selbstverständlich finden, entschlossen zurückgedrängt hat. Man könnte somit sagen, der Abgleich mit Mandel lässt Holmstens Roman noch schwächer erscheinen, als es ohnedies schon der Fall ist.

In augenfälligem Gegensatz dazu zeigt der Archäologe Mandel keinerlei Berührungsängste gegenüber dem Phantastischen; vielmehr befragt er die Quellentexte dahingehend, ob sich hinter manchen phantastisch anmutenden Details ein realer Hintergrund entdecken oder wenigstens erahnen lässt. In diesem Sinne zieht er auch den Koran als Quelle heran und deutet die darin enthaltene Erzählung über den Untergang des alten Reiches der Sabäer als Schilderung ökologischer Katastrophen; dass er meint, in Sure 18, Vers 94-97 sei "eindeutig von atomaren Strahlungen" die Rede, erscheint mir als eine gewagte These, aber vielleicht sollte ich mir die betreffende Ķoransure einfach mal anschauen.

Insgesamt, denke ich, kann man Mandels Buch guten Gewissens einen Platz im Büchereiregal einräumen; einen Platz in der Rangliste hingegen nicht, aber das war ja, wie gesagt, von vornherein auch nicht zu erwarten gewesen.

  • Dietrich von Hildebrand: Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes 
Ich erwähnte es bereits: Dass ich dieses Buch, nachdem es mehr als zwei Jahre lang unberührt in meinem Regal gestanden hatte, ausgerechnet an dem Tag von neuem zur Hand nahm, an dem in Frankfurt die erste Synodalversammlung des Schismatischen Weges begann, kann man eigentlich nur als Fügung betrachten. Ein Schlüsselsatz dazu, was dieses 1967 unter dem Eindruck der Nachwirkungen des II. Vatikanischen Konzils entstandene Buch mit dem heutigen "Schismatischen Weg" zu tun hat, findet sich im Epilog:
"Dieses Buch ist aus einem tiefen Schmerz über das Auftauchen falscher Propheten in der Stadt Gottes geschrieben. Es ist traurig genug, wenn Menschen ihren Glauben verlieren und die Kirche verlassen. Aber es ist viel schlimmer, wenn diejenigen, die in Wirklichkeit ihren Glauben verloren haben, in der Kirche bleiben und - wie Termiten - versuchen, den christlichen Glauben durch ihre Behauptung auszuhöhlen, daß sie der göttlichen Offenbarung die Interpretation geben, die zum 'modernen Menschen' paßt."  (S. 335)
Bei der Lektüre des Buches drängt sich der Eindruck auf, diejenigen Missstände in Kirche und Theologie, die Hildebrand schon vor über 50 Jahren klar gesehen und scharf kritisiert hat, hätten sich seither fröhlich weiter ausgebreitet, und im Schismatischen Weg und (un-)geistesverwandten "Reform"-Projekten zeigen sich die Auswirkungen. -- Nun sind, seit ich das Buch gelesen habe, ja schon wieder einige Wochen vergangen, in denen ich diese Rezension hier nicht fertig bekommen habe, und im Lichte jüngster Entwicklungen könnte man sagen, wir (als Kirche) haben ganz andere Sorgen als den Schismatischen Weg; was der nicht geschafft hat und auch im weiteren Verlauf nicht geschafft hätte, nämlich den Verkündigungs- und Heiligungsdienst der Kirche praktisch lahmzulegen, das schaffe jetzt das Coronavirus. Ich bin jedoch der Meinung, dass das der Aktualität und Brisanz von Hildebrands Buch keinen Abbruch tut; ja, in gewissem Sinne sehe ich sogar einen Zusammenhang zwischen den genannten Phänomenen, und das ist gar nicht so verschwörungstheoretisch gemeint, wie es vielleicht klingt. Was ich meine, ist, dass das Verhalten unserer Kirchenfunktionäre angesichts der Corona-Krise und nicht zuletzt auch die Reaktionen der einfachen Gläubigen auf die teils staatlich verordneten, teils in vorauseilendem Gehorsam von den Bistümern beschlossenen Einschränkungen des kirchlichen Lebens wohl erheblich anders aussähen, wenn das Verständnis für die Bedeutung der Sakramente, allen voran der Eucharistie, nicht über Jahrzehnte aufgeweicht und ausgehöhlt worden wäre.  -- Aber eigentlich möchte ich hier keine Corona-Debatte führen; dafür gibt es erheblich geeignetere Orte.

Halten wir fest: Die Aktualität von Hildebrands Beobachtungen zum Glaubensverlust in Theologie und Kirche ist ungebrochen. Im Grunde könnte man aktuelle Äußerungen von Verfechtern sogenannter "Reform"-Bestrebungen in der Kirche fortlaufend mit Hildebrand-Zitaten kommentieren und kontern. Natürlich, Hildebrand ist Philosoph, und streckenweise ist das Buch sehr anspruchsvoll geraten; so sehr, dass ich philosophisch nicht vorgebildeten Lesern empfehlen würde, ganze Unterkapitel zu überblättern, um zu vermeiden, dass sie die Lektüre überfordert aufgeben. Aber da, wo er gut ist, ist er sehr gut. Besonders sympathisch ist mir, dass er keinerlei Scheu gegenüber einer zuweilen heftig polemischen Wortwahl an den Tag legt; im Laufe der Lektüre dachte ich mehrfach: Die Leute, die immer gleich klagen und zagen, man wolle ihnen "das Katholischsein absprechen", nur weil sie einen "anderen Zugang zum Glauben" (oder wie sie das auch immer nennen) haben, würden wahrscheinlich in Ohnmacht fallen, wenn sie sähen, wie Hildebrand verbal mit Ihresgleichen umspringt. Insbesondere im Bereich der akademischen Theologie dürften Manchem die Ohren klingeln, wenn Hildebrand "eine philosophische Mode" tadelt, die "den Eindruck von Tiefe durch eine überkomplizierte Sprache zu erwecken" sucht, "die oft das vollständige Fehlen von Sinn verhüllt" (S. 187); an anderer Stelle spricht er von einer Ersetzung der "Tatsachen der Offenbarung" durch eine "trübe Metaphysik", die "weder die Botschaft Christi noch wahre Philosophie ist" und die "für den Nicht-Intellektuellen niemals irgendeine Bedeutung haben" kann" (S. 225). Ich kann mir nicht helfen, ich denke dabei unwillkürlich an sogenannte "theologische Feuilletons" im Internet wie z.B. feinschwarz oder gar, kicher, y-nachten. Wie schreibt Hildebrand so treffend:
"Gar mancher Mensch ist bereit, jeden beliebigen Unsinn zu schwätzen, nur um für einen 'modernen Menschen' zu gelten - für einen 'fortschrittlichen', einen, der 'mündig' geworden ist." (S. 194)
Darin, dass die "Kategorien von wahr oder falsch [...] durch die Frage ersetzt [werden], ob etwas heutzutage wirksam ist, oder ob es zu einer früheren Zeit gehört, ob es 'geschichtsgerecht' oder 'überholt', ob es 'lebendig' oder 'tot' ist", sieht Hildebrand "ein offenkundiges Symptom für einen intellektuellen und sittlichen Verfall" (S. 138). Dabei lässt er den von ihm so scharf attackierten "Progressiven" noch nicht einmal den Ausweg, seine Kritik dadurch zu delegitimieren, dass sie sein Glaubens- und Kirchenverständnis als "vorkonziliar" abstempeln: Tatsächlich spricht er mit ausdrücklicher Hochachtung über das II. Vatikanische Konzil und bewertet dessen Anliegen, den Glauben der Kirche inmitten einer im Umbruch befindlichen Welt auf neue Weise zu kommunizieren und dabei Verengungen und Erstarrungen zu überwinden, die sich in "vorkonziliarer" Zeit in der Glaubensverkündigung und -praxis breit gemacht haben, als legitim und notwendig. Seine scharfe Kritik gilt hingegen denjenigen Theologen, die unter (fälschlicher) Berufung auf den Geist des Konzils die tradierte Lehre der katholischen Kirche von Grund auf dekonstruieren wollen -- beziehungsweise "[b]ewaffnet mit Schlagworten wie dem von der Anpassung an den wissenschaftlichen Geist der Zeit oder an die geschichtliche Epoche, in der der Mensch reif und mündig geworden sei, [...] das Recht [beanspruchen], Änderungen an der Lehre der Kirche selbst vorzunehmen" (S. 71). Man könne sich, so Hildebrand, "des Eindrucks nicht erwehren, daß viele der progressistischen Katholiken in Wirklichkeit ihren christlichen Glauben verloren haben und nun verzweifelt versuchen, durch verworrene und prätentiöse Konstruktionen sich und andere über diese traurige Tatsache hinwegzutäuschen" (S. 244).

Vorrangig richtet sich Hildebrands Kritik gegen den "Versuch, die Lehre Christi dem Geist einer bestimmten Epoche anzupassen"; dadurch werde nämlich "die göttliche Offenbarung veruneigentlicht":
"Wenn die Lehre der Kirche nicht auf der unveränderlichen, göttlichen Offenbarung gegründet ist, sondern sich mit der Zeit ändern kann - wenn es nicht dasselbe Evangelium ist, das [...] die ganze Geschichte hindurch verkündet wird - dann bricht die Berechtigung der apostolischen Mission der Kirche 'Gehet hin und lehret alle Völker' zusammen." (S. 119)
Hildebrand verweist in diesem Zusammenhang auf ein Diktum des Kardinals und Luther-Gegners Thomas Cajetan (1469-1534), demzufolge "die Religion [...] nicht dem Menschen angepaßt werden" solle, "sondern vielmehr der Mensch der Religion" (S. 129). -- In bezeichnendem Kontrast dazu steht ein schon 1965 in der BDKJ-Zeitschrift "Voran" erschienener Artikel mit dem Titel "Streik gegen eine nutzlose Kirche", aus dem Hildebrand auf S. 65f., Fußnote 22, zitiert:
"Eine moderne Religion oder Weltanschauung, die für Menschen des 20. Jahrhunderts paßt, darf nicht starr und unduldsam sein. Jedem muß die Möglichkeit garantiert werden, ganz persönlich nach Wahrheit zu suchen, mag dabei als Ergebnis der christliche ‘liebe Gott' herauskommen oder eine ganz andere Deutung des Daseins. Diese Freiheit erlaubt natürlich, sich mit Jesus Christus zu beschäftigen und seine Ideen anzunehmen, wenn man es für gut hält. Sie [66] erlaubt aber auch, Jesus abzulehnen und andere Ideale aufzuspüren." 
Da wundert man sich über gar nichts mehr, oder? Höchstens noch darüber, dass dem BDKJ nicht schon vor Jahrzehnten die Anerkennung und Unterstützung seitens der deutschen Bischöfe entzogen wurde, aber ehrlich gesagt, nein, nicht einmal darüber.

Was Hildebrand über die geistesgeschichtlichen Entwicklungen ausführt, die dem von ihm kritisierten "progressiven" Glaubens- und Kirchenverständnis zugrunde liegen, hat viel mit jenen Phänomenen zu tun, die Rod Dreher in den einführenden Kapiteln der "Benedikt-Option" skizziert und als deren Kulminationspunkt er "religiösen Individualismus und seinen theologischen Überbau, den Moralistisch-Therapeutischen Deismus" (#BenOp S. 81 / Paperback-Ausgabe S. 93) bezeichnet. Daneben möchte ich noch einen Aspekt von Hildebrands Kritik an zeitgenössischen Entwicklungstendenzen in der Kirche hervorheben, der mir für meine persönliche #BenOp-/Punkpastoral-Vision besonders bedeutsam erscheint: Als ein "anderes weitverbreitetes Symptom für die Legalisierung und Formalisierung der Religion" betrachtet Hildebrand nämlich "die Überbetonung der Organisation". 
"Voller personaler Einsatz, sowie der unmittelbare Kontakt von Person zu Person wird mehr und mehr durch Organisationen ersetzt. Die Leistungsfähigkeit von Organisationen im Bereich der Zivilisation in den Tätigkeiten der sozialen, praktischen Ordnung hat die Illusion erzeugt, daß diese mechanisierte, unpersönliche Art Probleme zu lösen gerade das ist, was das religiöse Leben braucht. Doch Religion ist ein Bereich, in dem alles vom persönlichen Kontakt abhängt." (S. 81f.) 
Beispielhaft verweist er auf "die Art, in der viele die ursprüngliche Idee der katholischen Aktion interpretierten, die Pius XI. in seiner herrlichen Enzyklika 'Pax Christi in regno Christi' dargelegt hat":
"Hier richtete der Papst an jeden einzelnen Laien den Ruf, sein ganzes Leben mit dem Geist Christi zu durchdringen, alle seine Tätigkeiten mit diesem Geist zu beleben und forderte zu einer neuen Vereinigung der Laien im Apostolat auf. Dieser sublime Aufruf zu vollem persönlichem Einsatz wurde von vielen bloß als Aufforderung zu einer organisierten Tätigkeit aufgefaßt, als wäre die Hauptaufgabe, Zentralstellen für alle katholischen Organisationen zu errichten" (S. 82). 
(Die Enzyklika Papst Pius' XI., die Hildebrand hier meint und für die auch, nach ihren Anfangsworten, der Titel "Ubi Arcano Dei Consilio" geläufig ist, sollte ich übrigens wohl mal lesen. Die Textmenge ist, verglichen mit heutigen lehramtlichen Schreiben, überschaubar.) -- "Die Überschätzung der Organisation als solcher", so Hildebrand weiter, "fand ihren reinsten Ausdruck in den Worten eines berühmten deutschen Erzbischofs, der in ihrem Lob so weit ging, daß er sagte: 'Die katholischen Vereine sind das achte Sakrament der Kirche'" (ebd.). Vermutlich haben wir es hier zum Teil auch mit einer typisch deutschen Manie zu tun -- und das bis heute, wenn man sich etwa ansieht, was Papst Franziskus der Kirche in Deutschland anlässlich des ad-limina-Besuchs der deutschen Bischöfe im Jahr 2015 und dann erneut 2019 in seinem Schreiben "An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland" vom 29.06.2019 ins Stammbuch geschrieben hat; so etwa über die Versuchung, "unser Vertrauen auf die Verwaltung zu setzen, auf den perfekten Apparat ". -- Ebenfalls hochaktuell in Hinblick auf die Arbeit so mancher kirchlicher und kirchennaher Institutionen und Verbände scheint mir die folgende Beobachtung Hildebrands: 
"Das Ideal mancher dieser Reformer ist, daß ein Katholik anstatt nach der Umgestaltung in Christus zu streben und Zeugnis für die Christliche Offenbarung abzulegen, danach trachten sollte, sich so wenig als möglich von einem humanitären Philanthropen zu unterscheiden." (S. 90) 
Eine längere Passage aus Hildebrands Buch, die in diesen Zusammenhang gehört, muss ich hier zur Gänze wiedergeben, da ich sie über den hier gegebenen Anlass hinaus ausgesprochen spannend und anregend finde: 
"Um den gewaltigen Unterschied zwischen der vollen Hingabe des Einzelnen und der Tätigkeit religiöser Organisationen zu sehen, so nützlich und notwendig diese auch sein mögen, brauchen wir nur die Bekehrung einer Banlieue (Vorort) von Paris durch einen italienischen Priester mit der Arbeit irgendeiner wohltätigen katholischen Organisation zu vergleichen. Pater Lhande erzählt uns in seinem Buch von diesem Priester, der zu Menschen kam, die in unbeschreiblicher Armut wie Tiere lebten, in Promiskuität und in einem wütenden Haß auf Christus und die heilige Kirche. Bei seiner Ankunft warf ihm ein Knabe, da er seinen Talar sah, einen Stein an den Kopf, so daß ihm das Blut über das Gesicht lief. Er aber hob den Stein auf und sagte: 'Dank dir, mein Lieber, dieser Stein wird der Grundstein meiner Kirche sein.' Dieser heroische Einsatz, die unerschöpfliche Geduld, mit der er jede Beleidigung beantwortete, seine Liebe und die Bereitschaft, alle Demütigungen anzunehmen, öffnete die Tür für das Apostolat. Verschiedene Pariser Pfarrer taten sich mit diesem Priester zusammen, und katholische Studenten kamen jede Woche einen Tag, um mit diesen Arbeitern zu leben und ihnen zu helfen. Nach zwanzig Jahren dieses persönlichen Apostolats kam ein volles Drittel aller Priesterberufungen in Paris aus dieser Banlieue." (S. 82f.) 
Von dem Buch des Pater Lhande, auf das Hildebrand sich bezieht - "Le Christ dans la Banlieue", Paris 1927 -, gab es auch eine deutsche Ausgabe; vielleicht kriegt man die ja mal irgendwo antiquarisch zu fassen. -- Entschieden #BenOp-relevant finde ich auch, was Hildebrand über die Berufung zur Heiligkeit sagt: 
"Die Heiligen sind ein unangenehmer Weckruf für alle, die nicht nach ihrer eigenen Heiligung dürsten, für alle, die nicht die vollste Veränderungsbereitschaft besitzen. Weil diese progressistischen Katholiken in ihrer Bequemlichkeit nicht gestört werden möchten, weil sie nicht aus dem wirklichen Ghetto der 'irdischen Stadt' herausgetrieben werden wollen, möchten sie die Heiligen abschaffen"  (S. 326). 
Und den akademischen Theologen, die sich so viel auf ihre fachliche Kompetenz zugute halten, sei ins Stammbuch geschrieben:
"Die Interpretation eines Kirchenvaters, eines Heiligen oder eines wahren Mystikers hat viel mehr Interesse und Gewicht als die eines Professors für Exegese" (S. 70). 
-- Und habe ich vielleicht auch irgendwelche kritischen Anmerkungen zu Hildebrands Buch? -- Doch, ja, habe ich. Schon bei meinem ersten Anlauf, "Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes" zu lesen, war mir aufgefallen, dass Hildebrand offenbar kein Freund der Rockmusik war; und tatsächlich durchzieht dieses Thema das Buch mit einer gewissen Beharrlichkeit: Erstmals tadelt Hildebrand auf S. 88, Fußnote 7 "den Versuch, Jazz und Rock and Roll bei Gottesdiensten einzuführen"; auf S. 210, Fußnote 2, beklagt er erneut die "Einführung von Guitarre- und sogar Jazzmessen". Ausführlicher erläutert der in Ehren ergraute Philosoph auf S. 302f., was ihn daran stört, wenn der  "Gregorianische Choral [...] im besten Fall durch mittelmäßige Musik [...], im schlimmsten Fall durch Jazz und 'Rock and Roll'" ersetzt wird:
"Ein so grotesker Ersatz verhüllt den Geist Christi [...]. Jazz ist nicht nur inadäquat, sondern der sakralen Atmosphäre der Liturgie antithetisch entgegengesetzt. Er ist mehr als eine Entstellung  er zieht die Menschen in eine ausgesprochen weltliche Atmosphäre. Er spricht etwas in ihnen an, was sie taub macht für die Botschaft Christi."
In diesem Punkt bin ich nun natürlich nicht seiner Meinung, aber ich denke, man kann dem 1889 geborenen Hildebrand seine ablehnende Haltung gegenüber Jazz und Rock schon aus Altersgründen verzeihen; man vergleiche nur mal, wie der immerhin 14 Jahre jüngere (und obendrein natürlich viel "progressivere") Adorno sich zum Thema Jazz äußerte. (Als positive Beispiele einer "wirklich sakralen Musik" nennt Hildebrand auf S. 303 übrigens, neben dem Gregorianischen Choral, Messen von Bach, Mozart, Beethoven oder Bruckner.) 

Erwähnen möchte ich auch noch, dass auf den Epilog des Buches noch ein 38 Seiten starker "Anhang" mit dem Titel "Teilhard de Chardins neue Religion" folgt; und diesem merkt man etwas zu deutlich an, dass Hildebrand den bereits 1955 verstorbenen Teilhard, unbeschadet aller sachlichen Kritik, einfach persönlich nicht leiden konnte und deshalb etwas zu viel Eifer darauf verwendet, auch nicht das kleinste gute Haar an ihm zu lassen. Okay, das könnte mir auch passieren, wenn ich über [hier Name einfügen] schriebe. Wie auch immer, unter den Bücherspenden, die ich in den letzten Monaten entgegengenommen habe, befinden sich ein Buch von und ein Buch über Teilhard de Chardin, und wenn ich dazu komme, die zu lesen, werde ich auf Hildebrands Kritik zurückkommen. 

Zurückkommen werde ich auf "Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes" wohl ohnehin noch öfter müssen, denn ich habe insgesamt 16 Seiten Experte angelegt. Neben den oben hervorgehobenen Punkten enthält das Buch nämlich auch noch bemerkenswerte Passagen zu weiteren #BenOp-relevanten Themen wie Familie, Sexualität und Technologie .  Aufgrund seiner - für das Werk eines Philosophen freilich nicht verwunderlichen - "Theorielastigkeit" bleibt es auf der #BenOp-Relevanz-Rangliste aber doch hinter Carretto und Chesterton. Ich bin geneigt, daraus ad hoc eine Regel zu basteln, die ich in klassischer Stadtguerilla-Diktion als "Primat der Praxis" betitele. 

Und so sieht der neue Zwischenstand der Rangliste aus: 

1. (1) Carlo Carretto: Wir sind Kirche 
2. (2) G.K. Chesterton: Thomas & Franz 
3. (NE) Dietrich von Hildebrand: Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes  
4. (3) Norbert Baumert (Hg.): Jesus ist der Herr 
5. (4) Georg Friedrich Rebmann: Ideen über Revolutionen in Deutschland 
6. (5) Sr. M. Lucia (Hg.): Umkehr - Heiligung - Freude in Gott 
7. (6) Reinhold Schneider: Las Casas vor Karl V. 
8. (7) Karl May: "Weihnacht!" 
9. (8) Maxim Gorki: Wanderungen durch Russland 
10. (9) George Orwell: Mein Katalonien  
11. (10) Martin Klein: Lene und die Pappelplatztiger

Während Hildebrand also einen Treppchenplatz erobert hat und Thackerays "Vanity Fair", wie bereits gesagt, von vornherein außer Konkurrenz mitgelaufen ist (aber, Rangliste hin oder her, definitiv eine Empfehlung verdient!), haben die übrigen drei Bücher aus Etappe 4 die Qualifikation schmählich verpasst. Insofern war dies in Hinblick auf die #BenOp-Relevanz nun wirklich eine denkbar schwache Etappe, und ich hoffe sehr, dass sich dies in solchem Ausmaß nicht wiederholen wird. -- Kommen wir also nun zur Prognose für Etappe 5: 

  • Valentin Katajew: In den Katakomben von Odessa 
Gefunden in der Büchertelefonzelle auf dem Edeka-Parkplatz am Eichborndamm. Beim Stichwort "Katakomben" assoziierte mein einschlägig konditioniertes Gehirn natürlich sofort "Christenverfolgung", und das war vermutlich der Hauptgrund dafür, dass dieses Buch meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Tatsächlich spielt das Buch aber, wie aus dem Klappentext hervorgeht, zur Zeit der rumänischen Besatzung der Schwarzmeer-Hafenstadt Odessa im Zweiten Weltkrieg, und wer sich da in den Katakomben verbirgt, sind sowjetische Widerstandskämpfer. Nun, in jedem Fall geht es um das Leben im Untergrund, im metaphorischen wie auch im wortwörtlichen Sinne, und das verspricht allemal spannend und mit ein bisschen Glück auch lehrreich zu werden. Eine Qualifikation für die Rangliste sollte also eigentlich drin sein, ob's auch für die (temporären) Top 10 reicht, bleibt abzuwarten. 

  • Alexander von Schönburg: In bester Gesellschaft 
Eins der wenigen brauchbar aussehenden Fundstücke aus der recht heruntergekommen wirkenden Büchertelefonzelle in Lübars. Der 2008 erschienene Band versammelt Kolumnen des laut Klappentext "in der Society gefürchtete[n] Gesellschaftskolumnist[en]" Alexander Graf von Schönburg-Glauchau, die zuerst in Magazinen wie Vanity Fair und Vogue, zum Teil aber auch in der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen erschienen sind. "Ein einzigartiges Sittenporträt unseres Fin de Siècle", verspricht die Verlagswerbung. Da der Autor sich verschiedenen Ortes in Wort und Schrift ausgesprochen positiv über die "Benedikt-Option" geäußert und dabei explizit auch die deutsche Übersetzung gelobt hat, fühle ich mich ihm irgendwie verpflichtet, werde mich aber bemühen, mein kritisches Urteil nicht zu sehr davon beeinflussen zu lassen. Ich kann mir aber auch davon abgesehen ganz gut vorstellen, dass es ein sowohl unterhaltsames als auch erhellendes Stück Lektüre wird. 

  • Caroline Plaisted: Erste Liebe übers Internet 
Ebenfalls ein Fundstück aus einer Büchertelefonzelle; aus derjenigen in der Osloer Straße, wenn ich mich richtig erinnere. Es handelt sich um ein Jugendbuch, und schon bevor ich einen Blick hinein geworfen habe, bin ich halb überzeugt, dass es scheußlich ist. Präziser gesagt: dass es in einem solchen Maße oberflächlich und unkritisch gegenüber Technologie, Konsum und Frühsexualisierung von noch-nicht-mal-Teenagern ist, dass man im Interesse einer #benOppigen Kindererziehung nur davor warnen kann. Die Titel anderer Bücher der Autorin, etwa "10 Things to Do Before You're 16" oder "10 Ways to Cope with Boys", bestärken mich in diesem Verdacht; aber vielleicht täusche ich mich ja auch. Und angesichts des schmalen Umfangs des Büchleins (153 Seiten) bin ich bereit, es auf den Versuch ankommen zu lassen. 

  • C.J. Cherryh: Das Tor von Ivrel 
Ich hatte schon ein paar Anmerkungen zu diesem Buch schriftlich festgehalten, nachdem ich es im Zuge eines besonders ertragreichen Beutezugs im letzten Oktober in der Büchertelefonzelle in der Osloer Straße entdeckt hatte: Es handelt sich um den ersten Band einer im Grenzbereich von Science Fiction und Fantasy angesiedelten Saga, und mitgenommen habe ich das Buch hauptsächlich deshalb, weil jemand handschriftlich eine Empfehlung auf der letzten Seite hinterlassen hat. Ich bleibe jedoch skeptisch. Schon allein gegenüber einer Autorin, die ihrem stinknormalen Nachnamen ("Cherry"), um ihn geheimnisvoller und Fantasy-mäßiger aussehen zu lassen, einfach einen weiteren Buchstaben hinzufügt, anstatt sich einen "richtigen" Künstlernamen auszudenken. Na, schauen wir mal. Große Chancen auf einen Ranglistenplatz würde ich dem Buch auf den ersten Blick eher nicht einräumen, aber man weiß ja nie. Immerhin habe ich (eher zufällig) festgestellt, dass die Buchstabenfolge "Ivrel" im Wort "intensivreligiös" vorkommt. Nicht dass das irgendwas zu bedeuten hätte, aber ich wollt's mal erwähnt haben... 

  • Mutter Teresa: Komm, sei mein Licht 
In jeder Etappe ist ein Platz für ein "mutmaßlich rechtgläubiges" Buch reserviert, und in der 5. Etappe ist es dieses. "Die geheimen Aufzeichnungen der Heiligen von Kalkutta" heißt es etwas marktschreierisch auf dem Cover; wie "geheim" können die wohl sein, wenn sie in einem im Knaur-Verlag erscheinenden Buch stehen? Natürlich ist es trotzdem nicht unwahrscheinlich, dass die privaten Aufzeichnungen einer der bekanntesten Heiligen des 20. Jahrhunderts eine interessante und in hohem Maße #BenOp-relevante Lektüre abgeben. Etwas gedämpft werden meine Erwartungen dadurch, dass ich bei oberflächlichem Durchblättern den Eindruck hatte, es handle sich in Wirklichkeit eher um eine konventionelle Biographie mit lediglich sporadisch eingestreuten Originaltexten der Heiligen;  das wäre dann schon eine ziemliche Mogelpackung. Ob das Buch realistische Aussichten hat, dem derzeitigen Führungstrio Carretto - Chesterton - Hildebrand Konkurrenz zu machen, erscheint somit erst einmal fraglich, aber ein Platz im Mittelfeld der Rangliste sollte eigentlich erreichbar sein. 

Alles in allem stehen die Chancen wohl gut, dass es in dieser Etappe zwei Neueinstiege in die Rangliste gibt, vielleicht auch drei; mehr wären eine große Überraschung.


2 Kommentare:

  1. "würden wahrscheinlich in Ohnmacht fallen, wenn sie sähen, wie Hildebrand verbal mit Ihresgleichen umspringt."

    Das gleiche könnte für jeden einzelnen Paulusbrief stehen, der u.a. davon sprach, den Übeltäter aus ihrer (den Gemeinden) Mitte zu entfernen. Das wird heute glattgebügelt mit dem Hinweis, Paulus sei ein Kind seiner Zeit gewesen.

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  2. Lhandes "Le Christ dans la Banlieue" ist auf deutsch erhältlich als "Christus in der Bannmeile". Soweit ersichtlich ist es antiquarisch keine Seltenheit und online bereits für wenige Euro zu haben.

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