Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Donnerstag, 17. Januar 2013

Partnere mich! Ein evangelisch.de-Groschenroman

"Liebe auf den ersten Blick änderte alles: Sie wollte ins Kloster, bis sie sich in ihre künftige Frau verliebte."

Diese bemerkenswerten Zeilen kamen mir neulich auf Twitter zu Gesicht - gepostet von einem mir nicht näher bekannten @MarkusBechtold. Zu sehen bekam ich den Tweet nur, weil eine meiner Twitter-Bekannten ihn "retweetet" hatte. Was mich schon mal wunderte. Auf den ersten Blick fand ich, diese Prosaminiatur mute an wie eine Reklame-Schlagzeile für einen Hochglanz-Liebesroman oder dessen TV-Äquivalent, etwa ein Fernsehspiel  aus der ZDF-Reihe "Herzkino". Nur dass es da eher selten (wenn überhaupt je) um gleichgeschlechtliche Liebe geht. Aber sicherlich gibt es entsprechende mediale Angebote auch für diese (hochgradig "werberelevante") Zielgruppe.

Einigen Aufschluss darüber, was für Formate das im Einzelnen sein mochten, versprach der Link, den @MarkusBechtold an seinen Tweet angehängt hatte. Womit ich nun aber wirklich nicht gerechnet hätte, war, dass dieser Link zu einem Artikel auf evangelisch.de führte - verfasst, wer hätte das gedacht, von Markus Bechtold.

Unter der Überschrift "Die Liebe auf den ersten Blick änderte alles" und einem Foto, auf dem jemand ein Stück Buntpapier mit herzförmiger Aussparung in der Mitte gen Himmel hält - Sonnenstrahlen fallen durch das Herz, soweit alles ganz kitschfilmkompatibel -, schildert Herr Bechtold die Geschichte der Mandy W., die "sich für das Leben hinter dicken Mauern entschieden hatte"; das klingt schön mittelalterlich und ruft gängige Klischeevorstellungen über die Trostlosigkeit eines Lebens im Kloster wach, eines Lebens, von dem man gar nicht begreifen kann, wie ein Mensch sich freiwillig dafür entscheiden kann. In früheren Zeiten, so kennt man es jedenfalls aus Romanen und Filmen in historischem Kolorit, wurde man ja gern von erbschleicherischen Verwandten im Kloster "lebendig begraben" - aber heute? Nun, Mandy fühlte sich ganz ohne äußere Beeinflussung dazu berufen, "in ein Schwesternkonvent in Bayern" einzutreten; während viele, zumindest westeuropäische, Leser beim Begriff "Kloster" - sofern im explizit christlichen und nicht etwa, beispielsweise, im buddhistischen Kontext davon die Rede ist - wohl erst einmal an katholische Einrichtungen denken, gilt es zu betonen, dass es Schwesternkonvente auch in der evangelischen Kiche gibt. So zum Beispiel den "Evangelischen Schwesternkonvent Lumen Christi", der tatsächlich in Bayern ansässig ist und dessen Mitglieder eben jenes Habit tragen, von dem im Artikel die Rede ist: blaues Ordensgewand und weiße Haube. Ob das Leben in dieser Kommunität als "Leben hinter dicken Mauern" richtig beschrieben ist, kann man durchaus in Zweifel ziehen; aber letzten Endes ist das wohl gar nicht so entscheidend.

Mandy W. jedenfalls war entschlossen, in einen solchen Konvent - sei es der genannte oder ein ähnlicher - einzutreten; "Ein letztes seelsorgerisches Gespräch im Sommer 2003 zementierte und segnete meinen Entschluss", berichtet sie. Aber nur einen Tag darauf wurde dieser Entschluss ganz plötzlich umgestoßen - und das ausgerechnet "auf dem Christopher Street Day in Mannheim", wo Mandy als Hauskreisleiterin mit ihrer Gruppe Flyer für ein ökumenisches Projekt namens "christlich sicher geborgen" verteilte:
"Dann sah ich sie! Eine junge Frau. Das war Liebe auf den ersten Blick. [...] Wie in einen Wattebausch eingehüllt, fühlte ich mich getragen, geborgen und nach außen hin geschützt. Das Drumherum war nicht mehr existent. Mein Fokus lag auf ihr. Rundum hätte sonst was passieren können, das hätte ich gar nicht mitbekommen. [...]
Dieser eine Blick schlug bei mir ein. Alle Pläne für den Tag waren vergessen, nichts anderes mehr wichtig. Bis in die Morgenstunden waren wir auf einer Party und redeten. Da war Seelenverwandtschaft, ein großes Verstehen. Plötzlich war sie verschwunden, weg. Und wir hatten doch nicht einmal Telefonnummern ausgetauscht. Ich wusste nur, wie sie mit Vornamen hieß [...].
Auf der Parade am nächsten Tag sah es aus, als würde ich eine Rasterfandung machen. Ich stand auf einer Erhöhung am Straßenrand und versuchte, sie wieder zu finden. [...]. 50 Euro hatte ich noch einstecken. Mit dem Geld in der Hand wollte ich schon zu dem Moderator auf die Bühne gehen und die Frau ausrufen lassen. Es kam anders: Auf dem Weg nach vorne hat sie mich gefunden. An dem Tag hat sie meine Hand genommen und von da an nicht wieder losgelassen."
Während des Lesens musste ich immer mal wieder zum Kopf der Website hinaufschielen, um mich zu vergewissern, dass ich mich tatsächlich bei evangelisch.de befand und nicht auf der Online-Präsenz einer Frauenzeitschrift. Es ist ja durchaus nicht so, dass ich Mandy W. und ihrer Partnerin ihr Liebesglück nicht gönne. Ich räume auch ein, dass wohl nur eher wenige Menschen für eine klösterliche Lebensweise geschaffen sind und dass Mandy W. mit ihrer rückblickenden Einschätzung, ihr Entschluss zu einem solchen Leben sei ein Irrtum gewesen, somit durchaus Recht haben mag. Warum aber, so fragte ich mich, fühlt sich evangelisch.de berufen, diesen für das Auge Außenstehender doch recht verkitscht daherkommenden Erlebnisbericht mit seinen Lesern zu teilen?

Je nun: Mandy W. ist überzeugt, dass ihre Begegnung mit der Frau, die ihre große Liebe werden sollte, ein Ergebnis göttlicher Fügung war. Sie ist umso überzeugter davon, als diese Begegnung sich just dann ereignete, als sie ihren Entschluss, ins "Kloster" zu gehen, gerade "zementiert" hatte: Es war für sie, so sagt sie, "eine Expressantwort von Gott", der ihr damit sagen wollte: "Ich kann mir Dich nicht in blauer Ordenstracht und weißer Haube vorstellen. Ich habe da einen Menschen vorgesehen und hier ist er!" Well, well. Über ihre frühere Überzeugung, der für sie vorgesehene Lebensweg führe in den Schwesternkonvent, ist sie rückblickend, wie sie sagt, "nicht sicher, ob dieser Ruf, den [sie] damals als solchen empfunden hatte, wirklich einer war oder ob [sie sich] alles nicht vielmehr wünschte"; bezüglich ihrer dann ganz anders ausgefallenen Lebensweg-Entscheidung stellt sie sich diese Frage nicht. 'Dieses Kribbeln im Bauch', das einst Pe Werner besang, wird zweifelsfrei als Stimme Gottes identifiziert. Zumindest dem katholischen Leser wird da leicht dornenvögelhaft zu Mute. Sich in seinem Lebensweg unmittelbar von Gott geführt zu fühlen, ist schön und beneidenswert; aus der Außenperspektive drängt sich aber doch die Frage auf, ob da nicht, wie in Fausts Antwort auf die 'Gretchenfrage', "Gefühl [...] alles" ist. Nichtgläubigen bzw. "glaubensskeptischen" Menschen (letztere Bezeichnung verwende ich mal ganz ad hoc) wird es da leicht fallen, zu unterstellen, da verabsolutiere jemand seine eigenen Wünsche und Neigungen, indem er (bzw. sie) ein 'Bauchgefühl' mit der 'Stimme Gottes' identifiziere. Hat diese Stimme früher einmal etwas Anderes, Gegenteiliges gesagt, dann war das eben nicht die Stimme Gottes, sondern ein Irrtum. Dass es auch umgekehrt sein könnte, wird nicht erwogen.

Nun liegt es auf der Hand, dass die Vorstellung, Gott greife persönlich ein, um eine gläubige und kirchlich engagierte Frau vom Eintritt in einen Schwesternkonvent abzuhalten und sie stattdessen in eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft zu führen, besonders aus katholischer Sicht befremdlich wirkt. Evangelischerseits sieht das tendenziell etwas anders aus - was sich schon daran zeigt, dass Mandy W. und ihre Lebensgefährtin "[s]eit acht Jahren [...] mit dem Segen der Kirche verpartnert" sind. Unumstritten ist die Praxis der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften allerdings auch in den evangelischen Kirchen nicht; insofern kommt dem hier behandelten evangelisch.de-Artikel auch, ob beabsichtigt oder nicht, eine gewisse kirchenpolitische Brisanz zu. Es fällt nicht schwer, aus der Geschichte der Mandy W. die Botschaft herauszulesen: Wenn Gott selbst so sichtbar eingreift, um zwei Frauen zueinander zu führen, wie könnte die Kirche diese Verbindung nicht segnen? Was Gott zusammengeführt hat, soll der Mensch nicht trennen (Mk 10,9)! Dass nicht alle Leser dieser Sichtweise zustimmen werden, hat die evangelisch.de-Redaktion offenkundig vorausgesehen; unter dem Artikel liest man:

"Liebe Leserinnen und Leser, die Kommentarfunktion unter diesem Artikel ist ausgeschaltet."

(Unter diesem hier übrigens NICHT...!)

1 Kommentar:

  1. >> da verabsolutiere jemand seine eigenen Wünsche und Neigungen, indem er (bzw. sie) ein 'Bauchgefühl' mit der 'Stimme Gottes' identifiziere. Hat diese Stimme früher einmal etwas Anderes, Gegenteiliges gesagt, dann war das eben nicht die Stimme Gottes, sondern ein Irrtum.<< So hatte ich diese "Schnulze" auch empfunden. Ein weiterer Grund, warum ich über die katholische Praxis der geistlichen Begleitung und der Unterscheidung der Geister sehr froh bin.

    AntwortenLöschen