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Samstag, 14. Juni 2025

Die 3 K der Woche (29): Kinder, Kirche, Knockout

Eins vorweg, Freunde: Wie ihr an der Tatsache ablesen könnt, dass dieses Wochenbriefing überhaupt erscheint, lebe ich noch und habe meine Hernien-OP so einigermaßen überstanden; Näheres dazu weiter unten. Im Übrigen bin ich in der zurückliegenden Woche ein Jahr älter geworden, wir sind vom roten zum grünen Stundenbuch gewechselt (d.h. die Zeit im Jahreskreis hat wieder begonnen), und auch wenn ich bis auf Weiteres ein bisschen mobilitätseingeschränkt und in meinem allgemeinen Tatendrang gebremst bin, gibt es doch wieder allerlei zu berichten. Seht selbst! 

Pedro de Campagna (1503-ca. 1580), Pfingsten. Ausgestellt im Kathedralmuseum in Burgos, eigene Aufnahme von 2016

Komm, Heiliger Geist! 

Pfingsten, das Hochfest der Ausgießung des Heiligen Geistes, feierten wir in St. Joseph Siemensstadt; ermöglicht wurde das dadurch, dass der Ort und die Anfangszeit der Kindergeburtstagsfeier, zu der unsere Kinder (beide!) eingeladen waren, kurzfristig geändert worden war, andernfalls hätten wir wohl am Abend zuvor in eine Vorabendmesse gehen müssen. Das Schöne daran, dass wir an der Messe am Sonntagvormittag teilnehmen konnten, war, dass zwei Jugendliche aus dem aktuellen Firmkurs getauft wurden und zwei weitere zur katholischen Kirche konvertierten – ein freudiger Anlass, der sich in einer besonders feierlichen Gestaltung der Messe niederschlug. Man kann den Sachverhalt von zwei Seiten betrachten – man kann sagen, die Taufe wurde dadurch besonders feierlich, dass sie an Pfingsten stattfand, oder aber, die Pfingstmesse wurde dadurch besonders feierlich, dass in ihr eine Taufe (bzw. eben zwei Taufen) stattfand(en); aber wie man's auch drehen will, es war jedenfalls eine sehr schöne Messe. 

"Pfingsten bedeutet, dass Gott die Kirche aus allen Völkern zusammenfügt", betonte der Pfarrvikar schon in seinen Begrüßungsworten. "Es gibt keine Barrieren der Welt mehr zwischen den Menschen, sondern der Heilige Geist ist immer der, der eint und verbindet." In der Predigt führte er aus: "Die Kirche ist nicht eine Struktur, sondern ein lebendiges Wesen. Dieses Wesen hat einen Kopf, das ist Christus, der den Leib liebt. Das heißt: Wir sind der Leib, wir sind von Christus geliebt, ganz." Und weiter: 

"Wir haben die Apostelgeschichte gehört: Die Jünger haben zwar den Herrn gesehen – auferstanden –, haben mit ihm gegessen; das muss ein reales Ereignis gewesen sein, denn sonst wären sie nie auf die Idee gekommen. [...] Aber trotzdem sperren sie sich im Abendmahlssaal ein. Das heißt, sie haben noch Angst: Angst vor dem Leben, Angst zu sterben. Und sie begegnen Christus, der zu ihnen kommt, und der Heilige Geist holt sie heraus aus einem Leben, wo sie voller Fragen sind."

Direkt an die vier Jugendlichen gewandt, die durch Taufe bzw. Konversion in die Kirche aufgenommen wurden, fügte er hinzu: 

"Ihr seid in einem Alter, wo es viele Fragen gibt im Leben. Wo ist der Platz in meinem Leben, wo gehöre ich hin, was passiert in meinem Leben. Vielleicht auch manche Ungewissheiten, manche Ängste. Das Christentum ist nicht eine Droge – das heißt, der Heilige Geist nimmt dir die Schwierigkeiten nicht weg. [...] Aber Er macht das Herz weit, Er schenkt dir Mut und Vertrauen. [...] Auch die Jünger sind genauso danach verfolgt worden. Aber Er gibt ihnen eine Freude, eine Freiheit und eine Kraft zu leben, und das ist ein Riesengeschenk. Damit wird das Unmögliche möglich. Petrus wird ins Gefängnis gesperrt, hat kein Problem, singt Loblieder, wird befreit von einem Engel und so weiter. Das heißt, ihr werdet die Gegenwart Gottes entdecken, und, wie gesagt, der Heilige Geist macht immer das Leben weit. Er ist immer großzügig, Er ist immer voller Zärtlichkeit für uns. Der Heilige Geist kommt im Sturm und im Feuer; [...] das Feuer hat eine Kraft zu zerstören, ja, das Feuer verbrennt in uns, der Heilige Geist verbrennt in uns den Egoismus, aber Er macht das mit einer sehr großen Zärtlichkeit." 

Ich muss sagen, ich freue mich für die vier Jugendlichen, dass ihnen anlässlich ihrer Aufnahme in die katholische Kirche diese Worte mit auf den Weg gegeben worden sind – anstatt dass sie etwa an einen Priester geraten wären, der ihnen nahelegt, sie sollten das alles™️ nicht so ernst nehmen. Und ja, solche Priester gibt es. 

Taufe Jesu, Buntglasfenster in der Kirche Santa María de la Asunción in Navarrete. Eigene Aufnahme von 2016.

Unerwartete Vakanz in Eichstätt 

Eine Nachricht, die mich am Pfingstsonntag recht unvorbereitet getroffen hat, lautet, dass es neben meinem allerzweitliebsten Bistum Münster nun noch eine zweite vakante Diözese in Deutschland gibt: Gregor Maria Hanke OSB, seit 2006 Bischof von Eichstätt, ist von diesem Amt zurückgetreten und will fortan wieder einfacher Seelsorger sein. Eingereicht hat er sein Rücktrittsgesuch noch bei Papst Franziskus, der es, wie die Diözese Eichstätt nun bekannt gegeben hat, noch kurz vor Ostern "nunc pro tunc", d.h. mit Wirkung zu einem später festzulegenden Termin, angenommen habe. Bischof Hanke wird in wenigen Wochen 71 Jahre alt, hätte also bis zu einem Rücktritt aus Altersgründen noch gut vier Jahre Zeit gehabt. Zu seinem vorzeitigen Rückzug gibt er an, dieser habe "eine längere Vorgeschichte" gehabt, die "von einem geistlichen Ringen begleitet" gewesen sei; er verweist auf "Herausforderungen und Krisen seiner Amtszeit", wozu neben Konflikten um die Leitung der Universität Eichstätt-Ingolstadt – der einzigen katholischen Universität Deutschlands – und einem Finanzskandal im Jahr 2018 vor allem die Konfrontation mit Missbrauchsfällen gehört habe. 

Derweil hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing (Limburg), seinem zurückgetretenen Amtsbruder eine Würdigung nachgerufen, die für mein Empfinden so jovial-herablassend klingt, als gelte es, einen langjährigen verdienten Mitarbeiter mit einem Blumenstrauß und einer goldenen Uhr zu verabschieden. Es muss an dieser Stelle noch einmal daran erinnert werden, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz mitneffen bzw. –nichten der Vorgesetzte der anderen deutschen Bischöfe ist; insbesondere bei Bischof Bätzing erscheint es manchmal fraglich, ob ihm das bewusst ist. – Als eine ziemliche Unverfrorenheit darf man wohl die folgende Passage seines Schreibens bezeichnen: 

"Bei allen Spannungen, die Du ja auch kürzlich wieder einmal benannt hast, möchte ich Dir für Dein Mitgehen auf dem Synodalen Weg der Kirche in Deutschland danken. Ich weiß, dass Du Dich damit zunehmend schwergetan hast, aber Deine aktive Präsenz bei den Synodalversammlungen möchte ich an dieser Stelle eigens benennen." 

Bei den "Spannungen", auf die Bätzing hier anspielt, handelt es sich darum, dass Bischof Hanke zu den entschiedensten und konsequentesten Kritikern des Synodalen Weges im deutschen Episkopat gehört hat. Bei der fünften und letzten Synodalversammlung am 9.-10.03.2023 in Frankfurt am Main stimmte er gegen den Grundtext "Priesterliche Existenz heute", den Handlungstext zum Zölibat, den Handlungstext "Frauen in sakramentalen Ämtern" und den Handlungstext "Segensfeiern für Paare, die sich lieben"; beim Handlungstext "Verkündigung des Evangeliums durch Lai*innen in Wort und Sakrament" enthielt er sich, an der Abstimmung zum Handlungstext "Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt" nahm er nicht teil. Und was Bätzings süffisante Formulierung "kürzlich wieder einmal" angeht, so bezieht sich diese offenkundig darauf, dass Bischof Hanke unlängst gemeinsam mit Kardinal Woelki und den Bischöfen von Regensburg und Passau, Voderholzer und Oster, erklärt hat, sich am Synodalen Ausschuss und auch an einem zukünftigen Synodalen Rat nicht beteiligen zu wollen. Angesichts dieser klaren Haltung muss man sich schon fragen, was Kollege Bätzing eigentlich mit dem Versuch bezweckt, seinen scheidenden Amtsbruder noch in seiner Abschieds-Würdigung für das Anliegen des Synodalen Weges zu vereinnahmen; aber wahrscheinlich ist das dieselbe Art von Realitätsverlust, mit der er päpstliche Einsprüche gegen den Synodalen Weg stets als Ausdruck von Zuspruch und Ermutigung zu verkaufen versucht hat

Was die Modalitäten der Neubesetzung der beiden derzeit vakanten bischöflichen Stühle in Deutschland betrifft, gibt es übrigens einen bemerkenswerten Unterschied zwischen Münster und Eichstätt: In Münster gilt das Preußenkonkordat von 1929, demnach hat das Domkapitel das Recht, aus einer ihm vom Papst vorgelegten Liste von drei Kandidaten den neuen Bischof zu wählen. Bei der Ernennung eines neuen Bischofs von Eichstätt hat der Papst hingegen laut dem bayerischen Konkordat von 1924 völlig freie Hand, das Domkapitel macht lediglich Vorschläge, die der Papst "würdigen" soll, an die er aber nicht gebunden ist. Man darf gespannt sein, wie Papst Leo die Gelegenheit nutzen wird, die Karten im deutschen Episkopat neu zu mischen. 


When I'm 49 

Wie letzte Woche schon angekündigt, hatte ich am Pfingstmontag Geburtstag. Mir scheint – überprüft habe ich es allerdings nicht –, es kommt so ungefähr alle drei bis vier Jahre vor, dass mein Geburtstag so ungefähr um Pfingsten herum liegt, auch meine Geburt fiel in die Pfingstoktav, die damals allerdings offiziell schon abgeschafft war. – In der Theorie ist es ja durchaus ganz schön, an einem Feiertag Geburtstag zu haben, niemand muss zur Arbeit oder zur Schule und es kommen einem keine lästigen Termine in die Quere; andererseits ist der Pfingstmontag typischerweise so ein Tag, an dem man nicht viel Besonderes unternehmen kann, weil alles zu hat. Zudem waren die Kinder schon morgens in ziemlich krawalliger Stimmung und deutlich weniger darauf aus, ihrem Herrn Papa einen schönen Tag zu bereiten, als ich mir das gewünscht haben würde; und ich selbst war angesichts meiner bevorstehenden Bauchfell-OP unterschwellig wohl doch angespannter, als ich es mir eingestehen mochte, und daher auch nicht so recht in Feierlaune. – Als eine gute Idee erwies es sich allerdings, im All Seasons, einem chinesischen Restaurant in Spandau, das wir bisher nur vom Hörensagen gekannt hatten, zum Wochenend-Büffet zu gehen: Neben einer breiten Auswahl an wirklich leckerem Essen gab es dort auch einen Indoor-Spielplatz und ein Kinderkino. Außerdem sang mir ein Servierroboter mit Katzengesicht ("BellaBot") ein Geburtstagsständchen und brachte mir ein Geschenk: ein Essstäbchen-Set in einer schön gestalteten Holzkiste (und dazu einen Glückskeks). Die Kinder waren natürlich begeistert von dem Servierroboter, und ich fand das mit dem Geburtstagsständchen schon auch süß. 

Und über das Geschenk auf Kosten des Hauses habe ich mich durchaus auch gefreut.

Meine Liebste, deren Geburtstag ebenfalls nicht mehr fern ist, hat jedenfalls beschlossen, am selben Ort feiern zu wollen – dann in etwas größerer Runde. Und ich bin mal gespannt, ob meine Kinder mir nächstes Jahr – also zum 50.! – ein Bild malen, einen Blumenstrauß pflücken und/oder ein Lied singen... 


Neues von der KiTa-Eingewöhnung 

Am Dienstag war in Berlin und Brandenburg schulfrei, daher hatten sowohl meine Liebste als auch das Tochterkind frei; ich ging derweil aber wieder mit dem Jüngsten zur KiTa-Eingewöhnung, um die sich gerade erst etablierende Routine nicht länger als nötig zu unterbrechen. Diesmal brachte ich ihn nur hin und holte ihn nach einer Stunde wieder ab, und eigentlich wäre er sogar lieber noch länger geblieben. Am Mittwoch nahm der Jüngste dann erstmals am Morgenkreis und am gemeinsamen Frühstück in der KiTa teil und war dadurch insgesamt fast zwei Stunden dort, am Donnerstag, als meine Liebste ihn hinbrachte umd wieder abholte, während ich bei meinem OP-Termin war, waren es schon fast drei Stunden, und am Freitag blieb er erstmals zum Mittagessen dort. Die Eingewöhnung macht also rapide Fortschritte, unser Sohn hat schon Freunde gefunden, und ein Highlight der Woche war, dass am Donnerstag der Großvater eines der Kinder in die KiTa kam, um einen interaktiven Vortrag über Imkerei zu halten. 

Insgesamt muss man allerdings feststellen: Obwohl der Knabe auf eigenen Wunsch in die KiTa geht, obwohl alles prima läuft und er sich jeden Tag schon wieder auf den nächsten freut, ist ihm doch anzumerken, dass die KiTa-Eingewöhnung für ihn mit psychischem und emotionalem Stress verbunden ist. Die KiTa-Mitarbeiter loben ihn in den höchsten Tönen, aber man tut gut daran, nicht zu verkennen, dass es für ein Kind auch Arbeit ist, neue Tagesabläufe und Regeln zu erlernen und sich in eine Gruppe zu integrieren. Und wenn der KiTa-Tag dann für ihn vorbei ist, will der Knabe eben auch seinen Feierabend haben. Dann sollen bitte alle mal Rücksicht auf seine Bedürfnisse nehmen, und zu diesen Bedürfnissen kann es eben auch gehören, Emotionen rauszulassen, für die in der KiTa kein Platz war. Die kriegen dann vor allem seine Mami und/oder seine große Schwester ab, ich tendenziell weniger, was ich mir aber nicht unbedingt als Verdienst anrechne. – Ich will damit nicht sagen, dass das gegen die KiTa spricht, denn wie gesagt, er geht ja gern hin; aber es ist eben etwas, worauf man sich als Familie einstellen muss. Insofern ist die KiTa-Eingewöhnung durchaus eine Aufgabe und Herausforderung für die ganze Familie und nicht nur für das angehende KiTa-Kind selbst. 


Was ich noch zum Elterncafé beim JAM sagen wollte 

Am Mittwoch war wieder JAM, und da gingen wir wieder alle vier hin; der Jüngste schlief allerdings auf dem Weg dorthin ein und verschlief die freie Spielzeit, und als er dann wieder aufwachte, bestand er darauf, dass seine Mami mit ihm zum Programm für die Vorschulkinder ("Minis") ging. Ich blieb derweil mit unserer Großen beim Programm für die 6-12Jährigen ("Kids"), wo es, wie schon letzte Woche, um Samuel und König Saul ging. Am Elterncafé nahm somit diesmal niemand von uns teil – was mich allerdings nicht davon abhalten soll, mal etwas Grundsätzliches zu diesem Teil des JAM-Programms zu sagen, denn das hatte ich ja eigentlich sowieso schon länger vor

Bekanntlich bin ich früher™️, also so ungefähr bis Anfang des laufenden Kalenderjahres, selten bis nie zum Elterncafé gegangen und versuche dies auch weiterhin nach Möglichkeit zu vermeiden; allerdings habe ich, nachdem ich jetzt mehr oder weniger notgedrungen doch öfter mal da war, festgestellt, dass es in der Regel deutlich anders abläuft, als ich es mir früher™️ vorgestellt habe. Das Ironische daran ist, ich glaube, es würde mir tendenziell besser gefallen, wenn es ein bisschen mehr so wäre, wie ich es mir vorgestellt habe, als ich noch nicht hinging. – Nämlich wie? Nun, ich schätze, ich fände es besser, wenn das Elterncafé stärker darauf ausgerichtet wäre, dass die Teilnehmer miteinander ins Gespräch kommen, sich kennenlernen, Erfahrungen austauschen, persönliche Anliegen zur Sprache bringen. Tatsächlich wird solchen offenen Formen sozialer Interaktion mal mehr, mal weniger Raum gegeben, aber oft habe ich den Eindruck, die Leiterinnen des Elterncafés sind eher bestrebt, sie einzudämmen, als sie etwa zu fördern. Ich bin mir nicht ganz sicher, warum sie das tun; ich gehe aber auch nicht zwingend davon aus, dass mehr dahintersteckt als ein gewisser Mangel an Leitungskompetenz – oder sagen wir: an Souveränität –, der sich darin äußert, dass man sich an sein vorbereitetes Konzept klammert und jede Abweichung davon als Störung und Kontrollverlust empfindet.

Ich könnte mir auch vorstellen – aber da bewege ich mich nun wirklich auf dünnem Eis –, dass diese mangelnde Souveränität in der Gesprächsleitung auch eine inhaltliche Seite hat, die mit einem typisch evangelikalen Glaubensverständnis zu tun hat. Damit meine ich, dass ein sehr starker Fokus auf Glaubenswissen gelegt wird und dieses wiederum als praktisch gleichbedeutend mit Bibelkenntnis betrachtet wird. Die als unanfechtbar vorausgesetzte Grundannahme, dass die Bibel unter allen Umständen Recht habe, führt – so jedenfalls meine Wahrnehmung – zu einer Scheu, etwas Falsches zu sagen, wie ich sie aus Glaubensgesprächskreisen im großkirchlichen Kontext in dieser Ausprägung eher nicht kenne. Im Zweifel bringt man dann eben eher ein Bibelzitat, statt einen eigenen Gedanken zu formulieren. 

Dass vor einigen Wochen damit begonnen wurde, beim JAM-Elterncafé – allerdings im Wechsel mit anderen thematischen Einheiten – das Markusevangelium in einer speziellen Studienausgabe "für Anfänger" durchzuarbeiten, finde ich tendenziell besser, als wenn ein Thema wie z.B. "Christsein und Politik" oder "Christliche Kindererziehung" angekündigt wird und einem dazu dann im Wesentlichen nur ein Potpourri kontextfreier Bibelverse aufgetischt wird; ironischerweise zeigen sich allerdings gerade bei dieser tendenziell systematischeren Form der Bibelarbeit gewisse Unzulänglichkeiten im radikal evangelikalen Verständnis des Prinzips "sola scriptura". Vor ein paar Wochen zum Beispiel referierte eine der Elterncafé-Leiterinnen über den Verfasser des Markusevangeliums: Bei diesem handle es sich um den in der Apostelgeschichte und in einigen Briefen des Neuen Testaments erwähnten Johannes Markus, und was er in seinem Evangelium über das Leben und Wirken Jesu mitteile, wisse er aus Erzählungen des Petrus. Interessanterweise kam niemand auf die Idee, sie zu fragen, woher sie das denn wisse; in der Bibel selbst steht das schließlich nicht, da stößt das Prinzip "sola scriptura" also offenkundig an seine Grenzen. Okay, stellen wir uns mal nicht dümmer als nötig und sagen, diese Informationen über die Identität des Verfassers des Markusevangeliums stammen aus der apostolischen Tradition; präziser gesagt gehen sie auf die fragmentarisch überlieferten "Fünf Bücher der Darstellung der Herrnworte" des Apostelschülers Papias von Hierapolis zurück. Ich finde ja, das legt die Frage nahe, nach was für Kriterien evangelikale Christen eigentlich entscheiden, wann es legitim ist, sich auf die apostolische Tradition zu berufen, und wann nicht

Aber auch sonst drängt sich mir immer wieder der Eindruck auf, dass die Evangelikalen durchaus nicht so voraussetzungslos an den Bibeltext herangehen, wie sie es dem Anspruch nach eigentlich "müssten"; dass da vielmehr eine Reihe von Grundannahmen im Spiel sind, die sie eben nicht aus dem Wortlaut der Bibel entnommen haben, sondern umgekehrt in diesen hineinlesen. Ich möchte betonen, dass das an und für sich nichts ist, was ich ihnen zum Vorwurf machen würde: Tatsächlich bezweifle ich, dass eine völlig voraussetzungslose Bibellektüre überhaupt möglich, geschweige denn theologisch sinnvoll wäre. Das Problem bei den Evangelikalen ist, dass ihre Auffassung von "sola scriptura" sie daran hindert, sich diese impliziten Voraussetzungen ihres Glaubensverständnisses einzugestehen und darüber zu reflektieren. Hinzu kommt, dass das unterschiedliche Maß an Bibelkenntnis unter den Teilnehmern zu einer Art informellem Autoritätsgefälle führt, das sich darin äußert, dass die, die sich "nicht so gut auskennen", sich kaum trauen, etwas beizutragen. 

Diese kritischen Anmerkungen meine ich den Leiterinnen des Elterncafés gegenüber wohlgemerkt "nicht böse": Ich zweifle durchaus nicht an ihrem guten Willen und mag sie überwiegend auch persönlich recht gern. Gleichwohl halte ich es für sinnvoll, meine Beobachtungen und meine Kritik hier festzuhalten, denn ich glaube, dass man daraus etwas für Aktivitäten im Bereich der Evangelisierung und der Erwachsenenkatechese lernen kann. Zum Beispiel, dass man zunächst bemüht sein sollte, die Hürden für "Neulinge", sich zu beteiligen – ihre Fragen, aber auch ihre eigenen Ideen, Anliegen und Erfahrungen einzubringen, ohne befürchten zu müssen, etwas "Falsches" zu sagen –, möglichst niedrig zu halten. Und dann natürlich, dass es "erst einmal" – also sozusagen auf dem Einsteiger-Level – nicht vorrangig um Wissensvermittlung gehen sollte, und also auch nicht darum, auf jede Frage unbedingt eine fertige Antwort zu haben. 

Es ist daher wohl nur folgerichtig, dass der Teil des JAM-Elterncafés, den ich am wertvollsten finde und bei dem ich dann doch hin und wieder ganz gern dabei bin, das Sammeln von Gebetsanliegen und das gemeinsame Beten für diese ist. Da öffnen sich die Leute, da erfährt man etwas darüber, wie ihnen ums Herz ist, und wenn reihum ein Teilnehmer für das Anliegen eines anderen betet, stärkt das die Gemeinschaft untereinander und vor Gott. Aber für diese "Gebetsanliegen-Runde" wird günstigstenfalls eine Viertelstunde am Ende der Veranstaltung freigehalten, oft weniger, manchmal bleibt überhaupt keine Zeit dafür. Ich persönlich hätte ja lieber mehr davon – und glaube, dass auch die anderen Teilnehmer, einige von ihnen jedenfalls, davon profitieren könnten, wenn dieser Anteil ausgebaut würde. – Wenn ich es mir recht überlege, drängt sich mir übrigens selbst der Eindruck auf, diese Ausführungen legen es nahe, dass ich doch öfter zum JAM-Elterncafé gehen sollte; zum einen, weil ich Manches daran eben doch gut finde, zum anderen aber eben auch, weil das, was ich daran nicht gut finde, in gewissem Sinne ziemlich lehrreich ist... Na, ich werde es erwägen. 


Nach der Narkose 

Zu der Operation, der ich mich am vergangenen Donnerstag unterziehen musste, möchte ich zu Protokoll geben, dass der Eingriff als solcher mir erheblich weniger Sorgen bereitet hat als die Tatsache, dass er unter Vollnarkose durchgeführt werden musste. Und auch darüber hätte ich mir wahrscheinlich weniger Sorgen gemacht, wenn ich mehr Erfahrung damit hätte. Aber ich bin tatsächlich 49 Jahre alt geworden, ohne ein einziges Mal unter Vollnarkose operiert zu werden – wobei, ich glaube, ganz so stimmt das nicht: Da war mal was mit Nasenpolypen, da muss ich so ungefähr fünf Jahre alt gewesen sein; ich erinnere mich, dass ich damals zur Betäubung einen Lappen mit einer scharf riechenden Flüssigkeit aufs Gesicht gelegt bekam, und dann war mir, als würde ein blau-rot gestreifter Vorhang vor meinen Augen zugezogen, und ich war weg. Als ich wieder aufwachte, schlug ich erst mal mit meinen kleinen Fäusten auf den Arzt ein. Meiner Mutter war das peinlich, aber der Arzt lachte. 

Nun, am vergangenen Donnerstag lief das Ganze ein bisschen anders ab. Ich erschien früh morgens in der Praxis, hatte noch ein vertrauensbildendes Gespräch mit dem Narkosearzt, ehe ich auf dem OP-Tisch platz nehmen durfte und eine Kanüle in den Handrücken und eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht bekam. Man riet mir, ich solle beim Einschlafen "an etwas Schönes denken", also dachte ich an meine Kinder. Kurz vor dem Aufwachen träumte ich hingegen von König Franz II. von Neapel, was vermutlich meiner Retcliffe-Lektüre zu verdanken war (mehr dazu in der nächsten Folge der Saga um die eingekerkerte Nonne; sie kommt bald!). Aus der Narkose aufzuwachen, fühlte sich nicht wesentlich anders an, als aus einem normalen Schlaf aufzuwachen, außer dass ich mich zunächst noch etwas benommen fühlte und etwas länger keine Lust hatte, aufzustehen. Musste ich aber ja auch nicht. 

Erkennt jemand von meinen Lesern diese Straßenkreuzung? 

Ich kann übrigens zu Protokoll geben, dass meine Angst vor irgendwelchen (prinzipiell möglichen, aber statistisch unwahrscheinlichen) Komplikationen, die unter der Narkose hätten auftreten können, unmittelbar vor dem Termin eher ab- als zunahm. Ich denke schon, dass das etwas damit zu tun hatte, dass ich auf dem Weg zum Termin Rosenkranz gebetet habe; davon abgesehen hatte es aber wohl auch mit einem Phänomen zu tun, das man "normalcy bias" nennt (den Begriff habe ich erst vor Kurzem gelernt): Der Mensch neigt in allen Lebenslagen zu der Annahme, dass die Welt und das Leben im Großen und Ganzen morgen noch genauso sein werden wie gestern und heute. Und zwar unabhängig davon, was alles möglicherweise gegen die Annahme spricht. Simpelstes Beispiel: Man kann nie ganz sicher sein, dass man nicht über Nacht stirbt, stellt sich aber trotzdem einen Wecker, um am nächsten Morgen pünktlich zur Arbeit zu kommen. Ich würde sagen, das ist eine durchaus gesunde Einstellung: Sich ständig Gedanken darüber zu machen, dass das Leben, wie man es kennt, plötzlich vorbei sein könnte, wäre einfach zu belastend. Dass plötzlich kein Strom mehr aus der Steckdose oder kein Wasser mehr aus dem Wasserhahn kommt, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr fahren und es im Supermarkt keine Lebensmittel mehr zu kaufen gibt, das sind alles Dinge, die passieren können, aber in der Regel verlassen wir uns darauf, dass das (uns) nicht passiert. Selbst die "Lockdowns" in der Corona-Zeit haben diese Grundhaltung nicht nachhaltig erschüttern können: Diese stellten zwar durchaus einen stärkeren Einschnitt in die "gefühlte Normalität" dar, als die meisten Menschen hierzulande es bisher erlebt hatten oder zu erleben erwartet hätten, aber ich würde behaupten, im Großen und Ganzen blieb doch noch ein relativ großes Maß an Normalität intakt

Man könnte, wenn man denn wollte, diese "normalcy bias" als eine Art "säkularisiertes Gottvertrauen" auffassen, aber ich würde sagen, es gibt dabei auch eine Schattenseite: nämlich die Tendenz bzw. Gefahr, Dinge als selbstverständlich hinzunehmen, die das in Wirklichkeit ganz und gar nicht sind – was man durchaus als einen Mangel an Dankbarkeit betrachten kann. Ich jedenfalls habe es mir in den letzten Wochen zur Gewohnheit gemacht, Gott jeden Tag dafür zu danken, dass ich noch am Leben bin und meine Kinder aufwachsen sehen kann; und jetzt, nach der so unproblematisch verlaufenen Operation, merke ich schon, dass ich aufpassen muss, mir das nicht wieder abzugewöhnen


Geistlicher Impuls der Woche 

Ich bin niemals irgendwo gewesen außer krank. In gewissem Sinne ist Krankheit tatsächlich ein Ort, lehrreicher als eine lange Reise durch Europa, und sie ist stets ein Ort, an den einem niemand folgen kann. Krankheit vor dem Tod ist etwas sehr Angemessenes, und ich glaube, wer das nicht hat, dem entgeht eine Gnade Gottes. 

(Flannery O'Connor, Brief an Betty Hester, 1956; eigene Übersetzung) 

– Dieses Briefzitat habe ich auf meinem Blog schon einmal gebracht, vor gut neun Jahren (und somit noch in der "Vor-Punkpastoral-Ära" dieses Blogs) in einem Artikel, in dem es ohne konkreten persönlichen Anlass um die spirituelle Dimension des Krankseins ging. Diesen Artikel habe ich nun aus aktuellem Anlass selbst mal wieder nachgelesen und kann ihn als Ergänzung dazu, was ich oben im Abschnitt "Nach der Narkose" geschrieben habe, durchaus empfehlen – auf diese Weise muss ich das, was ich da schon geschrieben habe, hier nämlich nicht unbedingt wiederholen... 


Ohrwurm der Woche 

Sara Lorenz: Neu geboren 

Als ich vor mittlerweile sechs Jahren erstmals eine Pfingstnovene mit Lobpreismusik zusammenstellte, wählte ich diesen Song für den letzten Tag aus; ich fand es irgendwie passend zur Ausgießung des Heiligen Geistes – besonders den Text der zweiten Strophe –, und deshalb behielt ich es auch in späteren Versionen "meiner" Pfingstnovene an derselben Stelle bei. Und ehrlich gesagt: Zu dem Gefühl, eine Operation (auch wenn sie an und für sich harmlos war) gut überstanden zu haben, passt der Text auch ganz gut... 


Vorschau/Ausblick 

Ein eindeutiger Nachteil der Tatsache, dass ich kürzlich operiert wurde und mich davon erst mal erholen muss, ist, dass ich dadurch das Emergent Berlin Festival verpasse, das seit gestern (und noch bis morgen Abend) im Baumhaus, im Panke-Club, dem Studio Blink Blink, der Druckbar und dem Himmelbeet stattfindet. Hatte ja gehofft, es würde vielleicht einen Livestream geben, habe jedoch trotz intensiver Suche nur Videoschnipsel aus früheren Jahren gefunden. Die sind allerdings auch schön

Aber à propos Livestream: Am morgigen Dreifaltigkeitssonntag werde ich mir wohl wieder die Messe aus St. Joseph Siemensstadt auf YouTube ansehen. Ab Montag hoffe ich dann wieder fit genug zu sein, die Kinder selbst zur Schule und zur KiTa zu bringen, werde aber weiterhin dankbar sein, das Abholen meiner Liebsten oder von Fall zu Fall auch mal den Omas überlassen zu können. – Donnerstag ist das Hochfest des Leibes und Blutes Christi (kurz: Fronleichnam), und ich bin geneigt zu sagen, ich kann mich glücklich schätzen, eine Ausrede zu haben, nicht zur zentralen Fronleichnamsfeier des Erzbistums Berlin zu gehen; denn erfahrungsgemäß ist die ja eher unerfreulich. Wobei, letztes Jahr war's eigentlich gar nicht so schlecht, zumal es im Anschluss leckeres Essen gab; das soll es auch dieses Jahr wieder geben, aber ich denke, ich werde es verschmerzen können, darauf zu verzichten. – Im Übrigen fühle ich mich nach der überstandenen Operation wieder sehr viel mehr als zuvor dazu bereit, weiter als ein paar Tage in die Zukunft zu denken; daher bin ich einerseits gewillt, mich in nächster Zeit wieder stärker um das Projekt "Pfarrhausfamilie" zu kümmern – da zeichnen sich nämlich neue Perspektiven ab, aber vorläufig will ich diesbezüglich mal noch nicht zu viel verraten. Gleichzeitig und andererseits habe ich aber auch ein paar Ideen, wie ich mein Engagement in St. Joseph Siemensstadt/St. Stephanus Haselhorst verstärken bzw. ausbauen könnte, solange wir noch hier sind; und drittens will ich in absehbarer Zeit mal mit meiner Großen zu den "Royal Rangers". Zu bedenken ist bei alledem aber natürlich auch, dass ich wohl erst in ungefähr vier Wochen wieder voll belastbar sein werde – und dann sind schon bald Sommerferien... 

 

Samstag, 7. Juni 2025

Die 3 K der Woche (28): Kinder, Kirche, #kindergartenfrei adé?

Herzlich willkommen zum ersten Wochenbriefing im Herz-Jesu-Monat, Freunde! Ökumenische Grüße gehen raus an das Koptisch-orthodoxe Gemeindezentrum in Nordenham-Einswarden, das heute einen Tag der offenen Tür veranstaltet hat; da wäre ich ja gern dabei gewesen, aber vielleicht ergibt sich in den Sommerferien ja mal eine Gelegenheit zu einem Besuch. 

Diese Einleitung möge schon mal als Einstimmung darauf dienen, dass ich im vorliegenden Wochenbriefing den Blick wieder stärker als in den beiden vorangegangenen Wochen über den Tellerrand des persönlichen Nahbereichs hinaus richte. Aus dem Familienalltag gibt es in dieser Woche nämlich eigentlich nur ein großes Thema, und das wird bereits in der Überschrift angedeutet. Was alles Weitere angeht, lasst euch überraschen, Freunde... 

Neulich beim Aufräumen wiedergefunden: Ein von meiner Schwester gebasteltes Hochzeitsgeschenk. 


Eigentlich war ja gerade Pfingstnovene... 

...und eigentlich hatte ich den guten Willen gehabt, eine aktualisierte, d.h. datumsmäßig angepasste und die in den betreffenden Zeitraum fallenden Heiligengedenktage (Marcellinus und Petrus, Karl Lwanga und Gefährten, Bonifatius, Norbert von Xanten) berücksichtigende Version meiner erstmals 2019 ausgearbeiteten (und damals öffentlich in Herz Jesu Tegel vorgebeteten) Pfingstnovene zu erstellen und täglich auf Patreon zu posten. Wäre wahrscheinlich auch gar nicht so viel Arbeit gewesen, wenn mir a) rechtzeitig aufgefallen wäre, dass Pfingsten dieses Jahr nur einen Tag später ist als 2019 und ich daraufhin b) rechtzeitig die alte Datei auf meinem Computer 'rausgesucht hätte. Mitte der vorletzten Woche dachte ich noch, ich krieg das schon noch hin, am Himmelfahrtstag hatte ich dann erst mal andere Dinge im Kopf, und dann wurde ich krank. Tja. Am Freitag ging es mir so schlecht, dass ich mich nicht einmal dazu aufraffen konnte, still für mich allein die Pfingstnovene (in welcher Version auch immer) zu beten. Am Samstag war ich dann erst einmal reichlich frustriert darüber, den Beginn der Novene verpasst zu haben, rang mich gegen Abend aber doch dazu durch, die Gebete vom ersten Tag nachzuholen; am Sonntag betete ich dann zweimal Novene, morgens und abends oder richtiger gesagt vormittags und nachmittags, und hatte dem Rückstand aus meinem "Fehlstart" somit aufgeholt. Kurz darauf geriet ich aber prompt erneut in Rückstand, da ich am Montag den ganzen Tag nicht dazu kam, Novene zu beten – oder richtiger gesagt: Ein paarmal im Laufe des Tages hätte ich theoretisch Zeit dafür gehabt, aber diese Gelegenheiten versäumte ich, und am Abend war ich dann viel zu müde. 

Diesen Rückstand schleppte ich bis Donnerstag mir herum; am Mittwoch baute ich die Novenengebete in eine "Beten mit Musik"-Andacht mit dem Jüngsten in St. Joseph Tegel ein, die erste im Monat Juni. Hätte ich eigentlich gern an den folgenden Tagen wieder so gemacht, aber es fehlte an Zeit und Gelegenheit. 

Kein aktuelles Foto, sondern ein Fundstück aus meinem Symbolbilder-Archiv; aufgenommen in St. Stephanus Haselhorst. 

Was es zu diesem Thema aber sonst noch Interessantes zu sagen gibt: Ich war positiv überrascht, zu sehen, dass der Instagram-Kanal der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd einen Aufruf zum Beten der Pfingstnovene postete, mit einer wohl aus irgendeiner anderen Quelle übernommenen Vorlage für die täglichen Gebete, und das Ganze dann auch noch unterlegt mit einer aus dem Gebetshaus Augsburg stammenden Vertonung der Pfingstsequenz; leider allerdings nur als "Story", die nur 24 Stunden lang online blieb, und diese 24 Stunden waren wohl schon fast rum, als ich den Beitrag zum ersten Mal sah; denn als ich ihn mir etwas später noch einmal genauer ansehen wollte, war er schon nicht mehr da. 

Und wo ich gerade "Gebetshaus Augsburg" sagte: Dieses geistliche Zentrum hat – "natürlich", möchte ich fast sagen – ebenfalls eine Vorlage fürs tägliche Beten der Pfingstnovene ins Netz gestellt, mit folgendem sehr schlichtem Ablauf: 1. Stille, 2. Pfingstsequenz, 3. Betrachtung der Strophe + kurzer Impulsgedanke, 4. Gebet, 5. Abschluss mit dem Ruf "Komm, Heiliger Geist!". Dazu gab's einen kurzen Erklär-Text "Was ist eine Pfingstnovene?" sowie den Hinweis "Den täglichen Impuls findest Du in unserer Story". An sich eine schöne Idee, aber so ganz durchdacht scheint mir das mit den "Stories" doch nicht zu sein: Die einzelnen "Folien" (nennt man das so?) wechseln viel zu schnell, als dass man sie in Ruhe hätte betrachten können, und zudem gingen die Novenen-"Stories" ziemlich unter zwischen Videoclips von der Eröffnung eines neuen Gebäudeteils auf dem GebetshausCampus, nämlich des P7 EvebtHubs

Über die diesjährige Pfingstnovene des Hilfswerks Renovabis, die von dem früheren Bundestagspräsidenten und langjährigen "ZdK"-Mitglied Wolfgang Thierse verfasst wurde, möchte ich hier derweil lieber den Mantel des Schweigens breiten. 


Sonntag auf der Couch 

Nachdem meine Männergrippe am Samstag schon auf dem Rückzug zu sein schien, ging's mir am Sonntagmorgen erst mal wieder schlechter; vor allem hatte ich starke Kopfschmerzen und mir war ein bisschen übel. Alles in allem wohl Grund genug, mich von der Pflicht zur physischen Teilnahme an der Sonntagsmesse befreit zu fühlen, also blieb ich, während Frau und Kinder nach Haselhorst fuhren, zu Hause und sah mir auf YouTube die Live-Übertragung der Messe aus St. Joseph Siemensstadt an, die vom – wie ich immer gern sage – "örtlich zuständigen" Pfarrvikar zelebriert wurde. Die Kirche machte den Eindruck, ziemlich schwach besucht zu sein; das mochte zum Teil daran liegen, dass die Erstkommunion gerade vorbei war, und zum Teil auch daran, dass einige Leute das lange Wochenende nach Christi Himmelfahrt für einen Kurzurlaub genutzt hatten. YouTube zeigte auch nur sechs aktive Zuschauer an, aber ich muss sagen, ich war an diesem Sonntag recht froh, dass es diese Live-Übertragung gab – womit ich sagen will: Ich bin froh, dass offenbar nicht erwogen wird, den YouTube-Kanal wegen zu geringer Resonanz einzustellen. Ich betrachte das als ein gutes Beispiel dafür, dass Seelsorge sich nicht an weltlichen Maßstäben in Sachen Erfolg und Relevanz ausrichten sollte (oder sagen wir ruhig: darf): Selbst wenn ein seelsorgerisches Angebot nur eine einzige Person erreicht, kann es doch für diese eine Person das sein, was sie gerade gebraucht hat, und dafür "lohnt" es sich schon. 

Wobei ich zugeben muss: Dass es in die Kategorie "Seelsorge" fällt, einen Gottesdienst über audiovisuelle Medien zu verbreiten, um sie für Menschen zugänglich zu machen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage sind, physisch daran teilzunehmen, ist mir so richtig erst an diesem Sonntag klar geworden. Ich jedenfalls fühlte mich seelisch gut versorgt, gerade nachdem die letzten Gottesdienste, an denen ich physisch teilgenommen hatte, einen gewissen spirituellen Hunger bei mir hinterlassen hatten

Im Mittelpunkt der wieder einmal nur knapp zehn Minuten langen, aber durchaus gehaltvollen Predigt stand die 2. Lesung dieses Sonntags, ein Auszug aus den Schlussworten der Offenbarung des Johannes (Offb 22,12-14.16-17.20). Ich will hier nur mal ein paar Sätze hervorheben: 

"Eucharistie ist jedesmal Hochzeit, wo der Herr Sein Ja zu uns sagt und wir unser Ja dem Herrn sagen." 

"Wenn Christus ein Lamm ist, dann brauchen wir auch den Geist dieses Lammes. Es vertraut darauf, dass Gott die Geschichte in der Hand hat und dass Gott die Geschichte zum Guten führt. Und dass der Geist des Lammes mächtiger ist als jede Gewalt und jede Schlauheit der Welt und jeder Betrug. Alpha und Omega, der Anfang und das Ende der Geschichte ist Christus. Wenn wir sozusagen unser eigenes Ding drehen, dann fallen wir irgendwie raus aus der Liebe, dann wird diese Geschichte krumm werden. Wenn wir den Geist des Lammes haben, dann sind wir geborgen vom Anfang bis zum Ende bei diesem Lamm, bei diesem auferstandenen Lamm." 

"Wir sind durch das Blut des Lammes reingewaschen, das heißt, durch Seine kostenlose Liebe, die uns geliebt hat, als wur arm, schwach, böse waren – und trotzdem hat Er uns geliebt. Das verändert das Herz eines Menschen." 

"Johannes Paul II. [hat] in einer Katechese gesagt: Warum schickt Gott [Adam und Eva] weg aus dem Paradies? Nicht um sie zu bestrafen, sondern damit sie nicht an den Baum des Lebens greifen und sozusagen ewig in diesem Zustand der Zerstrittenheit bleiben. Das ist den Engeln passiert: Die Engel, die sich von Gott losgesagt haben, haben keine Möglichkeit zur Umkehr. Adam und Eva haben einen Leib, eine Geschichte: Unter Mühsal wirst du den Acker bebauen, Krankheiten, was auch immer – all das sind die Orte, wo ein Mensch zurückkehren kann zur Umkehr, zum Baum des Lebens." 

Am Ende der Predigt wies der Pfarrvikar noch darauf hin, dass in zwei Wochen – am Dreifaltigkeitssonntag – das "Große Glaubensbekenntnis von Nizäa" gebetet werde; und "um das ein bisschen zu üben und vorzubereiten", betete er auch schon in dieser Messe das Nizänische Credo mit der Gemeinde. Könnte man für mein Empfinden ruhig öfter machen. (Vielleicht könnten's die Leut' dann irgendwann auch mal auswendig und müssten's nicht aus dem Gotteslob – Nr. 586 – ablesen.) 

Ungefähr zeitgleich mit der Messe in Siemensstadt waren meine Liebste und die Kinder im freikirchlichen Gottesdienst in der EFG The Rock Christuskirche in Haselhorst – wo sich unsere Große, wie ich hinterher erfuhr, einmal mehr dagegen entschied, unbegleitet zur Kinderkatechese für die 6-12Jährigen zu gehen, und stattdessen mit der Mami und dem kleinen Bruder nach oben in den Eltern-Kind-Raum ging. Als sie nach Hause kam, zeigte sie mir stolz das Portemonnaie, das sie dort gebastelt hatte. 

Das Bibelzitat hat allerdings eine Mitarbeiterin draufgeschrieben.

 

Wenn der Vater mit dem Sohne... in die KiTa geht 

Am Montag hat unser Jüngster seine KiTa-Eingewöhnung begonnen. Auf eigenen Wunsch, wohlgemerkt. Auf seine Initiative hin waren wir vor ein paar Monaten mal auf gut Glück in eine KiTa hineinmarschiert, an der wir auf unseren alltäglichen Streifzügen schon öfter vorbeigekommen waren, und hatten uns erkundigt, ob es dort einen Platz für ihn gäbe. Sehr im Gegensatz zu einer gewissen anderen KiTa in Tegel, bei der wir das auch schon mal so gemacht hatten, wurden wir ausgesprochen freundlich empfangen und durch die Räumlichkeiten geführt, und am Ende fragte mich die Mitarbeiterin, ob ich gleich ein Anmeldeformular ausfüllen wolle. Ich vergewisserte mich bei meinem Sohn, ob es ihm hier gefalle, und als er bejahte, füllte ich das Formular aus. Über die nächsten Wochen folgten noch ein paar Telefonate und zahlreiche weitere Formulare, und schließlich mussten wir noch die Masern-Impfung nachholen, die zum eigentlich geplanten Zeitpunkt aus Gründen, die ich hier nicht aufwärmen möchte, nicht stattgefunden hatte und dann quasi vergessen worden war. Aber dann waren wir startklar in Sachen KiTa. 

Gestatten: Flatti Dino, der Eingewöhnungsbegleiter unseres Jüngsten. Die Basecap stammt aus den Beständen der KiTa.  

Die Eingewöhnung hat jedenfalls sehr vielversprechend begonnen: Die Mitarbeiter sind sehr nett, auch die anderen Kinder machen den Eindruck, sich über einen neuen Spielkameraden zu freuen; mein Sohn selbst agierte am ersten Tag der Eingewöhnung zunächst schüchterner, als ich es von ihm gewohnt bin, kuschelte sich eng an mich und wollte meine Hand gar nicht loslassen, aber man versicherte mir, das sei am ersten Tag völlig normal. Tatsächlich dauerte es dann auch nur zwanzig Minuten, bis er innerlich in der KiTa "angekommen" war und fröhlich mit den anderen Kindern spielte, und ich musste nur noch zuschauen. Als wir wieder gingen, erklärte er mir mit Nachdruck, er freue sich darauf, am nächsten Tag wieder hinzugehen. Tatsächlich lief es auch an den nächsten Tagen wieder sehr gut; am Donnerstag ließ ich ihn erstmals für eine halbe Stunde "allein", und am gestrigen Freitag wieder genauso. 

Gleichwohl muss ich zugeben, dass es sich durchaus irgendwie komisch anfühlt, unseren Jüngsten in die KiTa zu geben, nachdem wir als Familie gut siebeneinhalb Jahre #kindergartenfrei gelebt haben. Und nachdem ich mich hier oft so überzeugt und geradezu kämpferisch pro-#kindergartenfrei geäußert habe, könnte ich mir vorstellen, dass es Leser gibt, für die sich das jetzt wie Verrat anfühlt. Allerdings hat Max Goldt mal gesagt, auch als Vegetarier sollte man ab und zu mal Fleisch essen, damit die Ernährungsweise nicht zur Ideologie und Ersatzidentität wird. Okay, der Vergleich hinkt. Ich versuche es anders zu erklären. 

Auch wenn hier zuweilen ein anderer Eindruck entstanden sein mag, waren meine Liebste und ich eigentlich nie fundamentalistische KiTa-Gegner. Jedenfalls längst nicht so sehr wie manche anderen Eltern, die wir in den letzten Jahren kennengelernt haben und deren Kinder dann meist irgendwann auf magische Weise doch in der KiTa landeten. Man wird natürlich nach und nach fundamentalistischer, wenn man sich in einer das alltägliche Leben betreffenden Frage so sehr gegen den gesellschaftlichen Mainstream stellt und dann naturgemäß den Kontakt zu in dieser Frage Gleichgesinnten sucht, um sich gegenseitig unterstützen zu können. Aber unser erstes Kind war schon fast neun Monate alt, ehe wir überhaupt von der Existenz einer #kindergartenfrei-Bewegung erfuhren. Zunächst einmal reagierten wir mit intuitiver Abwehr auf die von allen möglichen und unmöglichen Seiten an uns herangetragenen Anmutungen, wir sollten möglichst gleich nach der Geburt unseres Kindes, wenn nicht sogar schon vorher, einen KiTa-Gutschein beantragen und uns nach einem KiTa-Platz umsehen; wir sagten uns: Eigentlich haben wir das Kind nicht in der Absicht bekommen, es gleich wieder abzugeben. Über diese intuitive Reaktion hinaus spricht Vieles, was man so über frühkindliche Entwicklung hören und lesen kann, dafür, dass gerade in den ersten drei Lebensjahren eine enge Bindung an die Eltern wichtig für die psychisch-emotionale Gesundheit von Kindern ist, weshalb ich es grundsätzlich für wünschenswert halte, dass Kinder bis zum Alter von drei Jahren bei ihren Eltern bleiben, soweit diese die Möglichkeit dazu haben. Eine vernünftige Familienpolitik, so finde ich, sollte dies fördern und unterstützen, statt die KiTa-Betreuung für Unter-Dreijährige auszubauen. Weiter reicht mein Fundamentalismus in dieser Frage eigentlich nicht. Bei Kindern ab drei Jahren muss man halt abwägen, was für und was gegen KiTa-Betreuung spricht, und da kann man von Fall zu Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Als unsere Große in das Alter kam, ab dem wir uns hätten vorstellen können, dass KiTa etwas für sie wäre, kam Corona, und eine KiTa-Eingewöhnung unter Corona-Bedingungen wollten wir weder ihr noch uns zumuten. Dann kam erst mal die Elternzeit mit dem kleinen Bruder, und danach hatte sie schon kein Interesse mehr am Thema KiTa und wollte lieber möglichst bald eingeschult werden. Unser Jüngster ist jetzt vier und will in die KiTa, und wie eingangs schon erwähnt, hat er sich seine KiTa selbst ausgesucht. Also probieren wir das jetzt mal. Wenn es sich nicht bewährt, dann nehmen wir ihn halt wieder raus. Aber bis jetzt, d.h. nach einer Woche Eingewöhnung, ist mein Eindruck durchaus positiv. 

Übrigens noch ein Wort zur Masern-Impfung: Meine persönlichen Kontakte in der #kindergartenfrei-Szene haben mir bestätigt, dass es eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Gründe dafür gibt, warum jemande seine Kinder auch nach dem vollendeten dritten Lebensjahr nicht in die KiTa geben will; aber man muss zugeben, dass die vor einigen Jahren eingeführte Masern-Impfpflicht dabei eine größere Rolle spielt, als ich es erwartet hätte. Ich meine, ich bin in den 70ern geboren und auf einem Dorf in Norddeutschland aufgewachsen; da war es seinerzeit noch üblich, dass, wenn ein Kind Windpocken, Röteln oder Masern hatte, die Eltern aus der Verwandtschaft, Nachbarschaft oder dem Freundeskreis ihre eigenen Kinder vorbeischickten, damit sie sich ansteckten und es dann hinter sich hatten. So wurde auch ich noch gegen Windpocken, Röteln und Masern immunisiert. Tatsächlich waren Masern die schlimmste Krankheit, die ich als Kind hatte, und ich erinnere mich bis heute, wie elend ich mich gefühlt hatte, als ich mit Masern im Bett lag. Wenn meinen eigenen Kindern diese Erfahrung durch eine Impfung erspart bleibt, finde ich das gut – von den möglichen Folgeschäden einer Maserninfektion mal gar nicht erst zu reden. Trotzdem denke ich: Eine Impfung zu befürworten ist noch nicht dasselbe wie eine Impfpflicht zu befürworten. Letztere stellt schließlich einen staatlichen Eingriff in Elternrechte dar, dessen Legitimität man durchaus infrage stellen dürfen sollte. Das auch und vor allem beim Thema Corona ausgiebig strapazierte Narrativ, man müsse die Geimpften vor den Ungeimpften schützen, überzeugt mich jedenfalls nicht: Sollten die Geimpften nicht durch die Impfung geschützt sein? Und wenn das nicht der Fall ist, was soll das Ganze dann

– Okay, so viel erst mal zu den Beweggründen der Impfgegner-Fraktion innerhalb der #kindergartenfrei-Szene. In den nächsten Wochen wird sich dann wohl zeigen, ob und in welchem Ausmaß die Erlebnisse unseres Jüngsten in der KiTa Anlass zu weiteren Reflexionen darüber bieten werden, was an der flächendeckenden Fremdbetreuung von Kindern im Vorschulalter grundsätzlich kritisch zu beurteilen ist. 


Regenbogen über Butjadingen 

"Schon wieder?", mag sich Mancher fragen, der diese Überschrift liest, und das habe auch ich mich im ersten Moment gefragt, als ich auf dem Instagram-Account der Pfarrei St. Willehad eine unkommentierte Fotostrecke sah, die einen Wohnwagen und ein Zelt der Urlauberkirche am Hafen von Fedderwardersiel zeigte, und in trauter Eintracht mit zwei Beachflags mit dem Logo der Urlauberkirche flatterte eine Regenbogenflagge über der ganzen Szenerie. Näheren Aufschluss darüber, um was für eine Art von Veranstaltung es sich da handelte, erhielt ich aus der Online-Ausgabe des Pfarrblatts "Willehad aktuell"

"Am Himmelfahrtswochenende, 30. und 31. Mai 2025, veranstaltet unsere Urlauberkirche im Hafen von Fedderwardersiel einen Privatflohmarkt im Rahmen des Hafenschmaus-Festivals. Angeboten werden darf alles, was selbst auf Flohmärkten gesucht wird. Eine Standkarte ist gegen eine kleine Spende im Pfarrbüro erhältlich." 

Ach so. Und was hat die Regenbogenflagge jetzt damit zu tun? Im Grunde wohl nichts; ich schätze mal, man hatte die einfach noch da und wollte sie mal wieder benutzen. Dass die Campingplätze in Butjadingen, auf denen die Willehad-Urlauberkirche in der Badesaison aktiv ist, von einer Firma namens Regenbogen AG betrieben werden, ist in diesem Zusammenhang sicherlich zufällig, zumal diese Firma trotz ihres Namens keine Regenbogenfarben in ihrem Logo verwendet. Unter dem Strich bleibt, quasi als Nachhall der Regenbogenflaggen-Affäre von 2023, der doch ziemlich schräge Eindruck einer Identifikation der örtlichen katholischen Kirche mit der LGBTQ-Bewegung. Was ich dazu eigentlich schon letzten Sommer mal schreiben wollte: Im Internet kursiert immer mal wieder ein altes Stasi-Papier über "Erscheinungsformen negativ-dekadenter Jugendlicher in der DDR", und darin heißt es, die Punk-Szene in der DDR sei fest in der kirchlichen offenen Jugendarbeit verwurzelt und werde von Diakonen geleitet. Klingt bizarr, aber ich habe ein bisschen den Eindruck, über die LGBTQ-Szene in der Wesermarsch könnte man Ähnliches behaupten. 

Im Grunde scheint mir aber der Verdacht nahe zu liegen, dass das Hissen der Regenbogenflagge beim Flohmarkt in Fedderwardersiel nur ein Rückzugsgefecht ist. Dafür spricht auch, was man aus derselben "Willehad aktuell"-Ausgabe über die nächste "Nacht der Acht" erfährt, die 28. Juni ab 18 Uhr stattfinden soll. Wer's nicht weiß oder sich nicht gemerkt hat, die "Nacht der Acht" ist die Butjenter Version einer "Langen Nacht der Kirchen", an der sich sechs evangelische und zwei katholische Kirchenstandorte beteiligen. In der katholischen Kirche Herz Mariä in Burhave "begegnet man den Farben des Lebens, dem Klang von Brunnen und Klangschale", heißt es im Ankündigungstext für dieses Jahr; das mutet zwar arg heidnisch und esoterisch an und wäre daher durchaus zu problematisieren, aber auffällig erscheint mir hier vor allem das Abweichen von der programmatischen Linie der Vorjahre: Die "Nacht der Acht" im Sommer 2022 war der Ausgangspunkt der ganzen Butjenter Regenbogenflaggen-Affäre, denn da wirkte die Herz-Mariä-Kirche als "Segenskirche" mit, in der sich "Paare [...] segnen lassen" konnten – "ausdrücklich auch solche, die nach katholischem Recht nicht heiraten dürfen", und das Hissen der Regenbogenflagge am Fahnenmast neben dem Gebäude setzte ein unmissverständliches Zeichen, an was für Paare da insbesondere gedacht war. Auch im Rahmen der "Nacht der Acht" 2023 wurde an diesem Ort wieder ein Segen "unter den Farben des Regenbogens" angeboten: Dazu wurde "vor dem Altar [...] eine Art Zimmerspringbrunnen aufgestellt, mit dessen Wasser (fragen wir lieber gar nicht erst, ob es sich um Weihwasser handelte) die Besucher der Kirche sich selbst oder gegebenenfalls gegenseitig segnen konnten und sollten. Im Ernst." Und 2024 wurde "das 'Regenbogen'-Motto [...] in der Form umgesetzt, dass in der Kirche der Film 'Wie Gott uns schuf' gezeigt" wurde. Dass daran heuer, trotz aller Bemühungen der Synodalbewegten, Fiducia supplicans als Freibrief für die Segnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu interpretieren, ja trotz der erst unlängst von der Gemeinsamen Konferenz von DBK und "ZdK" verabschiedeten Handreichung "Segen gibt der Liebe Kraft", nicht weiter angeknüpft wird, scheint mir ein gewisses Gespür dafür zu verraten, dass der Wind sich gedreht hat und die Tage der "Rainbow Church" gezählt sind. 


Umstrittenes im Bistum Münster 

Robert Barron, Begründer der Online-Evangelisierungs-Plattform "Word on Fire" und seit 2022 Bischof der Diözese Winona-Rochester im US-Bundesstaat Minnesota, soll im Sommer in Münster mit dem Josef-Pieper-Preis ausgezeichnet werden. Die Josef-Pieper-Stiftung begründete die Wahl des Preisträgers mit dessen Pionierarbeit im Bereich des Medienapostolats und würdigt Barron als "einen Theologen und akademischen Lehrer, der wie kaum ein anderer die modernen Medien zur Unterstützung der christlichen Verkündigung nutzt": 

"Mit seinen Büchern, Radio- und Fernsehsendungen und seinen Videos im Internet erreicht er ein Millionenpublikum – in den USA und weltweit. Und immer wieder schöpft er in seinen Vorträgen und Impulsen nicht zuletzt aus den Gedanken und Schriften Josef Piepers." 

Soweit, so einleuchtend; andere jedoch verbinden mit der Person des Bischofs von Winona-Rochester, der unlängst auch in eine Regierungskommission zum Schutz der Religionsfreiheit berufen wurde, ganz andere Assoziationen. So nannte das Münsteraner Bistumsblatt Kirche + Leben Bischof Barron schon in einem Beitrag vom 7. März "umstritten" und hob in diesem Zusammenhang besonders seine "Nähe zu Donald Trump" hervor – woran sich ja schon mal mindestens zwei Dinge ablesen lassen, nämlich erstens die allgemein sehr verbreitete Überbewertung von Politik, die sich in der Neigung äußert, Kirchenvertreter partout politisch verorten zu wollen, und zweitens den sehr verengten Blick auf die gesellschaftliche und politische Situation in den USA, der alles auf den Gegensatz zwischen "pro Trump" und "anti Trump" reduziert, wobei "pro Trump" natürlich böse und "anti Trump" ebenso natürlich gut ist. Wer da nun einwenden möchte, der durchschnittliche US-Amerikaner habe schließlich auch kein differenzierteres Bild von der europäischen Politik und Gesellschaft, dem möchte ich gern erwidern: Das mag wohl stimmen, aber ihr seid doch genau diejenigen, die sich einbilden, so viel schlauer zu sein als die doofen Amis. 

Noch bezeichnender ist die Reaktion des Diözesankomitees (nicht zu verwechseln mit dem Diözesanrat) des Bistums Münster, das anlässlich seiner Frühjahrsvollversammlung in der Bistumsakademie Franz-Hitze-Hause seine Missbilligung der Preisvergabe kundtat. Diese widerspreche den Werten des Gremiums, zu denen es gehöre, sich gegen "jede Form der Intoleranz" zu stellen. Man habe "besorgte und durchaus kritische Anfragen aus den Mitgliedsverbänden" erhalten. Als "sachkundige Person" in dieser Frage hatte das Diözesankomitee den Pressesprecher der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexualität und Kirche, Markus Gutfleisch, eingeladen, der auch Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees und Mitinitiator von #OutInChurch ist und Bischof Barron ankreidete, dieser habe sich "mehrfach queerfeindlich geäußert" und "befürworte die Politik des US-Präsidenten Donald Trump gegen trans* Menschen". – Was den letzteren Vorwurf angeht, hat Bischof Barron sich tatsächlich lobend über Trumps Erlass "Protecting Children from Chemical and Surgical Mutilation" geäußert; wer seine diesbezügliche Stellungnahme liest, wird allerdings unschwer feststellen, dass er diesen Erlass gerade nicht als "Politik gegen trans* Menschen" auffasst, sondern im Gegenteil der Auffassung ist, diese Politik komme gerade solchen Minderjährigen zugute, die sich für "trans*" halten oder denen man einredet, es zu sein, und da bin ich ganz seiner Meinung. Davon abgesehen wüsste ich von keinen "queerfeindlichen" Äußerungen Bischof Barrons, die über eine Bekräftigung der lehramtlichen Positionen der Kirche zu Homosexualität und anderen sexuellen Fragen hinausgegangen wären. Die ganze Tragikomik des Vorgangs liegt demnach darin, dass das Münsteraner Diözesankomitee (laut Eigenbeschreibung ein "freiwilliger Zusammenschluss der katholischen Verbände, Organisationen und kirchlichen Initiativen, der Kreis- und Stadtdekanatskonferenzen, des Komitees der Verbände im Offizialatsbezirk Oldenburg sowie weiteren Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft") den Einschätzungen eines Queer-Aktivisten (so bezeichnet Markus Gutfleisch sich selbst) eine höhere Autorität zumisst als der Lehre der Kirche selbst. Darin offenbart sich natürlich die den "Synodalen Weg" und seine Anhänger insgesamt kennzeichnende Auffassung, die Lehre der Kirche – in Fragen der Sexualität, aber auch in anderen Punkten – sei etwas, was man per Gremienbeschluss ändern könne. Man beschließt, ab sofort ist die katholische Kirche "queerpositiv" und "lgbtq-affirming", und wer diesen Schwenk nicht mitvollzieht, der ist fortan kein normaler katholischer Gläubiger mehr, sondern ein homophober Fundamentalist und Hassredner. Solche Zuschreibungen fallen umso leichter, als die Gremien und Verbände vielfach wohl von Leuten dominiert werden, die normale katholische Gläubige ohnehin nur von Weitem kennen

Eine offizielle Stellungnahme des Bistums Münster zu diesem Vorgang gibt es bisher nicht. Die Preisverleihung soll jedenfalls am 27. Juli im Priesterseminar Borromaeum stattfinden, Bischof Oster aus Passau soll die Laudatio halten, und zuvor soll es ein gemeinsames Pontifikalamt mit Bischof Barron in der Überwasserkirche geben. Queer-Aktivist Gutfleisch erklärte bei der Versammlung des Diözesankomitees, er "rechne damit, dass es rund um die Verleihung Protestveranstaltungen geben wird". Behalten wir das mal im Auge. 


Geistlicher Impuls der Woche 

Die Kirche fährt über das Meer dieser Welt wie ein großes Schiff und wird von den Wogen – das sind die Anfechtungen dieses Lebens – hin und her geworfen. Wir dürfen das Schiff nicht verlassen, wir müssen es lenken. Als Vorbilder haben wir dafür die frühen Väter, Klemens, Kornelius und die vielen andern in der Stadt Rom, Cyprian in Karthago, Athanasius in Alexandrien. Sie haben unter heidnischen Kaisern das Schiff Christi gesteuert. Sie haben die Kirche geleitet, sie gelehrt und verteidigt, für sie gearbeitet und gelitten bis zum Vergießen des Blutes. 

Die Wahrheit kann zwar niedergehalten, aber weder besiegt noch getäuscht werden. Lasst uns auf ihn vertrauen, der uns die Last aufgelegt hat. Was wir aus eigener Kraft nicht tragen können, das wollen wir tragen durch ihn. Wenn Gott es so will, wollen wir sterben für die heiligen Gesetze unserer Väter, damit wir mit ihnen das ewige Erbe erlangen. Wir wollen nicht stumme Hunde sein und schweigend zuschauen, nicht Mietlinge, die vor dem Wolf fliehen, sondern eifrige Hirten: Über die Herde Christi wollen wir wachen und allen Menschen jeden Ratschluss Gottes verkünden, den Großen und den Kleinen, den Reichen und den Armen, jedem Stand und jedem Alter, soweit Gott uns Kraft dazu gibt.

(Bonifatius, Brief über die Last des christlichen Hirtenamtes) 


Ohrwurm der Woche 

Mark Ambor: Belong Together 

Normalerweise kenne ich mich mit aktueller Popmusik überhaupt nicht aus, und das schon ziemlich lange nicht mehr; aber das relativiert sich ein bisschen dadurch, dass ich eine Tochter habe, die in die Schule geht und dort, z.B. in der Toberaum-Disco, durchaus nicht nur Kinderlieder hört. Neben all dem K-Pop und HipHop, der dort derzeit offenbar hoch im Kurs steht, scheint mir diese folkige Singer-Songwriter-Ballade, zu der bei der Schul-Talentshow vor den Osterferien zwei Mädchen eine reizende Tanznummer aufführten, geradezu rührend altmodisch. Auch das Video, in dem einfach nur der Sänger zu sehen ist, wie er sich ins hohe Gras fläzt, ist mir in seiner unspektakulären Art sympathisch. 


Vorschau/Ausblick 

Pfingsten steht vor der Tür! Am morgigen Pfingstsonntag feiert eine der liebsten Schulfreundinnen unserer Tochter Geburtstag, aber bevor die Feier losgeht, sollten wir noch genug Zeit haben, um in St. Joseph Siemensstadt in die Messe zu gehen. Am Pfingstmontag habe ich Geburtstag, am Dienstag gibt's einen weiteren freien Tag für meine Liebste und das Tochterkind, die KiTa-Eingewöhnung geht jedoch weiter. Am Donnerstag soll dann mein "Loch im Bauch" operiert werden, und dann bleibt erst mal abzuwarten, wie es mir danach geht. Ihr werdet es erfahren, Freunde! 


Mittwoch, 4. Juni 2025

Der seltsame Fall der eingekerkerten Nonne, Teil 22

Die Saga der unglücklichen Nonne von Krakau, Barbara Ubryk, erfreut sich weiterhin einer recht erfreulichen Resonanz bei meinen Lesern, die ich daher nicht unnötig lange auf die Fortsetzung warten lassen will. – Nachdem wir in der vorigen Episode dieser Artikelserie miterlebt haben, wie Jovita alias Barbara, die ihren Peinigern entflohen war, überraschend wieder mit ihrem Geliebten Woicech zusammentrifft, dann aber – ohne dass man zunächst Genaueres über den Hergang erführe – erneut verschwindet, und außerdem erfahren haben, dass Pater Alfons aus seiner Arrestzelle im Kloster befreit wurde und unter seinem bürgerlichen Namen Jedediah Pumpkins in die Dienste eines englischen Lords getreten ist, lässt das LXX. Kapitel des Fortsetzungsromans – dessen Überschrift im Inhaltsverzeichnis als "Die Generalbeichte im Straßengraben" angegeben wird, wohingegen man auf S. 1121 die Kapitelüberschrift "Das Bekenntniß im Straßengraben" liest – begründete Hoffnung aufkommen, dass die Romanhandlung auf die Zielgerade einbiegt; das wird auch Zeit, denn wenn man voraussetzt, dass eine Lieferung des Romans drei Druckbogen (d.h. 48 Seiten) umfasste, befinden wir uns bereits in der 24. Lieferung, und zwanzig waren ursprünglich nur angekündigt worden

Das Kapitel beginnt jedenfalls durchaus vielversprechend: 

"Es war fünf Uhr Morgens . 

Ein Carmelitermönch schritt auf einer Strecke der Hochstraße, welche von Wieliczka nach Krakau führt, dahin. Er versah das Amt des Pfarrers in dem Dorfe, das er vor einer Viertelstunde verlassen hatte [...]; er begab sich jetzt auf ein mehr zerstreutes Dörfchen, eine Tochter seiner Pfarrei, um in der dortigen Filialkirche das Meßopfer darzubringen. Aus der Tasche seiner Kutte schaute, fast neugierig, der Kopf einer Flasche; es war der Wein, den er mit sich zur Messe trug, und der sich auf sein Wort in das wahrhaftige Blut Jesu Christi, wie es vom Kreuzesbalken floß, umwandeln sollte" (S. 1121). 

Gleich darauf folgt erst einmal wieder ein Exkurs, der darauf abzielt, die katholische Geistlichkeit in ein unvorteilhaftes Licht zu rücken: 

"Die katholischen Geistlichen sind sehr mit der täglichen Ableierung des römischen Brevieres geplagt; sie nimmt mindestens zwei volle Stunden hinweg, und dann darf der Betende Routine haben. Man sieht daher diese Männer überall die freie Zeit zur Lösung jener beschwerlichen Aufgabe benützen; im Postomnibus, im Eisenbahnwaggon, in der Kajüte beten sie ihr Brevier" (S. 1122). 

Dazu fällt mit übrigens ein Witz ein: Ein Dominikaner und ein Jesuit sitzen am Bahnsteig und beten, während sie auf den Zug warten, ihr Brevier. Der Jesuit raucht dabei. Erstaunt fragt ihn der Dominikaner: "Sag mal, darfst du das? Ich hab meinen Oberen gefragt, ob ich beim Beten rauchen darf, und er hat gesagt: Auf keinen Fall." Antwortet der Jesuit: "Das hättest du schlauer anstellen sollen. Ich habe meinen Oberen gefragt, ob ich beim Rauchen beten darf, und er hat gesagt: Selbstverständlich!" 

Aber mal zurück zum "Barbara Ubryk"-Roman: Auch der zu Beginn des LXX. Kapitels vorgestellte "Carmelitermönch" ist gerade dabei, im Gehen sein Brevier zu beten, d.h. er "hielt mit beiden Händen das Diurnale vor sich und murmelte, wie es die Vorschrift der Kirche gebietet, halblaut die Psalmen und Episteln herab", als er plötzlich eine im Straßengraben liegende und offenbar schlafende Person bemerkt: 

"Es war eine Frau, deren Kopf fest mit einem Shawl umwickelt und also nicht sichtbar war. Der Mönch stieg hinab in den Graben und rüttelte lebhaft die Person. Es kam Bewegung in die Arme und den Shawl, kurz darauf enthüllte sich ein bleiches Gesicht, das in diesem Augenblicke etwas schläfrig aussah, trokdem aber die unverkennbaren Züge des Elendes, der Schwermuth, vielleicht einer Krankheit trug" (S. 1122). 

Tatsächlich handelt es sich bei dieser Frau um die unglückliche Protagonistin des Romans, die, wie der Leser auf S. 1123 erfährt, "ihrem Woicech in einem Anfalle entwichen war". – "Wie war sie hieher gekommen? [...] Man weiß es nicht, man hat es auch niemals von ihr erfahren können. Weder Woicech noch sonst Jemand konnte darüber Aufschluß geben. Wo sie während dieser Zeit gewesen, was sie gethan, das blieb ein Geheimniß, und sie selbst hat es nie enthüllt. Ihre Geschichte beginnt daher wieder in dem Augenblicke, wo sie der Carmeliter P. Urban Wergifoße auf der Wieliczkaer Straße fand" (S. 1123) – wie praktisch für den Autor, könnte man sagen. Vor dem Karmeliterpater, der Sie im Straßengraben findet, erschrickt sie, da sie annimmt, er sei ihr "nachgeschickt" worden, um sie zu "verfolgen": "Sie wollen mich wieder in das Kloster zurückbringen. Ach, ich bitte Sie, tödten Sie mich, überliefern Sie mich aber nicht dem Kloster!" (S. 1122). Ironischerweise wird der bisher ganz arglose Pater erst dadurch darauf aufmerksam gemacht, dass er "ein verirrtes Schaf" vor sich hat, und drängt Barbara dazu, ihm "eine Generalbeichte ab[zu]legen, jetzt, hier auf dieser Stelle": "Nur dann kann ich Sie beschützen und weiteres Unglück verhindern" (S. 1123). Der Verfasser kommentiert: 

"Die Generalbeichte ist das Bekenntniß aller Sünden, die man von der Erbsünde angefangen in Gedanken, Worten und Werken begangen hat. Man legt in ihr das ganze Leben bis in die unbedeutendsten Einzelnheiten dar, so daß der Priester den Menschen, seine Neigungen und Anlagen auf das Genaueste kennen lernt. In den Klöstern dauert eine solche Generalbeichte drei und mehr Tage; sie hat schon viele Nonnen zur Verzweiflung, viele zum Wahnsinn getrieben. Sie ist eine moralische Folter des stärksten Grades. Hier wollte sich der Mönch ihrer nur zu dem Zwecke bedienen, die räthselhafte Frauensperson auszuforschen" (ebd). 

In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich hervorgehoben, dass Barbara sich "damals in einem geistigen Zustande" befand, "der keineswegs auf Irrsinn schließen ließ. Außer der Furcht, von Mönchen verfolgt und wieder in das Kloster zurückgeschafft zu werden, wollte Pater Wergifoße, wie er selbst ausdrücklich angab, – nichts von Geisteszerrüttungen an ihr wahrgenommen haben" (S. 1124). Man beachte, dass der Autor hier gezielt den Eindruck zu erwecken sucht, seine Schilderung stütze sich auf eine amtlich dokumentierte Aussage des Paters; noch deutlicher wird dieser Anspruch auf Authentizität einige Zeilen weiter unten, wo es heißt, die "Beichte im Straßengraben" werde "in den über diese unglückliche Nonne aufgenommenen Akten ausdrücklich als des Zeitpunktes erwähnt, wo man ihrer wieder habhaft wurde" (ebd.). Von derartigen Berufungen auf amtliche Dokumente zum Fall Barbara Ubryk werden wir auf den verbleibenden Seiten des Romans noch mehr zu sehen bekommen. 

Jedenfalls nutzt der Autor die "Generalbeichte im Straßengraben" dazu, Barbara ausführlich über darüber zu sprechen, was sie einst veranlasst hat, ins Kloster zu gehen, und wie es ihr im Kloster ergangen ist. Da könnte man nun natürlich denken, das habe man im Wesentlichen alles schon in früheren Kapiteln gelesen; tatsächlich hat man allerdings über weite Strecken den Eindruck, hier werde eine völlig andere Geschichte erzählt – was einmal mehr den Verdacht erhärtet, der Autor habe, um in möglichst kurzer Zeit einen umfangreichen Roman vorlegen zu können, mehrere ursprünglich voneinander unabhängige Erzählungen notdürftig zusammengekittet. Schauen wir uns das mal anhand einiger Einzelheiten an. 

Zunächst: In ihrer Generalbeichte gibt Barbara an, dass sie "strenge erzogen und zu täglichem Kirchenbesuche angehalten wurde" (S. 1125); das las sich aber in Kapitel LI, "Zwei Orden im Kampf um ein Erbe", ganz anders: Da hieß es, Barbara habe "in Dresden gelernt, die Kirche lieb zu gewinnen" (S. 707); ihre Mutter steht – nicht zuletzt infolge eigener Erfahrungen – den religiösen Neigungen ihrer Tochter sogar ausgesprochen skeptisch gegenüber. – Weiter berichtet Barbara, ihr Beichtvater Pater Gratian habe ihr, um sie zum Eintritt ins Kloster zu bewegen, detaillierte Einblicke in die schwierige wirtschaftliche Lage des betreffenden Klosters gewährt und angemerkt, dem Kloster "wäre geholfen" (S. 1125), wenn "mehrere Damen in das Kloster eintreten" würden, "manche mit Mitgift (er stockte hier), einige vielleicht mit ansehnlicher Mitgift" (ebd.); auch davon ist in dem früheren Kapitel keine Rede, ebensowenig davon, dass Gratian ihr "das Priorat" in Aussicht gestellt hätte (S. 1127). Es folgen allerlei Klagen über den Alltag im Kloster, über den "üblen Geruch" (ebd.), den Hang der Nonnen zu "Heucheleien" und "Schmeichelei" (S. 1128), die "Tyrannei" der Priorin (ebd.); von den Nachstellungen ihres Beichtvaters, den Intrigen ihrer Mitschwestern gegen sie, kurz von so ziemlich allem, was den Inhalt der Kapitel LIV bis LX ausgemacht hat, ist hier dagegen keine Rede. Als einen dicken Anschlussfehler darf man es wohl bezeichnen, dass Barbara dem Pater erzählt "Meine Mutter und eine meiner Schwestern starben schnell hintereinander einen plötzlichen Tod" (S. 1134); von einem Tod ihrer Schwester Therese ist nämlich zuvor keine Rede gesehen. Im Kontext – da Barbara nämlich hinzufügt "meine andere Schwester entfloh mit ihrem Manne von Krakau nach Brüssel" (ebd.) – entsteht der Eindruck, der Autor habe die Notwendigkeit gesehen, sämtliche Familienangehörigen Barbaras sozusagen "aus dem Weg zu räumen", da sie andernfalls in weiteren Verlauf der Handlung noch eine Rolle hätten spielen müssen. Auch was Barbara darüber berichtet, wie es dazu kam, dass sie vom Warschauer ins Krakauer Kloster verlegt werden sollte, lässt sich nur mit Mühe damit in Einklang bringen, was man zuvor über diesen Vorgang erfahren hat. 

Insgesamt kann man sagen, dass Barbaras Klagen über das Leben im Kloster weniger ihr persönliches Schicksal betreffen als vielmehr allgemeine Zustände. Ausführlich kritisiert sie die Auswüchse der Marienverehrung im Kloster; in diesem Zusammenhang wird in zwei Fußnoten auf ein Traktat namens "Annales de la Saint-Enfance" (Paris 1849) verwiesen, in dem behauptet werde, Maria habe "in aller Ewigkeit in Gott" existiert und sei schon von Adam und Eva verehrt worden (S. 1130f.). Auch dass der Karmeliterorden seine Gründung auf den Propheten Elija zurückführe, wird erneut thematisiert; in diesem Zusammenhang heißt es, die Jungfrau Maria sei "selbst Ordensschwester", ja Subperiorin [sic] der Karmeliterinnen" gewesen (S. 1132). Damit nicht genug: Auch "Jesus war selbst Karmeliter, denn der Erlöser erschien der heiligen Karmeliterin Katharina von Cardonem im Karmelitergewand" (ebd.); wozu der Verfasser in einer Fußnote anmerkt: 

"Es versteht sich von selbst, daß Jesus ein Kapuziner, Franziskaner, Dominikaner u.s.w. gewesen ist. Alle Orden haben schlagende Beweise dafür aufgebracht, daß Jesus ihr Pater war. Heilige Mönche haben das Alles durch Offenbarungen erfahren, was alle Einwürfe zurückschlägt; denn wer nicht an übernatürliche Offenbarungen glaubt, der ist verflucht, laut Can. 6, Schema de fide, des gegenwärtig zu Rom tagenden Konzils" (S. 1133). 

Der letzte Satz stellt natürlich ein selbst für diesen Autor arg plumpes Strohmannargument dar, denn an die Existenz übernatürlicher Offenbarungen zu glauben, ist offenkundig nicht dasselbe, wie jede angebliche übernatürliche Offenbarung für wahr zu halten; aber die Erwähnung des "gegenwärtig zu Rom tagenden" I. Vatikanischen Konzils (das am 8. Dezember 1869 eröffnet worden war und im Juli 1870 zunächst unterbrochen, am 20. Oktober dann auf unbestimmte Zeit vertagt wurde) ist für die zeitliche Einordnung dennoch interessant. 

Auf die Aussage des Paters Urban, "[d]as Christenthum" sei "der Baum jenes Gleichnisses, der wuchs und seine Aeste ausbreitete, und in dessen Schatten die Vögel kamen und nisteten", erwidert Barbara: "An den Stamm dieses Baumes haben sich aber ungeheure Auswüchse angesetzt, welche den ganzen Baum schädigen"; dazu zählt sie "vor Allem das Kloster, das cönobitische Leben, das unermeßliche Heer der Mönche in jeder Form und Farbe der Kleidung" (S. 1133). Insbesondere die "beschaulichen Orden" beurteilt sie als "im höchsten Grade egoistisch und daher unmoralisch" (S. 1134); günstiger urteilt sie über die tätigen Orden, denn: "Nach dem Berufe des Mutterwerdens entspricht nichts so sehr unsern Neigungen als der Beruf einer barmherzigen Schwester; er liegt in unserer Natur, in unsern Fähigkeiten" (ebd.). 

Auch zur Beichtpraxis in den Klöstern hat Barbara allerlei anzumerken; dies gipfelt in der Aussage, das "Beichtgeheimniß" werde zwar "in den unbedeutendsten Dingen nicht verletzt. Aber es gibt ein Verfahren in den Klöstern, welches das ganze Beichtgeheimniß illusorisch macht.... Der Beichtvater ersucht die Nonnen um die Erlaubniß, das was ihm geeignet schiene, aus der Beichte der Priorin mitzutheilen.... Die Nonne darf diese Erlaubniß nicht versagen.... es ist ein moralischer Druck, dem arme schwache Mädchen nicht zu widerstehen vermögen, ein Mißbrauch ihrer Schwäche, und folglich ein Verbrechen vor Gott... bei diesem nichtswürdigen Verfahren gibt es keine Sicherheit mehr für die Gewissen...." (S. 1136). Pater Urban erwidert darauf trocken "Sie sagen mir da auch nichts Neues" (ebd.) – was dem Leser gegenüber offenbar die Wahrheit dieser Behauptung beglaubigen soll. 

Als Barbara bekennt, sie habe "im St. Theresienkloster den äußersten und unüberwindlichsten Abscheu und Widerwillen gegen alle Klöster und gegen die Religion selbst bekommen" (S. 1139), wird Pater Urban hellhörig: "Sie sagten vorhin, auch gegen die Religion hätten Sie einen Widerwillen. Ist es wirklich so?" Barbara bekräftigt: "Ich finde auch da Vieles erkünstelt und falsch; ich kann darum Vieles nicht mehr glauben"; worauf der Pater nachhakt: "Was glauben Sie nicht mehr? Nennen Sie nur einen Punkt" (S. 1141). Der eine Punkt, den Barbara daraufhin nennt, lautet: "Ich glaube, daß es keine Hölle und keine ewigen Strafen gibt" (ebd.). Es folgt eine rund fünf Seiten einnehmende Diskussion über diesen Punkt, in deren Verlauf der Verfasser Barbara eine Reihe von Argumenten in den Mund legt, von denen man wohl annehmen muss, dass er selbst sie für überzeugend gehalten hat, die aber tatsächlich ausgesprochen läppisch sind – man kennt das bereits aus der Disputation über Besessenheit zwischen Pater Gratian und Pater Alfons. In diesem Zusammenhang fehlt auch die Behauptung nicht, die Kirche verbiete "das Lesen des Evangeliums, damit die Menschen nie in den wahren Geist Christi und des Evangeliums eindringen, damit sie nicht den Widerspruch zwischen der Kirche Cristi [sic] und der Kirche der Päpste finden, damit sie in religiösen Dingen ewig dumm bleiben und um so leichter die Mährchen glauben, die man am Nil [?] und Tiber ausgeheckt hat" (S. 1133); und schließlich attestiert Barbara der Kirche, dass sie "jede und alle Vernunft haßt und nur blinden Glauben verlangt" (S. 1146). Sie prognostiziert jedoch: 

"Flüche und Concilien halten aber den Verstand nicht mehr auf, die Menschheit verlangt ein vernünftiges Christenthum, das den geistigen Fortschritten entspricht. Die intelligente Welt wie die Mittelklassen, deren Bildung zunimmt, werden sich langsam, in der Stille, im Schooße der Kirche von jener finstern Sekte der Ultramontanen absetzen, und die Kirche wird gezwungen werden, ihr Werk nach einem neuen Plane, den neuen Bedürfnissen der Menschen entsprechend, zu beginnen...." (ebd.) 

Das ist, wohlgemerkt, 1870 geschrieben, aber die Forderung nach einem "vernünftige[n] Christenthum, das den geistigen Fortschritten entspricht" und sich an den "neuen Bedürfnissen der Menschen" orientiert, wirkt bemerkenswert "heutig" – ich sag nur "Synodaler Weg"... Daran kann man übrigens auch sehen, dass die Ideen der vermeintlichen Progressiven in der Kirche tatsächlich schon einen ziemlich langen Bart haben, aber mir ist bewusst, dass die Anhänger dieser Ideen darauf erwidern dürften, eben daran, dass diese Forderungen seit eineinhalb Jahrhunderten aufgestellt werden und immer noch kein Gehör gefunden haben, sehe man, wie rückständig die Kirche sei. 

Pater Urban wird's jedenfalls schließlich zu bunt, und er erinnert Barbara daran, dass es der Zweck dieses Gespräches sei, ihre Sünden zu bekennen. Besonders eifrig befragt er sie "zum sechsten Gebote", also "über alle möglichen Sünden, die er Fleischessünden nannte" (S. 1147); und da wird es nun richtig verwirrend: Auf die Frage des Paters "Und Sie lieben ihn noch, nicht wahr?" antwortet Barbara: "Ja, Hochwürden, mehr wie mich selbst. Ich bete gerne für ihn, und wenn ich an den Tisch des Herrn trete, thut es mir wohl, sein Herz zugleich mit dem meinigen auf den Altar zu legen" (ebd.). Von wem ist hier die Rede? Von Woicech? Wann hätte Barbara mit dem denn fleischlich gesündigt? Gäbe es in dieser Hinsicht nicht weit mehr über ihr Verhältnis mit Pater Gratian zu beichten? Dass Pater Urban ausruft "Ich kenne solche Liebschaften ), solche Liebschaften mit Geistlichen. Diese Liebe ist unverlöschlich, sie dringt in das Blut ein, wissen Sie, in das Blut, in das Blut! [...] Und gar diese Ehe im Kloster!" (S. 1148), scheint sich denn auch eher auf Gratian zu beziehen; aber würde Barbara über den sagen, dass sie ihn immer noch liebt? – Damit nicht genug, argwöhnt Pater Urban, dass Barbaras "Liebe [...] nicht ohne Frucht" geblieben sei (ebd.): "Gestehen Sie, Sie wurden Mutter.... was geschah mit dem Kinde ...." (S. 1149). Barbara reagiert zwar empört auf diese Suggestivfragen, streitet jedoch nicht ausdrücklich ab, ein Kind geboren zu haben; es scheint, als wolle der Autor diese Frage absichtsvoll offen lassen. 

Alexander Zick, Buchillustration zu "Die zweite Frau" von E. Marlitt, ca. 1890

Am Ende des Kapitels übergibt Pater Urban Barbara einem zufällig des Weges kommenden ungarischen Panduren, den er beauftragt, sie "nach Krakau in das Carmeliterinnenkloster zur Heimsuchung Mariä" zu bringen (S. 1150). 

Im LXXI. Kapitel, "Der Traum einer Nonne", gibt es für den Leser ein Wiedersehen mit Woicech Zarski, aber auch hier hat es zunächst den Anschein dass das geschilderte Geschehen überhaupt nicht zu demjenigen der vorangegangenen Kapitel passt – und auch hier zeigt sich, dass dieser Eindruck teilweise, aber eben nur teilweise durch eine verwirrende Erzählreihenfolge bedingt ist. Zu Beginn des Kapitels erfährt man nämlich, in ein "Beschuhtenkloster" in Krakau – d.h. ein Kloster des weniger strengen, weniger asketischen Zweiges des Karmeliterordens ("Barfüßer-Carmeliter kommen überhaupt seltener vor als Barfüßerinnen, weil die Männer nicht so sehr zum Außerordentlichen, Excentrischen hinneigen wie die Frauen", S. 1151) sei "vor einigen Wochen ein Novize eingetreten", und zwar "[n]iemand anderer als Woicech Zarski" (ebd.). Bitte was? Nach allem Schlimmen, das seiner Geliebten im Kloster widerfahren ist, sollte er nun ernsthaft nichts Besseres zu tun haben, als selbst in ein Kloster einzutreten? – Allerdings: "Den jungen Mann hatte die Verzweiflung in das Kloster getrieben" (ebd.). Was man über die Vorgeschichte dieser verzweifelten Entscheidung erfährt, wirkt zunächst noch verwirrender: 

"Die zahllosen Anfeindungen, welche ihm in Warschau durch den mächtigen, eifersüchtigen Pater Gratian wegen der Liebe zu Jovita widerfuhren, hatten ihm endlich jene Stadt verleidet. Als Kandidat der römischen Theologie konnte er außerdem gegenüber den verfolgungssüchtigen und fanatischen Poppen [sic!] der russischen Landeskirche nicht wohl auf eine gesicherte Zukunft in russisch Polen hoffen. [...] Endlich erleichterte ihm der vernünftige Gedanke, daß seine Liebe zu Jovita unter den gegebenen Verhältnissen immer eine platonische bleiben müsse, den Abschied von Warschau. Bei Nacht und Nebel war er von seiner Vaterstadt fortgereist, ohne eine andere bestimmte Absicht, als daß er österreichisch Polen aursuchen müsse. In der Ueberzeugung, daß Jovita und ihm eine plötzliche Trennung am wenigsten schwer fiele, hatte er seiner Geliebten kein Abschiedswort zugerufen, noch auch derselben seine nächste Zukunft bekannt gemacht . Er kannte sie ja selbst nicht" (S. 1151f.). 

Äh. Wie passt das damit zusammen, was wir über das Zusammentreffen Woicechs und Jovitas auf dem Gut des Grafen Satorin, ihre gemeinsame Reise nach Krakau und Jovitas alias Barbaras Verschwinden infolge eines erneuten Wahnsinnsanfalls gelesen haben? – Offenkundig gar nicht, aber das liegt vorrangig daran, dass diese Schilderung chronologisch an Kapitel LIX, "Von Kreuzerhöhung bis Ostern", anknüpft. Da war Woicech gerade aus seiner Stellung als Kirchendiener entlassen worden und Jovita war noch nicht geisteskrank. Aber da muss man erst mal drauf kommen! So richtig ersichtlich wird dies erst, als man liest, wie Woicech nach der Überquerung der russisch-österreichischen Grenze auf dem "Edelgut des Grafen Satorin [...] um Obdach" bittet (S. 1152): 

"Der Graf benützte seine Anwesenheit, über die näheren Verhältnisse Warschaus unter dem gegenwärtigen Regime Erkundigungen einzuziehen. Hiebei lernte er die Persönlichkeit Woicechs, seine Ansichten und Kenntnisse kennen und bot ihm eine Stelle als Sekretär an, womit die Oberaufsicht über seine gesammten liegenden Güter verbunden war. Woicech, ohne bestimmte Pläne für die nächste Zukunft, nahm die Stellung dankbar an" (ebd.). 

Damit wissen wir nun also, wie Woicech die Stellung als Sekretär des Grafen bekommen hat; weiter heißt es, durch das unverhoffte Wiedersehen mit Jovita, das wir in Kapitel LXV miterlebt haben, sei "die halb entschlummerte Liebe stärker denn je in seinem Herzen" aufgelodert (ebd.): "Da er Jovita wieder sah, liebte er sie bis zum Wahnsinne" (ebd.). Auch darüber, wie es den Liebenden erging, nachdem sie zusammen vom Gut des Grafen Satorin aufgebrochen waren, erfährt man nun Genaueres: 

"Er begleitete sie nach Krakau, um hier einen passenden Platz für sie zu suchen [...]. Schon trug er sich mit dem Plane, ebenfalls nach Krakau überzusiedeln und seine Stellung aufzugeben; die Zukunft erschien ihm an der Seite seiner Geliebten lieblich, wenn auch durch ihren geistigen Zustand etwas mit Bitterkeit vermischt.

Allein seine plötzlich erwachten Hoffnungen sollten sich eben so plöslich als Täuschungen erweisen. Woicech hielt auf dem Dorfe Cudova an, zu übernachten; dieser Aufenthalt war nicht nöthig, da er Krakau recht gut an demselben Tage noch erreichen konnte. Vielleicht wollte er nach so langer Trennung das Alleinsein mit der Geliebten genießen. Jovita verschwand aber während der Nacht. Sie mußte sich eingebildet haben, sie sei wieder auf dem Samborgehöfte. Bei Irren kommen derartige lapsus memoriae, Verwechslungen der Erinnerung, beständig vor. Woicech vermißte sie bereits während der Nacht. Sie blieb verschwunden, er sah sie nicht wieder" (S. 1152f.).

Okay. Und dann? Vor lauter Kummer um Jovita – der noch dadurch verstärkt wird, dass er "sich die Schuld an ihrem Unglücke" gibt (S. 1153) –, bittet er den Grafen Satorin um seine Entlassung, um sich ganz der Suche nach Jovita zu widmen; als diese jedoch erfolglos bleibt, gibt er schließlich auf. "Sein Herz war gebrochen. Das Leben war ihm jetzt eine Qual. Er trat also in das Carmeliterkloster ein" (S. 1154) – logisch, oder? Man erfährt noch, dass Woicech vor seinem Eintritt ins Kloster "jene Papiere [...], welche er aus den Schriften des Grafen Alexander Satorin copirt hatte", "bei einem Studienfreunde, [...] dem Herrn von Ograbiszerski, [...] hinterlegt" hat (ebd.); merken wir uns das mal, es könnte noch wichtig werden. 

Der größte Teil des Kapitels ist indes einer rein episodischen Binnenhandlung gewidmet, die mit der Geschichte der Barbara Ubryk im Grunde nichts zu tun hat: Woicech erhält von seinem Novizenmeister, der ihn auf seine Aufgabe "als künftiger Beichtvater in Nonnenklöstern" vorbereiten will, "einige Papiere", die ihm "die richtigen Anschauungen von dem Geiste dieser Ordensfrauen" vermitteln sollen (S. 1155). Es handelt sich dabei um Briefe, die eine "zur Armen- und Krankenpflege" abgeordnete Nonne "an eine, wie sie glaubte ihr befreundete Schwester nach Krakau" geschrieben hat, "welche aber die Papiere sogleich der Priorin auslieferte" (ebd.). In den Briefen wird geschildert, wie die Verfasserin zunächst aufrichtig hofft, mit ihrer Tätigkeit in der Armen- und Krankenpflege Gutes tun zu können, aber bald feststellen muss, dass die Regeln ihres Ordens, die "Launen der Oberen" (S. 1162) sowie vor allem die Intrigen ihrer Mitschwestern ihr dabei permanent Steine in den Weg legen, bis sie schließlich ins Kloster zurückberufen wird. Eine interessante Nebenfigur in dieser Binnenhandlung ist ein liberaler Pfarrer, über den die Briefschreiberin urteilt "Er scheint den wirklichen christlichen Geist obenan zu stellen und die Frömmelei und die Mystik zu verschmähen" (S. 1157) und der seinerseits äußert: "Alle Pfarrer sind im 19. Jahrhundert geboren, die Superioren der Schwesterhäuser aber wollen aus ihren geistlichen Töchtern Ebenbilder der Nonnen des 13. Jahrhunderts machen. Sie, liebe Schwestern, sind hoffentlich vom 19. Jahrhundert" (S. 1157f.). Ich muss gestehen, ich fand es spontan irgendwie witzig, hier jemanden über das 19. Jahrhundert so sprechen zu sehen, wie heutzutage manche Leute über das 21. reden; auch wenn es aus Sicht der Zeitgenossen sicherlich plausibel war, das 19. Jahrhundert als den Inbegriff des menschlichen Fortschritts zu betrachten, zeigt es eben auch – siehe oben –, dass das "progressive Mindset" von heute sich im Prinzip nicht von dem von vor 150 Jahren unterscheidet, und da denke ich mir dann doch: Isn't it ironic

Im LXXII. Kapitel, "Auch eine christliche Liebe", wird die Protagonistin – nun wieder unter ihrem Ordensnamen "Jovita von den Engeln" – schließlich, wie es ja eigentlich schon länger geplant gewesen war, in das "Carmeliterinnenkloster" in Krakau "eingeliefert" (S. 1165). Dass somit endlich der Punkt der Handlung erreicht ist, an dem Barbara in jenem Kloster ankommt, aus dem sie gut zwei Jahrzehnte später befreit wurd, lädt zu einem erneuten Abgleich mit einem anderen zeitgenössischen, sich als authentisch ausgebenden Bericht über den Fall Ubryk ein; es könnte allerdings sein, dass wir dazu erst in der übernächsten Folge kommen, denn in der nächsten möchte ich mich erst einmal wieder Sir John Retcliffes "Biarritz" zuwenden und der Frage nachgehen, wie es mit den aus dem Kloster der Verdammten entlassenen exemplarischen Todsünderinnen weitergeht.