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Montag, 28. August 2017

Der Ärger, der Höck und das Gebet

Ich habe Ärger gehabt; darüber habe ich hier schon geschrieben und will nicht nochmals im Einzelnen darauf eingehen, entscheidend ist eigentlich nur, dass der Ärger sich inzwischen gelegt hat. So gründlich gelegt, dass ich gegen keine der daran beteiligten Personen mehr einen Groll hege, nicht einmal mehr gegen mich selbst, was am schwersten war. Aber die Phase, die sich an den Ärger anschloss - und mit diesem inhaltlich gar nicht so viel zu tun hatte, sondern viel eher mit anderen Misshelligkeiten wie einer schwächelnden Blogstatistik und dem Umstand, dass ich nach dem Umzug in die neue Wohnung immer noch kein funktionierendes Internet und Festnetztelefon zu Hause habe -, war nicht unbedingt einfacher. Diese Phase war geprägt von einer Stimmung, die ich in Anlehnung an Rudyard Kiplings "Genau-so-Geschichten" (in der kongenialen Übersetzung von Gisbert Haefs) "den Höck" nenne. Kipling beschreibt diese Stimmung in einem Gedicht, das er an seine Erzählung "Wie das Kamel seinen Höcker kriegte" anschließt. Hier eine Kostprobe: 

"Ein kamelischer Höck ist ein böses Gepöck, 
kuck es dir im Zoo an in Ruh; 
doch schlimmer, o Schröck, ist der Trübtassenhöck, 
den ich krieg, wenn ich nicht genug tu." 



Ich nehme an, viele meiner Leser werden diese Stimmung kennen. Meine Liebste, so unverwüstlich fröhlich und optimistisch sie meistens ist, kennt sie; die beste Kati von allen kennt sie; und ich kenne sie besser, als mir lieb ist. Wenn man das Gefühl hat, gerade nichts auf die Reihe zu kriegen, sich darüber ärgert, dass man nichts auf die Reihe kriegt, infolge dieses Ärgers erst recht nichts auf die Reihe kriegt, sodass man schließlich nur blöde in der Gegend herumhängt und sich währenddessen darüber ärgert, dass man nur blöde in der Gegend herumhängt - dann hat man den Höck. Und der geht nicht weg, der wird nur immer schlimmer und schlimmer. 

Das Komische ist, dass ich in meiner jüngsten Höck-Phase objektiv betrachtet durchaus Einiges auf die Reihe gekriegt habe: zum Beispiel die Teilnahme an einer Demo, zwei Blogartikel, zwei Beiträge für die Tagespost und einen Wochenkommentar für Radio Horeb. Ach ja, und eine Foodsaving-Aktion, über die ich auch noch was werde schreiben müssen. Aber das Gefühl ging trotzdem nicht weg. Eine Auswirkung davon - und zwar eine dieser typischen Höck-Auswirkungen, die das Problem verschlimmern und in eine Endlosschleife zu treiben drohen - war, dass ich in dieser Phase zu wenig gebetet habe. Das ist, ich kenne mich da, ein absolutes Desaster für mich. Wenn ich das Gebet vernachlässige, leiden alle, ausnahmslos alle Aspekte meines alltäglichen Lebens darunter. Noch vor wenigen Tagen habe ich es nicht einmal geschafft, meinen Hintern hoch zu kriegen, um in der Kirche, die sieben Minuten Fußweg (oder fünf, wenn die Ampel gerade grün ist) von meiner Wohnung entfernt liegt, zur Eucharistischen Anbetung zu gehen. Obwohl ich mir sehr bewusst war, dass genau DAS mir in dieser allgemeinen Stimmungslage (bzw. aus dieser hinaus) enorm geholfen haben würde. 

Und dann kam der Sonntag. 

Aufstehen, kurz ins Bad, anziehen, abwarten, bis der Schatz sich die hüftlangen Haare gekämmt hat, und los zur Kirche. Sonntagspflicht ist eine feine Sache, sie nimmt einem Entscheidungen ab. Wir kamen früh genug in der Kirche an, um vor dem Beginn der Messe noch gemeinsam die Laudes beten zu können. Die Messe selbst war liturgisch nicht unbedingt eine Glanzleistung (wenn auch weit entfernt davon, in dieser Hinsicht wirklich schlimm zu sein), und die Predigt fand ich eher doof; aber es WAR eine Heilige Messe, und das war gut. Im weiteren Verlauf des Tages fühlte ich mich schon mal deutlich besser als an den Tagen zuvor, und am Abend las ich Dorothy Day. 

Ich erwähnte es bereits (wenn auch nur in der Antwort auf einen Kommentar zu einem meiner Blogartikel): Man bekommt leicht ein etwas einseitig verzerrtes Bild von der Ehrwürdigen Dienerin Gottes (so ihr offizieller kirchenrechtlicher Status bzw. Titel) Dorothy Day, wenn man nur ihre kämpferischen und zum Teil recht linksradikal anmutenden Leitartikel aus dem Catholic Worker liest. Das könnte übrigens auch ein Problem einiger heutiger Aktivisten des Catholic Worker Movement sein, aber dazu vielleicht ein Andermal. Glücklicherweise hat meine Liebste, kaum dass ich sie ein bisschen mit meiner Begeisterung für Dorothy Day angesteckt hatte, bei Amazon gleich einen ganzen Stapel Bücher von und über Dorothy Day bestellt, und vier davon sind mittlerweile angekommen. Darunter ein schmales Bändchen, das sich - in Form einer Blütenlese aus dem umfangreichen Gesamtwerk der Autorin - ganz auf die Spiritualität der Dorothy Day konzentriert: "The Reckless Way of Love - Notes on Following Jesus", herausgegeben von Carolyn Kurtz. Und darin las ich an diesem Sonntagabend. 


"Demütig muss man aus einem göttlichen Beweggrund heraus sein, andernfalls ist Demut eine entwürdigende und abstoßende Haltung. Demütig und duldsam sein aus Liebe zu Gott - das ist wundervoll. Aber demütig und duldsam zu sein, weil dein Brot und deine Butter davon abhängen, ist furchtbar. Es bedeutet, das Bewusstsein der eigenen Menschenwürde zu verlieren." 
Als jemand, der theoretisch sehr viel von Demut hält, sich praktisch aber oft damit schwer tut, konnte ich damit eine Menge anfangen. Noch mehr aber mit dem Folgenden: 
"Ich beschloss, sorgfältiger darauf zu achten, bestimmte Formen der Andacht nicht zu versäumen, von denen ich mich aufgrund meiner unregelmäßigen Lebensweise und meiner Müdigkeit allzu gern entschuldigte. Schließlich, wenn ich von sieben Uhr früh bis Mitternacht gearbeitet habe oder fünfzehn Stunden lang im Bus gereist bin, begreife ich umso besser die Worte 'Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen?' (Mt 26,40). Das, so habe ich beschlossen, soll mein Motto für das kommende Jahr werden, um meine Besinnung zu festigen.
'Kannst du nicht einmal eine Stunde mit mir wachen?' 
Ich will daran denken, wann immer ich müde bin und das Gebet auslassen will, die zusätzlichen Gebete, die ich selbst für mich festlegen will. Denn schließlich habe ich vor, in der schlichtesten, demütigsten Weise zu beten, ohne spirituellen Ehrgeiz.
Morgengebete in meinem Zimmer, ehe ich zur Messe gehe. Ich lasse sie immer aus, so gewohnt bin ich es, gerade noch rechtzeitig aus dem Haus zu eilen. Wäre ich weniger träge, ginge es besser...
Um die Mitte des Tages, so schwer es auch zu erhaschen sein mag, fünfzehn Minuten absoluter Stille, um an Gott zu denken und mit Gott zu sprechen.
Die Gegenwart Gottes einüben." 
Das ist doch mal ein Programm. Und wenn es mir schwer fällt, das durchzuhalten, kann ich mich damit trösten, dass es Dorothy auch nicht leicht gefallen ist. 


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