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Montag, 24. Juni 2019

Kaffee & Laudes - Das Wochen-Briefing (12. Woche im Jahreskreis)

Was bisher geschah: Am Montag unternahm ich mit Hilfe der Karte von openbookcase.org einen erneuten Streifzug, um für das Büchereiprojekt  in der Pfarrgemeinde nicht brauchbare Bücher loszuwerden oder gegebenenfalls gegen brauchbare einzutauschen. Die besagte Karte zeigte eine auffallende Häufung von Büchertausch-Standorten im Ortsteil Moabit an, und mittels eines Artikels der Berliner Woche, den ich im Internet fand, kam ich auch dahinter, warum das so war: Es handelte sich um die sogenannten "Moabiter Bücherbänke", ein Projekt der Agentur "Stadtmuster", die "18 ansprechend gestaltete Bücherbänke im Kiez" platziert habe. "Die lesebegeisterten Moabiter legen ihre Bücher, die sie nicht mehr haben wollen, einfach auf die Bänke." Das klang ja fein, allerdings ist dieser Pressebericht bereits fast sechs Jahre alt, und wie ich feststellen musste, ist das Projekt inzwischen offenbar mehr oder weniger eingeschlafen: Ungefähr die Hälfte der angegebenen Standorte habe ich abgeklappert, nur an zweien habe ich noch aktive "Bücherbänke" vorgefunden, an einem dritten zwar die charakteristische Sitzgelegenheit, aber ohne Bücher. Nachdem der Trip nach Moabit somit eher enttäuschend verlaufen war, klapperte ich noch ein paar Büchertelefonzellen in den Ortsteilen Gesundbrunnen und Reinickendorf-Ost ab. Bei der Hitze kein Vergnügen, aber immerhin gabelte ich einige recht interessant aussehende Bücher auf und wurde ganze 40 los.

Am Mittwochabend übernahmen meine Liebste und ich es spontan, in "unserer" Kirche die Erste Vesper von Fronleichnam vorzubeten (es stand nichts im Zelebrationsplan, obwohl mittwochs in dieser Kirche normalerweise immer Vesper gebetet wird), und anschließend fand im Gemeindehaus die bang erwartete Pfarrfest-Krisensitzung statt. Und was soll ich sagen? Sie war überraschend produktiv! Obwohl die leidige "Wir sollten uns nicht so viel Arbeit machen, es kommt ja sowieso keiner"-Einstellung bei einigen Beteiligten zwischendurch noch mal ihr Haupt erhob, sieht es nun so aus, dass wir wohl doch ein einigermaßen ansehnliches Programm auf die Beine gestellt bekommen. Es werden allerdings noch Helfer benötigt --- und natürlich Gäste!

Am Donnerstag brach ich am späten Nachmittag bzw. frühen Abend mit Frau und Kind zur zentralen Fronleichnams-Festmesse am Gendarmenmarkt auf; wir kamen gerade rechtzeitig dort an, um die Ansage zum organisatorischen Ablauf mitanzuhören, und stellten einigermaßen konsterniert fest, dass wieder dieselbe fragwürdige Prozessionsordnung wie im Vorjahr zum Einsatz kommen sollte. Nicht dass wir im Vorfeld nicht bereits darüber spekuliert hätten; ich hatte sogar gescherzt, die Vorstellung, Gläubige, die sich nicht verbieten lassen wollen, vor dem Allerheiligsten zu knien, würden von Ordnern im Auftrag des Erzbistums weggetragen wie Castor-Blockierer, habe ja durchaus ihren Reiz. In der Theorie, wohlgemerkt. Nun allerdings meinte meine Liebste, im Angesicht des Allerheiligsten einen Eklat zu provozieren sei ja nun auch nicht Sinn der Sache und sie würde unter diesen Umständen lieber gar nicht an der Prozession teilnehmen. Ich ließ mich überzeugen, wir verließen den Gendarmenmarkt noch vor Beginn der Messe und gingen stattdessen zu den charismatischen Indern in St. Clemens. Rund eine halbe Stunde stille Anbetung, dann Abendmesse. Das hatte, auch dank der ausgeprägten ethnischen Diversität der dortigen Gemeinde, ein bisschen was von Untergrundkirche. Zwar konnte man auch hier über manche Gestaltungselemente der Messe gelinde die Stirn runzeln, aber im Zweifel ist mir etwas charismatischer Überschwang, auch wenn er mir vom Temperament her nicht liegt, noch tausendmal lieber als die auf- und abgeklärte Tristesse des bürgerlich-liberalen deutschen Mainstream-Katholizismus. (Bloggerkollegin Claudia berichtet übrigens, gar so schlimm sei die diözesane Fronleichnamsfeier dann gar nicht gewesen. Aber dann habe ich da auch nichts verpasst.)

Am Freitag stellten meine Liebste und ich mit vereinten Kräften die Plakate und Flyer für das Pfarrfest fertig und begannen auch gleich damit, sie unters Volk zu bringen. Theoretisch wäre ja auch Fête de la Musique gewesen, aber davon war in Alt-Tegel nicht viel zu bemerken; auch beim wunderbaren Falafelmann nicht, der seinen Plan, in bzw. vor seinem Laden Musiker auftreten zu lassen, doch wieder aufgegeben hatte, nachdem ihm klar geworden war, dass er mit dem Restaurantbetrieb schon mehr als genug zu tun hatte. Essen gingen wir am Abend trotzdem bei ihm.

Und am Sonntag war dann die Fronleichnamsfeier auf Pfarreiebene dran. Ich war als Lektor in der Messe und als Baldachinträger bei der Prozession eingeteilt und hatte somit mehr als genug zu tun; leider muss ich sagen, dass ich die Prozession ein wenig mickrig fand, besonders wenn man bedenkt, dass sie als gemeinsame Prozession zweier Pfarreien gedacht war, zu denen ganze fünf Kirchorte in Tegel, Heiligensee und Borsigwalde gehören. Na ja. Positiv ist hervorzuheben, dass der Ruhestandspfarrer, der die Messe zelebrierte, ziemlich kraftvoll über das Thema "Ehrfurcht vor dem Eucharistischen Leib Christi" predigte. Hätte ich ihm fast nicht zugetraut. 


Was ansteht: Heute ist das Hochfest der Geburt Johannes des Täufers (und somit noch ein halbes Jahr bis Heiligabend!), aber es ist kaum damit zu rechnen, dass das hier in der Gegend groß gefeiert wird, erst recht nicht da es auf einen Montag fällt. Feste Termine habe ich in der ersten Wochenhälfte wohl erst einmal nicht, aber zu tun wird es trotzdem genug geben, zum Beispiel für das Pfarrfest und für das Büchereiprojekt. Am Donnerstag steht morgens ein informelles Treffen mit einer über Facebook kennengelernten christlichen "kindergartenfrei"- und Homeschooling-Aktivistin auf dem Programm, die aus familiären Gründen gerade in der Gegend ist; und am Abend würde ich dann gerne endlich mal zur Community Networking Night im Baumhaus, hoffen wir mal, dass es diesmal klappt. Am Freitag ist das Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu und somit das eigentliche Patronatsfest meiner Wohnortgemeinde, auch wenn die äußere Feier, wie erwähnt, auf den Sonntag gelegt wurde. Zur Anbetung und zur Abendmesse zu gehen wäre aber wohl trotzdem "dran". Der Rest des Wochenendes wird dann wohl ganz im Zeichen des Gemeindefests stehen: Samstag die letzten Vorbereitungen, Sonntag das Fest selbst, und ganz nebenbei hat am Sonntag meine Liebste Geburtstag. Da könnte man nach dem offiziellen Ende des Pfarrfests eigentlich gleich weiterfeiern -- wenn nur das Aufräumen nicht wäre...


aktuelle Lektüre: Die Methode, mehrere verschiedene - sehr, sehr verschiedene - Bücher abschnittsweise parallel zu lesen, hat sich als ausgesprochen fruchtbar erwiesen; in meinem Hinterstübchen haben sich zum Teil äußerst bemerkenswerte assoziative Querverbindungen ergeben, die, wie ich hoffe, in künftigen Blogartikeln noch manche Früchte tragen werden. Folglich bin ich gewillt, mit dieser Methode fortzufahren, und habe mir bereits eine neue Leseliste zusammengestellt; aber erst einmal gilt es die alte zu bilanzieren.
  • Das erste Buch, das ich in der zurückliegenden Woche zu Ende gelesen habe, war "Jenseits bürgerlicher Religion" von Johann Baptist Metz, und meine zwischenzeitlich etwas abgeflaute Begeisterung über diese Sammlung von Vorträgen ist zum Ende hin mit voller Wucht zurückgekehrt. Mein persönliches Highlight war der sechste Einzelbeitrag, "Wenn die Betreuten sich ändern - Unterwegs zu einer Basiskirche"; ein Vortrag, den Metz 1980 bei einer Veranstaltung mit dem bezeichnenden Namen "Katholikentag von unten" gehalten hat. Wie er da den versammelten Möchtegern-Revoluzzern - wenn auch natürlich diplomatisch durch die Blume - vorhält, dass ihr Kirchenbild im Grunde durch und durch bourgeois ist, dass ihre Kirchenkritik im Wesentlichen bloß Hierarchiekritik ist, dass sie aber, wenn sie die Kirche wirklich von der Basis her reformieren wollten, erst einmal bei sich selber anfangen müssten:  Das ist ganz großes Kino. Und irgendwie ja auch ziemlich #benOppig. Er zitiert in diesem Zusammenhang sogar Lenin: "Wenn deutsche Revolutionäre einen Bahnhof besetzen, kaufen sie sich erst einmal eine Bahnsteigkarte." Ja, natürlich ist Metz - der Metz von 1980; ob heute noch, mit über 90 Jahren, weiß ich nicht - ein "Linker". Natürlich hat er seinen Marx gründlich studiert, und zeitweilig wirkt er ganz besoffen von den "Grenzen des Wachstums" und der lateinamerikanischen Befreiungstheologie und scheint geradezu stündlich den Zusammenbruch der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu erwarten. Und seine Vision einer "Basiskirche" hat so manche Züge an sich, mit denen ich ganz und gar nicht einverstanden bin. Geleigentlich verstehe ich auch einfach nicht, was er sagt, was vielleicht zum Teil daran liegt, dass er Rahner-Schüler ist. Aber nicht selten hat er auch einfach Recht, und auch da, wo das nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen der Fall ist, sind seine Gedanken vielfach sehr anregend. Ich werde definitiv darüber bloggen müssen, wahrscheinlich wird sogar mehr als ein Artikel draus. 
  • Sodann: "Das Druidentor" vom ollen Wolle Hohlbein. Das ist zum Ende hin immer bescheuerter geworden, gleichzeitig aber auch interessanter; auf eine interessante Art bescheuert, wenn man so will. Auch darauf wird noch zurückzukommen sein. 
  • Über "Die Wölfe kommen" von Erich Kloss gibt es nicht sonderlich viel zu sagen. Ein in seinem schlichten, altmodisch anmutenden Stil irgendwie reizendes Jugendbuch, größtenteils eine Aneinanderreihung von Naturschilderungen, die eher notdürftig in einen erzählerischen Rahmen eingebettet sind. Ich würde sagen, das kann gern in die Pfarrbücherei aufgenommen werden, aber vorerst ohne Stempel -- der bleibt denjenigen Büchern vorbehalten, die definitiv dauerhaft im Bestand verbleiben sollen. 
  • "Die Magermilch-Bande" von Frank Baer hingegen hat einen solchen Stempel bereits bekommen, als ich es noch nicht mal halb durch hatte. Das ist wirklich ein beeindruckenfes Buch. Der Schluss ist sehr traurig, aber ein Happy End hätte zu der Geschichte auch kaum gepasst. 
  • Den "Erinnerungen eines Nihilisten" von Wladimir Debogory-Mokriewitsch habe ich den besagten Stempel ebenfalls schon längst verpasst. Ich hatte zwar Sorge, die zweite Hälfte des Buches, die sich hauptsächlich um die Verbannung des Verfassers nach Sibirien und seine Flucht von dort dreht, würde weniger spannend sein als die erste, die seine (erfolglose) politische Verschwörertätigkeit schildert. Aber diese Befürchtung hat sich nicht bestätigt; gerade das von Ernüchterung geprägte Fazit der revolutionären Bewegungen der 1870er- und 80er-Jahre in Russland, das der Autor auf den letzten Seiten des Buches zieht, ist äußerst interessant. Insgesamt bin ich entzückt, dieses sehr bemerkenswerte Buch gefunden zu haben. Und nebenbei bemerkt musste ich bei der Lektüre wiederholt an ein Zitat von Max Goldt denken, das zwar eigentlich nichts mit dem Buch zu tun hat, das ich aber dennoch im Falle einer Neuauflage von Debogory-Mokriewitschs "Erinnerungen" unbedingt als Werbeslogan verwenden würde: "Schau an, ein Nihilist! Was kauft ein Nihilist wohl so? Aha, Früchtequark, soso, Zahnpasta, hmhm, Äpfel. Scheinen ganz nette Leute zu sein, diese Nihilisten." 
"Naomi & Ely" habe ich ganz nebenbei auch durchgelesen, und siehe da, der Schluss hat mir erheblich besser gefallen, als ich es für möglich gehalten hätte. Wie im Grunde das ganze Buch, könnte man sagen. Es ist ein gutes Buch. Nicht geeignet für eine Pfarrbücherei, aber in meiner Klobibliothek bekommt es einen Ehrenplatz.

Und nun also die Leseliste für die kommende(n) Woche(n):
Ich erwähnte es schon mal. Wir haben dieses Buch bloß geliehen bekommen, und das ist schon wieder eine Weile her; irgendwann müssen wir es mal zurückgeben. Meine Liebste hat es jedenfalls geradezu verschlungen und sich sehr lobend darüber geäußert; dann hoffen wir mal, dass es mir auch gefällt.
Habe ich ebenfalls schon erwähnt. Und schiebe die Lektüre nun schon lange genug vor mir her. Jetzt muss ich da langsam mal ran. Lust habe ich immer noch nicht darauf, aber immerhin ist es das kürzeste der Bücher, die ich mir für die nächste Zeit vorgenommen habe.
Ein Roman aus der Zeit des gründerzeitlichen Baubooms in Berlin, als Bauern ihre Ländereien als Bauland verkauften und quasi über Nacht zu stinkreichen Rentiers wurden. Autor Max Kretzer - auf den ich erstmals im Zuge der Recherchen für meine Dissertation aufmerksam wurde; gelesen habe ich damals aber noch nichts von ihm - ist eine interessante Gestalt: Einerseits gilt er als Pionier des literarischen Naturalismus im deutschen Sprachraum, andererseits als Trivial-, ja fast schon Schundliterat; in der Frühzeit seiner Schriftstellerkarriere war er Sozialdemokrat, später liebäugelte er mit christlichem Anarchismus und gegen Ende seines Lebens sympathisierte er mit den Nazis. Der "Millionenbauer" gehört noch zu seinen früheren Werken. Ich bin gespannt.
Ja, in der Tat: Nach dem "Druidentor" tue ich mir freiwillig noch einen weiteren Hohlbein-Roman an. Der ist allerdings erheblich kürzer. Ich habe ihn ebenfalls aus den Bücherspenden für unser Büchereiprojekt abgezweigt und habe den Verdacht, dass er inhaltlich einige Parallelen zum "Druidentor" aufweisen wird. Sollte sich diese Vermutung bestätigen, kann ich beide gleich in einem Rutsch rezensieren.
Es war einmal vor langer Zeit und das war eine sehr gute Zeit da war eine Muhkuh die kam die Straße herunter gegangen und diese Muhkuh die da die Straße herunter gegangen kam die traf einen sönen tleinen Tnaben und der hieß Tuckuck-Baby. Ist das einer der genialsten Romananfänge der Weltliteratur, oder was? Ich will jedenfalls wissen, wie's weitergeht.

Außerdem ist mir mal wieder ein Rezensionsexemplar einer aktuellen Neuerscheinung ins Haus geflattert, aber darüber sage ich vorerst noch nichts. Außer vielleicht, dass ich darauf spekuliere, zu diesem Buch etwas in der Tagespost unterbringen zu können.


Linktipps: 
"Am Donnerstag nach dem Dreifaltigkeitssonntag", so erklärt Bloggerkollegin Mary of Magdala ihren Lesern, "feiert die Kirche ein ganz besonderes Fest. Es heißt 'Kommunionkleidfest' und bezeichnet einen feierlichen Gottesdienst mit Prozession, der den Erstkommunionkindern, besonders den Mädchen, die Gelegenheit gibt, ihre schönen weißen Kleidchen noch einmal zu tragen. Ähm – naja." Manchmal hilft eben nur noch Sarkasmus. Auf der Basis eigener Beobachtungen schildert die Verfasserin, wie die landläufige Praxis von Fronleichnamsfeiern in der deutschen Diaspora auf eklatante Glaubensmängel bei den Teilnehmern (und Organisatoren?) schließen lässt, und resümiert, sie sei "frustriert und erschöpft, weil das, was einfach nur katholisch ist, offensichtlich in Deutschland eine Minderheitenposition ist". Angesichts meines eigenen Leidens an den Fronleichnamsfeiern des Erzbistums Berlin in den letzten Jahren (siehe oben) kann ich diesem Stoßseufzer nur beipflichten.


Welcome to Dystopia, Leser. Habe ich nicht schon vor längerer Zeit mal geschrieben, wenn man sich heute dystopische Science-Fiction-Filme aus den 70ern ansehe, könne man den Eindruck haben, die Realität habe diese Visionen inzwischen bereits eingeholt, wenn nicht gar überholt? In der Tat: Hier haben wir ein neues Fallbeispiel, und es spielt sich nicht in einer bizarren totalitären Diktatur wie z.B. Nordkorea ab, sondern in Noch-EU-Mitgliedsland Großbritannien. Okay, das ist dasselbe Land, das auch schon Charlie Gard und Alfie Evans zum Tode verurteilt hat. Aber das heißt nicht, dass so etwas nicht auch woanders passieren könnte. In Deutschland sind wir aus historischer Erfahrung vielleicht ein bisschen zurückhaltender gegenüber der Idee der Vernichtung "lebensunwerten Lebens", aber insgesamt ist es doch kaum zu übersehen, in welche Richtung der Zivilisationszug rollt. Ich verlinke den Bericht von CNA über die gerichtlich erzwungene Abtreibung hier vor allem deshalb, weil dieser Fall in den deutschsprachigen Medien ansonsten kaum präsent zu sein scheint. Anders ausgedrückt: Hörst du, Leser, das ohrenbetäubende Schweigen derer, die sonst immer betonen, beim Thema Abtreibung gehe es um Frauenrechte und um körperliche Selbstbestimmung? Ich höre es.


Heilige der Woche: 

Donnerstag, 27. Juni: Hl. Hemma von Gurk (ca. 995-ca. 1045), Kirchenstifterin und Klostergründerin, Schutzpatronin Kärntens; Hl. Cyrill von Alexandrien (ca. 380-444), Kirchenlehrer und Kirchenvater, ab 412 Patriarch von Alexandria.  

Samstag, 29. Juni: Hll. Petrus und Paulus, Apostel. Diese beiden Herren brauche ich wohl nicht extra vorzustellen. "Nach Peter und Paul wird der Pfarrer faul", sagt der Volksmund und meint damit, dass über den Sommer erst mal keine weiteren besonders herausragenden kirchlichen Feste mehr anstehen. Ob das aber auch stimmt? Wir werden sehen... 


Aus dem Stundenbuch: 

Frohlocken und Jubel erschallt in den Zelten der Gerechten: * "Die Rechte des Herrn wirkt mit Macht!" (Psalm 118,15



Sonntag, 23. Juni 2019

Schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr

Wochenkommentar auf Radio Horeb, ausgestrahlt am 22.06.2019 

In meiner Wohnortpfarrei gibt es seit ungefähr einem Jahr einmal monatlich eine sogenannte "Jugendmesse", die üblicherweise vom Firmkurs unter Leitung der Gemeindereferentin mitgestaltet wird, unter anderem musikalisch. Neulich ging ich da einmal hin, denn ich wollte gern mit den musizierenden Jugendlichen darüber ins Gespräch kommen, sie womöglich auch in andere Aktivitäten in der Gemeinde einzubeziehen. Allerdings hatte ich nicht bedacht, dass die diesjährige Firmung bereits vorbei war und der Firmkurs fürs nächste Jahr erst im Herbst beginnt. Die Folge war, es gab in dieser Messe keine musizierenden Jugendlichen. Nicht einmal die Gemeindereferentin war anwesend. Stattdessen saß der hauptamtliche Kirchenmusiker an einem E-Piano statt an der Orgel und spielte pflichtschuldigst einige Lieder von der Art, wie sie im kirchlichen Kontext als "jugendgerecht" gelten. Dabei waren in den Gemeindebänken auch nur maximal zwei bis drei Jugendliche vertreten. Aber die Messe stand nun mal als "Jugendmesse" im Zelebrationsplan. 

Diese kleine Anekdote scheint mir auf vielfältige Weise bezeichnend dafür, wie schwer sich die Kirche in ihrem Umgang mit jungen Menschen tut. Ich will mich hier auf einige Teilaspekte dieses umfangreichen Themas beschränken. Zunächst wäre da das Phänomen des spurlosen Verschwindens von Jugendlichen aus der Kirche nach der Firmung zu nennen. Der kanadische Priester James Mallon spricht in seinem Buch "Wenn Gott sein Haus saniert" sogar "von der fast überall verbreiteten Erfahrung in der katholischen Kirche der westlichen Welt", dass die Firmung "in Wirklichkeit für viele den Abschied von der Kirche bedeutet. Was eine Feier der Vollmitgliedschaft sein sollte, ist eine Fassade, die den systematischen Glaubensabfall kaschiert." Das sind harte Worte, aber ihr Wahrheitsgehalt ist kaum zu leugnen; nicht umsonst gib es etwa den bekannten Witz über die Geistlichen, die sich darüber austauschen, was man gegen Fledermäuse im Dachstuhl tun könne, und einer von ihnen erklärt: "Ich hatte das Problem auch mal, aber dann habe ich die Fledermäuse getauft und gefirmt und seitdem habe ich sie nie wiedergesehen." Dass dieses Problem so allgemein bekannt ist, aber weithin achselzuckend zur Kenntnis genommen wird, als könne man daran schlechterdings nichts ändern, stimmt bedenklich. Betrachtet man die Statistiken darüber, wie viele tausend Kinder und Jugendliche in der katholischen Kirche in Deutschland alljährlich zur Erstkommunion und zur Firmung angemeldet werden, kann man feststellen, dass die schrumpfende Volkskirche immer noch ein gewaltiges Nachwuchspotential hat; gleichzeitig drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass dieses Potential durch die landläufige Praxis der Kinder- und Jugendkatechese auf unverantwortliche Weise vergeudet wird. 

Aber wird denn nicht schon viel dafür getan, die Kirche für Jugendliche attraktiver zu machen, etwa durch speziell auf diese Zielgruppe zugeschnittene Angebote? Die regelmäßigen Jugendmessen in meiner Pfarrei wären ein Beispiel hierfür, aber meiner Beobachtung zufolge sind sie in erster Linie ein Beispiel dafür, dass dieser Ansatz eher kontraproduktiv ist. Seit es diese Jugendmessen gibt, tauchen die Jugendlichen nur umso weniger in den "normalen" Gemeindemessen auf. Auf diese Weise werden die Jugendlichen noch stärker von der übrigen Gemeinde isoliert, als das ohnehin der Fall wäre, und eine "erwachsene" Glaubenspraxis bliebt ihnen fremd. Noch etwas schärfer formuliert: Durch speziell auf sie zugeschnittene Gottesdienstformen wird den Jugendlichen suggeriert, der Besuch "normaler" Gottesdienste sei ihnen nicht zuzumuten; dann braucht man sich auch nicht zu wundern, dass sie sich dafür nicht interessieren. Für die "Familienmessen", die in meiner Pfarrei ebenfalls einmal im Monat stattfinden, gilt mehr oder weniger dasselbe. 

Die Idee einer nach Zielgruppen ausdifferenzierten Pastoral wird, nicht nur auf Altersgruppen bezogen, in jüngerer Zeit immer offensiver als das Mittel der Wahl angepriesen, um die schrumpfende Mitgliederbasis der Großkirchen bei der Stange zu halten. Dieser marketingorientierte Ansatz ergibt jedoch im Grunde nur Sinn, wenn man die Kirche als einen Dienstleister und die Kirchenmitglieder als Kunden betrachtet, denen man ein Konsumangebot macht. Versteht man die Kirche hingegen als eine Gemeinschaft von Gläubigen, die sich gegenseitig im Glauben stärken und einander dabei helfen sollen, auch im Alltag ein christliches Leben zu führen, dann müsste man vielmehr darauf bedacht sein, unterschiedliche Zielgruppen zusammenzubringen und so innerhalb der Gemeinde einen Gegenentwurf zur fortschreitenden Fragmentierung der postmodernen Gesellschaft zu verwirklichen. 

Es soll nicht geleugnet werden, dass gerade Teenager zuweilen ein ausgeprägtes Bedürfnis danach haben, unter ihresgleichen zu sein, und sich daher zu Veranstaltungsangeboten hingezogen fühlen, die speziell für ihre Altersgruppe konzipiert sind. Zu einem gewissen Grad wird es auch im kirchlichen Kontext sinnvoll sein, diesem Bedürfnis entgegenzukommen. Gerade die Sonntagsmesse sollte jedoch eine Feier der ganzen Gemeinde sein. Daneben und darüber hinaus wäre übrigens zu fragen, ob das, was im kirchlichen Bereich üblicherweise als "jugendgerecht" gehandelt wird, diese Bezeichnung wirklich verdient – ob also, polemisch gesagt, bunte Handabdrücke auf Bettlaken und vierzig Jahre alte Klampfenlieder wirklich das sind, was "die jungen Leute" wollen. Wäre die kirchliche Jugendarbeit stärker darauf ausgerichtet, die Jugendlichen zur Eigeninitiative anzuregen, statt sie als passive Konsumenten zu behandeln, käme man womöglich zu ganz anderen Ergebnissen. 

Die Ästhetik kirchlicher Angebote für Jugendliche.
Die wohl größte Herausforderung für die kirchliche Jugendarbeit besteht indes darin, dass Jugendliche in ihrem täglichen Leben – in der Schule, im Umgang mit nicht-gläubigen Gleichaltrigen, in den Medien etc. – einer Fülle von Einflüssen ausgesetzt sind, die sie vom Glauben der Kirche entfernen; dass ihnen, beispielsweise in Fragen von Geschlecht und Sexualität (aber auch nicht nur dort), tagtäglich Anschauungen vermittelt werden, die im Widerspruch zur kirchlichen Lehre stehen. Eine Jugendpastoral, die darauf setzt, diesen Konflikt abzuschwächen, indem sie heikle Themen ausspart oder hinter vorgehaltener Hand den Eindruck vermittelt, diese seien nicht so wichtig oder die kirchliche Lehre sei in diesen Fragen nicht so ganz ernst zu nehmen, erweist sowohl ihrem eigenen Anliegen als auch den Jugendlichen selbst einen Bärendienst, denn gerade so erscheint der Glaube der Kirche nicht als eine erwägenswerte Alternative zu den säkularen Heilsversprechen der postmodernen Welt, sondern bestenfalls als eine langweiligere, leicht verstaubte Version davon, mit schlechterer Musik und erheblich schlechterer Deko. Anders ausgedrückt: Die Zentrifugalkräfte, die die Jugendlichen von der Kirche wegtreiben, sind zu stark, als dass sie sich durch eine möglichst anspruchslose, harmlos-tolerante Selbstdarstellung der Kirche beschwichtigen ließen. Eine Chance hat die Kirche bei den Jugendlichen auf Dauer nur, wenn sie sie positiv zu begeistern versteht – und zwar nicht für irgendetwas, was ihnen auch woanders, und dort wahrscheinlich sogar besser, geboten wird, sondern für den Glauben an Jesus Christus. Das wird ihr jedoch nicht gelingen, wenn sie ihnen diesen Glauben nur in einer verwässerten, verharmlosten Variante anbietet. 

Katecheten klagen nicht selten darüber, dass sie es in der Firmvorbereitung teilweise mit Jugendlichen zu tun bekommen, bei denen sie, was die Vermittlung von Glaubenswissen angeht, praktisch bei Null anfangen müssten – was im Rahmen eines Firmkurses aber nicht geleistet werden kann. Zu fragen wäre, ob es unter solchen Voraussetzungen überhaupt noch sinnvoll ist, die Schüler pauschal nach Jahrgangsstufen zum Erstkommunion- und Firmunterricht antreten zu lassen. Ob man nicht besser daran täte, stattdessen die Familienkatechese zu stärken – sowohl im Sinne von "Katechese für Familien" als auch im Sinne von "Katechese in der Familie". Beides sollte idealerweise Hand in Hand gehen. Katholische Eltern müssen sich bewusst sein, dass es Bestandteil ihres Eheversprechens ist, ihre Kinder im Glauben der Kirche zu erziehen, und Aufgabe der Kirche – zuallererst in Gestalt der örtlichen Pfarrei – ist es, ihnen einerseits diese Verantwortung bewusst zu machen und ihnen andererseits Hilfestellung zu geben, um dieses Versprechen erfüllen zu können. Eltern dazu zu befähigen, selbst die ersten und vorrangigen Katecheten für ihre Kinder zu sein, ist indes keine Aufgabe, die man mittels eines vier- oder sechswöchigen Kurses ein für allemal abhaken könnte, sondern ein permanenter Prozess, in dem sich die Familien in einer Pfarrgemeinde gegenseitig unterstützen sollten, etwa in Form von Hauskreisen. Natürlich würde ein derart umfassendes Modell von Familienkatechese einen radikalen Mentalitätswandel bei jenen voraussetzen, die daran gewöhnt sind, die institutionelle Kirche als Dienstleister zu betrachten. Mancher wird es als Zumutung zurückweisen, sich selbst um die religiöse Unterweisung seiner Kinder kümmern zu sollen. Die Frage ist jedoch, ob die Kirche gut beraten ist, auf solche Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Pastoral, das kann nicht deutlich genug betont werden, heißt Hirtendienst, und die wichtigste Aufgabe des Hirten – das betont auch Father Mallon in seinem oben schon zitierten Buch – ist es, seine Herde auf die Weide zu führen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, kann er sich nicht an denjenigen orientieren, die gar keinen Hunger haben.



Freitag, 21. Juni 2019

Verstuhlkreisung und Sonnenbrandverharmlosung

Bei den Kollegen von Introibo, dem Ministranten-Blog, ist unlängst ein Gastbeitrag erschienen, der mir über den konkreten Anlass hinaus beachtenswert erscheint. Der Bezug zum konkreten Anlass wird auf Introibo nur durch einen Link hergestellt; ein paar mehr Worte möchte ich darüber dann doch verlieren. Also: Vorausgegangen war dem Beitrag ein Shitstorm gegen die Social-Media-Abteilung des Bistums Mordor Essen. Dieser ging nicht von "unserer" Seite aus, diesmal nicht. Vielmehr hatte die Redaktion über die Pfingsttage eine Serie von "Visuals" zum Thema "Pfadfinder-Pfingstlager" veröffentlicht, und in mindestens zweien dieser Beiträge fiel das Reizwort "Sonnenbrand". Okay, könnte man sagen, ist ja jetzt eine nicht ganz abwegige Assoziation, dass man sich beim Zelten einen Sonnenbrand holen kann, gerade bei diesem Wetter. Aber irgendwie wurde eine Hautkrebs-Awareness-Selbsthilfegruppe (oder mehrere?) auf die Kampagne aufmerksam und schrie Zeter und Mordio. Ich kann nur empfehlen, die oben verlinkte Facebook-Kommentarschlacht in voller Länge nachzulesen, sie ist schlichtweg bizarr. Wer geglaubt hat, der Missbrauchsskandal oder vielleicht "Maria 2.0" würden die Kirche zu Fall bringen, sieht sich eines Schlimmeren belehrt: Sonnenbrandverharmlosung ist der heißeste (!) Neueinsteiger im Sündenregister der Kirche.

Als die Redaktion aus der Frühstückspause zurückkam und den Scherbenhaufen sah, knickte sie prompt ein, schlug sich mit fliegenden Fahnen auf die Seite der Kritiker und schubste damit diejenigen, die die "Pfingstlager"-Beiträge verteidigt hatten - darunter mehrere aktive Pfadfinder-Gruppenleiter - sprichwörtlich unter den Bus. Ich könnte mich lange damit aufhalten, wie erbärmlich ich das finde, gerade wenn man bedenkt, wie vollkommen gegensätzlich dieselbe Redaktion mit Kritik aus dem "frommen Lager" umgegangen wäre. Aber regen wir uns nicht auf, sondern betrachten es lieber analytisch. Was die Debatte zeigt - so meint Gastbloggerin Cassandra in ihrem Beitrag auf Introibo -, ist, "dass 'Kirche' mit 'nett bis zum plemplem' und 'betroffener Mitmenschlichkeit' gleichgesetzt wird": Praktisch jeder, der "irgendwie 'kirchlich engagiert'" sei, werde früher oder später mit einer besonders unter Kirchenfernen verbreiteten Erwartungshaltung konfrontiert, derzufolge man "grundsätzlich alles unterstützen" müsse, "weil 'Jesus hat gesagt, ihr sollt nicht richten' und Glauben bedeute Gefühligkeit und Betroffenheit sowie allerlei soziale und in den letzten 10 Jahren immer stärker auch ökologische Projekte zu unterstützen". Da stellt sich nun natürlich die Frage:
"Wie konnte das passieren?
Wann sind wir zum Stuhlkreis im Kindergarten geworden?
Genau da. Im Kindergarten der katholischen Gemeinde St. Anonyma in Klein-Hinter-Pusemuckel.
Dort hat man sich zwar verhalten wie in der stinknormalen städtischen Betreuungseinrichtung, aber man war Kirche.
Man nahm Kinder aus allen möglichen Familien auf ('nicht richten!'), hatte aber gar nicht den Anspruch, missionieren zu wollen.
Falls sich die Familien mal in den 'FamiGo' getraut haben, wurde zwar was von Jesus erzählt, aber im Vordergrund stand das 'Thema' des Gottesdienstes, wahrscheinlich sogar ein löbliches Anliegen.
Nur verfestigte sich der Eindruck, Kirche sei halt ein Sozialverein." 
Da sind wir natürlich bei einem Themenkomplex, an dessen unterschiedlichen Facetten ich mich schon mehrfach abgearbeitet habe - zum Beispiel hier, hier, hier, hier, hier und kürzlich erst hier - und der mich wohl auch weiterhin stark beschäftigen wird, mindestens solange, bis alle meine Kinder (ich habe zwar, anders als Cassandra, bisher nur eins, aber das muss ja nicht so bleiben) ihre Erstkommunion hinter sich haben: Was stellen sich Eltern, die eine "christliche Erziehung" für ihre Kinder wünschen, unter diesem Begriff vor, und wie sieht das in der Praxis aus? Was für eine Vorstellung davon, was christlicher Glaube sei, wird Kindern in kirchlichen Einrichtungen vermittelt? Und was für ein Glaube wird daraus, wenn die Kinder größer werden?  Ich denke, man kann mit einigem Recht behaupten, jenes Phänomen, für das der Soziologe Christian Smith die Bezeichnung "Moralistisch-Therapeutischer Deismus" geprägt hat, ist in den christlichen Großkirchen ein weitgehend hausgemachtes Problem. Nicht dass irgend etwas falsch daran wäre, Kindern beizubringen, nett und rücksichtsvoll miteinander umzugehen; ganz im Gegenteil. Aber wenn man den Eindruck vermittelt bekommt, das sei im Großen und Ganzen bereits die Kernbotschaft des Christentums, wird's problematisch. "Gott will, dass wir gut sind" ist laut Smith einer der fünf zentralen Glaubenssätze von MTD, und natürlich ist dieser Satz an sich richtig; aber was ist denn "gut", und woher wissen wir, was gut ist? Wenn die Kirche (oder der Kindergarten oder die Schule in kirchlicher Trägerschaft) den Kindern darauf keine überzeugenden Antworten gibt, dann suchen sie sich ihre Antworten auf diese Fragen eben woanders. Und wenn dann vom Kindergarten her noch die Vorstellung im Hinterkopf festsitzt, das moralisch Gute sei zugleich das Christliche, ergeben sich mitunter recht eigenwillige Vorstellungen davon, wie Christen zu sein und zu handeln hätten. Da steht dann der, der sich zur Lehre der Kirche bekennt, schon mal unversehens als "unchristlich" da.


Wohlgemerkt ist dies alles nicht nur ein Problem der Kinder- und Jugendkatechese. Cassandras These ist ja lediglich, dass das Phänomen der Verstuhlkreisung seinen Anfang im Kindergarten genommen habe. Diese Anfänge liegen aber mittlerweile schon lange genug zurück, dass die heutigen Kinder und Jugendlichen wohl bereits die dritte Generation von Katholiken bilden, die ihre kirchenbezogene Sozialisation in dieser Form erfährt. Wir müssen daher davon ausgehen, dass Viele, die in den letzten Jahrzehnten Erzieher in kirchlichen Kindergärten, Religionslehrer, haupt- oder ehrenamtliche Katecheten, Pastoral- oder Gemeindereferentinnen oder gar, Gott bewahre, Priester geworden sind, diese Friede-Freude-Eierkuchen-Pastoral schon allein deshalb weitertradieren, weil sie es selbst nicht anders kennen und folgerichtig annehmen, das müsse so sein. Und das wirkt sich dann in allen möglichen Bereichen kirchlicher Arbeit aus. Hören wir nochmals Gastbloggerin Cassandra: 
"Ich will auf keinen Fall die Caritas und ihre vielen und tatsächlich wertvollen Dienste niederreißen, aber worin unterscheidet sich eigentlich die kirchliche Sozialberatung von anderen Anbietern? Kirche präsentiert sich als Vereinigung von irgendwie 'engagierten Menschen' -- da sollte sich eigentlich keiner wirklich wundern, wenn man vor allem als Betroffenheitsclub 'rüberkommt." 
Die Kirche, so resümiert sie, habe sich selbst "das Image eines 'du, ich versteh das total'-Vereins gegeben"; und nun müsse sie wohl damit leben, dass sie so wahrgenommen wird. 

--- Muss sie das? Nun ja, vielleicht dann, wenn sie sich weiterhin an dem festklammern will, was im Pastoralplan-Sprech so gern als "gesellschaftliche Relevanz" angepriesen wird. Wobei ich mich mehr und mehr frage, ob diese Bezeichnung nicht eigentlich Etikettenschwindel ist. Ich wüsste jedenfalls nicht, was an "den Leuten nach dem Mund reden, um nur ja keine schlechte Presse zu bekommen" so sonderlich relevant sein sollte. But maybe that's just me... 



Montag, 17. Juni 2019

Kaffee & Laudes - Das Wochen-Briefing (11. Woche im Jahreskreis)

Was bisher geschah: Der Pfingstmontag war schön, danach wurde die Woche allerdings unerwartet stressig -- ohne dass es dafür eine besonders nennenswerte Ursache gegeben hätte, es kam einfach allerlei zusammen, darunter ein paar jeweils für sich gesehen eigentlich unbedeutende Misshelligkeiten im Haushalt, unregelmäßige Schlafenszeiten des Kindes, unvorhergesehene Arbeitszeit-Änderungen bei der Liebsten, Kopfschmerzwetter. Kleinkram eben, aber anstrengend. So sehr, dass wir am Donnerstagabend doch nicht zur Community Networking Night im Baumhaus gingen: Zeit hätten wir eigentlich gehabt, waren aber völlig fertig. Immerhin, am Mittwoch klapperte ich einige mit Hilfe der Website openbookcase.org gefundene Büchertauschregale im Wedding ab, hauptsächlich in der Absicht, Bücher loszuwerden, die sich meiner Einschätzung zufolge weder für das Büchereiprojekt eignen noch guten Gewissens bei einem kirchlichen Bücherbasar angeboten werden können. Dabei konnte ich es - obwohl unsere Regale derzeit mehr als voll sind - allerdings nicht lassen, umgekehrt einige recht vielversprechend aussehende Bücher mitzunehmen; dazu weiter unten mehr. Am Freitag wurden an der Schule, an der meine Liebste arbeitet, die Abiturzeugnisse verliehen, abends war dann Abi-Ball, und daran nahmen auch das Kind und ich teil. Von 19:30-22 Uhr gab es Freibier, die Musik war nicht durchweg schlecht, die Abiturientinnen waren entzückt von meiner Tochter. Rundum erfreulich war auch der Krabbelbrunch am Samstag, wenngleich da ruhig noch ein paar mehr Eltern und Kinder hätten kommen dürfen. Aber das kann ja in Zukunft alles noch werden. Am Sonntag gingen wir ausnahmsweise in Heiligensee zur Messe, weil dort anschließend Pfarrversammlung war. "Unser" Gemeindeteil war dort ausgesprochen schwach vertreten, was aber im Grunde nicht schlimm war, denn viel Bedeutsames passierte bei der Versammlung ohnehin nicht: Einige Mitglieder von Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand sprachen darüber, was im Laufe der zurückliegenden vier Jahre so alles gemacht wurde, eine Aussprache oder Diskussion darüber fand nicht statt (oder höchstens in Form von Einzelgesprächen), der Pfarrer war nicht einmal anwesend. Aber immerhin wurde gegrillt. Bei unserem Pfarrfest wird nicht gegrillt. Überhaupt hatte ich insgesamt den Eindruck, dass die Gemeinde in Heiligensee deutlich mehr auf die Reihe kriegt als die in Alt-Tegel; an diese Beobachtung könnte man allerlei Reflexionen anknüpfen, aber ich glaube, das hebe ich mir lieber für den schon mehrfach in Aussicht gestellten Artikel über die Pfarrfestvorbereitungen auf. 


Was ansteht: Für heute und morgen steht, soweit ich sehe, erst mal nichts auf dem Programm, und ich hoffe sehr, dass das so bleibt. Für Mittwoch ist dann die Krisensitzung in Sachen Pfarrfest angesetzt. Ein bisschen spät, wenn man mich fragt: Es bleiben dann nur noch zehn Tage Vorbereitungszeit, und ich sehe derzeit ehrlich gesagt bei niemandem die Bereitschaft, in dieser kurzen Zeit so viel Energie in die Festvorbereitungen zu investieren, wie es nötig wäre, um etwas nur halbwegs Vorzeigbares auf die Beine zu stellen. -- Am Donnerstag ist Hochfest des heiligsten Leibes und Blutes Christi, kurz Fronleichnam, und nach dem Desaster vom letzten Jahr habe ich eigentlich überhaupt keine Lust auf die zentrale Festmesse des Erzbistums Berlin auf dem Gendarmenmarkt plus Prozession durch die Friedrichstraße. Hingehen werde ich aber wahrscheinlich doch. Ist ja schließlich auch so eine Art Familientreffen, auch insofern, als es dabei keine besondere Rolle spielt, ob man seine Familienangehörigen eigentlich mag oder nicht. -- Wie dem auch sei, die gute Nachricht ist, dass an Fronleichnam auch die Ferien beginnen. Am Freitag ist Fête de la Musique, da werden wir wohl mal beim wunderbaren Falafel-Mann in der Fußgängerzone vorbeischauen. Der erzählte mir nämlich neulich, er sei auf der Suche nach Musikern, die anlässlich der Fête de la Musique in bzw. vor seinem Laden spielen können und wollen -- möglichst Musiker aus Tegel. Er habe zwar jede Menge Musikerfreunde in Neukölln, Kreuzberg und Friedrichshain, erläuterte er, aber er wolle speziell etwas für die Community in diesem Stadtteil tun. Sehr benOppig, finde ich -- und bin entsprechend gespannt auf das musikalische Programm am Freitag. Am Samstag soll im Wochenmagazin auf Radio Horeb mal wieder ein Kommentar von mir gesendet werden, den ich allerdings zuvor noch schreiben und aufzeichnen muss; am Sonntag wird dann Fronleichnam auf Pfarreiebene quasi nachgefeiert, ich habe Lektorendienst und werde mich für die Prozession wohl wie schon in den letzten beiden Jahren als Baldachinträger zur Verfügung stellen. Für danach steht dann noch die Möglichkeit im Raum, zum Familientag in der Domäne Dahlem zu gehen. Mal sehen. 


aktuelle Lektüre: Ich kann mit Stolz und Freude zu Protokoll geben, dass ich meine Leseblockade bis auf Weiteres überwunden habe; und zwar mittels der Maßnahme, mehrere der ca. 17 Bücher, die ich auf meinem Streifzug am Mittwoch erbeutet habe, parallel bzw. abwechselnd zu lesen. Es handelt sich dabei um: 
  • "Die Magermilch-Bande" von Frank Baer, ein überaus fesselnder Roman über fünf Kinder, die sich in den letzten Wochen des II. Weltkriegs aus der Kinderlandverschickung nach Hause durchzuschlagen versuchen; und 
  • "Erinnerungen eines Nihilisten" von Wladimir Debogory-Mokriewitsch. Memoiren eines, wenn man so will, verhinderten russischen Revolutionärs aus den 1870er-Jahren. Die Schilderung politischer Agitation und konspirativer Untergrundtätigkeit, bei der am Ende so gut wie nichts herauskommt, hat stellenweise durchaus seine unfreiwillig tragikomischen Züge, aber zugleich macht gerade das dieses Buch interessant und lehrreich. Ich werde zu gegebener Zeit wohl noch darauf zurückkommen müssen. 
Zu den Büchern, die ich eigentlich hatte loswerden wollen, dann aber beschlossen habe, es erst einmal durchzulesen, gehört "Das Druidentor" von Wolfgang Hohlbein. Ein anderes Werk dieses Autors, "Azrael", habe ich ja bereits in der Frühzeit meiner Bloggerkarriere ausgiebig verrissen gewürdigt; und was ich da als charakteristische Schwächen des Autors hervorgehoben habe - die Unstimmigkeiten in der Charakterzeichnung, die Geschwätzigkeit, den Hang zu abgedroschenen Formulierungen, die Plattheit der Dialoge, die dick aufgetragene Moral - könnte ich hier Punkt für Punkt wiederholen, nur dass das "Druidentor" im direkten Vergleich zu "Azrael" in praktisch jeder Hinsicht noch erheblich schlechter ist. Das ändert indes nichts daran, dass dieser Roman - wie Tante Wiki zu berichten weiß - einer der erfolgreichsten des Autors ist, mit mehr als zwei Millionen verkauften Exemplaren. Da tut einem ja direkt das Papier leid, auf dem dieses Machwerk gedruckt ist. -- Man könnte sich nun natürlich fragen, warum ich es trotzdem lese. Nun ja: Einerseits ist die Handlung durchaus spannend, jedenfalls etwa ab dem zweiten Viertel des Gesamtumfangs. Und andererseits gilt hier die interpretatorische Grundregel, dass Horror-Literatur stets die Ängste der Gesellschaft widerspiegelt, in der und für die sie verfasst wurde. In diesem Fall ist das die Angst, dass der Mensch sich gegen die Natur versündigt und dass sich das eines gar nicht fernen Tages rächen wird. Und das ist ja nun ein durchaus interessantes und brisantes Thema. Der schamanistisch-naturmagische Esoterik-Quark, den Hohlbein dem geneigten Leser in diesem Zusammenhang auftischt, ist allerdings derart klischeehaft geraten, dass man denkt, jeden Moment käme Hexe Minerva um die Ecke. Angesichts der Behauptung, auf dem Monte Verità bei Ascona - Anfang des 20. Jahrhunderts eine berühmte Hochburg anarchistisch-nudistisch-veganer Naturkultisten - gebe es ein uraltes keltisches Heiligtum, musste ich beim Lesen beinahe laut lachen. Wie sagte mein alter Mediävistik-Professor Werner Röcke doch so treffend: "Wenn einem gar nichts mehr einfällt, dann kommt man mit den Kelten." Kurzum, es könnte sein, dass ich dem "Druidentor" einen eigenen Blogartikel widmen muss. 

Derweil habe ich auch "Jenseits bürgerlicher Religion" von Johann Baptist Metz weitergelesen und bin dort jetzt beim vierten der sieben Einzelbeiträge angelangt; und wenngleich der erste Beitrag des Bandes nach wie vor derjenige ist, der mich mit Abstand am meisten begeistert hat, und wenngleich die "Och nööö"-Momente bei der Lektüre erheblich an Häufigkeit zugenommen haben, bleibe ich insgesamt dabei, dass es ein höchst bemerkenswertes Buch ist. Nicht  zuletzt auch, weil Metz selbst da, wo ich ganz und gar nicht mit ihm einverstanden ist, klüger, interessanter und anregender ist als andere, die ähnliche Positionen vertreten wie er. Und wie ich vorige Woche schon angedeutet habe, tut der zeitliche Abstand von rund 40 Jahren ein Übriges, gerade die Irrtümer des Verfassers in ein gewissermaßen nostalgisch verklärendes Licht zu tauchen. In gewissem Sinne mutet der heute 90-jährige Metz an wie ein alt gewordener Debogory-Mokriewitsch im Exil: Die Revolution, die er erhofft hat und auf die er hinzuarbeiten meinte, ist ausgeblieben, stattdessen ist eine neue Generation von Revolutionären auf den Plan getreten, die zum Teil ähnliche Begriffe und Argumentationsmuster verwendet, aber eigentlich etwas völlig Anderes will. 

Bei "Naomi & Ely" bin ich inzwischen ungefähr in der Mitte des Buches angekommen, und diese Mitte wird eingenommen von einer Playlist, die Gabriel, der überaus attraktive Nachtportier des Appartmenthauses, in dem sich die Romanhandlung größtenteils abspielt, für Naomi zusammengestellt hat -- garniert mit einigen Erläuterungen dazu, was für Assoziationen oder Erinnerungen Gabriel mit den Songs auf dieser Liste verbindet. Die meisten der 20 Songs kannte ich bisher noch nicht, folglich muss ich sie mir während der Lektüre auf YouTube anhören, aber erwartungsgemäß dauern die Songs länger als die Erläuterungen dazu, deshalb komme ich derzeit nur langsam voran.



Linktipps:
Kenntnisreicher Essay über Weltuntergangsszenarien im Science Fiction- u./o. Horror-Kino und die Rolle, die religiöse Motive (oder deren Abwesenheit) darin spielen. Am spannendsten daran sind, wie man sich wohl denken kann, die Reflexionen darüber, was die Art der Behandlung bzw. Gestaltung apokalyptischer und postapokalyptischer Szenarien in neueren Kinofilmen (im Vergleich zu älteren Filmen dieses Genres) über den seelischen Zustand unserer Gesellschaft aussagt; ehrlich gesagt hätte ich mir diesen Teil von Greydanus' Essay noch etwas breiter und tiefer gewünscht, aber wir wollen mal nicht meckern: Immerhin lässt der Text so noch Raum zum selbständigen Weiterdenken.

Bloggerkollegin Crescentia wirft einen sehr kritischen Blick auf die neuere Kirchengeschichte. Dass ich diesen Artikel ausgesprochen lesenswert und diskussionswürdig finde, bedeutet indes nicht, dass ich der Verfasserin in allen Punkten zustimme. Das Ausmaß meines Nicht-Einverständnisses könnte man augenzwinkernd in dem Satz "Nuja, ich bin nun mal kein Tradi" zusammenfassen, aber ich führe es auch gern etwas konkreter aus: Trotz hoher Übereinstimmung mit vielen einzelnen Kritikpunkten, die im Artikel genannt werden, möchte ich dem entschieden negativen Gesamturteil über das 2. Vaticanum und seine Folgen in dieser Schärfe und Eindeutigkeit doch nicht zustimmen; insbesondere erscheint mir die recht explizit formulierte Auffassung, die Einberufung des 2. Vatikanischen Konzils sei schlichtweg unnötig gewesen und wäre sie unterblieben, stünde die Kirche heute besser da, fragwürdig. Nur nebenbei möchte ich erwähnen, dass der katholische Traditionalismus à la Lefebvre selbstverständlich auch eine "Frucht des  Konzils" ist -- und nicht etwa, auch wenn diese Bewegung sich selbst vielleicht gern so sehen möchte, eine plane Weiterführung dessen, was vor dem 2. Vaticanum katholische Normalität gewesen wäre. -- Aber wie dem auch sei: Alles in allem, denke ich, enthält dieser Blogartikel eine Menge Stoff für angeregte und fruchtbare Debatten innerhalb des "eher konservativen" Spektrums der katholischen Christenheit in all seinen unterschiedlichen Schattierungen, daher kann ich nur dazu ermutigen, ihn zu lesen und sich selbst ein Bild zu machen. 


Heilige der Woche:

Mittwoch, 19. Juni: Hl. Romuald (ca. 952-1027), Mönch, Ordensreformer, zeitweilig Einsiedler, Gründer des Kamaldulenserordens. 

Freitag, 21. Juni: Hl. Aloisius von Gonzaga (1568-1591), Page an mehreren Fürstenhöfen, später Jesuit, starb im Alter von nur 23 Jahren an der Pest. Schutzpatron der Studenten und der katholischen Jugend, auch als Patron der Pestkranken sowie in jüngerer Zeit auch der Aidskranken und ihrer Pfleger verehrt und als Helfer gegen Augenleiden und sexuelle Versuchungen angerufen. 

Samstag, 22. Juni: Hl. Paulinus von Nola, Bischof und Kirchenschriftsteller der Spätantike (ca. 354-431);  Hl. John Fisher (1469-1535), Bischof und Märtyrer, und Hl. Thomas Morus (1478-1535), Staatsmann und Märtyrer. Fisher war Bischof von Rochester und Beichtvater der Katharina von Aragon, der ersten Frau König Heinrichs VIII., und verweigerte seine Zustimmung zur vom König angestrebten Annullierung dieser Ehe. Als Heinrich VIII. sich selbst zum Oberhaupt der Kirche von England erklärte, verweigerte Fisher ihm die Anerkennung und wurde daraufhin im Tower of London inhaftiert; während seiner Haft ernannte Papst Paul III. ihn zum Kardinal. Thomas Morus war ein humanistischer Gelehrter, enger Vertrauter Heinrichs VIII. und ab 1529 Lordkanzler, trat jedoch 1532 aus Protest gegen die Scheidung Heinrichs von Katharina zurück und verweigerte ebenfalls die Anerkennung des Königs als Oberhaupt der Kirche von England. 1535 wurden Fisher und Morus wenige Tage nacheinander als Hochverräter hingerichtet. 



Aus dem Stundenbuch: 

Es jauchze die Flur und was auf ihr wächst! * Jubeln sollen alle Bäume des Waldes vor dem Herrn, wenn er kommt, * wenn er kommt, um die Erde zu richten. (Psalm 96,12f.)



Dienstag, 11. Juni 2019

Gib Gott deinen Schrott!

(...aber bitte nicht nur den.) 



Neulich musste ich mal wieder Bücherspenden für unser Büchereiprojekt sortieren, und dabei fiel mir nicht zum ersten Mal etwas ein, was Johannes Hartl bei einem Vortrag auf der MEHR 2017 erzählt hatte: dass Leute manchmal auf die Idee kommen, dem Gebetshaus Augsburg Dinge zu spenden, die sie selbst nicht mehr brauchen oder nicht mehr haben wollen. Eine Couchgarnitur zum Beispiel. Das sei ja vermutlich irgendwie gut gemeint, meinte Johannes, aber so richtig nett finde er es doch nicht: "So, ihr habt euch also eine neue Couchgarnitur gekauft, weil euch die alte nicht mehr gefällt, aber ihr meint, für Gott ist die alte noch gut genug, ja?" 

Ich muss gestehen, in mir regte sich an diesem Punkt spontan Widerspruch. Okay, wer Johannes Hartl schon mal längere Zeit zugehört hat, sei es bei Vorträgen oder im persönlichen Gespräch, der wird wissen, dass Ästhetik ihm sehr wichtig ist. Er hat ein ausgeprägtes Faible für das, was man früher "Schöne Künste" nannte, und dagegen ist ja auch gar nichts zu sagen. Aber nicht nur das: Das Thema Schönheit hat bei ihm auch eine theologische Komponente. Weil Gottes Schöpfung so voller Schönheit ist (ein Lieblingsbeispiel von Johannes: die Kieselalge!). Einen Sinn für das Schöne zu pflegen - so würde ich Johannes' Position, wie ich sie verstehe, zusammenfassen - ist daher sowohl ein Weg zur Erkenntnis Gottes als auch eine Weise, Gott zu ehren

Und deshalb muss auch im Gebetshaus alles schick und stylish sein. Okay, verstehe ich. Nur habe ich mich - beispielsweise - in dunklen, verrauchten Kneipen, wo die Bodendielen krummgelatscht und die Wände mit Flyern von längst vergangenen Punkkonzerten tapeziert und/oder mit Edding beschmiert sind, schon immer wohler gefühlt als in stylishen Bars mit Lounge-Möbeln; und folgerichtig kenne ich überwiegend Leute, denen das genauso geht. Hätte ich ein leerstehendes ehemaliges Pfarrhaus, ein aufgegebenes Kloster oder ein Containerdorf auf einer urbanen Brachfläche zur Verfügung, um da ein Zentrum für Punkpastoral einzurichten: Würde ich dieses mit ramponierten und nicht zueinander passenden Gebrauchtmöbeln einrichten? Aber hallo! Würde ich diese Möbel nötigenfalls persönlich vom Sperrmüll holen? Oh ja. 

Ich will hier indes nicht den Eindruck erwecken, es ginge bloß um ästhetische Fragen. Es steckt noch mehr dahinter, unter anderem nämlich eine Kollision zweier Anschauungen, von denen ich denke, dass sie für sich gesehen beide ihre Berechtigung haben. Auf der einen Seite steht ein gewisser Konsum-Asketismus, der fragt: "Wenn die alte Couch alles in allem noch ganz in Ordnung ist, brauchen wir dann wirklich eine neue?"; auf der anderen die Auffassung: "Was wir hier tun, ist letztlich zur Ehre Gottes, und da dürfen wir nicht knausrig sein." Im Grunde muss sich beides gar nicht widersprechen. So legte etwa der Hl. Franz von Assisi, unbeschadet seiner berühmten Liebe zur Armut und zur Askese, großen Wert darauf, dass alle Dinge, die zur Verherrlichung Gottes dienen sollten, schön, prächtig und von guter Qualität sein sollten; in seinen Briefen findet sich wiederholt die Ermahnung, dass "Kelche, Korporalien, Altarschmuck und alles, was zum Opfer gehört", "kostbar ausgeführt" sein sollten. Dorothy Day, die Mitbegründerin der Catholic Worker-Bewegung, die sich unermüdlich für die Armen und Notleidenden einsetzte, schrieb an den Gewerkschafsführer César Chavez
"Die Kirche hat die Pflicht, die Armen zu speisen, und kann nicht ihr ganzes Geld für Gebäude ausgeben. Es gibt jedoch viele verschiedene Arten von Hunger. Es gibt den Hunger nach Brot, und wir müssen Menschen Nahrung geben. Aber es gibt auch den Hunger nach Schönheit, und es gibt nur wenige Orte der Schönheit, die für die Armen zugänglich sind. [...] Die Kathedrale von San Francisco ist einer der wenigen Orte, wo die Armen hingehen, sich hinsetzen und die Gegenwart Gottes in Schönheit erfahren können." 
Mit anderen Worten: Im Leben der Kirche gibt es einen angemessenen Platz für Askese und für Prunk, für Bescheidenheit und für Überfluss, für Armut und für Reichtum. Zu verlangen, die Kirche solle an der Pracht ihrer Gebäude, Gewänder und liturgischen Geräte sparen und das Geld lieber den Armen geben, hieße, sich den Einwand des Judas gegenüber Maria von Betanien zu eigen zu machen, als diese die Füße Jesu mit teurem Nardenöl salbte. Zu betonen ist dabei allerdings, dass die Pracht in der Kirche dazu dienen soll, Gott zu verherrlichen und nicht etwa sich selbst. Man könnte dabei auch daran denken, was Chesterton über den Hl. Thomas Becket schrieb: Dieser habe ein Büßerhemd unter seinen Gewändern von Gold und Purpur getragen, und das sei besser als die Methode der modernen Millionäre, sich nach außen hin schwarz und schlicht zu kleiden und das Gold nah an ihrem Herzen zu tragen. 

Aber mal zurück zum Anfang: Es hat natürlich seinen Grund, dass Johannes' Anekdote mit der gebrauchten Couchgarnitur mir ausgerechnet beim Büchersortieren in den Sinn kam. Wenn ich mir ansehe, was bei uns so alles als Bücherspenden abgegeben wird - ein Ratgeber zur Euro-Einführung; Benutzerhandbücher für veraltete Windows-Versionen; in einem Fall sogar eine Bedienungsanleitung für ein Telefon oder einen Anrufbeantworter, so genau habe ich's mir nicht angesehen - da fragt man sich dann manchmal schon, was Leute sich dabei denken, das bei ihrer Pfarrgemeinde loszuwerden zu wollen, statt es einfach selber in die Papiertonne zu schmeißen. Und haben die Leute eigentlich überhaupt keine Bedenken, billige Softporno-Taschenbücher, die sich notdürftig als historische Romane tarnen, ausgerechnet der Kirche anzubieten? Andererseits finden sich in den eingehenden Bücherspenden auch immer wieder erstaunliche Perlen, und das allein, denke ich, ist Grund genug, "die Leute" (wer auch immer das nun im einzelnen ist) weiterhin dazu zu ermutigen, Bücher zu spenden. Würde es etwas nützen, potentiellen Bücherspendern schon im Vorfeld eine Liste mit Kriterien dafür an die Hand zu geben, was für Bücher für eine im Aufbau befindliche Pfarrbücherei brauchbar sind und welche nicht? Vielleicht. Vielleicht würde es aber auch manche potentielle Spender abschrecken, denen es schlicht zu mühsam wäre, die Bücher, die ihnen den Speicher vollmüllen und die sie daher loswerden wollen, erst einer genaueren Prüfung zu unterziehen und zu sortieren. Vielleicht haben sie die Bücher selbst aus zweiter Hand und wissen gar nicht so genau, was drinsteht. Da mache ich mir dann doch lieber selber die Mühe des Sortierens. 

Fragen wir abschließend: Ist das eine brauchbare Metapher für irgendwas? Ich denke schon. Ich denke, das Problematische an dem Motto "Für Gott nur das Beste!" ist das Wörtchen "nur". Was ist mit allem anderen, was wir sind und haben? Sollen wir das für uns behalten, es Gott vorenthalten, weil wir meinen, es wäre nicht gut genug für Ihn? Wie nun, wenn Gott gerade das von uns will, was wir selbst für wertlos, nicht vorzeigbar, oll und ramponiert halten und darum lieber verstecken möchten? Wenn Er einfach besser weiß als wir selbst, was diese Dinge wert sind und was man damit anfangen kann?

Ich lasse diesen Gedanken einfach mal so stehen, denn noch salbungsvoller zu werden liegt mir nicht und würde mir auch keiner abkaufen. Aber rein intuitiv glaube ich, dass dies ein durchaus bedeutsamer Aspekt des Konzepts "Punkpastoral" ist.



Montag, 10. Juni 2019

Kaffee & Laudes - Die Wochenvorschau (10. Woche im Jahreskreis)

Was bisher geschah: Ich kann nur sagen: Betet mehr Novenen, Leute! Und sofern Ihr die Möglichkeit dazu habt, tut es öffentlich; dann haben Andere auch etwas davon. Meine Liebste und ich jedenfalls sind in der zurückliegenden Woche, in der wir in unserer Pfarrkirche die Pfingstnovene gebetet haben, mit Segen nur so überschüttet worden. Dazu gehörten schöne und bewegende Reaktionen von Kirchenbesuchern, die an dem einen oder anderen Tag an unserer Andacht teilnahmen oder nichtsahnend mittendrin hineinschneiten, aber auch allerlei andere inspirierende Begegnungen, zum Beispiel ein Gespräch mit zwei Musikerinnen aus der Schweiz, die gerade auf Straßenmusik-Tournee durch Deutschland sind (hier geht's zu ihrem Travel-Blog) und ein äußerst gelungenes "Dinner mit Gott" am Mittwoch. Außerdem intensivierten wir unsere Bekanntschaft mit dem wundervollen Falafel-Mann in der Fußgängerzone: An einem Abend lud er uns zu einer (sehr leckeren!) Linsensuppe ein, am nächsten Tag brachten wir ihm selbstgebackenen Kuchen mit. Noch nicht sicher ist, ob wir ihn dazu überreden können, auf unserem Pfarrfest zu musizieren. Am Freitag fuhren wir alle drei zu einer Lesung von "Cowgirl" Anja Hradetzky im "Bruno-Taut-Laden" in der Ladenpassage des U-Bahnhofs Onkel Toms Hütte. Offenbar wird diese Location von einem kulturbeflissenen Nachbarschaftsverein betrieben, und außer uns waren fast ausschließlich alte Damen bei der Veranstaltung. Dafür hatten wir anschließend noch etwas Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch mit Anja; das war ausgesprochen nett, und wir erwägen, bei Gelegenheit mal ein bisschen auf ihrem Hof mitzuhelfen (bei Tätigkeiten, für die man keine besondere Qualifikation braucht, versteht sich). -- Am Samstagabend sah und hörte ich mir, während meine Liebste das Kind hütete, mit meinen Schwiegermüttern in der Staatsoper Unter den Linden "Rigoletto" an; das war das erste Mal seit vielen Jahren, dass ich in einer Oper war, und auch insgesamt habe ich in meinem Leben noch nicht annähernd so viele Opern besucht, dass ich mich als Kenner bezeichnen würde; aber wie dem auch sei, von dieser Vorstellung war ich rundum begeistert. Am Sonntag war nicht nur Pfingsten, sondern auch mein Geburtstag; nach der Messe gingen meine Liebste, das Kind und ich erst einmal schön frühstücken und machten dann einen Ausflug nach Lübars. Das Butjadingen Berlins, gewissermaßen -- nur hügeliger. 


Was ansteht: Heute ist Pfingstmontag, da habe ich erst einmal Lektorendienst, und dann bin ich mit Frau und Kind bei unserer gemeinsamen Freundin, Trauzeugin, Taufpatin und Bloggerkollegin Claudia eingeladen, die alljährlich am Pfingstmontag eine bunt gemischte Runde an ihrem Tisch versammelt und damit eine von ihren Eltern begründete Familientradition fortführt. Ich könnte mir vorstellen, dass sie drüber bloggen wird. Irgendwann in dieser Woche soll es dann wohl auch eine Krisensitzung zum geplanten Pfarrfest geben, schauen wir mal. Ärgerlich wär's, wenn dieses Treffen auf den Donnerstag gelegt würde, denn da möchte ich - möglichst mit Frau und Kind - eigentlich zur "Community Networking Night" im "Baumhaus Berlin". Falls das nicht klappt, kann ich mich allerdings damit trösten, dass diese Veranstaltung wöchentlich stattfindet; an einem der nächsten Donnerstage sollte es also allemal was werden. Laut Selbstbeschreibung geht es bei diesem Format darum, "Menschen aus allen möglichen Bereichen und Lebenssituationen" zusammenzubringen, "die einen Wunsch gemeinsam haben: zu tun was sie können, für eine bessere Welt" -- und diesen Gelegenheit zu geben, "sich zu vernetzen, indem wir unsere Perspektiven teilen und schauen, wo wir einander sinnvoll unterstützen und zusammenarbeiten können". Klingt doch vielversprechend! Ich gehe zwar davon aus, dass Christen - noch dazu strenggläubige Katholiken - in dieser Runde eher Exoten sein werden, aber das muss ja nicht unbedingt ein Nachteil sein.

Am Wochenende wird's dann wieder mal besonders ereignisreich -- so sehr, dass wir, sofern uns nicht noch rechtzeitig die Gabe der Bilokation verliehen wird, rein zeitlich gar nicht alles schaffen werden, was wir theoretisch gern machen würden. Nicht schaffen werden wir es in diesem Jahr zum Beispiel zur Fiesta Kreutziga -- was sehr schade ist, schließlich verdanken wir diesem Fest wichtige Impulse und hätten dort gerade in diesem Jahr wertvolle Inspirationen für das Pfarrfest sammeln können. (Vielleicht sollten wir die anderen Lokalausschussmitglieder da hinschicken. Die würden sich aber umgucken!) Ebenfalls an diesem Wochenende findet in meinem Heimatstädtchen N. an der W. zum 25. Mal das Punk-Festival "Fonsstock" statt, aber das erwähne ich hier nur aus sentimentalen Gründen. Ich war, wenn ich mich recht erinnere, nur zweimal - nämlich 1996 und '97 - bei diesem Festival, aber immerhin bedeutet das, dass ich noch die bescheidenen Anfänge dieses Events miterlebt habe. In den ersten Jahren - und zwar letztmals 1996 - war "Fonsstock" nämlich noch eine private Geburtstagsparty in einem Garten in einer recht gutbürgerlichen Wohnsiedlung, und die Bands spielten auf dem Garagendach. 1997 fand das Festival dann erstmals in größerem Rahmen statt, auf Hof Iggewarden in Butjadingen -- das ist eigentlich eine Geschichte für sich. Mehr zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des "Fonsstock"-Festivals kann man hier nachlesen. 

Okay, aber was machen wir nun wirklich am bevorstehenden Wochenende? Kurz gesagt, am Freitag ist meine Liebste zum Abi-Ball ihrer nunmehrigen Ex-Schüler eingeladen, und da werden das Kind und ich wohl mitkommen; und am Samstag findet zum zweiten Mal der "Krabbelbrunch" statt. Der erste, bei dem ich dabei bin. Ich bin gespannt. Am Dreifaltigkeitssonntag soll es in unserer Pfarrei eine Pfarrversammlung geben, und aus strategischen Gründen müssten wir da wohl eigentlich hin; allerdings wurde in den Vermeldungen keine Uhrzeit genannt, und auch dabon abgesehen besteht durchaus die Möglichkeit, dass wir schlichtweg keine Lust haben und lieber auf einen Trödelmarkt gehen. Wir hätten theoretisch sogar zwei zur Auswahl, einen auf dem Gelände des Urban-Gardening-Projekts "himmelbeet" und einen auf einem Kinderbauernhof in Pankow. Wie auch immer, langweilig wird es uns sicher nicht.


aktuelle Lektüre: 

Als das spannendste, fesselndste Lektüreerlebnis der jüngsten Zeit hat sich überraschenderweise das Bändchen "Jenseits bürgerlicher Religion" von Johann Baptist Metz erwiesen -- ein Sammelband mit sieben Vorträgen des Autors, einer aus dem mythischen Jahr 1968, die anderen aus den Jahren 1978-80. Zumindest der im Buch an erster Stelle stehende Beitrag mit dem Titel "Messianische oder bürgerliche Religion?" von 1978 hat mich sehr beeindruckt -- was indes nicht heißt, dass ich daran nichts zu kritisieren hätte. Dass das Verhältnis zwischen Kirche und Gesellschaft, oder anders ausgedrückt, die Stellung der Kirche in der Gesellschaft heute eine entschieden andere ist als die, von der Metz in seiner Kritik an der "bürgerlichen Religion" ausgeht, macht den Text übrigens aus heutiger Sicht nicht weniger lesenswert; vielmehr ermöglicht dieser zeitliche Abstand einen klareren Blick darauf, wo Metz einfach falsch lag und wo seine Thesen auch heute noch, oder heute mehr denn je, diskutiert zu werden verdienen. Was ich dazu zu sagen hätte, lässt sich kaum in wenigen Worten zusammenfassen; ich schätze, ich werde darüber bloggen müssen. -- Übrigens habe ich auch die Passage aus den "Letzten Gesprächen" Benedikts XVI. mit Peter Seewald wiedergefunden, in der es um Metz geht, und die ist ebenfalls äußerst interessant. Seewald erwähnt ein Gespräch mit Metz und hebt es als "bemerkenswert" hervor, dass dieser sich "am Ende seines Lebens fragt, ob der Begriff von der Politischen Theologie, den er geprägt hatte, nicht doch ein Fehler war, ob letztlich vielleicht alles nur Spreu gewesen ist. Er habe etwas ganz anderes gemeint, als was dann darunter verstanden wurde." Der emeritierte Papst bekräftigt daraufhin seine Kritik an Metz' Konzept der "Politischen Theologie", attestiert ihm aber zugleich, dass Metz " immer wieder als großer Anreger für die Theologie gewirkt und durchaus einen rechten Blick auf die wesentlichen Fragen hat. Er ist auch immer im Glauben der Kirche geblieben." (Letzte Gespräche S. 174f.) 

Und dann ist da ja auch noch "Naomi & Ely". Das gefällt mir tatsächlich immer besser. Allerdings sehe ich deutlich kommen, dass der Schluss mir nicht gefallen wird. Aus dem einfachen Grund, dass ich mir zu dieser Geschichte, zu dieser ganzen Personenkonstellation keinen Schluss vorstellen kann, der mir gefallen würde. Wie auch? Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Kaum habe ich diese Weisheit Adornos niedergeschrieben, fällt mir wieder die Frage ein, ob der Auftrag an die Christen, in der Welt, aber nicht von der Welt zu sein, nicht genau darauf hinausläuft -- auf die Aufforderung, ein richtiges Leben im Falschen zu führen. Vielleicht sollte ich mal versuchen, "Naomi & Ely" umzuschreiben, indem ich den diversen skurrilen Charakteren einen weiteren hinzufüge, der Christ ist. Und dann mal schauen, wohin das führt. Die #BenOp-Version von "Naomi & Ely", gewissermaßen.

Aber gehen wir gedanklich noch mal einen Schritt zurück: Wenn, wie gesagt, die Hauptfiguren des Buches so sehr "im Falschen" leben, dass es für die im Grunde kein "Richtiges" gibt, dann mag die Frage nahe liegen, wieso mir das Buch dann so sehr gefällt, dass ich es hier sogar (zumindest indirekt und irgendwie) empfehle. Ich kann mir gut vorstellen, dass eine bestimmte Sorte frommer Christen mir diese Frage mit vorwurfsvoller Missbilligung stellen würde. Was mich übrigens an eine Diskussion auf Facebook erinnert, an der ich mich vor ein paar Tagen beteiligt habe. Angestoßen wurde diese Debatte durch ein Foto von der Plakatfläche einer Bushaltestelle, auf der ein Plakat einer Kampagne zur Aufklärung über Geschlechtskrankheiten einträchtig neben einem Werbeplakat einer Partnervermittlungs-Agentur hing. So weit, so witzig; meine Lust am Widerspruch regte sich jedoch angesichts eines Kommentars, der beklagte, das Geschlechtskrankheiten-Plakat (das übrigens sehr dezent war und anders als andere Plakatkampagnen zu diesem Thema gänzlich ohne witzig sein wollende Frivolität auskam) zeige "die Verkommenheit der Gesellschaft". Ich fragte daraufhin die Verfasserin dieses Kommentars, ob sie denn an dem anderen Plakat - dem von der Partnervermittlung - nichts auszusetzen habe. Ich erwartete nicht, dass sie das verstand, aber ich bin überzeugt, dass beide Phänomene letztlich auf dasselbe Problem verweisen, nämlich darauf, dass zwischenmenschliche Beziehungen bzw. Kontakte als Konsumobjekt gehandelt werden. Ich bin darüber hinaus überzeugt, dass moralische Empörung über die "Verkommenheit der Gesellschaft" nichts zu einer gesunden Einstellung zur Sexualität beiträgt, nicht bei den vermeintlich Verkommenen und auch nicht bei den Empörten selbst. Menschen bessern sich nur durch Liebe, darum muss man sie auch dann lieben, wenn sie ein falsches Leben im Falschen führen. Und um das einzuüben, kann es durchaus sinnvoll sein, mal ein Buch wie "Naomi & Ely" zu lesen -- und zwar mit Sympathie für seine Charaktere


Linktipps:

Als ich sah, dass das altehrwürdige "National Catholic Register" (begründet 1927) einen Artikel über einen katholischen Öko-Bauern aus Iowa herausgebracht hat, frohlockte ich und dachte: Den empfehle ich in der nächsten "Kaffee & Laudes"-Folge! Leider ist er jedoch nicht besonders gut. Das heißt, schlecht ist er nun auch nicht gerade, aber eben nicht besonders gut. Da empfehle ich dann doch lieber zwei andere Artikel, die auch irgendwie mit dem Themenbereich "Landwirtschaft, Ernährung und Respekt vor der Schöpfung" zu tun haben:
Ein erfrischender "Rant" über das Grassieren übersimplifizierter Vorstellungen darüber, was "gesunde Ernährung" sei. Inhaltlich liegt Bloggerin "Mary of Magdala" damit übrigens ganz auf der Linie von "Crunchy Cons". Lieblingszitat: "Wie wäre es, wenn man sich etwa statt Digitalisierung 'Lebensmittelmündigkeit' auf die Fahnen schreiben würde? Essen ist schließlich lebensnotwendig, Smartphones sind es immer noch nicht (nein, wirklich nicht!)."
Tagtäglich landen Tonnen von noch genießbaren Lebensmitteln im Müll, während Menschen Hungern. In jüngster Zeit wird verstärkt darüber diskutiert, diesem Problem damit zu begegnen, dass man das "Containern" legalisiert. Diesen Lösungsansatz nennt Peter Winnemöller indes "zynisch": "Der Skandal des vernichteten Überflusses wird nicht dadurch beseitigt, Müll zu Lebensmitteln zu erklären. Es gilt, Lebensmittel davor zu bewahren Müll zu werden. Besonders Christen, die wissen, wem sie die Gaben der Erde zu verdanken haben, sollten aufmerksam sein." Lobend erwähnt er hingegen "Foodsaving-Aktionen, die sehr oft von Christen organisiert oder mitbetrieben werden". Das betrachte ich mal als Hat-Tip.


Heilige der Woche:

Dienstag, 11. Juni: Hl. Barnabas, Apostel. Der Apostelgeschichte zufolge hieß er ursprünglich Josef und war ein Levit aus Zypern, der sich der christlichen Urgemeinde in Jerusalem anschloss, wo er Barnabas, d.h. "Sohn des Trostes" bzw. "der Ermutigung", genannt wurde. Enger Vertrauter des Apostels Paulus, den er auf einer Missionsreise begleitete. Nationalheiliger Zyperns, wo er der außerbiblischen Überlieferung zufolge auch das Martyrium erlitt.

Donnerstag, 13. Juni: Hl. Antonius von Padua (ca. 1195-1231), Ordenspriester, zunächst Augustiner-Chorherr, dann Franziskaner. Berühmter Prediger, der sich besonders der Bekehrung der Katharer und Waldenser widmete. Sehr populärer Heiliger, der vor allem um Hilfe beim Wiederfinden verlorener oder verlegter Gegenstände angerufen wird.

Samstag, 15. Juni: Hl. Vitus (od. Veit), Märtyrer der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian im Jahr 304. Wird als einer der "14 Nothelfer" verehrt und ist u.a. Patron der Apotheker, Gastwirte, Bierbrauer und Winzer.


Aus dem Stundenbuch:

Erneuere die Zeichen, wiederhole die Wunder, * zeige die Macht deiner Hand und die Kraft deines rechten Armes! (Jesus Sirach 36,6f.)



Dienstag, 4. Juni 2019

Drei Jahre Punkpastoral!

Neulich - und zwar (wenn es nicht ungebührlich ist, das zu sagen) unter der Dusche - ging mir im Zusammenhang mit den diversen Aktivitäten zur Gemeindeerneuerung, die meine Liebste und ich so betreiben, die Frage durch den Kopf: Wie lange machen wir das jetzt eigentlich schon? Dann dachte ich an jenen "Straßenfest-Crawl", bei dem wir erst das Torstraßenfestival, dann das Kenako Afrika Festival und als krönenden Abschluss die Fiesta Kreutziga besuchten und aus den Eindrücken dieses Tages gemeinsam den Schluss zogen, wir sollten uns bemühen, etwas von diesem Spirit auch in die kirchliche Basisarbeit hineinzutragen. Ich denke mal, jenen Tag kann man mit Fug und Recht als Initialzündung für das Projekt "Punkpastoral" betrachten. Dass das irgendwann im Frühsommer 2016 war, wusste ich noch aus dem Kopf, aber das genaue Datum musste ich nachrecherchieren. Und siehe da, es war der 4. Juni. 

Da haben wir heute ja wohl was zu feiern. 

Des Volksmundes Weisheit, dass aller Anfang schwer sei, bewahrheitet sich natürlich auch hier, aber ich möchte dennoch behaupten, wir haben in den zurückliegenden drei Jahren mit unseren bescheidenen Mitteln schon so allerlei erreicht. Rekapitulieren wir mal:
  • Praktisch unmittelbar nach dem besagten "Straßenfest-Crawl" begannen wir damit, über die Idee einer "Punkpastoral"-Initiative zu brainstormen; gewisse Grundlinien dieser Überlegungen kann man in meinem eine Woche später erschienenen Blogartikel "Wer, wenn nicht wir?" bewundern. Unter dem Datum vom 16. Juni findet sich in meinem damaligen Notizbuch (analog, so mit Tinte auf Papier) erstmals der Name "Donnerstagsclub" für eine angedachte Laieninitiative. Am selben Tag begann ich damit, mich mit dem am 15. Mai erschienenen Schreiben Iuvenescit ecclesia der Glaubenskongregation auseinanderzusetzen; dazu veröffentlichte ich am 1. Juli einen Blogartikel
  • Ungefähr um dieselbe Zeit beendete ich übrigens - ermutigt durch einen Bibelvers, den ich beim Nightfever auf dem Katholikentag in Leipzig gezogen hatte, und natürlich durch meine Liebste - mein Beschäftigungsverhältnis bei einer Berliner Touristenattraktion, um mich fortan als Freelancer durchzuschlagen. Was ich aus dem Kopf nicht mehr gewusst hätte, aber nachgelesen habe, ist der bemerkenswerte Umstand, dass ich bereits am 20. Juni 2016 erstmals eine Werktagsmesse in der Pfarrkirche Herz Jesu Tegel besuchte, offenbar bereits mit Blick auf die Option, nach der Heirat mit meiner Liebsten in diese Gegend zu ziehen. Eine Analyse der Pfarrbriefe verschiedener Gemeinden im Vergleich zum linksautonom-subkulturellen Veranstaltungskalender Stressfaktor veröffentlichte ich am 5. Juli unter dem augenzwinkernden Titel "Zahle 5 Euro, um deine Nachbarn zu treffen"
  • Unter den im Juni/Juli 2016 in mein Notizbuch gekritzelten Ideen für den "Donnerstagsclub" finden sich übrigens schon Ansätze in Richtung des "Dinners mit Gott" und des "Büchertreffs"; andere Ideen von "damals" harren weiterhin der Umsetzung, noch andere (aber nur wenige) sind inzwischen fallen gelassen worden. 
  • Ende Juli 2016 gingen meine Liebste und ich dann erst mal zusammen auf den Jakobsweg, was als spirituelle, aber auch praktische Vorbereitung auf künftige Aktivitäten schlechthin unbezahlbar war. Wieder zurück in Berlin, begannen wir regelmäßig in Herz Jesu Tegel in die Messe zu gehen; weitere Impulse für unsere "Punkpastoral"-Pläne brachte ein Besuch beim Kiezfest Suppe & Mucke und dem zeitgleich stattfindenden Sonne über Berlin Festival am 10. September 2016 (Bericht hier). Im Oktober heirateten wir. Als mich ziemlich genau einen Monat später ein Blogleser und Twitter-Kontakt mit der Frage überraschte, ob ich eventuell zur MEHR-Konferenz nach Augsburg kommen würde (die vom 5.-8. Januar 2017 stattfand), war meine Frau überzeugt: "Da musst du hin." Sie selbst musste am Donnerstag und Freitag noch arbeiten, kam dann aber nach -- buchstäblich über Nacht und trotz Erkältung. Und dieser Besuch bei der MEHR 2017 verpasste uns dann den letzten Schubs, uns nicht länger aufs Theoretisieren und Pläneschmieden zu beschränken, sondern einfach mal loszulegen. Zurück in Berlin, konzentrierten wir uns also zunächst einmal darauf, das "Dinner mit Gott" als feste (monatliche) Veranstaltungsreihe in der Tegeler Pfarrei zu etablieren; im Zuge dessen wurde dann auch der angedachte Name "Donnerstagsclub" zu "Mittwochsklub" geändert. Am 1. März fand das "Dinner mit Gott" erstmals statt. 
  • Das - übrigens auch schon in den Konzeptnotizen von Juni/Juli 2016 skizzierte - Vorhaben, sich im Café J in der Torstraße ein zweites Standbein zu schaffen, scheiterte hingegen. Was schade ist, denn das Café J ist eine echt schöne Location in hervorragender Lage; es wird nur von den falschen Leuten betrieben, bzw. mit der falschen Einstellung. 
  • Ebenfalls noch im Frühjahr 2017 wurde ich erstmals auf Rod Drehers "Benedict Option" aufmerksam; praktisch das erste, was ich von diesem Buch mitbekam, war, dass Kritiker ihm Alarmismus und Defätismus vorwarfen, aber als ich selbst einen Blick ins Buch hinein warf, war ich unmittelbar begeistert vom darin entwickelten Konzept einer geistlichen Erneuerung auf Graswurzel-Niveau. "Ich glaube, das ist genau das, wonach wir gesucht haben", sagte ich zu meiner Liebsten. Ein von mir verfasster Essay über die Kernthesen des Buches erschien am 16. Mai in der Tagespost; vermittelt durch einen Leser dieses Artikels traf ich mich am 15. Juni (Fronleichnam) in München mit Rod Dreher, und eine Folge dieses Treffens war, dass er den Wunsch äußerte, ich solle die #BenOp ins Deutsche übersetzen. Die Verhandlungen über eine deutschsprachige Ausgabe des Buches zogen sich allerdings noch ein paar Monate hin. 
  • Im Sommer 2017 beteiligten wir und erstmals an Aktivitäten des Foodsharing-Netzwerks, bezogen unsere neue Wohnung in Tegel und feierten dort auf unkonventionelle und schöne Weise Einweihung, wozu wir gezielt zahlreiche Leute aus der örtlichen Pfarrgemeinde einluden; und praktisch unmittelbar nach der Wohnungseinweihung reisten wir erst mal nach Lourdes, zwecks weiterer geistlicher Stärkung. 
  • Nach den Sommerferien begannen wir uns im Lokalausschuss unseres Gemeindestandorts zu engagieren, ich zusätzlich auch im Lektorenkreis. Im Oktober wurde unsere Tochter Bernadette geboren. 
  • Vom 4.-7. Januar 2018 nahmen wir erneut an der MEHR-Konferenz teil, diesmal von Anfang an zusammen und mit Kind im Gepäck. Bei der Präsentation des "Mission Manifest" waren wir leider nicht live dabei, da wir um diese Zeit damit beschäftigt waren, das Kind ins Bett zu bringen; was aber nichts daran ändert, dass das "Mission Manifest" in der Folgezeit zu einer bedeutenden Inspirationsquelle für unsere Arbeit würde -- ebenso übrigens wie Father James Mallons Buch "Wenn Gott sein Haus saniert", das ich mir auf der MEHR kaufte, nachdem ich einen Vortrag und eine Predigt von Father Mallon gehört hatte.  Ich möchte behaupten, dass diese Konzepte sich mit ihren jeweils unterschiedlichen Perspektiven und Schwerpunktsetzungen durchaus gut ergänzen -- wobei die #BenOp, mit ihrem sub- bzw. "gegenkulturellen" Graswurzel-Ansatz, meinen Vorstellungen von "Punkpastoral" doch am nächsten kommt. 
  • Irgendwann zwischen diesen Terminen begannen wir damit, einmal wöchentlich in unserer Pfarrkirche eine Gebetszeit mit Lobpreismusik zu gestalten, zunächst "inoffiziell" und etwas unregelmäßig, aber seit Oktober 2018 steht diese Lobpreiszeit - jeden Dienstag um 17:30 Uhr - auch ganz offiziell im Wochenplan der Pfarrei. Bereits im September fand, sehr wesentlich auf unsere Initiative hin, ein "Nightfever Special" in unserer Pfarrkirche statt, und sogar noch ein bisschen früher, aber ebenfalls im September war der Mittwochsklub mit einem eigenen Stand beim "Berliner Fest der Kirchen" auf dem Alexanderplatz vertreten. 
  • Seit Anfang des Jahres 2019 arbeiten wir - unterstützt von einigen anderen Gemeindemitgliedern - verstärkt an der Realisierung einer unserer allerersten im Sommer 2016 skizzierten Ideen, nämlich dem Aufbau einer Leih- und Tauschbücherei in Räumen der Pfarrei. Seit März findet einmal im Monat im Anschluss an die Sonntagsmesse ein "Büchertreff" (mit Brunch-Büffet und Kinderspielecke) statt. Und vor etwas mehr als zwei Wochen ist unser neuestes Projekt gestartet: der "Krabbelbrunch", ein Treffpunkt für Familien mit Kindern im Alter von ca. 6 Monaten bis 3 Jahren, der vorläufig ebenfalls einmal im Monat stattfinden soll. Derweil findet das "Dinner mit Gott" am morgigen Mittwoch bereits zum 25. Mal statt. 
Symbolbild, Quelle: Pixabay 
Zusammenfassend gesagt organisieren wir in unserer örtlichen Pfarrgemeinde derzeit also eine wöchentliche und drei verschiedene monatliche Veranstaltungsreihen, darüber hinaus gestalten wir zu besonderen Zeiten des Kirchenjahres Andachten (aktuell gerade die Pfingstnovene) und helfen auch sonst gerne mit, wenn für irgendwelche Aktivitäten innerhalb der Pfarrgemeinde helfende Hände gebraucht werden. Verglichen damit, was wir theoretisch noch so alles gerne machen würden, ist das allerdings alles Kleinkram; der Punkt ist, mit unseren derzeitigen Kapazitäten an Zeit, Energie und irgendwo ja auch Geld schaffen wir erst mal nicht mehr als das. Hätten wir bei uns im Stadtteil noch fünf bis sechs weitere Familien - für den Anfang wären auch schon zwei oder drei nicht schlecht -, die, wenn schon nicht auf dieselbe, so doch zumindest auf eine ähnliche Art verrückt sind wie wir, und dazu möglichst noch ein paar junge, begeisterungsfähige Singles, dann könnten wir hier noch viiieeeel mehr auf die Beine stellen. Zum Teil verfolgen wir mit unseren regelmäßigen Veranstaltungen ja auch das Ziel, darüber Leute zu rekrutieren, mit deren Hilfe man dann auch größere Projekte in Angriff nehmen kann. Irgendwann muss der Knoten mal platzen! Ich bin da ganz optimistisch. 

Davon abgesehen haben wir gehofft bzw. hoffen eigentlich immer noch, dass das bevorstehende Pfarrfest eine Gelegenheit bieten wird, unseren Initiativen breitete Aufmerksamkeit zu verschaffen; wie sich in der letzten Woche gezeigt hat, gibt es in den Reihen der Organisatoren allerdings recht weit auseinandergehende Vorstellungen darüber, wie dieses Pfarrfest aussehen soll. Aber dazu hatte ich ja einen eigenständigen Artikel in Aussicht gestellt.

Natürlich hoffe ich auch, dass mein Blog dazu beiträgt, andere Menschen an anderen Orten zu ähnlichen Initiativen anzuregen und zu ermutigen, und ich freue mich stets besonders, wenn ich erfahre, dass das hier und da tatsächlich der Fall ist. Alles in allem bin ich einfach sehr gespannt auf die nächsten drei Jahre...!