In meinem immer noch nicht abgeschlossenen Bemühen, mich durch das nachsynodale Schreiben "Christus vivit" durchzubeißen, bin ich unlängst auf die folgende Passage gestoßen:
"81. Junge Menschen erkennen, dass der Körper und die Sexualität für ihr Leben und für die Entwicklung ihrer Identität wesentlich sind. In einer Welt, die die Sexualität übermäßig betont, ist es jedoch schwierig, eine positive Beziehung zum eigenen Körper zu wahren und die affektiven Beziehungen ausgeglichen zu leben. Wegen dieser und anderer Ursachen ist die Sexualmoral oft »Grund für Unverständnis und Entfernung von der Kirche, da sie als Raum des Urteils und der Strafe empfunden wird«."
Nun könnte man sagen, das sei ein klassischer Franziskus: so formuliert, dass da jeder das hineininterpretieren kann, was er gerne darin lesen möchte, und bei Bedarf auch das Gegenteil. Aber was für jeden gilt, gilt natürlich per definitionem auch für mich, und deshalb sage ich: Irgendwie stimmt das ja.
Allzu lange bin ich ja noch nicht aus dem Altersspektrum raus, innerhalb dessen man im kirchlichen Kontext noch als "jugendlich" gilt. (So gesehen - aber das jetzt wirklich nur am Rande - ist das Engagement in der örtlichen Pfarrgemeinde wirklich ein Jungbrunnen, denn da wird man auch mit über 40 noch als "jung" betrachtet und angesprochen.) Zudem ist es ja auch durchaus nicht so, als würden die inneren und äußeren Konflikte, mit denen "junge Menschen" im Zusammenhang mit ihrer Sexualität zu kämpfen haben, sich mit vollendetem 30. Lebensjahr schlagartig in Luft auflösen. Was ich damit sagen will: Ich habe mit den im zitierten Abschnitt angesprochenen Problemen - sowohl mit der "Welt, die die Sexualität übermäßig betont", als auch mit der Sexualmoral als "Grund für Unverständnis und Entfernung von der Kirche" - durchaus so meine eigenen Erfahrungen gemacht, und die liegen noch nicht so lange zurück, dass ich mich nicht deutlich an sie erinnern könnte.
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Sehr deutlich wiedererkannt habe ich mich in einer Passage von Rod Drehers Buch "Crunchy Cons", in der der Autor bekennt, er habe "einige Jahre lang vergeblich versucht, einen Deal mit Gott auszuhandeln":
"Ich erklärte mich bereit, mich Ihm in jedem Bereich meines Lebens zu unterwerfen außer in meinem Sexualleben. Und jung und dumm wie ich war, wunderte ich mich, dass bei diesem Deal nichts herauskam."Tja, so ging's mir auch mal. Man sehe es mir bitte nach, wenn ich hier nicht näher ins Detail gehe. Einige meiner Leser werden vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht haben. -- Nun kann man sich natürlich fragen (und ich bin überzeugt, dass viele Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, genau dies tatsächlich tun): Wieso sollte Gott sich überhaupt um mein Sexualleben kümmern? Hat Er nichts Wichtigeres zu tun? Nun, das wiederum erinnert mich an eine Passage aus dem Buch "Ein Außerirdischer im Kirchenschiff" von Adrian Plass. Darin bittet ein überforderter, desillusionierter, spirituell ausgebrannter Pfarrer Gott um Beistand und Hilfe, und Gott antwortet -- aber nicht in Gestalt einer großen mystischen Vision, sondern mit einer Reihe von praktischen Tipps zur effizienteren Bewältigung des Alltags. Dazu gehört auch die Ermahnung an den Pfarrer, etwas gegen sein Übergewicht zu unternehmen: Er könne nicht erwarten, dass sein Geist einwandfrei funktioniere, wenn sein Körper in schlechter Verfassung sei. "Ich habe die Ausrüstung gebaut", betont Er. "Ich kenne mich damit aus."
Man könnte sagen, was der christliche Humorist Plass hier abliefert, ist "Theologie des Leibes" in a nutshell: Der Körper ist ein integraler Bestandteil der menschlichen Person und nicht etwas Äußerliches und Vernachlässigenswertes; alles, was wir mit unserem Körper tun, hat unweigerlich Auswirkungen auf unseren Geist -- und auf unsere Seele. Und für den Bereich der Sexualität gilt das in besonderem Maße und auf besondere Weise. "Liberale" Christen argumentieren gern, Gott habe den Menschen schließlich als sexuelles Wesen geschaffen, folglich müsse die menschliche Sexualität gut sein. Diese Aussage ist zunächst einmal richtig; sie jedoch zur Begründung bzw. Rechtfertigung einer "befreiten" Sexualität heranzuziehen, ist aus mehreren Gründen argumentativ kurzschlüssig. Fangen wir mal ganz simpel an: "Gott sah, dass es gut war" ist geradezu der Refrain des biblischen Schöpfungsberichts. Alles, was Gott geschaffen hat, ist ursprünglich gut, und das kann auch gar nicht anders sein, da Er selbst der Inbegriff des Guten ist. Trotzdem würde wohl kaum ein Mensch ernsthaft behaupten, es gäbe auf der Welt nichts Schlechtes oder Böses. Wie kann es nun sein, dass etwas von Gott gut Geschaffenes schlecht oder böse wird? Die theologische Antwort darauf lautet: Das passiert durch die Sünde. Das ist heutzutage, zumindest wenn es nicht um Ernährungs- oder Umweltsünden geht, ein unpopulärer Begriff, aber wir können es auch so erklären: Alle Dinge, die Gott gut geschaffen hat, sind nur insoweit und so lange gut, wie sie im Einklang mit dem Willen des Schöpfers stehen. Ein Toaster ist dazu geschaffen worden, Brot zu toasten, man kann ihn aber auch jemandem in die Badewanne werfen, um diesen Jemand durch einen Stromschlag zu töten; das ist dann böse. Die Dinge, die Gott geschaffen hat, auf eine Weise zu benutzen, die Seinem Willen widerspricht, ist exakt das, was das Christentum Sünde nennt.
In der "Benedikt-Option" (S. 309f., in der Paperback-Ausgabe S. 321f.) schreibt Freund Rod:
"Wenn Sex an die Bestimmungen Gottes gebunden bleibt, vereint er einen Mann und eine Frau körperlich und spirituell, und aus dieser fruchtbaren Verbindung kann neues Leben entstehen: eine Familie.
Wenn wir mit Sex jedoch in ungeordneter Weise umgehen, kann er zu einer der zerstörerischsten Gewalten auf Erden werden. Man schaue sich nur das Leid von Kindern an, die ohne Väter aufwachsen; die Plage der Pornographie, die die Vorstellungskraft von Millionen verdirbt; die durch Untreue und Missbrauch zerbrochenen Familien; und so weiter.
Für Christen gibt es nur eine richtige Art und Weise, von dem Geschenk des Sex Gebrauch zu machen: innerhalb der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau. Aus Sicht der modernen Welt ist das eine Irrlehre und eine harte Rede, die Herzen, Freundschaften, Familien und sogar Kirchen zerbrochen hat. Keine zentrale Lehre des Christentums ist heute unpopulärer als diese – und zugleich gibt es vielleicht keine, die zu befolgen heute wichtiger wäre."
Eine harte Rede in der Tat; weshalb ja auch so gern in Zweifel gezogen wird, ob diese Lehre wirklich von Gott stammt. ("Hat Gott wirklich gesagt...?" war ja schon die opening line der Schlange im Paradies.) Ich habe es schon verschiedentlich erlebt, dass in Diskussionen (nicht nur über das Thema Sex, aber da verlaufen die Diskussionen aus wohl begreiflichen Gründen oft besonders emotional) einigermaßen indigniert gefragt wurde, wie man sich denn erdreisten könne zu behaupten, den Willen Gottes zu kennen. Ich bin da immer versucht zu fragen: Wenn du nicht der Meinung bist, dass man den Willen Gottes erkennen kann, wozu bist du dann überhaupt in der Kirche? Das ist nicht nur polemisch gemeint. Mir leuchtet tatsächlich nicht ein, wo in der Vorstellungswelt derer, die die Lehren der Kirche prinzipiell als menschengemacht und darum verhandelbar betrachten, eigentlich Platz für Gott bleibt. Wie Freund Rod in "Crunchy Cons" schreibt: "Eine Religion, in der man seine eigenen Bedingungen festlegen kann, läuft auf Selbstanbetung hinaus."
Genau deshalb erscheint mir auch die in jüngster Zeit mal wieder sehr laut werdende Anmutung, die Kirche könne, solle oder müsse ihre Lehre "an die Lebenswirklichkeit der Menschen anpassen", so aberwitzig. Wenn "ZdK"-Präsident Thomas Sternberg in einer Ansprache auf der Vollversammlung seines Vereins "unter großem Applaus" erklärt, die "kirchliche Sexualmoral habe sich seit fünfzig Jahren so weit von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt, dass sie kaum noch auf Akzeptanz stoße", dann ist zunächst einmal festzustellen, dass diese Formulierung den Karren vors Pferd spannt: Natürlich ist es genau umgekehrt, die Lebenswirklichkeit ist es, die sich von der kirchlichen Lehre entfernt hat, aber das zuzugeben, käme wohl dem Eingeständnis gefährlich nahe, dass es dann wohl auch die Lebenswirklichkeit ist, mit der etwas nicht stimmt. Das war übrigens schon immer so. "[E]in goldenes Zeitalter, in dem alle Christen dem Ideal einer geordneten Sexualität gerecht geworden wären, hat es nie gegeben", heißt es zu Recht in der #BenOp (S. 318 resp. 330). Der entscheidende Unterschied ist nicht, dass die Leute heute mehr sexuelle Sünden begehen als früher™, sondern dass zunehmend auch innerhalb der Kirche bestritten wird, dass es sich überhaupt um Sünden handelt.
Genau deshalb erscheint mir auch die in jüngster Zeit mal wieder sehr laut werdende Anmutung, die Kirche könne, solle oder müsse ihre Lehre "an die Lebenswirklichkeit der Menschen anpassen", so aberwitzig. Wenn "ZdK"-Präsident Thomas Sternberg in einer Ansprache auf der Vollversammlung seines Vereins "unter großem Applaus" erklärt, die "kirchliche Sexualmoral habe sich seit fünfzig Jahren so weit von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt, dass sie kaum noch auf Akzeptanz stoße", dann ist zunächst einmal festzustellen, dass diese Formulierung den Karren vors Pferd spannt: Natürlich ist es genau umgekehrt, die Lebenswirklichkeit ist es, die sich von der kirchlichen Lehre entfernt hat, aber das zuzugeben, käme wohl dem Eingeständnis gefährlich nahe, dass es dann wohl auch die Lebenswirklichkeit ist, mit der etwas nicht stimmt. Das war übrigens schon immer so. "[E]in goldenes Zeitalter, in dem alle Christen dem Ideal einer geordneten Sexualität gerecht geworden wären, hat es nie gegeben", heißt es zu Recht in der #BenOp (S. 318 resp. 330). Der entscheidende Unterschied ist nicht, dass die Leute heute mehr sexuelle Sünden begehen als früher™, sondern dass zunehmend auch innerhalb der Kirche bestritten wird, dass es sich überhaupt um Sünden handelt.
"Es ist unschwer einzusehen, dass die säkulare Welt die Gründe für die christliche Einstellung zum Sex nicht versteht", meint Rod Dreher: "Viele Christen verstehen sie ebenso wenig. Seit Generationen hat die Kirche es weitgehend kampflos zugelassen, dass die säkulare Kultur die Jugendlichen in ihrem Sinne katechisiert hat" (#BenOp S. 310 resp. 322). Ähnlich urteilt Bloggerkollege Peter Winnemöller in einer Erwiderung auf Sternbergs Ansprache: "Redet man zu jüngeren oder auch zu erwachsenen Katholiken darüber, so schauen sie einen an, als sei man von einem anderen Stern. Weder im Religionsunterricht noch in der Katechese und erst recht nicht in der sonntäglichen Predigt erfahren die Katholiken, was die Kirche in Fragen der Sexualität lehrt." Vor diesem Hintergrund wirkt Sternbergs Anregung, "[v]ielleicht sollte das Lehramt zu diesen Fragen einfach eine Zeit lang schweigen", schlichtweg bizarr: "Das Problem ist nicht, dass die Kirche, vertreten durch Episkopat, Klerus, Katecheten und Religionslehrer in der Vergangenheit zu viel über Sexualmoral gesprochen hätten", betont Peter Winnemöller. "Das Gegenteil ist der Fall." Zu derselben Einschätzung kommt Rod Dreher:
"Ich gehe seit über zwanzig Jahren regelmäßig zur Kirche und habe Gottesdienste in einer Vielzahl katholischer und orthodoxer Gemeinden im ganzen Land besucht. Eine Predigt, die mit einer gewissen Tiefe auf die Lehren des Christentums über die menschliche Person und über die rechte Ordnung der Sexualität eingeht, habe ich noch nie gehört. Und übrigens habe ich in all den Jahren überhaupt nur eine Predigt gehört, in der der Priester sich zur christlichen Lehre über Sexualität bekannt hat.
Allzu viele Geistliche scheuen sich, über Sex zu sprechen. Das müssen sie überwinden. Es ist schwer genug, in dieser über-erotisierten Kultur ein keusches Leben zu führen; Seelsorger sollten es den Leuten nicht noch schwerer machen, indem sie ihnen die Lehren und die Unterstützung vorenthalten, die sie brauchen, um im Glauben treu zu bleiben. Wenn in Predigten und anderen Äußerungen von Geistlichen und Autoritäten der Kirche nie von diesen Dingen die Rede ist, wird der Eindruck vermittelt, Sex und Sexualität seien nicht wichtig und die Kirche habe nichts Bedeutendes dazu zu sagen.
Das ist grotesk, ja sogar grausam. [...]
[D]en meisten Katholiken meiner Generation, die ich kannte [...,] war nie die ganze Fülle der kirchlichen Lehre über Liebe und Sexualität vermittelt worden, sofern ihnen überhaupt irgendwelche Lehren über Sexualität vermittelt worden waren. Mir schien, sie alle seien von Priestern und anderen erwachsenen Katholiken geformt oder vielmehr verformt worden, denen die kirchliche Sexuallehre peinlich war und die sie deshalb herunterspielten, vielleicht auch um es zu vermeiden, die jungen Leute mit Wahrheiten zu konfrontieren, die sie problematisch finden könnten." (#BenOp S. 325f./328 resp. 337f./340)
Nun sind wir allerdings wieder am Anfang angekommen, nämlich bei der in Christus vivit aufgegriffenen Feststellung der Jugendsynode, die Sexualmoral der Kirche sei oft "Grund für Unverständnis und Entfernung von der Kirche, da sie als Raum des Urteils und der Strafe empfunden wird". Und ich sagte ja bereits, dass ich das aus eigener Erfahrung nachvollziehen kann. Nicht nur das: Ich habe eine schwer überwindbare Neigung dazu, auf das Wort "Moral" insgesamt allergisch zu reagieren, und zwar weil ich intuitiv dazu neige, mir darunter etwas rein Konventionelles vorzustellen -- gewissermaßen den Inbegriff dessen, was sich nach Meinung streng blickender Altvorderer "gehört" zw. eben nicht. Auf einer bewussten Ebene ist mir durchaus klar, dass der Moralbegriff als solcher keine Schuld daran trägt, dass ich solche Assoziationen an ihn knüpfe, aber der Abwehrreflex ist nun mal da, und ich bin überzeugt, dass es mir nicht allein so geht. Und das macht es so schwierig, über Sexualmoral zu reden. Moral ist, sozusagen, unsexy.
Nicht umsonst betont daher auch Peter Winnemöller, es dürfe nicht darum gehen, "eine miefige Atmosphäre der sexuellen Verklemmtheit aufzubauen", sondern vielmehr darum, "die Lehre der Kirche wohlbegründet und positiv darzustellen. Es geht darum klar zu machen, dass hier der Weg zu echter und gelebter Freiheit ist." Und Rod Dreher erklärt: "Die christliche Lehre über Sex und Sexualität auf eine kahle, langweilige Du-sollst-nicht-Moral zu reduzieren, ist ein Zerrbild und ein Versagen der Vorstellungskraft." (#BenOp S. 331 resp. 343).
Das heißt: Um einen positiven Zugang zur Lehre der Kirche über Sexualität zu eröffnen, müsste man deutlich machen, dass diese Lehre nicht bloß eine Frage der Moral ist, sondern eine der Anthropologie; dass es ihr letztlich darum geht, was die Sexualität des Menschen darüber verrät, was der Mensch ist und wozu Gott ihn geschaffen hat. In dieser Hinsicht ist es ein empfindlicher, wenn auch leider nur allzu bezeichnender Mangel, dass gerade in Deutschland die "Theologie des Leibes" des Hl. Johannes Paul II. noch kaum rezipiert worden ist. Da gäbe es eine Menge aufzuarbeiten. Daneben - und angesichts einer Kultur, die persönlichem Empfinden und Erleben tendenziell höhere Relevanz einräumt als rationalen Argumenten, vielleicht sogar vor allem - braucht es aber auch das Zeugnis von Menschen, die buchstäblich am eigenen Leibe die Erfahrung gemacht haben, dass ein Sexualleben im Einklang mit dem, was die Kirche als Willen Gottes erkannt hat und lehrt, weitaus erfüllender und beglückender ist als alles, was die säkulare Gesellschaft uns als "sexuelle Befreiung" verkaufen will.
Ich selbst habe diese Erfahrung jedenfalls gemacht.
Lese-empfehlung zum Thema Theologie des Leibes im Alltagsleben, leider nur auf englisch erschienen: "These beautiful bones: an everyday theology of the body" von Emily Stimpson. ("If we try to live what the theology of the body teaches about spousal love without trying to live everything else it has to say about what it means to be a human person- we will fail.")
AntwortenLöschenGrüße aus dem Görlitzer Bistum - ich lese die Artikel oft und mit Interesse, danke!
Bernadette