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Mittwoch, 30. April 2025

Willkommen bei der "auch mal"-Pastoral

So, Freunde: Allmählich wird es Zeit, dass ich meine Ankündigung wahr mache, auf das Thema "Jugendpastoral im Erzbistum Berlin" zurückzukommen und davon ausgehend einige grundsätzliche Überlegungen zum Thema Jugendpastoral anzustellen. Und wie es so meine Art ist, möchte ich mich dem Thema erst einmal über einen anekdotischen Einstieg nähern – in Form eines bezeichnenden Details der Veranstaltung "Kickoff Jugendpastoral", an der ich im Februar dieses Jahres teilgenommen habe

Als eines von mehreren Kennenlernspielen wurde dort das beliebte "Vier-Ecken-Spiel" gespielt; für Leser, die es nicht kennen, sei es hier kurz erklärt: Den Teilnehmern werden Fragen gestellt, zu denen jeweils vier Antwortmöglichkeiten vorgegeben werden; jeder dieser Antwortmöglichkeiten wird eine Ecke des Raumes zugeordnet, und die Teilnehmer "beantworten" die Frage, indem sie in die entsprechende Ecke gehen. Eine der Fragen lautete, wie lange die Anwesenden schon in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit tätig seien, und eine der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten lautete: "Seitdem ihr selber Kind und Jugendlicher wart". Ich stellte fest, dass das auch für mich gilt – unmittelbar nach meiner Firmung hatte ich in Herz Mariä Burhave die Leitung einer Jugendgruppe übernommen, die zuvor von meiner Schwester geleitet worden war –, aber gleich darauf fiel mir auf, dass Unterbrechungen von mehreren Jahren oder Jahrzehnten – im Sinne von "Ich war als Jugendlicher in der kirchlichen Jugendarbeit aktiv, dann lange Zeit nicht und jetzt wieder" – sich in diesem Vier-Ecken-Spiel praktisch nicht abbilden ließen, und diese Erkenntnis teilte ich im Vorübergehen einem Vertreter des neuen Jugendpastoral-Teams des Erzbistums mit. Dass diese Beobachtung keineswegs banal war, zeigte sich gleich darauf: Aus der Tatsache, dass ein sehr großer Teil der Anwesenden in der Ecke derjenigen gelandet war, die schon seit ihrer eigenen Jugend dabei sind, folgerte die Moderatorin des Kennenlernspiels kurzerhand, dies müsse darauf zurückzuführen sein, dass sie mit der kirchlichen Jugendarbeit "ganz tolle Erfahrungen selber gemacht" hätten, die sie "jetzt weitergeben" wollten. Ich fand diese Schlussfolgerung – und gerade auch die vermeintliche Selbstverständlichkeit, mit der sie vorgetragen wurde – recht bemerkenswert, aber ich vermute, in gewissem Sinne wird da wohl was Wahres dran sein – und das ist ein Problem

Warum bzw. inwiefern? Nun, ich habe das schon verschiedentlich angesprochen: Die Leute, die in der kirchlichen Jugendarbeit ziemlich nahtlos den Sprung vom Teil der Zielgruppe zum Mitarbeiter hingelegt haben und Jahre oder Jahrzehnte später immer noch dabei sind, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Leute, die die Methoden kirchlicher Jugendarbeit, die sie in ihrer eigenen Jugend kennengelernt haben, gut fanden, und deshalb reproduzieren sie dieselben Muster – zumal sie ja auch gar nichts anderes kennen. Das führt naturgemäß zu einer spezifischen Form von Milieuverengung – und wie schon einmal ausgeführt, ist diese ein sich selbst erhaltendes, ja sich selbst verschärfendes Problem: Je mehr sich der Eindruck verfestigt, die kirchliche Jugendarbeit sei nur für einen ganz bestimmten Typus von Jugendlichen interessant, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Jugendliche, die nicht diesem Typus entsprechen, sich für sie interessieren. 

In einer weiteren Runde der Kennenlernspiele gab es Einzelgespräche, und da geriet ich u.a. an jemanden, der mir erzählte, er komme eigentlich aus der Ministrantenarbeit und sei nun, nachdem seine berufliche Selbständigkeit in einer ganz anderen Branche die Corona-Krise nicht überlebt habe, hauptamtlich für den BDKJ tätig. Der Mann war bestimmt 10-15 Jahre jünger als ich, gab aber bemerkenswert freimütig zu, er verstehe die heutigen Jugendlichen nicht bzw. könne ihre Anschauungen nicht nachvollziehen – aber das sei wohl ganz normal. Da hätte ich ja doch gerne gewusst, was für Anschauungen das waren, die er so unverständlich fand. Vielleicht ist der junge Mann in einem sokratischen Sinne einfach klüger als ich, insofern, als er sich seines Nichtverstehens bewusst ist; aber ich bilde mir ein, so schwer ist es eigentlich nicht, Jugendliche zu verstehen. Als ich zu der Frage "Was motiviert mich, mich in der kirchlichen Jugendarbeit zu engagieren?" sagte, mein Anliegen sei es, dazu beizutragen, dass, wenn meine eigenen Kinder in das relevante Alter kommen, "überhaupt noch etwas da ist", verstand mein Gesprächspartner auch das zunächst nicht und glaubte, ich spräche von den Verhältnissen in einer bestimmten Gemeinde und nicht von der Gesamtsituation der institutionellen Kirche hierzulande. 

Diese Beispiele mögen illustrieren, dass die ganze "Kickoff Jugendpastoral"-Veranstaltung mir den Eindruck vermittelte, die institutionelle Jugendarbeit im Erzbistum Berlin liege im Wesentlichen in den Händen von Leuten, die im eigenen Saft schmoren und nicht in der Lage, ja wohl nicht einmal willens sind, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. – Nun, ich schätze, es wäre wohl wenig glaubwürdig, wenn ich so tun wollte, als hätte ich etwas anderes erwartet. 

Aber kommen wir ruhig noch einmal zurück zum "Vier-Ecken-Spiel" bei der "Kickoff"-Veranstaltung: Eine bezeichnende Frage in diesem Spiel lautete, an welcher Art von Angeboten die Jugendlichen, mit denen die anwesenden haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter es in ihren Gemeinden, Verbänden etc. zu tun haben, am meisten Interesse hätten. Als Antwortmöglichkeit wurde hier neben "Chillen und Entspannen", "sportliche[n] Aktivitäten" und unter der Bezeichnung "Inhaltliches" zusammengefassten Veranstaltungen wie "Schulungen, Diskussionen" usw. auch "alles, was sich um Spirituelles dreht" genannt; in der Reihenfolge der Aufzählung stand das Spirituelle sogar an erster Stelle, aber man darf wohl sagen: nur dort. Ich meine mich sogar zu erinnern – auch wenn ich es nicht beschwören könnte –, dass die Moderatorin des Vier-Ecken-Spiels eine Bemerkung fallen ließ, die sinngemäß besagte "Jetzt stellt euch aber nicht alle in die Spiritualitäts-Ecke, das glaubt euch ja doch keiner". Abgesehen davon, dass der Programmablauf für den Abend einen "Spirituelle[n] Abschluss" vorsah, war von dem Gesamtbereich Spiritualität immer nur flüchtig in Nebensätzen und Randbemerkungen die Rede – was zum Teil auch dadurch bedingt sein mochte, dass innerhalb des Jugendpastoral-Teams die Planstelle mit dem Aufgabenschwerpunkt "Spirituelle Angebote" noch nicht besetzt war (wenn ich es richtig verstanden habe, war zwar schon eine für diesen Aufgabenbereich vorgesehene Mitarbeiterin gefunden worden, diese hatte die Stelle aber noch nicht angetreten), aber das sagt ja auch schon etwas aus. – Auf den Punkt gebracht: "Spirituelle Angebote" werden in der institutionellen Jugendarbeit der Kirche als etwas betrachtet, was man "auch mal" macht – daher der Titel meines Artikels. Die Formulierung "auch mal" fällt in diesem Zusammenhang – nicht nur bei der besagten "Kickoff"-Veranstaltung, auch wenn es mir da besonders aufgefallen ist – wirklich mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit. Was diese Wortwahl verrät, ist, dass es offenbar ein gewisses Bewusstsein dafür gibt, dass kirchliche Jugendarbeit nicht ganz ohne "spirituelle Angebote" auskommt – und sei es nur, weil man ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber nicht-kirchlicher Jugendarbeit braucht –, dass man aber nicht gewillt ist bzw. gar nicht erst auf die Idee kommt, dem Thema Spiritualität einen großen, geschweige denn zentralen Stellenwert einzuräumen. Erschwerend hinzu kommt die inhaltliche Unschärfe der Bezeichnung "spirituelle Angebote": Niemand scheint so recht definieren zu wollen, was diese Bezeichnung umfasst bzw. vor allem was nicht, denn "definieren" heißt ja "begrenzen". Einer der Mitarbeiter des neuen erzdiözesanen Jugendpastoral-Teams machte bei der "Kickoff"-Veranstaltung einen Versuch, die Kategorie "spirituelle Angebote" durch Beispiele zu erläutern: "Das kann in Richtung Taizé gehen, das kann in Richtung Worship gehen..." – "Oder Yoga", murmelte ein mir bekannter Diakon sarkastisch. Noch wolkiger klingt das in der Beschreibung des Formats "Jugend glaubt" im Rahmen der neuen "Jugend-Reihe" der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd, die ich hier vor einiger Zeit mal am Wickel hatte: "innehalten, in sich selbst spüren [!], zu einem besonderen Event wie Nightfever gehen, einen eigenen Gottesdienst vorbereiten, Taizé Lieder singen, sich ein Worship-Konzert anschauen oder sich mal auf die Spuren der Bibel begeben". Nicht umsonst kommentierte ich das seinerzeit mit den Worten "Na toll", stellte aber zugleich "ein differenzierteres und begründeteres Urteil als 'Na toll'" in Aussicht. Also dann: Dass es in der Kirche eine große Vielfalt spiritueller Ausdrucksformen und Stile gibt, ist zweifellos schön und wertvoll, aber problematisch wird es, wenn der Eindruck der Beliebigkeit entsteht: wenn spirituelle Angebote präsentiert werden wie eine Art Büffet, wo man alles Mögliche mal probieren kann und sich auf nichts wirklich einlassen muss. Erst recht bedenklich ist es, wenn der Eindruck entsteht, "spirituelle Angebote" sollten nicht dazu dienen, den Glauben zu vertiefen (oder anders ausgedrückt: die persönliche Beziehung zu Jesus Christus zu stärken), sondern bloß dazu, sich selbst zu spüren

Auf den zweiten Blick ist es übrigens auch mit der gerade angesprochenen Vielfalt gar nicht so weit her. Es fällt auf, dass, wenn es um Beispiele für "spirituelle Angebote" geht, sowohl von den Jugendpastoral-Mitarbeitern des Erzbistums als auch bei denen der Pfarrei St. Klara (von denen auch ein paar bei der "Kickoff"-Veranstaltung zugegen waren) einige Stichworte, wie "Taizé" und "Worship", regelmäßig genannt werden, andere, wie etwa Rosenkranz, Stundengebet oder Eucharistische Anbetung, hingegen nie. Wahrscheinlich haben die lieben Leutchen überhaupt nicht auf dem Schirm, dass "so was" für Jugendliche interessant oder attraktiv sein könnte; aber da möchte ich nur mal auf die Pfarrei St. Willehad in Nordenham verweisen, wo sich gerade eine Jugendgruppe gegründet hat, die sich explizit für genau "so was" interessiert. 

Nur der Vollständigkeit halber und weil ich in meinem Artikel "Hasch mich, ich bin die Zukunft" in Aussicht gestellt habe, etwas dazu zu sagen, möchte ich auch noch kurz auf das Format "Jugend aktiv unterwegs" in der Reinickendorfer Pfarrei eingehen, das – wir erinnern uns – wie folgt vorgestellt wurde: 

"Dieser Baustein bietet sehr viele Möglichkeiten. Von der Teilnahme an der 72h-Aktion des BDKJ, über sportlich aktiv sein, Billard oder Bowling spielen gehen, bei den Sternsingern unterstützen, tanzen gehen oder Stadtpilgern – eben einfach aktiv sein." 

Der Gebrauch der Wörtchen "eben" und "einfach" im Jugendpastoralsprech wäre auch mal [!] eine Untersuchung wert; ich schätze, da käme man zu ähnlich vielsagenden Ergebnissen wie bei der Formulierung "auch mal". – Aber davon mal abgesehen: Auch hier hat der erwünschte Eindruck von Vielfalt einen herben Beigeschmack von Beliebigkeit. Ob soziales Engagement (72h-Aktion), Stadpilgern (das ist was "Spirituelles", oder?) oder Sport, das wird alles zusammen in eine Kategorie gepackt: Hauptsache, man ist irgendwie "aktiv". Und "unterwegs" – im Unterschied zum Veranstaltungsformat "Jugend allein zu Haus", das im Großen und Ganzen wohl eher in die Kategorie "Chillen und Entspannen" gehört. 

Kehren wir aber noch einmal zu der "Kickoff"-Veranstaltung zurück: Ein Aspekt, der dort, im Unterschied zur Spiritualität, sehr groß geschrieben wurde, war das Thema Sexualpädagogik. Auch hierfür gibt es eine eigene Planstelle im Team; die Inhaberin dieser Stelle erklärte im Rahmen der Teampräsentation, sie "organisiere vor allem sexualpädagogische Projekttage in den katholischen Schulen", und zwar insbesondere für achte und neunte Klassen. "Das heißt aber nicht, dass dieses Thema nur in die Schule gehört, sondern auch in euren Jugendgruppen stattfinden kann", betonte sie. "Das Thema Sexualität soll kein Tabu sein, sondern das ist was, was Spaß machen kann zu besprechen." – Nun würde ich ja an und für sich gern sagen, es sei gut und richtig und ausgesprochen wünschenswert, dass die kirchliche Jugendarbeit sich mit dem Thema Sexualpädagogik befasst – sofern sie dies mit dem Ziel täte, den Jugendlichen eine der christlichen Anthropologie und der Lehre der katholischen Kirche entsprechende Sichtweise von Sexualität zu vermitteln, etwa im Sinne der "Theologie des Leibes" des Hl. Johannes Paul II.; aber schon ein Blick auf den Infotisch zum Thema Sexualpädagogik, den man bei dieser Veranstaltung bewundern durfte, machte überaus deutlich, dass es darum gerade nicht geht. Überdies hatte man in der Vergangenheit schon öfter Gelegenheit, festzustellen, dass der sexualpädagogische Ansatz in der institutionellen Jugendarbeit des Erzbistums eher auf Akzeptanz sexueller Vielfalt ausgerichtet ist als auf eine Erziehung zur Keuschheit (ja, ich weiß, das ist ein unpopulärer Begriff, aber einen besseren wüsste ich nicht). 

Hier übrigens der besagte Infotisch.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Leserkommentar zu meinem ersten fragmentarischen Bericht über die "Kickoff Jugendpastoral"-Veranstaltung verweisen, in dem es hieß, es lohne sich, "einen Blick in die Umfrage im Rahmen der sog. Perspektiventwicklung Jugendpastoral zu werfen"; diese Umfrage habe u.a. ergeben, "dass nur eine kleine, teils nicht einmal messbare Minderheit von Jugendlichen 'woke' Themen in der Jugendarbeit will. Messbar wird dieser Wunsch allein bei den älteren, die nicht mehr jugendlich sind…". Nun wäre ich wohl nicht der Tobi, wenn ich diesem Hinweis nicht nachgegangen wäre; und die Ergebnisse der besagten Umfrage, die man sich auf der Website des Erzbistums Berlin als pdf-Datei downloaden kann, sind tatsächlich sehr interessant: Befragt wurden dort 372 "Verantwortliche der Jugendpastoral" – also Personen, die haupt- oder ehrenamtlich in der kirchlichen Jugendarbeit Leitungsaufgaben ausüben – und 363 "Nicht-Verantwortliche der Jugendpastoral", worunter Personen verstanden werden, die zur Zielgruppe jugendpastoraler Angebote zählen. Zur Konkretisierung der soeben zitierten Einschätzung meines Lesers lässt sich hier u.a. auf die Antworten der "Nicht-Verantwortlichen" auf die Frage "Mit welchen Dingen/Inhalten beschäftigst du dich in deiner Freizeit?" verweisen: Von 363 Befragten nannten 68, also knapp 19%, den Themenbereich "Natur/Klima/Umwelt", 50 Befragte, also knapp 14%, nannten "Soziale Gerechtigkeit" und nur 41, also gut 11%, das Thema "LBGTQ+" (Mehrfachnennungen möglich). Zum Vergleich: Der Themenbereich "Glaube/Kirche/Gottesdienst" wurde von 133 Befragten, also gut 36%, genannt. (Man beachte übrigens, dass die Fragestellung noch nicht zwingend impliziert, dass die Themen, für die sich die Jugendlichen in ihrer Freizeit interessieren, auch Gegenstand von Angeboten der Jugendpastoral sein sollten.) Schlüsselt man die Umfrageergebnisse nach Altersgruppen auf, stellt man fest, dass das Interesse am Themenbereich LGBTQ+ bei den 28-35Jährigen am größten ist (allerdings auch hier nur bei knapp 15% liegt) – was indes statistisch nicht sonderlich relevant ist, da aus dieser Altersgruppe nur 27 Personen befragt wurden; dagegen ist das Interesse an "Natur/Klima/Umwelt" bei den 19-27Jährigen am größten (mit etwas über 20%). 

Nicht minder interessant sind die Antworten auf die Frage "Welche Formen gemeinsam Glauben zu leben, interessieren dich?", die nicht nach "Verantwortlichen" und "Nicht-Verantwortlichen" aufgeschlüsselt sind, dafür aber nach Altersgruppen – wobei zu beachten ist, dass bei den "Nicht-Verantwortlichen" der Großteil der Befragten (209 von 363, also knapp 58%) 12 bis 18 Jahre alt sind, während bei den "Verantwortlichen" die 19-27Jährigen mit 34% (127 von 372) die größte Gruppe ausmachen, gefolgt von den Über-35Jährigen mit 31% (116 von 372). Zu "Formen gemeinsam Glauben zu leben" wird hier auch "Soziales oder politisches Engagement (z.B. Umweltschutz etc.)" gezählt, allerdings sind daran von den 12-18jährigen Befragten nur 65 (21%) "sehr interessiert" und 100 (knapp 33%) "interessiert"; bei den 19-27Jährigen, unter denen die "Verantwortlichen" klar in der Mehrheit sind, ist der Anteil der "sehr Interessierten" mit 30 Prozent bedeutend höher, am höchsten (mit 42%) bei den 28-35Jährigen, die allerdings (was schon an und für sich ein interessantes Faktum ist) die mit Abstand kleinste Altersgruppe unter allen Befragten bilden. 

Alles in allem ist es somit nicht sehr überraschend, dass die Antworten auf die an die "Verantwortlichen" gerichtete Frage "Welche Inhalte sprechen deine Jugendlichen an?" eine gewisse Diskrepanz zur Selbsteinschätzung der Jugendlichen aufweisen: Hier nennen 157 von 372 Befragten (also 42%) den Bereich "Soziales Engagement", dagegen nur 116 (31%) "Gottesdienst" und 88 (knapp 24%) "Glaubensbildung". Wenn man all die hier aufgeführten Umfrageergebnisse zueinander in Beziehung setzt, drängt sich der Eindruck auf, dass viele Jugendleiter eher ihre eigenen Interessenschwerpunkte im Blick haben und diese "ihren" Jugendlichen überstülpen. (Wobei ich ihnen nicht unbedingt unterstellen will, dass sie das bewusst tun.) 

Man könnte über diese Umfrage sicherlich noch sehr viel mehr sagen, aber dieser Blogartikel droht ohnehin schon Überlänge zu bekommen, und der Gesamteindruck ist wohl deutlich genug: Es scheint, dass die inhaltliche Ausrichtung der Jugendpastoral im Erzbistum Berlin an den tatsächlichen Interessen der Jugendlichen meilenweit vorbeigeht – und dass diese Interessen deutlich "religiöser" sind, als man uns gemeinhin glauben machen will. Derweil vermittelt das neue Jugendpastoral-Team des Erzbistums nicht den Eindruck, als wollte es aus diesem Befund Konsequenzen ziehen. 

Natürlich muss man, wenn man aus dieser Umfrage Aufschlüsse über die religiösen Interessen von Jugendlichen beziehen will, berücksichtigen, dass die hier Befragten in relativ hohem Maße kirchlich gebunden sind: Über 50% der Befragten, in den Altersgruppen der 19-27Jährigen und der Über-35Jährigen sogar mehr als 60%, ordnen ihren "Bezug zum Glauben" als "gläubig katholisch" ein, die zweithäufigste Antwort ist hier "gläubig christlich"; die Antwortmöglichkeit "religiös interessiert" erreicht in der Altersgruppe 12-18 (und nur in dieser) immerhin noch 20%, Optionen wie "eher spirituell als religiös", "ungläubig/nicht religiös", "religiös experimentierfreudig" oder "anders gläubig" sind weit abgeschlagen. 30% aller Befragten geben an, wöchentlich den Gottesdienst zu besuchen, weitere 25% "mehrmals im Monat". – Zu den Rückschlüssen, die man aus diesen Daten ziehen könnte, gehört es, dass die institutionelle kirchliche Jugendarbeit nicht missionarisch ist – nicht nur, weil sie kirchenferne Jugendliche faktisch kaum erreicht, sondern auch, weil sie darauf gar nicht ausgerichtet ist. In Marketing-Sprech ausgedrückt, konzentriert man sich lieber auf Bestandskundenpflege als auf Neukundenakquise; das kann man gleichermaßen als Folge wie als Ursache der oben angesprochenen Milieuverengung interpretieren. 

Natürlich bleibt da nun noch die Frage, wie man kirchenferne Jugendliche denn erreichen könnte, wenn man nur wollte. Und hier lautet meine Kernüberzeugung: mit Freizeitangeboten, die sie genausogut (bzw. wahrscheinlich eher besser) bei nicht-kirchlichen Anbietern finden können, jedenfalls nicht. Da hilft auch ein bisschen vage Spiritualität als Sahnehäubchen nicht viel. – Im Creative Minority Report Nr. 5 schrieb ich

"Fragt man nun, womit man kirchenferne Jugendliche denn dann erreichen könne, dann kann ich aus Erfahrung sagen: mit Nightfever zum Beispiel. Das zu sagen ist natürlich gewagt, weil es einer Kernüberzeugung der modernen Pastoraltheologie, nicht nur im Jugendbereich, widerspricht: der Überzeugung, man müsse es vermeiden, offen und explizit religiöse Angebote zu machen, weil das abschreckend wirke oder zumindest langweilig sei. Wozu ich wiederum die Überzeugung hege, diese Ansicht werde hauptsächlich von Leuten vertreten, die selbst nicht besonders viel mit Religion am Hut haben. Dass es davon gerade unter (haupt- wie ehrenamtlichen) Kirchenmitarbeitern so viele gibt, müsste man eigentlich verwunderlich finden; aber wenn diese Leute sagen 'Für religiöse Angebote interessiert sich doch niemand', ist das natürlich eine Art self-fulfilling prophecy, denn wovon man selbst nicht überzeugt und begeistert ist, davon wird man auch keinen anderen überzeugen und begeistern können, und letztlich wollen sie es ja auch gar nicht anders haben." 

Der letzte Teilsatz wirkt natürlich wie eine böse Unterstellung, der Mancher heftig widersprechen würde. Aber man muss sich doch fragen: Wenn die institutionelle kirchliche Jugendarbeit schon nicht darauf ausgerichtet ist, kirchenferne Jugendliche anzusprechen, und wenn sie – wie die hier angesprochenen Umfrageergebnisse dokumentieren – hauptsächlich Jugendliche erreicht, die überdurchschnittlich religiös oder zumindest religiös interessiert sind, warum bietet sie diesen dann nicht mehr religiöse Inhalte? – Das ist wohlgemerkt nicht nur hierzulande so. Rod Dreher schreibt in der "Benedikt-Option": "In einer Reihe von Interviews, die ich im Zuge der Arbeit an diesem Buch mit einem breiten Spektrum von Christen geführt habe, hörte ich immer wieder Beschwerden darüber, dass kirchliche Jugendgruppen mehr damit beschäftigt sind, die Kinder zu bespaßen, als sie zu Jüngern Jesu zu erziehen." Diese Beobachtung habe ich bereits vor Jahren in meinen Ansichten aus Wolkenkuckucksheim Nr. 11 zitiert – und dazu angemerkt

"Sicherlich gilt das nicht immer und überall. Im Einzelfall gibt es bestimmt auch in der verbandlich organisierten kirchlichen Jugendarbeit Mitarbeiter, die nicht nur bei der Bespaßung der jungen Leute (denn dass diese auch ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit ist, soll hier nicht bestritten werden), sondern auch bei Evangelisierung, Katechese und Anleitung zur Jüngerschaft gute Arbeit leisten. Aber im Ganzen, so wage ich zu behaupten, ist die institutionelle Jugendarbeit der Volks- und Großkirchen darauf nicht ausgerichtet. Deren eigentliches Zielpublikum sind Leute, die sich der Kirche irgendwie (noch) verbunden fühlen, obwohl sie mit dem ganzen Glaubenskram eher nicht so viel anfangen können. Diesen Leuten – bzw. deren Kindern, als der nächsten Generation potentieller Beitragszahler – will man positive Erlebnisse im Zusammenhang 'mit Kirche' bieten, um sie an die Institution zu bindenEm tasol, wie man in Papua-Neuguinea sagen würde." 

In all diesen Punkten hat die "Kickoff Jugendpastoral"-Veranstaltung meine Einschätzungen über die institutionelle Jugendarbeit der Kirche eher bestätigt als infrage gestellt, und so ist es wohl nicht sehr überraschend, dass ich aus dieser Veranstaltung die Lehre zog, in meiner eigenen pastoralen Basisarbeit eine Zusammenarbeit – oder überhaupt irgendeine Art von Kontakt – mit dem neuen Jugendpastoral-Team des Erzbistums nach Möglichkeit eher zu meiden. Da konnten die Teammitglieder noch so eindringlich betonen, sie seien dazu da, "uns" – d.h. die Mitarbeiter an der Basis, in den Gemeinden, den Verbänden usw. – zu "empowern" [sic!], zu unterstützen und mit Rat, Tat und nicht zuletzt Geld zu fördern. Tatsächlich empfand ich Ankündigungen wie die, man wolle "im Sommer, wenn's ein bisschen schöner ist vom Wetter her", eine "Road-Tour" machen, um sich ein Bild von der Jugendarbeit vor Ort zu machen, rein intuitiv eher als bedrohlich – so ungefähr im Sinne des berühmten Ausspruchs Ronald Reagans, der furchterregendste Satz der englischen Sprache laute "I'm from the government and I'm here to help"... 


Samstag, 26. April 2025

Die 3 K der Woche (22): Kinder, Kirche, Kaffee (und Laudes)

Das Wichtigste zuerst: 

Christus ist auferstanden – Er ist wahrhaftig auferstanden! 

Das Grab ist leer, der Held erwacht. 

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine frohe und segensreiche Osterzeit – die ja glücklicherweise gerade erst angefangen hat und noch einige Woche lang andauert. 

Zum Zweitwichtigsten: Dies ist das erste Wochenbriefing während der Sedisvakanz des päpstlichen Stuhls. Wir werden hier in der nächsten Zeit also ziemlich viel Konklave-Content erwarten dürfen. In der vorliegenden Wochenbriefing-Ausgabe spielt der Tod des Papstes hingegen noch keine so sehr große Rolle, zumal ich zu diesem Thema bereits einen separaten Artikel veröffentlicht habe. Dafür ist dieses Wochenbriefing aber, wie ich finde, thematisch schön bunt geworden. Überzeugt euch selbst, Leser! 


Osternacht in Siemensstadt 

Die Feier der Osternacht begann in St. Joseph Siemensstadt um 21 Uhr, in St. Stephanus Haselhorst um Mitternacht; da fiel uns die Entscheidung nicht schwer, zum früheren dieser beiden Termine zu fahren. Nachdem es zu Hause schon vor dem Losgehen Streit gegeben hatte, machte ich mir ein wenig Sorgen darum, wie die Kinder sich in der Kirche betragen würden; aber in den letzten Jahren hatte es in der Osternacht eigentlich immer gut geklappt mit ihnen, und auch diesmal verfehlte die feierliche Liturgie ihre Wirkung nicht: Schon vom Osterfeuer waren die Kinder ausgesprochen fasziniert, und vom Einzug in die dunkle Kirche erst recht. 


Sieht ein bisschen aus wie ein Gemälde von Rembrandt, oder? 

Irgendwann während der Lesungen aus dem Alten Testament (wir hatten, wie schon in den letzten Jahren, fünf; wer bietet mehr?) schlief unser Jüngster dann ein, das Tochterkind hielt deutlich länger durch, strich aber während der Allerheiligenlitanei ebenfalls die Segel. – Taufen gab es im Rahmen dieser Osternachtfeier nicht – dafür aber, wie der Pfarrvikar verriet, zwei Taufen in der 11-Uhr-Messe am Ostersonntag und drei weitere am Ostermontag –, aber ein schon älterer Mann, der offenbar in jüngeren Jahren in einer anderen christlichen Konfession getauft worden war, wurde durch das Sakrament der Firmung in die katholische Kirche aufgenommen. Insgesamt dauerte die Feier der Osternacht knapp zweieinhalb Stunden – mehr ging nicht, weil der Zelebrant und wohl auch der Kirchenmusiker anschließend nach Haselhorst mussten, um dort nochmals die Osternacht zu feiern. 

Die Predigt des Pfarrvikars war wieder einmal kurz und bündig – unter zehn Minuten –, aber ein paar Kerngedanken daraus möchte ich hier allemal festhalten. Die Perikope aus dem Markusevangelium, in der die Frauen das Grab Jesu besuchen wollen, "erzählt uns, was die Frauen im Kopf haben" – nämlich die Frage: "Wer könnte uns den Stein wegwälzen?". Hierzu führte der Pfarrvikar aus: 

"Der Stein beherrscht ihr Denken. Wir alle haben oft diesen Stein im Kopf. Wir alle haben unsere Probleme, unsere Schwierigkeiten – wir denken sozusagen nur an unsere kleine Welt. Wir sind oft fixiert auf unsere Steine: Schwierigkeiten, die sich nicht bewegen; Situationen, die sich über Jahre schleppen und wo wir keine Lösung sehen; Urteile, die festgefahren sind, wo es keine Versöhnung gibt." 

Nun aber kommen die Frauen zum Grab, und der Stein ist bereits weggewälzt. – Der Pfarrvikar wies auf eine Parallele zur Begegnung von Jakob und Rahel im Buch Genesis (29,1-12) hin: Da wälzt Jakob den Stein von der Brunnenöffnung weg, damit Rahel Wasser schöpfen kann. "Der Bräutigam rollt den Stein weg. Das war seine Aufgabe." Das heißt: Durch den weggerollten Stein am Grab erweist Christus sich als Bräutigam. Gleichwohl betonte der Pfarrvikar weiter:

"Das Entscheidende ist nicht der Stein. Der Stein beweist noch gar nichts. Das Entscheidende ist die Begegnung mit dem Bräutigam. Deswegen brauchen wir die Liturgie: Die Liturgie sagt uns, der Herr möchte mit uns eins sein durch das Wort, durch das Sakrament. Wir empfangen Sein Fleisch und Sein Blut; das ist die schönste Hochzeitsgabe, die der Herr uns geben kann. Er schenkt sich uns selber bis in den Tod hinein." 


Was an den Ostertagen sonst noch so los war 

Nachdem wir in der Osternacht erst gegen halb Eins nach Hause gekommen waren, mussten wir am Ostersonntag erst mal gründlich ausschlafen; dann gab es ein opulentes Frühstück, und ab dem frühen Nachmittag waren wir bei meinen Schwiegermüttern eingeladen. Dort durften die Kinder im Garten Ostereier suchen... 

Die am Strauch zählen nicht.

...während ich einen Männer-Osterhasen bekam, den ich nicht suchen musste, sondern einfach neben meinem Teller vorfand. 

Am Ostermontag starb dann Papst Franziskus. Die Nachricht traf mich recht überraschend, nachdem es ja zunächst schien, als sei er auf dem Wege der Besserung. Aber das scheint bei Menschen im fortgeschrittenen Alter öfter so zu sein – dass sie nicht auf dem Höhepunkt einer akuten Erkrankung sterben, sondern gerade dann, wenn sie diese scheinbar überwunden haben. Jedenfalls hatte ich, anders als offenbar viele Andere, keinen vorbereiteten Nachruf fertig in der Schublade, habe mich aber trotzdem bemüht, etwas halbwegs Brauchbares zum Thema beizusteuern – was ich dann auch prompt am Dienstag 'raushaute, ehe mir womöglich noch Bedenken kämen. 

Davon abgesehen veranstalteten wir am Ostermontag zusammen mit der Mutter einer Schulfreundin unseres Tochterkindes – nämlich derjenigen Freundin, die schon öfter mit beim JAM war und auch beim Krippenspiel in St. Stephanus mitgespielt hat – im Steinbergpark (bzw. "Vogelwald", wie unser Tochterkind diese Grünanlage vor Jahren mal genannt hat) ein Picknick mit Ostereiersuche für insgesamt fünf Kinder. War schön und bemerkenswert friedlich. 

Der Osterstrauß in unserer Wohnung, kombiniert mit den Palmsonntagssträußen vom Achor-Hof und den von unseren Kindern beim JAM bemalten Eiern.

Update Pfarrhausfamilie 

"Diese Ungewissheit auszuhalten, nicht zu wissen, wie das Leben ab September weitergeht, ist auch eine ganz gute Bußübung", merkte meine Liebste irgendwann während der Kartage an. Tatsächlich hingen wir, was unser Projekt "Pfarrhausfamilie" anging, über Ostern ziemlich in der Luft: Am Freitag vor Palmsonntag hatten wir ein Telefongespräch mit der neuen Verwaltungsleiterin des Pastoralen Raums gehabt, zu dem unser angepeilter zukünftiger Wirkungsort gehört; sie hatte zwar ausgesprochen wohlwollend und aufgeschlossen gegenüber unseren Plänen gewirkt, uns aber auch auf unerwartete Hindernisse aufmerksam gemacht, die sich dem Projekt entgegenstellen könnten: Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, aber im Endergebnis lief das, was sie uns sagte, darauf hinaus, dass es derzeit unklar sei, ob die Pfarrhauswohnung überhaupt vermietet werden kann. – Dass wir in der Karwoche und über die Feiertage nichts Neues darüber hörten, entsprach durchaus unseren Erwartungen; immerhin verschaffte uns das aber Gelegenheit, uns in Ruhe darüber zu beraten, was eigentlich unsere Verhandlungsposition ist oder sein sollte: Ob wir sagen, wir wollen das unbedingt und lassen nichts unversucht, um es möglich zu machen, oder ob wir sagen: Wenn es nicht klappt, dann lassen wir es eben. Nach einigem Abwägen kamen wir zu dem Schluss, dass die Entscheidung im Moment, praktisch gesehen, nicht bei uns liegt; und dass wir an diesem Punkt nicht viel mehr tun können, als darauf zu vertrauen, dass Gott, wenn Er uns da wirklich haben will, es auch möglich machen wird. 

Da wir aber nun mal eine gewisse Planungssicherheit benötigen, um die notwendigen Schritte für einen Umzug rechtzeitig in Angriff nehmen zu können, habe ich mich, nachdem die Feiertage vorbei waren, dazu durchgerungen, beim örtlichen Pfarradministrator und bei der oben erwähnten Verwaltungsleiterin nachzuhaken, wie denn nun der Stand der Dinge sei. Ergebnis: Der Pfarradministrator verbreitete Optimismus, und die Verwaltungsleiterin dämpfte diesen. Es ist also weiterhin alles in der Schwebe – und wir brauchen weiterhin euer Gebet, Freunde! 


Wider den geistlichen Jojo-Effekt 

Irgendwann im Laufe der Osterferien fing ich an, mir Gedanken darüber zu machen, ob es nicht irgendwie tragikomisch, auf jeden Fall nicht Sinn der Sache ist, wenn man in der Karwoche und in der Osteroktav weniger Zeit für Gebet und innere Einkehr hat (bzw. sich nimmt) als in den Wochen zuvor. Während des Ostertriduums wurde das natürlich relativiert durch den Besuch dreier Gottesdienste, die insgesamt gut fünfeinhalb Stunden dauerten; aber meine in der Fastenzeit entwickelte Morgenroutine, den Tag, während meine Liebste schon zur Arbeit losgegangen war und die Kinder noch schliefen, mit Invitatorium und Laudes (plus Kaffee) am Küchentisch zu beginnen, ging im Ferien-Schlendrian unter, und die "Beten mit Musik"-Andachten mit meinem Jüngsten in St. Joseph Tegel ebenso. Nun will ich aber nicht behaupten, die Tatsache, dass Ferien sind und die ganze Familie den ganzen Tag zusammen ist, sei schuld an diesem "geistlichen Jojo-Effekt"; das klänge ja wie in einer meiner Lieblingspassagen aus dem "Tagebuch eines frommen Chaoten"

"Glaube, ich wäre ein prima Christ, wenn mir die anderen nicht dauernd dazwischenfunken würden. 
Habe das schon früher bemerkt. 
Erwähnte es abends im Bett gegenüber Anne. 
Sie sagte: 'Ich verspreche dir, Schatz, dass Gerald und ich alles tun werden, um deiner Heiligkeit keine Stolpersteine in den Weg zu legen.' 
Vermute eine Prise Ironie zwischen den Zeilen." 

So sehr es nicht ganz zu leugnen ist, dass der veränderte Tagesablauf in den Ferien es schwieriger macht, Zeiten für Gebet und Besinnung zu finden, kann ich doch nicht alles darauf schieben. In meinem persönlichen Bibelleseplan war ich schon Anfang April irgendwo im Buch Leviticus steckengeblieben, und wenn ich abends im Bett den Rosenkranz zu beten versuchte, schlief ich dabei regelmäßig ein. Meine Liebste hat ja die Hallow-App und benutzt seit der Fastenzeit verstärkt; manchmal, wenn ich in die Küche komme und meine Liebste gerade mit Unterstützung dieser App beispielsweise den Barmherzigkeitsrosenkranz betet, bete ich ein bisschen mit, aber so ganz mein Ding ist das Beten mit dieser App nicht. Auch wenn ich anerkennen muss, dass sie für das Einhalten einer gewissen Gebetsroutine durchaus hilfreich ist. 

An dieser Stelle ahne ich, dass manch ein Leser auf den Begriff "Gebetsroutine" mit Skepsis oder Unbehagen reagieren wird, und vielleicht ist es auch wirklich kein ganz glücklich gewählter Ausdruck; aber wie ich schon mal, und zwar just im Zusammenhang mit Kritik an der Hallow-App, ausgeführt habe, bin ich überzeugt, dass zu einer fruchtbaren, geistliches Wachstum fördernden Gebetspraxis sehr wohl auch Regelmäßigkeit und eine gewisse Beharrlichkeit gehört. In diesem Sinne glaube ich sagen zu können, dass mir die "Kaffee & Laudes"-Morgenroutine, die ich mir vor den Ferien angewöhnt hatte, wirklich geholfen hat – und dass es mir, im Umkehrschluss, entschieden nicht gut getan hat, aus dieser Routine herauszufallen. Am Mittwoch, während Frau und Kinder ohne mich einen Ausflug machten, beschloss ich jedenfalls, dass es an der Zeit sei, etwas gegen den "geistlichen Jojo-Effekt" zu unternehmen: Kurz vor 12 Uhr schnappte ich mir meine Gitarre und ging die Straße runter zur Herz-Jesu-Kirche, wo ich zum Regina caeli das Lied "Freu dich, du Himmelskönigin" spielte und sang, dann die Sext betete und zum Abschluss noch ein weiteres Lied mit Gitarrenbegleitung sang, nämlich Albert Freys Magnificat-Vertonung "Meine Seele preist die Größe des Herrn". Es mag übertrieben klingen, aber ich spürte direkt, wie bei dieser kleinen Solo-Andacht meine Seele aufblühte. Tags darauf nahm ich dann auch die "Kaffee & Laudes"-Morgenroutine wieder auf, trotz des erschwerenden Umstands, dass Frau und Sohn schon vor mir aufgestanden waren (das Tochterkind schlief etwas länger). Der nächste Schritt war, dass ich für den gestrigen Freitag meinen Wecker so stellte, als wäre es ein Schultag, und als erster in der Familie aufstand, sodass ich aller Ruhe Invitatorium und Laudes beten und dabei meinen Morgenkaffee trinken konnte. Am späten Nachmittag ging ich, während mein Jüngster im Kinderwagen ein verspätetes Mittagsschläfchen hielt, eine halbe Stunde zur Eucharistischen Anbetung in Herz Jesu, und heute Vormittag war ich am selben Ort bei der Rosenkranzandacht der Legio Mariae. Den Rückstand in meinem Bibelleseplan habe ich noch nicht ganz wieder aufgeholt, aber doch größtenteils. 

Schön ist auch, dass uns über Ostern ein Sonderheft des GiG-Magazins mit dem Titel "Gebete der Hauskirche – Das Gebetbuch für Familien Teil 1" ins Haus geflattert ist; das eine oder andere der darin zusammengestellten Gebete gedenke ich in den regelmäßigen Tagesablauf unserer Familie zu integrieren, wenn die Schule erst mal wieder losgegangen ist. 

Im Übrigen habe ich in der zurückliegenden Woche angefangen, das Buch "Dorothy Day: On Pilgrimage – The Sixties" zu lesen, eine Sammlung von Kolumnen von Dorothy Day, die in den Jahren 1960-69 in der Zeitung The Catholic Worker erschienen. Wie man in meinen Ansichten aus Wolkenkuckucksheim Nr. 4 nachlesen kann, habe ich dieses Buch Ende Juni 2021 als leicht verspätetes Geburtstagsgeschenk bekommen; in den fast vier Jahren, die seither vergangen sind, habe ich zwar immer mal wieder darin gelesen, aber es von vorne bis hinten durchgelesen habe ich es bisher nicht, also habe ich mir gesagt: Jetzt wird's aber mal Zeit. Und nach 68 von 310 Seiten (die Einleitung des Herausgebers und das Register nicht mitgerechnet) kann ich sagen, ich finde es sehr anregend. Mal sehen, ob ich mich danach an Thomas Mertons "Berg der sieben Stufen" herantraue... 


Politik wird uns nicht retten, Folge 8374

Da ich gerade sagte, meine aktuelle Dorothy-Day-Lektüre sei "sehr anregend": Angeregt hat sie mich zum Beispiel zu einer kleinen Reflexion über die jüngste, von der frischgebackenen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) angestoßene Debatte über den politischen Auftrag der Kirche(n). In einem in der Osterausgabe der Bild am Sonntag veröffentlichten Interview äußerte die frühere Landwirtschaftsministerin, statt sich übertrieben politisch zu engagieren, sollten die Kirchen lieber die Seelsorge in den Mittelpunkt rücken. "Sie kritisierte zudem eine Tendenz bei den Kirchen, ihre Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen abzugeben 'wie eine NGO' und nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick zu haben. Dann würden Kirchen 'leider auch austauschbar'" (Quelle: zdf.de). Widerspruch erntete sie dafür auch aus ihrer eigenen Partei. Das Christentum "sei von Beginn an politisch" gewesen, gab etwa Annette Schavan, die immerhin mal deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl gewesen ist, zu bedenken, und Armin Laschet, ehemaliger nordrhein-westfälischer Ministerpräsident und gescheiterter Kanzlerkandidat von 2021, beurteilte "das politische und soziale Engagement von Kirchen in Deutschland" gar als "zentral für die Gesellschaft": "Wer aus der christlichen Botschaft ableitet, dass man die Welt zum Guten verändern soll, die Welt gestalten soll, dann ist das immer eine politische Botschaft." 

Mein Eindruck ist, dass Frau Klöckner und diejenigen Politiker, die ihr jetzt widersprechen, in einem Maße aneinander vorbeireden, das es schwer macht, zu beurteilen, inwieweit es sich um absichtliches Missverstehen handelt oder inwieweit ihnen wirklich die begrifflichen Grundlagen für eine Verständigung fehlen. Ich würde daher gern mal eine These aufzustellen, die den Versuch darstellt, das, was an beiden Positionen richtig ist, zusammenzuführen. Diese These lautet wie folgt: 

Wenn die Kirche sich auf ihre Grundvollzügeμαρτυρία, das Zeugnis für den Glauben; λειτουργία, die Feier des Gottesdienstes und Spendung der Sakramente; διακονία, die Werke der Barmherzigkeit; und schließlich κοινωνία, die Gemeinschaft unter den Gläubigen – besinnt und konzentriert, dann hat das auch eine politische Relevanz; möglicherweise sogar mehr, als wenn die Kirche sich gebärdet wie ein politischer Interessenverband oder eine NGO. 

Oder? 


Ene mene muh, das ist PUU 

Möglicherweise, o Leser, wird diese Überschrift ein neuer Rubrikentitel werden; möglicherweise wird diese neue Rubrik die altgediente, anlässlich meines Blogger-Comebacks vor gut zwei Jahren eingeführte Rubrik "Neues aus Synodalien" ablösen, nachdem das Schlagwort "Synodalität" ja so langsam ein ziemlich totgerittenes Pferd ist. Andersherum ausgedrückt hätte ich den Netzfund, auf den ich hier im Folgenden zu sprechen kommen möchte, möglicherweise in die Rubrik "Neues aus Synodalien" eingeordnet, wenn es darin nicht explizit um die evangelische Kirche ginge; und die kann man ja nun schwerlich auch noch für den "Synodalen Weg" von DBK und "ZdK" in Mithaftung nehmen, zumal sie ja genug eigene Probleme hat. Kurz und gut, die neue Rubrikenüberschrift darf man wohl als inklusiver und vor allem ökumenischer betrachten als den alten – zumal die mehr oder weniger schleichende Ersetzung der christlichen Heilslehre durch postchristlich-undogmatischen Universalismus (PUU eben) in den evangelischen Landeskirchen wohl doch schon um einiges weiter fortgeschritten ist als in der katholischen Kirche. 

Case in point: ein Artikel mit der Überschrift "Moderner Narzissmus in der evangelischen Kirche", der am Karfreitag in der FAZ erschien, den ich allerdings erst am Ostermontag auf Facebook zu sehen bekam. Der Verfasser, Feuilletonredakteur Jan Brachmann, schildert hier einen Palmsonntagsgottesdienst in der evangelischen Christuskirche in Salzburg, aber als Aufhänger stellt er dieser Schilderung die Beobachtung voran, dass der Choral "Du großer Schmerzensmann, vom Vater so geschlagen" – einstmals quasi der "offizielle" Choral der evangelischen Kirche für die Karwoche – in der Online-Liederdatenbank evangeliums.net mit "eine[r] Art Triggerwarnung" versehen ist: Geradezu entschuldigend wird da eingeräumt, dass "die Sühnopfertheologie diesem Lied wie fast allen klassischen Passionsliedern zugrunde liegt"; dies solle jedoch "keineswegs" dahingehend aufgefasst werden, "dem Leiden einen Sinn zuzuschreiben und es damit zu rechtfertigen". Ach nicht. "Sühnopfertheologie – also dass Christus sich opferte, damit die sündige Menschheit wieder mit Gott versöhnt würde – das darf heute nicht mehr sein", folgert Redakteur Brachmann. Was aber dann? In dem besagten evangelischen Palmsonntagsgottesdienst, so Brachmann, sei statt dieses Chorals "ein Song" gesungen worden, der "zwar etwas poppig klingt, aber gar nicht so schlecht ist": "In deinen Augen kann ich schöner werden, als ich bin" – das ist ein spätes NGL (1985) vom unvermeidlichen Peter Janssens mit einem typisch minimalistisch-repetitiven Text von Friedrich Karl Barth und Peter Horst; dass Brachmann das "gar nicht so schlecht" findet, finde ich ziemlich tolerant von ihm, aber noch interessanter ist zweifellos, dass die Pfarrerin der Salzburger Christuskirche selbst an der schlichten Aussage dieses Liedchens etwas auszusetzen hat: "[I]hr wäre es lieber, wenn es im Text hieße: 'In deinen Augen bin ich so schön, wie ich bin'", protokolliert Brachmann. Ihn erinnert das an "Werbung für fettreduzierte Margarine: 'Ich will so bleiben wie ich bin – du darfst'"; und woran erinnert es mich? Unter anderem an etwas, das "Horse & Hound"-Halagan im Zusammenhang mit seiner Kritik an der "Hallow"-Gebetsapp schrieb: "G*tt [...] weiß, dass wir schon gut sind. Wie könnte es auch anders sein, wenn wir doch von G*tt kommen?" 

Dazu hatte ich seinerzeit ja schon Verschiedenes angemerkt; ergänzen möchte ich nun, dass es einen kaum verkennbaren Zusammenhang zwischen der Ablehnung der Sühneopfertheologie und der Leugnung der (Erb-)Sünde gibt: Klar, wenn der Mensch so, wie er ist, schon gut ist, dann hat er auch keine Erlösung nötig. Die Frage ist nun natürlich, wie sich das eigentlich mit den ausgeprägten moralistischen Tendenzen im PUU verträgt. Was ist mit den Leuten, die (auch) nach den Maßstäben der PUU-Anhänger nicht gut so sind, wie sie sind, also z.B. Rassisten und Homophobe, AfD-Wähler und Trump-Unterstützer, SUV-Fahrer und Leute, die ihren Müll nicht trennen? Für die gilt die Zusage "Du bist gut so, wie du bist" offenkundig nicht, aber gleichzeitig hat man ihnen auch die Chance auf Erlösung gestrichen. Ich habe schon vor Jahren argumentiert, in dem Drang, das Faktum der Sünde zu leugnen, offenbare sich das Fehlen des Glaubens an Vergebung. Das erklärt auch, warum die PUU-Anhänger, so lieb und sanft sie sich gern präsentieren und wohl auch selbst sehen möchten, so ausgesprochen unbarmherzig gegenüber jenen sind, die aus ihrer Sicht nicht zu den Guten gehören. Gar so universalistisch ist der postchristlich-undogmatische Universalismus folglich doch nicht; wenn man genau hinschaut, ist es nur eine Religion für eine Klientel linksliberaler Besserverdienender, die sich selbst als moralische Elite betrachten. Eine Kirche der Reinen im Unterschied zur Kirche der Sünder

(Den Punkt mit den Besserverdienenden müsste man allerdings vielleicht relativieren: Sicherlich sind auch Leute darunter, die es finanziell nicht gar so dicke haben. Spontan fällt mir dazu die Bezeichnung "Besserverdienende im Geiste" ein; die gefällt mir, ich glaube, die verwende ich in Zukunft öfter.) 

Aber noch einmal zurück zu Jan Brachmanns Schilderung des Gottesdienstes in Salzburg: Anknüpfend an die oben zitierten Worte der Pfarrerin "wird in der Kirche ein Spiegel durchgereicht". Wozu? 

"Jeder soll ihn in die Hand nehmen und 'sich selbst einen liebevollen Blick schenken'. Sich selbst! Nicht dem Nächsten, nicht Christus. Ich bin schön so, wie ich bin. Ich bin gut so, wie ich bin. Ich bin mir selbst genug. Ist das nicht eine Glaubenspraxis des buchstäblichen Narzissmus, der wirklich keines Opfers und keiner Vergebung mehr bedarf? Er muss, jetzt begreifen auch wir es, nicht länger zum Gekreuzigten aufblicken." 

Mit diesen Sätzen endet der Artikel; offenbar war Brachmann der Auffassung, mehr gebe es dazu nicht zu sagen, und da kann ich ihm nicht direkt widersprechen. 


Geistlicher Impuls der Woche 

Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ans Holz gehängt und ermordet habt. Ihn hat Gott als Herrscher und Retter an seine rechte Seite erhoben, um Israel die Umkehr und Vergebung der Sünden zu schenken. Zeugen dieser Ereignisse sind wir und der Heilige Geist, den Gott allen verliehen hat, die ihm gehorchen.

(Apostelgeschichte 5,30-32


Ohrwurm der Woche 

Credo unplugged: Christ ist erstanden 

Ich kann es nicht oft genug betonen: "Moderne", an die von Rock- und Popmusik geprägten Hörgewohnheiten des "Publikums" angenäherte Musik im Gottesdienst muss nicht NGL heißen. Man muss auch nicht auf Stücke aus der säkularen Rock- und Popmusik zurückgreifen, von denen man aufgrund einer gewissen religiösen Motivik im Text meint, dass sie "irgendwie passen" (ich habe allen Ernstes mal "One of Us" von Joan Osborne beim Nightfever gehört... reden wir nicht drüber, bzw. vielleicht ein andermal); und auch Lobpreis-Pop der eher charismatischen Art ist, so sehr ich bekanntermaßen eine gewisse Vorliebe dafür habe, durchaus nicht die einzige Option. Eine andere Möglichkeit ist es, traditionelle Kirchenlieder "modern" und ein bisschen rock-poppig zu arrangieren. Wenn man's kann. Jemand, der das sehr gut kann, ist mein Freund Raphael Schadt; Kostproben davon waren z.B. während der MEHR 2020 im Rahmen einer von Weihbischof Florian Wörner zelebrierten Messe zu hören, und weitere auf YouTube unter dem Reihentitel "Credo unplugged". Hier mit einem traditionellen Osterlied. 


Vorschau/Ausblick 

Heute haben in Rom die Begräbnisfeierlichkeiten für Papst Franziskus stattgefunden, ich habe sie teilweise im Livestream von EWTN verfolgt, während Frau und Kinder im Tierpark waren; bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass mein Freund und Manager "Patrick" aus Wien mir mitgeteilt hat, er habe mehrere Tage lang (!) den Livestream vom Defilé zum im Petersdom aufgebahrten Leichnam des Papstes beobachtet und gestaunt, dass der Besucherstrom schier nicht abreißen wollte. – Heute Abend ist Community Networking Night im Baumhaus, und ich hoffe, dass wir es hinkriegen, da gemeinsam teilzunehmen – behalte mir diesmal aber vor, da schlimmstenfalls auch allein hinzugehen. Für den morgigen Weißen Sonntag bzw. Barmherzigkeitssonntag haben wir, soweit ich sehe, keine anderen Pläne, als "ganz normal" in St. Joseph Siemensstadt in die Messe zu gehen; und am Montag gehen dann Schule und Arbeit wieder los, erst mal aber nur bis Mittwoch, denn dann folgt dank 1. Mai plus Brückentag gleich wieder ein verlängertes Wochenende. Überhaupt sind es, wenn ich mich nicht verzählt habe, abzüglich gesetzlicher Feiertage und dazugehöriger Brückentage nur 56 Schul- und Arbeitstage bis zu den Sommerferien; mir scheint, die dürften ziemlich schnell rumgehen. Aber mal der Reihe nach: Am Montag wird an der Schule des Tochterkindes Ostern nachgefeiert – und zwar wird es da nicht nur mit "Osterküchlein", Ostereiersuche und Osterfeuer geben, sondern, wie es in einer Rundmail an die Eltern hieß, auch "Elemente des Pessahs Festes" [sic]. Wozu mir zwei kritische Anfragen in den Sinn kommen, nämlich erstens: Ist das nicht "cultural appropriation"? Darf man das? Und zweitens: Wie wär's denn mal mit Elementen des christlichen Osterfests? – Okay, das Osterfeuer ist natürlich ein christlicher Brauch, auch wenn Neuheiden und Evangelikale das nicht gern hören bzw. bestreiten; aber ich habe irgendwie den Eindruck, dass die neuheidnische Deutung dieses Brauchs heutzutage im kollektiven Bewusstsein die dominante ist. Na, ich bin jedenfalls gespannt, was das Tochterkind von dieser Schul-Osterfeier erzählen wird... Am Dienstag ist wieder Rumpelberggruppe, am Mittwoch JAM, und zur Werktagsmesse mit anschließendem Frühstück in St. Marien Maternitas Heiligensee möchte ich mit dem Jüngsten möglichst auch mal wieder; am Donnerstag, dem Fest Hl. Josef der Arbeiter, ist in St. Joseph Tegel "Patronats- und Siedlungsfest", das war in den letzten Jahren ja immer ganz gut, da könnte man also ruhig wieder hingehen. Und am Freitag beginnt – woran mich die schon mehrfach erwähnte Website praymorenovenas.com per Mail erinnerte – die Novene zu Maria Knotenlöserin. Eine Google-Abfrage hat mich belehrt, dass es dazu auch in deutscher Sprache eine recht gute Auswahl an Vorlagen gibt, darunter – auf der Website des Bistums Augsburg als pdf-Datei zum Download verfügbar – eine Novene mit Gebeten aus der Feder des verstorbenen Papstes Franziskus. Ich denke, das trifft sich sehr gut...! 


Mittwoch, 23. April 2025

Der seltsame Fall der eingekerkerten Nonne, Teil 19

Unlängst war ich im Kino, wo ich mir zusammen mit Frau und Kindern "Paddington in Peru" ansah. Es handelt sich dabei um den dritten und neuesten Teil einer Filmreihe, die auf einer bekannten britischen Kinderbuchreihe basiert und in deren Mittelpunkt ein sprechender Bär steht, der von einer britischen Familie "adoptiert" und nach seinem Fundort, dem Londoner Bahnhof Paddington, benannt wurde. Die beiden früheren, 2014 und 2017 erschienenen Filme haben wir nicht gesehen, aber das erschwerte das Verständnis der Handlung nicht wesentlich. 

In "Paddington in Peru" wird das Geschehen dadurch in Gang gesetzt, dass der bärige Titelheld Post aus Peru erhält, wo seine alte Tante Lucy in einem von Ordensschwestern betriebenen "Heim für Bären im Ruhestand" lebt: Die Mutter Oberin der Einrichtung berichtet Paddington, sie sei in Sorge um Tante Lucy, die sich in letzter Zeit seltsam verhalte und ihn offenbar schmerzlich vermisse, und bittet ihn, sie so bald wie möglich aufzusuchen. Tatsächlich macht sich daraufhin die gesamte Familie Brown einschließlich der alten Haushälterin Mrs. Bird auf den Weg nach Peru, erfährt bei ihrer Ankunft im Heim für Bären im Ruhestand jedoch, dass Tante Lucy verschwunden ist. 

Die Darstellung der Ordensschwestern ist bis zu diesem Punkt der Handlung grundsätzlich sympathisch, wenn auch leicht skurril überzeichnet, bis hin zu deutlichen visuellen Anleihen bei der klassischen Musical-Verfilmung "The Sound of Music". Allerdings ergeben sich – zumindest für den Kenner antiklerikaler Schauerromane aus dem 19 Jahrhundert – schon bald erste Verdachtsmomente, dass im Heim für Bären im Ruhestand womöglich nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Dieser Eindruck verstärkt sich, als Paddington und die Browns, von der Mutter Oberin mit einer geweihten Christophorus-Plakette ausgestattet, zu einer Expedition in den Dschungel aufbrechen, um die verschollene Tante Lucy zu suchen, während Mrs. Bird im Heim für Bären im Ruhestand zurückbleibt: Die alte Haushälterin bemerkt, dass das Haus voll von ungewöhnlich starken elektrischen Interferenzen ist, und entdeckt eine Starkstromleitung, die zu einer hinter der Orgel verborgenen Geheimkammer führt. 

Und plötzlich dachte ich: Was, wenn Bärin Lucy in Wirklichkeit gar nicht im Dschungel verschollen ist, sondern, warum auch immer, in dieser Geheimkammer gefangen gehalten wird? 

Nun, ich denke, es ist kein allzu großer Spoiler, wenn ich verrate, dass das nicht der Fall ist; der Film hat durchaus noch mehr und größere Überraschungen zu bieten. Auf jeden Fall aber hat mich diese Szene daran erinnert, dass ich meinen Lesern schon wieder ganz schön lange eine Fortsetzung der Saga um die eingekerkerte Nonne schuldig geblieben bin. Am Ende von Episode 18 hatte ich angekündigt, "demnächst" (ha ha) zu verraten, wie das Kapitel "Die sieben Todsünden" aus dem 3. Band von Sir John Retcliffes Romanzyklus "Biarritz" weitergeht; fangen wir damit also mal an. 

Wir erinnern uns: Der Freischärler-Hauptmann Chevigné hatte den Auftrag übernommen, einem Einsiedler in den Abruzzen eine Geheimbotschaft zu überbringen, deren Inhalt er selbst nicht kennen durfte; der Einsiedler war unmittelbar nach Erhalt des Schreibens auf geheimnisvolle Weise aus seiner in der Nähe des berüchtigten "Klosters der Verdammten" gelegenen Klause verschwunden, Chevigné hingegen hatte sich in der Klause schlafen gelegt, war dann aber plötzlich erwacht, weil er Chorgesang zu hören meinte, und hatte entdeckt, dass diese Klänge aus einem Geheimgang drangen, der die Klause des Einsiedlers mit dem Kloster verbindet. Wie ich ebenfalls bereits angemerkt habe, ist das, was Chevigné "im Folgenden beobachtet [...,] vom Autor offenbar bewusst in ein gewisses Zwielicht zwischen Traum und Wachen gehüllt"; aber was genau beobachtet er denn nun? – Zunächst einmal, wie der Einsiedler, "jetzt mit Stola und Scapulier geschmückt", die Sterbegebete (Commendatio animae) für eine sterbende Nonne spricht. Wenig später führt der Einsiedler, nun wieder "in seine rauhe Kutte gehüllt", eine Unterredung mit der Äbtissin des Klosters, Schwester Barbara (deren Gesicht "von einer Blässe und Härte" ist, "die mit dem Marmor des Todtenkopfs wetteifern konnte", und "den Ausdruck gefühlloser Strenge" zeigt); und nun wird es interessant, denn in dieser Unterredung geht es offenbar um die Geheimbotschaft, die, wie man schon früher erfahren hat, vom Consiglio di Tri stammt, "einem geheimen Rath der frömmsten Kirchenfürsten", dessen Autorität noch über der des Papstes steht. Und "diese geheime Instanz", um deren Existenz nur wenige wissen, hat nun offenbar der Äbtissin befohlen, unter den zur lebenslangen Buße in ihrem Kloster verurteilten Sünderinnen die "Jüngsten und Schönsten" auszuwählen, die jeweils eine der Sieben Todsünden repräsentieren – und diese sollen "für die Zwecke des heiligen Kollegiums ihre Buße unterbrechen und in die Verlockungen der Welt zurückkehren". Die Äbtissin hat nun sechs Sünderinnen ausgewählt, die die "Hoffart", den "Geiz", die "Unkeuschheit", die "Völlerei", den "Neid" und die "Trägheit" verkörpern; die siebte Sünde, der Zorn, wird von allen gemeinsam repräsentiert. 

Francisco de Goya: Flug der Hexen (1797). Gemeinfrei (Quelle und Lizenz hier)

Um einzuordnen, worauf Retcliffe mit dieser Wendung hinaus will, erscheint es unerlässlich, einen Blick auf die Gesamtkomposition des Romanzyklus "Biarritz" zu werfen. – Zentrales Merkmal von Sir John Retcliffes "Historisch-politischen Romanen aus der Gegenwart" ist der Versuch, das politische Zeitgeschehen mit den erzählerischen Mitteln des Geheimbundromans darzustellen und zu deuten; so werden zahlreiche Ereignisse aus dem Bereich der internationalen Politik als Ergebnisse der Machenschaften mehrerer Gruppen von Verschwörern dargestellt, die teils gemeinsam, teils gegeneinander agieren. Nachdem Retcliffes Großzyklus "Villafranca" in elf Bänden den Zeitraum vom Revolutionsjahr 1848 bis zum Französisch-Italienisch-Österreichischen Krieg von 1859 abgedeckt hatte, begann "Biarritz" mit der Schlacht von Castelfidardo vom 18. September 1860, bei der die Truppen des Kirchenstaates eine vernichtende Niederlage gegen jene des Königreichs Sardinien-Piemont erlitten; weitere Kapitel des ersten Bandes führten den Leser nach Warschau, Prag, Biarritz (passend zum Romantitel!), Sibirien und Kopenhagen. Zudem deutete der Titel der "I. Abtheilung" des neuen Romanzyklus – "Gaëta – Warschau – Düppel" – an, dass die Handlung von der Belagerung der neapolitanischen Festung Gaëta (1860/61) über den polnischen Aufstand von 1863 bis zum Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 reichen sollte; insgesamt beabsichtigte Retcliffe, die Romanhandlung mindestens bis zum "Deutschen Krieg" von 1866 fortzuführen, spätestens ab dem fünften Band mehren sich die Anzeichen, dass der Autor inzwischen den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und die Deutsche Reichsgründung als Zielpunkt der Romanhandlung anpeilt.

In diesem politisch-zeitgeschichtlichen Panorama hat Retcliffe dem "Consiglio di Tri" nun offenkundig die Aufgabe zugedacht, für die politischen Interessen nicht allein des Kirchenstaates, sondern der weltweiten katholischen Kirche zu agitieren; und wenn dieses geheime Drahtzieher-Gremium nun verfügt, dass eine Auswahl von "Todsünderinnen aller Sparten" (V. Neuhaus) aus dem "Kloster der Verdammten" freigelassen werden soll, dann soll auch dies zweifellos den besagten politischen Interessen dienen. In welcher Form dies vonstatten gehen soll, ist vorerst nur zu erahnen, aber was man über die zu diesem Zweck ausgewählten Sünderinnen erfährt, enthält zumindest ein paar Fingerzeige.

So heißt es über die als Repräsentantin der "Hoffart" ausgewählte Schwester Giuliana: "Sie glaubt aus dem Blut eines Königs zu stammen. Ihr Stolz hat ein großes Land in schwere Kämpfe gestürzt und Ströme von Blut sind durch sie geflossen." Von welchem "große[n] Land" hier die Rede ist, mag der historisch bewanderte Leser bereits ahnen; aufgelöst wird es an einer späteren Stelle, als die betreffende Sünderin explizit als "Spanierin" bezeichnet wird. (Man beachte, dass die Frage der spanischen Thronfolge einen der Anlässe für den Deutsch-Französischen Krieg bildete!) Die Frage des Einsiedlers, ob Giulianas Freilassung nicht zu neuen Kämpfen führen werde, verneint die Äbtissin zwar – "[S]ie ist gestorben für die Welt; in der Fürstengruft ihrer Ahnen steht ein leerer Sarg" –, aber der Einsiedler wirkt nicht überzeugt. – Die Vertreterin der "Völlerei", Theresa, "ist eine Tochter des Gomorrha Paris", und es wird angedeutet, die "Hand eines Mächtigen, der einst zu ihren Liebhabern gezählt und dessen Geheimnisse sie kennt", habe dafür gesorgt, dass sie ins Kloster der Verdammten kam – sollte damit gar Napoleon III. gemeint sein? – Der Neid in seiner höchsten Form – ein "Haß gegen Alles was lebt , und den Schein der Sonne genießt" – wird von Schwester Matilda verkörpert, die "aus Polen" stammt, als Schülerin eines abtrünnigen Priesters gilt und "die Seele ihrer Schwestern mit den schändlichsten Ketzereien" vergiftet haben soll; die Trägheit wird verkörpert von Schwester Carlotta, einer "getaufte[n] Jüdin" und "ehemalige[n] Sängerin". Dass unter den verschiedenen Verschwörergruppen, die in Retcliffes Romanwelt insgeheim das Weltgeschehen lenken, die Juden eine besonders düstere Rolle spielen, hat bereits das Kapitel "Auf dem Judenkirchhof in Prag" im ersten Band von "Biarritz" gezeigt, das als literarische Vorlage für die berüchtigten "Protokolle der Weisen von Zion" gilt; hier nun entsteht der Eindruck, Schwester Carlotta solle als eine Art Doppelagentin des Vatikans in die jüdischen Verschwörerkreise eingeschleust werden. "Eine Familie auf einem der katholischen Throne Europa's ist durch sie in schwerer Gefahr gewesen", erfährt man über sie; "ein Selbstmord, von dem die Welt redet, war durch sie veranlaßt" – worauf sich diese Andeutung bezieht, habe ich nicht herausfinden können.

Der Befehl des Consiglio di Tri, den der Einsiedler der Äbtissin überbracht hat, sieht vor, die sechs ausgewählten Sünderinnen "nach Ponte Corvo zu senden an den Bürger Nicolo Valdieri, ihren Lastern sie zu überlassen, nachdem die Schrecken des Todes ihren Gehorsam verbürgt" – das heißt, vor ihrer Entlassung soll ihnen als ein memento mori der Leichnam jener Nonne gezeigt werden, für die der Einsiedler zuvor die Sterbegebete gesprochen hat. "Der Fluch ihrer Sünden gehe vor ihnen her und folge ihnen nach", heißt es weiter.

Kapitän Chevigné ist vor dem Einsiedler zurück in der Klause und gibt vor, die ganze Zeit geschlafen zu haben; allerdings wird er durch das, was er in dieser Nacht beobachtet und belauscht hat, veranlasst, sich auch in der folgenden Nacht zum Kloster der Verdammten zu schleichen. So wird er Zeuge, wie die sechs für die geheime Mission im Auftrag des Consiglio di Tri ausgewählten Frauen auf ihre Freilassung vorbereitet werden, indem sie gebadet werden und Zivilkleidung erhalten, und dabei ekstatisch ihre Rückkehr in die "Welt" feiern; kurz darauf wird das Kloster von piemontesischen Truppen überfallen, wobei der Einsiedler Fra Gerardo tödlich verletzt wird und Chevigné in Gefangenschaft gerät. (Übrigens wird wiederholt angedeutet, der Einsiedler, der mit seiner Lebensweise eine schwere Schuld abbüßt, sei in Wirklichkeit der Herzog von Praslin, der 1847 des Mordes an seiner Frau beschuldigt worden war und sich einem Strafprozess durch Selbstmord entzogen hatte – der Fiktion nach hätte er diesen Selbstmord also nur vorgetäuscht.) – Während die Piemontesen auf dem Gelände des Klosters ihr Biwak aufschlagen, beginnen die sechs Sünderinnen sogleich, den Offizieren die Köpfe zu verdrehen; derweil werden auch die übrigen Insassinnen des Klosters befreit, mit Ausnahme der "Aebtissin und zehn der Nonnen, die sich "weigern [...], das Kloster zu verlassen". Ein Offizier meldet dem General Pinelli, man habe "schändliche Kerker in diesem Kloster gefunden, Höhlen, in denen die Unglücklichen verdammt waren, allein zu vermodern, ohne je das Licht der Sonne wieder zu sehen! Wir haben fünf solche Unglückliche befreit. Wie es scheint, ist dies Kloster eine strenge Pönitenz -Anstalt, ein geistliches Zuchthaus!" Worauf der General erwidert: "Sind diese Klöster überhaupt etwas Anderes, als Zuchthäuser oder Nester der Faulheit, der Völlerei?"

– "[F]rei und frech ging die Sünde hinaus in die Welt!" lautet der letzte Satz des Kapitels; aber man kann sich ausrechnen, dass dies nicht das letzte gewesen sein wird, was der geneigte Leser dieses Romanzyklus von den sechs Sünderinnen erfährt – es folgen schließlich noch ganze zehn Bände. Tatsächlich wird in einem späteren Band sogar ein expliziter Bezug zum realen Fall der Barbara Ubryk hergestellt; darauf wird noch zurückzukommen sein. Offensichtlich ist jedenfalls, dass trotz aller Parallelen auf der Motovebene die Handlung bei Retcliffe erheblich komplexer und ambitionierter angelegt ist als in Dr. A. Rodes "Barbara Ubryk"-Fortsetzungsroman – dem wir uns gleichwohl in der nächsten Folge dieser Artikelserie wieder zuwenden werden, die hoffentlich nicht wieder so lange auf sich warten lassen wird wie diese. Aber über "Paddington in Peru" möchte ich hier und jetzt noch etwas sagen (Vorsicht, Spoiler!):

Wie schon gesagt, befindet sich in der Geheimkammer, die die alte Haushälterin Mrs. Bird entdeckt, kein finsteres Verlies – dafür aber eine Überwachungszentrale, von der aus die Mutter Oberin den Reiseweg der Familie Brown mitverfolgen kann; in die Christophorus-Plakette, die sie Mrs. Brown mitgegeben hat, ist nämlich ein Sender eingebaut. Die Oberin begründet dies damit, dass man den Browns auf diese Weise nötigenfalls zu Hilfe kommen könne, und genau das geschieht auch: Als die Familie augenscheinlich in Gefahr gerät, machen die Ordensschwestern ein altes Flugzeug flott, das, wie nebenbei erwähnt wird, anlässlich eines Papstbesuchs angeschafft wurde (der Hl. Johannes Paul II. war tatsächlich zweimal, 1985 und 1988, in Peru), und eilen zur Rettung. Das hartnäckige Gefühl, irgend etwas stimme mit dieser Mutter Oberin nicht, bewahrheitet sich schließlich aber doch – allerdings bringen die Macher des Films es dabei fertig, sich aus dem Fundus der Klosterkolportage zu bedienen, ohne in die antiklerikale Kerbe zu hauen: Der entscheidende Twist ist, dass die Mutter Oberin gar keine echte Ordensschwester ist, sondern eine Abenteurerin und Schatzjägerin, die sich lediglich als Ordensschwester ausgegeben hat, um die Leitung des Heims für Bären im Ruhestand übernehmen und den dort lebenden Bären Hinweise zur Lokalisierung des legendären Eldorado entlocken zu können. Ein besonders hübsches Detail: In einer Rückblende sieht man sie in einem Hippiekleid und mit einer Wandergitarre auf dem Rücken, die mit einem Peace-Zeichen und ähnlichen Symbolen verziert ist. Gitarre spielt sie zu Beginn des Films immer noch, jetzt aber eher im Stil von "Sœur Sourire, der singenden Nonne"...  



Hinweis in eigener Sache: Dieser Artikel erschien zuerst am 16.04. auf der Patreon-Seite "Mittwochsklub". Gegen einen bescheidenen Beitrag von 5-15 € im Monat gibt es dort für Abonnenten neben der Möglichkeit, Blogartikel bis zu einer Woche früher zu lesen, auch allerlei exklusiven Content, und wenn das als Anreiz nicht ausreicht, dann seht es als solidarischen Akt: Jeder, der für die Patreon-Seite zahlt, leistet einen Beitrag dazu, dass dieser Blog für den Rest der Welt kostenlos bleibt! 


Dienstag, 22. April 2025

Papst Franziskus – Ein fragmentarischer Nachruf

Schon vor über einem Jahr, als es noch nicht abzusehen war, wie bald man einen Nachruf auf Papst Franziskus würde schreiben müssen, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass dieser Papst, nachdem er bei seinem Amtsantritt und noch für eine Weile danach, nicht zuletzt dank seines als unkonventionell wahrgenommenen Auftretens, von einer Welle der Sympathie getragen wurde, gegen Ende seines Pontifikats Gefahr lief, als der unpopulärste Papst seit Paul VI. in die Geschichte einzugehen – und dies interessanterweise aus exakt demselben Grund, aus dem Paul VI. unpopulär war: weil er den einen zu progressiv war und den anderen nicht progressiv genug

Der unmittelbare Anlass für diese Betrachtung war, wenn ich mich recht erinnere, eine Äußerung des BDKJ-Vorsitzenden Gregor Podschun, der meinte, mit der Erklärung "Fiducia supplicans" zur Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften erwiesen sich "Pontifex und Vatikan" als "menschenfeindlich und diskriminierend". Das fand ich damals besonders deshalb so bemerkenswert, weil ebendieses vatikanische Dokument von vielen anderen Beobachtern, auf liberaler wie auf konservativer Seite, ganz anders wahrgenommen wurde, nämlich als Liberalisierung der Haltung der katholischen Kirche gegenüber Homosexualität und homosexuell empfindenden Menschen. Aber den Vorkämpfern der "wokeness" in der Kirche, für die Podschun hier exemplarisch stehen möge, war das schlicht zu wenig – ungeachtet der recht offenkundigen Tatsache, dass kein Papst den Vorstellungen dieser Kreise wesentlich weiter entgegenkommen und trotzdem Papst bleiben könnte. 

In diesem Sinne könnte man vielleicht sagen, im Bereich der umstrittenen "Sexualmoral", aber auch in einigen anderen Themenfeldern sei Papst Franziskus an die Grenzen dessen gegangen, was sich ein Papst an Liberalität, aber auch an Eigenwilligkeit gegenüber den Traditionen und dem Glaubensgut der Kirche erlauben kann; aber gerade darin hat er zu erkennen gegeben und bestätigt, dass es diese Grenzen gleichwohl gibt, und das hat ihm den Zorn der Progressiven zugezogen. 

Oder jedenfalls eines Teils – man darf vermutlich sagen: des radikalsten Teils – der Progressiven. Daneben gibt es natürlich auch noch diejenigen, die sich praktisch vom ersten Tag an bemüht haben, den nun verstorbenen Pontifex für ihre Position zu vereinnahmen, und die die Tatsache, dass er des Öfteren doch erheblich hinter ihren Erwartungen zurückblieb, mit dem guten alten "Ja, wenn er könnte wie er wollte..."-Narrativ zu erklären suchten. Was übrigens gerade mit Bezug auf Franziskus ein ausgesprochen unglaubwürdiges Narrativ ist: Es hat wohl lange keinen Papst gegeben, der sein Amt so selbstherrlich, so unbekümmert um die Erwartungen und Einwände Anderer ausgeübt hat wie dieser. Dass er in seinen Schreiben und Ansprachen immer wieder die Bedeutung und den Wert von Kollegialität, Synodalität und Parrhesia, freier Rede, hochhielt, in seiner eigenen Amtsführung aber erheblich autoritärer als seine Vorgänger agierte und im Umgang mit Kritikern innerhalb der kirchlichen Hierarchie oft gnadenlos, ja geradezu rachsüchtig wirkte, gehört zu den augenfälligsten Widersprüchen seines an Widersprüchen insgesamt nicht armen Pontifikats. 

Derweil zeigen die zahlreichen Nachrufe auf Papst Franziskus, die schon wenige Stunden nach der Todesnachricht die Sozialen Netzwerke überschwemmten, dass der Kampf um die "Erinnerungshoheit", wenn man das so nennen will und kann, in vollem Gange ist. Ich will das gar nicht alles zitieren – eine Auswahl aus den Wortmeldungen von Bischöfen, Politikern und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zum Tod des Papstes kann man z.B. in der Tagespost und bei CNA Deutsch nachlesen –, aber es hat zum Teil schon etwas Tragikomisches, zum Teil auch ausgesprochen Ärgerliches, wie sich jetzt im Nachhinein jeder den Franziskus zurechtzubasteln versucht, den er gerne gehabt hätte. 

Man könnte freilich sagen, das sei umso weniger überraschend, als es zu seinen Lebzeiten im Prinzip schon genauso war: Praktisch alles, was dieser Papst sagte oder tat, wurde in der öffentlichen Wahrnehmung überlagert von vorgefertigten Narrativen darüber, was er angeblich für einer sei; und wie ich schon recht früh in seinem Pontifikat feststellte, unterschieden sich die Narrative der Liberalen und der Ultrakonservativen dabei oft nur in der Bewertung: Was den einen Zeichen der Hoffnung auf eine durchgreifende Umgestaltung der Kirche waren, war für die anderen mit dem Schwefelgeruch der Hölle behaftet. Auf diese Weise entstand ein – für mein Empfinden – im guten wie im Bösen völlig überzogenes Bild von der Bedeutung dieses 266. Papstes der katholischen Kirche für die Kirchen- und Weltgeschichte, und dass in dieser Hinsicht in den Nachrufen auf ihn noch eine Schippe draufgelegt wurde, liegt wohl in der Natur der Sache. Es könnte allerdings sein, dass diese Betonung der Bedeutung des Franziskus-Pontifikats sich als ein recht kurzlebiges Medienphänomen erweist: Schon am Dienstag, nur einen Tag nach der Bekanntgabe der Todesnachricht, hatte ich den Eindruck, der Interessenschwerpunkt in der Berichterstattung und in den Diskussionen in den Sozialen Medien verschiebe sich recht deutlich von der Trauer um Papst Franziskus und der Würdigung seines Wirkens hin zur Frage "Wie geht es jetzt weiter?", also zu Modalitäten der Beisetzung, der Einberufung eines neuen Konklaves und natürlich den als aussichtsreich gehandelten Kandidaten für die Nachfolge. 

Was also wird bleiben vom zwölfjährigen Pontifikat des Jorge Mario Bergoglio? Auf der einen Seite würde ich sagen, mit seinen Impulsen zum Thema Neuevangelisierung – die er besonders in seinem Schreiben Evangelii gaudium, aber auch verstreut in kleineren Schriften und Ansprachen dargelegt hat – hat der verstorbene Papst der Kirche einen Schatz hinterlassen, den es, gerade hierzulande, erst noch zu heben gilt. Auf der anderen Seite ist es kaum zu leugnen, dass er durch unklare, widersprüchliche oder unzureichend durchdacht wirkende Äußerungen und Entscheidungen viel Verwirrung und Spaltung unter den Gläubigen verursacht hat. Seine harte Haltung gegenüber den Anhängern der traditionellen ("vorkonziliaren") Liturgie gehört zu den Dingen, die sein Nachfolger zu korrigieren haben wird. Den wohl dunkelsten Fleck auf seinem Andenken hinterlässt indes sein Umgang (oder Nicht-Umgang) mit dem Missbrauchsskandal, seine persönliche Nähe zu Missbrauchstätern wie Zanchetta, Rupnik und nicht zuletzt Ted McCarrick. Die Tatsache, dass er zahlreiche Kleriker aus dem engsten Umfeld McCarricks, darunter den amtierenden Camerlengo Kevin Farrell, in hohe und einflussreiche Positionen berufen hat, wird die Kirche zweifellos noch über seinen Tod hinaus belasten. 

Zum Abschluss ein persönlich-versöhnliches Wort: Es ist sicher kein Geheimnis, dass ich von jeher "Team Benedikt" war – d.h., dass meine Vorstellungen davon, wie ein Papst sein sollte, stark von Benedikt XVI. geprägt war – und dass ich daher mit Franziskus nie so richtig warm geworden bin. Man sollte dabei jedoch nicht unterschätzen, wie sehr Papst Franziskus gerade dank derjenigen Eigenheiten, die viele gläubige Katholiken eher irritiert haben, bei vielen Menschen "angekommen" ist, die der Kirche fern stehen und mit innerkirchlichen Lager- und Richtungsstreitigkeiten daher gar nichts anfangen können. Man mag vielleicht fragen, was damit gewonnen ist, wenn diese Leute an Papst Franziskus gerade das schätzten, was an ihm – tatsächlich oder zumindest im ihrer Wahrnehmung – untypisch für einen Papst bzw. für die katholische Kirche insgesamt ist; ob man damit nicht in die Falle der "Wir sind ja gar nicht so"-Pastoral tappt, die die Gefahr birgt, das christliche Zeugnis eher zu verunklaren, statt es zum Leuchten zu bringen. Aber das muss nicht so sein. Menschen, die mit der Kirche eigentlich nichts "am Hut haben", dazu zu bringen, in einem positiv wertschätzenden Sinne zu denken "Das hätte ich von einem Papst bzw. von der katholischen Kirche nicht erwartet", ist an und für sich noch keine Neuevangelisierung, kann aber in vielen Fällen eine notwendige Vorstufe dazu sein – insofern, als es Menschen geneigter machen kann, sich überhaupt erst einmal anzuhören, was die Kirche ihnen zu sagen hat. In diesem Sinne hat Papst Franziskus für den Missionsauftrag der Kirche womöglich mehr geleistet, als seine Kritiker es sich träumen lassen. 

Im Übrigen bleibt uns jetzt noch, für seine Seele zu beten. Und um einen guten Nachfolger.