So, Freunde: Allmählich wird es Zeit, dass ich meine Ankündigung wahr mache, auf das Thema "Jugendpastoral im Erzbistum Berlin" zurückzukommen und davon ausgehend einige grundsätzliche Überlegungen zum Thema Jugendpastoral anzustellen. Und wie es so meine Art ist, möchte ich mich dem Thema erst einmal über einen anekdotischen Einstieg nähern – in Form eines bezeichnenden Details der Veranstaltung "Kickoff Jugendpastoral", an der ich im Februar dieses Jahres teilgenommen habe.
Als eines von mehreren Kennenlernspielen wurde dort das beliebte "Vier-Ecken-Spiel" gespielt; für Leser, die es nicht kennen, sei es hier kurz erklärt: Den Teilnehmern werden Fragen gestellt, zu denen jeweils vier Antwortmöglichkeiten vorgegeben werden; jeder dieser Antwortmöglichkeiten wird eine Ecke des Raumes zugeordnet, und die Teilnehmer "beantworten" die Frage, indem sie in die entsprechende Ecke gehen. Eine der Fragen lautete, wie lange die Anwesenden schon in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit tätig seien, und eine der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten lautete: "Seitdem ihr selber Kind und Jugendlicher wart". Ich stellte fest, dass das auch für mich gilt – unmittelbar nach meiner Firmung hatte ich in Herz Mariä Burhave die Leitung einer Jugendgruppe übernommen, die zuvor von meiner Schwester geleitet worden war –, aber gleich darauf fiel mir auf, dass Unterbrechungen von mehreren Jahren oder Jahrzehnten – im Sinne von "Ich war als Jugendlicher in der kirchlichen Jugendarbeit aktiv, dann lange Zeit nicht und jetzt wieder" – sich in diesem Vier-Ecken-Spiel praktisch nicht abbilden ließen, und diese Erkenntnis teilte ich im Vorübergehen einem Vertreter des neuen Jugendpastoral-Teams des Erzbistums mit. Dass diese Beobachtung keineswegs banal war, zeigte sich gleich darauf: Aus der Tatsache, dass ein sehr großer Teil der Anwesenden in der Ecke derjenigen gelandet war, die schon seit ihrer eigenen Jugend dabei sind, folgerte die Moderatorin des Kennenlernspiels kurzerhand, dies müsse darauf zurückzuführen sein, dass sie mit der kirchlichen Jugendarbeit "ganz tolle Erfahrungen selber gemacht" hätten, die sie "jetzt weitergeben" wollten. Ich fand diese Schlussfolgerung – und gerade auch die vermeintliche Selbstverständlichkeit, mit der sie vorgetragen wurde – recht bemerkenswert, aber ich vermute, in gewissem Sinne wird da wohl was Wahres dran sein – und das ist ein Problem.
Warum bzw. inwiefern? Nun, ich habe das schon verschiedentlich angesprochen: Die Leute, die in der kirchlichen Jugendarbeit ziemlich nahtlos den Sprung vom Teil der Zielgruppe zum Mitarbeiter hingelegt haben und Jahre oder Jahrzehnte später immer noch dabei sind, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Leute, die die Methoden kirchlicher Jugendarbeit, die sie in ihrer eigenen Jugend kennengelernt haben, gut fanden, und deshalb reproduzieren sie dieselben Muster – zumal sie ja auch gar nichts anderes kennen. Das führt naturgemäß zu einer spezifischen Form von Milieuverengung – und wie schon einmal ausgeführt, ist diese ein sich selbst erhaltendes, ja sich selbst verschärfendes Problem: Je mehr sich der Eindruck verfestigt, die kirchliche Jugendarbeit sei nur für einen ganz bestimmten Typus von Jugendlichen interessant, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Jugendliche, die nicht diesem Typus entsprechen, sich für sie interessieren.
In einer weiteren Runde der Kennenlernspiele gab es Einzelgespräche, und da geriet ich u.a. an jemanden, der mir erzählte, er komme eigentlich aus der Ministrantenarbeit und sei nun, nachdem seine berufliche Selbständigkeit in einer ganz anderen Branche die Corona-Krise nicht überlebt habe, hauptamtlich für den BDKJ tätig. Der Mann war bestimmt 10-15 Jahre jünger als ich, gab aber bemerkenswert freimütig zu, er verstehe die heutigen Jugendlichen nicht bzw. könne ihre Anschauungen nicht nachvollziehen – aber das sei wohl ganz normal. Da hätte ich ja doch gerne gewusst, was für Anschauungen das waren, die er so unverständlich fand. Vielleicht ist der junge Mann in einem sokratischen Sinne einfach klüger als ich, insofern, als er sich seines Nichtverstehens bewusst ist; aber ich bilde mir ein, so schwer ist es eigentlich nicht, Jugendliche zu verstehen. Als ich zu der Frage "Was motiviert mich, mich in der kirchlichen Jugendarbeit zu engagieren?" sagte, mein Anliegen sei es, dazu beizutragen, dass, wenn meine eigenen Kinder in das relevante Alter kommen, "überhaupt noch etwas da ist", verstand mein Gesprächspartner auch das zunächst nicht und glaubte, ich spräche von den Verhältnissen in einer bestimmten Gemeinde und nicht von der Gesamtsituation der institutionellen Kirche hierzulande.
Diese Beispiele mögen illustrieren, dass die ganze "Kickoff Jugendpastoral"-Veranstaltung mir den Eindruck vermittelte, die institutionelle Jugendarbeit im Erzbistum Berlin liege im Wesentlichen in den Händen von Leuten, die im eigenen Saft schmoren und nicht in der Lage, ja wohl nicht einmal willens sind, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. – Nun, ich schätze, es wäre wohl wenig glaubwürdig, wenn ich so tun wollte, als hätte ich etwas anderes erwartet.
Aber kommen wir ruhig noch einmal zurück zum "Vier-Ecken-Spiel" bei der "Kickoff"-Veranstaltung: Eine bezeichnende Frage in diesem Spiel lautete, an welcher Art von Angeboten die Jugendlichen, mit denen die anwesenden haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter es in ihren Gemeinden, Verbänden etc. zu tun haben, am meisten Interesse hätten. Als Antwortmöglichkeit wurde hier neben "Chillen und Entspannen", "sportliche[n] Aktivitäten" und unter der Bezeichnung "Inhaltliches" zusammengefassten Veranstaltungen wie "Schulungen, Diskussionen" usw. auch "alles, was sich um Spirituelles dreht" genannt; in der Reihenfolge der Aufzählung stand das Spirituelle sogar an erster Stelle, aber man darf wohl sagen: nur dort. Ich meine mich sogar zu erinnern – auch wenn ich es nicht beschwören könnte –, dass die Moderatorin des Vier-Ecken-Spiels eine Bemerkung fallen ließ, die sinngemäß besagte "Jetzt stellt euch aber nicht alle in die Spiritualitäts-Ecke, das glaubt euch ja doch keiner". Abgesehen davon, dass der Programmablauf für den Abend einen "Spirituelle[n] Abschluss" vorsah, war von dem Gesamtbereich Spiritualität immer nur flüchtig in Nebensätzen und Randbemerkungen die Rede – was zum Teil auch dadurch bedingt sein mochte, dass innerhalb des Jugendpastoral-Teams die Planstelle mit dem Aufgabenschwerpunkt "Spirituelle Angebote" noch nicht besetzt war (wenn ich es richtig verstanden habe, war zwar schon eine für diesen Aufgabenbereich vorgesehene Mitarbeiterin gefunden worden, diese hatte die Stelle aber noch nicht angetreten), aber das sagt ja auch schon etwas aus. – Auf den Punkt gebracht: "Spirituelle Angebote" werden in der institutionellen Jugendarbeit der Kirche als etwas betrachtet, was man "auch mal" macht – daher der Titel meines Artikels. Die Formulierung "auch mal" fällt in diesem Zusammenhang – nicht nur bei der besagten "Kickoff"-Veranstaltung, auch wenn es mir da besonders aufgefallen ist – wirklich mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit. Was diese Wortwahl verrät, ist, dass es offenbar ein gewisses Bewusstsein dafür gibt, dass kirchliche Jugendarbeit nicht ganz ohne "spirituelle Angebote" auskommt – und sei es nur, weil man ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber nicht-kirchlicher Jugendarbeit braucht –, dass man aber nicht gewillt ist bzw. gar nicht erst auf die Idee kommt, dem Thema Spiritualität einen großen, geschweige denn zentralen Stellenwert einzuräumen. Erschwerend hinzu kommt die inhaltliche Unschärfe der Bezeichnung "spirituelle Angebote": Niemand scheint so recht definieren zu wollen, was diese Bezeichnung umfasst bzw. vor allem was nicht, denn "definieren" heißt ja "begrenzen". Einer der Mitarbeiter des neuen erzdiözesanen Jugendpastoral-Teams machte bei der "Kickoff"-Veranstaltung einen Versuch, die Kategorie "spirituelle Angebote" durch Beispiele zu erläutern: "Das kann in Richtung Taizé gehen, das kann in Richtung Worship gehen..." – "Oder Yoga", murmelte ein mir bekannter Diakon sarkastisch. Noch wolkiger klingt das in der Beschreibung des Formats "Jugend glaubt" im Rahmen der neuen "Jugend-Reihe" der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd, die ich hier vor einiger Zeit mal am Wickel hatte: "innehalten, in sich selbst spüren [!], zu einem besonderen Event wie Nightfever gehen, einen eigenen Gottesdienst vorbereiten, Taizé Lieder singen, sich ein Worship-Konzert anschauen oder sich mal auf die Spuren der Bibel begeben". Nicht umsonst kommentierte ich das seinerzeit mit den Worten "Na toll", stellte aber zugleich "ein differenzierteres und begründeteres Urteil als 'Na toll'" in Aussicht. Also dann: Dass es in der Kirche eine große Vielfalt spiritueller Ausdrucksformen und Stile gibt, ist zweifellos schön und wertvoll, aber problematisch wird es, wenn der Eindruck der Beliebigkeit entsteht: wenn spirituelle Angebote präsentiert werden wie eine Art Büffet, wo man alles Mögliche mal probieren kann und sich auf nichts wirklich einlassen muss. Erst recht bedenklich ist es, wenn der Eindruck entsteht, "spirituelle Angebote" sollten nicht dazu dienen, den Glauben zu vertiefen (oder anders ausgedrückt: die persönliche Beziehung zu Jesus Christus zu stärken), sondern bloß dazu, sich selbst zu spüren.
Auf den zweiten Blick ist es übrigens auch mit der gerade angesprochenen Vielfalt gar nicht so weit her. Es fällt auf, dass, wenn es um Beispiele für "spirituelle Angebote" geht, sowohl von den Jugendpastoral-Mitarbeitern des Erzbistums als auch bei denen der Pfarrei St. Klara (von denen auch ein paar bei der "Kickoff"-Veranstaltung zugegen waren) einige Stichworte, wie "Taizé" und "Worship", regelmäßig genannt werden, andere, wie etwa Rosenkranz, Stundengebet oder Eucharistische Anbetung, hingegen nie. Wahrscheinlich haben die lieben Leutchen überhaupt nicht auf dem Schirm, dass "so was" für Jugendliche interessant oder attraktiv sein könnte; aber da möchte ich nur mal auf die Pfarrei St. Willehad in Nordenham verweisen, wo sich gerade eine Jugendgruppe gegründet hat, die sich explizit für genau "so was" interessiert.
Nur der Vollständigkeit halber und weil ich in meinem Artikel "Hasch mich, ich bin die Zukunft" in Aussicht gestellt habe, etwas dazu zu sagen, möchte ich auch noch kurz auf das Format "Jugend aktiv unterwegs" in der Reinickendorfer Pfarrei eingehen, das – wir erinnern uns – wie folgt vorgestellt wurde:
"Dieser Baustein bietet sehr viele Möglichkeiten. Von der Teilnahme an der 72h-Aktion des BDKJ, über sportlich aktiv sein, Billard oder Bowling spielen gehen, bei den Sternsingern unterstützen, tanzen gehen oder Stadtpilgern – eben einfach aktiv sein."
Der Gebrauch der Wörtchen "eben" und "einfach" im Jugendpastoralsprech wäre auch mal [!] eine Untersuchung wert; ich schätze, da käme man zu ähnlich vielsagenden Ergebnissen wie bei der Formulierung "auch mal". – Aber davon mal abgesehen: Auch hier hat der erwünschte Eindruck von Vielfalt einen herben Beigeschmack von Beliebigkeit. Ob soziales Engagement (72h-Aktion), Stadpilgern (das ist was "Spirituelles", oder?) oder Sport, das wird alles zusammen in eine Kategorie gepackt: Hauptsache, man ist irgendwie "aktiv". Und "unterwegs" – im Unterschied zum Veranstaltungsformat "Jugend allein zu Haus", das im Großen und Ganzen wohl eher in die Kategorie "Chillen und Entspannen" gehört.
Kehren wir aber noch einmal zu der "Kickoff"-Veranstaltung zurück: Ein Aspekt, der dort, im Unterschied zur Spiritualität, sehr groß geschrieben wurde, war das Thema Sexualpädagogik. Auch hierfür gibt es eine eigene Planstelle im Team; die Inhaberin dieser Stelle erklärte im Rahmen der Teampräsentation, sie "organisiere vor allem sexualpädagogische Projekttage in den katholischen Schulen", und zwar insbesondere für achte und neunte Klassen. "Das heißt aber nicht, dass dieses Thema nur in die Schule gehört, sondern auch in euren Jugendgruppen stattfinden kann", betonte sie. "Das Thema Sexualität soll kein Tabu sein, sondern das ist was, was Spaß machen kann zu besprechen." – Nun würde ich ja an und für sich gern sagen, es sei gut und richtig und ausgesprochen wünschenswert, dass die kirchliche Jugendarbeit sich mit dem Thema Sexualpädagogik befasst – sofern sie dies mit dem Ziel täte, den Jugendlichen eine der christlichen Anthropologie und der Lehre der katholischen Kirche entsprechende Sichtweise von Sexualität zu vermitteln, etwa im Sinne der "Theologie des Leibes" des Hl. Johannes Paul II.; aber schon ein Blick auf den Infotisch zum Thema Sexualpädagogik, den man bei dieser Veranstaltung bewundern durfte, machte überaus deutlich, dass es darum gerade nicht geht. Überdies hatte man in der Vergangenheit schon öfter Gelegenheit, festzustellen, dass der sexualpädagogische Ansatz in der institutionellen Jugendarbeit des Erzbistums eher auf Akzeptanz sexueller Vielfalt ausgerichtet ist als auf eine Erziehung zur Keuschheit (ja, ich weiß, das ist ein unpopulärer Begriff, aber einen besseren wüsste ich nicht).
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Hier übrigens der besagte Infotisch. |
In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Leserkommentar zu meinem ersten fragmentarischen Bericht über die "Kickoff Jugendpastoral"-Veranstaltung verweisen, in dem es hieß, es lohne sich, "einen Blick in die Umfrage im Rahmen der sog. Perspektiventwicklung Jugendpastoral zu werfen"; diese Umfrage habe u.a. ergeben, "dass nur eine kleine, teils nicht einmal messbare Minderheit von Jugendlichen 'woke' Themen in der Jugendarbeit will. Messbar wird dieser Wunsch allein bei den älteren, die nicht mehr jugendlich sind…". Nun wäre ich wohl nicht der Tobi, wenn ich diesem Hinweis nicht nachgegangen wäre; und die Ergebnisse der besagten Umfrage, die man sich auf der Website des Erzbistums Berlin als pdf-Datei downloaden kann, sind tatsächlich sehr interessant: Befragt wurden dort 372 "Verantwortliche der Jugendpastoral" – also Personen, die haupt- oder ehrenamtlich in der kirchlichen Jugendarbeit Leitungsaufgaben ausüben – und 363 "Nicht-Verantwortliche der Jugendpastoral", worunter Personen verstanden werden, die zur Zielgruppe jugendpastoraler Angebote zählen. Zur Konkretisierung der soeben zitierten Einschätzung meines Lesers lässt sich hier u.a. auf die Antworten der "Nicht-Verantwortlichen" auf die Frage "Mit welchen Dingen/Inhalten beschäftigst du dich in deiner Freizeit?" verweisen: Von 363 Befragten nannten 68, also knapp 19%, den Themenbereich "Natur/Klima/Umwelt", 50 Befragte, also knapp 14%, nannten "Soziale Gerechtigkeit" und nur 41, also gut 11%, das Thema "LBGTQ+" (Mehrfachnennungen möglich). Zum Vergleich: Der Themenbereich "Glaube/Kirche/Gottesdienst" wurde von 133 Befragten, also gut 36%, genannt. (Man beachte übrigens, dass die Fragestellung noch nicht zwingend impliziert, dass die Themen, für die sich die Jugendlichen in ihrer Freizeit interessieren, auch Gegenstand von Angeboten der Jugendpastoral sein sollten.) Schlüsselt man die Umfrageergebnisse nach Altersgruppen auf, stellt man fest, dass das Interesse am Themenbereich LGBTQ+ bei den 28-35Jährigen am größten ist (allerdings auch hier nur bei knapp 15% liegt) – was indes statistisch nicht sonderlich relevant ist, da aus dieser Altersgruppe nur 27 Personen befragt wurden; dagegen ist das Interesse an "Natur/Klima/Umwelt" bei den 19-27Jährigen am größten (mit etwas über 20%).
Nicht minder interessant sind die Antworten auf die Frage "Welche Formen gemeinsam Glauben zu leben, interessieren dich?", die nicht nach "Verantwortlichen" und "Nicht-Verantwortlichen" aufgeschlüsselt sind, dafür aber nach Altersgruppen – wobei zu beachten ist, dass bei den "Nicht-Verantwortlichen" der Großteil der Befragten (209 von 363, also knapp 58%) 12 bis 18 Jahre alt sind, während bei den "Verantwortlichen" die 19-27Jährigen mit 34% (127 von 372) die größte Gruppe ausmachen, gefolgt von den Über-35Jährigen mit 31% (116 von 372). Zu "Formen gemeinsam Glauben zu leben" wird hier auch "Soziales oder politisches Engagement (z.B. Umweltschutz etc.)" gezählt, allerdings sind daran von den 12-18jährigen Befragten nur 65 (21%) "sehr interessiert" und 100 (knapp 33%) "interessiert"; bei den 19-27Jährigen, unter denen die "Verantwortlichen" klar in der Mehrheit sind, ist der Anteil der "sehr Interessierten" mit 30 Prozent bedeutend höher, am höchsten (mit 42%) bei den 28-35Jährigen, die allerdings (was schon an und für sich ein interessantes Faktum ist) die mit Abstand kleinste Altersgruppe unter allen Befragten bilden.
Alles in allem ist es somit nicht sehr überraschend, dass die Antworten auf die an die "Verantwortlichen" gerichtete Frage "Welche Inhalte sprechen deine Jugendlichen an?" eine gewisse Diskrepanz zur Selbsteinschätzung der Jugendlichen aufweisen: Hier nennen 157 von 372 Befragten (also 42%) den Bereich "Soziales Engagement", dagegen nur 116 (31%) "Gottesdienst" und 88 (knapp 24%) "Glaubensbildung". Wenn man all die hier aufgeführten Umfrageergebnisse zueinander in Beziehung setzt, drängt sich der Eindruck auf, dass viele Jugendleiter eher ihre eigenen Interessenschwerpunkte im Blick haben und diese "ihren" Jugendlichen überstülpen. (Wobei ich ihnen nicht unbedingt unterstellen will, dass sie das bewusst tun.)
Man könnte über diese Umfrage sicherlich noch sehr viel mehr sagen, aber dieser Blogartikel droht ohnehin schon Überlänge zu bekommen, und der Gesamteindruck ist wohl deutlich genug: Es scheint, dass die inhaltliche Ausrichtung der Jugendpastoral im Erzbistum Berlin an den tatsächlichen Interessen der Jugendlichen meilenweit vorbeigeht – und dass diese Interessen deutlich "religiöser" sind, als man uns gemeinhin glauben machen will. Derweil vermittelt das neue Jugendpastoral-Team des Erzbistums nicht den Eindruck, als wollte es aus diesem Befund Konsequenzen ziehen.
Natürlich muss man, wenn man aus dieser Umfrage Aufschlüsse über die religiösen Interessen von Jugendlichen beziehen will, berücksichtigen, dass die hier Befragten in relativ hohem Maße kirchlich gebunden sind: Über 50% der Befragten, in den Altersgruppen der 19-27Jährigen und der Über-35Jährigen sogar mehr als 60%, ordnen ihren "Bezug zum Glauben" als "gläubig katholisch" ein, die zweithäufigste Antwort ist hier "gläubig christlich"; die Antwortmöglichkeit "religiös interessiert" erreicht in der Altersgruppe 12-18 (und nur in dieser) immerhin noch 20%, Optionen wie "eher spirituell als religiös", "ungläubig/nicht religiös", "religiös experimentierfreudig" oder "anders gläubig" sind weit abgeschlagen. 30% aller Befragten geben an, wöchentlich den Gottesdienst zu besuchen, weitere 25% "mehrmals im Monat". – Zu den Rückschlüssen, die man aus diesen Daten ziehen könnte, gehört es, dass die institutionelle kirchliche Jugendarbeit nicht missionarisch ist – nicht nur, weil sie kirchenferne Jugendliche faktisch kaum erreicht, sondern auch, weil sie darauf gar nicht ausgerichtet ist. In Marketing-Sprech ausgedrückt, konzentriert man sich lieber auf Bestandskundenpflege als auf Neukundenakquise; das kann man gleichermaßen als Folge wie als Ursache der oben angesprochenen Milieuverengung interpretieren.
Natürlich bleibt da nun noch die Frage, wie man kirchenferne Jugendliche denn erreichen könnte, wenn man nur wollte. Und hier lautet meine Kernüberzeugung: mit Freizeitangeboten, die sie genausogut (bzw. wahrscheinlich eher besser) bei nicht-kirchlichen Anbietern finden können, jedenfalls nicht. Da hilft auch ein bisschen vage Spiritualität als Sahnehäubchen nicht viel. – Im Creative Minority Report Nr. 5 schrieb ich:
"Fragt man nun, womit man kirchenferne Jugendliche denn dann erreichen könne, dann kann ich aus Erfahrung sagen: mit Nightfever zum Beispiel. Das zu sagen ist natürlich gewagt, weil es einer Kernüberzeugung der modernen Pastoraltheologie, nicht nur im Jugendbereich, widerspricht: der Überzeugung, man müsse es vermeiden, offen und explizit religiöse Angebote zu machen, weil das abschreckend wirke oder zumindest langweilig sei. Wozu ich wiederum die Überzeugung hege, diese Ansicht werde hauptsächlich von Leuten vertreten, die selbst nicht besonders viel mit Religion am Hut haben. Dass es davon gerade unter (haupt- wie ehrenamtlichen) Kirchenmitarbeitern so viele gibt, müsste man eigentlich verwunderlich finden; aber wenn diese Leute sagen 'Für religiöse Angebote interessiert sich doch niemand', ist das natürlich eine Art self-fulfilling prophecy, denn wovon man selbst nicht überzeugt und begeistert ist, davon wird man auch keinen anderen überzeugen und begeistern können, und letztlich wollen sie es ja auch gar nicht anders haben."
Der letzte Teilsatz wirkt natürlich wie eine böse Unterstellung, der Mancher heftig widersprechen würde. Aber man muss sich doch fragen: Wenn die institutionelle kirchliche Jugendarbeit schon nicht darauf ausgerichtet ist, kirchenferne Jugendliche anzusprechen, und wenn sie – wie die hier angesprochenen Umfrageergebnisse dokumentieren – hauptsächlich Jugendliche erreicht, die überdurchschnittlich religiös oder zumindest religiös interessiert sind, warum bietet sie diesen dann nicht mehr religiöse Inhalte? – Das ist wohlgemerkt nicht nur hierzulande so. Rod Dreher schreibt in der "Benedikt-Option": "In einer Reihe von Interviews, die ich im Zuge der Arbeit an diesem Buch mit einem breiten Spektrum von Christen geführt habe, hörte ich immer wieder Beschwerden darüber, dass kirchliche Jugendgruppen mehr damit beschäftigt sind, die Kinder zu bespaßen, als sie zu Jüngern Jesu zu erziehen." Diese Beobachtung habe ich bereits vor Jahren in meinen Ansichten aus Wolkenkuckucksheim Nr. 11 zitiert – und dazu angemerkt:
"Sicherlich gilt das nicht immer und überall. Im Einzelfall gibt es bestimmt auch in der verbandlich organisierten kirchlichen Jugendarbeit Mitarbeiter, die nicht nur bei der Bespaßung der jungen Leute (denn dass diese auch ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit ist, soll hier nicht bestritten werden), sondern auch bei Evangelisierung, Katechese und Anleitung zur Jüngerschaft gute Arbeit leisten. Aber im Ganzen, so wage ich zu behaupten, ist die institutionelle Jugendarbeit der Volks- und Großkirchen darauf nicht ausgerichtet. Deren eigentliches Zielpublikum sind Leute, die sich der Kirche irgendwie (noch) verbunden fühlen, obwohl sie mit dem ganzen Glaubenskram eher nicht so viel anfangen können. Diesen Leuten – bzw. deren Kindern, als der nächsten Generation potentieller Beitragszahler – will man positive Erlebnisse im Zusammenhang 'mit Kirche' bieten, um sie an die Institution zu binden. Em tasol, wie man in Papua-Neuguinea sagen würde."
In all diesen Punkten hat die "Kickoff Jugendpastoral"-Veranstaltung meine Einschätzungen über die institutionelle Jugendarbeit der Kirche eher bestätigt als infrage gestellt, und so ist es wohl nicht sehr überraschend, dass ich aus dieser Veranstaltung die Lehre zog, in meiner eigenen pastoralen Basisarbeit eine Zusammenarbeit – oder überhaupt irgendeine Art von Kontakt – mit dem neuen Jugendpastoral-Team des Erzbistums nach Möglichkeit eher zu meiden. Da konnten die Teammitglieder noch so eindringlich betonen, sie seien dazu da, "uns" – d.h. die Mitarbeiter an der Basis, in den Gemeinden, den Verbänden usw. – zu "empowern" [sic!], zu unterstützen und mit Rat, Tat und nicht zuletzt Geld zu fördern. Tatsächlich empfand ich Ankündigungen wie die, man wolle "im Sommer, wenn's ein bisschen schöner ist vom Wetter her", eine "Road-Tour" machen, um sich ein Bild von der Jugendarbeit vor Ort zu machen, rein intuitiv eher als bedrohlich – so ungefähr im Sinne des berühmten Ausspruchs Ronald Reagans, der furchterregendste Satz der englischen Sprache laute "I'm from the government and I'm here to help"...