Schon vor über einem Jahr, als es noch nicht abzusehen war, wie bald man einen Nachruf auf Papst Franziskus würde schreiben müssen, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass dieser Papst, nachdem er bei seinem Amtsantritt und noch für eine Weile danach, nicht zuletzt dank seines als unkonventionell wahrgenommenen Auftretens, von einer Welle der Sympathie getragen wurde, gegen Ende seines Pontifikats Gefahr lief, als der unpopulärste Papst seit Paul VI. in die Geschichte einzugehen – und dies interessanterweise aus exakt demselben Grund, aus dem Paul VI. unpopulär war: weil er den einen zu progressiv war und den anderen nicht progressiv genug.
Der unmittelbare Anlass für diese Betrachtung war, wenn ich mich recht erinnere, eine Äußerung des BDKJ-Vorsitzenden Gregor Podschun, der meinte, mit der Erklärung "Fiducia supplicans" zur Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften erwiesen sich "Pontifex und Vatikan" als "menschenfeindlich und diskriminierend". Das fand ich damals besonders deshalb so bemerkenswert, weil ebendieses vatikanische Dokument von vielen anderen Beobachtern, auf liberaler wie auf konservativer Seite, ganz anders wahrgenommen wurde, nämlich als Liberalisierung der Haltung der katholischen Kirche gegenüber Homosexualität und homosexuell empfindenden Menschen. Aber den Vorkämpfern der "wokeness" in der Kirche, für die Podschun hier exemplarisch stehen möge, war das schlicht zu wenig – ungeachtet der recht offenkundigen Tatsache, dass kein Papst den Vorstellungen dieser Kreise wesentlich weiter entgegenkommen und trotzdem Papst bleiben könnte.
In diesem Sinne könnte man vielleicht sagen, im Bereich der umstrittenen "Sexualmoral", aber auch in einigen anderen Themenfeldern sei Papst Franziskus an die Grenzen dessen gegangen, was sich ein Papst an Liberalität, aber auch an Eigenwilligkeit gegenüber den Traditionen und dem Glaubensgut der Kirche erlauben kann; aber gerade darin hat er zu erkennen gegeben und bestätigt, dass es diese Grenzen gleichwohl gibt, und das hat ihm den Zorn der Progressiven zugezogen.
Oder jedenfalls eines Teils – man darf vermutlich sagen: des radikalsten Teils – der Progressiven. Daneben gibt es natürlich auch noch diejenigen, die sich praktisch vom ersten Tag an bemüht haben, den nun verstorbenen Pontifex für ihre Position zu vereinnahmen, und die die Tatsache, dass er des Öfteren doch erheblich hinter ihren Erwartungen zurückblieb, mit dem guten alten "Ja, wenn er könnte wie er wollte..."-Narrativ zu erklären suchten. Was übrigens gerade mit Bezug auf Franziskus ein ausgesprochen unglaubwürdiges Narrativ ist: Es hat wohl lange keinen Papst gegeben, der sein Amt so selbstherrlich, so unbekümmert um die Erwartungen und Einwände Anderer ausgeübt hat wie dieser. Dass er in seinen Schreiben und Ansprachen immer wieder die Bedeutung und den Wert von Kollegialität, Synodalität und Parrhesia, freier Rede, hochhielt, in seiner eigenen Amtsführung aber erheblich autoritärer als seine Vorgänger agierte und im Umgang mit Kritikern innerhalb der kirchlichen Hierarchie oft gnadenlos, ja geradezu rachsüchtig wirkte, gehört zu den augenfälligsten Widersprüchen seines an Widersprüchen insgesamt nicht armen Pontifikats.
Derweil zeigen die zahlreichen Nachrufe auf Papst Franziskus, die schon wenige Stunden nach der Todesnachricht die Sozialen Netzwerke überschwemmten, dass der Kampf um die "Erinnerungshoheit", wenn man das so nennen will und kann, in vollem Gange ist. Ich will das gar nicht alles zitieren – eine Auswahl aus den Wortmeldungen von Bischöfen, Politikern und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zum Tod des Papstes kann man z.B. in der Tagespost und bei CNA Deutsch nachlesen –, aber es hat zum Teil schon etwas Tragikomisches, zum Teil auch ausgesprochen Ärgerliches, wie sich jetzt im Nachhinein jeder den Franziskus zurechtzubasteln versucht, den er gerne gehabt hätte.
Man könnte freilich sagen, das sei umso weniger überraschend, als es zu seinen Lebzeiten im Prinzip schon genauso war: Praktisch alles, was dieser Papst sagte oder tat, wurde in der öffentlichen Wahrnehmung überlagert von vorgefertigten Narrativen darüber, was er angeblich für einer sei; und wie ich schon recht früh in seinem Pontifikat feststellte, unterschieden sich die Narrative der Liberalen und der Ultrakonservativen dabei oft nur in der Bewertung: Was den einen Zeichen der Hoffnung auf eine durchgreifende Umgestaltung der Kirche waren, war für die anderen mit dem Schwefelgeruch der Hölle behaftet. Auf diese Weise entstand ein – für mein Empfinden – im guten wie im Bösen völlig überzogenes Bild von der Bedeutung dieses 266. Papstes der katholischen Kirche für die Kirchen- und Weltgeschichte, und dass in dieser Hinsicht in den Nachrufen auf ihn noch eine Schippe draufgelegt wurde, liegt wohl in der Natur der Sache. Es könnte allerdings sein, dass diese Betonung der Bedeutung des Franziskus-Pontifikats sich als ein recht kurzlebiges Medienphänomen erweist: Schon am Dienstag, nur einen Tag nach der Bekanntgabe der Todesnachricht, hatte ich den Eindruck, der Interessenschwerpunkt in der Berichterstattung und in den Diskussionen in den Sozialen Medien verschiebe sich recht deutlich von der Trauer um Papst Franziskus und der Würdigung seines Wirkens hin zur Frage "Wie geht es jetzt weiter?", also zu Modalitäten der Beisetzung, der Einberufung eines neuen Konklaves und natürlich den als aussichtsreich gehandelten Kandidaten für die Nachfolge.
Was also wird bleiben vom zwölfjährigen Pontifikat des Jorge Mario Bergoglio? Auf der einen Seite würde ich sagen, mit seinen Impulsen zum Thema Neuevangelisierung – die er besonders in seinem Schreiben Evangelii gaudium, aber auch verstreut in kleineren Schriften und Ansprachen dargelegt hat – hat der verstorbene Papst der Kirche einen Schatz hinterlassen, den es, gerade hierzulande, erst noch zu heben gilt. Auf der anderen Seite ist es kaum zu leugnen, dass er durch unklare, widersprüchliche oder unzureichend durchdacht wirkende Äußerungen und Entscheidungen viel Verwirrung und Spaltung unter den Gläubigen verursacht hat. Seine harte Haltung gegenüber den Anhängern der traditionellen ("vorkonziliaren") Liturgie gehört zu den Dingen, die sein Nachfolger zu korrigieren haben wird. Den wohl dunkelsten Fleck auf seinem Andenken hinterlässt indes sein Umgang (oder Nicht-Umgang) mit dem Missbrauchsskandal, seine persönliche Nähe zu Missbrauchstätern wie Zanchetta, Rupnik und nicht zuletzt Ted McCarrick. Die Tatsache, dass er zahlreiche Kleriker aus dem engsten Umfeld McCarricks, darunter den amtierenden Camerlengo Kevin Farrell, in hohe und einflussreiche Positionen berufen hat, wird die Kirche zweifellos noch über seinen Tod hinaus belasten.
Zum Abschluss ein persönlich-versöhnliches Wort: Es ist sicher kein Geheimnis, dass ich von jeher "Team Benedikt" war – d.h., dass meine Vorstellungen davon, wie ein Papst sein sollte, stark von Benedikt XVI. geprägt war – und dass ich daher mit Franziskus nie so richtig warm geworden bin. Man sollte dabei jedoch nicht unterschätzen, wie sehr Papst Franziskus gerade dank derjenigen Eigenheiten, die viele gläubige Katholiken eher irritiert haben, bei vielen Menschen "angekommen" ist, die der Kirche fern stehen und mit innerkirchlichen Lager- und Richtungsstreitigkeiten daher gar nichts anfangen können. Man mag vielleicht fragen, was damit gewonnen ist, wenn diese Leute an Papst Franziskus gerade das schätzten, was an ihm – tatsächlich oder zumindest im ihrer Wahrnehmung – untypisch für einen Papst bzw. für die katholische Kirche insgesamt ist; ob man damit nicht in die Falle der "Wir sind ja gar nicht so"-Pastoral tappt, die die Gefahr birgt, das christliche Zeugnis eher zu verunklaren, statt es zum Leuchten zu bringen. Aber das muss nicht so sein. Menschen, die mit der Kirche eigentlich nichts "am Hut haben", dazu zu bringen, in einem positiv wertschätzenden Sinne zu denken "Das hätte ich von einem Papst bzw. von der katholischen Kirche nicht erwartet", ist an und für sich noch keine Neuevangelisierung, kann aber in vielen Fällen eine notwendige Vorstufe dazu sein – insofern, als es Menschen geneigter machen kann, sich überhaupt erst einmal anzuhören, was die Kirche ihnen zu sagen hat. In diesem Sinne hat Papst Franziskus für den Missionsauftrag der Kirche womöglich mehr geleistet, als seine Kritiker es sich träumen lassen.
Im Übrigen bleibt uns jetzt noch, für seine Seele zu beten. Und um einen guten Nachfolger.
Das letztgenannte ist auch mein Eindruck. Von so vielen Menschen weltweit hört man jetzt, dass Papst Franziskus ihnen durch seine Art und sein Auftreten geholfen hat, zum Glauben und zur Kirche zu finden und dass sie ohne ihn diesen Schritt nicht hätten gehen können. Das ist so unendlich wertvoll. Und gleichzeitig so verborgen und unsichtbar für die große Berichterstattung. Menschen haben zu Christus gefunden. Es gibt nichts wichtigeres. Man unterschätzt es so leicht als schon-immer-Katholik, welche Hürden Menschen auf ihrem Weg zur Kirche empfinden, die so fremd ist für sie und von der sie 99% der Zeit nur schlechtes hören. Ein Papst, der ihnen nahe ist und das Gefühl gibt, von Herzen willkommen zu sein, auch wenn sie gerade noch tief in der Sünde feststecken und Vergebung finden zu können, ist für viele Menschen ein echter Wegebner. Natürlich gilt das für alle Päpste, aber manches kommt einfach eindrücklicher bei den Menschen ab, wenn es überraschend und unkonventionell und einfach ist.
AntwortenLöschenDer Papst hat nur eine Aufgabe, die Schafe und Lämmer des Herrn zu weiden und Jesus mehr zu lieben als die anderen. Was von diesem Papst in Erinnerung bleibt: Es gab nach Petrus noch 265 Nachfolger von den meisten habe ich noch nie etwas gehört.
AntwortenLöschenDer verstorbene Papst war höchst eigenwillig und seine Aussagen oftmals ungenau und widersprüchlich.
AntwortenLöschenMit seinen beiden Vorgängern im Papstamt, beides ausgewiesene Professoren der Theologie bzw. Philosophie, konnte er es nicht aufnehmen. Bezeichnenderweise hatte er ja seinerzeit seine Dissertation auch nicht beendet.
Ich jedenfalls, der ich besonders Papst Johannes Paul II. wegen seiner Klarheit und Authentizität im Glauben nach wie vor zugetan bin, bin in gewisser Weise erleichtert, dass dieses Pontifikat Franziskus I. beendet ist, und hoffe dass wir so etwas oder ähnliches nicht noch einmal durchstehen so viele Jahre müssen. Ein Trost und eine Hoffnung ist aber auf jeden Fall die Tatsache, dass Gott auch auf "krummen Zeilen" gerade schreiben kann.
Vor längerer Zeit erhielt ich das Buch "Nichts als die Wahrheit" von Erzbischof Georg Gänswein zum Lesen.
AntwortenLöschenDas lese ich jetzt gerade, und es erscheint mir die rechte Art und Weise, um mit diesem letzten Pontifikat umzugehen.