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Dienstag, 29. September 2015

Meine Liebste ist so hardcore... [*]

[* Eigentlich wollte ich meine Liebste überreden, zum im Folgenden geschilderten Social-Media-Scharmützel etwas auf ihrem eigenen Blog zu schreiben. Aber sie war der Meinung, sie habe auf Facebook schon genug zur Sache gesagt, und wollte die ganze Angelegenheit nicht noch einmal von vorn aufdröseln. Na gut - dann also ich! :) ] 

Die Katholische Kirche hat in Deutschland 27 Bistümer, darunter sieben Erzbistümer; soweit ich es auf die Schnelle eruiert habe, betreiben 20 davon, darunter vier Erzbistümer, eine Facebook-Seite. (Wie viele obendrein oder stattdessen auf Twitter aktiv sind, habe ich nicht überprüft, möchte bei dieser Gelegenheit aber mal zu Protokoll geben, dass der Twitter-Account des Bistums Trier mich geblockt hat, weil ich angeblich "beständig getrollt" habe und mich "unsachlich und beleidigend" geäußert haben soll. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, was ich den Leuten Böses getan habe, mag aber auch nicht mein gesamtes Tweet-Archiv danach durchforsten. Egal - zurück zum Thema Facebook.) - Sieben der 20 Bistumsseiten habe ich mit "gefällt mir" markiert und somit deren Aktualisierungen abonniert; warum nur diese und die anderen nicht, kann ich gar nicht so genau sagen - das hat sich in den meisten Fällen wohl einfach "so ergeben". Bei zweien allerdings lässt sich der Grund recht eindeutig benennen: Die Seite des Erzbistums Berlin habe ich abonniert, weil ich dort lebe, und die des Bistums Münster, weil ich dort geboren und aufgewachsen bin. Letzteres ist für die Social-Media-Redakteure des Bistums Münster vermutlich kein allzu großer Grund zur Freude - denn ich lege mich mit einer gewissen Regelmäßigkeit mit ihnen an. Anlass hierfür sind praktisch stets die Tagesimpulse der Bistumsseite, die in der Regel gegen 7 Uhr morgens gepostet werden und für gewöhnlich aus einem postkartentauglichen Landschafts- oder Blumenbild und einem mittelprächtigen Poesiealbenspruch bestehen. - Gegen schöne Bilder auf Facebook hat im Grundsatz wohl so gut wie niemand etwas, und auch die Verslein sind durchaus nicht immer ausgesprochen schlecht. Allerdings haben sie nur in den seltensten Fällen etwas mit dem christlichen Glauben zu tun - umso mehr dafür mit modischer Wellness-Spiritualität und esoterischem Klumpatsch. Und das finde ich für die Facebook-Präsenz eines katholischen Bistums dann doch etwas schwach; und übrigens, wie sich noch zeigen wird, nicht nur ich

Am Montag, dem Tag der Hl. Lioba, des Hl. Wenzel und des Hl. Lorenzo Ruiz samt Gefährten, beglückte das Bistum Münster seine Facebook-Fans mit dem Bild eines Sonnenauf- oder vielleicht auch -untergangs hinter einem malerischen Ensemble von Birken, garniert mit einem Gedicht von Susanne Niemeyer. Die Autorin war mir bis dato unbekannt, aber Onkel Google wusste Rat: Susanne Niemeyer, geboren 1972, lebt und arbeitet in Hamburg, war mal Pressereferentin bei der Evangelischen Kirche, dann Redakteurin bei der Zeitschrift Andere Zeiten und ist heute Kolumnistin, Buchautorin - und Bloggerin. Außerdem designt sie Postkarten. Das passt ja. -- Was die Frau so schreibt, erinnerte mich insgesamt ein wenig an die württembergische Pastorin und Bloggerin Frau Auge, deren dichterisches Schaffen ich unlängst etwas übellauning als "Hausfrauenlyrik" qualifizierte; im direkten Vergleich muss ich Frau Auge nun aber ein Stück weit Abbitte leisten, denn in Sprache und Form sind ihre Werke denn doch um einige Grade kunstvoller als die der Kollegin Niemeyer. Gemeinsam ist beiden jedoch eine gewisse Grundstimmung, die mich immer ein wenig an postfeministische Frauenromane erinnert: ein Lebensgefühl, das - so mein ganz subjektiver und sicher nicht vorurteilsfreier Eindruck - darin kulminiert, das höchste Glück auf Erden sei es, sich neue Schuhe zu kaufen und abends in der Badewanne ein Glas Wein zu trinken. 

Das Gedicht, das das Bistum Münster am Montag brachte, zitiere ich hier - um Scherereien mit dem Urheberrecht aus dem Weg zu gehen - nicht in voller Länge, sondern verlinke es nur. Es findet sich gleichlautend auch auf dem Blog der Autorin, dort unter dem Titel Beim Scheitern zu sagen

Jede der vier Strophen des Gedichts beginnt mit den Worten "ich glaube"; man kann also sagen, es ist ein Glaubensbekenntnis - aber eines, das mit dem Nicäno-Konstantinopolitanum, dem Apostolischen oder auch dem Athanasianischen Glaubensbekenntnis nichts gemein hat. Nicht der Glaube an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist wird hier bekannt, sondern an "den Morgen", "den Schlaf", "die Kraft aller Anfänge" und zu guter Letzt dann wohl doch an so etwas Ähnliches wie Gott: "jenen freundlichen Blick, / der mich jeden Tag von neuem ansieht / und nicht aufhört, an mich zu glauben". -- Also, theoretisch könnte damit auch ein Mensch gemeint sein, der da freundlich blickt, aber nehmen wir mal an, Gott wäre gemeint. Dann fällt es umso mehr auf, welche Eigenschaft dieses Gottes hier hervorgehoben wird: dass Er "nicht aufhört, an mich zu glauben". 

Mich erinnerte das stark an einen Artikel, den ich kürzlich gelesen hatte - über den so genannten Moralistisch-Therapeutischen Deismus, eine moderne Pseudoreligion, die dort als "missratener Stiefcousin des Christentums" bezeichnet wurde. Den Begriff Moralistic Therapeutic Deism haben die Soziologen Christian Smith und Melinda Lundquist Denton im Jahr 2005 eingeführt und festgestellt, dies sei der verbreitetste Glaube unter US-amerikanischen Jugendlichen (wohlgemerkt auch und gerade solchen, die sich selbst als Christen verstehen). Die englischsprachige Wikipedia widmet diesem Phänomen sogar einen eigenen Eintrag. Die (offenbar evangelikal geprägte) Website Adam4d.com, die Fragen des christlichen Glaubens in Comicform behandelt, beschreibt das Gottesbild des Moralistisch-Therapeutischen Deismus wie folgt (freie Übersetzung von mir): 
"Der Gott dieser Religion ist leidenschaftlich darauf bedacht, uns zu dienen und dafür zu sorgen, dass wir uns selbst richtig prima finden. Er kümmert sich solange um seinen eigenen Kram, bis wir irgend etwas brauchen; dann tritt er prompt in Aktion. Es dreht sich nicht um ihn, er verlangt nichts von uns. Es dreht sich alles um uns." 
Ich fand das derart passend, dass ich den Adam4d-Artikel ohne weitere Anmerkungen im Kommentarfeld des Bistum-Münster-Postings verlinkte. Mehr wollte ich dazu eigentlich gar nicht sagen. Wofür hat man schließlich Bloggerkollegen unter seinen Facebook-Freunden? - Einige davon freuen sich immer schon, wenn ich einen Beitrag vom Bistum Münster teile ("Da gibt es immer was zu lachen"); andere fragen mich, warum ich mir die Auseinandersetzung damit überhaupt antue ("Ist das eine Bußübung?"). Und dann gibt es da noch meine ebenso aufgeweckte wie scharfzüngige Liebste. Und die war in diesem Fall überhaupt nicht zu bremsen. 

"Interessant, woran Sie alles glauben", schrieb sie den Münsteraner Social-Media-Redakteuren ins Stammbuch. "Ich glaube immer noch an Gott. Übrigens einen Gott, der Sünden vergibt, statt sie einfach zuzudecken." (Dies als Kommentar zu den Versen "Ich glaube an den Schlaf, / der behutsam zudeckt, / was nicht gelungen war".) "Bisschen komisch finde ich das aber schon, dafür, dass es auf der Seite eines katholischen Bistums auftaucht..." Von Münsteraner Seite folgte zunächst keine Reaktion, dafür fanden sich andere Facebook-Nutzer, die sich nun auch kritisch-distanzierend zu diesem Tagesimpuls äußerten - oder ihn kurzerhand veralberten, wobei Bloggerkollegin Claudia mit einer spontanen Umdichtung des Niemeyer-Gedichts den Vogel abschoss: 
"Ich glaube an die Bildchen,
die jeden Poesiealbumvers zur Dichtung machen,
obwohl der gute Geschmack dagegenspricht.
Ich glaube an die Geistesträgheit,
die watteweich erstickt,
was sonst vielleicht was geworden wäre.
Ich glaube an die Kraft aller Anfänge,
auch wenn es sich um die Kraft
einer beginnenden Angina pectoris handelt.
Ich glaube an jenes dümmliche Lächeln,
mit der mir das Bistum Münster täglich
einen neuen Albumspruch präsentiert,
statt meinen Glauben zu stärken." 
[Für die vollständige Wiedergabe dieses Gedichts setze ich die Zustimmung der Autorin tapfer voraus.] 

Hierauf nun erfolgte seitens des Bistums Münster eine Antwort, die die Kritik jedoch souverän ignorierte und sich betont huldvoll gab: "[G]anz hoffensichtlich [sic!] sind Sie ein sehr gläubiger Mensch. […] In diesem Sinn: auch Ihnen einen gesegneten Abend!" - Das brachte meine Liebste nun aber erst richtig auf die Palme. "Ganz ehrlich: ich - und viele andere - verstehe einfach nicht, was dieses andauernde Esoterikgewäsch auf einer Bistumsseite soll", polterte sie. In Münster reagierte man verstockt: "[W]ir - und ganz viele andere - finden die morgendlichen Posts auf dieser Seite weder 'dümmlich' noch 'Esoterikgewäsch'." (Man beachte, dass die Bezeichnung "dümmlich" nicht aus dem Kommentar meiner Liebsten, sondern aus dem Gedicht von Claudia stammte. Der Ärger darüber hatte wohl eine Weile vor sich hin geköchelt.)  

Bei meiner Liebsten jedenfalls war nun der Punkt erreicht, an dem es ihr geraten schien, dem Social-Media-Team des Bistums Münster ein bisschen Nachhilfe in den Basics des christlichen Glaubens zu erteilen. 
"1. 'Ich glaube an den Morgen' und jedes weitere 'Ich glaube an ...' widerspricht der christlichen Lehre, da es Glauben an Dinge propagiert. Wir glauben an den einen Gott, Vater Sohn und Heiliger Geist [...]. An nichts sonst.
2. 'Schlaf, der ... zudeckt, was nicht gelungen war': Nach der christlichen Lehre sollen wir unsere Sünden (=> = christlicher Begriff für das, was nicht gelungen war!) keineswegs mit in den Schlaf nehmen (vgl. "die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen... Eph 4,26). Stattdessen sind wir aufgerufen, Versöhnung zu suchen mit unserem Nächsten und mit Gott (=> = Beichte, das kath. christliche Sakrament der Versöhnung). Deswegen beten Christen von alters her das Schuldbekenntnis vor dem Schlafengehen (=> = ist z.B. Teil der Komplet = das traditionelle Nachtgebet der Christenheit).
3. '...an mich zu glauben...' An was Christen glauben hatten wir schon.
Narzisstische Selbstverliebtheit ist außerdem dem Christentum fremd. Wir sollen Gott und dem Nächsten in Liebe verbunden sein, nicht uns selbst (vgl. auch "Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, der wird es bewahren bis ins ewige Leben" - Joh 12,25 - und "Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt" - Lk 18,14)." 
(Man könnte hier sicherlich noch Manches präzisieren, aber das überlasse ich meinen kundigen und aufmerksamen Lesern. Natürlich könnte man beispielsweise gegen Punkt 3 einwenden, das Gebot "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" (Leviticus 19,18b) setze auch ein gesundes Maß an Selbstliebe voraus, aber das soll hier ja auch gar nicht bestritten werden. Zieht man den ad-hoc-Charakter dieser Ausführungen und ihre gedrängte Kürze in Betracht, dann finde ich sie schon sehr beachtlich.) Beim Bistum Münster jedoch wich man einer inhaltlichen Auseinandersetzung weiterhin aus und griff stattdessen erneut zum Mittel der huldvollen Beschwichtigung: 
"Wäre ja doch schade, wenn Gott im Anderen noch nicht sein Auge auf Sie geworfen hätte, um Ihnen zu sagen: ja, Mensch, ich glaube an Dich!! (Wir glauben an Sie!)
Bleibt uns Ihnen zu wünschen, dass Sie trotz scheinbarer Esoterik versöhnt mit sich und der Welt schlafen können, auf dass Sie morgen in österlicher Zuversicht erwachen, dass der Gott, an den Sie (und wir) glauben, Sie neu ins Leben führt (auch wenn vieles vielleicht dagegen spricht)." 
So leicht ließ sich meine Liebste aber nicht einwickeln. 
"Es geht nicht darum, ob Gott an mich glaubt, sondern darum, dass Er mich trotz meiner Sündhaftigkeit liebt und genau deswegen für meine und Aller Erlösung Mensch wurde und sich kreuzigen ließ. [...]
Ich kann in österlicher Zuversicht leben, weil ich den christlichen Glauben bekenne. Aus Ihren Posts hingegen könnte ich keine solche österliche Zuversicht entnehmen, da sie zwar Esoterik, aber keinen christlichen Gehalt vermitteln.  
P.S. Das ärgert mich deswegen, weil Sie damit der Verantwortung des Hirtenamtes, das Sie als Bistumsseite vertreten, nicht gerecht werden.
(Vgl. 'Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen?' - Mt 5,13)"
Exakt so sehe ich das übrigens auch. Wort für Wort. 

Eine weitere Antwort darauf folgte nicht - es war auch schon spät am Abend -, aber am nächsten Morgen, am Tag der Heiligen Erzengel Michael, Gabriel und Raffael, präsentierte die Facebook-Seite des Bistums Münster als Tagesimpuls... erneut einen Text von Susanne Niemeyer! Dazu übrigens ein Bild von einem Eimer. Ohne Scheiß. 

Der Text drehte sich darum, ob es entgegen der verbreiteten Lebensweisheit, man solle jeden Tag so leben, als ob es der letzte wäre, nicht schöner wäre, jeden Tag so zu leben, als wäre es der erste. Von der unglaublichen Plattheit des Texts einmal abgesehen: Natürlich kann man den Satz mit dem "letzten Tag" - wie Bloggerkollegin Andrea in einem späteren Kommentar anmerkte - durchaus sehr "weltlich" verstehen, als Aufforderung, möglichst viel aus seinem Leben "'rauszuholen", an Spaß, an Spannung, an kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung. Man kann ihn aber auch im Sinne des memento mori verstehen - im Sinne eines verantwortungsvollen Bewusstseins der Endlichkeit des Lebens. In diesem Sinne verlinkte ich einen Blogartikel aus dem Jahr 2012 im Kommentarfeld; und auch meine Liebste griff diese Deutung auf und schrieb - ihre Kritik vom Vorabend über den Mangel an christlicher Verkündigung in den Beiträgen der Seite wiederholend -: "In diesem Fall z.B. fehlt offensichtlich das Verständnis der christlichen Lehre von den letzten Dingen und unserer Verantwortung vor Gott." Und nun passierte etwas Unerwartetes: Eine andere Facebook-Nutzerin fragte betont höflich und interessiert, wie dieser Einwand zu verstehen sei. Meine Liebste war um eine Antwort nicht verlegen: 
"Weil man aufgrund dieser Verantwortung eben so leben soll, als wäre jeder Tag der letzte: die Idee dabei ist, nicht mit 'offenen Rechnungen' sterben zu wollen und deshalb alles gleich klären/beichten bzw. Fehler/Sünden möglichst vermeiden möchte.
Dies ist nicht als Aufruf zur Lebensabgewandtheit gemeint, sondern man soll bewusst leben...
Aus diesem Grunde denke ich, dass Zeilen wie 'jeden Tag so leben als sei er der erste' dem christlichen Glauben widersprechen.
Genauer:
1. Die zitierte Zeile missversteht die christliche Lehre als Lebensabgewandtheit.
2. Die zitierte Zeile ignoriert die noch schöneren Aussichten, die uns nach christlichem Glauben nach dem Tode erwarten.
3. Die zitierte Aussage stellt das Sich-Wohlfühlen in den Mittelpunkt, was nach christlichen Verständnis falsch ist - nach welchem es im Leben des Einzelnen nicht um den Einzelnen geht, sondern um die Einheit mit Gott durch die Nachfolge Jesu in einem verantwortungsvollen Leben. Nach dieser Lehre macht eben ein Leben dann glücklich, wenn es gelingt, sich an Gottes Willen auszurichten (auch und gerade dann wenn man dafür seine Comfort Zone verlassen muss).
Da ich der Meinung bin, dass es Aufgabe einer Bistumsseite wäre, den christlichen Glauben in seiner Fülle zu verkünden und auch zu erklären (was sie ggf. besser können sollten als ich es hier gerade tue), bin ich mit Posts dieser Art sehr unzufrieden."
Bäm! - Von den Seitenbetreibern erfolgte übrigens keine Antwort mehr. Und ich rechne durchaus damit, dass die kommenden Tagesimpulse aus dem Bistum Münster erneut auf dem Niveau der hier angesprochenen liegen werden. Was natürlich die Gefahr in sich birgt, dass der Schlagabtausch eine Fortsetzung finden wird... 

Meine Liebste ist so hardcore. Wer sich mit ihr auf einen Streit einlässt, muss sich warm anziehen. Besonders, wenn es um Glaubenssachen geht. Ich meine, ich bin ja schon ganz gern mal streitlustig, wenn es gilt, Lauheit, Wischiwaschi-Tüdelüdüt, Esoterik-Quatsch und spirituelles Konsumdenken in der christlichen Glaubenspraxis zu rügen. Aber meine Liebste ist da noch einen ganzen Zacken schärfer. Was bestimmt damit zu tun hat, dass sie erst im Erwachsenenalter zum Katholizismus (und überhaupt zum Christentum) gefunden hat. "Das kommt nur daher, dass du nicht durch die harte Schule der Kindergottesdienste gegangen bist", sage ich ihr gern. Dann lacht sie. 

Ich habe sie sehr lieb. 


(Und kochen kann sie auch...) 

Samstag, 26. September 2015

Vier Jahre Blogger und noch immer nicht verblödet

"Ein Gespenst geht um in der Deutschen Bischofskonferenz. Das Gespenst des Bloggers."
(Facebook-Nutzer Rolf S., frei nach eines berühmten Kardinals Namensvetter.)

Erst Anfang der Woche fiel mir plötzlich auf, dass die Eröffnung dieses meines Blogs sich an diesem Wochenende zum vierten Mal jährt, und ich dachte darüber nach, diesem Jubiläum einen eigenen Artikel zu widmen. Nur wusste ich nicht so genau, was ich da reinschreiben sollte - die ganze Saga darüber, wie ich zum Bloggen gekommen bin und wie ich quasi ohne eigenes Zutun von der katholischen Blogger-Community, genannt "Blogoezese" (von deren Existenz ich bis dahin gar nichts geahnt hatte) "adoptiert" wurde, hatte ich meinen Lesern schließlich schon zum Einjährigen aufgetischt. 

Aber dann kam mir katholisch.de, die offizielle Online-Präsenz der Katholischen Kirche in Deutschland, zu Hilfe - mit einem auf YouTube geposteten Video unter der Überschrift "Verbloggung führt zu Verblödung". Na herzlichen Dank. Das Verhältnis zwischen katholisch.de und der Blogoezese ist ohnehin nicht immer ganz unkompliziert, aber dazu später mehr. Bei dem Video handelte es sich um einen rund zweieinhalb Minuten kurzen Ausschnitt aus einer Pressekonferenz, die Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, zum Abschluss der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe abgehalten hatte; und die Überschrift war ein wörtliches Zitat, auch wenn Kardinal Marx diese Aussage durch ein leicht vernuschelt nachgeschobenes "manchmal" relativierte. 

Zur Untermauerung und Begründung dieser denkwürdigen Einschätzung äußerte der Kardinal weiter, beim Bloggen gehe es seiner Wahrnehmung zufolge darum, 
"dass sich Szenen untereinander treffen, sich gegenseitig bestätigen und hochjubeln, aber nicht in einen Diskurs eintreten mit Andersdenkenden, argumentativ, das ist es, was ich wahrnehme, und deswegen ist es für mich relativ uninteressant." 
Sein Fazit lautet: 
"Also insofern weiß ich nicht, ob wir als Bischofskonferenz uns mit diesen Portalen und Blogs überhaupt beschäftigen sollen." 
Dass er selbst sich bislang noch nicht näher mit der Materie beschäftigt hat, hat der Kardinal gleich zu Beginn seiner Ausführungen eingestanden ("Ich kenn das nicht, diese… diese Blogs oder was, [...], das lass ich gar nicht an mich heran"). Da fragt man sich dann schon, wie er zu seinem ausgesprochen fest und sicher wirkenden Urteil über "diese Blogs oder was" kommt. Wenn er die doch gar nicht kennt. 

Mich jedenfalls treibt nun anlässlich meines Bloggerjubiläums natürlich die Frage um: Wie verblödet bin ich eigentlich? Ich weiß, Selbsteinschätzungen sind immer mit Vorsicht zu genießen, aber ich wage trotzdem zu behaupten: nicht allzu sehr. Ich würde, im Gegenteil, sogar behaupten, dass das Bloggen mich geistig bereichert und meinen Horizont erweitert hat. Was zunächst einmal daran liegt, dass das Bloggen im Gegensatz zu Kardinal Marx' Einschätzung gerade kein Schmoren im eigenen Saft ist, keine zyklische Selbstbestätigung im geschlossenen Kreis. Man kann durch das Bloggen sehr wohl "in einen Diskurs eintreten mit Andersdenkenden"; denn, o Wunder des Internets, einen Blog kann prinzipiell Jeder lesen, nicht nur Gleichgesinnte - und selbst unter im Großen und Ganzen Gleichgesinnten kann es ja, wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz eigentlich selbst am besten wissen sollte, in Einzelfragen immer mal wieder zu Meinungsverschiedenheiten kommen, über die man sich dann konstruktiv auseinandersetzen kann. Ich jedenfalls habe durch Kommentare zu meinen Blogartikeln oder auch im Rahmen von Diskussionen über diese Artikel, die sich entweder in Sozialen Netzwerken oder, man höre und staune, offline am Tresen der einen oder anderen ganz säkularen Kneipe entwickelten, Vieles dazugelernt - und noch mehr habe ich aus den Artikeln anderer Blogger gelernt. Auch die (größtenteils ebenfalls online durchgeführten) Recherchen zu meinen bislang knapp 200, zum Teil sehr umfangreichen, Blogbeiträgen haben das Ihre dazu beigetragen, meinen Horizont zu erweitern, mein - wenn man das so nennen will - "Glaubenswissen" zu vertiefen und zu entdecken, was es jenseits von katholisch.de noch so alles an Katholischem im Netz gibt - angefangen von der Entdeckung, dass man praktisch alle offiziellen Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls online abrufen kann, bis hin zur Entdeckung internationaler katholischer Nachrichtenportale wie Catholic News Agency und Aleteia. Wäre ich ohne das Bloggen nie drauf gekommen. Auch auf zwischenmenschlicher Ebene verdanke ich dem Bloggen viel. Ich bin dadurch mit großartigen Menschen in Kontakt gekommen, nicht wenige davon habe ich inzwischen auch mal offline getroffen; einige Bloggerkollegen kann ich mittlerweile im vollen, nicht-nur-facebookigen Sinne des Wortes als Freunde bezeichnen, und sogar meine Liebste habe ich durchs Bloggen kennengelernt. 

Das alles kann Kardinal Marx nicht wissen und braucht es auch nicht zu wissen. Schön wäre es natürlich, wenn er sich - besonders dann, wenn es sich nicht um ein Privatgespräch nach dem soundsovielten Schoppen Wein handelt, sondern um eine Pressekonferenz, auf der er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz spricht - mit Urteilen über Dinge, von denen er keine Ahnung hat, etwas mehr zurückhielte. Besonders tragikomisch wirkt es, dass er den Bloggern Diskursverweigerung vorwirft, während er gleichzeitig selbst erklärt, sich mit ihnen nicht auseinandersetzen zu wollen - das liegt schon so ungefähr auf einem Niveau mit den "an einer inhaltlichen Auseinandersetzung nicht interessierten" Damen von der Initiative NoFundiM.Ärsche - wobei der Vergleich ein wenig hinkt: Die "Queer-Feministinnen" lesen schließlich immerhin meinen Blog. - Begreiflicherweise hat die Äußerung des Kardinals in den letzten Tagen eine intensive Debatte innerhalb der katholischen Blogger-Community ausgelöst - eine Auswahl lesenswerter Beiträge hierzu folgt am Ende dieses Artikels -; verschiedentlich wurde dabei zur Verteidigung Seiner Eminenz vorgebracht, auf wen die Kritik nicht zutreffe, der brauche sich ja nicht angesprochen zu fühlen. Ich finde, dass dieser Einwand am Kern der Sache vorbeigeht, und das gleich aus mehreren Gründen. Zunächst einmal gilt wie für alle öffentlichen Äußerungen von Amtsträgern der Grundsatz: Wie der Sprecher seine Worte gemeint hat, ist im Ergebnis weniger wichtig als wie sie beim Hörer ankommen. Dazu, dass die Einlassung des Münchner Erzbischofs als pauschale Geringschätzung gegenüber Bloggern verstanden wird, hat katholisch.de durch die separate Veröffentlichung dieses kurzen Pressekonferenz-Ausschnitts, und erst recht durch die Wahl der Überschrift, zweifellos mit Fleiß beigetragen, und die Motivation dahinter ist unschwer einzusehen. Dass das von der Deutschen Bischofskonferenz mit zwei Millionen Euro im Jahr finanzierte Online-Portal die ehrenamtlich und ohne jede redaktionelle Kontrolle agierenden Blogger in erster Linie als Konkurrenz und Bedrohung ansieht, ist nun wahrlich nichts Neues; da kommt so ein "verbaler Arschtritt" aus erzbischöflichem Munde natürlich wie gerufen. Der Perspektive einer stärkeren Zusammenarbeit der Ordinariate mit der katholischen Blogger-Community - woanders nennt man so etwas Blogger-Relations und betrachtet es als wichtigen Bestandteil von Öffentlichkeitsarbeit im digitalen Zeitalter - fügt das knallige Wortspiel des Kardinals zweifellos schweren Schaden zu. Zudem bleibt die Frage, wie man die Worte des Bischofskonferenz-Vorsitzenden eigentlich anders verstehen könnte. Dafür ist ein Blick auf den Kontext der Äußerung ratsam. 

Veranlasst wurde die Einlassung des Kardinals durch die Frage eines Journalisten: 
"Werden Sie auf der Deutschen Bischofskonferenz entschiedener gegen innerkirchliche Fundamentalisten vorgehen, wie sie zum Beispiel bei solchen Seiten wie katholisches.info oder anderen Bereichen sich austoben? Es wird ja immer so getan, als wenn es nur im Islam Fundamentalismus gibt, beide christlichen Kirchen kennen den ja nun auch in allen möglichen Formen." 
Die Frage ist ja eigentlich schon an sich eine Frechheit, und es wäre zu wünschen gewesen, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz sie nicht einfach widerspruchslos schluckt. Ich habe hier keinesfalls die Absicht, die Seite katholisches.info gegen Kritik in Schutz zu nehmen; seit ich dort vor rund zwei Jahren einige Artikel gelesen habe, die mir den Eindruck vermittelten, man versuche dort in Inhalt und Form dem berüchtigten kreuz.net nachzueifern, meide ich die Seite weitestgehend - vielfach verraten einem ja schon die Überschriften der dortigen Beiträge, woher da der Wind weht. Hätte sich Kardinal Marx' Antwort ausdrücklich und eindeutig auf katholisches.info und/oder in Inhalt und Form ähnliche Seiten bezogen, hätte ich tatsächlich allen Grund, mich nicht angesprochen zu fühlen, und diejenigen Blogger, mit denen ich in regelmäßigem Kontakt stehe, ebensowenig. Aber so weit differenziert er ja gar nicht - und das kann er auch gar nicht, da er katholisches.info nach eigener Aussage gar nicht kennt. Doch gehen wir noch mal einen Schritt zurück: Eigentlich hätte der Kardinal schon beim Stichwort "Fundamentalismus" intervenieren müssen - mindestens um zu hinterfragen, was der Journalist mit diesem Schlagwort meint. Die lapidare Feststellung "Es wird ja immer so getan, als wenn es nur im Islam Fundamentalismus gibt, beide christlichen Kirchen kennen den ja nun auch" ist angesichts eines weltweiten islamistischen Terrorismus, der in keiner anderen Weltreligion ein Pendant findet, schon ein starkes Stück. Zwar trifft es unbestreitbar zu, dass es auch einen christlichen Fundamentalismus gibt, ja, der Begriff ist sogar ursprünglich im christlichen Kontext entstanden; aber qualitativ ist er wohl kaum mit dem islamischen Fundamentalismus gleichzusetzen. Und wenn der Journalist von Fundamentalismus in "beide[n] christlichen Kirchen" (gibt es tatsächlich nur zwei? Na gut, geschenkt, man weiß ja, wie er's meint) spricht, wäre erst recht eine Begriffsklärung angezeigt, denn der ursprünglichen Wortbedeutung nach ist Fundamentalismus ein genuin protestantisches Phänomen und kein katholisches. Über die Begriffsverwirrung, die in diesem Punkt herrscht, habe ich schon letztes Jahr etwas geschrieben, und jüngst hat auch Bloggerkollege Clamormeus einen erhellenden Beitrag zu diesem komplexen Thema veröffentlicht. Wenn so unterschiedliche Phänomene wie islamischer Salafismus, protestantischer Biblizismus und katholischer Traditionalismus unter dem Label "Fundamentalismus" zusammengefasst werden, dann hat das offenkundig mehr mit Polemik als mit sachlicher Auseinandersetzung zu tun; aber damit nicht genug: Wie man beispielsweise anhand der Reaktionen auf den Marsch für das Leben beobachten kann, wird der Begriff "Fundamentalismus" in der gesellschaftlichen Debatte vielfach noch mehr ausgeweitet, so weit, dass er schließlich alle bezeichnet, die ihren Glauben ernster nehmen und/oder entschiedener nach außen hin vertreten als der durchschnittliche Kirchensteuerzahler. Wenn der Journalist es nun als gegeben voraussetzt, dass die Deutsche Bischofskonferenz "entschiedener gegen innerkirchliche Fundamentalisten vorgehen" müsse (wie stellt er sich das eigentlich praktisch vor?), dann kann man den Eindruck haben, er gehe von der Auffassung aus, in einer säkularen Gesellschaft sei Religion nur in homöopathisch verdünnter Dosis verträglich. Und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz lässt ihm das ohne mit der Wimper zu zucken durchgehen. 

Interessant ist auch, dass das Stichwort "Blogs" in der Frage überhaupt nicht vorkam. Wenn man es genau nimmt, geht Kardinal Marx in seiner Antwort so gut wie gar nicht auf die Frage des Journalisten ein, sondern nutzt sie lediglich als Steilvorlage, um gegen Blogs zu wettern - von denen er zwar eingestandenermaßen keine Ahnung hat, die er sich aber als Tummelplätze verschrobener, sozialphobischer Nerds und Verschwörungstheoretiker vorstellt (und deswegen auch gar keine Lust hat, seine Vorurteile durch Kenntnisnahme der Realität womöglich korrigieren zu lassen). Unterstellt man, dass dieser irritierende Monolog letztlich doch irgendwie eine Antwort auf die vorangegangene Frage sein soll, dann entsteht der Eindruck, Kardinal Marx stelle katholische Blogger - da eine Differenzierung ja nicht stattfindet - pauschal unter Fundamentalismusverdacht und erkläre sie gleichzeitig für irrelevant. Als Krönung des Ganzen spricht er ihnen auch noch das Christsein ab: Indem sie "andere[] Menschen erniedrigen" - dass sie das tun, wird unhinterfragt als gegeben vorausgesetzt -, können sie sich nicht "auf Jesus von Nazareth berufen" und sind folglich raus: "Wir haben klare Linien, wo die Grenze ist". Interessant ist - das jetzt aber wirklich nur ganz am Rande -, dass diese "klare[n] Linien" nicht in Bezug auf die Zustimmung zu Glaubensinhalten gezogen werden, sondern einzig in Bezug auf den menschlichen Umgang miteinander. Nun will ich die Bedeutung eines angemessenen menschlichen Umgangs miteinander nicht kleinreden - ich weiß schon, "darum hört nicht auf, einander von Herzen zu lieben" (1. Petrus 1,22) und "ertragt einander in Liebe" (Epheser 4,2); man könnte noch weitere Belege bringen -, aber so ein bisschen klingt es doch danach, als setze der Kardinal das Christentum mit einem "Humanismus der Nettigkeit" gleich. Und das nervt, auch wenn's nicht so gemeint ist. 

Mit der Nettigkeit auf der einen und dem Fundamentalismus auf der anderen Seite ist es ja überhaupt so eine Sache. Dass es Internetseiten - darunter durchaus auch Blogs - gibt, die eine mit Stolz vertretene Glaubensstrenge mit einer beträchtlichen Arroganz, Verbissenheit, Humorlosigkeit und einem allgemeinen Mangel an Umgangsformen paaren, soll (und kann, leider) im Grundsatz nicht bestritten werden. Die Frage ist, wo man hier die Grenze zieht. Ein entschiedenes Eintreten für den Glauben ist nicht immer "nett", kann es gar nicht sein. An etwas zu glauben, impliziert zwingend, an vieles Andere nicht zu glauben; von der Richtigkeit einer Lehre überzeugt zu sein, hat zur Folge, das, was dieser Lehre widerspricht, falsch zu finden. Zweifellos muss man deswegen das, woran man nicht glaubt, nicht schmähen, und Andersdenkende und -glaubende nicht persönlich angreifen. Aber auch wenn man sich noch so sehr bemüht, das nicht zu tun, erlebt man es immer wieder, dass klare Bekenntnisse zum christlichen Glauben und zur Lehre der Kirche schon an und für sich als intolerant, anmaßend, menschenverachtend, kurz: fundamentalistisch wahrgenommen werden. Da ist die Versuchung groß, die christliche Botschaft so zu verpacken bzw. zurechtzustutzen, dass sie beim gesellschaftlichen Mainstream möglichst wenig Anstoß erregt - und im Zweifel lieber mal die kirchliche Lehre in Frage zu stellen als die vorherrschende öffentliche Meinung zum betreffenden Thema. Gerade auf katholisch.de ist eine solche Tendenz nicht selten zu beobachten, und nicht minder auf den Facebook-Seiten deutscher Bistümer, die ihren Abonnenten lieber mit Bildern von Blumen, Luftballons und Sonnenuntergängen, garniert mit inhaltlich unscharfer Poesiealbenlyrik, kommen als mit irgendwelchen möglicherweise herausfordernden Glaubensinhalten. Insofern scheint mir die Rede von "innerkirchlichen Fundamentalisten", gegen die man "entschiedener vorgehen" müsse, im Wesentlichen eine Phantomdiskussion zu sein - die davon ablenkt, dass das weitaus größere Problem der Kirche in unseren Breiten die Lauheit ist, der Mangel an Substanz und Profil. Viele katholische Blogger nehmen sich dieses Problems an, betreiben Basisarbeit, halten ihre Köpfe hin. Für den Glauben, für die Kirche. Ein bisschen Anerkennung und Wertschätzung dafür wäre schon schön - muss aber nicht sein, dafür macht man's ja letztendlich nicht. Wenn einem aber von höchster Stelle des kirchlichen... sagen wir mal... "Apparats" in Deutschland das Gefühl vermittelt wird, man werde mit seinen Bemühungen eher als lästig und störend empfunden, dann ist das nicht nur schmerzhaft für uns Blogger; es wirft vor allem ein sehr bedenkliches Licht auf den allgemeinen Zustand der Kirche hierzulande. Als ob es da nicht schon genug Anlass zur Sorge gäbe. 

Wir haben es hier also nicht mit der privaten Schrulle eines einzelnen, wenig Internet-affinen Bischofs zu tun, sondern mit einem strukturellen Problem. Es ist bezeichnend, dass Kardinal Marx bei seinem Publikum einen großen Lacherfolg landet, als er witzelt, er könne ja sein Sekretariat beauftragen, "das im Auge zu behalten oder die Szene zu beobachten". - Letztendlich ist es somit vielleicht ganz gut, dass Seine Eminenz dem Netzgemüse innerhalb der Kirche einmal in Erinnerung ruft, dass das Internet vielleicht nicht gerade "für uns alle", aber doch für Viele immer noch Neuland ist. Zum Dank für diese Erinnerung sei er auf etwas hingewiesen, was er vermutlich auch nicht weiß: Zu den Charakteristika dieses komischen Internets gehört es, dass da so allerlei weise Sprüche kursieren, die gern, wenn auch meist fälschlich, als Zitate bedeutender Persönlichkeiten der Vor-Internet-Ära ausgegeben werden. Mahatma Gandhi beispielsweise wird der Satz zugeschrieben: 
"Erst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, dann gewinnst du." 
Kardinal Marx hat den Bloggern gegenüber soeben den Schritt vom Ignorieren zum Verlachen vollzogen. Das lässt für die Zukunft hoffen.



Mehr zum Thema:

"Nachtrag in Sachen Blödheit" - Josef Bordat auf "JoBo 72's Weblog" (Links zu zwei weiteren Artikeln dieses Blogs habe ich oben im Fließtext versteckt...)
"Bloggst Du noch oder blödelst du schon?" - Peter Winnemöller (Cicero) auf "Katholon"
"Offener Brief an Reinhard Kardinal Marx" - Claudia Sperlich auf "Mein Leben als Rezitatorin und Dichterin"
"Wie verblödet muss ich sein..." - Felix Honekamp auf "Papsttreuer Blog" 
"Der Kardinal und die Blogs" - Johannes R. Hanses (Thomasleser) auf "Provinzthomismus" 

Und zur Erinnerung daran, dass das Thema an sich nicht neu ist, dass es aber mal Zeiten gab, in denen die Aufgeschlossenheit für das Potential von Bloggern in der katholischen Öffentlichkeit größer - wenn auch nicht frei von Ambivalenzen - war: ein Artikel von anno 2009...

"Die Antwort einer katholischen Freibeuterin" - Elsa Laska auf "Elsas Nacht(b)revier. 


P.S.: Abschließend wäre noch darauf hinzuweisen, dass es nicht überall in deutschen Landen so schlecht um die Blogger-Relations der Katholischen Kirche bestellt ist. Just heute hat die Facebook-Seite des Erzbistums Berlin eine Serie begonnen, in der katholische Blogs aus der Erzdiözese vorgestellt werden. Da komme ich wohl auch noch an die Reihe... :)


Freitag, 25. September 2015

Sing When You're Winning

Es mag komisch wirken, wenn ausgerechnet ich hier von Fußball anfange; aber in den letzten Tagen musste ich immer mal wieder an ein Erlebnis denken, das ich während der Fußball-WM 2010 hatte. Eine der links-alternativen Kneipen, in denen ich gern zu Gast war - eine vergleichsweise gemäßigte, muss man hinzufügen-, zeigte alle Spiele der WM auf Leinwand, und da ging ich öfter mal hin. Als das Vorrundenspiel Portugal-Nordkorea anstand, betrat eine Gruppe von fünf oder sechs jungen Männern - Deutsche ohne Migrationshintergrund, soweit ich das beurteilen konnte - mit einer nordkoreanischen Flagge die Kneipe - musste sich aber vom Tresenpersonal darauf hinweisen lassen, dass Nationalflagen in diesem Lokal nicht geduldet würden. "Aber Nordkorea ist doch ein kommunistischer Staat!", protestierten sie - erhielten jedoch zur Antwort, so sei nun einmal die Hausordnung, und das Verbot gelte unterschiedslos für alle Nationalflaggen. 

Die Nordkorea-Fans verstauten die Flagge also murrend in einem Rucksack, ließen sich aber im Großen und Ganzen die Laune nicht verderben; auch davon nicht, dass ihre Lieblingsmannschaft, nachdem sie sich in der ersten Halbzeit noch recht tapfer gegen die klar favorisierten Portugiesen behauptet und nur ein Gegentor kassiert hatte, in der zweiten Spielhälfte völlig einbrach und schließlich mit einem Spielergebnis von 0:7 vom Platz ging. Die jungen Männer feuerten die Sportler des kommunistischen Regimes unverdrossen an und trösteten sich über den Spielverlauf, indem sie jedes Tor der Portugiesen bejubelten, als wäre es eins für Nordkorea gewesen. So errangen Kim Jong-ils Kicker wenigstens in der Phantasie dieser Zuschauergruppe einen historischen Sieg, und die Nordkorea-Fans verließen die Kneipe in bester Stimmung, wobei sie lautstark "Hoch! Die! Internationale! Solidarität!" skandierten. 

So skurril diese Episode anmuten mag, so bezeichnend erscheint sie mir im Rückblick. Vor allem, wenn ich mir ansehe, welche Bilanz die "What the Fuck?"-Fraktion von ihren Störaktionen gegen den Marsch für das Leben zieht. 

Über den Marsch habe ich hier ausführlich berichtet; ergänzend dazu empfehle ich den Bericht meiner Liebsten (hier). Auf YouTube gibt es ein eindrucksvolles Video, das Ansichten des Marsches und Bilder der gegen ihn gerichteten Proteste, einschließlich der Sitzblockade Unter den Linden, einander gegenüberstellt. 

Wie schon berichtet, wurde der Marsch für das Leben durch die Sitzblockade für eine Zeitspanne zwischen einer und zwei Stunden aufgehalten, was, wie ich bereits ausgeführt habe, für mein Empfinden nicht unbedingt zum Schaden der Demonstration war - schließlich war sie die ganze Zeit gut sichtbar für eine Vielzahl von Passanten, und wieso sollte man im Stehen nicht genauso gut demonstrieren können wie im Gehen? 14 Polizeibeamte wurden im Einsatz gegen die Störer verletzt, 43 Blockierer festgenommen (laut FOCUS). Während zum Marsch für das Leben laut Veranstalterangaben 7.000 Menschen gekommen waren (in der Presse war von 5.000 die Rede), bekamen die beiden Gegenkundgebungen - die des "What the Fuck?"-Bündnisses und die des "Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung" - nach unterschiedlichen Quellen zwischen 1.700 und 2.500 Teilnehmer auf die Straße; im Vorfeld war mit rund 3.000 Gegendemonstranten gerechnet worden. Ein Erfolg? 

Nun ja, die Organisatoren und Teilnehmer der Proteste sehen es offenbar so. Oder wollen es zumindest so sehen. Das verrät u.a. ein Blick auf die Facebook-Seite des What the Fuck?-Bündnisses. Am Abend nach dem Marsch für das Leben wurde dort ein Beitrag gepostet, der das folgende Fazit zog: 
"Es ist uns heute zusammen gelungen die Fundis vom Marsch fürs Leben über 2 Stunden zu blockieren. Aber auch nachdem die Bullen ihnen brutal den Weg frei geschlagen haben" -
(Das war ja so klar, dass "die Bullen" jetzt wieder die Bösen sind. Zur Erinnerung: "Die Bullen" haben lediglich das Demonstrationsrecht geschützt; die Gewalt ging von euch aus.  Ich hoffe, ihr fühlt euch wohl in eurer Opferrolle. Anders ausgedrückt: Heult doch.) 
- "wurden die schwer genervten Mittelalterfans" -
(Komisch, ich habe keine "Mittelalterfans" gesehen, und "schwer genervt" war, soweit ich das sehen konnte, auch niemand.)
- "neben lautstarken Protest mit illustren Gaben wie Konfetti, Kondomen und Pferdescheiße bedacht." 
(Ach, das wart ihr, mit der Pferdescheiße? Ich dachte, die läge da immer rum.)
"Ihre Party ist auf jeden Fall ins Wasser gefallen :) "
(Meint ihr. Na ja. Als Party war es allerdings von vornherein nicht so direkt geplant gewesen.)
"Ihr wart alle absolut Spitze!
Viele Grüße an alle Verletzten und Festgenommenen!" 
In einem Kommentar zu einem anderen Beitrag auf der Seite wurde Freude darüber geäußert, "dass die erste Ansage im Lustgarten die war, dass man den Gottesdienst in einer Kurzversion abhalten würde". Am Montag folgte dann eine Pressemitteilung
"'Marsch für das Leben' in Berlin erfolgreich gestört
Am 19.09 beteiligten sich rund 2500 Menschen an den Gegenprotesten gegen den sogenannten Marsch für das Leben. Am Vormittag führte das 'What the Fuck!?' Bündnis eine Demonstration vom Anhalter Bahnhof bis zur Wilhelmstraße durch, an der 2000 Demonstrant*innen teilnahmen.
Nachdem am Gendarmenmarkt eine gemeinsame Kundgebung mit dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung stattfand, machten sich zahlreiche Demonstrant*innen auf den Weg, um die sogenannten 'Lebensschützer' zu blockieren. Diese mussten ihre Route um mehr als die Hälfte kürzen.
Der Marsch wurde auf 'Unter den Linden' durch eine Sitzblockade von rund 1200 Menschen gestoppt und konnte für lange Zeit nicht weiterlaufen.Die Blockade wurde schließlich von der Polizei gewaltvoll geräumt, es gab mehrere Verletzte auf Seiten der Demonstrant*innen.Der Marsch ist auch nach der Blockade durch weitere Störaktionen akut eingeschränkt worden und erreichte sein Ziel, den Lustgarten, erst sehr viel später als erwartet.
'Unser Konzept, den Aufmarsch der FundamentalistInnen entschlossen und wirkungsvoll zu sabotieren ist aufgegangen. Wer reaktionäre und antifeministische Positionen durchsetzen möchte hat kein Recht auf eine ungestörte Versammlung.'"
(Hervorhebung von mir. Gut, dass wir das geklärt haben.) 
"Wir haben es geschafft, den Marsch für eine längere Zeit zu stoppen und mit unserer bunten, lauten Demo ein Zeichen für unsere queer-feministischen Kämpfe zu setzen. Wir bedauern allerings, dass die Überforderung und das gewaltvolle Verhalten der Polizei zu Verletzungen geführt hat.“ schätzte Lotte Schäfer, Pressesprecherin des Bündnis 'What the Fuck!?' den Tag ein." 
Gewaltvoll, so so. Deswegen spricht man vermutlich auch vom "Gewaltmonopol des Staates". Ihr eigenes Handeln würden die Blockierer wohl nicht als "gewaltvoll" bezeichnen, aber die Definition von "Gewalt" in diesen Kreisen ist ohnehin hochinteressant. "Gehsteigberatungen" etwa, aber auch Gebets-Mahnwachen vor Abtreibungskliniken, sind "Gewalt gegen Frauen". Abtreibung dagegen ist Gesundheitsfürsorge. - Im Vorfeld des Marschs für das Leben wurde übrigens eine Apotheke in Neukölln, deren Betreiber aus Gewissensgründen die Abgabe der "Pille danach" verweigert, zum wiederholten Male zum Ziel von Vandalismus. Das ist vermutlich auch keine "Gewalt". Im Gegenteil, "Gewalt" ist, was der Apotheker tut. 

Auch der Humanistische Pressedienst (hpd) meinte, es sei "Kein guter Tag für christliche Fundamentalisten" gewesen. Wäre ja auch noch schöner, wenn die einen "guten Tag" gehabt hätten. Schließlich handelte es sich um einen "reaktionären Marsch" von "homophoben und antifeministischen" Gruppen, ja von "Rechtspopulisten". Darum hätten sich auch - was ich doch stark anzweifeln möchte - "[v]iele Passanten [...] spontan hinter die Blockade" gestellt, "um ihre Solidarität zu bekunden".  

Klar ist: Da die Blockierer sich als "links" und ergo fortschrittlich definieren, im Gegensatz zu den "reaktionären", ja "mittelalterlichen" Lebensschützern, sind sie per definitionem "Sieger der Geschichte". Genau wie Nordkorea. Und dank linientreuer Presseorgane wie "Neues Deutschland" ("Reaktionärer 'Lebensschützer'-Aufmarsch blockiert") und "Junge Welt" ("Mit phantasievollen Losungen [!] wandten sich am Samstag bis zu3.000 Frauen und Männer gegen die Prozession der selbsternannten Lebensschützer") erreicht eine Pressemitteilung ja wesentlich mehr Leute als live dabei waren und sich ihr eigenes Bild machen konnten. Man braucht also nur laut genug zu behaupten, man hätte gewonnen, dann hat man gewonnen. Dann spielt auch die Frage keine Rolle mehr, warum man eigentlich stolz darauf sein sollte, friedliche Demonstranten (und ich glaube, ich habe noch nie eine so große Demonstration erlebt, die so friedlich war) mit hasserfüllten Parolen niedergebrüllt, beschimpft und bedroht und außerdem die Feier eines Gottesdienstes (!) behindert zu haben. Hier muss man berücksichtigen, dass die Blockierer nicht nur einen imaginären Sieg errungen haben, sondern ihn - Don Quixote lässt grüßen - auch gegen einen imaginären Gegner errungen haben. Während sie es in Wirklichkeit nur mit harmlosen, friedfertigen Zeitgenossen zu tun hatten, bunt gemischt in Hinblick auf Alter, Herkunft, Geschlecht und Familienstand, haben sie sich in ihrer Phantasie tapfer einer zu Allem entschlossenen Phalanx finsterer, nach Inquisition und Scheiterhaufen lechzender Fanatiker entgegengestellt - und haben es überlebt. Da kann man sich dann schon mal feiern. 

Bezeichnend für die Konstruktion eines knalligen Feindbilds, dem der Marsch für das Leben bzw. seine Teilnehmer in Wirklichkeit nicht annähernd entsprechen, ist eine schriftliche Stellungnahme der Thüringer Landtagsabgeordneten Kati Engel (Die Linke) - als Antwort auf eine Einladung des Bundesverbands Lebensrecht zur Teilnahme am Marsch für das Leben. Dass der BVL auch und gerade seine erklärten Gegner persönlich zur Teilnahme am Marsch einlädt, ist in meinen Augen eine schöne, von christlicher Gesinnung durchdrungene Geste - die die Abgeordnete mit dem unpassenden Namen allerdings wenig zu würdigen wusste: "Hackt's bei Ihnen?! [...] Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich als emanzipierte, linke Frau Ihre Einladung annehme?" Den Versendern der Einladung warf Frau Engel u.a. vor: 
"Sie als Organisator*innen dieses Marsches und Ihre Teilnehmer*innen vertreten ein rückständiges Weltbild, in dem der Schwangerschaftsabbruch als eine 'vorgeburtliche Kindestötung' dargestellt wird." 
Ich wäre wirklich gespannt, wie Frau Engel die Behauptung begründen wollte, eine Abtreibung sei keine "vorgeburtliche Kindstötung" - und worauf genau sie sich bezieht, wenn sie zudem behauptet: 
"Sie verbreiten Lügen über den Schwangerschaftsverlauf und über biologische Fakten." 
Ich werde den Verdacht nicht los, dass es sich bei diesen "Lügen" um Wahrheiten handelt, die Frau Engel und ihre GesinnungsgenossInnen schlicht nicht wahrhaben wollen. - Und dann noch dies: 
"Sie sprechen von 'Babycaust' und relativieren so den nationalsozialistischen Holocaust." 
Diesen Vorwurf habe ich schon öfter gehört, aber: Ich war bislang viermal beim Marsch für das Leben, und das Schlagwort "Babycaust" oder vergleichbare Parolen sind mir dort nie begegnet, weder mündlich noch etwa als Schriftzug auf einem Plakat oder Transparent. Bei der diesjährigen Kundgebung hat Martin Lohmann sich sehr nachdrücklich von Relativierungen nationalsozialistischer Verbrechen distanziert. Ich weiß schon, das kann man zur Not noch mit dem guten alten Spruch "Wer sich verteidigt, klagt sich an" abtun. Aber als Abgeordnete der Linken wäre ich angesichts des massiven Antisemitismusproblems in der eigenen Partei sehr vorsichtig damit, Andere der Relativierung von NS-Verbrechen zu bezichtigen. 

Abgesehen von der "Babycaust"-Unterstellung fehlt in Frau Engels Schreiben allerdings der explizite Vorwurf des Rechtsextremismus. Hingegen sind mir in den letzten Tagen auch Stellungnahmen von Personen untergekommen, die zwar mit dem Anliegen des Lebensschutzes durchaus sympathisieren, aber mit dem Marsch für das Leben trotzdem nichts zu tun haben wollen: Der sei ihnen zu polemisch, zu radikal oder auch zu "rechts". Da sieht man mal, wie die Propaganda der Gegenseite wirkt. Auf Twitter las ich z.B. die Aussage, der Marsch sei "diskreditiert", solange seine Veranstalter sich nicht "von AfD und Junger Freiheit distanzieren". Nun ja. Tatsächlich hat der BVL-Vorsitzende Martin Lohmann der Jungen Freiheit, die laut Wikipedia von Politikwissenschaftlern im "Grenzbereich zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus" verortet wird, wiederholt Interviews gegeben. Allerdings wurden in diesem Blatt, das sich selbst als "Wochenzeitung für Debatte" bezeichnet, auch schon der angesehene Philosoph Robert Spaemann, SPD-Politiker wie Egon Bahr und Peter Glotz, Charlotte Knobloch vom Zentralrat der Juden in Deutschland und Altbundespräsident Roman Herzog interviewt. Alles Nazis? -- Ja, der Arbeitskreis "Christen in der AfD" hat zur Teilnahme am Marsch aufgerufen. Ja, die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch ist, nicht zum ersten Mal, in der ersten Reihe mitmarschiert. Mir persönlich wäre es auch lieber, sie würde das sein lassen, aber wer wäre ich, Frau v. Storch die Teilnahme an einer Demonstration verbieten zu wollen, nur weil ich daran teilnehmen möchte, aber nicht zusammen mit ihr gesehen werden will? Weder ihre Teilnahme noch der Teilnahmeaufruf der "Christen in der AfD" machen den Marsch zu einer AfD-Veranstaltung. Es gab weder ein AfD-Grußwort auf der Kundgebung, noch wurden AfD-Plakate oder -Banner bei der Demonstration herumgetragen. Übrigens auch von keiner anderen Partei oder politischen Organisation. Von einer parteipolitischen Vereinnahmung kann somit keine Rede sein, und das ist schon mehr, als man von den meisten anderen Demonstrationen sagen kann. Wollte man jede Demonstration meiden, bei der Leute mitlaufen, mit denen man politisch uneins ist, könnte man auf gar keine mehr gehen. 

Auch interessant fand ich, dass sich auf der "What the Fuck"-Facebook-Seite mehrfach ein Student der Evangelischen Religionspädagogik zu Wort meldete, der den dezidiert antichristlichen Charakter einiger Parolen (wie z.B. "Kreuze zu Brennholz") bemängelte und erklärte: "Ich bezeichne mich selber als evangelischen Christen und ja, ich strebe sogar ein Pfarramt an" - dann jedoch hinzufügte: "aber was diese Menschen da angeblich als Gottes Willen ausgeben, ist nichts weiter als geistiger Dünnschiss." Daher räumte er auch ein: "Der ganze menschenverachtende Kram, den die Neurechten gemeinsam mit den "christlichen" Fundamentalist_innen da auf die Straße tragen, gehört blockiert. Keine Frage." 

Man sieht, die Verwirrung, die in den Köpfen der Marsch-Gegner herrscht, ist mit Händen zu greifen; besonders auch dann, wenn man wiederholt die Aussage hört und liest, die Christen dürften ja gern "privat" gegen Abtreibung sein und ergo ihre eigenen Schwangerschaften unter allen Umständen austragen, nur sollten sie sich nicht in das Leben Anderer einmischen. Wer so etwas sagt, in dessen Gedankengängen kommt die Idee, ungeborene Kinder hätten ein Recht auf Leben, offenkundig überhaupt nicht vor. Es kann schon recht frustrierend sein, zu sehen, wie schwer diese Ignoranz gegenüber einem eigentlich ganz simplen und einsichtigen Sachverhalt - nämlich, dass bei jeder Abtreibung ein Mensch getötet wird - zu überwinden ist. Andererseits zeigt es aber auch, welcher Manipulationen es bedarf, das Anliegen des Lebensschutzes zu delegitimieren und so den Widerstand gegen den Marsch für das Leben zu mobilisieren: einerseits durch das gebetsmühlenartige Wiederkäuen der unsinnigen Behauptung, die Entscheidung über Austragen oder Abbrechen einer Schwangerschaft sei einzig und allein eine Entscheidung der schwangeren Frau über ihr Leben und ihren Körper; andererseits dadurch, dass man vom eigentlichen Anliegen des Marsches ablenkt, indem man ihn mit rechtsextremen Ideologien in Verbindung bringt und/oder die Lebensschützer zu Fackeln und Mistgabeln schwenkenden Finsterlingen aus dem Mittelalter verzeichnet. Wie schon mehrfach angemerkt, gehe ich davon aus, dass die Mehrzahl der Gegendemonstranten in gutem Glauben handelt, und im Grunde tun sie mir vor allem leid - dass sie so manipuliert werden, dass sie das Gute für böse und das Böse für gut halten

Als einen großen Erfolg des Marschs für das Leben betrachte ich es daher, wie seine Teilnehmer - soweit ich das überblicken konnte - mit der ihnen entgegengebrachten Feindseligkeit umgegangen sind. Sie haben in geradezu vorbildlicher Weise die Forderung Jesu "Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln" (Lukas 6,28) in die Tat umgesetzt. Wenn dadurch auch nur einige der aufgehetzten Gegendemonstranten ins Grübeln gekommen sind, ob sie wirklich auf der richtigen Seite stehen, dann ist schon viel gewonnen. 


Vater werden ist nicht schwer...?

HINWEIS: Der folgende Beitrag erschien zuerst - leicht bearbeitet und u.d.T. "Sterile Visionen" - am 08.09.2015 in der Zeitung Die Tagespost, S. 9.

Der Begriff der „Familienplanung“ umfasst schon lange nicht mehr nur Empfängnisverhütung, sondern zunehmend auch das Gegenteil: Die rasanten Fortschritte der Reproduktionsmedizin suggerieren dem Menschen, die Verwirklichung des individuellen Kinderwunsches sei etwas Machbares und Planbares. Neuerdings richten sich solche Angebote vermehrt auch an Männer. Der natürliche Zusammenhang von Sexualität, Partnerschaft und Fortpflanzung geht dabei immer mehr verloren.

Vor wenigen Wochen machte ein in den USA zugelassenes Medikament, das landläufig als „Viagra für die Frau“ bezeichnet wurde, weltweit Schlagzeilen. Die Wirkung der beiden Präparate ist zwar im Grunde nicht vergleichbar – Viagra wirkt auf den Blutkreislauf und verbessert so die Erektionsfähigkeit des Mannes, wohingegen die neue Pille „Addyi“ auf das Lustzentrum im Gehirn wirken und so die weibliche Libido, besonders in und nach den Wechseljahren, stimulieren soll –; eine auffällige Gemeinsamkeit liegt jedoch darin, dass sich bei beiden Medikamenten die Verwendbarkeit für sexualtherapeutische Zwecke erst durch klinische Tests herausstellte: Der Viagra-Wirkstoff Sildenafil wurde ursprünglich zur Behandlung von Herzbeschwerden entwickelt, Flibanserin, der Wirkstoff des neuen Medikaments „Addyi“, als Antidepressivum. In beiden Fällen wurde das Vermarktungspotential vermeintlicher „Nebenwirkungen“ erst erkannt, nachdem der jeweilige Wirkstoff sich als wenig geeignet für seinen ursprünglich vorgesehenen Zweck herausgestellt hatte. Der Grundsatz „Sex sells“ gilt eben auch für Pharmakonzerne.

Kritik an „Addyi“ entzündet sich nicht zuletzt an der Frage, ob bzw. inwiefern nachlassendes sexuelles Interesse überhaupt als therapiebedürftiges Leiden zu betrachten sei; aus Sicht der Anbieter ließe sich hier freilich argumentieren, die Nachfrage nach dem Produkt werde diese Frage von allein beantworten. – Indessen widmet sich der (ebenfalls nicht unumstrittene) Markt für Nahrungsergänzungsmittel einem anderen Aspekt des Geschlechtslebens: dem Kinderwunsch. Nachdem Produkte zur Förderung der weiblichen Fruchtbarkeit schon länger auf dem Markt sind, nehmen die Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln neuerdings verstärkt auch Männer in den Fokus. Das erscheint einerseits konsequent, wenn man bedenkt, dass Schätzungen zufolge bei 40% aller ungewollt kinderlosen Paare die Ursache für das Ausbleiben des Nachwuchses beim Mann liegt; dennoch macht eine Werbung, die ausdrücklich„Männer mit Kinderwunsch“ anspricht, zunächst stutzig. Aber warum eigentlich?

Als Antoni van Leeuwenhoek 1677 erstmals männliche Samenzellen unter dem Mikroskop untersuchte und die Ergebnisse in einem Brief an die Royal Society in London schilderte, stellte er es den Adressaten des Briefes anheim, zu entscheiden, ob seine Entdeckungen zu skandalös seien, um veröffentlicht zu werden. Tatsächlich ergaben Leeuwenhoeks Forschungsergebnisse erstmals einen Hinweis darauf, dass die Ursachen ehelicher Unfruchtbarkeit auch beim Mann liegen konnten. Trotz dieser Erkenntnis blieb die männliche Zeugungsunfähigkeit ein Tabuthema – tendenziell bis heute. Die offenkundige Kehrseite dieses Umstands ist, dass auch der Kinderwunsch von Männern ein Thema ist, über das selten gesprochen wird.

Die verbreitete Wahrnehmung, derzufolge das Kinderbekommen in erster Linie Frauen betrifft, wird durch den Umstand, dass Kinder keineswegs zwangsläufig in festen Beziehungen von Mann und Frau zur Welt kommen, zweifellos noch verstärkt; schließlich ist es die Frau, die das Kind austrägt, wohingegen der Beitrag des Mannes zum Zustandekommen einer Schwangerschaft eher punktueller Natur ist. Dadurch erscheint es schlicht offensichtlicher, dass ein Mann seinen Kinderwunsch nicht ohne eine Frau verwirklichen kann, als umgekehrt. Einer Frau, die zwar ein Kind, aber keine (heterosexuelle) Beziehung möchte, stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verwirklichung dieses Wunsches offen – vom „One-Night-Stand“ bis hin zur In-vitro-Fertilisation mit Spendersamen. Männer haben es da bedeutend schwerer. Gerade im Zeichen des Strebens gleichgeschlechtlicher Paare nach rechtlicher Gleichstellung ist dieser Umstand alles andere als banal. Prominente wie Elton John haben bereits das Beispiel gegeben, dass mit Hilfe von Eizellenspenden und Leihmutterschaft auch männliche homosexuelle Paare sich ihren Kinderwunsch erfüllen können; in Deutschland ist dies derzeit noch illegal, aber es bleibt abzuwarten, wie lange diese Gesetzeslage sich noch wird halten können.

Verglichen mit solchen Methoden wirkt der Ansatz, die Fruchtbarkeit mit Hilfe von Nahrungsergänzungsmitteln zu verbessern, geradezu konservativ – insofern, als dies in erster Linie darauf abzuzielen scheint, die Chancen zur natürlichen Zeugung eines Kindes in einer heterosexuellen Beziehung zu erhöhen. Maßnahmen zur Optimierung der Spermienqualität können jedoch auch Bestandteil umfangreicher „Kinderwunschbehandlungen“ sein, die in aller Regel auf künstliche Befruchtung hinauslaufen. Solche Behandlungen können sich über Jahre hinziehen, und die Kosten gehen nicht selten in die Zehntausende. Die Nachfrage ist groß: So waren 2% aller im Jahr 2003 in Deutschland geborenen Kinder durch künstliche Befruchtung gezeugt worden, in Dänemark waren es im selben Jahr fast 4%.

Es liegt auf der Hand, dass künstliche Befruchtung eine Entkopplung von Fortpflanzung und gelebter Sexualität bedeutet; sie verhält sich in gewissem Sinne komplementär zur künstlichen Empfängnisverhütung und trägt zusammen mit dieser dazu bei, dass sexuelle Befriedigung, Partnerschaft und Zeugung von Kindern nicht nur in der Praxis, sondern auch im öffentlichen Bewusstsein ihren natürlichen Zusammenhang verlieren. Dieses Auseinanderdriften von Aspekten, die man als integrale Bestandteile einer ganzheitlichen Sexualität bezeichnen könnte, scheint heutzutage kaum mehr auf Kritik zu stoßen; umso bemerkenswerter erscheint es, dass Papst Paul VI. diese Entwicklung bereits 1968 in seiner Enzyklika Humanae vitae vorausgesehen und problematisiert hat – nicht umsonst bezeichnete der aktuelle Papst Franziskus diese Enzyklika in einem Interview mit dem Corriere della Sera vom März 2014 als „prophetisch“. 

Als Paul VI. gegenüber der zu seiner Zeit aufkommenden Ansicht, derzufolge „die Weitergabe des Lebens mehr von Vernunft und freier Entscheidung bestimmt werden solle als von gewissen biologischen Regelmäßigkeiten“ (HV Nr. 3), auf der „Untrennbarkeit von liebender Vereinigung und Fortpflanzung“ beharrte, die „der Mensch nicht eigenmächtig auflösen“ dürfe (HV Nr. 12), hatte er zwar in erster Linie die künstliche Empfängnisverhütung vor Augen. Dennoch lässt sich seine Mahnung, man dürfe „den Dienst an der Weitergabe des Lebens“ nicht „menschlicher Willkür“ überlassen, sondern müsse „für die Verfügungsmacht des Menschen über den eigenen Körper und seine natürlichen Funktionen unüberschreitbare Grenzen anerkennen“ (HV Nr. 17), ebenso auch auf Reproduktionstechnologien anwenden, die 1968 noch Zukunftsmusik waren. Nur ein Jahr später sangen Denny Zager und Rick Evans in ihrem dystopischen Folksong „In The Year 2525“ die Strophe: „In the year 6565 / Ain’t gonna need no husband, won’t need no wife / You’ll pick your Son, pick your daughter too / From the bottom of a long glass tube” („Im Jahr 6565 wirst du keinen Ehemann und keine Ehefrau mehr brauchen – du nimmst dir deinen Sohn oder deine Tochter vom Boden einer langen Glasröhre”). Was damals als Horrorvision gemeint war, gilt heutzutage Manchem als begrüßenswerte Errungenschaft. So prognostizierte der Erfinder der Antibabypille, Carl Djerassi, in einem WELT-Interview anlässlich seines 90. Geburtstags am 29.10.2013: „Es wird bald gang und gäbe sein, dass Männer und Frauen ihre Spermien und Eizellen in jungen Jahren einfrieren und sich danach sterilisieren lassen. Ihre ein bis zwei Kinder würden sie einfach später mithilfe künstlicher Befruchtung bekommen.“

Bedenken jedoch bleiben – und zwar umso mehr, je augenfälliger es ist, dass für die Erfüllung eines individuellen Kinderwunsches andere Menschen instrumentalisiert werden. Dies ist am deutlichsten bei Leihmüttern der Fall, denen zugemutet wird, für die Dauer der Schwangerschaft gewissermaßen ihren eigenen Körper zu „vermieten“; aber auch die Verwendung von Samen- oder Eizellenspenden Dritter bei einer künstlichen Befruchtung bedeutet, dem Kind mindestens ein biologisches Elternteil vorzuenthalten. Zudem entstehen bei jeder künstlichen Befruchtung „überzählige“ Embryonen; und schließlich ließe sich darüber streiten, ob nicht sogar das „Wunschkind“, das schließlich als Ergebnis einer aufwändigen Kinderwunschbehandlung zur Welt kommt, letztlich instrumentalisiert wird – insofern, als seine ganze Existenzberechtigung darin liegt, den Kinderwunsch seiner (sozialen) Eltern zu erfüllen. So urteilt die Journalistin und Autorin Eva Maria Bachinger in ihrem jüngst erschienenen Buch „Kind auf Bestellung“: „Das Recht auf ein Kind ist kein Kampf um ein Menschenrecht, sondern ein Slogan des Konsumdenkens.“

Festzuhalten bliebt, dass die Verheißung, dank des medizinischen Fortschritts könne jeder Mensch frei entscheiden und planen, ob und wann er Kinder haben möchte, letztlich nicht einlösbar ist. Ebenso wie keine Verhütungsmethode hundertprozentig sicher ist, gibt es für keine Methode der Reproduktionsmedizin eine Erfolgsgarantie – ja, die Erfolgsquote ist sogar eher gering: Laut unterschiedlichen Schätzungen liegt die so genannte „Baby-Take-Home-Rate“ bei künstlicher Befruchtung zwischen 10 und 20%. Die Konsequenz daraus kann nun natürlich nicht lauten, die Fortpflanzung „dem Zufall zu überlassen“: Ein dezidierter Kinderwunsch ist grundsätzlich ebenso legitim wie der Wunsch, in einer bestimmten Lebenssituation kein Kind bekommen zu wollen. Darüber, welche Mittel zur Realisierung dieses Wunsches ethisch vertretbar sind und welche nicht, kann und wird es unterschiedliche Auffassungen geben; gläubige Katholiken etwa werden diese Frage von Fall zu Fall anders beantworten als Anhänger eines so genannten „evolutionären Humanismus“. In jedem Fall sollten potentielle Eltern sich jedoch der Tatsache bewusst bleiben, dass die Erfüllung oder Nichterfüllung eines Kinderwunsches sich in letzter Konsequenz der reinen Machbarkeit und Planbarkeit entzieht; was zugleich auch beinhaltet, anzuerkennen, dass Kinder von Anfang an Menschen mit eigenen Rechten sind und nicht das Produkt des Willens ihrer Eltern.


Sonntag, 20. September 2015

Venceremos! - Stehen für das Leben 2015

Gestern war International Talk Like A Pirate Day - arrr! -, aber das war nicht der Grund, weshalb ich diesen Tag seit Wochen, ja seit Monaten mit Spannung und Vorfreude erwartet hatte. Auch die Amtseinführung des neuen Berliner Erzbischofs Heiner Koch war nicht der Grund. Da wäre ich zwar durchaus auch gern hingegangen, aber angesichts der Terminkollision hatte ich mich gar nicht erst um eine Eintrittskarte für die Hedwigskathedrale bemüht. Es wäre wohl auch so schwierig genug geworden, hineinzukommen. Immerhin, als ich, während in der Kathedrale der Festgottesdienst zur Amtseinführung lief, zusammen mit meiner Liebsten einen Twitter-Freund und Bloggerkollegen von der Bahn abholte, konnte ich feststellen, dass der Berliner Hauptbahnhof architektonisch durchaus Ähnlichkeiten mit St. Hedwig hat. 


Unser gemeinsames Ziel war der 11. Marsch für das Leben - für mich persönlich der vierte, für meine Liebste ebenso, allerdings der erste, zu dem wir gemeinsam gingen. Vorher gönnten wir uns noch ein leckeres Kuchenfrühstück - ohne Mampf kein Kampf! 


Meine Liebste ist infolge ihrer zwei Monate zurückliegenden Knöchelverletzung immer noch etwas gehbehindert, deshalb hatten wir uns, da so ein Marsch auf Krücken sicher nicht zu bewältigen gewesen wäre, beim Roten Kreuz einen Rollstuhl geliehen. Vermutlich war dieser der Grund dafür, dass die Ordner uns bei der Kundgebung einen VIP-Platz, ziemlich nah an der Bühne, anwiesen. (Ich will mal, im Interesse christlicher Demut, lieber nicht davon ausgehen, dass meine Prominenz als Blogger dafür verantwortlich war...) 

Die Menschenmenge bei der Kundgebung war schier unüberschaubar. Später hieß es, rund 7.000 Teilnehmer seien beim Marsch für das Leben gewesen. Das ist absoluter Rekord. Die Polizei sprach zwar lediglich von 5.000, aber so viele waren es ja schon im letzten Jahr gewesen, und dieses Mal waren es eindeutig wesentlich mehr. Trotz des parallelen Festakts in der Kathedrale, trotz des durchwachsenen Wetters. 







Dank meines günstigen Platzes bekam ich von den Redebeiträgen der Kundgebung erheblich mehr mit als in den Jahren zuvor. Sehr eindrucksvoll war die Ansprache einer Frau, die abgetrieben und schwer darunter gelitten hatte. Ihre Worte konterkarierten deutlich die unter Lebensschutz-Gegnern verbreitete Auffassung, die Kirche rede Frauen, die abgetrieben haben, Schuldgefühle ein: Im Gegenteil, erklärte sie, habe der christliche Glaube es ihr ermöglicht, mit ihren massiven Schuldgefühlen fertig zu werden - weil sie Gottes Vergebung erfahren habe. Anfangs, sagte sie, habe sie sich schwer damit getan, diese Vergebung anzunehmen: "Ich wollte bestraft werden." 


Neben dem Thema Abtreibung ist seit Jahren auch Sterbehilfe bzw. Euthanasie ein thematischer Schwerpunkt des Marschs für das Leben; dieses Thema gewann diesmal eine besondere Brisanz dadurch, dass im Bundestag derzeit über mehrere Gesetzesentwürfe zur Suizidbeihilfe beraten wird. Hierzu sprach ein Mann im Rollstuhl, der zunächst die Zuhörer fragte: "Leben Sie gern? - Ich auch!", fügte er energisch hinzu; "aber vor 45 Jahren habe ich versucht, meinem Leben ein Ende zu setzen. Seitdem sitze ich im Rollstuhl." Er habe viele Menschen kennen gelernt, die ebenfalls Selbstmordversuche oder zumindest Selbstmordgedanken hinter sich hatten, führte er aus; und ausnahmslos alle, mit denen er gesprochen habe, seien heute froh, noch am Leben zu sein. Die Botschaft war unmissverständlich: Menschen, die nicht mehr leben wollen, soll man dabei helfen, den Mut zum Leben wiederzufinden - und nicht dabei helfen, zu sterben

Martin Lohmann begrüßt die Teilnehmer

Hauptredner bei der Kundgebung war wie gewohnt Martin Lohmann, Vorsitzender des Bundesverbands Lebensrecht. Er richtete herzliche Grüße von Papst Franziskus aus, den er zusammen mit anderen Organisatoren des Marsches vor einigen Wochen in Rom getroffen hatte, und versicherte, Franziskus' emeritierter Vorgänger Benedikt XVI. sei den Teilnehmern des Marsches im Gebet verbunden. Bei der Begrüßung der Teilnehmer hob Lohmann besonders die Anwesenheit syrischer Christen hervor. Interessant, dachte ich in Hinblick auf die Gegendemonstranten, von denen zwar noch nichts zu hören, geschweige denn zu sehen war, von denen man sich aber nach den Erfahrungen der letzten Jahre ja bereits eine gute Vorstellung machen konnte. Die Organisatoren der Proteste gegen den Marsch für das Leben rekrutieren ihre Anhängerschaft üblicherweise in einem Milieu, in dem gleichzeitig auch Motti wie Refugees welcome und Kein Mensch ist illegal! verfochten werden. Da stellt sich nun die Frage: Sind die Refugees aus Sicht dieser Aktivisten immer noch welcome, wenn sie pro-life sind? Diese Frage ist keineswegs banal. Viele, vermutlich die meisten der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und aus Afrika, die derzeit nach Deutschland kommen, sind - ob nun als Christen oder als Muslime - ausgesprochen religiös und nicht selten gerade aus religiösen Gründen geflüchtet. Wie sieht es da bei den radikalen Linken mit der Willkommenskultur aus? Das kann auf mittlere Sicht noch sehr, äh, interessant werden. 

Grußwort von Ulrich Parzany
Inzwischen erschien in sichtlicher Eile Weihbischof Matthias Heinrich, der sich offenbar gerade von der Amtseinführung seines neuen Chefs losgeeist hatte, auf der Kundgebung und kletterte sportlich über die Absperrung. Er hatte allerdings noch etwas Zeit bis zu seinem Grußwort, denn vor ihm war erst einmal der evangelische Prediger Ulrich Parzany dran. Ein Mann, dem man anmerkt, dass er es seit Jahrzehnten gewohnt ist, auf Massenveranstaltungen zu sprechen: Seine Rede war entschieden die kraftvollste und mitreißendste der Kundgebung. Parzany äußerte sich "enttäuscht und auch zornig" darüber, dass die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sich nicht zu einer offiziellen Unterstützung des Marschs für das Leben habe durchringen können; mit Blick auf die zu erwartende Konfrontation mit Gegnern des Marsches zitierte er zwei Bibelstellen: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!" (Römer 12,21) und "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lukas 23,34). 

Grußwort von Weihbischof Mathhias Heinrich

Weihbischof Heinrich stellte sein Grußwort - das er ausdrücklich auch im Namen des neuen Erzbischofs Koch an die Teilnehmer richtete - unter das biblische Motto "Wähle also das Leben" (Deutoronomium 30,19) und erklärte: "Wir gehen auch für den, der das Leben ist: Jesus Christus, den einzigen Herrn über Leben und Tod". Der Schlusssatz seines Grußworts - "Und darum gehe ich heute Ihren Weg mit" - wurde mit lautstarkem Beifall beantwortet. 

Spontanes Grußwort von Weihbischof Andreas Laun (Salzburg)
Auch der Salzburger Weihbischof Andreas Laun kam zu einem kurzen, spontanen Grußwort auf die Bühne; darin erwähnte er, dass er am nächsten Tag (also heute) nach Bratislava weiterreisen werde, um dort am slowakischen Pendant zum Marsch für das Leben teilzunehmen. Seit seiner Ankunft in Berlin sei er mit zwei Taxifahrern ins Gespräch gekommen, einem Muslim und einem Atheisten; und beide hätten sich auf die Mitteilung hin, er wolle zum Marsch für das Leben, als entschiedene Abtreibungsgegner zu erkennen gegeben. Der Einsatz für das Lebensrecht der Ungeborenen, so folgerte Weihbischof Laun, sei nicht allein ein christliches Anliegen; er entspreche dem natürlichen Recht, das "jedem Menschen ins Herz geschrieben" sei. 

Suchbild mit Weihbischof Thomas Maria Renz (Rottenburg-Stuttgart) und Bischof Rudolf Voderholzer (Regensburg)
Im Publikum wurden außerdem Weihbischof Thomas Maria Renz aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart (der beim Abschlussgottesdienst die Predigt halten sollte) sowie der Bischof von Regensburg, Rudolf Voderholzer, gesichtet. Ein Diözesan- und drei Weihbischöfe der Katholischen Kirche beim Marsch für das Leben: eine sehr beachtliche Bilanz! Ebenfalls mit von der Partie war der Bischof der zur Anglikanischen Kirchengemeinschaft zählenden Reformierten Episkopalkirche Deutschlands, Gerhard Meyer; während des Marschs bekam ich zufällig mit, wie er von einem Polizisten angehalten wurde, der ihn offenbar wegen seiner lila Soutane für einen verkleideten Gegendemonstranten hielt... 

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil
Störungen durch Gegendemonstranten hielten sich im Vergleich zu den Vorjahren anfangs sehr in Grenzen - wie sich später zeigen sollte, lag dies jedoch nur daran, dass die Gegner des Marsches ihre Strategie geändert hatten. Zunächst jedenfalls sah man nur hier und da kleine Grüppchen von meist in schwarze oder graue Hoodies gekleideten jungen Erwachsenen, die dem Demonstrationszug altbekannte Parolen hinterherriefen. Dass diese Parolen mit dem Anliegen des Marsches meist wenig bis nichts zu tun hatten, ist schon vielfach angemerkt worden; eine sehr gute Analyse zu den beliebtesten Schlachtrufen der Gegendemonstranten gibt es hier. Besonders bemerkenswert fand ich einen dicklichen Mann, der einer Familie mit einem kleinen Kind vorwurfsvoll zurief: "Weiß das Kleinkind, wofür Sie hier demonstrieren?" Am liebsten hätte ich geantwortet: "Weißt du es?" Denn dass die Vorstellungen der Gegendemonstranten darüber, mit was für einer Veranstaltung sie es hier zu tun hatten, ziemlich grob verzerrt waren, war ja einigermaßen offensichtlich. Dazu gleich mehr. 




Unter den Linden kam der Marsch ins Stocken. Da ich mich fast am Ende des Zuges befand - ich hatte ja einen Rollstuhl zu schieben -, konnte ich die Ursache dafür nicht sehen, aber es war ja nicht schwer zu erraten: Unsere Gegner hatten eine Sitzblockade gebildet. Der Journalist Thomas Kycia, Korrespondent der polnischsprachigen Sektion von Radio Vatikan und gleichzeitig freier Mitarbeiter des RBB, befand sich wesentlich weiter vorne und twitterte Fotos von der Blockade. Auf einem der Fotos glaubte ich eine der "Türsteherinnen" wiederzuerkennen, die ich wenige Tage zuvor im "Familiengarten" in Kreuzberg getroffen hatte, aber ich könnte mich auch täuschen. Ein Video von der Räumung der Blockade wurde von der deutschsprachigen Abteilung der Catholic News Agency auf Facebook veröffentlicht.
Ich wusste gar nicht, dass der Marsch für das Leben von einer Baufirma gesponsort wird... ;)
Insgesamt über eine Stunde lang war der Marsch für das Leben eher ein Stehen für das Leben. Es ist anzunehmen, dass die (sehr treffend benannte) "What the Fuck?"-Fraktion das als großen Erfolg feiert, aber ich sehe das anders. Meiner Wahrnehmung zufolge machen derartige Aktionen den Marsch für das Leben nur stärker. Und das aus mehreren Gründen. Zum Einen wird dem Marsch dadurch mehr Aufmerksamkeit zuteil - sowohl in seinem Verlauf (man denke nur an die Gäste der Straßencafés und Kunden der Souvenirgeschäfte Unter den Linden, die dieses Jahr mal so richtig viel vom Marsch für das Leben mitbekommen haben) als auch in der medialen Nachbereitung; zum Anderen stärkt es die Solidarität der Teilnehmer untereinander und gibt ihnen Gelegenheit zu beweisen, dass sie sich von der Feindseligkeit um sie herum nicht provozieren lassen. Während von den Straßenrändern mit Trommeln und Trillerpfeifen gelärmt wurde, fingen die Teilnehmer des Marsches an zu singen - zuerst "Großer Gott, wir loben Dich", dann "Lobe den Herrn, meine Seele". Besonders Letzteres wirkte sehr meditativ. Für mich zählte das zu den stärksten Momenten dieses Nachmittags. Ich fühlte mich irgendwie an Peter Ustinov in Quo vadis? erinnert: "Die singen ja! Wieso singen die denn?" 


Der Vergleich mag hoch gegriffen erscheinen, immerhin wurden wir von 900 Polizeibeamten geschützt. Das war aber auch dringend notwendig. Das volle Ausmaß der Feindseligkeit, die unsere Gegner uns entgegen brachten, bekamen wir zu spüren, nachdem der Zug sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. Etwa auf Höhe des Kronprinzenpalais - dort, wo zuvor die Sitzblockade geräumt worden war - empfingen uns hassverzerrte Gesichter und wütende Sprechchöre, die zum Teil unverhohlene Drohungen ausdrückten - etwa: "Kein Vergeben, kein Vergessen - Christen haben Namen und Adressen!" Wenn die Krakeeler allerdings meinten, sie könnten uns damit einschüchtern, dann haben sie etwas Wesentliches nicht einkalkuliert. Christen haben keine Angst. Ein zentraler Satz der christlichen Botschaft lautet "Fürchtet euch nicht". - Gut, zugegeben, Christen sind natürlich auch nur Menschen, und jeder Mensch hat irgendwann mal Angst. Die Konfrontation mit den hasserfüllten Protestierern am Straßenrand wäre theoretisch ein Moment gewesen, der sich dafür angeboten hätte. Aber die anwesenden Christen waren eben für ihren Glauben auf der Straße - und da gilt dann die Zusage Jesu aus Matthäus 5,11f.: "Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden vor euch schon die Propheten verfolgt." 

Ein paar nette Slogans, von der Straße aufgelesen

Dieser nette junge Mann betete, während der Marsch stockte, für die Heilung des Knöchels meiner Liebsten.
Eine ganz andere Frage ist natürlich, woher dieser ganze Hass und Zorn eigentlich kommt. Wenn man bedenkt, dass er sich gegen eine Demonstration richtet, die für das Lebensrecht und die Würde jedes Menschen eintritt, ist das eigentlich kaum zu begreifen. Wenn man sich allerdings anschaut, wie der Marsch für das Leben und dessen Teilnehmer in der Propaganda ihrer Gegner dargestellt werden, dann wundert man sich über gar nichts mehr. Ich habe schon letztes Jahr darüber geschrieben. Liest man beispielsweise den Aufruf des "What the Fuck?"-Bündnisses, dann wird es halbwegs nachvollziehbar, dass jene, die alles glauben, was da behauptet wird, so versessen darauf sind, den Marsch zu stören und zu blockieren. Weil sie nämlich annehmen müssen, einen Haufen frauenhassender, homophober Nazis vor sich zu haben. Schon klar, dass sie die nicht unbehelligt durch Berlins Mitte marschieren lassen wollen. Es bleibt allerdings die Frage, warum diese Fehlwahrnehmung so schwer zu besiegen ist. Es ist ja nicht so, als gäbe es keine durchaus unverdächtigen Quellen, die die Gegendemonstranten eines Besseren belehren könnten. Das Netz gegen Nazis beispielsweise. Da erschien am Tag vor dem Marsch ein Interview mit Juliane Lang vom Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus - die sich zwar insgesamt kritisch bzw. ablehnend zum Marsch für das Leben äußerte und das Familienbild der "Lebensschützer_innen" als rückschrittlich und populistisch bezeichnete, die Veranstalter aber vom Vorwurf des Rechtsextremismus ausdrücklich freisprach. Und während etwa der Humanistische Verband Deutschlands immer gern dabei ist, wenn es gilt, gegen den Marsch für das Leben zu mobilisieren, fand sich heuer ein Vertreter der (diesem dem Namen nach offenbar weltanschaulich verwandten) Humanistischen Alternative Bodensee, der den Marsch entschieden gegen seine Gegner in Schutz nahm.

Natürlich gibt es unter den Gegendemonstranten und -innen auch solche (und vermutlich nicht gerade wenige), denen jenseits aller sonstigen Unterstellungen die Tatsache, dass sich der Marsch für das Leben gegen Abtreibung richtet, bereits voll und ganz ausreicht, ihn bekämpfen zu wollen. Unter den Linden hörte ich den Ausruf einer einzelnen jungen Frau: "Warum kämpft ihr eigentlich so sehr gegen die Rechte Anderer?". Die Frage klang ebenso wütend wie ehrlich. Nur geht sie von falschen Voraussetzungen aus. Der Marsch für das Leben kämpft nicht gegen, sondern für die Rechte Anderer - nämlich solcher, die keine Möglichkeit haben, selbst für ihre Rechte einzutreten. Wozu vor allem ungeborene Kinder gehören. Wenn die Gegendemonstranten darauf pochen, das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper sei ein Menschenrecht, dann haben sie grundsätzlich Recht. Allerdings geht dieses Recht nicht so weit, andere Menschen töten zu dürfen. - Das Problem liegt hier schlicht und ergreifend in der Weigerung, ungeborene Kinder als Menschen anzuerkennen. In einer Online-Diskussion las ich erst kürzlich die Aussage: 
"Das was abgetrieben wird ist eine kleine Zellmasse, ohne Gehirn, Vitalfunktionen oder Wahrnehmung." 
Diese Aussage ist objektiv falsch. Nach geltendem Recht sind Abtreibungen in Deutschland - sofern keine medizinische Indikation vorliegt, die die Frist noch erheblich verlängern würde - bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei möglich. Wer schon einmal Bilder von menschlichen Embryonen in der 12. Woche gesehen hat, wird Mühe haben, zu bestreiten, dass es sich um Menschen handelt. Findet die Abtreibung in einem deutlich früheren Stadium statt, ist die davon betroffene "Zellmasse" zwar rein äußerlich nicht so leicht als Mensch erkennbar, aber das ändert nichts daran, dass es sich um einen lebenden Organismus handelt, der zweifelsfrei der Spezies "Mensch" angehört und nicht Bestandteil des Körpers der schwangeren Frau ist. Wem das noch nicht ausreicht, dem Embryo Menschenrechte zuzuerkennen, der sei auf einen anderen Aspekt der Auseinandersetzung hingewiesen: Während Lebensschützern häufig vorgeworfen wird, sie wollten Abtreibung ohne Ausnahme verbieten, wird auf der Gegenseite regelmäßig die Forderung laut, Abtreibung ohne Ausnahme zu legalisieren. In der Konsequenz hieße das, dass Abtreibungen bis unmittelbar vor der Geburt durchgeführt werden dürften - also auch dann, wenn das Kind bereits außerhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre. Die Vorstellung, dass allein der Zeitpunkt der Geburt darüber entscheidet, ob ein Kind ein vom Willen seiner Mutter unabhängiges Recht auf Leben hat oder nicht, ist so absurd, dass es weh tut - aber in den USA ist das bereits Realität. Da ist es dann gedanklich nur noch ein kleiner Schritt zu der Auffassung eines Peter Singer, es müsse erlaubt sein, Säuglinge auch noch nach der Geburt zu töten. 

-- Dass gerade dort, wo zuvor die Sitzblockade aufgelöst worden war, die Aggressionen besonders hochkochten, hat sicherlich auch seine Gründe. Ich kann mir schon ganz gut das Gejammere in der linksradikalen Szene darüber ausmalen, dass "deutsche Polizisten" - die ja, einem in jenen Kreisen verbreiteten Vers zufolge, sowieso "Gärtner und Floristen" (oder wie ging der Spruch nochmal?) sind - wieder einmal "mit Gewalt" den Lebensschützern den Weg gebahnt haben. Tatsächlich haben die Polizisten aber nur das getan, wofür Polizisten nun mal da sind: den Rechtsstaat verteidigt. Der Versuch, eine genehmigte Demonstration zu blockieren, ist nach § 21 des Versammlungsgesetzes eine Straftat. Nach § 111 des Strafgesetzbuches ist zudem auch der öffentliche Aufruf zu rechtswidrigen Handlungen strafbar. Und jetzt warte ich darauf, dass Katja Kipping verhaftet wird. Ach nee, die genießt als Bundestagsabgeordnete ja Immunität. 

Als wir endlich den Lustgarten erreichten, wo der ökumenische Abschlussgottesdienst stattfand, hatte gerade die Predigt von Weihbischof Renz begonnen. Gleichzeitig begann es kräftig zu regnen. Nach kurzem Bedenken entschieden meine Liebste und ich uns dafür, uns lieber ins Trockene zu flüchten - und etwas zu essen. War doch alles recht anstrengend gewesen. Die Predigt gab's ja zum Glück auch online. 
Abschlussgottesdienst - im Regen.
Wie ich folglich nachlesen konnte, betonte Weihbischof Renz:
"Wenn sich [...] Christen für das Lebensrecht der Ungeborenen und für eine passive Sterbebegleitung alter und kranker Menschen einsetzen, sind sie [...] keine 'selbst ernannten oder sogenannten Lebensschützer', wie sie immer wieder einmal diffamiert werden [...], sondern 'von Gott ernannte Lebensschützer'. Deshalb stehen Christen immer auf der Seite des Lebens und sie stehen immer auf, wo immer dieses Recht auf Leben begrenzt, bestritten oder gar abgesprochen wird, ganz besonders an den 'Rändern', also ganz am Anfang und ganz am Ende des menschlichen Lebens." 
Auf dem Rückweg trafen wir in der S-Bahn zufällig eine ehemalige Arbeitskollegin meiner Liebsten mit ihren Kindern. Mitten im Gespräch fiel der Kollegin auf, dass uns noch die wie Stimmkarten gestalteten Flyer mit der Aufschrift "Ja zum Leben!" (auf der grünen Seite) und "Gegen Abtreibung / Selektion / Euthanasie" (auf der roten Seite) aus den Hemdtaschen herausschauten, und sie fragte uns, ob wir gerade von einer Demo kämen. Wir bejahten, und meine Liebste erzählte in ein paar kurzen Sätzen vom Marsch für das Leben. Eins der Kinder sagte sehr ernst: 
"Abtreibung ist, wenn man sein Baby tötet." 
So schwer ist das also gar nicht zu verstehen.