Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Montag, 6. April 2020

Grüße aus dem Corona-Park #3 (Karwoche)

+++Was bisher geschah+++ 

Eine weitere Woche unter Ausgangsbeschränkung liegt hinter mir, und wieder war ich trotzdem fast jeden Tag ein bisschen draußen (oder sogar jeden Tag, wenn man unser "Gartenzimmer" als "draußen" wertet). Unsere Pfarrkirche ist nach wie vor tagsüber zum persönlichen Gebet und zur stillen Einkehr geöffnet, wie es die unverändert gültige Verordnung des Berliner Senats ja erlaubt und das Erzbistum Berlin es ausdrücklich befürwortet; und zu bestimmten Zeiten wird das Allerheiligste zur Anbetung ausgesetzt. Damit haben wir es hier - das kann gar nicht deutlich genug betont werden - noch besser als viele andere Katholiken an anderen Orten. Gerade weil ich mich ja manches Mal eher ungnädig darüber geäußert habe, wie die Dinge in der örtlichen Gemeinde laufen, ist mir die Feststellung wichtig, dass hier im Rahmen des derzeit Möglichen wirklich das Beste aus der Situation gemacht wird, und das meine ich nicht zuletzt auch als uneingeschränktes Lob für den persönlichen Einsatz unseres Pfarrers. 

Was die angesprochene "Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus in Berlin" übrigens auch ausdrücklich erlaubt, ist die "Ausübung [...] ehrenamtlicher Tätigkeiten, auch an wechselnden Einsatzstellen" (§ 14, Abs. 3 a), und folglich geht auch Foodsharing trotz Corona weiter. Meine Liebste hatte in der zurückliegenden Woche zwei Einsätze, einen in einem Biomarkt und einen in einer Bäckerei, und daraufhin konnten wir einiges an Gemüse, Obst und Brot an Freunde und Bekannte aus Kirchengemeinde und Krabbelgruppe weitergeben. 

Währenddessen hat meine unlängst festgehaltene Absicht, mein Gebetsleben zu intensivieren, in der zurückliegenden Woche immerhin graduelle Fortschritte gemacht; daneben habe ich einen Essay für die Tagespost geschrieben, der wohl am Gründonnerstag erscheinen soll, habe mich intensiv meinem Lektürepensum gewidmet, und in der verbleibenden Zeit male ich mit meiner Tochter Ausmalbücher voll, lese ihr Bilderbücher vor oder schaue mit ihr auf YouTube a-capella-Kinderlieder von "Eddi & Dän" (ehemals "Wise Guys"), "Die Sendung mit dem Elefanten", "Der Bär im großen blauen Haus" oder "Daniel Tiger's Neighborhood" -- letzteres ist zwar englisch, aber ich möchte behaupten, das Wesentliche daran versteht ein Kind auch ohne Sprachkenntnisse. Das Konzept der Sendung, ebenso wie der Großteil der Charaktere, basiert auf dem Klassiker "Mr. Rogers' Neighborhood", einer wohl unerreichten Spitzenleistung in der Geschichte des Kinderfernsehens; erstmals darauf aufmerksam wurde ich jedoch - fast ein Jahr vor der Geburt meiner Tochter - durch einen satirischen Beitrag des Online-Magazins The Federalist über hysterische Reaktionen der Linken auf die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Mysterious Ways, Freunde. 

Am Palmsonntag waren wir morgens in "unserer" Kirche zur Anbetung und schauten uns am späten Nachmittag per Livestream eine Messe aus dem Stift Heiligenkreuz an. Letzteres erwies sich mit Kind als nicht ganz unkompliziert, aber die gestreamte Messe war trotzdem schön, also werden wir während des Triduums voraussichtlich ebenso verfahren. 


+++Zitat der Woche+++ 
"Wir armen Nordländer! Wenn wir einmal den Wein der Freude in vollen Zügen kosten, so steigt er uns in den Kopf, und wir schlafen oder zanken und prügeln uns. Der Römer genießt ihn mit dem täglichen Brote, und je mehr er trinkt, desto besser er ihm schmeckt."  
(Wilhelm Müller: "Rom, Römer und Römerinnen", 15. Brief, 23.08.1818) 


+++Linktipps+++ 

Die sozialen Netzwerke sind derzeit voll mit Klagen von Eltern, die angesichts geschlossener KiTas und Schulen buchstäblich nicht wissen, was sie mit ihren Kindern anfangen sollen. Andrea Tichy, selbst betroffene Mutter, versucht in ihrem Beitrag einen Kontrapunkt zu setzen. Auf mehr oder weniger humoristisch daherkommende Einlassungen nach dem Muster "Am liebsten mag ich meine Familie, wenn ich sie nicht so oft sehe" geht sie dabei gar nicht erst ein, sondern wendet sich explizit an diejenigen Eltern, die sich ernsthaft Sorgen machen, wie sie den Bedürfnissen ihrer Kinder ohne die Hilfe von Institutionen wie KiTa und Schule gerecht werden können. Diesen präsentiert sie eine Fülle von Indizien dafür, dass viel Zeit mit den Eltern und ohne Termindruck für viele Kinder exakt das ist, was sie brauchen und was ihnen in der Vor-Corona-"Normalität" gefehlt hat. So höre man etwa "von therapeutischer Seite", 
"dass Patientinnen mit Babys und Kleinkindern jetzt überrascht feststellen, dass ihre Kinder ausgeglichener werden. Dass zum Beispiel die Schrei- und Schlafstörungen abnehmen, seit die Krippen geschlossen sind. Seit der allgemeine Stress, die durchgetakteten Tage, der Freizeitstress aufgehört haben. Dass viele Babys und Kleinkinder jetzt entspannter sind und die Eltern dadurch auch." 
Weiter berichtet Andrea Tichy von Müttern, die in den Sozialen Medien schreiben "Wir genießen dieses Mehr an Familienzeit"; von Kindern, die morgens erwartungsvoll fragen "Mama, ist heut wieder so ein Urlaubstag? So wie gestern? Mit viel Spielen und nirgends hin müssen?"; und dergleichen Erfahrungsberichte mehr, bis hin zu einem Jungen im Grundschulalter, der in einer Fernsehreportage auf die sichtlich irritierte Frage des Interviewers, ob er "Homeschooling" etwa gut finde, unbefangen antwortet: "Ja, ich finde das sehr gut, am liebsten würde ich das immer so machen!" --- Natürlich ist nicht zu leugnen, dass die Corona-Krise eine Vielzahl sehr ernstzunehmender sozialer, ökonomischer und psychischer Probleme verursacht oder verschärft, und wenn jemand, der mit einer völligen Umwälzung seines gewohnten Tagesablaufs, massiven Verdienstausfällen und womöglich einem drohenden Zusammenbruch seiner gesamten beruflichen Existenz konfrontiert ist, inmitten all dieser Probleme die Notwendigkeit, seine Kinder zu Hause zu betreuen, nur als eine zusätzliche Belastung erlebt, ist es nicht unbedingt hilfreich, dem zu sagen "Aber sieh doch auch mal das Positive!" Das weiß auch Andrea Tichy und betont es mehrfach. Aber vielleicht sollte man - mit Blick auf eine früher oder später zu erwartende "Rückkehr zur Normalität" - die in diesem Artikel zusammengetragenen Beobachtungen zum Anlass nehmen, die in unserer Gesellschaft vorherrschenden Prioritäten zu hinterfragen. Und damit auch die vorherrschenden Vorstellungen darüber, was Kinder brauchen und was gut für sie ist
"Eine glückliche Kindheit entsteht nicht durch möglichst viel Action, Kurse, Attraktionen, Gruppen-Bespaßung oder ständige sogenannte Förderung. Eine glückliche Kindheit haben Kinder meistens genau dann, wenn sie spüren, dass ihre Eltern, die, die ihnen am nächsten und am wichtigsten sind, da sind. Einfach da sind und ihnen zeigen, dass sie sie lieben. Dass sie willkommen sind. Da braucht es dann nicht viel mehr, vor allem für die Kleinsten. So einfach gestrickt sind die Kinder, so genügsam. Und so weise."
Boah, ich wünschte, ich hätte das geschrieben. Und so etwas sage ich nicht oft.

Klar, das ist Satire. Aber der Beitrag wirft eine durchaus ernstzunehmende Frage auf: Was, wenn sich durch die Corona-bedingten Schulschließungen herausstellt, dass ein signifikanter Anteil der Schüler die Schule zum Lernen gar nicht braucht, ja ohne sie sogar besser lernt? (Noch bevor in Deutschland die Schulen geschlossen wurden, schrieb mir eine befreundete Mutter von vier Kindern, ein paar Wochen "Coronaferien" kämen ihr ganz recht, dann könnte sie nämlich endlich mal in Ruhe die Mathe-Probleme eines ihrer Söhne in Angriff nehmen -- die Schule sei da eher kontraproduktiv.) -- Sicherlich: Je nach häuslicher/familiärer Situation der Schüler (worin ich mal alle möglichen sozialen Faktoren nonchalant zusammengefasst wissen möchte) sind die Voraussetzungen für erfolgreiches Zu-Hause-Lernen äußerst unterschiedlich, und wie man hört, ballern manche Lehrer ihre Schüler nach Kräften mit Aufgaben zu, damit sie die Zeit ohne Schule bloß nicht zu sehr genießen; aber man kann wohl doch zumindest davon ausgehen, dass das System "Schule" - besonders wenn die "Rückkehr zur Normalität" nicht schon nach den Osterferien erfolgt, wie es derzeit vielerorts noch in Aussicht gestellt wird - seine Selbstverständlichkeit verlieren dürfte. Und das ist für ein System, das im Wesentlichen davon lebt, für selbstverständlich gehalten zu werden, eine ernstzunehmende Bedrohung. 
Um auch mal wieder über etwas anderes zu reden als immer nur über die Corona-Krise: Dieser Artikel ist schon ein paar Jahre alt, aber ich bin erst jetzt durch einen Link auf Twitter auf ihn aufmerksam geworden und finde ihn ausgesprochen interessant. Es geht, wie man sich wohl schon denken kann, um konkurrierende "Narrative" zur Interpretation des II. Vatikanischen Konzils: Gleich einleitend stellt der Verfasser, ein Dominikanerpater und Hochschullehrer, die wesentlich von Küng und Schillebeeckx geprägte "progressive" Deutungstradition einer von Hans Urs von Balthasar und Joseph Ratzinger begründeten Interpretation gegenüber, die das Konzil in Kontinuität zur lehramtlichen Tradition der Kirche sieht. Okay, das hat man soweit auch schon woanders gehört oder gelesen. Spannend ist allerdings Whites These, die Deutung des Konzils als revolutionärer Bruch mit der Lehrtradition speise sich aus einer an Nietzsche geschulten Hermeneutik des "Willens zur Macht"; was übrigens einschließt - und das erscheint mir besonders interessant -, dass die Anhänger dieser Sichtweise auch die Position ihrer Gegner durch diese hermeneutische Brille betrachten: Nach einer vom Eigeninteresse des jeweiligen Interpreten unabhängigen Wahrheit wird nicht gefragt, es geht nur noch darum, den eigenen Positionen Geltung zu verschaffen. -- Dagegen empfiehlt White, das Konzil statt durch die Augen Nietzsches lieber durch diejenigen John Henry Newmans zu betrachten; dies erscheine umso plausibler, als Newmans Theologie Themen und Tendenzen des II. Vaticanums in einem solchen Maße vorweggenommen bzw. vorgeprägt habe, dass Papst Paul VI. von "Newmans Konzil" gesprochen habe. Vor dem Hintergrund von Newmans Verständnis von Lehrentwicklung, so White, erscheine das II. Vaticanum nicht etwa als Bruch mit der Lehrtradition der Kirche, sondern vielmehr als eine konsequente Fortsetzung von Tridentinum und I. Vaticanum. Ein umfangreicher und für Nichttheologen recht anspruchsvoller, aber allemal sehr lesenswerter Text!


+++Ohrwurm der Woche+++ 

Pearl Jam, "State of Love and Trust", 1992.


Einfach so, ohne Grund. 


+++Aus der Lesehore+++ 
"Aber beide, der Tempel und der Leib Jesu, scheinen mir gemäß einer der möglichen Auslegungen Bild der Kirche zu sein. Sie ist ja 'aus lebendigen Steinen erbaut', 'zu einem geistigen Haus, zu einer heiligen Priesterschaft', 'gebaut auf das Fundament der Apostel und Propheten, der Schlussstein aber ist Christus Jesus selbst'; sie wird 'Tempel' genannt. Es heißt: 'Ihr seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm.' Auch wenn das Gefüge der Steine des Tempels sich aufzulösen scheint und in den Verfolgungen und Bedrängnissen alle Gebeine Christi scheinbar zerstreut werden [...], wird trotz der Verfolgungen durch die, welche die Einheit des Tempels bekämpfen, dieser doch wieder aufgebaut werden, und der Leib wird am dritten Tag auferstehen: nämlich nach dem bevorstehenden Tag des Greuels im Tempel* und dem darauffolgenden Tag der Vollendung**. Der dritte Tag aber wird dann im neuen Himmel und in der neuen Erde seinen Anfang nehmen." 
(Origines, Auslegung des Johannesevangeliums) 
* Vgl. Mk 13,14
** Vgl. 2 Petr 3,3.10.13