Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Samstag, 5. Oktober 2024

Creative Minority Report Nr. 45

Schnallt euch an, Leser: Das neue Wochenbriefing hat es in sich! Obwohl ich – v.a. bedingt durch eine grippeartige Erkältungskrankheit, die mich um die Mitte der Woche herum für ein paar Tage weitgehend außer Gefecht setzte – eigentlich nur am Sonntag und am Montag voll im Einsatz war, hat sich in der zurückliegenden Woche eine solche Menge an "Stoff zum Bloggen" angesammelt, dass ich das gar nicht alles in einem Wochenbriefing unterbringen konnte – sodass ich mich im Prozess des Schreibens dazu entschließen musste, mehrere geplante Unterkapitel aus dieser Creative Minority Report-Folge auszugliedern und zu eigenständigen Artikeln umzugestalten, die ich in den nächsten Tagen erst mal auf Patreon und dann mit dem üblichen zeitlichen Abstand auch hier veröffentlichen werde. Auch ohne diese Extra-Themen bleibt noch mehr als genug zu berichten und zu reflektieren, daher spare ich mir mal weitere Vorbemerkungen! 

Ich weiß, dieses Vorschaubild hatte ich schon ein paarmal. Aber es passt halt immer wieder gut, wie man noch sehen wird. 

Was bisher geschah 

Zunächst muss ich leider zu Protokoll geben, dass wir es am vergangenen Samstag nicht ins Baumhaus geschafft haben; verantwortlich dafür war eine Verkettung ungünstiger Umstände, allerdings glaube ich, ich hätte entschiedener darauf gedrängt, dass wir da hingehen (oder schlimmstenfalls ich alleine), wenn ich mir die Veranstaltungsankündigung auf Facebook im Vorfeld gründlicher durchgelesen hätte. Aus dieser ging nämlich u.a. hervor, dass an diesem Abend das Projekt einer lokalen Gemeinschaftszeitung mit dem doppelsinnigen Arbeitstitel "Wedding Affairs" vorgestellt werden sollte, und das hätte mich ja nun doch sehr interessiert. Aber okay, es wird ja wohl möglich sein, auch noch zu einem späteren Zeitpunkt etwas über dieses Projekt in Erfahrung zu bringen. – Am Sonntag stand ja vormittags die Kinovorstellung an, zu der unser Jüngster Freikarten gewonnen hatte; theoretisch wäre vorher noch Zeit gewesen, mit der ganzen Familie in St. Stephanus Haselhorst in die Messe zu gehen, aber das wurde dadurch erschwert, dass wir zwei Schulfreundinnen unserer Großen ins Kino mitnehmen wollten und uns noch mit deren Eltern koordinieren mussten. Also dachte ich mir, dann gehe ich eben alleine und quasi stellvertretend für die ganze Familie in die Messe. Aus Gründen, auf die ich weiter unten noch eingehen werde, entschied ich mich jedoch spontan, in St. Bernhard Tegel-Süd statt in St. Stephanus Haselhorst in die Messe zu gehen. Darauf, ob das eine gute Entscheidung war, werde ich unter der Überschrift "Die Havel ist nicht der Jordan, aber..." näher eingehen; ich vermute mal, dieser Titel lässt schon erahnen, wie das Urteil ausfallen wird. – 

Nach der Messe ging es, wie erwähnt, mit der Familie plus Freunden ins Kino: "Schule der magischen Tiere 3". Die Filmhandlung verbindet Motive des 3. und des 4. Bandes von Margit Auers erfolgreicher Buchreihe miteinander; ich glaube, man kann sagen, er geht noch erheblich freier mit der Vorlage um als die ersten beiden Filme, aber das tut ihm in dramaturgischer Hinsicht ausgesprochen gut. Im Ganzen gefiel mir der Film deutlich besser, als ich es erwartet hätte, aber eine detaillierte Rezension kann und will ich an dieser Stelle nicht leisten. 

Am Abend ging ich dann mit Zagen und Bangen zum Themengottesdienst "Luftpumpe – Wärmepumpe – Heiliger Geist" in Herz Jesu Tegel – um halb erleichtert, halb enttäuscht festzustellen, dass dieser nicht annähernd so bizarr war, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Man könnte auch sagen, das eigentlich Bizarre an ihm war, dass er sich gar nicht so sehr von den "normalen" Sonntagsmessen des dortigen Pfarrers unterschied. Für einen eigenständigen Blogartikel reicht das nicht, aber einen Abschnitt dieses Wochenbriefings will ich dem Luftpumpengottesdienst dann doch widmen. 

Am Montag wurden bei uns im Haus die Gasthermen gewartet, und ich befürchtete schon, ich würde dadurch Schwierigkeiten bekommen, das Tochterkind zur üblichen Zeit zur Schule zu bringen; aber tatsächlich lief alles ganz unkompliziert ab. Anschließend fragte mich mein Jüngster, ob wir einen Ausflug machen könnten; ich entgegnete, wir hätten gar nicht so viel Zeit – am Nachmittag sollte nämlich "Omatag" sein –, aber er insistierte: "Einen kleinen?" Was wir daraufhin tatsächlich unternahmen, ist unter "Wenn der Vater mit dem Sohne" nachzulesen. Gegen Abend fühlte ich mich plötzlich irgendwie unwohl; genauer gesagt hatte ich das Gefühl, dass ein grippaler Infekt oder etwas in der Größenordnung im Anmarsch war. Meine Kolumne für die diesmal erst am Freitag erscheinende neue Tagespost-Ausgabe bekam ich trotzdem noch rechtzeitig zum Redaktionsschluss fertig, und ich schaffte es auch, am folgenden Tag das Tochterkind zur Schule zu bringen und wieder abzuholen. Dazwischen hing ich ziemlich in den Seilen. Am Mittwoch fühlte ich mich schon wieder gut genug, um am Nachmittag zum JAM mitzukommen, zumal ich mir sagte, ich würde ja wohl übers lange Wochenende noch genug Zeit haben, mich auszukurieren. Um nach dem JAM noch zur Gemeinde auf dem Weg zu einem Vortrag über Sexualaufklärung zu gehen, was ich eigentlich gern getan hätte, war ich dann aber doch noch nicht fit genug. 

Am Donnerstag war bei uns zu Hause erst mal Tag des Deutschen Ausschlafens; nach einem entspannten Frühstück beschäftigte sich das Tochterkind erst einmal mit den Info-Materialien für Kinder, die ich vom Marsch für das Leben mitgebracht hatte (das ist eins der Themen, die ich – unter dem Titel "Grüß Gott, Xaver Wuschelkowsky" – außerhalb dieses Wochenbriefings werde behandeln müssen), dann sahen wir uns auf dem Rechner "Alles steht Kopf 2" an. Auch dazu kann und will ich hier keine vollständige Rezension liefern, aber so viel will ich doch sagen: Den ersten Teil fand (und finde) ich so brillant, dass ich die Befürchtung hatte, die Fortsetzung könne im Vergleich dazu eigentlich nur enttäuschend ausfallen. Das ist aber tatsächlich ganz und gar nicht der Fall. Seht euch den Film an, Freunde. Mit euren Kindern, wenn ihr welche habt; aber wenn ihr keine habt, seht ihn euch trotzdem an. (Es ist allerdings sehr empfehlenswert, den ersten Teil zuerst zu schauen.) 

Was auch noch erwähnt zu werden verdient: Der Langwarder Groden ist zum Naturwunder des Jahres gewählt worden! Mit nur 276 Stimmen Vorsprung vor dem Rochlitzer Berg in Sachsen, wie der NDR berichtet. Da darf ich mir wohl einbilden, ich hätte damit, dass ich auf meinem Blog noch wenige Tage vor dem Ende der Abstimmungsfrist zur Teilnahme aufgerufen habe, einen Beitrag zu diesem Ergebnis geleistet. 

Was ansteht 

Es ist immer noch langes Wochenende; das Freizeit- und Erholungszentrum FEZ (ehemals "Pionierrepublik Ernst Thälmann") in der Wuhlheide feiert 45jähriges Bestehen, da will die Liebste heute und morgen mit den Kindern hin, was mir mal wieder etwas "Zeit für mich" verschafft. Ich hoffe allerdings, dass wir es morgen mal wieder hinkriegen, als ganze Familie in die Sonntagsmesse zu gehen – am wahrscheinlichsten wohl in St. Stephanus Haselhorst. Dann folgt wieder eine "normale" Schul- und Arbeitswoche, von der keine großen Überraschungen zu erwarten sind – aber andererseits: Wären sie zu erwarten, wären es ja auch keine Überraschungen! – Am Freitag steht ein Treffen des KiWoGo-Arbeitskreises an, und zwar vormittags, was bedeutet, dass ich meinen Jüngsten dorthin werde mitnehmen müssen. Bin mal gespannt, wie das wird. Am Nachmittag gibt's dann in Heiligensee eine Puppentheater-Inszenierung von Otfried Preußlers "Räuber Hotzenplotz", ich denke mal, da wollen wir hin. Im Wesentlichen ist der Berichtszeitraum des kommenden Wochenbriefings damit dann auch schon rum, aber ich möchte dennoch schon mal festhalten, dass am Samstag eine gemeinsame Veranstaltung der Initiativen "Deutschland betet Rosenkranz" und "Deutschland dankt Maria" ansteht, die ein vom Apostolischen Nuntius Nikola Eterovič zelebriertes Pontifikalamt in der Kirche St. Clemens am Anhalter Bahnhof und eine Lichterprozession zum Brandenburger Tor umfassen soll; das würde mich schon interessieren, wenn uns nicht kurzfristig etwas anderes dazwischenkommt. 

Die Havel ist nicht der Jordan, aber... 

Aus oben bereits skizzierten Gründen sah ich mich am Sonntagmorgen vor die Aufgabe gestellt, allein in die Messe zu gehen und möglichst gegen 11 Uhr zurück zu sein. Kurzzeitig spielte ich mit dem Gedanken, dann könnte ich ja eigentlich auch gleich in Herz Jesu Tegel in den garstig-grausigen Themengottesdienst gehen, über den ich ja sowieso bloggen wollte (s.u.). Dann dachte ich mir aber, wenn ich das täte, hätte ich im weiteren Verlauf des Tages wohl keine Gelegenheit mehr, in eine anständige Messe zu gehen, und überhaupt sollte ich mir diesen Themengottesdienst wohl besser nicht ohne vorherige geistliche Stärkung antun. Ich machte mich also auf den Weg nach Haselhorst, aber als ich im Bus dorthin den aus Nigeria stammenden Pfarrvikar der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd sah, den ich ja sehr schätze und mag, und folgerte, dass der wohl auf dem Weg nach St. Bernhard in Tegel-Süd sei, um dort die Messe zu halten, sagte ich mir: Dann kann ich eigentlich auch ruhig nach St. Bernhard gehen, das liegt so etwa auf halbem Wege und dann bin ich auch umso schneller wieder zurück. 


Ich sag mal, allein für diesen Lichteffekt über der Kreuzigungsgruppe hat sich der Trip schon gelohnt. 

Obwohl die Kirche St. Bernhard ziemlich nah an meinem Zuhause liegt, gehört sie unter den sieben Kirchen der Pfarrei St. Klara zu denen, in denen ich bisher am seltensten war, und folglich hatte ich auch keine klare Vorstellung davon, wie die Gemeinde da so ist. Zunächst einmal fiel mir auf, wie leer die Kirche war: Grob überschlagen waren wohl 40, maximal 50 Leute da – ob das für eine normale Sonntagsmesse viel oder wenig ist, mag eine Frage des Erwartungshorizonts sein, aber in einer Kirche, in deren Bänken bequem 250, etwas weniger bequem wohl auch 300 Personen Platz hätten, macht das doch einen etwas traurigen Eindruck. Andererseits gehörten zu dieser überschaubaren Schar von Gottesdienstbesuchern mindestens fünf Kinder, was dann ja doch eine ganz gute Quote war. 

Die Lesungstexte dieses Sonntags – 1. Lesung: Numeri 11,25-29 (der Geist Gottes kommt über die 70 Ältesten), 2. Lesung: Jakobus 5,1-6 (Warnung an die hartherzigen Reichen), Evangelium: Markus 9,38-48 (der fremde Wundertäter/Warnung vor der Verführung zum Bösen) – fand ich ausgesprochen interessant, und gerade die auffällige Korrespondenz zwischen der 1. Lesung und dem ersten Teil des Evangeliums (bis V. 41) schien mir exzellente Voraussetzungen für eine spannende Predigt zu bieten. Gerade mit dem Ausspruch Moses aus Numeri 11,29, "Wenn nur das ganze Volk des HERRN zu Propheten würde, wenn nur der HERR seinen Geist auf sie alle legte!", kann ich – "als #BenOpper sowie als jemand, an dem schon gelegentlich mal ein Charismatiker vorbeigelaufen ist", um eine neulich schon mal verwendete Formulierung wieder aufzugreifen – so allerlei anfangen; sollte ich darüber predigen, würde ich wohl einen Bezug zur 9. These des "Mission Manifests" herstellen, in der es heißt: 

"Nirgendwo steht, dass die Mission, die Jesus uns gegeben hat, sich auf Spezialisten, professionelle Verkündiger, Theologen, Kleriker oder Mitglieder von Ordensgemeinschaften beschränkt. Missionarisch zu sein ist der Auftrag Christi an alle Getauften. [...] Mission ist jederzeit und überall. Sie ist die große, oft vergessene Querschnittsaufgabe aller Christen in allen Ländern und Kulturen." 

Von einer Predigt im Rahmen einer Sonntagsmesse in der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd erwartete ich indes, bei aller persönlichen Wertschätzung für den zelebrierenden Pfarrvikar, durchaus keine besonders charismatische und/oder auf Neuevangelisierung ausgerichtete "Message"; trotzdem fand ich die Predigt, die ich dann tatsächlich zu hören bekam, enttäuschend. Praktisch vom ersten Satz an war ich annähernd sicher, dass der Pfarrvikar diese Predigt nicht selbst verfasst, sondern eher im Internet gefunden hat; das habe ich bei ihm schon öfter erlebt, über die Gründe kann man nur spekulieren – dazu vielleicht weiter unten noch etwas mehr. Im vorliegenden Fall kam ich mit ein bisschen Recherche dahinter, dass der Text der Predigt aus mindestens zwei verschiedenen Quellen zusammenmontiert war: Einige Sätze waren wortwörtlich den Auslegungshilfen des Katholischen Bibelwerks e.V. entnommen, umfangreichere Passagen stammen aus einer online veröffentlichten Predigt von P. Pius Kirchgessner OFMCap mit dem Titel "Gottes Heil kennt keine Grenzen". Nun würde ich ja an sich gern annehmen, was ein Kapuzinerpater mit dem Ordensnamen Pius predigt, könne so verkehrt nicht sein, aber diese Annahme erweist sich im vorliegenden Fall als trügerisch. – Vor knapp eineinhalb Jahren schrieb ich in meinem Artikel "Der Geist und die Synodalen" (der übrigens, wie ich finde, bis heute nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, die er verdient) über den Unterschied "zwischen Leuten, die buchstäblich an das Wirken des Heiligen Geistes glauben, und solchen, für die das nur eine bildhafte Umschreibung für eine 'Modernisierung der Kirche von der Basis her' ist"; und das beschreibt ziemlich genau den Unterschied zwischen einer Predigt zu Numeri 11,25-29 und Markus 9,38-41, wie ich sie mir vorgestellt oder gewünscht hätte, und derjenigen von P. Kirchgessner. 

Am deutlichsten wird das allerdings an einigen Stellen, die der Pfarrvikar nicht in seine Predigt in St. Bernhard Tegel-Süd übernahm; in besonderem Maße gilt das für eine Passage, in der P. Kirchgessner darüber spricht, was er an dieser 1. Lesung und diesem Evangelium "äußerst brisant und ganz aktuell" findet: "Wer hat das Charisma dazu, eine Gemeinde zu leiten? Etwa auch Pastoral- und Gemeindereferenten, die das von Amts wegen gar nicht dürfen?" – "Wer ist würdig, die Kommunion zu empfangen? Etwa auch wiederverheiratete Geschiedene, die das Kirchenrecht klipp und klar davon ausschließt?" – "Wer darf die Priesterweihe empfange? Etwa nur Männer, die den Zölibat versprechen? Oder grundsätzlich nur Männer? Oder vielleicht nicht doch auch Frauen, die sich von Gott dazu berufen fühlen [sic!]?" – Ich frage mich bei sowas ja immer, was eigentlich Leute reitet, die Autorität, die die Kirche ihnen verliehen hat – eine andere haben sie schließlich nicht – dazu zu benutzen, genau diese Autorität in Zweifel zu ziehen. Bezeichnend und irgendwie beruhigend ist es jedenfalls, dass der Pfarrvikar genau diese Stellen wegließ

Was übrig blieb, war eine Predigt, mit der es mir so ging, wie es mir mit mittelmäßigen Predigten in landläufigen volkskirchlichen Gemeinden häufig geht: Wenn man sie gewissermaßen von einem Standpunkt der "Hermeneutik der Kontinuität" liest bzw. anhört, d.h. wenn man voraussetzt, sie seien rechtgläubig gemeint, dann kann man vieles daran gut und richtig finden, manches vielleicht als herausfordernd empfinden, aber durchaus auf eine positive, anregende Art; es bleiben aber einzelne Passagen, einzelne Formulierungen, die einem irgendwie sauer aufstoßen, und wenn man es sich doch mal erlaubt, an der Rechtgläubigkeit des Verfassers zu zweifeln, dann erscheinen diese Stellen wie "dogwhistles" in Richtung eines postchristlich-undogmatischen Universalismus (um einmal nicht "Moralistisch-Therapeutischer Deismus" zu sagen). Dass der Pfarrvikar zwar die ausdrücklich gegen das Lehramt der Kirche und das geltende Kirchenrecht gerichteten Passagen seiner Vorlage weggelassen, die "dogwhistles" aber beibehalten hat, wirft natürlich Fragen auf. Dass er sie nicht als solche erkannt haben sollte, möchte ich bei einem promovierten Theologen, der seit 40 Jahren Priester ist und im Übrigen fünf Sprachen beherrscht, eigentlich nicht annehmen. Für wahrscheinlicher halte ich es, dass er auf diese Weise versucht, in der aktuellen innerkirchlichen Konfliktlage (Stichwort: "schmutziges Schisma") einen Mittelweg zu finden. Schließlich muss er – wie zu einem gewissen Grad jeder in der Pfarrseelsorge tätige Geistliche – auf die Befindlichkeiten der Gemeinde Rücksicht nehmen; Fallbeispiele dafür, was passiert, wenn einer das nicht oder nicht in ausreichendem Maße tut, kennt man ja, und tatsächlich hat es offenbar in einem anderen Gemeindeteil der Pfarrei St. Klara bereits Beschwerden über diesen Pfarrvikar gegeben: Aus einem unlängst per Aushang veröffentlichten Gemeinderatsprotokoll geht hervor, es habe deswegen ein "Gespräch" gegeben; über Inhalt und Ergebnis dieses Gesprächs erfährt man da indes nichts. Es liegt auch einigermaßen auf der Hand, dass der Pfarrvikar von seinem vorgesetzten Pfarrer keinen Rückhalt zu erwarten hat: Soviel ich weiß, konnten diese beiden noch nie sonderlich gut miteinander. 

So betrüblich das alles ist, ist es doch zugleich ein Anlass, sich daran zu erinnern, dass auch und gerade Priester, um nicht vom richtigen Weg abzukommen, geistliche Begleitung brauchen – und unser Gebet

Ein paar Beobachtungen aus dieser Sonntagsmesse in St. Bernhard, die für mein Empfinden recht deutlich machen, woher dort der Wind weht, möchte ich noch festhalten: Schon in der Kyrie-Litanei hieß es "Herr Jesus Christus, du Heilsangebot Gottes", und schon da dachte ich: Wo bin ich hier denn hingeraten? Und die Fürbitten waren durchweg von der Art, die ich gern als "Herr, lass uns"-Fürbitten bezeichne und über die ich mich ohne Ende aufregen könnte. Ich meine damit Fürbitten, die offenkundig eigentlich als moralische (und oft, wenn nicht sogar meistens, "politisch-moralische") Appelle an die Gemeinde zu verstehen sind und also nur pro forma so formuliert sind, als wären sie an Gott gerichtet. Auf mich macht diese Praxis, unabhängig vom konkreten Inhalt der jeweiligen Bitten, immer den Eindruck, wer so etwas formuliert, könne Gott ja wohl kaum richtig ernst nehmen

Das Tragikomische an der ganzen Geschichte ist ja nun, dass ich zweifellos eine ganz andere Sonntagsmesse erlebt hätte, wenn ich mit dem Bus einfach ein paar Stationen weiter gefahren wäre, über die Tegeler Brücke nach Haselhorst. Was mich auf den Gedanken gebracht hat, dass das "schmutzige Schisma" anscheinend zumindest hier und da tatsächlich exakt entlang von Stadtbezirks- und Pfarreigrenzen verläuft, und selbst gutwillige Geistliche haben es offenkundig schwer, etwas auszurichten, wenn es sie auf die falsche Seite der Wasserscheide verschlagen hat. – Daraus sollte man nun natürlich nicht den Schluss ziehen, diejenigen Gebiete, in denen der "postchristlich-undogmatische Universalismus" (ich glaube, ich behalte diese ad hoc ersonnene Bezeichnung bei, sie ergibt auch eine schöne Abkürzung, nämlich PUU) die Vorherrschaft innehat, einfach aufzugeben. Aber seine eigene geistliche Nahrung sollte man sich möglichst woanders holen. 

"Mit dem Mikrofon stimmt was nicht." – "Und mit deinem Geiste." 

Der Witz ist bekannt, oder? Ein Priester sagt bei der Begrüßung der Gemeinde am Beginn des Gottesdienstes "Mit dem Mikrofon stimmt was nicht" und die Gemeinde antwortet gewohnheitsmäßig "Und mit deinem Geiste"? – Ich hätte es nicht gewagt, diesen Witz auf den Themengottesdienst "Luftpumpe – Wärmepumpe – Heiliger Geist" in Tegel am vergangenen Sonntag zu beziehen, wenn der Pfarrer es nicht selbst getan hätte. Genauer gesagt, er versuchte diesen Witz bei der Eröffnung des Gottesdienstes nachzuspielen, aber die Gemeinde spielte den ihr zugedachten Part nicht. Das war, gelinde gesagt, nicht das einzige, was am Konzept dieses Gottesdienstes nicht funktionierte

Zumächst mal – ich deutete es oben bereits an – hatte ich mir unter diesem Themengottesdienst etwas viel Spektakuläreres und Bizarreres vorgestellt, so etwas wie ein Gastspiel von Absolventen des Teilhard-de-Chardin-Instituts für experimentelle Pastoralphysik vielleicht. Dass es sich in Wirklichkeit um eine im Großen und Ganzen ziemlich normale Messe handelte, in der sich lediglich in den Begrüßungsworten, dem Tagesgebet, der Predigt und den Fürbitten ein gemeinsamer thematischer Schwerpunkt feststellen ließ (danach ging ich nach Hause, um Abendessen zu kochen, daher kann ich über den weiteren Verlauf der Messe nichts sagen), ließ mir – um mal metaphorisch am Thema des Gottesdienstes dranzubleiben – ziemlich die Luft raus. Erst mal drängte sich mir da der Gedanke auf, es sei schon sehr bezeichnend, dass der Pfarrer von St. Klara, wenn er mal meint, einen originellen Einfall für eine Predigt gefunden zu haben, das dann gleich zum "Themengottesdienst" deklariert und mit bunten Plakaten bewirbt. Aber ganz so war es wohl doch nicht: Wie der Pfarrer gegen Ende der Predigt verriet, sollte es im Anschluss an die Messe im Pfarrsaal eine Einführung in die Funktion einer Wärmepumpe geben – allerdings "keine Verkaufsveranstaltung", wie er sicherheitshalber hinzufügte. – Möglicherweise war das also der eigentliche Ausgangspunkt für die ganze Themengottesdienst-Idee: dass der Pfarrer beim Klimaschutzstammtisch Reinickendorf oder weiß ich wo ein paar Leute kennengelernt hat, die die Idee an ihn herangetragen haben, in der Kirchengemeinde eine Wärmepumpen-Präsentation zu veranstalten, und er hat sich daraufhin gedacht, machen wir doch einen Themengottesdienst dazu. Da möchte man dann ja doch fast dankbar sein, dass die Wärmepumpen-Vorführung nicht direkt in der Heiligen Messe stattfand. 

Schauen wir uns also mal die Predigt an: Die begann damit, dass der Pfarrer ohne Vorwarnung eine Szene aus der TV-Comedy-Show "Switch Reloaded" nachzuspielen versuchte – nämlich eine Szene, in der dem bekannten Wissenschaftsjournalisten Joachim Bublath die Aussage in den Mund gelegt wird, "gottlose Atheisten" würden behaupten, die Welt sei durch einen Urknall entstanden, dabei wisse man doch, "dass unser Herrgott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat". Zu Recht merkte der Pfarrer dazu an, tatsächlich stamme die Urknalltheorie ja gar nicht von "gottlosen Atheisten", sondern im Gegenteil von einem katholischen Priester. Was ja als "Fun Fact" für Kneipendiskussionen durchaus ganz interessant ist und manch einem Hörer der Predigt vielleicht tatsächlich neu war; aber damit war dann auch schon fast ein Drittel der Predigt rum, und man fragte sich: So what? (Nicht genug übrigens, dass der Pfarrer den Aufhänger zu seiner Predigt einer TV-Comedy-Show verdankte: Im Zusammenhang mit dem Stichwort "Urknall" ließ er auch noch eine Randbemerkung zu der Serie "The Big Bang Theory" fallen – da gehe es um "zwei verpeilte Physiker, die sich nun irgendwie in der Welt zurechtfinden mussten" –, und ich dachte mir: Der Typ guckt eindeutig zu viel Fernsehen. Man kann von Glück sagen, dass er, als er am Ende seiner Predigt Werner Heisenberg zitierte, nicht auch noch auf "Breaking Bad" zu sprechen kam...) 

– Aber worauf wollte der Pfarrer mit diesem einleitenden Bublath-Sketch denn nun eigentlich hinaus? Auf eine Distanzierung vom Kreationismus? Nun ja, wohl nicht speziell darauf, aber in einem breiteren Sinne auf die Vereinbarkeit von Glaube und Naturwissenschaft. Wobei ich mich frage: Ist das ein Problem, das heutzutage irgendjemand wirklich hat? Nun ja, vielleicht insofern, als "die Wissenschaft" heutzutage für viele Leute selbst so etwas wie eine Religion ist, wie man an Aussagen wie "Ich glaube an die Wissenschaft" oder an dem Appell, man solle "der Wissenschaft folgen", ablesen kann, die absurderweise ein ausgesprochen unwissenschaftliches Verständnis von "Wissenschaft" erkennen lassen. Darüber könnte man zum Beispiel mal predigen; aber dem Pfarrer von St. Klara ging es natürlich gerade nicht darum, das "Vertrauen in die Wissenschaft" irgendwie kritisch zu hinterfragen. Im Gegenteil. Den Hauptteil seiner Predigt leitete er geradezu mit der Frage "Was wirkt Gottes Geist bei der Erkenntnis der Natur?" ein, den Schlussteil mit der Aussage "Die Naturwissenschaft hilft zu verstehen und anzuwenden und ist nicht unbedingt gottlos; auch da ist oft genug der Heilige Geist am Wirken." Dies klang dann auch in der Einleitung zu den Fürbitten nochmals an: "Herr Jesus Christus, du schenkst uns deinen Heiligen Geist, dass wir die Welt, die Schöpfung verstehen und durchdringen". Ich muss sagen, für mich klingt das alles sehr 60er-Jahre-mäßig. Mit einer Einschränkung: Das Thema Umweltschutz kam in nennenswertem Umfang erst in den 70er Jahren im öffentlichen und auch im innerkirchlichen Diskurs an. Womit wir bei der Wärmepumpe wären: Sinn und Zweck der Wärmepumpen-Präsentation im Anschluss an die Messe, so erläuterte der Pfarrer, solle es sein, 

"dass wir als Christen auch uns damit beschäftigen und vielleicht so ein bisschen begreifen, was eigentlich alles so möglich ist, wo Menschen auch vom Heiligen Geist geleitet wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen, um das fruchtbar zu machen für die Menschen, für die Welt, für unsere Mitverantwortung in der Erhaltung der Schöpfung". 

Alles klar? Klarere Aussagen hatte die Predigt leider nicht zu bieten; auch nicht an der Stelle, an der der Pfarrer die aus den Lesungstexten vom Tage ableitbare Feststellung, der Geist Gottes wirke auch außerhalb der Kirche, auf die Klimaschutzbewegung zu beziehen schien: Wenn es um die Frage gehe "Wie gehen wir mit der Erde, wie gehen wir mit der Schöpfung um", könne "Gottes Geist auch manchmal anderen Menschen sagen, was zu tun ist, die das dann auch einbringen können". Sofern das heißen sollte, die Leute von "Fridays for Future" (die von der "Letzten Generation" wohl eher nicht, die sind dem Pfarrer sicher zu radikal) seien die wahren Propheten, die wahren Charismatiker unserer Zeit, dann deckte sich das zwar durchaus mit früheren Predigt-Aussagen dieses Geistlichen, aber dass er das hier tatsächlich gemeint hat, lässt sich aus dem Wortlaut nicht zwingend belegen. Kurz, der Versuch, diese Predigt zu interpretieren, fühlt sich an, wie Wasser in ein Sieb zu schöpfen. Dabei habe ich mich schon bewusst auf diejenigen Passagen der insgesamt knapp 15 Minuten langen Predigt konzentriert, die noch am ehesten stringent genug schienen, um überhaupt etwas Sinnvolles dazu zu sagen. Darüber, wie der Pfarrer "als passionierter Fahrradfahrer" die Funktion einer Fahrradluftpumpe demonstrierte und daran Analogien zur Wirkung des Heiligen Geistes zu knüpfen versuchte, möchte ich lieber den Mantel des Schweigens breiten. – 

Wenn man diesem Themengottesdienst etwas Positives abgewinnen möchte, dann wäre das wohl der Umstand, dass das Konzept den Pfarrer davon abhielt, mehr als nur beiläufig und oberflächlich auf die Lesungstexte des Tages einzugehen; das wäre vermutlich schlimmer geworden. 

Wenn der Vater mit dem Sohne 

Wie weiter oben schon erwähnt, äußerte mein Jüngster am Montag, nachdem wir seine große Schwester zur Schule gebracht hatten, den Wunsch nach einem Ausflug – wenigstens einem kleinen, da wir für einen größeren nicht genug Zeit hatten. Ich überlegte also, was man da tun könnte, und kam recht spontan auf die Idee, diesen Wunsch meines Sohnes als Gelegenheit zu nutzen, meine Kenntnis der kirchlichen Landschaft im Norden Berlins zu erweitern. Wir fuhren also erst mal mit dem Bus nach Pankow-Niederschönhausen und spazierten dort ein wenig herum, bis wir an der Kirche St. Maria Magdalena ankamen. Von außen sieht diese 1929/30 im expressionistischen Stil erbaute Kirche ja recht imposant aus: 



Hinein kamen wir jedoch nicht: Sämtliche Eingänge waren abgesperrt, und nebenbei bemerkt waren sie auch nicht so wirklich barrierefrei. Ich hätte gern mit meinem Sohn in dieser Kirche eine kleine Lobpreisandacht ("Beten mit Musik") abgehalten oder wenigstens irgendwie gebetet, na ja, schade. Ein paar Dinge, die ich an dieser Kirche besonders interessant finde, möchte ich aber jedenfalls festhalten. Ihr Patrozinium verdankt die Kirche St. Maria Magdalena der Überlegung, "in das Sündenbabel Berlin gehöre eine Kirche, die der großen Büßerin Maria von Magdala geweiht sein müsse" (Quelle: Tante Wikipedia). Der erste Pfarrer (zunächst Kurat) dieser Kirche, Joseph Lenzel, geriet als Nazi-Gegner ins Visier der Gestapo, insbesondere wegen seines Einsatzes für die seelsorgerische Betreuung polnischer Zwangsarbeiter; 1942 wurde er ins KZ Dachau verschleppt, wo er infolge von Misshandlungen noch im selben Jahr im Alter von 52 Jahren starb. Vor "seiner" Kirche erinnert ein Gedenkstein an ihn. 

Nachdem wir hier also vor verschlossenen Türen gestanden hatten, erwog ich, ob wir es in der uns noch verbleibenden Zeit wohl schaffen könnten, noch eine andere Kirche im Bezirk Pankow zu besuchen; aber erst einmal machten wir eine Mittags-Snackpause bei einem REWE-Markt, und bald darauf hielt der Knabe dann Mittagsschlaf. Zuvor hatte er mir noch aus heiterem Himmel mitgeteilt "Das ist so ein Ausflug, wie ich ihn mir gewünscht habe" – worüber ich natürlich sehr erfreut war. Als ich später am Nachmittag der anderen Hälfte der Familie davon erzählte, sagte meine Tochter, sie würde gern auch mal zu so einem Ausflug mitkommen, vorzugsweise an einem Tag, an dem sie keine Schule habe. Das sagte ich ihr gern zu. 


Geistlicher Impuls der Woche 

Zufällig fielen meine Augen auf das zwölfte und dreizehnte Kapitel des ersten Korintherbriefes. Im ersteren las ich, dass nicht alle zugleich Apostel, Propheten und Lehrer sein können, dass die Kirche aus verschiedenartigen Gliedern besteht und dass das Auge nicht zugleich Hand sein kann. Das war eine deutliche Antwort, aber sie konnte mein Verlangen nicht stillen und mir den Frieden nicht bringen. Da fand ich eine Stelle, die mir Erleichterung brachte: "Strebt nach den höheren Gnadengaben! Ich zeige euch jetzt noch einen anderen Weg, einen, der alle übersteigt" (1 Kor 12,31). Der Apostel gibt zu bedenken, dass die höheren Geistesgaben nichts sind ohne die Liebe und dass diese Liebe vorzüglicher ist; denn sie ist der Weg, der sicher zu Gott führt. Nun endlich hatte ich Ruhe gefunden. 

(Thérèse von Lisieux, Selbstbiographie) 


Ohrwurm der Woche 

Kris Kristofferson: The Law is for Protection of the People 

Am vorigen Samstag ist Kris Kristofferson im doch recht stolzen Alter von 88 Jahren verstorben. Aus diesem Anlass hätte ich in der Rubrik "Ohrwurm der Woche" eigentlich gern den Song "To Beat the Devil" von seinem Debütalbum "Kristofferson" (1970) gepostet, samt der Geschichte, wie ich dazu gekommen bin, mir diese Scheibe zu kaufen; allerdings habe ich genau das bereits vor gut drei Jahren in den Ansichten aus Wolkenkuckucksheim Nr. 11 getan, daher habe ich mich diesmal für das auf derselben Platte enthaltene Stück "The Law is for Protection of the People" entschieden. Unter anderem auch deshalb, weil in der dritten Strophe von Jesus die Rede ist. Wobei ich durchaus einkalkuliere, dass die Art und Weise, wie da von Jesus die Rede ist, bei manchen meiner Leser mindestens ein Kopfschütteln oder Stirnrunzeln auslösen dürfte. "Das ist doch genau das, was einem diese links-grünen Kuschelchristen immer aufs Brot schmieren", mag mancher sagen. "Jesus, der Freund von Zöllnern und Dirnen. Der Seine Jünger am Sabbat Ähren abreißen ließ. Der für die politischen und die religiösen Autoritäten seiner Zeit ein Taugenichts und Störenfried war. Einer, bei dem viele gutbürgerliche Konservative, die sich heute für besonders gute Christen halten, auch 'Kreuzige ihn!' geschrien hätten, wenn sie damals dabei gewesen wären." Wozu ich nur sagen kann: Tja. Dass die falschen Leute das sagen und daraus falsche Schlüsse ziehen bzw. es fälschlich als Argument für falsche Forderungen verwenden, ändert ja nichts daran, dass da trotzdem irgendwo was Wahres dran ist. #Sorrynotsorry, Freunde. 


Dienstag, 1. Oktober 2024

Camino de Willehado 2024 – Tourist Edition

Peinlich, peinlich: Nun ist schon der Herbst ins Land gezogen, und erst jetzt komme ich dazu, den längst angekündigten Rückblick auf die (mehr oder weniger) touristischen Aspekte unseres diesjährigen Sommerurlaubs zu bloggen. Aber besser spät als nie, wie man so sagt; und wenn dieser Artikel den einen oder anderen Leser auf den Geschmack bringt, auch mal Urlaub in Butjadingen zu machen, dann kann man wohl mit einiger Zuversicht sagen: Der nächste Sommer kommt bestimmt. 


In meinen direkt aus dem Urlaub heraus geposteten Wochenbriefings Creative Minority Report Nr. 41 und 42 hatte ich ja bereits über den Besuch der Moorseer Mühle, den "Hafentag" in Fedderwardersiel und das Nordenhamer Stadtfest berichtet; das erste Programmhighlight unseres Urlaubs, auf das ich dort noch nicht näher eingegangen bin, war eine "Piratenfahrt" mit dem Ausflugsschiff WEGA II ab Fedderwardersiel – das war am Samstag, dem 10. August. Die WEGA II, Baujahr 1986, ist eine Fedderwardersieler Institution; in den letzten Jahren war mehrfach und aus verschiedenen Gründen die Rede davon, dass das Schiff aus dem Verkehr gezogen werden sollte, und jedesmal hagelte es Proteste. Ich erinnere mich, als Kind sogar mal mit der WEGA I gefahren zu sein – das war ein derart spilleriger Kahn, dass uns das Nachfolgemodell damals im direkten Vergleich geradezu luxuriös vorkam. So oder so, eine Ausflugsfahrt auf die offene See hinaus ist allemal eine Attraktion. Ich kann nur sagen, die Begeisterung unserer Kinder kannte keine Grenzen, und zwar auch schon bevor das Schiff überhaupt abgelegt hatte. 



Bei der "Piratenfahrt" trugen die Besatzungsmitglieder Piratenkostüme, und die teilnehmenden Kinder sollten mit Hilfe eines Rätsels und einer Seekarte selbst das Ziel der Fahrt ermitteln, an dem es vorgeblich einen Schatz zu heben gab. Dort angekommen, wurde tatsächlich eine in ein Fischernetz gehüllte Holzkiste aus dem Wasser gezogen, die "Goldmünzen" enthielt, von denen jedes Kind eine erhielt (unser Jüngster schaffte es irgendwie, sogar zwei zu bekommen). Auf der Rückfahrt wurde den Kindern als "Mutprobe" ein kleines Gläschen mit einem tiefrot eingefärbten Getränk serviert, das angeblich "Haifischblut" sein sollte; für die Erwachsenen gab's nix. 



Kurz gesagt, für die Kinder war diese "Piratenfahrt" ein unvergessliches Erlebnis; aus Elternsicht muss man allerdings anmerken, dass eine Fahrt mit einem Schiff voller super-aufgeregter Kinder kaum weniger stressig ist als eine Fahrt mit einem Schiff voller besoffener Erwachsener. Erwähnt sei auch noch, dass so eine Bootsfahrt ein hohes Sonnenbrandrisiko birgt, denn auf See gibt es natürlich nirgendwo Schatten. Wer hätte aber auch geahnt, dass es in Butjadingen mal so sonnig wird? 

Tags darauf, am Sonntag, war nicht nur der letzte Tag des Nordenhamer Stadtfests, sondern parallel dazu fand auch ein "Mühlenfest" in Moorsee statt, und eigentlich wären wir da gern auch noch hingegangen, aber nachdem wir einige Stunden beim Stadtfest verbracht hatten, stellten wir fest, dass es keine sinnvolle Busverbindung gab, mit der wir nach Moorsee gekommen wären, ehe das Fest da vorbei war. 

Nachdem wir bis dahin so gut wie jeden Tag volles Programm gehabt hatten, wollten wir die nächsten drei Tage erst mal etwas lockerer und spontaner angehen. Der Montag stand im Zeichen von Nordseelagune und Spielscheune; für beides hatten wir freien Eintritt, bzw. der Eintritt war im Preis für unsere Unterkunft (im Seepark Burhave) inklusive. Im Fall der Nordseelagune hatte dieser freie Eintritt allerdings einen Haken: Schatten kostet extra. Genauer gesagt, Strandkörbe kann man für 9 € pro Tag mieten, nicht wenige sind aber bereits für die ganze Woche oder sogar die gesamte Badesaison reserviert, und im gesamten Kinder-/Nichtschwimmerbereich war kein Strandkorb mehr zu haben. 

Da muss man sich eben zu helfen wissen. 

Insgesamt war es mir auf die Dauer zu heiß (eine im Urlaub in Butjadingen sonst eher untypische Klage) und zu voll in der Nordseelagune, aber als meine Liebste mich überredete, ihr die Beaufsichtigung der Kinder vorübergehend allein zu überlassen und schwimmen zu gehen, genoss ich das doch sehr: Unter freiem Himmel und in echtem Meerwasser zu schwimmen ist eben doch irgendwie geiler als im Hallenbad. 


Die Kinder strotzten derweil so vor Energie, dass ich, nachdem wir aus der Nordseelagune zurück waren, noch für rund drei Stunden mit ihnen in die Spielscheune "musste". Und am nächsten Tag, Dienstag, wollten die Kinder partout nochmals in die Nordseelagune, obwohl es noch heißer war als tags zuvor. Diesmal kam ich aber nicht mit. Am Nachmittag gab es eine Kirchenführung in der St.-Bartholomäus-Kirche in Tossens; auf eine Gelegenheit, diese Kirche zu besichtigen, hatte ich ungelogen schon seit Jahren gewartet, denn sie hat eine kunsthistorisch ausgesprochen interessante Innenausstattung aus dem 17. Jahrhundert. Als Kind war ich mal mit meiner Schulklasse dort gewesen, aber das war nun schon mehr als dreieinhalb Jahrzehnte her und ich erinnerte mich nur noch bruchstückhaft daran. 

Wir fuhren also, nachdem Frau und Kinder genug vom Strandfeeling an der Nordseelagune hatten, alle zusammen mit dem Bus nach Tossens – wo wir fahrplanbedingt viel zu früh ankamen. Da wir jedoch dem Schaukasten der evangelischen Kirchengemeinde entnahmen, dass im Gemeindehaus gerade die Bücherei geöffnet hatte, entschieden wir, dass wir da ja ruhig mal 'reinschauen könnten. Das erwies sich als ausgezeichnete Idee, denn als wir die Bücherei betraten, saßen dort vier oder fünf ältere Frauen und eine Jugendliche bei Kaffee und Kuchen zusammen und luden uns herzlich ein, uns zu ihnen zu gesellen. Dorfleben von seiner besten Seite, sach ich ma'. Wie sich zeigte, kannte ich die Büchereileiterin von früher (auch wenn wir uns gegenseitig nicht gleich erkannten): Ich bin mal zwei Jahre lang, von 1986-88, in Tossens zur Schule gegangen, und da war diese Dame Lehrerin, und ihr Mann war mein Klassenlehrer. 



Wir unterhielten uns so gut, dass wir zur Kirchenführung beinahe zu spät gekommen wären. Die Führung war dann aber ausgesprochen interessant; sie konzentrierte sich vorrangig auf den Hochaltar, der ebenso wie der Taufsteindeckel und der Schalldeckel der Kanzel von dem Hamburger Drechslermeister Ludwig Münstermann (ca. 1575-1637) geschaffen wurde. Dieser war von dem von 1603-1667 regierenden Grafen Anton Günther von Oldenburg beauftragt worden, die in der Reformationszeit ihrer Kunstschätze beraubten und seither sehr kargen Kirchen seines Landes von neuem künstlerisch auszugestalten. 




Während unser Jüngster während der Führung einschlief, war die Große recht gut bei der Sache und wurde von der Gästeführerin, die sich offenbar über die Teilnahme eines Kindes freute, auch aktiv einbezogen, etwa in dem sie eine Reihe von "Quizfragen" zur biblischen Geschichte an sie richtete – die sie zum Teil auch korrekt beantworten konnte. Insgesamt fand ich es auffällig, wie viel religiöse Allgemeinbildung die Gästeführerin bei den Teilnehmern der Führung, auch den Erwachsenen, vorauszusetzen schien – Sätze wie "Das wissen Sie ja alle" fielen des öfteren –, aber vermutlich ging sie davon aus, dass Leute, die von diesen Dingen keine Ahnung haben, nicht in ihrem Urlaub zu einer Kirchenführung gehen würden. Was die Dame zum theologischen und kirchengeschichtlichen Kontext der Gestaltung des Hochaltars ausführte – also etwa dazu, wie sich in den verschiedenen Bildwerken und ihrer Anordnung reformatorische Auffassungen ausdrücken – erschien mir teilweise etwas oberflächlich und aus lutherischer Perspektive tendenziös verkürzt, aber gemessen daran, was man von einer ehrenamtlichen Gästeführerin auf'm Dorf realistischerweise erwarten darf, war der Vortrag insgesamt doch sehr gut. 

Ein paar Details möchte ich noch hervorheben, und zwar die beiden freistehenden Altarfiguren betreffend, die Moses und Johannes den Täufer darstellen. In der Gesamtkonzeption des Altars verkörpern sie den Alten und den Neuen Bund, das Gesetz und die Rechtfertigung aus dem Glauben. Wie oben bereits angedeutet, hatte ich ungefähr in der 5. Klasse schon einmal eine Führung in dieser Kirche mitgemacht, die von der Frau des damaligen Pastors, die zugleich auch Religionslehrerin an der Tossenser Schule war, geleitet wurde. Mich hatte damals besonders interessiert, warum Moses Hörner hat, und diese Frage konnte die Pastorenfrau und Religionslehrerin nicht befriedigend beantworten. Die ehrenamtliche Gästeführerin konnte es. Was andererseits die Figur Johannes des Täufers betraf, wies die Gästeführerin darauf hin, dass sie eine Bibel trage und einen Finger zwischen den Seiten habe. Damit solle das Ende des Alten und der Beginn des Neuen Testamentes markiert sein. – 



Was mir dazu einfiel: Erinnert sich noch jemand an den Playmobil-Luther, der zum Reformationsjubiläum herauskam? Der eine aufgeschlagene Bibel in der Hand hielt, auf deren Seiten "Altes Testament Ende" zu lesen war? Und an die Kritik, die das hervorrief: Das sei antijudaistisch, weil es impliziere, dass der Alte Bund verworfen und überholt sei? Da wurde seinerzeit beteuert, so sei das ja nicht gemeint, aber offensichtlich ist es doch so gemeint. Wofür natürlich Playmobil nichts kann: Das ist einfach eine Darstellungskonvention bei Lutherstatuen. 

Als wir aus Tossens zurück waren, gingen wir mit den Kindern noch eine Stunde in die Spielscheune, also bis zur Schließzeit. 

Tags darauf, am Mittwoch, fuhren wir nach Iggewarden zum Grillbüffet. Dazu mal nur so viel: Wer in Butjadingen Urlaub macht und nicht wenigstens einmal zum Grillbüffet auf Hof Iggewarden geht, der ist selber schuld. Das Essen ist exzellent und darf im Verhältnis zu Qualität und Auswahl ziemlich preiswert genannt werden, und außerdem ist der Erlebnisfaktor nicht zu verachten: Es ist einfach toll, mit anderen Familien auf der Veranda zu sitzen, mit Blick auf die weite Landschaft, und Hofbesitzer Reinhard Evers geht mit dem Tablett von Tisch zu Tisch und preist Spezialitäten aus seinem Smoker an. 





Die Kinder begeisterten sich nicht so fürs Essen, aber sie fanden's trotzdem toll auf Hof Iggewarden, vor allem dank der Schafe, Hängebauchschweine, Hühner und Kaninchen, die sie dort anschauen und zum Teil auch streicheln konnten. Dabei ließen sie sich auch von einem aggressiven Schafbock, dem sie den Spitznamen "Gemeinhorn" gaben, nicht einschüchtern. 

Hinweisen möchte ich übrigens noch auf die Aktion "Naturwunder des Jahres" der Heinz-Sielmann-Stiftung, bei der in diesem Jahr der Langwarder Groden in die Endauswahl gekommen ist: 

"Als Teil des Nationalpark niedersächsisches Wattenmeer wurde der Langwarder Groden vor 10 Jahren renaturiert und wieder dem Einfluss der Gezeiten ausgesetzt. So entstanden Salzwiesen und Wattflächen. Der neu entstandene Lebensraum bietet Platz für bedrohte und geschützte Arten. Vögel, wie Rotschenkel und Säbelschnäbler brüten und rasten in den Salzwiesen und suchen im Watt nach Nahrung." 

Zur Abstimmung über das "Naturwunder des Jahres" geht's hier. Hofbesitzer Reinhard Evers meint: "Wenn nur die Einheimischen abstimmen, haben wir keine Chance, dafür gibt es hier zu wenig Leute." Also verbreitet diesen Aufruf gern weiter, Leser! Die Abstimmung läuft noch bis zum 3. Oktober, somit wurde es wirklich höchste Zeit, dass ich das hier poste... 

Am Donnerstag, dem 15. August, war Mariä Himmelfahrt; was wir da machten, habe ich bereits ausführlich geschildert. Der Freitag – unser letzter "ganzer" Tag in Butjadingen, ehe wir zu unserem nächsten Urlaubsziel weiterreisten – war der erste und somit einzige echte Schlechtwettertag während unseres Aufenthalts: Von morgens bis in den Nachmittag hinein wechselte sich Nieselregen mit kräftigeren Regenschauern ab; auf die eigentlich für diesen Tag geplante Wattwanderung verzichteten wir da lieber. Worauf unsere Sechsjährige hingegen nicht verzichten wollte, war, ein Fahrrad zu leihen und damit Fahrradfahren zu üben. Da ich merkte, dass es sie stresste, auf dem schmalen Gehweg neben der Straße her fahren zu müssen, lotste ich sie zu einem verkehrsberuhigten Bereich (vulgo "Spielstraße"), wo sie nach Herzenslust die ganze Breite der Straße ausnutzen konnte; und das klappte prima. Gerade wenn ich an meine ersten Fahrradfahrversuche in ihrem Alter zurückdenke, muss ich sagen, ich bin wirklich stolz auf meine Tochter. Gegen Mittag wollte ich ihr zur Belohnung eine Portion Pommes spendieren, aber das Bistro neben der Tankstelle, das wir zu diesem Zweck ansteuerten, ist inzwischen eine Raucherkneipe. 

Sachen gibt's... 

Wir trafen uns also erst mal mit meiner Liebsten und unserem Jüngsten wieder, die inzwischen in der Spielscheune gewesen waren, und aßen bei der Fischbude am Deich. Danach gingen wir nochmals für ein paar Stunden in die Spielscheune – wo es sehr voll war, weil man bei diesem Wetter eben nicht viel anderes machen konnte. Am späteren Nachmittag wollten wir eigentlich im Indianerdorf hinter der Spielscheune zur Goldsuche, aber die fiel "[a]ufgrund der aktuellen Wetterlage" aus – dabei hatte der Regen inzwischen aufgehört. Also gingen wir über den Deich und schauten uns ein paar schöne Sandskulpturen an. 



Am nächsten Tag reisten wir dann weiter zum Reiterhof "Kleine Mücke" in Tannenhausen bei Aurich, wo wir die zweite Hälfte unseres diesjährigen Sommerurlaubs verbrachten. Wenn man unsere Tochter fragt, was für sie das Schönste an diesen Ferien war, antwortet sie ohne Zögern "Reiten"! Viel anderes als das kann man in Tannenhausen allerdings zugegebenermaßen auch nicht machen. Okay, es gibt dort einen schönen Badesee, an dem es mir persönlich besser gefallen hat als an der Burhaver Nordseelagune; allerdings ist in Ostfriesland ab Mitte August schon Herbst, wir hatten also nur an wenigen Tagen unseres Aufenthalts eingermaßen passables Badewetter. Auch immer einen Besuch wert ist das (teilweise rekonstruierte) Steinzeitgrab in Tannenhausen. Einmal fuhren wir mit dem Bus nach Aurich rein, wo die Kinder viel Spaß auf dem "Häuptlingsspielplatz" hatten, und einmal holten meine Schwester und mein Schwager uns mit dem Auto ab und fuhren mit uns zur Klosterstätte Ihlow. Diese Sehenswürdigkeit ist so interessant, dass ich denke, sie verdient einen eigenständigen Artikel – wenn ich mal dazu komme... 


Samstag, 28. September 2024

Creative Minority Report Nr. 44

Schon wieder eine Woche rum! Manchmal, o Leser, geht es mir wie dem Protagonisten des Romans "Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman" von Lawrence Sterne, dem bei dem Versuch, seine Autobiographie zu schreiben, der Stoßseufzer entfährt: "The more I write, the more I shall have to write!" Die Liste der Themen, die ich außerhalb der Wochenbriefing-Reihe werde abarbeiten müssen, ist jedenfalls nicht kürzer geworden; aber konzentrieren wir uns trotzdem erst mal auf das, was in der zurückliegenden Woche so los war... 

Ein Blick aufs Fensterbrett bei der "Rumpelberggruppe" 


Was bisher geschah

Am vergangenen Samstag war Marsch für das Lebendarüber habe ich ja bereits berichtet. Am Sonntag stand in St. Joseph Siemensstadt der erste Kinderwortgottesdienst der neuen Saison an – den ich im Vorfeld als "spektakulär unvorbereitet" bezeichnet hatte, was sich jedoch nur darauf bezog, dass ich kurzfristig verhindert gewesen war, am Vorbereitungstreffen teilzunehmen. Wie's tatsächlich gelaufen ist, erfährst du weiter unten in der Rubrik "Schwarzer Gürtel in KiWoGo", Leser. – Darauf, was ich im Laufe der Schul- und Arbeitswoche so alles mit unserem Jüngsten unternommen habe, komme ich unter "Wenn der Vater mit dem Sohne" zu sprechen; am Mittwoch waren wir wieder beim JAM, worüber es diesmal aber nicht viel zu berichten gibt, weil ich weder zur Kinderkatechese noch zum Elterncafé ging, sondern stattdessen im Foyer saß und meinen Bericht über den Marsch für das Leben fertigstellte. Am Donnerstag war an der Schule des Tochterkindes Tag der offenen Tür; da gingen wir hin, um interessierten Eltern von den Erfahrungen zu berichten, die wir aus der Elternperspektive mit dieser Schule gemacht haben. Wir hatten auch tatsächlich ein paar ganz gute Gespräche, und währenddessen saßen unsere Kinder – beide! – zusammen mit einer der besten Freundinnen unserer Großen ruhig und friedlich in einem der Lernangebotsräume und beschäftigten sich fast drei Stunden lang selbständig und bemerkenswert konzentriert mit den Lernmaterialien für den Grundschulbereich. Im Grunde war das der beste Beweis dafür, dass ein auf selbstorganisiertes Lernen und Eigenmotivation ausgerichtetes Schulkonzept tatsächlich funktionieren kann (woran einige Leute, die ich kenne, erhebliche Zweifel haben). So richtig ging mir das Herz auf, als ich zwischendrin mal bei den Kindern nach dem Rechten schaute und meine Tochter mir sehr ernst erklärte: "Wenn Leute reinkommen und was wissen wollen, erklären wir ihnen alles. Und wenn keiner reinkommt, hab ich Zeit, Gedichte zu schreiben."


Was ansteht

Ob wir heute Abend bei der Community Networking Night im Baumhaus sein werden, die zum ersten Mal nach der Sommerpause stattfindet, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest; ich hoffe es aber. Am morgigen Sonntag werden wir wohl früh in St. Stephanus Haselhorst in die Messe gehen "müssen", da wir für den späteren Vormittag Kinokarten haben (Näheres hierzu unter "Wenn der Vater mit dem Sohne"); aber ich spiele mit dem Gedanken, zusätzlich die Abendmesse in Herz Jesu Tegel zu besuchen – denn da soll es einen Themengottesdienst unter dem Motto "Luftpumpe – Wärmepumpe – Heiliger Geist" geben, und seit ich das gelesen habe, spüre ich, wie die Faszination des Grauens mich mächtig anzieht. Um "Kirche und Technik" soll es da laut Ankündigung gehen, "mit praktischen Anwendungen"; was natürlich Fragen aufwirft, und zwar allen voran die Frage "Weh Tee Eff?". Dies umso mehr, als nicht allein die Abendmesse in Herz Jesu als ein solcher Themengottesdienst gestaltet wird, sondern auch die Morgenmesse am selben Ort sowie dazwischen auch noch die Messe in St. Marien Maternitas Heiligensee; womit sich das Angebot normaler, firlefanzfreier Heiliger Messen in der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd an diesem Sonntag drastisch reduziert. 

Damit niemand denkt, ich hätte mir das ausgedacht.

Kurz und gut, Stoff zum Bloggen wäre da wohl auf jeden Fall drin, aber ich muss mir noch sehr gründlich überlegen, ob ich mir das wirklich antun will. – Am kommenden Mittwoch ist einerseits JAM, andererseits gibt es in der Gemeinde auf dem Weg einen Vortrag zum Thema Sexualaufklärung, und da möchte ich eigentlich sehr gerne hin. Mit ein bisschen Glück müsste sich das eigentlich beides zeitlich unter einen Hut bringen lassen... schauen wir mal. Danach ist jedenfalls langes Wochenende, dank Tag des 3. Oktobers plus Brückentag. Besondere Pläne haben wir für diese Tage noch nicht, aber da wird sich schon noch was ergeben. 

Schwarzer Gürtel in KiWoGo 

Der Einstieg in die neue Kinderwortgottesdienst-Saison gestaltete sich, wie bereits erwähnt, etwas holprig – jedenfalls aus meiner persönlichen Sicht. Drei KiWoGo-Termine waren für den Zeitraum zwischen Sommerferien und Advent angesetzt worden, und der erste davon stand schon am 22. September an. – Man kann finden, "schon" sei ja wohl relativ, immerhin waren die Ferien zu diesem Zeitpunkt schon seit drei Wochen vorbei, da hätte man ja denken können, es gäbe ausreichend Zeit für die Vorbereitung. Tatsächlich stellte es sich jedoch als ausgesprochen schwierig heraus, in diesem Zeitraum einen Termin für ein Vorbereitungstreffen zu finden, und als wir uns endlich auf einen geeinigt hatten, musste ich – wie im vorigen Wochenbriefing geschildert – meine Teilnahme kurzfristig absagen. Hinzu kam, dass das Evangelium dieses 25. Sonntag im Jahreskreis (im Lesejahr B) nicht gerade einfach war; wer am vergangenen Sonntag eine Messe in der ordentlichen Form des Römischen Ritus besucht hat, der wird es ja selbst gehört haben: Es handelte sich um Markus 9,30-37 – eine Perikope, die sich in drei thematische Abschnitte unterteilen lässt: 

a) Jesu Ankündigung Seines Leidens und Sterbens (V. 30-32);
b) der Rangstreit der Jünger (V. 33-35)
c) Jesus stellt ein Kind in ihre Mitte (V. 36f.)

Mein erster Eindruck war, das sei ein bisschen viel Stoff für einen Kinderwortgottesdienst und man sollte sich lieber auf einen Teilaspekt konzentrieren. Nun mag es ja naheliegend erscheinen, sich für eine kindgerechte Präsentation dieses Evangeliums auf das Thema "Jesus und die Kinder" zu konzentrieren, aber mein Bauchgefühl sagte mir, das sei ein bisschen zu naheliegend und gewissermaßen the easy way out. Zudem gibt die Markus-Perikope zu genau diesem Aspekt gar nicht so viel her, jedenfalls deutlich weniger als die Parallelstellen Matthäus 18,1-5 und Lukas 18,15ff. 

Als ich jedoch mit meiner Liebsten über die Evangelienstelle sprach, hatte sie prompt einen Denkanstoß parat – dazu, warum es so sinnfällig ist, dass Jesus den Rangstreit der Jünger kommentiert, indem Er ein Kind in ihre Mitte stellt: Im Grunde benehmen sich die Jünger wie Kinder. Jesus hat ihnen gerade gesagt, dass Er sterben wird, und sie haben daraufhin nichts Wichtigeres zu tun, als sich zu streiten, wer von ihnen der Größte ist. Das ist ein ähnliches Verhaltensmuster, wie wenn sich Geschwister darüber streiten, wer bei einer Autofahrt am Fenster sitzen darf: Das ist ihnen wichtiger, als wo die Fahrt eigentlich hingeht. Oder: Wer beim Essen den blauen und wer den roten Teller bekommt, ist wichtiger, als was es zu essen gibt. Diese Beispiele spiegeln zwar nicht die Dramatik der vorausgegangenen Ankündigung des Leidens und Sterbens Jesu wider, aber dafür sind sie geeignet, die Kinder bei ihrem eigenen Erfahrungshorizont "abzuholen". 

Diese Idee hätte nun natürlich noch der konkreten Ausgestaltung bedurft, aber ich denke mal, eine solche wäre uns wohl noch eingefallen, wenn das Vorbereitungstreffen wie geplant stattgefunden hätte. Da es dazu aber wie gesagt nicht kam, konzipierte der Gemeindereferent den KiWoGo im Alleingang – damit hat er ja Erfahrung, denn bis zur Gründung des KiWoGo-Arbeitskreises vor gut einem Jahr war er generell allein für dieses Aufgabe zuständig gewesen. Sein Konzept für diesen KiWoGo bestand im Wesentlichen darin, den biblischen Text abschnittsweise vortragen zu lassen (diese Aufgabe fiel mir zu), ihn mit Playmobil-Figuren und bunten Tüchern zu visualisieren und Erläuterungen in den Text einzuschieben. Ich sag mal so: Wenn Kinderwortgottesdienst immer so aussähe, würde es mir recht bald langweilig werden, aber "mal" kann man das ruhig so machen, und in diesem konkreten Fall fand ich es sogar ziemlich gelungen (auch wenn ein gewisses Bedauern darüber, dass wir nicht mit mehr Vorbereitungszeit etwas Originelleres auf die Beine hatten stellen können, schwer abzuschütteln war. Aber die nächste Gelegenheit dazu kommt bestimmt). 

Hat ein bisschen was von "Abbey Road", oder?

Es waren 13 Kinder da, darunter auch einige, die bereits im zurückliegenden Frühjahr Erstkommunion hatten. Dass die "trotzdem" weiterhin zum KiWoGo kommen, ist ja, gemessen am volkskirchlichen Normalzustand, schon mal ein gutes Zeichen. Als ein sehr guter Gestaltungseinfall erwies es sich, dass jedes der Kinder auf seinem Sitzplatz eine "eigene" Playmobil-Figur" vorfand, die sie dem Tableau auf dem Teppich hinzufügen sollten; diese Figuren sollten sozusagen die Jünger Jesu im weiteren Sinne repräsentieren und so deutlich machen, dass noch mehr Leute als bloß "die Zwölf" Jesus nachfolgten. Ich würde sagen, die Idee ist ausbaufähig, denn im vorliegenden Fall spielten diese zusätzlichen Figuren dann weiter keine Rolle mehr (da Jesus sich ja mit dem engsten Kreis seiner Jünger "ins Haus" zurückzieht), aber auch so war es interessant zu beobachten, wie die Kinder sich mit "ihren" Figuren identifizierten und sich dadurch in einem Maße ins Geschehen einbeziehen ließen, wie es sonst gar nicht so leicht zu erreichen ist. 

Geschickt war auch, dass der Gemeindereferent den zentralen Satz der Matthäus-Parallelstelle – "Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen" – in den Markus-Text hineinmontiert hatte und so zum Schluss mit den Kindern darüber reden konnte, welche typischen Eigenschaften oder Verhaltensweisen von Kindern Jesus den Jüngern wohl zur Nachahmung empfehlen wollte und welche eher nicht

Alles in allem darf man den ersten KiWoGo der Saison also wohl als Erfolg bezeichnen; der nächste steht am 3. November an – da geht es um Mk 12,28b–34, "Die Frage nach dem wichtigsten Gebot". Das scheint mir eine Perikope zu sein, bei der man vor allem darauf achten muss, es sich (und den Kindern) nicht zu einfach zu machen... Na, schauen wir mal. 


Wenn der Vater mit dem Sohne 

Am Montag hatte meine Liebste nach dem Unterricht noch Dienstberatung, und ihre Mutter hatte vorgeschlagen, unsere Große, die ja beim letzten regulären "Omatag" nicht dabei gewesen war, von der Schule abzuholen und etwas mit ihr zu unternehmen; also dachte ich mir, ich könnte ja mal wieder mit unserem Jüngsten einen Ausflug ins Berliner Umland unternehmen. Erste Hindernisse stellten sich diesem Vorhaben entgegen, als wir am S-Bahnhof Bornholmer Straße in die S8 Richtung Birkenwerder umsteigen wollten: Die Bahn kam zwar pünktlich, stand dann aber minutenlang am Bahnsteig herum, ohne abzufahren; und kaum war sie dann dich losgefahren, hielt sie auf freier Strecke erneut an. Eine Durchsage informierte die Fahrgäste, die Fahrt werde für wenige Minuten unterbrochen, um einen vorrangigen Zug vorbeizulassen. Als die Fahrt dann weiterging, erfolgte kurz darauf die nächste Durchsage: Wegen einer technischen Untersuchung an einem anderen Fahrzeug sei die Strecke im Bereich Karow gesperrt und diese Fahrt ende daher am Bahnhof Pankow. Na toll. Den unfreiwilligen Zwischenstopp in Pankow nutzte ich, um – auch angesichts der bereits fortgeschrittenen Uhrzeit – umzudisponieren und lieber ein Ziel innerhalb der Stadtgrenzen Berlins für unseren Ausflug zu wählen. Und zwar eins, dass von Bahnhof Pankow nicht mehr allzu weit entfernt war, unter der Voraussetzung natürlich, dass die Bahnen in absehbarer Zeit überhaupt wieder fahren würden. Bei dem Ziel, das mir spontan in den Sinn kam, handelte es sich um das Wagendorf des Vereins Pankgräfin e.V. nahe der Ortsteilgrenze zwischen Karow und Französisch Buchholz. Vor ungefähr zwölf Jahren kannte ich ein paar Leute, die dort wohnten; mindestens einmal habe ich beim Sommerfest des Vereins Platten aufgelegt und hatte einen Lesebühnenauftritt, vielleicht war das auch bei zwei verschiedenen Veranstaltungen, so ganz genau weiß ich das nicht mehr. Auf den Lesebühnenauftritt wurde ich jedenfalls noch Monate später angesprochen, wenn ich in Karow, wo ich damals einen Nebenjob hatte, Leute aus dem Wagendorf an der S-Bahn oder im Supermarkt traf. Das ist nun zwar alles schon ganz schön lange her, aber mein innerer Hippie hat diesem Ort dennoch ein liebevolles Gedächtnis bewahrt, und ich habe in den letzten Jahren schon ein paarmal gedacht, ich würde dieses alternative Wohnprojekt gern mal meinen Kindern zeigen. 

Kurz und gut, nun dachte ich, die Umstände legten es nahe, das Wagendorf immerhin schon mal einem meiner Kinder zu zeigen. Allerdings schlief der Knabe auf dem Weg dorthin im Kinderwagen ein. Immerhin machte ich ein paar schöne Fotos: 




(Weitere Bilder gibt es exklusiv für Abonnenten bei Patreon.)

Wir werden wohl mal wiederkommen müssen. Dann nach Möglichkeit mit der ganzen Familie. 

Schon vor unserem Ausflug waren der Jüngste und ich, auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin übrigens, "Beten mit Musik" in St. Joseph Tegel. Das war sehr schön, aber ich finde, wir sollten mal wieder versuchen, das öfter als einmal in der Woche hinzukriegen. – Am Mittwoch, dem Gedenktag des Hl. Nikolaus von Flüe, gingen wir, nachdem wir die Große zur Schule gebracht hatten, wie so oft in Heiligensee zur Messe, die wieder einmal von Pater Mephisto zelebriert wurde. In seinem Begrüßungsimpuls deutete er behutsam an, dass der "Lebensweg" des Tagesheiligen "vielleicht heute gar nicht mehr so viel Verständnis finden würde". Ich wusste, worauf das abzielte: Kritik daran, dass der "Bruder Klaus" seine Familie im Stich gelassen habe, um Einsiedler zu werden, habe ich schon als Kind von mindestens einer Frau aus meiner damaligen Kirchengemeinde gehört, und beim Gemeindefrühstück im Anschluss an diese Messe wurden dieselben Töne wieder laut. Man könnte hier darauf verweisen, dass Nikolaus von Flüe mit Einverständnis seiner Frau in die Einsiedelei zog und sein ältester Sohn zu diesem Zeitpunkt schon erwachsen war und den Hof und die Rolle des Familienoberhaupts übernehmen konnte; man könnte Matthäus 10,37 zitieren ("Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert"); aber ich glaube, das eigentlich Bezeichnende an solchen Äußerungen – ich erinnere z.B. auch an Pater Brodys Einlassungen zur Hl. Rita und zum Hl. Bonifatius – liegt auf einer grundsätzlicheren Ebene: Es fällt dem heutigen Menschen (und vielleicht nicht nur diesem) offenkundig leichter, die Heiligen zu kritisieren, als sich von ihnen kritisieren zu lassen. Das wäre, o weh, schon wieder ein mögliches Thema für einen eigenständigen Artikel. 

Am Freitag, also gestern, wollte ich mit dem Jüngsten mal wieder zur Eltern-Kind-Gruppe auf dem "Rumpelberg", wie er zu sagen pflegt – d.h. bei der Gemeinde auf dem Weg. Allerdings waren die Kinder an diesem Morgen extrem schwer wach zu kriegen, und als wir dann losgehen wollten, waren die Schuhe des Knaben unauffindbar. Okay, das ist übertrieben formuliert, denn letzten Endes fand ich die Schuhe ja doch; allerdings war es inzwischen absehbar, dass wir keine Chance hatten, nach dem Zur-Schule-Bringen der Großen noch annähernd rechtzeitig zur "Rumpelberggruppe" zu kommen. Nach einigem Abwägen ging ich dann aber doch mit ihm hin, trotz einer soliden halben Stunde Verspätung; und das war auch gut so: Am Abend sagte der Knabe, für ihn sei der Besuch bei der Spielgruppe das Beste am ganzen Tag gewesen. 

Dabei war an diesem Tag durchaus noch mehr los. Erst machten wir einen Spaziergang zum See, aber da war es uns zu windig; pünktlich zum Angelusläuten standen wir dann vor der Tür von Herz Jesu Tegel – vor der Tür wohlgemerkt, denn die war aus ungeklärten Gründen zu. Wohlgemerkt, alle Eingänge der Kirche waren verschlossen, ebenso wie die Tür zur Besuchertoilette samt Babywickeltisch und Büchertauschregal. Möglicherweise war der Grund ganz banal – für das Öffnen und Schließen der Kirche, sofern es nicht an die Gottesdienstzeiten geknüpft ist, sind Ehrenamtliche zuständig, vielleicht war die Person, die am Freitag die Kirche hätte aufschließen sollen, also einfach irgendwie verhindert und es war bis 12 Uhr einfach noch niemandem aufgefallen, jedenfalls niemandem, der diesbezüglich etwas hätte unternehmen können –, aber trotzdem, es kam mir sonderbar vor. Eigentlich hätte ich gern später noch einmal nachgesehen, ob denn die Eucharistische Anbetung (ab 15 Uhr) stattfand, aber aus Gründen, die im Folgenden zu schildern sein werden, kam ich dazu nicht. 

Nachdem wir vor dem verschlossenen Kirchenportal den Angelus gebetet hatten, waren wir erst einmal unschlüssig, was wir jetzt tun sollten; schließlich einigten wir uns darauf, zur Spieleisenbahn in den Hallen am Borsigturm zu gehen. Eine folgenreiche Entscheidung, denn wie sich zeigte, feierte dieses Einkaufszentrum gerade sein 24jähriges Bestehen, und aus diesem Anlass gab es allerlei "Programm": Gewinnspiele, Kinderschminken, einen Bastel-Workshop und so weiter. Es war also absehbar, dass wir von dort so schnell nicht wieder wegkommen würden; daher benachrichtigte ich meine Liebste, die von der Arbeit aus ebenfalls zum Einkaufszentrum kam und mit dem Jüngsten auch dort blieb, als ich los musste, um die Große von der Schule abzuholen. Als ich mit ihr zu den Borsighallen zurückkehrte, spielte dort auf einer kleinen Bühne eine Band, was mich veranlasste, mit meinen Kindern eine flotte Sohle aufs Parkett zu legen (vor allem mit dem Jüngsten, das Tochterkind war da etwas zurückhaltender). Dann ging ich mit der Großen zum Kinderschminken, wo wir ziemlich lange anstehen mussten, und währenddessen gewann der Jüngste bei einem Quizspiel Kinokarten für die ganze Familie. "Schule der magischen Tiere 3", am Sonntag, also morgen. Das ist eine Sondervorstellung, das Kino wird also voll sein mit Kindern, die ihre Tickets bei einem Gewinnspiel im Rahmen dieses Einkaufszentrums-Jubiläums gewonnen haben. Das kann ja heiter werden... 


Geistlicher Impuls der Woche 

Man findet das Alter des Baumes an dem abgesägten Stamm, indem jedes Jahr ein neuer Ring sich um den Stamm ansetzt; so viele Ringe daher gezählt werden können von der Mitte des Baumes bis zur Rinde, so viele Jahre hat er schon gestanden. Man kann an der verschiedenen Breite der Ringe zugleich bemerken, wie die einzelnen Jahre gewesen sind, nass oder trocken, ob viel Sturm und von welcher Seite er den Baum betroffen, ob der Baum frei der austrocknenden Sonne ausgesetzt war oder im kühlen schattigen Waldesschoß aufgewachsen ist, und solches kann man sehen bis auf mehrere Jahrhunderte zurück, wenn der Baum sehr alt ist. Wie nun zuletzt der ganze Baum aus solchen Jahresringen zusammengesetzt und wie gleichsam sein ganzes Schicksal während der verschiedenen Jahre eingewachsen ist, so verhält es sich auch mit der menschlichen Seele. Ein jedes Jahr, das wir leben, lässt seine Spuren in der Seele zurück; das Gute, das wir tun, das Böse, das wir in christlichem Geist erdulden, die neuen Erkenntnisse, die wir bekommen, das andächtige Gebet, das wir verrichten, die Versuchung, die wir überwinden, die Selbstverleugnung, die wir uns auflegen: alles dieses prägt sich in die Seele ein und bleibt darin als Errungenschaft hinterlegt. Desgleichen aber auch die Sünde. Wenn das unnütze Wort zur Rechenschaft gezogen wird, das stumme Zürnen des Gerichtes schuldig macht und der unreine Blick vor Gott Ehebruch im Herzen ist, so haben wir uns dies nicht anders zu denken, als dass selbst der Gedanke, die Begierde, das Wort eine Spur in der Seele zurücklässt, die beim Gericht zutage kommt, so dass die Seele in sich selbst alles aufgezeichnet findet, wie die Jahresringe zutage kommen, wenn der Baum abgesägt wird. Die Seele ist zuletzt umkleidet und zusammengesetzt von allen Spuren, die im Erdenleben jedes Jahr und selbst jeder Tag zurückgelassen und darin angelegt hat. 

(Alban Stolz, "Kleinigkeiten") 


Ohrwurm der Woche 

Amy Winehouse: Valerie 


Ich gebe es zu: Zu ihren Lebzeiten bin ich nie ein besonderer Fan von Amy Winehouse gewesen. Ich wusste, glaube ich, bis zu der Nachricht von ihrem Tod gar nicht so genau, wer das ist, und dann stellte ich fest, dass ich einige ihrer Lieder (z.B. "Back to Black", "Rehab" und auch das hier verlinkte) natürlich kannte und auch durchaus mochte, und dachte: Ach so, die ist das. Ich erinnere mich, dass ich angesichts dieser Erkenntnis zunächst sehr überrascht war, denn ich fand, diese Lieder klangen überhaupt nicht danach, als stammten sie von einem aktuellen, besonders bei jungen Mädchen super-populären Popstar. Anders ausgedrückt, ich empfand diesen Musikstil als ganz und gar "aus der Zeit gefallen" – eine Formulierung, die ich normalerweise nicht besonders schätze, aber hier passt sie mal, und anders als andere Leute, die diese Formulierung verwenden, meine ich sie überhaupt nicht abwertend; im Gegenteil. Ich frage mich ja immer, was Leute, die meinen, "nicht zeitgemäß" zu sein wäre etwas Schlechtes, an unserer Zeit eigentlich so toll finden, aber das würde hier jetzt natürlich ein bisschen weit führen. 

Seinen Status als Ohrwurm der Woche verdient der hier ausgewählte Song vorrangig der Tatsache, dass ich ihn innerhalb einer Woche in zwei verschiedenen Live‐Coverversionen gehört habe: einmal bei der Auftaktkundgebung zum diesjährigen Marsch für das Leben (dass das Lied dort gespielt wurde, fand sogar die taz erwähnenswert; und ehrlich gesagt hätte ich ohne die Erwähnung im taz-Artikel nicht einmal gewusst, wie der Song heißt – bei dem Titel "Valerie" denke ich normalerweise an den gleichnamigen, ansonsten aber ganz unähnlichen Song von Steve Winwood...) und dann noch einmal beim Showprogramm zum Jubiläum der Hallen am Borsigturm. Fand ich bemerkenswert.