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Freitag, 16. August 2019

Und hat's dir nicht gefall'n, dann bohr dir doch ein Loch ins Knie

"Seid ihr zum ersten Mal hier?" Das war eine Frage, die einem beim "Forum Altötting" der Gemeinschaft Emmanuel sehr häufig gestellt wurde, zumindest dann, wenn man tatsächlich zum ersten Mal da war und folglich kaum jemanden kannte. Auf eine bejahende Antwort folgte dann meistens die Anschlussfrage: "Und wie seid ihr hergekommen?" In aller Regel war damit nicht gemeint "Mit dem Auto oder mit der Bahn?", sondern "Wie habt ihr überhaupt von der Veranstaltung erfahren?" 

Das fand ich faszinierend. Es handelte sich um eine Veranstaltung mit rd. 1.200 Teilnehmern, die öffentlich beworben worden war und die quasi mitten in der Öffentlichkeit stattfand (soweit das Wetter es zuließ, spielte das Hauptprogramm sich unter freiem Himmel auf dem Kapellplatz im Herzen Altöttings ab), aber trotzdem irgendwie unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung blieb. Soviel zum Thema "Magnus Striet weiß nicht, was Neuevangelisation ist, weil er sie noch nie gesehen hat"

Okay, häretisch.de hat über das Forum Altötting berichtet. Sogar ziemlich positiv. Liegt vermutlich daran, dass eine Praktikantin den Text geschrieben hat. 

Bei meinem Faible fürs Konspirative dauerte es eine Weile, bis mir dämmerte, dass das Prinzip "Hiding in Plain Sight" - will sagen: der Umstand, dass das Forum Altötting trotz seines öffentlichen Charakters letztlich doch eine Insider-Veranstaltung ist - auch seine Schattenseiten hat. Zum Beispiel die Gefahr, im eigenen Saft zu schmoren, wenn die Vernetzung mit Gleich- oder Ähnlichgesinnten außerhalb des eigenen Zirkels fehlt. Zahlreiche Einzelgespräche vermittelten mir den Eindruck, dass ebenso wie kein Uneingeweihter etwas vom Forum Altötting weiß, umgekehrt die Klientel des Forums nicht weiß, was es sonst noch so alles gibt. Dass von den Leuten, mit denen meine Liebste und ich während dieser vier Tage ins Gespräch kamen, fast niemand etwas von der "Benedikt-Option" gehört hatte, mag, so bedauerlich es auch ist, noch verständlich sein; aber die meisten kannten auch das Gebetshaus Augsburg, die MEHR-Konferenz und das Mission Manifest nicht. Nun gut, vielleicht sind diese Initiativen auch schon zu "radikal" für den durschnittlichen Forum-Teilnehmer. Aber dazu später.


Darüber, wie wir denn nun tatsächlich zu dieser Veranstaltung gekommen waren, auch darüber, dass sich uns im Vorfeld einige Hindernisse in den Weg stellten, die uns aber nur umso mehr davon überzeugten, wir müssten da hin, hat meine Liebste ja bereits berichtet; und als wir die Anreise glücklich hinter uns gebracht hatten, war auch erst einmal alles schön. Wir wurden am Bahnhof vom Förster abgeholt und in einer echten Mühle untergebracht; am frühen Nachmittag holten wir uns am Kapellplatz unsere Teilnehmerunterlagen, und meine Liebste führte ein langes und interessiertes Gespräch am Infostand der Missionsgesellschaft Fidesco, während ich die Auslagen des benachbarten Bücherstands studierte (und dabei das Fehlen der "Benedikt-Option" registrierte). Dann suchten wir uns erst einmal ein ruhiges Plätzchen, wo das Kind Mittagsschlaf machen und auch wir uns von der langen und praktisch mitten in der Nacht begonnenen Reise ausruhen konnten, und fanden einen solchen im Garten der "Josefsburg". Auf dem Weg dorthin kamen wir an einer Lourdes-Madonna vorbei und fühlten uns gut behütet. Unsere Tochter heißt schließlich nicht ohne Grund Bernadette.


In einem anderen Teil des Gartens fand einige Zeit später das "Willkommensfest" statt, und das war sehr schön -- nicht nur, weil es Freibier gab. Wir kamen mit vielen netten Leuten ins Gespräch, ein paar (wenige) bekannte Gesichter sahen wir auch, und ich wurde von ein paar Lesern meines Blogs angesprochen, die ich zuvor nicht persönlich gekannt hatte. Das Abendessen war auch sehr okay. Als dann auf der Hauptbühne am Kapellplatz das "Abendprogramm" begann, war ich allerdings bereits todmüde, und das wurde dadurch, dass das Programm zumindest anfangs hauptsächlich aus Grußworten und organisatorischen Ansagen zu bestehen schien, nicht gerade besser. Die Live-Musik von der Bühne riss mich auch nicht unbedingt vom Hocker. Mit den Teilnehmerunterlagen hatten wir ein Liederheft mit etwas über 40 Liedtexten bekommen, es handelte sich ausschließlich um Eigen-Liedgut der Gemeinschaft Emmanuel, und besonders taufrisch schienen die Lieder auch nicht gerade zu sein. Ich sag mal so: Vor knapp 30 Jahren hat mein Bruder in Braunschweig in einem baptistischen Pop-Chor gesungen, und ungefähr so klangen die Lieder hier auch. Ich habe ja schon vor einiger Zeit mal darüber geschrieben, "wie weit das Lobpreis-Genre es in den letzten Jahren gebracht hat"; und das heißt im Umkehrschluss eben auch, dass ältere Lieder dieses Genres vielfach eher nicht so doll sind. Oft sind sie nämlich in ihrem Bemühen, so zu klingen wie "richtige" Rock- und Popmusik, auf eine Weise "halb-erfolgreich", die im Ergebnis klingt wie Will-und-kann-nicht, und dabei dann auch noch so aufdringlich "happy-clappy", dass man sofort denkt: Alles klar, Sektenmusik eben. Zudem haben diese Lieder infolge ihres fortgeschrittenen Alters einen ähnlich peinlichen Effekt wie der Einsatz von NGL in Jugend- und Familiengottesdiensten. Dass das Moderatoren-Duo sich anhörte wie Rudi Carrell und Uschi Glas, rundete den Gesamteindruck sehr effektvoll ab. Ich sag mal so: Wenn die MEHR gewissermaßen das "Rock am Ring" der Neuevangelisations-Szene ist, dann ist das Forum Altötting eher eine Kaffeefahrt mit Verkaufsveranstaltung.


Der zweite Tag des Forums begann - abgesehen vom okayen Frühstück - so, wie der erste geendet hatte: mit uncooler Musik, betulicher Moderation und nicht enden wollenden Orga-Ansagen. Dann folgte laut Programmheft ein sogenannter "Impuls", beigesteuert von einem mittelalten Ehepaar aus Münster. Sollte wohl eine Art Zeugnis sein, aber inhaltlich kann ich nicht viel dazu sagen, da ich nach maximal einem Drittel des Vortrags meine Ohren auf Durchzug schaltete. Was bis dahin bei mir angekommen war, war eine in ihrer Plattheit geradezu unglaubwürdige Ansammlung banal-gefühliger Phrasen. Und just damit gab dieser Impuls leider tatsächlich die Tonart für das weitere Programm des Forums an. 

Dem Programmheft hatten wir entnommen, dass jeder Teilnehmer sich eine von zwölf "Themengruppen" aussuchen sollte; diesen Themengruppen war am Freitag und am Samstag ein recht großer Teil des Tagesprogramms gewidmet, das heißt, sie bildeten insgesamt den Schwerpunkt der "inhaltlichen Beiträge" des Forums (eine bessere Bezeichnung dafür fällt mir gerade nicht ein). Am Abend nach unserer Ankunft hatte ich es noch schwierig gefunden, mich für ein Thema zu entscheiden (was zum Teil, wenn auch nicht in erster Linie, daran lag, dass die TPG nicht MECE waren), und dachte, es würde mir besser gefallen, wenn das Programmangebot so strukturiert wäre wie z.B. bei dem Hausbesetzungs-Workshop-Wochenende, bei dem ich mal war: mit Workshops, die jeweils nur eine halbe Stunde dauerten, dafür aber mehrmals nacheinander stattfanden, sodass jeder Teilnehmer mehrere Workshops in beliebiger Reihenfolge besuchen konnte. Nach dem Morgenimpuls hingegen hatte ich auf überhaupt keine der Themengruppen mehr Lust. Nach einigem Abwägen entschieden meine Liebste und ich uns für die Themengruppe "Abenteuer Alltag". Ich glaube nicht, dass das ein Fehler war. Damit meine ich: Ich glaube nicht, dass eine der anderen Themengruppen, die wir in der engeren Auswahl gehabt hatten, weniger doof gewesen wäre. 

"Wie verbindet man [...] Karriereplanung, Familienmanagement, Freunde, Hobbies, Weltpolitik, Sehnsucht nach erfülltem Leben? Den Alltag zu bestehen gehört wohl zu den großen Abenteuern des Lebens", hieß es in der Themengruppenbeschreibung im Programmheft. Na ja. Es hätte mir zu denken geben können, dass in dieser Aufzählung von Prioritäten im Alltag so gar nichts explizit Religiöses vorkam, aber... Na ja. Der erste der drei Programmblöcke der Themengruppe begann wieder mit jeder Menge substanzlosem Gelaber; schon einigermaßen paradox, wenn jemand einen Vortrag über Zeitmanagement hält und dabei ewig nicht auf den Punkt kommt. Kernstück dieser gut einstündigen Sitzung war dann das bekannte Modell-Experiment zum Thema "Lege die großen Steine zuerst in den Topf". Davon kursieren ja allerlei verschiedene Varianten, und obwohl das Referenten-Duo die Version wählte, in der am Ende noch Bier in den Topf geschüttet wird, schafften sie es mit ihrer bieder-betulichen Art, die Pointe zu vergeigen. (Mein persönliches Highlight des Vormittags war es an dieser Stelle, dass meine kleine Tochter die Bühne erklomm und auch Steine in den Topf tun wollte; aber das nur nebenbei.) Gravierender als die schwache Performance der Referenten fand ich jedoch die inhaltliche Schwerpunktsetzung. Eine Variante der "Lege die großen Steine zuerst in den Topf"-Geschichte ist ja sogar in dem Buch "Gott oder nichts" von Kardinal Sarah enthalten, und dort wird sehr deutlich betont, dass es nicht einfach nur um Zeitmanagement geht, sondern um Prioritäten. "Das Gebet muss tatsächlich der große Stein sein, der den Topf unseres Lebens erfüllen muss", resümiert Kardinal Sarah (S. 171). Nicht so hier; ganz im Gegenteil meinten die Referenten, welches die großen Steine seien, müsse jeder für sich selbst entscheiden. Wie bitte? dachte ich. Wo bin ich denn hier gelandet? Geht es hier nur um Selbstoptimierung? Spätestens als allen Ernstes die Vokabel "Work-Life-Balance" fiel, stieg ich innerlich aus. Ganz allmählich dämmerte mir, dass es in den Neuen Geistlichen Gemeinschaften - die man leicht für Oasen der Rechtgläubigkeit und der Glaubensstärke in der Wüstenei der sterbenden Volkskirche halten könnte - auch eine Art MTD-Wellness-Spiritualität gibt. Sie kommt etwas frömmer daher als Klimafasten, Kochen auf dem Altar oder Lyrik von Susanne Niemeyer respektive Birgit Mattausch (alias Frau Auge), aber letztlich ist sie doch nichts anderes als ein spirituelles Sahnehäubchen auf der bürgerlichen Existenz. 

Zum zweiten Programmabschnitt der Themengruppe ließ ich meine Liebste allein gehen und schaute mir mit meiner Tochter stattdessen lieber die Oldtimer-Traktoren an, die im Rahmen einer "Traktorenwallfahrt" auf dem Kapellplatz parkten. Zur dritten und längsten Sitzung unserer Themengruppe am Samstagnachmittag gingen wir dann von vornherein gar nicht mehr, sondern verbrachten die Zeit stattdessen lieber im "Gasthaus zu den zwölf Aposteln". Themengruppe Bier, wie ich es nannte.


Allerdings beschränkte sich der MTD-Charakter - bei dem ganz klar nicht das M, sondern das T, also das "Therapeutische", im Vordergrund stand - nicht auf die oben beschriebene Themengruppe oder überhaupt auf die Themengruppen, sondern prägte das gesamte Programm, als dessen Leitmotiv die Veranstalter "die vier G des  Christseins" ausgeheckt hatten: "gewollt, geliebt, gebraucht, gerufen". Mir fällt da - wieder einmal - ein Songtext von  Kettcar ein:
"Das Gegenteil von gut ist gut gemeint 
In Empfindsamkeit vereint 
Ein befindlichkeitsfixierter Aufstand." 
(Man beachte übrigens, dass der erste der hier zitierten Verse ebenfalls vier Wörter enthält, die mit G beginnen!) Das schrottige Motto wirkte sich bis in die Predigten hinein aus. In der Messe am Freitag predigte Franziskus von Boeselager, der "Valerie-Priester"; riss mich nicht gerade vom Hocker, war aber vergleichsweise okay. Die "Impuls-Predigt" von Markus Zurl bei der Messe am Samstag (die wegen Regenwarnung vom Kapellplatz in die St.-Annen-Basilika verlegt worden war) war hingegen völlig substanzloses Geschwalle. Ich empfand es geradezu als willkommene Abwechslung, dass ich mittendrin meiner Tochter die Windel wechseln musste. Nachdem ich mit ihr rausgegangen war, um einen Mülleimer für die volle Windel zu suchen, entschloss ich mich kurzerhand, draußen auf einer Bank die Terz zu beten, und ging erst zur Gabenbereitung wieder rein. 

Wohlgemerkt: Daran, zu betonen, dass Gott uns liebt, ist an und für sich natürlich überhaupt nichts falsch. Ganz im Gegenteil, das ist eine sehr wichtige Aussage, gerade in der Erst-Evangelisation. Sich von Gott geliebt zu wissen ist geradezu die Voraussetzung für jegliches Wachstum im Glauben. Nur hätte ich bei einer geistlichen Gemeinschaft, deren Mitglieder offenbar zum allergrößten Teil, siehe oben, nicht "zum ersten Mal da waren" (und überwiegend wohl auch nicht erst zum zweiten), eigentlich angenommen, dass man da ein bisschen mehr an bereits stattgefunden habendem geistlichen Wachstum voraussetzen dürfen sollte. Dass man den Leuten also, wie der Apostel Paulus es formuliert haben würde, nicht nur Milch, sondern auch etwas feste Nahrung anbieten könnte. Aber nix da. 


Rückblickend würde ich sagen, dass solche Eindrücke, wie ich sie vom Forum Altötting mitgenommen habe, durchaus als lehrreiche Warnung verstanden werden können. Gerade was das oben schon angeklungene Stichwort "Oase" angeht. Bei der #BenOp geht es schließlich auch darum, "Oasen des Glaubens" zu schaffen, aber problematisch wird's, wenn man diese Oasen nur als Orte versteht, wo man sich's wohl sein lässt und die Beine hochlegt, und nicht als Stützpunkte, von denen aus man aufbricht, um die Wüste zum Blühen zu bringen. -- So hörten wir beispielsweise von einigen Leuten aus "unserer" Themengruppe Klagen über fehlende Angebote in ihren jeweiligen Pfarrgemeinden, aber offenbar kamen sie nicht auf die Idee, sie könnten selbst etwas tun, um diesen Mängeln abzuhelfen. Stattdessen betrachteten sie die Treffen der Gemeinschaft Emmanuel als einen Ausgleich für das, was ihnen in ihren Pfarreien fehlt. Sorry, da läuft was falsch. Neuevangelisation kann nur gelingen, wenn geistliche Gemeinschaften und Ortsgemeinden sich gegenseitig befruchten. Es kann und darf nicht die Praxis geistlicher Gemeinschaften sein, Potentiale aus den Ortsgemeinden abzuziehen.

Davon, dass die Gemeinschaft Emmanuel - wie ich neulich schon einmal angemerkt habe - zur Charismatischen Bewegung gerechnet wird bzw. aus dieser hervorgegangen ist, war nur gelegentlich etwas zu bemerken, und dann vielfach auf eine so halbherzig anmutende Art, dass es schon etwas Tragikomisches hatte. Vom Heiligen Geist war oft die Rede, aber der weht bekanntlich, wo Er will, und das war an diesem Wochenende wohl eher woanders. Einmal beim Abendprogramm hörte ich am Ende eines Lobpreisliedes ein paar vereinzelte Leutchen in Zungen beten. Ziemlich regelmäßig und mit bürokratisch anmutendem Pflichtbewusstsein gab in den Anmoderationen zu einzelnen Programmteilen jemand kund, er habe "ein Bild gehabt"; gemerkt habe ich mir nur eins davon: Da hatte jemand eine Wolldecke voller Löcher gesehen. Toll. Erinnerte mich natürlich an das "Tagebuch eines frommen Chaoten":
"Ich sah eine Zielscheibe, und auf der Scheibe war mittels eines Fahrtenmessers eine kleine Qualle aufgespießt, und als ich weiter zusah, wurde mir offenbart, daß der Name der Kreatur Stewart war." (S. 44)
Na dann. Wie sagt der Gemeindeälteste Edwin daraufhin so treffend? "Die Sache mit diesen Bildern ist die: Ab und zu hat man eins, das wirklich von Gott kommt. Dann muß man einfach darüber nachdenken und beten, und am Ende muß man selbst seine Schlüsse ziehen." (S. 45)

À propos beten: Am Samstag gerieten wir zufällig in die Gruppe der sogenannten "Young Professionals", die sich angesichts eines heftigen Gewitterschauers unter einer Brücke untergestellt hatte. Die Gruppenleiterin schlug vor, die Unterbrechung durch das Gewitter dazu zu nutzen, in persönlichen Anliegen paarweise füreinander zu beten. Das fand ich gut, und dass es den "Young Professionals" sichtlich nicht gerade leicht fiel, war mir gar nicht unsympathisch, denn mir fällt so etwas in meiner ganzen charakterlichen Anlage her ebenfalls nie leicht. Aber auch der Gruppenleiterin war anzumerken, dass sie es schon etwas gewagt fand, überhaupt diesen Vorschlag zu machen, und das schien mir dann doch bezeichnend. Bei der MEHR (zum Beispiel) wäre so etwas völlig normal gewesen.

Aber erst einmal zurück zur chronologischen Reihenfolge: Zum Abendessen am Freitag kaufte ich mir, um mich an der Getränkebude nicht zweimal anstellen zu müssen, gleich zwei Flaschen Bier, trank dann aber doch nur eine und machte die zweite erst auf, als wir von der Josefsburg wieder in Richtung Kapellplatz gingen. Es dauerte nicht lange, da hielt neben uns ein Auto, und der in nach Ordnungsamt oder privatem Sicherheitsdienst aussehende Funktionskleidung gehüllte Fahrer teilte mir durchs Fenster - durchaus freundlich - mit, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit sei in Altötting verboten. Glücklicherweise hatte die Bierflasche einen Bügelverschluss und war somit wiederverschließbar, also verstaute ich sie im Gepäckkorb des Kinderwagens.

Auf dem Weg zum Kapellplatz trafen wir- schon zum wiederholten Male an diesem Tag - "Maria 1.0"-Initiatorin Johanna und ihre Familie. Auf einer Wiese unweit der Bühne waren einige Spielgeräte für Kinder aufgebaut; das war eine positive Überraschung, nachdem es am ersten Abend ausdrücklich verboten worden war, auf dieser Wiese Fußball zu spielen.


Während die Kinder spielten, unterhielten meine Liebste und ich uns mit Johanna, aber plötzlich stellten wir fest, dass, ohne dass wir es mitbekommen hatten, die Spielgeräte abgebaut und in einem Zelt verstaut worden waren. Meine Liebste ließ sich nicht ins Bockshorn jagen, öffnete den Reißverschluss des Zelts und baute kurzentschlossen einen Teil der Spielgeräte wieder auf. Anarchy in Altötting, dachte ich amüsiert und holte nun auch meine Bierflasche wieder hervor. -- Auf der Hauptbühne spielte an diesem Abend die "Priest Band". In meinem Heimatstädtchen hatte es zu meiner Gymnasiastenzeit eine "Lehrerband" gegeben, das war wohl einigermaßen vergleichbar. Immerhin muss man anerkennen, dass die "Priest Band" erheblich mehr rockte als alles andere, was einem hier so an Musik geboten wurde, aber auch das war seinerzeit bei der "Lehrerband" schon genauso gewesen, wenn man's recht bedenkt. -- Wie dem auch sei: Als wir auf dem Rückweg zu unserer Unterkunft an der "Roxy-Bar" vorbeikamen und registrierten, dass es dort Live-Musik gab, waren wir entzückt und kehrten auf ein Getränk dort ein. Zwei junge Männer performten Rock-Klassiker mit Akustikklampfe und Cajón. Kein Lobpreis, aber gut.


Außerdem unterhielten wir uns in der "Roxy-Bar" gut mit ein paar Einheimischen, die natürlich auch wissen wollten, wo wir herkämen und was uns nach Altötting verschlagen habe. Merke: In einem Ort wie Altötting sind auch die Stammgäste der örtlichen Rockerkneipe gut katholisch.

Zu den Ärgernissen im Zusammenhang mit der Fußwallfahrt und dem "Abend der Barmherzigkeit" am Samstag hat sich meine Liebste ja bereits geäußert, und dem habe ich nicht unbedingt viel hinzuzufügen; außer vielleicht dies: Wie man hört und liest, war der "Abend der Barmherzigkeit" der Gemeinschaft Emmanuel gewissermaßen das Vorbild für das Veranstaltungskonzept "Nightfever" (den Nightfever-Gründer Andreas Süß meine ich übrigens unter den zahlreichen Konzelebranten der Messe am Freitag erkannt zu haben, aber das nur nebenbei). Da frage ich mich nun: Nachdem Nightfever sich in den letzten rd. eineinhalb Jahrzehnten als weltweites Erfolgsmodell in Sachen Neuevangelisation etabliert hat, wieso kann man dann nicht auch beim Forum Altötting ein Nightfever veranstalten? Nur weil der "Abend der Barmherzigkeit" zuerst da war und eine genuine Erfindung der Gemeinschaft Emmanuel ist? Wenn's danach ginge, würden wir unsere Wäsche immer noch im Fluss waschen. Das Geniale an Nightfever ist ja gerade, dass es nicht das "Eigentum" einer bestimmten Gemeinschaft, eines Verbands oder einer sonstigen Gruppierung ist, sondern - wie es in dem Sammelband "Nightfever. Theologische Grundlegungen" (München 2013) heißt - gerade von seinem "Charakter als gemeinschaftliches und zugleich offenes Projekt" (S. 20) sowie "vom gemeinsamen Engagement der verschiedenen Neuen Geistlichen Gemeinschaften, Bewegungen, Priesterseminare sowie katholischer Jugend- bzw. Studentengruppen" lebt (S. 151). In Berlin zum Beispiel sind, man höre und staune, sogar BDKJ-Leute an der Organisation und Gestaltung von Nightfever beteiligt. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr erscheint mir der Ansatz, "projektbezogen" mit Leuten aus verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften zusammenzuarbeiten, auch erheblich #benOppiger, als unbedingt selbst die dreiundzwanzigste oder vierundzwanzigste Neue Geistliche Gemeinschaft gründen zu wollen. Zwar bin ich, wie unlängst schon einmal erwähnt, von Natur aus eher skeptisch gegenüber "Big Tent"-Strategien; wahrscheinlich bin ich dafür auch einfach zu polarisierend (ich habe schon immer polarisiert, schon seit meiner Grundschulzeit, wenn nicht sogar schon früher). Trotzdem gelange ich mehr und mehr zu der Überzeugung, dass es, um sich gegen die kommende deutschsynodale Unkirche zu behaupten, einer möglichst breiten Koalition bedarf; schlagwortartig ausgedrückt: von den Petrusbrüdern bis zur Charismatischen Erneuerung. Irgendwie, denke ich, müsste man da auch Leute wie die von der Gemeinschaft Emmanuel "mitnehmen", und deshalb ärgert es mich, dass diese Gemeinschaft, so wie ich sie in Altötting erlebt habe, so erpicht darauf scheint, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Umso mehr, als dieses Süppchen dann auch noch so fad schmeckt. 

Wie dem auch sei: Am Sonntag nahmen wir nicht mehr am Forums-Programm teil, sondern konzentrierten uns lieber darauf, was der Wallfahrtsbezirk von Altötting sonst noch so zu bieten hat. Von der Abschlussmesse auf dem Kapellplatz bekamen wir aber rein akustisch trotzdem noch so einiges mit, und nach den unvermeidlichen organisatorischen Abmoderationen wurde plötzlich die Musik besser. Also, ein bisschen besser zumindest. Ich war inzwischen dahinter gekommen, dass mein anfänglicher Eindruck, die Lieder der Gemeinschaft Emmanuel klängen alle irgendwie gleich, irrig gewesen war: Vielmehr hatte die Band die wenigen Nummern des Liederhefts, die wenigstens ein bisschen rockten - Nr. 4, Nr. 6, Nr. 11 - besonders oft gespielt, und die spielten sie auch jetzt wieder, aber, so schien es mir jedenfalls, mit deutlich mehr Schwung und Schmiss als zuvor. Und nun wurde mir auch klar, woran die Nr. 11 des Liederhefts - "Ihm sei die Ehre" - mich die ganze Zeit erinnert hatte: an den Titelsong der Puppentrick-Serie "Die Fraggles"! Sing und schwing das Bein, lass die Sorgen Sorgen sein. In das Lied stimm ein, froh nach Fraggle-Art. Und hat's dir nicht gefall'n, dann bohr dir doch ein Loch ins Knie! Denn manchen kann man's recht oft tun, doch allen eben nie. Irgendwie ja auch ein schön versöhnlicher Schlussakkord zu der ganzen Veranstaltung... 



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