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Sonntag, 18. August 2019

And Then Along Comes Mary


Vor wenigen Tagen haben wir das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel, landläufig "Mariä Himmelfahrt" genannt, gefeiert. Ein "typisch katholisches" Fest, könnte man sagen – und eines, bei dem es darum geht, dass sich, wie es in einem bekannten Kirchentagsschlager heißt, "Himmel und Erde berühren". Möglicherweise liegt jedoch gerade darin – in dieser Vereinigung der irdischen, leiblichen und der überirdisch-geistigen Sphäre – das Sperrige und Provozierende des im Jahr 1950 von Papst Pius XII. dogmatisierten Glaubenssatzes von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel: Da wächst etwas zusammen, was dem gängigen menschlichen Verständnis zufolge nicht zusammenzugehören scheint. Es ist wohl einigermaßen bezeichnend, dass in der seit 1970 im deutschen Sprachgebiet liturgisch verwendeten Übersetzung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses die "Auferstehung des Fleisches" nicht explizit vorkommt, sondern mit "Auferstehung der Toten" wiedergegeben wird. Dass die Seele des Menschen in den Himmel aufgenommen wird, während der Leib zerfällt, scheint leichter vorstellbar zu sein als eine leibliche Auferstehung am Ende der Zeiten. 

Hinter dieser Feststellung steckt möglicherweise noch mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Wäre der christliche Glaube eine rein geistige Angelegenheit – ein philosophisches System, ein ethisches Programm, ein Kanon von "Werten" – dann täte sich der moderne oder postmoderne Mensch womöglich weniger schwer mit ihm; ja, man kann davon ausgehen, dass nicht wenige, die sich selbst als Christen definieren, ihren Glauben genau so, oder jedenfalls in erster Linie so, verstehen. Tatsächlich hat das Christentum aber eine sehr handfeste leiblich-diesseitige Komponente: Zentrale Elemente seiner Glaubenslehre, so vor allem die Menschwerdung, der Kreuzestod und die Auferstehung Jesu Christi, sind reale, in Raum und Zeit verankerte Ereignisse, die zugleich aber auch nicht einfach abgeschlossen in ferner Vergangenheit liegen, sondern in die Gegenwart hinein weiterwirken. Dass Gottes Wort Fleisch geworden ist, Menschennatur angenommen hat – und diese auch nicht etwa, wie die Gnostiker meinten, am Kreuz wieder abgelegt hat wie einen zerschlissenen Mantel, sondern mitsamt dieser Menschennatur auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist und zur Rechten des Vaters sitzt, hat schon der frühen Kirche zu den Zeiten der ersten Konzilien Kopfzerbrechen bereitet, und natürlich hat all dies auch Konsequenzen für die Frage nach der Bedeutung Marias, der leiblichen Mutter Jesu, im Heilsgeschehen. So bestätigte das Konzil von Ephesus im Jahre 431, dass Maria den schon seit dem 3. Jahrhundert bezeugten Titel "Gottesgebärerin" zu Recht trage – und traf so eine Aussage über das Verhältnis zwischen den zwei Naturen Jesu: Verworfen wurde damit die Auffassung, Jesus sei nur seiner menschlichen, nicht aber seiner göttlichen Natur nach der Sohn der Maria. 

Die Schwierigkeiten, die es dem menschlichen Verstand bereitet, Jesus gleichzeitig als wahren Menschen und als wahren Gott anzuerkennen, finden ihren Ausdruck seit dem Zeitalter der Aufklärung auch in Versuchen, den historischen Jesus und den Christus des Glaubens auseinanderzudividieren und gegeneinander auszuspielen. Schon damals entstand das Bild des Wanderpredigers Jesus aus Nazaret, der zwar ein bedeutender Weisheitslehrer gewesen sei, vergleichbar etwa mit Buddha und Sokrates, der aber niemals beansprucht habe, Gott zu sein. Bereits 1906 urteilte Albert Schweitzer in seiner "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung", dieser quasi gegen den Strich der Glaubensverkündigung gelesene Jesus sei "eine Gestalt, die vom Rationalismus entworfen, vom Liberalismus belebt und von der modernen Theologie in ein geschichtliches Gewand gekleidet wurde": Letztlich habe jeder Autor, der dem vermeintlich unter dem Sedimentgestein der christlichen Dogmatik verborgenen "historischen Jesus" nachgespürt habe, nur seine eigenen Idealvorstellungen auf diesen projiziert, sich also je nach persönlichem Geschmack einen eigenen Jesus zurechtspekuliert. Dieser Einwand Schweitzers hat indes nicht verhindern können, dass bis heute gern nach dieser Methode erfahren wird: Jeder baut sich den Jesus, der ihm passt: Mal sanftmütig, mal militant, mal streng, mal tolerant. Jesus der Hippie, Jesus der Kommunist, Jesus der Flüchtling, Jesus der Vegetarier. Der wirkliche Jesus, den nicht wir zu beurteilen haben, sondern der vielmehr uns richten wird, scheint in solchen Spekulationen überhaupt keine Rolle zu spielen. Sogar die besonders in evangelikalen Kreisen populäre Frage "Was würde Jesus tun?" reduziert Jesus, wenn man es recht bedenkt, auf ein bloßes Vorbild für ethisch richtiges Handeln und zieht gar nicht in Betracht, dass Er tatsächlich, und nicht nur im Konjunktiv, lebt und wirkt

Mit Maria verhält es sich ähnlich. Zwar ist die Marienverehrung bis heute in der Hauptsache eine Bastion der als konservativ geltenden Volksfrömmigkeit geblieben, aber schon vor Jahrzehnten gab es vereinzelte Versuche, Maria in einem "fortschrittlichen" Sinne umzudeuten und zu vereinnahmen. "Maria, ich nenne dich Schwester", dichtete etwa die feministische Lyrikerin Christa Peikert-Flaspöhler: "Ich sehe dein Frauengesicht, ich spüre dein Fragen und Handeln, wir trauen gemeinsam dem Licht, wir tragen gemeinsam das Wort der Befreiung, wir bringen es zur Welt" – dieses Gedicht oder Gebet hat es sogar bis ins Gotteslob geschafft. Ein Musical von Wilhelm Willms und Peter Janssens mit dem Titel "Ave Eva oder Der Fall Maria", das, wie es in einer Pressemitteilung hieß, Maria als "selbstbewusste junge Frau" zeigt, die "durch ihre Schwangerschaft zur gesellschaftlichen Außenseiterin wird", erhielt in den 70er und 80er Jahren wiederholt Aufführungsverbote in kirchlichen Einrichtungen. Und neuerdings gibt es "Maria 2.0" – eine Bewegung, deren Name bereits mehr über sie verrät, als ihr lieb sein dürfte. Der Name Maria erscheint hier bloß noch als Symbol oder Metapher für das Frauenbild der Kirche oder die Rolle der Frau in der Kirche, und dieses Frauenbild, so machen die Initiatoren durch den Namensbestandteil "2.0" deutlich, benötige ein "Update". Natürlich ist dieser Gebrauch des Namens Maria insofern nachvollziehbar, als Maria in der traditionellen Lehre der Kirche tatsächlich eine bedeutende Rolle als Symbolfigur spielt: als Urbild der Kirche – so schon beim Kirchenvater Ambrosius im 4. Jahrhundert und noch im Schlusskapitel der Dogmatischen Konstitution "Lumen Gentium" des II. Vatikanischen Konzils im Jahr 1964 – und durchaus auch als Rollenvorbild für die christliche Frau. Wenn die Bewegung "Maria 2.0" jedoch schon durch ihren Namen die Auffassung verrät, das tradierte Marienbild der Kirche – "Maria 1.0" gewissermaßen – sei nicht mehr zeitgemäß und müsse an die Erfordernisse der heutigen Zeit angepasst werden, dann stellt sich die Frage, was eigentlich die echte Maria, deren leibliche Aufnahme in den Himmel wir gerade gefeiert haben, dazu sagt. Und man hat den Eindruck, dass die Kirchen-Rebellinnen sich diese Frage überhaupt nicht stellen

HT: Tea with Tolkien 
Mit der Frage "Was würde die echte Maria sagen?" will ich allerdings nicht zwingend auf eine Diskussion über Marienerscheinungen hinaus. Dass gegenüber angeblichen Botschaften der Gottesmutter, die von kirchlicherseits nicht anerkannten Erscheinungen stammen, Vorsicht angebracht ist, dürfte auf der Hand liegen; aber auch da, wo die Kirche – wie im Falle der Erscheinungen von Lourdes und Fátima – den übernatürlichen Charakter der Erscheinungen bestätigt hat, sind die Mitteilungen der Gottesmutter an die jeweiligen Seher als Privatoffenbarungen zu betrachten und damit nicht Bestandteil des verbindlichen Glaubensguts. Für uns einfache Gläubige mag es daher genügen, darauf zu schauen, was uns die Evangelien über Maria verraten; und dort besteht ihre Rolle in erster Linie darin, auf Jesus hinzuweisen. Wenn wir uns fragen, was Maria uns heute zu sagen hat, dann finden wir die wohl beste Antwort darauf im Johannesevangelium, Kapitel 2, Vers 5: "Was ER euch sagt, das tut." 



1 Kommentar:

  1. Ich denke mal, denn dann am Ende unserer irdischen Zeit werden wir staunen, wie einfach und großartig doch all das ist, was wir uns hier mit unseren 5 Sinnen trotz aller intellektueller Verrenkungen einfach nicht vorstellen können.
    Bis dahin leben wir mit dem Wort : "Was ER euch sagt, das tut!"
    ****** denn ER liebt uns.
    **** und!>>>>...gleiches was ICH getan habe, könnt auch ihr tun .....*

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