Kaum hat der Große Vorsitzende Kardinal Marx den vieldiskutierten Dialogprozess der Bischofskonferenz in Pofallascher Manier (nein, nicht wirklich - war nur Spaß) für beendet erklärt, da zündet die Pfarrei St. Ursula im hessischen Oberursel die nächste Stufe: Einen "Visionsprozess" soll es dort geben. Der kürzlich heiliggespro verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt pflegte zwar zu sagen, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen, aber man wird ja wohl noch anderer Ansicht den dürfen. Zumal Pfarrer Andreas Unfried und Pastoralreferentin Susanne Degen die Idee zum "Visionsprozess", so typisch deutsch-bürokratisch der Begriff auch klingt, von den Philippinen mitgebracht haben. Da waren sie nämlich auf einer Studienreise. (So so, Studienreise auf die Philippinen. Die müssen es ja dicke haben. Protzbistum Limburg eben.) Und da gibt es solche Prozesse schon länger, heißt es. Allerdings hat man auf den Philippinen vermutlich andere Visionen als in Oberursel. In der dortigen Pfarrei hat sich jedenfalls erst einmal eine 16köpfige Projektgruppe gebildet, der auch fünf evangelische Christen angehören - so viel Ökumene muss sein, scheint's. Und diese Projektgruppe stellt sich und ihrem persönlichen Umfeld nun Fragen wie zum Beispiel, "worum sich Jesus kümmern würde, wenn er heute in Oberursel oder Steinfeld leben würde".
Nun ist es ja eigentlich ein Gemeinplatz der Dogmatik, dass Sätze, die mit "Jesus würde heute..." beginnen, immer falsch sind. Da derartige Anmutungen bzw. -maßungen aber offenkundig schier nicht totzukriegen sind, erscheint es ratsam, einmal der Frage nachzugehen, warum solche Aussagen eigentlich immer falsch sind.
Fangen wir mal mit diesen Armbändern an. Diesen 'WWJD'-Armbändern. 'WWJD' steht für "What Would Jesus Do?", und der Blick auf das Armband mit diesem Kürzel soll in Entscheidungssituationen dabei helfen, die im Sinne christlicher Ethik richtige Entscheidung zu fällen. Diese Armbänder erfreuen sich seit den 1990er Jahren große Beliebtheit vor allem bei evangelikalen Jugendlichen und Justin-Bieber-Fans. Letzteres ist übrigens kein Scherz. Nun ist es freilich nicht auszuschließen, dass manch ein Belieber (wie sich die Bieber-Fans bezeichnenderweise selbst nennen) glaubt, das J stünde für Justin; und ebenso ist es denkbar, dass manche Fans sich überhaupt keine Gedanken über den Sinn der Abkürzung machen und das Armband nur tragen, weil ihr Idol das auch tut. Der inzwischen 21jährige Berufsteenager Bieber selbst weiß hingegen sehr wohl, was die vier Buchstaben auf dem Armband ihm sagen wollen. In einem Interview erklärte er jüngst, er wolle "einfach nur wie Jesus leben": Dieser sei "ein ziemlich geniales Vorbild, wenn es darum geht, Leute zu lieben, gütig und freundlich zu sein". Das hört sich - nach diversen Skandalen um Vandalismus, illegale Autorennen und Medikamentenmissbrauch - nach einer ziemlich radikalen Kehrtwende an; allerdings hat Justin Bieber sich auch früher schon öffentlich zu seinem christlichen Glauben bekannt.
Aber das nur am Rande. Ein offenkundiges Problem bei dem Lebensmotto "Was würde Jesus tun?" ist natürlich, dass das zunächst nur eine Frage ist. Woher aber die Antworten nehmen? Nun, das Internet hat sich da etwas ausgedacht: den What Would Jesus Do Generator. Auf einen schlichten Mausklick hin erhält man dort Beispiele dafür, was Jesus, den Evangelien zufolge, in der Zeit seines irdischen Wirkens tatsächlich getan hat. Ich habe das mal für euch getestet, liebe Leser. Einige Antworten lauteten:
- direkten Fragen über das Fasten ausweichen
- mit Fischern abhängen
- in Versuchung geführt werden
- Tote auferwecken.
Und da haben wir schon den Salat: Der letztgenannte Punkt dürfte die meisten von uns in Schwierigkeiten bringen, wenn wir versuchen, Jesus nachzueifern. Und sollte der What Would Jesus Do Generator gar ausspucken "die Sünden der Welt auf sich nehmen", dann wäre es ganz vorbei mit der Nachahmbarkeit.
Was will ich damit sagen? - Sich Jesus zum Vorbild für ethisch gutes Handeln zu nehmen, ist vom Ansatz her eine gute Sache, stößt aber an Grenzen. Wir können gar nicht immer und in Allem das tun, was Jesus getan hat oder getan hätte oder täte. Weil wir nicht so sind wie Er. Das Konzil von Chalkedon stellte im Jahr 451 bezüglich der menschlichen Natur Jesu fest, diese sei "in allem uns gleich außer der Sünde". Diese Formulierung mag den Eindruck erwecken, der Unterschied wäre marginal, aber tatsächlich handelt es sich um einen ganz entscheidenden Unterschied. Hinzu kommt, dass Jesus eben nicht nur eine menschliche, sondern auch eine göttliche Natur hat. Wie das besagte Konzil von Chalkedon in Abgrenzung vom Monophysitismus einerseits und vom Nestorianismus andererseits betont, sind diese zwei Naturen Jesu "unvermischt und ungetrennt", aber wir brauchen gar nicht so sehr ins Detail zu gehen, das wird sonst zu kompliziert. Bleiben wir lieber erst einmal bei dem Punkt mit der Sünde - genauer gesagt: der Erbsünde.
Anknüpfend an den Apostel Paulus (Römer 5,12-17) lehrt der Hl. Augustinus, durch den Sündenfall Adams sei die ursprünglich gut geschaffene menschliche Natur korrumpiert, mit Sünde infiziert gewissermaßen. Zwar "reinigt" das Sakrament der Taufe den einzelnen Menschen von der Erbsünde, aber seine Natur bleibt dennoch zum Bösen geneigt (und wer wollte das bestreiten, wenn man sich ansieht, was Menschen, seien sie getauft oder nicht, so alles Böses tun?). Damit der Mensch sich für das Gute entscheidet, bedarf es laut Augustinus der Einwirkung göttlicher Gnade. Kurz und salopp gesagt: Ein bloßes Vorbild genügt da nicht.
Es ist an dieser Stelle nicht unwichtig zu erwähnen, dass Augustinus - und in der Folge auch die Lehre der Katholischen Kirche bis heute - nichtsdestoweniger daran festhält, dass der Mensch einen freien Willen hat, auch wenn dieser allein, ohne die Einwirkung der Gnade, nicht genügt, um der Neigung zur Sünde zu widerstehen. Die Reformatoren waren da radikaler. Martin Luther etwa bestritt in seinem gegen Erasmus von Rotterdam gerichteten Schreiben De servo arbitrio (1525) rundheraus eine Entscheidungsfreiheit des Menschen gegenüber dem Willen Gottes; Heil oder Verdammnis des Menschen hinge demnach allein von der Gnade Gottes ab. Diese Auffassung prägte auch Johannes Calvins Lehre von der doppelten Prädestination (die Einen seien zum Heil vorherbestimmt, die Anderen zur Verdammnis). So gesehen ist es eigentlich erstaunlich, dass die Maxime "Was würde Jesus tun?" - die doch schließlich an die Fähigkeit des Menschen appelliert, sich so oder anders zu entscheiden - sich gerade in protestantischen Konfessionen so großer Beliebtheit erfreut.
Dem deutschsprachigen Wikipedia-Artikel zum Kürzel 'WWJD' zufolge geht der Siegeszug dieses Slogans auf die Initiative eines Jugendpastors der Wesleyan Church of Holland im US-Bundesstaat Michigan, Jamie Tinklenberg, zurück, der im Januar 1989 Anstecker mit dem Schriftzug "What Would Jesus Do?" produzieren ließ. Die damit beauftragte Firma stellte in der Folge dann auch die seither so beliebten Armbänder her. Dass die Idee vom Pastor einer Kirche stammt, die sich auf die Lehren John Wesleys (1703-1791) beruft, ist durchaus aussagekräftig: Wesley hatte das reformatorische Konzept der Rechtfertigung durch den Glauben zur Idee der Heiligung durch den Glauben ausgebaut, die calvinistische Prädestinationslehre verworfen und ihr eine Lehre entgegengestellt, derzufolge Gottes Gnade allen Menschen gelte, es aber dem Einzelnen überlassen bleibe, diese Gnade anzunehmen. Die Wirkung der Gnade zeige sich laut Wesley in guten Werken und einer insgesamt moralisch untadeligen Lebensführung. Mit anderen Worten: Wer im Stand der Gnade ist, kann nicht bloß gut handeln, sondern ist geradezu verpflichtet dazu.
Soweit, so gut. Halten wir fest: Auch für Wesley ist Gottes Gnade die Voraussetzung für das Gutsein des Menschen, nicht etwa die Folge davon. Dennoch richtet die von Wesley wesentlich initiierte Heiligungsbewegung, ganz anders als etwa die Theologie Luthers ("Sündige tapfer, doch tapferer glaube") ein auffallendes Augenmerk auf das moralische Handeln des Menschen; zugespitzt könnte man sagen, durch sein Gutsein beweist der Mensch, dass er im Stand der Gnade ist. Und da lauert nun in der Tat die Gefahr, dass das Kausalverhältnis zwischen Gnade und Gutsein, wie Wesley es verstand, aus dem Blickfeld gerät oder sogar in sein Gegenteil verkehrt wird - dergestalt, dass das moralisch gute Handeln des Menschen eben doch als Voraussetzung dafür verstanden wird, das Heil zu erlangen. Und das ist dann - man höre und staune - Pelagianismus. Eine Irrlehre des 5. Jahrhunderts, die - maßgeblich auf Betreiben des Hl. Augustinus - 431 auf dem Konzil von Ephesus verurteilt wurde. So richtig totzukriegen ist die Vorstellung, der Mensch müsse aus eigener Kraft und eigenem Entschluss zum Guten fähig sein und sich sein Heil also "erarbeiten" bzw. "verdienen" können, aber offenkundig bis heute nicht; nicht umsonst warnt Papst Franziskus mit auffallender Regelmäßigkeit vor den Versuchungen eines "neuen Pelagianismus".
Die Erfolgsgeschichte des Slogans "What Would Jesus Do?" hat jedoch noch einen weiteren bemerkenswerten Aspekt. Dieser Satz bildet nämlich das Leitmotiv eines im Jahre 1896 erschienenen Romans mit dem Titel In His Steps, dessen Verfasser Charles Sheldon ein Anhänger des Christlichen Sozialismus war und die Nachfolge Christi in erster Linie als ein sozialethisches Programm auffasste. Seine Ideen hatten maßgeblichen Einfluss auf die Social Gospel-Bewegung, die die Auffassung vertrat, die Wiederkunft Christi könne erst und nur dann eintreten, wenn die Menschheit zuvor aus eigener Kraft eine gerechte Sozialordnung geschaffen hätte. Die gedankliche Nähe zum Pelagianismus ist evident, neu ist jedoch die starke soziale Komponente: Es geht nicht mehr nur darum, dass der Einzelne sein persönliches Heil durch eigene Anstrengung erreicht, sondern die ganze Welt soll auf sozialpolitischem Wege erlöst werden. Man könnte die Frage aufwerfen, wozu Jesus am Ende der Zeiten überhaupt noch wiederkommen soll, wenn die Menschen bis dahin doch schon selbst ein Paradies auf Erden erschaffen haben. Anders und noch schärfer ausgedrückt: Wozu braucht das Social Gospel eigentlich noch Gott?
Hier zeigt sich die Gefahr einer unzulässigen Verengung der christlichen Botschaft, wenn die Rolle Jesu allzu sehr auf die eines Vorbilds für ethisch richtiges Handeln reduziert wird. Keine Frage: Das ist Er auch. Aber das könnten ebensogut auch Buddha, Sokrates oder Mahatma Gandhi sein. Jesus Christus ist weit mehr als das: Er ist, wie Simon Petrus in Caesarea Philippi schlagartig erkannte, "der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes". Er ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Er hat uns mit Seinem Blut erlöst, und Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich will durchaus nicht behaupten, dass all Jene, die gern Aussagen wie "Wenn Jesus heute lebte, würde er..." im Munde führen, ausdrücklich die Gottheit Christi leugnen. Spräche man sie darauf an, würden Viele vermutlich erklären, sie glaubten daran. Aber zuweilen beschleicht einen doch der Eindruck, dass für die, die sich auf Jesus nur als auf ein Vorbild in ethischer Hinsicht berufen, Seine göttliche Natur praktisch keine Rolle spielt. Und so schleicht sich durch die Hintertür die Irrlehre des Arianismus in das Denken und Reden von Menschen ein, die sich selbst ganz aufrichtig und überzeugt als engagierte Christen betrachten. Deshalb - genauer gesagt: unter Anderem deshalb - reagiere ich immer so empfindlich, wenn in so manchen Diskussionen unter Christen "der Wanderprediger aus Nazaret" hervorgezogen und gegen die Lehre und Praxis der Kirche ausgespielt wird. Denn damit wird - ob bewusst oder nicht - zugleich der Mensch Jesus (beziehungsweise das vermeintlich historisch-kritische, in Wirklichkeit aber in aller Regel ahistorisch-unkritische Bild, das man sich von diesem zurechtlegt) gegen den Gottessohn ausgespielt. Kurz: So fortschrittlich sich solche Konstrukte auch dünken, tatsächlich sind sie ein Rückfall hinter die christologischen Auseinandersetzungen des 4. und 5. Jahrhunderts. Mindestens.
Aus durchaus ähnlichen Gründen erregt es auch mein Missfallen, wenn - was aus begreiflichen Gründen derzeit Hochkonjunktur hat - das Weihnachtsevangelium als Flüchtlingsdrama nacherzählt wird. (Eine solche Erzählung, aus der Feder einer evangelischen Pastorin aus meiner Heimatstadt, habe ich bereits in einem Beitrag von vor fast drei Jahren erwähnt - und kommentierte damals: "Oh Mann, das ist so 90er!". Damals ahnte ich ja noch nicht, welche drängende Aktualität die Flüchtlingsthematik nur wenige Jahre später gewinnen würde.) Dieses Missfallen rührt nicht etwa daher, dass ich mit der intendierten Aussage, Christen seien in besonderem Maße dazu aufgerufen, Notleidenden zu helfen und Verfolgten Asyl zu gewähren, nicht einverstanden wäre. Aber dafür, diese Aussage biblisch zu belegen und zu begründen, gibt es weit bessere Möglichkeiten, als die Weihnachtsgeschichte zu verballhornen -- und sie damit um ihren wesentlichsten Aspekt, die heilsgeschichtliche Bedeutung der Menschwerdung Gottes, zu verkürzen. Vielleicht (vielleicht!) werde ich bis Weihnachten noch einmal auf dieses Thema zurückkommen; einstweilen begnüge ich mich damit, auf diesen Artikel des lutherischen Pastors Hans Fiene im Federalist zu verweisen...
Es ist an dieser Stelle nicht unwichtig zu erwähnen, dass Augustinus - und in der Folge auch die Lehre der Katholischen Kirche bis heute - nichtsdestoweniger daran festhält, dass der Mensch einen freien Willen hat, auch wenn dieser allein, ohne die Einwirkung der Gnade, nicht genügt, um der Neigung zur Sünde zu widerstehen. Die Reformatoren waren da radikaler. Martin Luther etwa bestritt in seinem gegen Erasmus von Rotterdam gerichteten Schreiben De servo arbitrio (1525) rundheraus eine Entscheidungsfreiheit des Menschen gegenüber dem Willen Gottes; Heil oder Verdammnis des Menschen hinge demnach allein von der Gnade Gottes ab. Diese Auffassung prägte auch Johannes Calvins Lehre von der doppelten Prädestination (die Einen seien zum Heil vorherbestimmt, die Anderen zur Verdammnis). So gesehen ist es eigentlich erstaunlich, dass die Maxime "Was würde Jesus tun?" - die doch schließlich an die Fähigkeit des Menschen appelliert, sich so oder anders zu entscheiden - sich gerade in protestantischen Konfessionen so großer Beliebtheit erfreut.
Dem deutschsprachigen Wikipedia-Artikel zum Kürzel 'WWJD' zufolge geht der Siegeszug dieses Slogans auf die Initiative eines Jugendpastors der Wesleyan Church of Holland im US-Bundesstaat Michigan, Jamie Tinklenberg, zurück, der im Januar 1989 Anstecker mit dem Schriftzug "What Would Jesus Do?" produzieren ließ. Die damit beauftragte Firma stellte in der Folge dann auch die seither so beliebten Armbänder her. Dass die Idee vom Pastor einer Kirche stammt, die sich auf die Lehren John Wesleys (1703-1791) beruft, ist durchaus aussagekräftig: Wesley hatte das reformatorische Konzept der Rechtfertigung durch den Glauben zur Idee der Heiligung durch den Glauben ausgebaut, die calvinistische Prädestinationslehre verworfen und ihr eine Lehre entgegengestellt, derzufolge Gottes Gnade allen Menschen gelte, es aber dem Einzelnen überlassen bleibe, diese Gnade anzunehmen. Die Wirkung der Gnade zeige sich laut Wesley in guten Werken und einer insgesamt moralisch untadeligen Lebensführung. Mit anderen Worten: Wer im Stand der Gnade ist, kann nicht bloß gut handeln, sondern ist geradezu verpflichtet dazu.
Soweit, so gut. Halten wir fest: Auch für Wesley ist Gottes Gnade die Voraussetzung für das Gutsein des Menschen, nicht etwa die Folge davon. Dennoch richtet die von Wesley wesentlich initiierte Heiligungsbewegung, ganz anders als etwa die Theologie Luthers ("Sündige tapfer, doch tapferer glaube") ein auffallendes Augenmerk auf das moralische Handeln des Menschen; zugespitzt könnte man sagen, durch sein Gutsein beweist der Mensch, dass er im Stand der Gnade ist. Und da lauert nun in der Tat die Gefahr, dass das Kausalverhältnis zwischen Gnade und Gutsein, wie Wesley es verstand, aus dem Blickfeld gerät oder sogar in sein Gegenteil verkehrt wird - dergestalt, dass das moralisch gute Handeln des Menschen eben doch als Voraussetzung dafür verstanden wird, das Heil zu erlangen. Und das ist dann - man höre und staune - Pelagianismus. Eine Irrlehre des 5. Jahrhunderts, die - maßgeblich auf Betreiben des Hl. Augustinus - 431 auf dem Konzil von Ephesus verurteilt wurde. So richtig totzukriegen ist die Vorstellung, der Mensch müsse aus eigener Kraft und eigenem Entschluss zum Guten fähig sein und sich sein Heil also "erarbeiten" bzw. "verdienen" können, aber offenkundig bis heute nicht; nicht umsonst warnt Papst Franziskus mit auffallender Regelmäßigkeit vor den Versuchungen eines "neuen Pelagianismus".
Die Erfolgsgeschichte des Slogans "What Would Jesus Do?" hat jedoch noch einen weiteren bemerkenswerten Aspekt. Dieser Satz bildet nämlich das Leitmotiv eines im Jahre 1896 erschienenen Romans mit dem Titel In His Steps, dessen Verfasser Charles Sheldon ein Anhänger des Christlichen Sozialismus war und die Nachfolge Christi in erster Linie als ein sozialethisches Programm auffasste. Seine Ideen hatten maßgeblichen Einfluss auf die Social Gospel-Bewegung, die die Auffassung vertrat, die Wiederkunft Christi könne erst und nur dann eintreten, wenn die Menschheit zuvor aus eigener Kraft eine gerechte Sozialordnung geschaffen hätte. Die gedankliche Nähe zum Pelagianismus ist evident, neu ist jedoch die starke soziale Komponente: Es geht nicht mehr nur darum, dass der Einzelne sein persönliches Heil durch eigene Anstrengung erreicht, sondern die ganze Welt soll auf sozialpolitischem Wege erlöst werden. Man könnte die Frage aufwerfen, wozu Jesus am Ende der Zeiten überhaupt noch wiederkommen soll, wenn die Menschen bis dahin doch schon selbst ein Paradies auf Erden erschaffen haben. Anders und noch schärfer ausgedrückt: Wozu braucht das Social Gospel eigentlich noch Gott?
Hier zeigt sich die Gefahr einer unzulässigen Verengung der christlichen Botschaft, wenn die Rolle Jesu allzu sehr auf die eines Vorbilds für ethisch richtiges Handeln reduziert wird. Keine Frage: Das ist Er auch. Aber das könnten ebensogut auch Buddha, Sokrates oder Mahatma Gandhi sein. Jesus Christus ist weit mehr als das: Er ist, wie Simon Petrus in Caesarea Philippi schlagartig erkannte, "der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes". Er ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Er hat uns mit Seinem Blut erlöst, und Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich will durchaus nicht behaupten, dass all Jene, die gern Aussagen wie "Wenn Jesus heute lebte, würde er..." im Munde führen, ausdrücklich die Gottheit Christi leugnen. Spräche man sie darauf an, würden Viele vermutlich erklären, sie glaubten daran. Aber zuweilen beschleicht einen doch der Eindruck, dass für die, die sich auf Jesus nur als auf ein Vorbild in ethischer Hinsicht berufen, Seine göttliche Natur praktisch keine Rolle spielt. Und so schleicht sich durch die Hintertür die Irrlehre des Arianismus in das Denken und Reden von Menschen ein, die sich selbst ganz aufrichtig und überzeugt als engagierte Christen betrachten. Deshalb - genauer gesagt: unter Anderem deshalb - reagiere ich immer so empfindlich, wenn in so manchen Diskussionen unter Christen "der Wanderprediger aus Nazaret" hervorgezogen und gegen die Lehre und Praxis der Kirche ausgespielt wird. Denn damit wird - ob bewusst oder nicht - zugleich der Mensch Jesus (beziehungsweise das vermeintlich historisch-kritische, in Wirklichkeit aber in aller Regel ahistorisch-unkritische Bild, das man sich von diesem zurechtlegt) gegen den Gottessohn ausgespielt. Kurz: So fortschrittlich sich solche Konstrukte auch dünken, tatsächlich sind sie ein Rückfall hinter die christologischen Auseinandersetzungen des 4. und 5. Jahrhunderts. Mindestens.
Aus durchaus ähnlichen Gründen erregt es auch mein Missfallen, wenn - was aus begreiflichen Gründen derzeit Hochkonjunktur hat - das Weihnachtsevangelium als Flüchtlingsdrama nacherzählt wird. (Eine solche Erzählung, aus der Feder einer evangelischen Pastorin aus meiner Heimatstadt, habe ich bereits in einem Beitrag von vor fast drei Jahren erwähnt - und kommentierte damals: "Oh Mann, das ist so 90er!". Damals ahnte ich ja noch nicht, welche drängende Aktualität die Flüchtlingsthematik nur wenige Jahre später gewinnen würde.) Dieses Missfallen rührt nicht etwa daher, dass ich mit der intendierten Aussage, Christen seien in besonderem Maße dazu aufgerufen, Notleidenden zu helfen und Verfolgten Asyl zu gewähren, nicht einverstanden wäre. Aber dafür, diese Aussage biblisch zu belegen und zu begründen, gibt es weit bessere Möglichkeiten, als die Weihnachtsgeschichte zu verballhornen -- und sie damit um ihren wesentlichsten Aspekt, die heilsgeschichtliche Bedeutung der Menschwerdung Gottes, zu verkürzen. Vielleicht (vielleicht!) werde ich bis Weihnachten noch einmal auf dieses Thema zurückkommen; einstweilen begnüge ich mich damit, auf diesen Artikel des lutherischen Pastors Hans Fiene im Federalist zu verweisen...
Studienreise auf die Philippinen? Da klingelt doch was.
AntwortenLöschenAchja! Die gab es in Paderborn 2013 mal: KLICK
Flyer dazu: als PDF
Und überhaupt sind so reisen offenbar beliebt: KLICK
Flyer von diesem Jahr als PDF