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Montag, 30. Mai 2016

"Wenn Menschen sich verschätzen..." - Bloggupy Leipzig, Teil 2

Ich bin zurück vom Katholikentag -- und bin um zahlreiche spannende Eindrücke (und einen Sonnenbrand) reicher! Zu berichten gibt es so viel, dass es gar nicht alles in einen Artikel passt; es werden also noch ein paar weitere folgen, nicht chronologisch, sondern thematisch sortiert. Hier erst mal ein allgemeiner Rundumschlag zu den gut 14 Stunden, die ich in Leipzig verbracht habe. 

Schöne Variation zum Plakatdesign des Katholikentags - gesehen im "Schreibcafé" der Propsteikirche 

Bereits in dem direkt nach meiner Ankunft geposteten Artikel hatte ich gescherzt, ich hätte die Hymne des diesjährigen Katholikentags im Bus gehört, und sie sei von Christina Stürmer. Darauf muss ich noch einmal zurückkommen, denn wenn man das Lied nicht kennt, versteht man den Witz nicht. Ich kannte es vor dieser Busfahrt auch nicht, aber bei dem Refrain 

Und wir gehen den Weg, von hier
Seite an Seite ein Leben lang, für immer 
Denn wir gehen den Weg, von hier
weiter und weiter ein Leben lang, für immer 

und nicht zuletzt bei Textstellen wie

Es ist nicht immer einfach zu verzeihen
doch das Größte was wir können ist Mensch zu sein 

fand ich schon, dass das irgendwie zum Katholikentag und dessen Motto passe. Und in Melodie und Arrangement hat der Song ebenfalls etwas entschieden Sacropoppiges, ich sag mal: post-NGL. Jedenfalls, wie ich fand, eine stimmige musikalische Untermalung des Reiseantritts. Der Heilige Geist geleitet uns mit Liebe und Humor, dachte ich schmunzelnd. - Später musste ich feststellen, dass der diesjährige Katholikentag anscheinend gar keine eigene Hymne hatte; dafür hörte man aber allerorten, in unterschiedlichsten Arrangements und unterschiedlichster Qualität, das mindestens seit 2010 auf allen Kirchen- und Katholikentagen rauf- und runtergedudelte "Da berühren sich Himmel und Erde". Schlimm. Die Nummer hat nicht nur das für NGL-Evergreens typische Ohrwurmpotential, sondern auch die ebenso typische Eigenschaft, dass der Text aller Strophen so schematisch aufgebaut ist, dass man mit leichter Mühe drei bis fünf weitere Strophen hinzudichten könnte. "Wenn Menschen sich vergessen", "Wenn Menschen sich verschenken", "Wenn Menschen sich verbünden"... Einmal dachte ich, die Worte "Wenn Menschen sich verschätzen" drängen an mein Ohr; wahrscheinlich habe ich mich nur verhört, aber eigentlich hätte diese Textvariante gut zum Katholikentag gepasst. 

Das betraf nicht zuletzt meine Liebste und mich, denn wir hatten uns bei unserer Programmplanung für diesen Katholikentags-Samstag total verschätzt. Es ging damit los, dass das "Museum in der runden Ecke" - im ehemaligen Gebäude der  Leipziger Bezirksverwaltung der Stasi -, wo wir eine Ausstellung über staatliche Überwachung und Drangsalierung der Katholischen Kirche in der DDR besuchen wollten, erst zwei Stunden später öffnete als wir es dem Katholikentagsprogramm entnommen hatten. Wir sahen uns die Ausstellung zwar trotzdem an, und sie war auch sehr interessant - vielleicht mal ein Thema für einen eigenständigen Artikel, aber das Thema eilt ja nicht -, aber danach war unser Zeitplan natürlich gründlich im Eimer. Das Ergebnis war, dass wir zu keinem Vortrag, keiner Podiumsdiskussion, keinem Orgelkonzert, keinem Workshop und keinem "Bibliodrama" gingen; stattdessen wanderten wir rund drei Stunden lang über die "Kirchenmeile", unterbrochen von einem Abstecher zur Propsteikirche (ich hatte überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt, dass das die Kirche war, deren Einweihung im Mai letzten Jahres in meinem katholischen Social-Media-Umfeld allerlei Debatten über moderne Kirchenarchitektur angeheizt hatte), schauten beim "Themenbereich Jugend" und auf der "Medienmeile" vorbei und fanden uns schließlich zum "Nightfever" in der Nikolaikirche ein. Das von mir so getaufte "Zentrum Esoterik" und den "Themenbereich Familie und Generationen", wo wir eigentlich auch noch hingewollt hatten, sahen wir nicht mal von Weitem. 

Auf der Kirchenmeile: XXL-Rosenkränze? Die interreligiöse Variante, ohne Kreuz und dafür in Regenbogenfarben? 
Trotzdem war ich gar nicht unzufrieden mit unserem zusammengeschrumpften Programm. Am schönsten war, dass wir auf der Kirchenmeile unseren Twitter-Freund @Violissimo trafen, der sich "live" als ein genauso liebenswerter Zeitgenosse erwies, wie ich ihn mir anhand unserer Kontakte in der virtuellen Welt vorgestellt hatte.

Auf der Kirchenmeile, auf der sich Bistümer, Ordensgemeinschaften, Verbände, Hilfswerke usw. vorstellten, gab es viel zu sehen, mitzunehmen (Flyer, Sticker, Glückskekse, Gummibärchen...) und auch mitzumachen; so z.B. eine Umfrage der Uni Leipzig über Erwartungen an den Katholikentag und inwieweit diese erfüllt worden seien. An der Umfrage nahmen wir teil, obwohl wir ja praktisch gerade erst angekommen waren (und daher bei manch einer Frage die Option "Kann ich noch nicht sagen" ankreuzen mussten). Ich amüsierte mich bei dem Gedanken, dass meine Antworten bei der Auswertung wohl für einige Verwirrung sorgen würden; etwa, dass ich bei der Bewertung von Aussagen über die Kirche - Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre, Stellenwert der Kirche fürs eigene Leben usw. - durchweg positive Antworten gab, bei der letzten dieser Aussagen - "Ich finde, dass die Kirche gut in die heutige Gesellschaft passt" - hingegen mit Begeisterung NEIN ankreuzte. Da sollen die Demoskopen mal sehen, was sie daraus machen. Meine Liebste stellte derweil fest, dass die Umfrage - was für die Uni Leipzig eigentlich erstaunlich ist - nicht gendersensibel war.



Transgender-Toiletten gab es auf dem Katholikentag übrigens auch nicht. Also, ich habe jedenfalls keine gesehen. Anders als letztes Jahr beim Evangelischen Kirchentag in Stuttgart.

Am Stand des Bistums Münster - immerhin Gastgeber des nächsten Katholikentags in zwei Jahren - hoffte ich eigentlich darauf, einige VertreterInnen der Facebook-Redaktion anzutreffen, um mich ihnen mal persönlich vorzustellen ("Hi, ich bin euer schärfster Kritiker. Machen wir ein Selfie?"), hatte aber kein Glück. Insgesamt waren die Stände der Bistümer, wie meine Liebste bereits geschildert hat, eher wenig bemerkenswert. Überall gab's professionell designte Giveaways mit poppigen, aber wenig substanzhaltigen Slogans, überall gab's lustige Mitmachspiele, aber kaum religiöse oder gar spezifisch katholische Inhalte. Da war das "Astronautenspiel" des Bistums Essen relativ gesehen noch ein Highlight.

Links im weißen Hemd: Generalvikar Klaus Pfeffer, dessen Zukunftsvisionen ich hier auch schon mal am Wickel hatte. Ich gehe nicht davon aus, dass er den Artikel gelesen hat, sonst hätte ich ihn drauf angesprochen. 
 Aus einer Vielzahl von Begriffen auf bunten Magnettäfelchen sollte man sieben auswählen, die für die Kirche der Zukunft wichtig seien. Wir sahen eine Weile zu, und die Ergebnisse waren ungefähr so, wie man sich das vorstellen konnte. 


Daraufhin musste meine Liebste dann auch mal mitmachen - und ein wenig die Prioritäten zurechtrücken. 


Nach rund zwei Stunden stellte sich der Wunsch ein, etwas zu essen, und mit Hilfe von Freund @Violissimo fanden wir einen ziemlich abgelegenen Stand, der "Vogtländische Gastlichkeit" versprach und an dem wir Kartoffelpuffer mit Knoblauchsoße erwarben, die wir in einer angrenzenden Grünfläche unter einem Baum verspeisten. Die Reibekuchen waren lecker, dennoch stellte sich danach die Frage: "Und was essen wir jetzt?" Also steuerten wir die inmitten der Stände der Ordensgemeinschaften gelegene Fressmeile an, besorgten uns einen Flammkuchen und einen Wrap mit Auerochsen-Schmorfleisch und teilten uns beides. (Der Verkäufer an der Flammkuchenbude war lustig. "So, wer ist der Nächste? - Ach, der KingBear." Kannte er mich? Wohl kaum; aber er hatte den Schriftzug auf meinem T-Shirt gelesen. "Ich hätte gern einen mit Schinkenspeck..." - "Na, dass du keinen veganen willst, das war mir klar!") 

In unmittelbarer Nähe der Fressbuden spielte und sang eine junge Frau Gospelsongs oder zumindest gospelig klingende Songs, aber als wir einen Platz gefunden hatten, war ihr Auftritt schon fast vorbei; als Zugabe trug sie "Ain't No Mountain High Enough" vor, was dank der biblisch anmutenden Diktion des Texts ja beinahe noch als Gospel durchgeht. In ihrer Interpretation klang der Soul-Klassiker jedoch so Singer-Songwriter-mäßig, dass ich zwischendurch erwog, ob der vielfach gecoverte Song vielleicht von Carole King geschrieben wurde. Musste ich zu Hause erst mal nachprüfen: Nein, er ist von Ashford & Simpson. Schon wieder verschätzt. 

Wenig später trug auf derselben Bühne eine Gruppe von Ordensfrauen die Gründungsgeschichte ihres Klosters als "Bänkelsang" vor. Wir ergriffen die Flucht. 

Mein Respekt vor Ordensfrauen verbietet es mir, näher auf diesen Beitrag einzugehen. 

Zentrum für geistliche Entenberufe
Später und woanders: gefallene Enten
Nachdem wir mit der "Kirchenmeile" so ziemlich "durch" waren, waren wir etwas unschlüssig, wohin wir uns als nächstes wenden sollten, und beim Herumirren kamen wir am "Begegnungscafé" der Propsteikirche vorbei. "Komm", sagte meine Liebste, "lass uns dem Kaffee begegnen". Das taten wir auch, und danach stießen wir auf einer kleinen Grünfläche auf den "Off-Church-Tabernakel": Ein Tipi, in dem als einziger Einrichtungsgegenstand ein Blechkasten stand. Um den Blechkasten herum lagen einige Teenager und "chillten". Auf die Frage, was denn hier das Konzept sei, erklärten sie, das wüssten sie auch nicht. Ein Mädchen hatte zumindest eine vage Ahnung: Man könne hier Karten zum Thema "Was ist mir heilig?" ausfüllen und dann durch einen Schlitz in den Blechkasten werfen. Na toll. Und das nennt man dann "Tabernakel". Ein treffliches Symbol für moderne Spiritualität Marke Eigenbau

Themenbereich Jugend: Latein für Messdiener
Wir unternahmen einen kurzen Abstecher zum "Themenbereich Jugend", und dann verabredeten wir uns auf elektronischem Wege mit einem weiteren Social-Media-Bekannten, dem @PopePunk, am Stand von EWTN auf der "Medienmeile". da musste natürlich ein Foto geschossen werden. 

"Stehen Sie hinter EWTN?" - "Nein, davor!" 
Außerdem kamen wir an den Ständen von Radio Horeb und der Tagespost vorbei; eine Dame vom Osservatore Romano lobte mein T-Shirt. Und ein Muss auf der Medienmeile war natürlich ein Selfie mit dem Papst - wobei, ein Selfie wurde es dann doch nicht, da ein freundlicher Mitarbeiter von Radio Vatikan es übernahm, das Foto zu schießen. 


Und dann war es auch schon bald Zeit, dass wir uns auf den Weg zum letzten und wichtigsten Punkt unseres persönlichen Katholikentagsprogramms machten: dem Nightfever in der Nikolaikirche. Aber dazu folgt demnächst ein eigener Artikel.

Um nochmals auf den Titel des Artikels zurückzukommen, sei noch angemerkt, dass sich offenbar auch die Veranstalter des Katholikentags gründlich verschätzt haben: Die Teilnehmerzahlen blieben insgesamt weit hinter den Erwartungen zurück, mit laut unterschiedlichen Angaben zwischen 30.000 und 40.000 Dauergästen war der Event nur unwesentlich größer als das Wave-Gothic-Treffen an Pfingsten am selben Ort. Besonders Veranstaltungen mit prominenten Politikern, hieß es, seien schwach besucht gewesen. Man wagt kaum zu hoffen, dass das die Veranstalter in Zukunft dazu veranlassen könnte, ihre Prioritäten zu überdenken. Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie viele meiner katholischen Social-Media-Bekannten genau deshalb nicht zum Katholikentag gefahren sind, weil sie keine Lust auf einen "schwarz-rot-grünen Einheitsparteitag" hatten. Die Anbiederei der Katholikentags-Veranstalter bei Politikern vor allem aus dem mehr oder weniger ausgeprägt linken Spektrum ist ja auch nicht zuletzt deshalb etwas peinlich, weil diese der Kirche als solcher dadurch ja doch nicht wohlgesonnener werden. Das zeigen nicht zuletzt die alle Jahre wiederkehrenden politischen Auseinandersetzungen um die Bezuschussung von Kirchen- und Katholikentagen aus öffentlichen Mitteln. Und dann war da noch die Anti-TTIP-Demo, die um die Mittagszeit an der Kirchenmeile vorbeikam. Es gab eine Durchsage an die Demonstranten, sie sollten beim Passieren des Katholikentagsgeländes bitte etwas leiser sein; die Teilnehmer antworteten mit einem Pfeifkonzert. Ein ebenso krasses wie bezeichnendes Missverständnis, denn viele der auf der Kirchenmeile vertretenen Organisationen wären eigentlich natürliche Verbündete der Anti-TTIP-Demonstranten. Tja.

Dass mein persönlicher Eindruck vom Katholikentag insgesamt weit positiver war als erwartet, hat letztlich wohl zu einem großen Teil damit zu tun, dass ich für viele Programmangebote, über die ich mich nur geärgert hätte, gar keine Zeit hatte. So hatte das Verschätzen also auch sein Gutes. Aber allgemein gesprochen sollte man sich wohl, nicht nur angesichts der mageren Besucherzahlen, mal die Frage stellen, welchen Sinn ein Katholikentag hat, wenn es da zwar jede Menge Veranstaltungen zu politischen, sozialen und ökologischen Themen, allerlei esoterischen Klimbim und dazu jede Menge Fun, Action und Giveaways gibt, aber kaum explizit katholische Inhalte. Da ist gerade auch die schon erwähnte Präsentation der Bistümer zu nennen, die insgeheim unter dem Motto zu stehen schien "Wir sind ja gar nicht so". Schön und gut, aber: WIE seid ihr denn DANN? Ist es nicht das, was die Leute wissen wollen und ein Recht haben zu erfahren? Und hat das Motto des Katholikentags, und die Plakatkampagne zu diesem Motto, nicht irgendwie etwas damit zu tun, Gesicht zu zeigen?

(Weitere Berichte folgen...)


1 Kommentar:

  1. Stichwort "Rosenkranz", welches Deine Liebste auf ihrem Blog ansprach:

    Der klassische Rosenkranz war ja vor einiger Zeit bei Liberalos out, da offenbar zu "tradi"; stattdessen wurden die sog. "Perlen des Glaubens" [ein neuer ökumenischer und politisch korrekter Perlenkranz] propagiert und sogar Firmlinge im Unterricht damit traktiert.

    Gab's darüber (noch) was auf dem Katholikentag oder ist der auch schon wieder im Orkus der Geschichte entsorgt?

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