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Dienstag, 10. Mai 2016

Gymnastiksaal mit Sakralhintergrund

Am 5. Juni ist Gegenteiltag in der Kirche St. Johannes in der Dorstener Feldmark. "Die Profanierung ist das Gegenteil der Kirchweihe" – so stand es am 4. Mai in der Dorstener Zeitung. Ein vom Bischof von Münster bereits im vergangenen Jahr unterzeichnetes Profanierungsdekret für das 1960 geweihte Gotteshaus wird im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes vollstreckt. "Was passiert bei diesem Zeremoniell? 'Das Entscheidende ist, dass das Allerheiligste, der Ort des Tabernakels, aufgehoben wird. Der Tabernakel als Aufbewahrungsort für die konsekrierten Hostien, wird entnommen und in eine andere Kirche überführt', erklärt Pfarrer Franke. Ein weiteres Zeichen für die Aufhebung der liturgischen und sakralen Nutzung des Raumes sei die Entfernung des Reliquiensteines, der im Altar eingemauert sei." Weiter führt der Pfarrer aus: "Es wäre auch schön, wenn die Gottesdienstbesucher ebenfalls Gegenstände, wie Messbuch, Altartuch, Ewiges Licht und anderes in einer feierlichen Prozession unter Glockengeläut aus dem bisherigen Kirchenraum in den Pfarrheim-Saal bringen würden".

St. Johannes ist eines von derzeit vier Gotteshäusern der Dorstener Pfarrei St. Agatha, von der in diesem Blog schon ein paarmal die Rede war. Die Dorstener Zeitung zitiert den leitenden Pfarrer Ulrich Franke mit der Einschätzung, dieser Kirchenbau sei "der schönste und baulich überzeugendste in der gesamten Pfarrei". Entworfen wurde die Kirche von Emil Steffann, "einem der bekanntestes Kirchenarchitekten der Nachkriegszeit". Die Kirche in der Feldmark hat jedoch, wie die Website der Pfarrei berichtet, eine Vorgeschichte, die weiter zurückreicht als bis 1960 – nämlich bis in "die Jahre kurz nach Beendigung des 2. Weltkrieges – durch die Einrichtung einer Notkirche im Saal Maas-Timpert". Ich finde ja, diese Formulierung wirkt ein bisschen so, als sei der II. Weltkrieg durch die Einrichtung der Notkirche beendet worden – schön wär's ja –; so war's aber nicht:

"Wegen der Zerstörung der St.-Agatha-Kirche in der Altstadt am 22.03.1945 ließ der damalige Pfarrer Franz Westhoff für die zahlreichen Gemeindemitglieder drei Notkirchen einrichten: eine im Speisesaal des Ursulinenklosters, eine in einer hölzernen Halle auf dem Gelände des Gesellenhauses am Südwall" – und eine eben im Festsaal einer Gastwirtschaft. Diese wurde dem Hl. Johannes dem Täufer geweiht. "Noch heute zeugen die kleine Glocke und das Bild 'Der gute Hirte' am Eingang an der Giebelseite des Saales von seiner religiösen Vergangenheit. Zum Jahresende 1949 wurde die Filialkirche wieder aufgelöst; doch schnell stellte sich bei den Gläubigen der Wunsch nach einer Selbstständigkeit ein. Erste Gespräche zum Bau einer neuen Kirche in der Feldmark fanden bereits 1953 statt; die konkrete Planung erfolgte erst ab 1957."

Tja, so ändern sich die Zeiten: In der Nachkriegszeit herrschte ein so großer Bedarf an Kirchen, dass man auf profane Gebäude ausweichen musste – und heute herrscht landauf, landab das große Kirchensterben. Die Zahl der Gottesdienstbesucher ist in den letzten Jahrzehnten erheblich zurückgegangen, und da im selben Zeitraum auch die Zahl der Priester deutlich abgenommen hat, gleichzeitig aber die Mobilität der Menschen größer ist als früher, geht der Trend vielerorts dahin, die verbleibenden Kirchgänger auf eine kleinere Zahl von Gottesdienststandorten zu "konzentrieren". Man könnte denken, dies sei auch in Dorsten der Fall - zumal die Filialkirche St. Johannes der Täufer nur 750 Meter (!) von der Pfarrkirche St. Agatha entfernt liegt. Doch auf den zweiten Blick sind die Dinge nicht so, wie sie zunächst scheinen: Die Kirche in der Feldmark soll nämlich gar nicht endgültig aufgegeben werden. Vielmehr soll nach einem Umbau "der Raum zwar stark verkleinert, aber weiterhin als Kirche existieren": "120 Gottesdienstbesuchern wird das um zwei Drittel verkleinerte Gotteshaus dann Platz bieten. [...] Läuft alles nach Plan, wird die neue St.-Johannes-Kirche 2018 wieder neu geweiht werden: Klein, modern, auf die Zukunft ausgerichtet, mit regelmäßigen Gottesdienstzeiten. Dann wird sich die Prozession der Gläubigen wieder in Bewegung setzen, diesmal in die Gegenrichtung, um Tabernakel und Reliquienstein vom Pfarrsaal in die Kirche zu tragen."

Eine kosmetische Verkleinerung des Kirchenraums also? Wozu das? Nun, das Gebäude - jedenfalls der größte Teil davon - wird für andere Zwecke benötigt: Die Familienbildungsstätte Dorsten soll dort einziehen. Bislang residiert diese im "Haus der Familie" im Dorstener Stadtteil Holsterhausen, aber dort läuft zum Jahresende der Mietvertrag aus. Nun sollen also im bisherigen Kirchengebäude neue Räume für die Familienbildungsstätte entstehen, auf dass in den ehemals heil'gen Hallen fortan Angebote wie Babymassage ("Berühren mit Respekt"), Bodypainting für 3-4jährige, Basic Cooking Vegan, Origami-Workshops und natürlich Hatha Yoga stattfinden können. Der bisherige Altarraum von St. Johannes soll einer Gymnastikhalle Platz machen. Aber keine Sorge: Als katholische Bildungseinrichtung hat die Familienbildungsstätte natürlich auch Theologische Bildung und Religionspädagogik im Programm. Da gibt es dann so schöne Veranstaltungen wie "Religiöse Spurensuche - Auf Gottes Spuren", bei denen Eltern mit Kindern im Vorschulalter (2-6 Jahre) neben der Pfarrkirche St. Agatha auch eine Moschee der türkisch-muslimischen Gemeinde DITIB in Dorsten sowie die Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen besuchen können. Ein tolles Orientierungsangebot für Eltern, die noch unentschlossen sind, in welchem Glauben sie ihre Kinder erziehen sollen.

Genaueres zu den Umbauplänen für den neuen Standort erfährt der geneigte Leser auf der Website der Familienbildungsstätte - in einem Text, der vermuten lässt, dass Grammatik und Satzbau eher nicht zum Kursprogramm dieser Bildungseinrichtung zählen; aber das nur am Rande. Man erfährt dort, es sei "bereits vor längerer Zeit die Entscheidung gefallen, den Anbautrakt der Kirche (Pfarrbüro und Pfarrwohnung) abzureißen und an deren Stelle einen neuen Anbau zu errichten, der die Verwaltung im Untergeschoss und die Lehrküche im Obergeschoss aufnehmen wird. Optisch wird dieser neue Anbau dem späteren äußeren Erscheinungsbild des Kirchenschiffes mit seinen Lichtöffnungen angeglichen" Außerdem haben die "Berechnungen zur Heizungs- und Klimatechnik [...] ergeben, die ursprünglich für die Flure vorgesehene Offenheit bis in den Dachraum der Kirchenschiffes im Obergeschoss abzuschotten, was leider die Wahrnehmung der Weite des früheren Kirchraumes einschränkt, jedoch dem Raumklima und der späteren Energiebilanz zu Gute kommt". Damit nicht genug: "Erheblich wirkt sich auch die Feststellung der notwendigen Sanierung und Erneuerung des Kirchendaches aus. Während das alte Tragwerk des Dachstuhls bestehen bleiben kann, wird an einer Lösung für eine neue Dacheindeckung aktuell gearbeitet." Und was soll das alles kosten? -- Wissen wir noch nicht: "Die nächsten Schritte und Ergebnisse erwarten wir mit der Kostenermittlung, Ausschreibung der Gewerke und der anschließenden Vergabe der Abriss- und Rohbaumaßnahmen. Bei einem reibungslosen Ablauf ist mit einer Bauzeit von ca. 18 Monaten zu rechnen."

Achtzehn Monate! Das erfordert natürlich Übergangslösungen - sowohl für die Bildungsstätte selbst, die ja zum Jahresende aus ihren bisherigen Räumen raus muss, als auch natürlich für die St.-Johannes-Kirche, die für eineinhalb Jahre zur Baustelle wird. Was das letztere Problem betrifft, hat man beschlossen, den Saal des Pfarrheims von St. Johannes "für die Zeit des Umbaus übergangsweise als Kirche" zu nutzen. Fällt der Saal somit für anderweitige Nutzungen aus? Mitneffen bzw. -nichten: "An Wochentagen wird der für die Gottesdienste genutzte Teil des Pfarrsaales abgetrennt, sodass er" - gemeint ist sicherlich: der übrige Teil - "weiterhin von Gruppen genutzt werden kann. 'Nur Partys sind in dieser Zeit als nicht angemessen tabu', sagen die Geistlichen" - na hallo! Da möchte man doch direkt mal wissen, was für wilde Partys sonst so im Pfarrheim in der Dorstener Feldmark gefeiert werden!

Und die Familienbildungsstätte? Die zieht vorerst ins Pfarrheim einer anderen Dorstener Pfarrei, St. Matthäus im Stadtteil Wulfen. Das wurde, wie ein Artikel im Lokalkompass verrät, am 16. April auf einer kurzfristig einberufenen außerordentlichen Pfarrversammlung beschlossen. "Wichtig war dem Kirchenvorstand zu betonen, dass aus Zeitgründen eine vorherige Einbindung der Pfarrgemeinde nicht möglich war." Und nun isses halt nicht mehr zu ändern:
"'Der Kirchengemeinde St. Matthäus ist klar, dass es durch die neue Situation zu Einschränkungen kommt. So werden für den Übergangszeitraum keine privaten Vermietungen möglich sein.', erklärte Bernhard Schürmann, vom Kirchenvorstand auf Nachfrage. 'Entlastend wirkt, dass die ehemalige Seniorenstube ab dem 01. Juni und für den gesamten Übergangszeitraum der Kirchengemeinde zur Verfügung stehen wird. Der Kirchenvorstand hat die Familienbildungsstätte Dorsten gebeten, die bisherigen Nutzer des Matthäusheims - soweit möglich - in ihr Raumprogramm zu integrieren.'" 
Spätestens an diesem Punkt mag man geneigt sein, die ganze Angelegenheit für ein Stück aus dem Tollhaus zu halten - aber es kommt noch 'besser': Wie der Lokalkompass weiter zu berichten weiß, ist das Matthäusheim für eine Nutzung durch die Pfarrgemeinde selbst nämlich eigentlich sowieso zu groß. - Wie das? Nun ja: Das Bistum Münster unterstützt Pfarrheime finanziell über so genannte "Schlüsselzuweisungen", doch dabei "greift zukünftig aber eine Begrenzung von 100 qm Pfarrheimfläche je 1.000 Gläubige". Die Sinnhaftigkeit dieser Regelung wollen wir lieber gar nicht erst hinterfragen; die Auswirkungen sind jedenfalls bizarr:
"Zur Gemeinde St. Matthäus gehören ohne Herz-Jesu und ohne St. Barbara überschlägig 3.000 Gläubige, das Matthäusheim hat aber eine Nutzfläche von rd. 800 qm. Hier werde man für die Zukunft nach einer tragfähigen Lösung suchen müssen. Diese könne in einer Renovierung des Pfarrheims bei gleichzeitiger Verringerung der Fläche [!], eine Integration des Pfarrheims in die Pfarrkirche [?!] oder einem neuen Gebäude an der Kirche bzw. in der Nähe der Kirche liegen." 
Merke: Kosmetische Verkleinerung kirchlich genutzter Gebäude scheint derzeit schwer im Trend zu liegen. Man könnte denken, man hätte es mit einem Schildbürgerstreich zu tun; tatsächlich handelt es sich aber wohl eher um eines von vielen Symptomen des schleichenden Todes der Volkskirche - eines Prozesses, der von den Verantwortlichen mit einer eigentümlichen Mischung aus souveräner Ignoranz und irregeleitetem Aktionismus verwaltet wird. Für die Schaffung von Räumlichkeiten für Babystreichel- und Selbstfindungstöpferkurse stehen, wie es scheint, nahezu unbegrenzte Mittel aus dem großen Kirchensteuertopf zur Verfügung, während die Pfarreien um ihr Überleben kämpfen. Aber auch den Pfarrgemeinden selbst scheinen Räume für diverse Gruppenaktivitäten im Zweifel wichtiger zu sein als der Raum für den Gottesdienst. So verschwinden Tabernakel und Reliquienstein, Messbuch, Altartuch und Ewiges Licht gewissermaßen in der Abstellkammer, die nur noch bei Bedarf aufgesperrt wird.

Im Falle der Kirche St. Johannes der Täufer in der Dorstener Feldmark wäre es wohl eine schmerzhafte, immerhin aber eine konsequente und ehrliche Entscheidung gewesen, die Kirche gänzlich aufzugeben - und angesichts des Umstands, dass sie nur einen kurzen Spaziergang von der nächstgelegenen katholischen Pfarrkirche entfernt liegt (insgesamt führt die Website der Stadt Dorsten, einer Stadt mit rund 76.000 Einwohnern, nicht weniger als achtzehn katholische Kirchen auf!) und dass die Pfarrei St. Agatha, zu der St. Johannes gehört, in Zukunft wohl nur noch von zwei statt wie bisher von drei Priestern betreut wird, vermutlich auch eine vernünftige Entscheidung. Die Kirche zwar bestehen zu lassen, aber gewissermaßen nur als Hinterstübchen von Yoga-Halle und veganer Kochschule, ist hingegen ein ausgesprochen fatales Signal.


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