Dienstag, 9. April 2024

Zur Hölle mit schlechten Predigten

Ich schätze, es ist eine verbreitete menschliche Erfahrung, dass einem an anderen Menschen besonders diejenigen Untugenden unangenehm auffallen, zu denen man selbst neigt. Ich zum Beispiel rege mich häufig über eine spezielle Form von Wichtigtuerei auf: wenn Leute bei jeder Gelegenheit betont beiläufig erwähnen müssen, was sie alles wissen und können und gelernt haben, wo sie schon überall gewesen sind und was sie in ihrem Leben schon alles gemacht haben – und damit offenkundig die Absicht verfolgen, ihren Ansichten über Dieses und Jenes größeres Gewicht zu verleihen. Und wenn mir jetzt jemand auf den Kopf zusagen würde, genau das täte ich aber selber gern und oft, könnte ich vielleicht mehr oder weniger schlüssig begründen, warum ich der Meinung bin, das sei etwas anderes, aber ganz und gar abstreiten könnte ich es nicht

Ich hoffe allerdings, dass ich diese Neigung wenigstens dann unterdrücken könnte, wenn ich Priester wäre und eine Messe zu halten hätte. Weil mir dann hoffentlich bewusst wäre, dass es – auch wenn ich derjenige bin, der vorne steht und redet, während die anderen zuhören müssen – in der Messe nicht um mich geht.

Priester, die zuweilen den Eindruck erwecken, diese Erkenntnis nicht so ganz verinnerlicht zu haben, habe ich über die Jahre schon einige erlebt. Aber natürlich gibt es da graduelle Abstufungen. Ganz und gar frei von Eitelkeit ist wohl kaum jemand, zu dessen Tätigkeitsprofil das Reden vor Publikum gehört. Problematisch wird es, wenn ein Priester den Eindruck erweckt, er stelle nicht zuletzt deshalb so sehr sich selbst in den Mittelpunkt, weil er über das, was eigentlich im Zentrum seiner Verkündigung stehen sollte, nicht viel zu sagen weiß. 

Dies und anderes ging mir anlässlich einer Messe durch den Kopf, die ich am Mittwoch der 4. Fastenwoche zusammen mit meinem Jüngsten besuchte. Es ist ja recht verbreitet, um nicht zu sagen üblich, dass in Werktagsmessen nicht gepredigt wird; so war es auch hier, oder eben auch nicht, denn zum Ausgleich für den Wegfall der Predigt baute der Zelebrant seine Begrüßungsworte zu einem zweiminütigen Predigtimpuls aus. Auch das ist etwas, was man öfter erlebt, und ich muss sagen, ich verstehe immer nicht, was das soll. Wenn ein Priester auch werktags predigen möchte, ist das ja legitim und laut Can. 767,3 CIC sogar "sehr empfohlen [...], besonders in der Adventszeit und österlichen Bußzeit". Wieso kann man dann die Predigt, selbst wenn sie nur zwei Minuten lang ist, nicht an der Stelle halten, wo sie vom liturgischen Ablauf her hingehört – nach dem Evangelium –, sondern muss sie partout an einer anderen Stelle einbauen? Will man damit signalisieren "Es ist ja gar keine Predigt bzw. will keine sein, sondern nur ein Impuls"? Also, ich weiß ja nicht. 

(Natürlich gibt es auch Priester, die – allerdings eher an Sonntagen oder Hochfesten, wenn die Kirche leidlich voll ist – in den Begrüßungsworten predigen und in der eigentlichen Predigt nochmal; und dann gern noch ein drittes Mal vor dem Schlusssegen. In extremen Fällen finden sie dazwischen noch ein paar weitere Gelegenheiten zum Predigen, zum Beispiel vor und nach den Fürbitten oder in der Überleitung vom Vaterunser zum Friedensgruß. Aber das sei nur als Randbemerkung festgehalten, auch wenn es durchaus einen gewissen Zusammenhang mit dem hier verhandelten Thema aufweist.)

Das Evangelium vom Tag war Johannes 5,17-30: die Selbstoffenbarung Jesu als Sohn Gottes. Darin ist auch vom Gericht über die Toten die Rede ("Die das Gute getan haben, werden zum Leben auferstehen, die das Böse getan haben, werden zum Gericht auferstehen", V. 29); insofern erscheint es nicht völlig abwegig, dass der Priester seinen Zwei-Minuten-Predigtimpuls mit dem Hinweis begann, er habe "aus verschiedenen Zusammenhängen mal – eigentlich sollte das sogar ein ganzer Aufsatz für eine Zeitschrift werden – einen Vortrag zum Thema Hölle ausgearbeitet". Aha, nun gut. Und was hatte er der Gemeinde nun über den Inhalt dieses Vortrags mitzuteilen? – 

Für den einen ist der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert, für den anderen mit schlechten Predigten. 
(Symbolbild: Eugène Delacroix, Dante und Vergil in der Hölle, 1822; gemeinfrei)

Dass sich im Alten Testament zunächst die Vorstellung findet, "die Scheol, die Unterwelt", sei ein gewissermaßen neutraler Ort, an den alle Verstorbenen kommen, unabhängig davon, ob sie im Leben gut oder böse waren, hatte ich durchaus auch im Religionsunterricht auf dem Gymnasium schon mal gehört. Weiter führte der Geistliche aus, erst ungefähr ab dem 2. Jahrhundert vor Christus habe sich "so langsam die Auffassung" durchgesetzt, "dass vielleicht doch irgendwie noch unser irdisches Leben auch irgendwie einen Einfluss darauf hat, wie es uns dann mal später nach dem Tod geht" (dass er für jemanden, der vorgeblich weiß, wovon er redet, ein bisschen oft das Wort "irgendwie" verwendet – insgesamt sechsmal in wie gesagt nur zwei Minuten –, sei nur am Rande angemerkt). So tauche etwa die Vorstellung auf, die Gerechten würden ihr Leben nach dem Tod "im Schoße Abrahams" verbringen, wohingegen diejenigen, die "nicht so anständig waren, [...] irgendwie in einen Zustand kommen", wo sie "fern bleiben von Gott". Im Tagesevangelium, so fügte er hinzu, klinge der Gedanke unterschiedlicher Formen des jenseitigen Lebens "auch schon ein bisschen so an". – Ein bisschen? Schauen wir uns die betreffende Passage noch einmal im Zusammenhang an: 

"Amen, amen, ich sage euch: Die Stunde kommt und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden; und alle, die sie hören, werden leben. Denn wie der Vater das Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich zu haben. Und er hat ihm Vollmacht gegeben, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. Wundert euch nicht darüber! Die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und herauskommen werden: Die das Gute getan haben, werden zum Leben auferstehen, die das Böse getan haben, werden zum Gericht auferstehen." 

Ich würde sagen, "ein bisschen" trifft hier den Sachverhalt nicht so ganz. Gleichwohl erklärte der Priester, "bei der Beschäftigung mit diesem Thema" habe er "gelesen, dass es eigentlich noch gar keine ausgefeilte Theologie von Himmel und Hölle und sowas gibt im Neuen Testament". Aha. Ach so. Na dann. Auch wenn "da natürlich schon erste Anklänge daran sind, was dann schon geglaubt wurde und was Jesus dann auch schon im Gegensatz zu einigen seiner Zeitgenossen weiterführt". – An dieser Stelle, so denkt man unwillkürlich, hätte es nun interessant werden können: Darüber, wie genau Jesus das, was damals "schon geglaubt wurde", "weiterführt", und dies sogar "im Gegensatz zu einigen seiner Zeitgenossen", hätte man doch vielleicht gern noch etwas mehr erfahren. Stattdessen machte der Priester an dieser Stelle einfach einen Punkt und leitete zum Kyrie über. --- 

Fragen wir uns an dieser Stelle: Was für eine Botschaft soll so ein Predigtimpuls eigentlich der Gemeinde vermitteln, was teilt sich den Gottesdienstteilnehmern darin mit außer "Theologie ist eine richtige Wissenschaft, ich habe sehr viel lernen müssen, um hier vorne stehen zu dürfen, also respektiert mich bitte"? – Wie schon gesagt, ein gewisser Hang zur Eitelkeit ist bei Leuten, die beruflich vor Publikum sprechen, ganz normal und ist hier nicht das eigentliche Problem. Das eigentliche Problem ist vielmehr, dass dieser Zwei-Minuten-Predigt eine klare Aussage fehlt, mit der die Hörer etwas anfangen können und die ihnen eine Wegweisung bieten könnte. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, über das Ob und Wie eines Lebens nach dem Tod könne man letztlich nicht mehr sagen als "Nichts Genaues weiß man nicht": Alles, was darüber in der Bibel steht, erscheint als Ergebnis dessen, was Menschen sich zu verschiedenen Zeiten gedacht und vorgestellt haben, selbst Jesus hatte "keine ausgefeilte Theologie von Himmel und Hölle"; was die Kirche zu diesen Fragen lehrt, kommt überhaupt nicht in den Blick. Am Ende steht nur ein vages "Wir dürfen ja glauben, dass wir zur Ewigkeit, zum Heil, zur ewigen Gemeinschaft mit Gott bestimmt sind". 

"Wir dürfen glauben", das ist so eine klassische Formulierung, mit der man sich um eine klare Positionierung herumdrückt. Auch und gerade, was den eigenen Glauben, die eigene Gottesbeziehung angeht. Wenn der Mann in seinen Predigten schon so gern über sich selbst spricht, warum hört man dann dazu so gut wie nie etwas von ihm? Ich muss gestehen, bei seinen Ausführungen darüber, wie man sich zur Zeit des Alten Testaments die Scheol vorstellte – als einen "Zustand, wo man, ja, so irgendwie dahinvegetiert, wo eigentlich nichts passiert, wo man auch keine Beziehung mehr zu Gott hat" –, konnte ich den Gedanken nicht ganz unterdrücken, das klinge so, als beschriebe er, wie er selbst jetzt schon lebt

Sehr bezeichnend scheint es mir auch, wie er die Voraussetzungen dafür beschrieb, nach dem Tod "irgendwie weiter in Gemeinschaft mit Gott leben" zu können: Diese Möglichkeit, so meinte er, verhießen die etwa ab dem 2. Jh. v. Chr. entstandenen biblischen Zeugnisse denjenigen, die "einigermaßen anständig gelebt haben". In der Überleitung zum Kyrie griff er diese Formulierung nochmals auf: "Bitten wir den Herrn um sein Erbarmen, dass es uns gelingt, einigermaßen anständig zu leben". #Sorrynotsorry, aber dafür, die Größe und Schönheit der christlichen Glaubenslehre, die zu verkünden eigentlich die Aufgabe des Priesters wäre, auf die fade, dröge Mahnung zu reduzieren, "einigermaßen anständig zu leben", fällt mir kein passenderweise Wort ein als "erbärmlich". 

Der Haken an der Sache ist natürlich, dass die Forderung, "einigermaßen anständig zu leben", ein ganzes Bündel von Verhaltungserwartungen umfasst – und dabei suggeriert, es gäbe einem allgemeinen Konsens darüber, was alles in dieses Bündel hineingehört. Gehört es zum anständigen Leben, nicht mit vollem Mund zu reden, sich regelmäßig die Zähne zu putzen, täglich die Socken zu wechseln? Seinen Dispo-Kredit nicht zu überziehen? Seinen Müll zu trennen, Bio-Produkte zu kaufen, nicht AfD zu wählen? Der hier in Frage stehende Priester würde, wie ich ihn kenne, wahrscheinlich "Ja" sagen, aber es geht mir hier – wie immer – nicht um eine einzelne Person. Es wäre den Aufwand, diesen Artikel zu schreiben, gar nicht wert, wenn es nur um die individuellen Marotten eines einzelnen Geistlichen ginge. Dennoch sei es mir verziehen, wenn mir in diesem Zusammenhang eine andere Predigt desselben Priesters einfällt: Sie hätte genausogut auch von jemand anderem sein können, und ich gehe davon aus, dass der größte Teil meiner Leser ihn sowieso nicht kennt. 

In der Predigt, die ich meine – und über die ich schon damals, vor fast viereinhalb Jahren, gebloggt habe –, ging es um das Gleichnis vom reichen Prasser und dem armen Lazarus (Lk 16,19-31), außerdem war gerade Erntedank, und die Aufgabe, beides auf einen Nenner zu bringen, löste der Priester, indem er über Lebensmittelverschwendung predigte. Damit aber nicht genug: Den Satz "Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören" (V. 29) nahm er zum Anlass, die Uneinsichtigkeit der Leute zu tadeln, die beispielsweise den Klimawandel leugnen. In diesem Sinne, so meinte er, übernähmen heutzutage die Medien die Funktion der Propheten. – Zu dieser Predigt gab es seinerzeit ein Nachgespräch, und darin äußerte ich, diesen Bezug zum Thema Klimawandel fände ich nicht überzeugend: Im Kontext der Bibelstelle gehe es schließlich recht eindeutig darum, dass die Brüder des reichen Prassers von Mose und den Propheten lernen sollen, wie sie es vermeiden können, in die Hölle zu kommen; wäre es da nicht vielleicht sinnvoll, das auch in der Predigt anzusprechen? – 

Um mal meinen eigenen damaligen Artikel zu zitieren: "Der Pfarrer schaltete sofort in den Rechtfertigungsmodus  und erklärte, er würde ja durchaus auch mal über die Letzten Dinge predigen". Aus heutiger Sicht muss ich sagen: Wenn dieses Predigen über die Letzten Dinge so aussieht wie oben geschildert, sollte er es vielleicht lieber bleiben lassen


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11 Kommentare:

  1. Ich würde dem Priester ja sogar eine gewisse theologische Eitelkeit zugestehen... auch aus der eigenen Erfahrung, daß die Details wieder herauszukürzen zwecks angeblicher oder tatsächlicher "Konzentration auf das Wichtige" ganz praktisch eine erheblich größere Mühe bereitet als sie überhaupt erst einzufügen... äh aber dann soll er doch bitte zum keine *offenkundig falschen* Dinge erzählen, wie daß Himmel und Hölle in dem Tagesevangelium ein bißchen anklängen.

    Und zum anderen: Wenn er schon in einer Nichtpredigt in einer Werktagsmesse etwas über das schrittweise Fortschreiten der Offenbarung zu AT-Zeiten sagen will, weil seine Gemeinde partout nicht in seinen Bibelexegesevortrag kommt (Tip: Freibier anbieten)... dann muß er erwähnen, worauf das ganze *hinausläuft*, daß die späteren Vorstellungen gegenüber den früheren häufig überraschend kommen, dem expliziten Bibeltext aber nicht eben widersprechen, und daß eben nicht "nichts genaues weiß man nicht" sagen kann.

    Vor dem entscheidenden Punkt aufhören ist wie äh... Halsgrat und Käsekrainer zu grillen, während sich der Duft verbreitet den Leuten schonmal Knoblauchbaguette reichen und dann das Grillgut nach draußen auf die Straße zu werfen, wo es von Lastern (hier Lkws gemeint) überfahren wird, statt es aufzutischen.

    Mit dem Unterschied, daß solche Weglassung des Entscheidenden die Rechtgläubigkeit und damit, bei allem Das-Kirchenvolk-ist-ja-nicht-schuld-und-Gott-weiß-das, auch irgendwo das Seelenheil gefährdet, und daß Knoblauchbaguette auch für sich genommen schmeckt und nicht nur zur Beilage taugt, but you get the idea.

    Und selbst einer, an dessen Rechtgläubigkeit kein Zweifel ist, mag nun sagen: Okay, kann ich machen, dauert aber auch von meinem Vorbereitungsaufwand abgesehen zwingend 15 Minuten und nicht 2.

    Gut, dann predige die 15 Minuten oder aber gar nicht.

    Oder organisier halt diese Bibelexegesestunde, mit Freibier und freitagstauglichen Käsesemmeln. Ein bißchen befriedigt muß die Eitelkeit von Priestern ja doch werden, und dann sind manchmal Dinge auch wirklich interessant.

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  2. Oder noch deutlichere Fehler wie, der Heiland "hatte keine ausgefeilte Theologie von Himmel und Hölle". Das ist ja gleich doppelter Schwachsinn: zum einen geht selbst abgesehen von der Tatsache Seiner Göttlichkeit aus den mehreren Evangelienstellen, wo er darüber sehr explizit redet, hervor, daß er die sehr wohl hatte. Vermutlich müßte das sogar ein (redlicher) Historischkritischer zugestehen, daß die Fülle an Texten zu dem Thema nicht *alles* als untergeschobene Herrenworte aus Evangelistenfeder erklärt werden, wir mithin von ipsissima vox sprechen. (Den letzteren Satz - nur den, der Rest ist offensichtlich - versehe ich mal mit einem "nun, da bin ich aber wirklich nicht vom theologischen Fach".)

    Und zum anderen war Er das menschgewordene Wort Gottes. Er wußte ausgefeilt Bescheid zu allem und jedem Thema.

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  3. Aber der eigentliche Knackpunkt ist natürlich:

    "Diese Möglichkeit, so meinte er, verhießen die etwa ab dem 2. Jh. v. Chr. entstandenen biblischen Zeugnisse denjenigen, die 'einigermaßen anständig gelebt haben'. In der Überleitung zum Kyrie griff er diese Formulierung nochmals auf: 'Bitten wir den Herrn um sein Erbarmen, dass es uns gelingt, einigermaßen anständig zu leben.'"

    Ürks. Falsch. Falsch. Falsch.

    Aber zum ersten fällt mir da die etwas, dann doch, verständliche Reaktion meines Vaters (nicht gerade zu diesem Thema) ein: "Gegen das Wort 'anständig' hab ich was, denn die 'anständigen Leute' zu meiner Zeit waren die vormaligen *Nazis*."

    Und natürlich das aus England überlieferte (und natürlich eine Zuspitzung, nicht unbedingt die buchstäbliche Wahrheit, darstellende) Wort: "In der katholischen Kirche ist für die Anständigen gerade kein Platz; die gehören den Anglikanern. Zu den Katholiken kommen die Sünder; und die Heiligen."

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  4. Aber gut, warum ist das ganze so falsch? Nicht nur wegen Pelagianismus und Werkgerechtigkeit, gern gehörte Vorwürfe, die hier - wenn einer nicht *ganz* schnell dabei ist, mit "aber ich meinte doch nur 'facienti quod est in se'" zu beschwichtigen, ausnahmsweise mal zutreffen - sondern erstmal einfach weil der biblische Befund falsch ist.

    Das Alte Testament verheißt *nicht* "denen, die einigermaßen anständig gelebt haben", "nach dem Tod irgendwie weiter in Gemeinschaft mit Gott leben zu können". Tut es einfach nicht. Beides nicht.

    Selbst wenn wir uns an dem Wort "anständig" nicht aufhängen und jedem Pelagianismusverdacht ausweichen: Eine *abwägende* Entscheidung, ob denn nun einer *eher gut oder eher schlecht* gewesen sei, ob er "*einigermaßen* anständig" gewesen sei, ist dem AT völlig fremd. (In der Rückschau mag man feststellen, daß Judas Makkabäus' Versuch, Tote zu entsündigen, *eigentlich* voraussetzt, daß deren Sünde nicht-ganz-schlimm war, aber das war dann alles in die Richtung.) Prominent sind sie übrigens auch im Neuen nicht, aber dazu später.

    Und eine "irgendwie Gemeinschaft mit Gott nach dem Tod" verheißt das AT auch nicht. Konnte es auch nicht: Im Limbus patrum, den es damals noch gab, ist Gott ja *tatsächlich* fern. Was es verheißt, ist die Auferstehung, erst sehr verhüllt (wie unser Heiland darlegt, setzt die Benennung Gottes als "Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs" voraus, daß Abraham, Isaak und Jakob für Gott leben, und das wiederum setzt voraus, daß sie einmal wieder leben werden), manchmal trotzig ("ich weiß, daß mein Erlöser lebt, als letzter von allen erhebt er sich aus dem Staub") dann ausdrücklich (etwa auch wieder in 2 Makk). Ein Weiterleben der noch nicht wieder mit dem Leib vereinten Seele in Gottes Gegenwart lehrt das AT und konnte es auch nicht lehren, weil es das erst seit der Auferstehung (oder vielleicht präziser seit der Höllenfahrt) Christi gibt.

    Und "einigermaßen anständig" im NT? Nun, da gibt es zwar die Gerichts- und Fegefeuerstelle 1 Kor 3,13-15, aber so prominent ist diese Abwägung wirklich nicht. Selbst Mt 25, wo wirklich vom konkreten caritativen Handeln als Himmelsvoraussetzung die Rede ist, scheidet die Leute in genau zwei Gruppen: die, die geholfen haben, und die, die das nicht haben. (Was natürlich nicht heißt, daß es nur diese zwei Gruppen scharf von einander geschieden real gibt, aber ich schweife ab.) Aber gut.

    Vor allem aber: entschuldigt werden die Christen (und, soweit es hoffentlich geschieht, ohne ihr Wissen die halbwegs gutwilligen anderen) von ihren Sünden *nicht* durch das Überwiegen ihrer guten Taten; das (auch tatsächlich!) grandioseste Leben kann die kleinste Sünde nicht rechtfertigt. Entschuldigt werden die Heiligen wie die halbwegs sich zum Gnadenempfang aufrappelnden schweren Gewohnheitssünder, die einen wie die anderen, durch das Kostbare Blut Christi. So. Und werden sollen die einen wie die anderen heilig, d. h. so beschaffen, daß sie *keinen* Kompromiß mehr mit ihren bösen Neigungen eingehen, am besten schon in diesem Leben, sicher im nächsten.

    Wo ich so darüber nachdenke: Die Frage, ob jemand das war, was er mit "einigermaßen anständig" beschreibt, spielt gewiß bei der Bemessung der (in unseren unbeholfenen Worten) Länge und Schwere der Fegfeuerstrafe eine Rolle und beim Ausmaß des Verdienstes. Eine Auswirkung darauf, ob jemand überhaupt irgendwann mal in den Himmel kommt oder aber in die Hölle, hat sie direkt *nicht*.

    Das hat sie *allenfalls* indirekt, im Sinn einer gewissen Einwirkung auf die Bereitschaft-zum-Jasagen-zum-Gnadenempfang, und das nicht einmal zwingend (wenn auch wohl meistens) in die positive Richtung: es *kann* ja der Anständige seine Anständigkeit theoretisch auch zur Grundlage für ein stolzes Sichnichtsschenkenlassenwollen machen...

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    1. >>Ein Weiterleben der [...] Seele in Gottes Gegenwart lehrt das AT

      Ergänze hier natürlich: nicht.

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  5. Diesem Priester zufolge kommt also jener Nazi-Offizier, der vor seiner Hinrichtung eine mehrstündige Beichte ablegte mit der Bitte, einen Teil seiner Aussagen zu veröffentlichen, an den gleichen Ort gepflegter Langeweile wie der reuelose Goebbels und wie ich, wenn ich jetzt nicht bald mal meine Steuererklärung mache. Na sauber.

    Wenn man schon von der Bedeutung guter Werke redet, Jesus hat das ja durchaus auch getan, könnte man erwähnen, daß der Ort zwischen Jerusalem und Jericho auch für den Samariter (der Geld und ein Maultier dabei hatte) gefährlich war. Weitergehen und für den Verletzten nur ein kurzes Gebet sprechen wäre verständlich gewesen. Aber Jesus fordert das volle Risiko.

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  6. Ich bin mir sicher, das ist eine für "Profis" absolut fesselnde Diskussion, geht aber möglicherweise an der grundlegenden Problematik vorbei, die darin besteht, dass mittlerweile mehrere Generationen so wenig religiös sozialisiert und interessiert ist, dass sie gar nicht bis zur Kirchentüre kommen, um der schlechten Predigt zu lauschen. Die Statistiken sprechen da ja eine klare Sprache, aber zur Illustration eine Anekdote dieser Tage, als ich mich mit 11-12-jährigen Jungs unterhielt. Muslimischer Junge zu den anderen: "Ja, glaubt ihr eigentlich das, was Jesus erzählt?" Überwiegend katholische Jungs [zögerndes bis eifriges Kopfschütteln]. Muslimischer Junge: "Ja, ich dachte, ich frag euch mal, weil seitdem ich in der Moschee Unterricht bekomme, hat mich das in meinem Glauben so fest gemacht, und da habe ich den festen Willen, danach zu leben, und da dachte ich, ich frag mal, wie es bei euch ist." Junge: "Nein, ich glaub das nicht, das ist doch Quatsch." Anderer Junge: "Ja, so wie mit den Splittern von dem Kreuz, wo man 37 Kreuze draus zusammenbauen kann."
    Danach musste ich leider weiter, glaube aber nicht, dass sich da noch jemand aus der Deckung wagte, der die Frage anders beantwortet hätte.

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  7. Diasporakatholik9. April 2024 um 23:28

    Ich stelle die Existenz einer gefüllten Hölle nach den Schauungen der Seherkinder von Fatima keinesfalls in Frage.

    Ich glaube nicht zuletzt im Wissen um zahllose Berichte von Nahtoderfahrenen, dass JEDE menschliche Seele Gott in Jesus Christus als dem Licht begegnet gemäß Seinem in Joh 14,6 überliefertem Wort, dass NIEMAND zu Gottvater kommen kann, außer durch IHN selbst, JESUS CHRISTUS, GOTTES SOHN, LICHT VOM LICHT, WAHRER GOTT VOM WAHREN GOTT, gezeugt nicht geschaffen, EINES WESENS MIT DEM VATER.

    JEDE Seele begegnet nach dem irdischen Tod also Jesus Christus,  dem Licht, von dem, wie die Nahtoderfahrenen übereinstimmend berichten, eine unbeschreibliche Liebe ausgeht.

    ABER:
    Nun folgt das Gericht, wovon die Nahtoderfahrenen NICHT berichten können, weil, wer dieses im Jenseits erlebt, nicht mehr ins irdische Leben zurückkehren und davon berichten kann.

    CHRISTUS ist der RICHTER und nur, wessen Seele rein ist, kann bei IHM bleiben und vor IHM bestehen und durch IHN zum Vatergott kommen.

    Viele Seelen müssen erst noch das sog. Purgatorium durchleiden, ein Ort der Läuterung und Reinigung, wo sie unsägliche Sehnsucht nach Gott und seiner Liebe haben, die ihnen buchstäblich wie Feuer auf der Seele brennt - das Fegefeuer.

    Wer aber sich zu irdischen Lebzeiten gänzlich von Gott abgewandt hat, dessen Seele ist so schwarz und schmutzig, dass sie einfach nicht mehr zu Gott kommen kann, sie landet in der HÖLLE, einem Ort der ewigen Gottferne aber mit feuerartig brennender Sehnsucht nach Vereinigung mit GOTT - die aber nicht mehr gestillt werden kann.

    So etwa haben es die 3 Seherkinder von Fatima in ihrer Höllenvision mit den wie glühende Kohlen auf und nieder schwebenden verzweifelten Seelen erlebt und geschaut.

    Sie haben das als unbeschreiblich schrecklich und angsteinflößend geschildert, und nur die Zusage der Muttergottes, dass Ihnen dieses Schicksal dereinst erspart bleiben werde, konnte sie trösten und ihnen Zuversicht zum irdischen Weiterleben geben.

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  8. "Ich hoffe allerdings, dass ich diese Neigung wenigstens dann unterdrücken könnte, wenn ich Priester wäre und eine Messe zu halten hätte. Weil mir dann hoffentlich bewusst wäre, dass es – auch wenn ich derjenige bin, der vorne steht und redet, während die anderen zuhören müssen – in der Messe nicht um mich geht."

    Damit ist auch gleich die Frage beantwortet, was der Priester nicht sein kann. Nämlich jemand der vorne steht und redet. Der Priester steht genau genommen vor Gott und handelt in der Person Jesu Christi. Nun denn, einigen Konzilsvätern des 2. Vaticanums war das eben nicht genug. Der Priester wurde zu einer Art Fernsehkoch degradiert, der vor Publikum ein Mahl zubereiten soll. Die Zutaten werden je nach Belieben des Kochs mal so und mal so zugegeben. Das Hochgebet oder meinetwegen auch die Predigt wurde eine Art Rezept, wo jeder mal ein Körnchen Würze hinzu oder wegnehmen kann. Was übrig bleibt ist eine Suppe ohne Salz oder eine Suppe die versalzen ist. Völlig ungenießbar also. Es reicht also aus ein anständiges Leben zu führen, soweit man nicht die AfD wählt oder gar Parteimitglied ist. Dann landet man zumindest in der Vorhölle. Und da sind sich unsere Bischöfe unisono einig. Das ist doch mal eine Aussage.

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    1. Diasporakatholik10. April 2024 um 15:34

      Da werden wir uns im Purgatorium wohl dereinst begegnen, gerd - obwohl ich selbst weder Wähler noch gar Mitglied der AfD bin. So long denn ...!

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