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Samstag, 22. April 2023

Lasst euch nicht erschrecken, es ist noch nicht das Ende (Mt 24,6)

Man sieht ja manchmal in den Medien Überschriften, da denkt man "Das kann doch nur Satire sein" – und dann ist es oft doch keine. So ging es mir neulich mit der Überschrift "Mit dem E-Bike zu den Christen Europas", die mir auf der Facebook-Seite des "Christlichen Medienmagazins PRO" begegnete. Zuerst drängte sich mir dabei die Assoziation von Diogenes auf, der mit der Laterne auf dem Marktplatz Menschen sucht. Ganz so schlimm, sagte ich mir, steht es um das christliche Abendland wohl doch noch nicht, dass man erst eine Expedition unternehmen muss, um in Europa Christen zu finden. Und wieso mit dem E-Bike? Als ich zehn oder elf Jahre alt war, las ich das Buch "Das andere Amerika" (Originaltitel: "A Walk Across America") von Peter Jenkins, das davon berichtet, wie der Autor in den Jahren 1973-75 zu Fuß von seinem College-Städtchen im Staat New York bis an den Golf von Mexiko wandert, um "sich selbst und Amerika" zu suchen. Christen findet er unterwegs auch, ja mehr noch, er findet Christus, oder vielleicht sollte man sagen, Christus findet ihn. Ein empfehlenswertes Buch, aber ich schweife ab. Okay, gleich noch eine weitere Abschweifung: Auf dem Jakobsweg wird Radfahren ebenso wie Reiten als legitime Form des Pilgerns anerkannt, aber ich möchte mal vermuten, für E-Bikes gilt das nicht. Jetzt aber mal zur Sache: Was will uns die Engführung der Begriffe "E-Bike" und "Christen" in dieser Überschrift des "Pro-Magazins" eigentlich sagen? "Carola Mehltretter ist zu einer ganz besonderen Reise aufgebrochen", erfährt man da: "Ein Jahr lang reist sie mit dem E-Bike durch Europa. Ihre Mission: Christen verschiedener Prägung kennenlernen." Ja gut und schön, aber nochmals gefragt: Wieso mit dem E-Bike? "Die Idee kam ihr während der Pandemie", erfährt der geneigte Leser weiter. "Sie fuhr regelmäßig E-Bike und lernte als Stadtmensch die Natur neu zu schätzen. Außerdem ist das Radeln günstig." 

– Gut und schön, auch wenn man da natürlich fragen muss: Im Vergleich zu was? Für mein Empfinden steht das E-Bike – wenn auch vielleicht nicht ganz so sehr wie der E-Scooter – vor allem sinnbildlich für die Fragwürdigkeit des Hypes um "E-Mobilität", oder genauer: die Fragwürdigkeit der Behauptung, "E-Mobilität" sei werweiß wie energieeffizient und klimafreundlich. Dabei will ich gar nicht in die Debatte einsteigen, wie und wo eigentlich der Strom erzeugt wird, der diese Fahrzeuge antreibt; ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass ein E-Bike offenkundig ganz und gar nicht energieeffizient ist, wenn es von jemandem gefahren wird, der körperlich sehr gut in der Lage wäre, ein normales Fahrrad zu fahren. Okay, meine Mutter hat ein E-Bike. Die ist aber auch 75, besitzt kein Auto (mehr) und lebt in einem Landstrich, in dem der Öffentliche Personennahverkehr nicht der Rede wert ist; unter solchen Bedingungen leuchtet mir der Nutzen dieser Anschaffung ein. Kurz gesagt, meine Mutter fährt nicht deshalb E-Bike, weil's hip ist. Wenn hingegen das Pro-Magazin es in seiner Überschrift zu Carola Mehltretters "besonderer Reise" als signifikanten Bestandteil der Story hervorhebt, dass diese Reise eben auf dem E-Bike stattfindet, dann sieht das für mich stark nach klimapolitischem virtue signalling aus. 

Und das, muss ich sagen, passt recht gut in das Bild, das ich in jüngster Zeit von der Ausrichtung dieses Magazins habe. 

Ich muss dazu sagen, dass ich das "Christliche Medienmagazin PRO" gewissermaßen "wiederentdeckt" habe, seit ich im Zuge der Wiederbelebung meines Blogs wieder mehr auch in "nicht-privatem" Interesse in den Sozialen Netzwerken unterwegs bin. Ich bin nicht restlos sicher, ob mich meine Erinnerung daran, welchen Eindruck ich "früher" von dieser Publikation hatte, nicht trügt, aber ich glaube, man könnte diesen früheren Eindruck in etwa so zusammenfassen: eine sich etwas (aber eben nur etwas) moderner, liberaler, weltoffener, jünger und urbaner gebende Alternative zu idea, mit einer gewissen Affinität zu Medienthemen (was sich ja auch in der Bezeichnung "Medienmagazin" ausdrückt). Mein jetziger Eindruck ist, dass man das Selbstverständnis der Macher wohl am treffendsten charakterisiert, indem man die Worte "etwas (aber eben nur etwas)" aus dieser Beschreibung streicht. Das Magazin verleugnet seine Verwurzelung im evangelikalen Milieu nach wie vor nicht, aber gemessen daran war ich überrascht, wie "woke" diese Publikation in jüngster Zeit geworden ist. Exemplarisch deutlich wird dies an einer Rezension der als "antirassistisch, genderneutral und überhaupt in jedem möglichen Sinne inklusiv" beschriebenen "Alle Kinder Bibel": "Die Welt braucht ein Kinderbuch wie dieses", urteilt Rezensentin Anna Lutz; nur dass "aus dem brennenden Dornbusch die himmlischen Worte erklingen: 'Mose, ich bin dein*e Gott'" und "die Autoren Gott anschließend noch singen lassen: 'Ich bin fair, ich bin mit dir. Ich bin queer, ich bin mit dir. Ich bin, ich bin mit dir'", geht ihr dann doch ein bisschen zu weit. Eine von "Travestie-Königin Olivia Jones" co-moderierte RTL-Sendereihe zum Thema Tod wird trotz einiger Kritikpunkte entschieden empfohlen ("Sollte man sie also anschauen? Auf jeden Fall!"), und auch die gerappte Faschingspredigt eines katholischen Priesters, der "mit Baseball-Kappe auf dem Kopf, einer feschen Sonnenbrille und einer Goldkette um den Hals" vor die Gemeinde trat, wird wohlwollend beurteilt. Da passt es ins Bild, dass in einem Bericht über die "Mitgliederversammlung der Christlichen Medieninitiative pro" die progressive  Theologin Sandra Bils unwidersprochen mit der Einschätzung zitiert wird, in "Kirchengemeinden und christlichen Organisationen" herrsche "oft eine mangelnde Bereitschaft, Bestehendes loszulassen und traditionelle Angebote kritisch zu hinterfragen": "Unser größtes Problem als Kirche ist nicht die Bereitschaft zur Innovation, sondern die nicht vorhandene Bereitschaft zur Exnovation, also, Dinge auch loslassen zu können". Am allermeisten nehme ich dem Magazin zugegebenermaßen den Artikel "Als Frau katholisch sein – und es bleiben" vom 11. März übel: eine Rezension zu dem Buch "Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen". Hier lautet der Teaser-Absatz: "Der Synodale Weg hat versucht, Frauen in der katholischen Kirche Wege zu ebnen. Das ist nicht gelungen. In dem Buch 'Wir bleiben!' schildern Katholikinnen, was sie ihrer Kirche stört und warum sie ihr dennoch nicht den Rücken kehren." Aber okay, da weiß man wenigstens schon nach den ersten Sätzen, dass man sich den Rest des Artikels getrost sparen kann. Und sonst so? Der verstorbenen Grünen-Politikerin Antje Vollmer wird ein geradezu überschwänglicher Nachruf zuteil, in dem die studierte Theologin u.a. mit einem Vergleich zwischen Martin Luther und Whistleblower Edward Snowden zitiert wird: "Was bei Luther die theologische Brillanz war, ist bei Snowden seine außergewöhnliche technische Intelligenz. Beide strebten also ins Zentrum der größten öffentlichen Macht ihrer Zeit – und zwar schon in extrem jungen Jahren. [...] Luther ahnte damals eine Chance für eine umfassende geistige Befreiung und wollte die Kirche im Inneren reformieren. Und auch Snowden will einfach, dass die USA wieder ein wirklich freies Land werden." – Anlässlich des 175. Jahrestages der konstituierenden Sitzung der ersten deutschen Nationalversammlung wird die Frankfurter Paulskirche als "Die Kirche der Demokratie" gewürdigt; in einem Artikel mit der Überschrift "Mit Mode gegen Sklaverei" wird ein Modelabel namens "EYD" ("Empower your Dressmaker") vorgestellt: "Eine neue Kollektion kommt den Opfern von Sklaverei zugute – und ist auch noch von ehemaligen Sklavinnen entworfen worden." Man sieht, virtue signalling wird groß geschrieben im Hause "Pro", und nicht nur beim Thema Klimapolitik. Aber eigentlich wollte ich ja gerade auf dieses hinaus. Also: Was hat das Magazin in dieser Hinsicht zu bieten? 

– Ein Bericht über die Vorstellung des Programms des bevorstehenden 38. Deutschen Evangelischen Kirchentages trägt die Überschrift "Kirchentag diskutiert über Krieg und Klima"; nun ja, gewiss tut der Kirchentag das, aber das Klima-Thema schon in der Überschrift anzusprechen, ist eben eine redaktionelle Entscheidung, die nicht unbedingt nur der Alliteration geschuldet ist. Unter der Überschrift "Klimakrise, '… dann sind Christen Teil des Problems'" wird über einen Vortrag des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) bei einem Frühjahrsempfang dreier christlicher Initiativen unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich! Hoffnung in Zeiten der Krisen" berichtet: Hiet wird Gröhe mit der Einschätzung zitiert, "mit Blick auf manche evangelikale Gruppierungen in Europa oder den USA, die beispielsweise den menschengemachten Klimawandel leugnen, [...] müsse auch über das Feindbild Wissenschaft in Teilen der religiösen Gemeinschaft gesprochen werden – in allen Religionen, ergänzte Gröhe. Die Problematik zeige sich nicht nur im Kontext der Klimakrise, sondern beispielsweise auch bezüglich der Corona-Impfung." Und weiter: "Ziel müsse es sein, wissenschaftliche Erkenntnisse und geglaubte Schöpfungsverantwortung zusammenzubringen. Gelingt dies nicht, seien 'Christen Teil des Problems'." Und unter der Überschrift "Im Dienst der Schöpfung" werden dem geneigten Leser "Tipps für ein klimafreundlicheres Leben" präsentiert – von "Mit Fahrrad, Bus oder Bahn zur Arbeit" und "Weniger Fleisch essen" bis hin zu "Müll richtig trennen" und "Wasser sparen". Das ist sicherlich alles gut und fein, hat man aber alles auch schon in anderen Medien tausendmal gehört und gelesen; bildlich gesprochen hängen genau diese Tipps bzw. Verhaltensmaßregeln an jeder öffentlichen Toilette aus, was genau verspricht sich das Pro-Magazin also davon, sie ein weiteres Mal wiederzukäuen? Einfach nur drüberzuschreiben "Christen haben eine Verantwortung für diese Erde und sie können etwas tun zum Erhalt der Unwelt" – was ich an und für sich unterschreibe, aber dazu später –, macht den Aufruf zur Mülltrennung und zum Wassersparen noch nicht zu einer genuin christlichen Botschaft

Dass die Beiträge des Pro-Magazins zum Thema Klimaschutz so wenig originell sind, erscheint mir durchaus bezeichnend: Man ist bei diesem Thema eher Nachzügler als Vorreiter. Auch das Phänomen, dass Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes religiös aufgeladen werden, ist schließlich nicht mehr wirklich neu. An dieser Stelle scheint mir eine Differenzierung unerlässlich, auch wenn ich mir damit vorgreife: Dass die christlichen Kirchen einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung anmahnen, halte ich für richtig und wichtig, allerdings ist das für mein Empfinden etwas kategorial Anderes, als wenn bestimmte unweltpolitische Haltungen und Forderungen selbst in den Rang eines quasi-religiösen Bekenntnisses erhoben werden, mitsamt eigener quasi-liturgischer Ausdrucksformen wie "Klimapilgern" und "Klimafasten". Ich habe dazu schon anno 2019 einen Artikel geschrieben, den ich – so viel Eigenlob muss sein – immer noch gut finde. Das Thema dennoch erneut aufzugreifen, erscheint nicht zuletzt deshalb sinnvoll, weil die Tendenz zur Wahrnehmung (und wohl zumindest teilweise auch Selbstdarstellung) der Klimaschutzbewegung als religiöses Phänomen in jüngster Zeit offenbar zugenommen hat. Dafür ist die Verleihung eines Ehrendoktortitels in Theologie (!) an die Klimaaktivistin Greta Thunberg – über die das Pro-Magazin recht neutral berichtete – ein Indiz; erst recht aber ein Foto, das der Instagram-Account der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns zu Ostern postete: Es zeigte Greta Thunberg, wie sie bei der Auflösung einer Sitzblockade in Lützerath von Polizisten weggetragen wird, die Bildbeschriftung rückte diesen Vorgang jedoch in eine Parallele zur Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane. In eine ähnliche Richtung ging ein Tweet der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt – von 2009-13 Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland – zum Karfreitag, in dem sie die Passion Christi mit Klimakrise und Artensterben verglich. 

Während in diesen Beispielen explizit auf Elemente der christlichen Tradition Bezug genommen wird und diese im Sinne einer "Klimareligion" umgedeutet werden, finden sich in den Denkmustern der Klimaschutzbewegung auch Vorstellungen, die ihren im Kern religiösen Charakter nicht unbedingt so offen zu erkennen geben. So etwa beim Thema "Fortpflanzung als Klimakiller", das auch nicht mehr ganz neu ist, aber unlängst durch einen Essay von Cora Wucherer im Zeit-Magazin wieder einmal ins Gespräch gebracht wurde. In dem online nur für Abonnenten zugänglichen Text geht es anscheinend allgemein um Kinderlosigkeit als Weg zu Freiheit und Selbstverwirklichung, aber in den Sozialen Netzwerken kursierte ein Visual mit einem Textauszug, der sich auf den Klima-Aspekt konzentriert: "Da könnt ihr noch so oft das Lastenrad nehmen oder eure Essensreste in selbst gemachte Wachstücher packen, sorry, meine CO2-Bilanz wird immer eine bessere sein als die von euch mit Kindern." Irgendjemand – ich habe das Zitat leider nicht wiederfinden können – sagte oder schrieb einmal, willentliche Kinderlosigkeit bedeute, sich selbst aus der Geschichte der Menschheit herauszuschreiben. Gegen diese These ließen sich einige Einwände formulieren, aber soweit es um Kinderlosigkeit im Interesse des Klimaschutzes geht, würde ich sagen, dieser Satz trifft den Nagel auf den Kopf. Genau darum geht es. In der Verabsolutierung des Bestrebens, den eigenen CO2-Fußabdruck so weit wie möglich zu reduzieren, äußert sich eine Leibfeindlichkeit, wie sie besonders seit der Sexuellen Revolution gern dem Christentum unterstellt wird, tatsächlich aber eher für gnostisch beeinflusste Sekten wie die Katharer typisch ist: Die materielle Welt ist schlecht, deshalb soll man möglichst wenig Verbindung mit ihr haben. Indem die existenzielle Befleckung, die der Kontakt mit der materiellen Welt unausweichlich mit sich bringt, mit einer konkreten Substanz, nämlich CO2, assoziiert wird, bekommt diese Idee einen naturwissenschaftlichen Anstrich, aber im Kern ist es pure Esoterik. 

Ich denke, die genannten Beispiele machen hinreichend deutlich, dass es für Christen gute Gründe gibt, kritische Distanz zur Ideologie der Klimaschutzbewegung zu wahren, mindestens dann, wenn diese Züge von Götzendienst annimmt. Gleichzeitig kann ich mir aber den Hinweis nicht verkneifen, dass manche konservativen Christen in ihrem Abgrenzungsbedürfnis gegenüber allem, was irgendwie "grün" anmutet, für mein Empfinden weit übers Ziel hinausschießen. "Argumente" auf dem Niveau von "Was heißt hier globale Erwärmung, ich war heute draußen und fand's saukalt für April" sind da noch vergleichsweise harmlos, da zumeist wohl humorig gemeint; die nächste Stufe besteht darin, Äußerungen derer, die vor einer drohenden Klimakatastrophe warnen, verfälscht wiederzugeben, um sie leichter "widerlegen" zu können. Aktuelles Beispiel: Nein, Greta Thunberg hat nicht vor fünf Jahren vorausgesagt, die Menschheit werde innerhalb von fünf Jahren aussterben, wenn keine drastischen Schritte gegen den Klimawandel unternommen würden (was durch die bloße Tatsache, dass wir heute noch leben, tatsächlich widerlegt wäre); vielmehr hat sie – unter Berufung auf ungenannte Experten – geäußert, wenn nicht innerhalb von fünf Jahren drastische Schritte gegen den Klimawandel unternommen würden, werde die Menschheit (zu einem ungenannten Zeitpunkt) aussterben. (Man muss allerdings wohl davon ausgehen, dass ziemlich viele Leute den Unterschied zwischen diesen Aussagen nicht erkennen, selbst wenn man sie darauf hinweist.) – Überhaupt eignet sich Greta Thunberg offenbar ebenso gut als Feindbild wie als Identifikationsfigur; man könnte sagen, beides bedingt sich, aber eben darum ist beides auch gleichermaßen fragwürdig. Man tut dieser jungen Frau (die "15jährige Schwedin", wie sie in den Medien einst stereotyp betitelt zu werden pflegte, ist inzwischen 20) sicherlich keinen Gefallen damit, sie derart zu überhöhen, wie Teile ihrer Anhängerschaft das tun – aber erst recht nicht damit, dass man sie verhöhnt und ihr nach Kräften am Zeug zu flicken sucht. 

Ein anderes Beispiel: Neulich habe ich mich heftig mit dem Twitter-Account "Sex needs Culture" angelegt, nachdem dieser auf die Nachricht, eine Person, die sich im November 2021 an der Blockade des Kohlekraftwerks Neurath beteiligt hatte, sei zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden, mit unverhohlener Freude reagierte. Der ganze Vorgang erinnert mich stark an Auseinandersetzungen, die ich vor rund zweieinhalb Jahren im Zusammenhang mit der Räumung des besetzten Hauses "Liebig 34" in Berlin-Friedrichshain geführt habe und die damals ebenfalls in einen Blogartikel von mir mündeten. Vieles von dem, was ich damals geschrieben habe, könnte ich jetzt sinngemäß wiederholen, aber vielleicht genügt ja auch ein Link. Jedenfalls: Ich habe mir damit seinerzeit eine Menge Feinde gemacht, habe aber keine großen Hemmungen, es nötigenfalls wieder zu tun. Ob Hausbesetzer oder militante Klimaaktivisten: Man kann ihr Engagement fehlgeleitet finden und erst recht ihre Methoden ablehnen, man kann dafür gute, überzeugende Argumente vorbringen, aber das ändert nichts daran, dass ich die Verachtung und Häme, die ihnen aus bürgerlich-konservativen Kreisen zuweilen entgegenschlägt, ausgesprochen schändlich finde, und dies umso mehr, wenn die betreffenden Vertreter des konservativen Bürgertums sich dezidiert als Christen betrachten und bezeichnen. – Zum Account "Sex needs Culture" sei noch gesagt, dass dieser am selben Tag, an dem er über die Haftstrafe wegen der Neurath-Blockade frohlockte, die Entlassung des "Querdenken 711"-Gründers Michael Ballweg (dem u.a  Veruntreuung von Spendengeldern vorgeworfen wird) aus der Untersuchungshaft mit den Worten "Es gibt noch einen Rechtsstaat. Danke" feierte.  Hashtag In #kannstedirnichtausdenken. – In seiner Twitter-Bio beschreibt "Sex needs Culture" sich als "Nachrichtenkanal zu den Themen Sexualität, Ehe, Pornographie, Gender-Mainstreaming und Lebensrecht aus christlicher Sicht", und der Himmel weiß, dass wir einen Account, der diesem mission statement wirklich gerecht würde, im deutschsprachigen Raum dringend gebrauchen könnten. Tatsächlich hat sich "Sex needs Culture" aber schon seit einiger Zeit hauptsächlich auf die Themen Klimapolitik und Corona-Maßnahmenkritik eingeschossen. Das empfinde ich als ausgesprochen ärgerlich. – In der Tagespost schrieb ich mal, wenn sich Vertreter kirchlicher Institutionen oder kirchennaher Verbände an "Fridays for Future"-Demonstrationen und ähnlichen Aktionen bereiligten oder zu deren Unterstützung aufriefen, entstehe "vielfach der Eindruck, sie verhielten sich gegenüber der Klimaschutzbewegung [...] als reine Mitläufer, die sich von einem Sendungsbewusstsein und einem missionarischen Eifer mitreißen lassen, der ihnen selbst schon lange abhanden gekommen ist". Nun möchte ich hinzufügen: Zuweilen habe ich den Eindruck, dass bei konservativen Christen, die sich die Klimaschutzbewegung zum Lieblingsfeindbild erkoren haben, ein ganz ähnlicher Mechanismus am Werk ist, der sich lediglich auf gegenteilige oder vielleicht auch nur scheinbar gegenteilige Weise auswirkt. Damit meine ich: Ein Grund für den Hass auf Klimaschutz-Aktivisten könnte sein, dass man ihnen ein Ausmaß an Engagement und Opferbereitschaft verübelt, das man selbst nicht aufbringt.

(Manche Leser werden jetzt vermutlich denken: Na, woll'n mal sehen, was aus seinen Sympathien für militante Klimaaktivisten wird, wenn die Letzte Generation demnächst, wie versprochen, ganz Berlin lahmlegt. Na gut: Manche Menschen sagen, Schadenfreude sei die schönste Freude, andere sagen dasselbe über Vorfreude, also ist Schaden-Vorfreude wohl das Aller-allerschönste, was es überhaupt gibt; das will ich Euch nicht nehmen. Davon abgesehen mal nur so viel zur "Letzten Generation": Die Geschichte lehrt, dass jede weltanschauliche Bewegung extreme Ränder hat, die gerade wegen ihrer Radikalität überproportionale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Hätte man z.B. die mittelalterliche Armutsbewegung insgesamt nach den häretischen Fraticelli beurteilt und deshalb in Bausch und Bogen verurteilt, gäbe es heute weder Franziskaner noch Dominikaner.) 

Nachdem ich nun also, wie es für mich wohl insgesamt nicht untypisch ist, kräftig nach allen Seiten ausgeteilt habe, dürfte die Frage naheliegend und angemessen sein, was ich denn nun positiv empfehlen würde; wie also, meiner Meinung nach, Christen zwischen den falschen Alternativen, sich der Klimaschutzbewegung kritiklos anzubiedern oder ihr Anliegen ganz und gar zurückzuweisen, ihre eigene Stimme finden können und sollen. Ich habe mich zu dieser Frage schon verschiedentlich geäußert, auf meinem Blog wie auch in der Tagespost, aber das muss mich ja nicht davon abhalten, das hier und jetzt erneut zu tun. Zwei Aspekte betrachte ich dabei als wesentlich. Der erste: Christen können einen eigenständigen und wertvollen Beiträg zur Erhaltung des Ökosystems leisten, indem sie eine Haltung des Respekts, der Wertschätzung und Dankbarkeit für die Gaben Gottes kultivieren. Aus einer solchen Haltung ergeben sich Dinge wie ein verantwortungsvoller, schonender Umgang mit Ressourcen, die Vermeidung von Verschwendung, Verschmutzung und Müll und vieles mehr mit natürlicher Folgerichtigkeit; darüber hinaus wirkt sie sich aber auch positiv auf das menschliche Miteinander aus und ist nicht zuletzt auch gut für die eigene Seele. Kurz, hier liegt die Chance für eine ganzheitlichere, menschenwürdigere und lebensfreudigere Form ökologischen Bewusstseins, als es die oben angesprochene Fixierung auf die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks ist. Zur Vertiefung dieses Gedankens kann ich zwei Bücher empfehlen, die es beide leider nur auf Englisch gibt: "Crunchy Cons" von meinem Freund Rod Dreher und "The Grace of Enough" von Haley Stewart. "Eden Culture" von Johannes Hartl geht wahrscheinlich zumindest teilweise in eine ähnliche Richtung, aber das habe ich, wie ich gestehen muss, selbst noch nicht gelesen. 

Der zweite Punkt ist, dass Christen dem Gefühl von Aussichts- und Hoffnungslosigkeit, das sich in der Klimadebatte vielfach breit macht, Zuversicht und Gottvertrauen entgegensetzen sollten. Diesem Aspekt habe ich zu einem Zeitpunkt, als die Letzte Generation noch auf Hungerstreik statt auf Verkehrsblockaden setzte, schon mal einen Essay in der Tagespost gewidmet, aber ehe ich näher auf diesen eingehe, möchte ich auf ein Kinderbuch hinweisen, das mein Jüngster in der örtlichen Stadtteilbibliothek entdeckt hat und das sich als überraschend großartig herausgestellt hat: "Könnte Regen geben" von Martin Baltscheit, erschienen 2020 im Affenzahn-Verlag Köln. 


"Na, was machst du?", fragt da ein Marienkäfer einen Koala, und der antwortet: "Ich mache mir Sorgen." – "Warum?" – "Könnte Regen geben." Auf den Einwand, Regen sei doch nicht schlimm, ja eigentlich sogar "gur für Bäume und Blätter", reagiert der Koala mit dem Ausmalen immer grotesker Karastrophenszenarien: "Totale Sintflut. Das Meer steigt an. Wir saufen ab. Es ist das Ende. Für immer. [...] Die Erde kommt ins Trudeln und stürzt ab. [...] Die Sonne explodiert. [...] Universum futschikato." Als sich dann jedoch die Regenwolken verziehen und die Sonne wieder scheint, hört der Koala dennoch nicht mit dem Sorgenmachen auf: "Die Hitze wird das Wasser trinken. Wir verdursten und die Erde wird ein Wüstenplanet..." Zu guter Letzt lässt der Koala sich dann aber doch überreden, mit den anderen Tieren baden zu gehen. 

"Zuversicht ist eine innere Haltung[,] mit der wir Kindern helfen, eine positive Sicht auf das Leben zu entwickeln", heißt es im Nachwort. "Mit diesem Vertrauen in die Welt wächst ihre Kraft, erst sich selbst und später anderen die Sorgen zu nehmen." Eine sehr gute Message (nicht nur) für ein Kinderbuch, keine Frage; aber als Beispiel für unnötige oder übertriebene Ängste ausgerechnet die Angst vor der Klimakatastrophe einzusetzen, in einem Kinderbuch aus dem Jahr 2020, das ist schon frech. Oder sagen wir lieber: mutig. Ich gebe zu, ich hab gefeiert. 

Was nun die spezifisch christliche Perspektive betrifft, habe ich in dem bereits angesprochenen Tagespost-Artikel zu argumentieren versucht, Zuversicht und eine gewisse Gelassenheit gegenüber allen Arten von Weltuntergangsprognosen könne der Christ aus dem Bewusstsein beziehen, "dass in letzter Instanz nicht der Mensch, sondern Gott der Herr der Geschichte ist"; und heißt es nicht im Buch Genesis im Anschluss an die Sintfluterzählung "Niemals, so lange die Erde besteht, werden Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze (!), Sommer und Winter, Tag und Nacht aufhören" (Gen 8,22)? – Indes wäre es – um abermals meinen eigenen Tagespost-Artikel zu zitieren – ein grobes Missverständnis, in dem "Glaube[n] daran, dass letztlich Gott das Schicksal der Welt in der Hand hält", eine "Rechtfertigung für Untätigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber den Krisen der Gegenwart" zu sehen. Im Gegenteil: Gerade das Vertrauen auf Gott – das Bewusstsein, nicht aus eigener Kraft die Welt retten zu müssen, weil die Welt in einem fundamentalen Sinne bereits gerettet ist –, kann und sollte zu verantwortlichem Handeln in der Welt befähigen, denn "er bewahrt vor Überforderung, vor dem lähmenden Gefühl der Unzulänglichkeit angesichts des erdrückenden Gewichts der globalen Probleme". 

Letztendlich läuft wieder einmal alles auf das benediktinische Motto "ora et labora" hinaus: Bete und arbeite, tu was Du kannst und bitte Gott, für das zu sorgen, was Deine Kräfte und Möglichkeiten übersteigt. Wo immer Christen nur eins von beidem tun und das andere vernachlässigen, droht das christliche Zeugnis in eine Schieflage zu geraten. Ich erinnere mich, wie ausgerechnet Erik Flügge in einer Reaktion auf das Mission Manifest von den "beiden Flügeln" sprach, auf denen die Kirche – im Unterschied von ihrem von "Dauerfrust" und "Depression" geprägten Mainstream – noch "lebendig" sei: "Sie ist lebendig in den geistigen Gemeinschaften mit ihren Gebetevents, aber sie ist eben auch lebendig in der Gemeinde eines befreundeten liberalen Pfarrers, der gerade mit den Mitgliedern eine soziale Kaffeerösterei gegründet hat." Ich habe mich schon damals, als ich das las – und das ist gut fünf Jahre her – gefragt, warum das eigentlich Gegensätze sein müssen; wieso diese Phänomene auf entgegengesetzten, tendenziell miteinander verfeindeten "Flügeln" verortet werden, oder konkreter: warum es partout ein liberaler Pfarrer sein muss, der mit seinen Gemeindemitgliedern eine soziale Kaffeerösterei gründet. Es steht allerdings zu vermuten, dass Flügges Darstellung hier schlichtweg eine empirische Realität widerspiegelt: Es gibt diese "Flügel", und mit dem, was als charakteristisch für den einen Flügel wahrgenommen wird, gibt sich der andere nicht ab. Dieses Lagerdenken ist falsch und schädlich und muss überwunden werden. Es ist grotesk und inskzeptabel, wenn nach außen wie nach innen der Eindruck entsteht, man könne nur entweder die überlieferte Glaubenslehre der katholischen Kirche akzeptieren oder sich sozial und ökologisch engagieren. 




17 Kommentare:

  1. Diasporakatholik22. April 2023 um 23:25

    Ich habe vor 2 1/2 Jahren ja mehrere kritische Kommentare zu Ihrem Sympathie-Artikel zu den Hausbesetzern verfasst - ohne dass ich mich deshalb als Ihren Feind betracht(et)e.

    Ich denke nur sowohl zu Hausbesetzern wie zu militanten Klimaaktivisten, wie es der bekannte und renommierte Klimaforscher Mojib Latif jüngst in einer NDR-Talkshow treffend auf den Punkt brachte:

    "NIEMAND steht über dem Gesetz!"

    Und ergänzend füge ich noch hinzu:

    "Der noch so hehre Zweck heiligt eben nicht die Mittel."

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  2. Das aktuell anerkannte Alter unseres Planeten beträgt 4,55 ± 0,05 Milliarden Jahre. Die Menschheit besteht seid ungefähr 300 000 Jahren. Die Erlösung des Menschen hat nun etwas über 2000 Jahre Bestand. Wenn Gott das Gewusel um den Klimawandel betrachtet, kann er das nur spottend aus dem Himmel kommentieren.

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  3. Erster Kommentar (Begriffsklärung, kurze Vorbemerkungen).

    Hm, also ich denke mal, mit der ehrenwerten Absicht, sich zwischen die Stühle zu setzen, wird das so nichts; Du schlägst Dich schon recht deutlich auf eine Seite, und das ist auch die richtige. (Zu Deinen Differenzierungen sage ich noch was.)

    Feine Bemerkung zum Thema Fahrrad, das man ja auch selber fahren könnte. Wenn ich meinem Egoismus *ganz* freien Lauf lassen will, dann könnte ich übrigens sagen, daß das Ebike als motorisiertes Gefährt doch zumindest in der klassischen Situation "enger Radlweg neben der Straße" doch eigentlich auf die letztere gehört, sagenwir wenn da nicht wirklich ein altes Mütterlein draufsitzt. Wobei ich ja (trotz allem, was der ADFC sagen mag) dann doch lieber *selber* auf der Straße fahren würde. Vorschrift halt. An und für sich halte ich Verkehrsordnungswidrigkeiten für moralische Adiaphora und könnte das auch begründen, aber... die Gewohnheit. Nun, man übt bei passender Gelegenheit.

    Tatsächlich ist der Ausdruck "Klimareligion" zwar polemisch, aber gar nicht so unzutreffend. Wie immer muß man auch hier sauber differenzieren, darf also die Dinge nicht verwechseln: Die Klimaschutzbewegung hat zum einen mit *Umweltschutz nichts* zu tun (außer daß wir sowohl freundlicher- wie realistischerweise annehmen dürfen, daß ihre Anhänger gewissermaßen *persönlich schon auch* den Umweltschutz befürworten; wer, außer stereotypen Raffzahnkapitalisten, wenn es sie real denn gibt, würde das nicht? und selbst die schützen Sachzwänge vor und glauben auch daran), und mit *Nachhaltigkeit* (gegen die *ebenso* niemand etwas hat) auch nur insoweit, als Maßnahmen zu deren Erreichung auch in die von diesen gewünschte Richtung gehen. CO2 ist kein Umweltproblem; CO und Stickoxide sind kein Klimaproblem. Um ja nicht falsch verstanden zu werden: das gilt auch dann, wenn es diese Probleme *gibt*. Aber man muß die Dinge auseinanderhalten.

    Was will die Klimaschutzbewegung? Sie geht von einem apokalyptischen Szenario aus, Greta Thunberg nennt ja den Untergang der Menschheit, wie Du schreibst (und ich bisher nicht wußte), andere, auch in ihrer Seite, sind da etwas realistischer: Zunahme von Extremwetterereignissen, Versteppung, Verwüstung (im Wortsinn), Überflutung gewisser Landstriche und folgern daraus vielleicht „nur“ eine Hölle auf Erden. Soweit, so gut.

    Wobei übrigens, kleiner Exkurs, Greta Thunberg an sich *Recht hat*, wenn sie sagt: „Wenn nicht innerhalb von fünf Jahren drastische Schritte gegen den Klimawandel unternommen werden, wird die Menschheit aussterben“. Denn: wenn wir die nur („“) aus der Offenbarung bekannte Tatsache, daß vorher der Herrgott wiederkommen wird, einmal weglassen, ist das auch so; bloß zur besseren Verdauung für Leute, die keine Logikvorlesung belegt haben, wäre hinzuzufügen: „Und *wenn* sie diese Schritte unternimmt, wird sie *auch* aussterben.“ Die Lebensdauer der Menschheit ist durch die der Erde oder, selbst wenn wir die Science fiction als realistisch annähmen, spätestens durch die des Universums begrenzt, und diese Zeiten *sind* nicht unendlich. (In der Mittelstufe haben wir wohl alle, auch die Nichtraucher, diesen Gedanken schön logisch sauber an dem kurzen Sätzchen „Wer raucht, stirbt“ durchexerziert. Man lernt in der Schule *tatsächlich* etwas.)

    ...

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  4. (...)

    Diesem Szenario müsse man dann, da es wirklich um alles geht, buchstäblich auch mit allem verhindern. (Daß sie dabei in der Regel zu gute Menschen, im unironischen Sinn, sind, um das *wirklich* kompromißlos gedanklich durchzuexerzieren, und deshalb beispielsweise in der Regel nicht die Demokratie zugunsten einer Klimadiktatur abschaffen wollen – was offenkundig *logisch* eine Konsequenz *wäre* – gereicht ihnen genaugenommen zur Ehre, ist aber halt auch ein Fall von „The good Pagan believes he can square the circle“, um Kuehnelt-Leddihn zu zitieren. – Wenn andererseits dann übrigens mal einer tatsächlich die Katze aus dem Sack läßt und sagt, für Demokratie hätte man leider keine Zeit, dann gereicht diesem umgekehrt seine logische Konsistenz zur Ehre.)

    Soweit, so gut. Was ist dann das Problem? Daß die Daten nicht stimmen, wie in menschlich nachvollziehbarer Verärgertheit der „Klimaleugner“ sagt (ebenso wie in ebenso nachvollziehbarer Verärgertheit mancher, es waren freilich nicht viele, Coronamaßnahmenkritiker sagte, die Krankheit gebe es nicht oder zumindest sei sie auch damals schon und nicht erst jetzt ungefährlich gewesen)? Trotz mancher Effekte eines gewissen Bias im wesentlichen wohl: nein. Die dürften schon stimmen.

    Das Problem ist eine, *nicht* naturwissenschaftliche, eine moralische Prämisse und sie heißt: „Wir haben ein existenzielles Problem. Wir wissen nicht, was hilft.“ (Der diesbezügliche *Grenzschaden* selbst eines einzelnen Privatflugs, geschweigedenn der Teilnahme an einem Linienflug, nach Südostasien ist nämlich ziemlich genau Null.) „Aber irgendetwas muß man doch tun.“ Und das ist ein Irrtum. „Verricht das Deine nur getreu:“ natürlich kann sich der Gläubige mit Gottes Vorsehung, die das schon irgendwie hinbiegen wird (was Sie ja, selbst in so einem Fall übrigens, eventuell mit Strafe für den einzelnen halt, auch *tun* wird) nicht aus seiner Pflicht herausreden, etwas, daß er zum Abwenden eines Schadens ernsthaft tun *kann*, zu tun: sehr wohl aber darf er, *nachdem* er das getan hat, die Hände in den Schoß legen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.
    Dies ist nebenbei wohl an und für sich sogar „ohne Religion“ so: Handeln nach dem Prinzip „aber irgendwas muß man ja tun“ pflegt ja erfahrungsgemäß alles *noch* schlimmer zu machen. (Man lese mal das Buch „Airframe“ von, zugegeben, dem später auch als Klimakritiker bekannt gewordenen Michael Crichton.) Und wenn es der Untergang ist, wäre in die Phrase der Unteroffiziere einzufallen: „Dann ist das eben so.“ *Praktisch* gesehen wird sich ein nichtreligiöser mit moralischer Energie geladener Mensch (und das ist *seelisch* etwas Gutes) zu einem solchen „Fatalismus“ in der Regel nicht durchringen können.

    Soweit, so gut, bisher habe ich nur beschrieben und diese Prämisse abgelehnt. Aber was ist nun zu der Thematik zu sagen? Dazu später (auch zum Lagerdenken, etc.)

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  5. 2. Bei diesem „aber irgendetwas müssen wir doch tun“ fällt übrigens auch der nun einmal tatsächlich gewisse heidnische Züge aufweisende Gedanke auf, klar, an und für sich könnten alles, was wir hier tun, den Klimawandel zwar nicht aufhalten, aber wenn wir uns nur kräftig Beine ausreißen, dann müßte die Natur doch ein Einsehen haben. Die Persistenz des Glaubens, daß eine vielleicht zwar launische, aber immerhin nicht grundlegend verdorbene Macht gewissermaßen eine *Persönlichkeit* hat, die auf *Opfer reagiert* (neuerdings gerne „das Universum“ genannt) ist strenggenommen hochfaszinierend, aber natürlich bekommt, wer seinen Katechismus nicht gelernt hat (Gomez Dávila: „irgendeinen Katechismus“, auch einen falschen) da alles durcheinander. So eine Macht gibt es, und sie ist auch nicht launisch und nicht nur „nicht grundlegend verdorben, sondern sogar die Güte selbst; aber Sie hat erfahrungsgemäß mehr übrig für Fastentage und Bußprozessionen usw. und auch für das ausdrückliche Bekenntnis zu ihr. Und um den klassischen Spruch zu zitieren: Barmherzigkeit ist Ihr natürlich *noch* lieber. (Und die hat mit *Liebe* zu tun.)

    Außerdem zeigt die Klimawandelbewegung ganz deutlich einen Moralismus bei gleichzeitiger religiöser Unterforderung. Der Moralist will zum einen klare Verhältnisse (wir *auch*); nach „genieße ohne Hintergedanken“ ist ihm „dies ist eine in sich schlechte Handlung, vermeide sie unter allen Umständen“ geradezu das Zweitliebste. Und wenn man ums Verrecken keine in sich schlechte Handlung finden kann, dann macht man madig. Einen typischer Kandidat zur Befriedigung dieses Bedürfnisses ist ja die Gesundheit; so haben zum Beispiel beim Alkohol die Amerikaner ja versucht, das rekreationale Trinken desselben als in sich schlecht zu erklären, aber das hat nicht gezogen. Man geht also dazu über, dann irgendwelche in konkrete Zahlen gefaßte Limits aufzustellen, die dazu führt, daß man denkt „also dem *das* einzuhalten gegenüber ist totale Abstinenz ja noch *leichter*“. (Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn das ganze als die wissenschaftliche Aussage „wenn du dich daran hältst, hast du *keinerlei* Gefahr, aber natürlich darfst Du eine solche auch in Kauf nehmen“ gelesen werden würde, als die sie formell dasteht. Aber so wird das nicht gelesen, und ist es wahrscheinlich auch meistens gemeint.) Ende der Abschweifung.
    Jedenfalls wird das Besteigen eines Flugzeugs, teilweise auch (im wesentlichen hat das aber andere Gründe) das Essen von Fleisch aus diesen Kreisen als in sich schlecht aufgefaßt, wobei sie interessanterweise für „Wir sind alle kleine Sünderlein und schaffen das nicht immer ganz“ sogar bezeichnenderweise noch *mehr* Verständnis haben als für den Versuch, durch die Beteiligung an einschlägigen Aufforstungsprojekten einen Ausgleich zu setzen: „Was, der will sich freikaufen?

    Zum anderen: Es gibt im Menschen offensichtlich einen Instinkt, zu *verzichten*: aber der braucht einen Grund. Und mit der ewigen Gesundheit kommt man da nur bis zu einem gewissen Punkt, zumal das ja zumindest als Hauptgrund reichlich eigennützig ist und, vielleicht fast noch wichtiger, die Menschen so egoistisch gar nicht sind, daß sie sich aus Eigennutz zu etwas motivieren würden. „When they made a holy day, they found they created a holiday“, sagt Chesterton: Wer schränkt denn ernsthaft sein Essen ein, um schlanker zu werden, hochbezahlte Schauspieler, die für eine Rolle ein gewisses Gewicht brauchen, mal ausgenommen? Es ist schlichtweg viel *einfacher*, in der Fastenzeit zu fasten, um dem Herrgott ein Opfer zu bringen, und nachher festzustellen, daß man (was man dann natürlich *auch* gern entgegennimmt) schlanker geworden ist. Man braucht einen Grund zum Verzicht; vermutlich ist ein guter Teil des Erfolgs der Klimaschutzbewegung, daß sie einen solchen bietet.

    (...)

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  6. (...)

    Wobei man diesen Erfolg übrigens nicht überbewerten sollte. Den von Dir erwähnten Satz mit „Wo ist der verdammte Klimawandel, wenn man ihn mal braucht“ habe ich aus einem Lied einer keineswegs besonders klimaschutzkritischen (oder, zumindestreligiösen) Sängerin im Kopf... wobei man bei jemandem, die in einem Lied über die Freuden der Elternzeit eine Zeile drinhat „Es muß noch lang nicht Gebärschluß sein! Elternzeit für die nächsten zehn Jahre! ... Gönn Dir acht Kinder!“ mit sowas vielleicht schon rechnen kann.^^ Tatsächlich scheint es mir doch eher so: Die *Begründung* dafür, nachhaltige Sachen zu machen, vielleicht bei manchen ja sogar: in bezug auf Urlaubsreisen nicht mit den Meiers mithalten zu müssen (um eine englische Redewendung zu übertragen)... wird gerne mitgenommen. Aber wenn dann dieser eine Mensch in der Bar (nein, nicht an einem rechten Stammtisch) ernsthaft meint, irgendwelche Erzählungen von unschuldigen Vergnügungen mit diese mißbilligender Klimaschutztheorie kommentieren zu müssen, dann ist die Reaktion doch eher Augenverdrehen; allerdings auch nicht mehr als das. (Aus Anschauung.) Und erst neulich war ich bei einem Vortrag, wo über die Errichtung eines großen Serverraums berichtet wurde, und es kam eine Nachfrage, wie das denn mit der Nachhaltigkeit aussehe (die Maschinen produzieren viel Wärme, die wegklimatisiert werden muß). Die (berechtigte) Antwort war: „Ja, natürlich fragt man sich, warum tut man keine Wärmepumpe hin, und da habe ich mich auch sehr bemüht dafür“, aber der Redner sah sich genötigt, erstmal vorzubemerken: „Also ich bin kein Grüner und würde die nie wählen.“ Faszinierend.

    Da sind wohl immer noch weitere Kommentare fällig, aber das war jetzt erstmal die Nr. 2.

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    1. Das „oder, zumindestreligiösen“ sollte „oder, zumindest nach außen sichtbar, religiösen“ werden.

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  7. Dritter Kommentar:

    a) Soviel zum *Erfolg* der Klimaschutzbewegung und dessen Grenzen. Einer anderen Behauptung teilweise ja durchaus persönlich gemäßigter Anhänger würde ich aber auf jeden Fall widersprechen (wenn auch zugegeben auf eher spekulativem Charakter). Das ist gewissermaßen das „AfD-Argument“ (was ich *primär* nicht mit dem Gedanken „in your face“ so benenne, aber gern mitnehmen tue ich den Effekt dann schon), also: „Selbstverständlich ist das alles im Detail bis ins Falsche übertrieben, zu radikal, persönlich unangenehm usw., aber wenigstens tun die was, setzen einen Gegenpunkt, rütteln die Leute auf, verschieben das Overton-Fenster usw., und das hilft dann *doch* dem Klima; deswegen ist es sogar gut, daß die Leute ihre persönliche Integrität hintanstellen und sich die Hände schmutzig machen.“ Die persönliche Verdienstlichkeit (die es ja auch im Dienste der falschen Sache gibt) einmal beiseite gesetzt, aber gegen Treibhausgase hilft das nicht; gegen die hilft die langweilig-bürokratische Beschränkung des emittierten Treibhausgases (der Vereinfachung halber CO2 genannt, wobei Methan dann ein CO2-Äquivalent hat usw.). Aber nicht auf 0, denn in sich schlecht ist es ja nicht, und leben muß man ja auch noch. Die aber haben wir längst (wer will, möge googeln unter „Emissionshandel“); das ganze ist ohne die Zuhilfenahme der Klimaschutzbewegung, die es damals noch nicht gab, entstanden. Hernach den Gebrauch der Zertifikate noch mutwillig und wahrheitswidrig als in sich schlechte Handlung zu betrachten, ist unnötig wie ein Kropf und wahrscheinlich kontraproduktiv wie ein schlechter Sportlehrer (ich hatte keinen solchen, aber man könnte sich einen vorstellen), der einen typischen Note-3-Schüler zehn Minuten vor der ganzen Klasse als Körperklaus, Bewegungslegastheniker usw. zur Schnecke macht. Wie soll das ganze den *nicht* Reaktionen, jetzt erst recht Fleisch zu essen etc., hervorrufen?

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  8. Die Tatsache, daß die dann doch naheliegende Partei in Deutschland die Grünen, diese aber *nicht* in erster Linie Klimaschutzpartei sind, kommt dann noch hinzu. Die Grünen mögen schon auch für Umweltschutz und dann auch Klimaschutz sein, primär sind sie aber als Antiparteienpartei in den 1970ern entstanden, die sich im wesentlichen auf ein Ziel einigen konnte: den Kampf gegen die Atomkraft (die die damalige SPD heftig forcierte). Und dann schon auch sehr wohl, *mit* ganz wesentlich, der konservativen Klientel, die sich beim einem bekannten Zitat zufolge „an der Spitze des Fortschritts marschierenden“ Franz Josef Strauß nicht vertreten fanden, eine Heimat zu bieten. Es hat damals die Sportfreunde Stiller noch nicht gegeben, aber „Die Welt ist voll von dreisten Egoisten, sinnlosen Fristen, vereisten Skipisten: doch ehe dir dein Herz zerbricht, hier kommt die gute Nachricht: Du und ich und sonst noch ein paar Leute, wir sind auf der guten Seite“ und vor allem „Das ist der Fortschritt! Hoffentlich komm ich noch mit! Das ist der Fortschritt! Wer will da noch mit!“ - *das* ist der Sound, und um ja nicht falsch verstanden zu werden, er ist hoch sympathisch. Er ist nur eben auch voll auf einer Linie damit, die Berichte vom Klimawandel, die es auch in den 1980ern schon gab, für „Propaganda der Atomlobby“ zu erklären (eine Zeitung hat einmal als Projekt Artikel aus den 1980ern unkommentiert wiedergegeben, hoch aufschlußreich), Elektroautos mit dem Kommentar „wo soll'n der Strom herkommen? Doch nur aus den Kernkraftwerken“ abzulehnen (ich habe diesen Diskussionsfetzen noch von Grünenwählern in den 1990ern im Ohr), zu einer mysteriösen neuen Technologie wie dem Transrapid zu sagen „wenn ihr wirklich so schnell unterwegs sein sollt, dann habt ihr doch schon eine Technologie dafür: das Flugzeug“, und selbstverständlich lieber Kohle zu verheizen als Atomkraftwerke einzusetzten: vielleicht aber mit der Auflage, daß die Kohle bitteschön aus dem deutschen Ruhrgebiet von deutschen (einschließlich der polnischen) Bergarbeitern herstammen solle, der Bergbau müsse ja schließlich erhalten werden. Für Ideen, die vielleicht tatsächlich helfen könnten, wie ja natürlich die Atomenergie, zumindest bei den Druckwasserreaktoren (zu dem Prinzip beim Siedewasserreaktor, das Flußwasser direkt durch den Reaktor zu leiten, sage ich: hm), oder auch CO2-Abscheidung, mag die grüne Stimme kontraproduktiv sein.

    (Um aber ja nicht mißverstanden zu werden, gibt’s auch mal eine Watschn nach rechts: Daß die Union jetzt gegen den Atomausstieg wettert, als ob sie ernsthaft von den Grünen, wenn die nun schon regieren, erwartete, sich die Butter vom Brot nehmen zu lassen, ohne dazu sagen: „Das haben *wir* gemacht, und damals wart *ihr* Opposition“, hat etwas Erbärmliches.)

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  9. c) Übrigens noch zur Motivation der Klimaschutzbewegungsanhänger, insbesondere zum Thema der Kinderlosigkeit. Da spielt eine Menge hinein: Sicher glauben sie an die Überbevölkerung. Wobei auch hier übrigens das Thema Atom hineinspielt. Dieses könnte man, wenn man nicht von krassen Gedanken geschockt ist, etwa so formulieren: „Die quasi natürliche Art, wie die Natur echte Bevölkerungsüberschüsse beseitigt, sind Kriege und Seuchen; aber mit unserer fortgeschrittenen Medizin können wir uns auf Seuchen nicht unbedingt verlassen, und Kriege können wir uns, nicht eigentlich wegen ihrer Verwerflichkeit an sich, sondern da wir jetzt Atomwaffen haben, nicht *leisten*.“ „Das Dumme ist, es kommt kein Krieg mehr“ (Günther Öttinger; tempi passati). Man will, wie in dem von Dir geschilderten Beispiel, seine sonstigen „Klimasünden“ (die ja gar keine *sind*) durch Aufrechnen rechtfertigen. (Am Rande, und das ist jetzt erstmal wirklich nur persönlich: Ich komme sehr gut recht lange mit „okay, das war eine Sünde, sorry, ja mei“ klar, und mittlerweile sogar mit dem Gedanken: „hm, vielleicht bin ich tatsächlich weniger schlimm als der eine oder andere andere“. Aber in dem Moment, wo ich mich bei einem Gedanken ertappe, der ersteres mit letzterem rechtfertigt, weiß ich: Jetzt steht die Beichte wirklich dringend ins Haus.) Zum anderen, und ich denke, diesen Gesichtspunkt sollte man ja nicht unterschätzen, will man vielleicht auch endlich den Eltern, die einem mit Nachfragen in den Ohren liegen, *wann* denn endlich das Enkelkind kommt, eine finale Antwort geben, um endlich Ruhe zu haben (Antispießer sind die eher nicht). Vor allem aber denke ich: Die, die die Klimaschutzideologie wirklich verinnerlicht haben, haben einen Groll gegen ihre Eltern, daß sie sie in diese Welt mit ihren Problemen geboren haben. Greta Thunberg gibt das ja mehr oder weniger offen zu.

    An der Stelle nun gehen sie wirklich fehl, und wie immer ist das keine Frage der Naturwissenschaft, auch nicht eigentlich eine der geoffenbarten Religion (auch wenn die Welt ohne sie vielleicht *praktisch* nicht zu ertragen ist), sondern der Philosophie und Moral. Denn was müßten und dürften die Eltern eigentlich darauf antworten? Das folgende: „Objektiv hätten wir vielleicht manches besser machen können, und wer glaubt, der füge an, daß wir dafür Gott beim Jüngsten Gericht Rechenschaft schuldig sind. Euch aber sind wir keine Rechenschaft schuldig. Wir haben eben nicht die Welt von euch nur geliehen, sondern ihr erhaltet sie von uns als Geschenk. Jetzt seid dankbar für das, was ihr bekommt, egal, wie viel besser es noch sein könnte.“

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    1. Bei "man will durch Aufrechnen rechtfertigen" fehlt ein "außerdem" oder "dann" oder sowas.

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  10. d) Und das wären sie auch (und um ihnen kein Unrecht zu tun: viele auch von ihnen *sind* es unbewußt in sehr vielen Momenten, dann wenn sie gerade *nicht* ans Klima denken… auch wenn das hernach vielleicht an sich selbst als Eskapismus tadeln), wenn sie vor allem ihre Mitmenschen lieben würden, dann durchaus auch Sachen lieben würden, d. h. z. B. an gutem Essen, aber auch an Technik, an dem Gefühl (ich rede nicht aus eigener Erfahrung), auf einem Motorrad bei krassem Sound durch die Landschaft zu düsen oder (ich rede *schon* aus eigener Erfahrung) bei einem Auto, das an sich ein Kleinwagen ist, mal die Beschleunigung auszuprobieren und wie schnell man damit auf der Autobahn fahren kann. Insofern ist, und wie gesagt: die meisten von ihnen nur einen kleineren zeitlichen Teil ihres Lebens (aber dem, den sie vor sich selbst rechtfertigen) die Diagnose von „Echt“ einschlägig: „Du trägst keine Liebe in dir, nicht für dich, nicht für irgendwen“.

    Ein weiterer Grund, warum im wesentlichen kein religiöser Mensch da mitmacht: Wir lieben eben schon; eher selten *völlig* frei von Eigennutz, klar, aber überlassen wir das mal den geistlichen Begleitern. Moralisch unterbeschäftigt sind wir auch nicht. Und anders als so gut wie jeder sonst sehen wir keinen Widerspruch zwischen moralisch gutem Handeln einerseits und klugem andererseits. Äh, ja, und das mit dem Lager, das nunmal nicht unseres ist: eine kleine Rolle spielt das ja dann wohl *auch*. (Womit sogar die Überleitung zum späteren Kommentar 4 geschafft ist.)

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  11. Vierter Kommentar, a).

    With all that being said *gibt* es natürlich auch die Leute in unserem Lager (ich komme gleich noch drauf), die auf diesen Leuten zu sehr herumhacken. Wenn jemand vielleicht meint, daß zu denen auf Grund der Textlänge ich gehöre, dann sei's drum, aber *Verachtung* und *Häme* ist immer schlecht. Am Rande sei, auch in Erinnerung an die Hausbesetzerdiskussion, angemerkt, daß nicht notwendig alles Verachtung und Häme tatsächlich ist, was Du als solches empfindest.

    Was zum Beispiel den Jubel über die Gefängnisstrafe bei gleichzeitigem Jubel über die Freilassung eines Herrn Ballweg auf einem Account „Sex needs culture“ betrifft: Den Tonfall habe ich nicht mitbekommen, und daß es schade ist, wenn ein Account mit diesem Titel sich auf Klimapolitikkritik und Coronamaßnahmendissidenz versteift, geschenkt.
    Wobei selbst dieser Focus… daß es nicht nur für das Leben im allgemeinen, das sowieso, sondern sogar speziell für die Bewahrung der Keuschheit bei eigentlich halbwegs keuschheitswilligen Leuten eine gewisse Freiheit der persönlichen Entfaltung braucht wie, vielleicht nicht die Luft zum Atmen, aber den gelegentlichen Regen auf das Sonnenblumenfeld, das dürfte sogar das eine oder andere für sich haben. Ich erinnere mich, daß mal einem Freund der Familie, dem die Frau davon gelaufen ist und er sich dann einen schicken Sportwagen kaufte. Hat ihm der Sportwagen es nicht doch einfacher gemacht, sich nicht eine andere Frau zu suchen? Wie viel hat nicht, entgegen (zugegeben) den oberflächlichen Warnungen der Moralisten, gerade auch die Möglichkeit hochwertige Unterhaltung in Theatern, Kinos und die Gesellschaft in Wirtshäusern dabei unterstützt, nicht aus reinem Entspannungsbedürfnis gegen das Sechste zu verstoßen? Also: hm. Damit meine ich aber nur die *seinerzeitige* Coronamaßnahmenkritik, nicht die manchmal jetzt auch noch zu lesenden Versuche, jetzt, statt glücklich das Mäntelchen der Geschichte drüber zu breiten irgendwie Vergeltung zu fordern (mit dem etwas durchsichtigen Alibi, „zu verhindern, daß sich so etwas wiederholt“. Das wird bei gegebenem Anlaß *sowieso* so kommen, und je mehr die Leute nachherige Strafverfolgung befürchten umso mehr). Die sollte man bleiben lassen.
    Aber Focus hinüber, Focus herüber, daß ein Mensch nach langer Untersuchungshaft wegen, wie man es präziser nennen sollte, finanziellen Unregelmäßigkeiten (denn in allem außer vielleicht dem technischen Sinn gehört zu „Untreue“ ein konkreter Mensch, der sagt „ich hab dir Geld gegeben, und du hast es nicht in meinem Sinn verwendet, dafür gehörst du strafverfolgt“, und so jemanden gab es bei Herrn Ballweg nicht, das hat die Staatsanwaltschaft nicht einmal *behauptet*: seine Spender waren ja Querdenker und Gesinnungsgenossen) ist eine gute Sache. Und um zum Thema zurückzukehren:

    Vielleicht haben die über die Gefängnisstrafe für Klimaaktivisten in einem Geist der Häme berichtet. Das wäre dann falsch. Ich kenne den Tonfall nicht, aber der Sache nach schließe ich mich dem Applaus an. Der Grund dafür ist gerade mein *Respekt* für die Klimaaktivisten.

    Dieser Respekt gebietet, einen Gegner (wenn nicht der Staatsordnung, so ganz sicher ex professo der Wirtschaftsordnung, Gesellschaft und Lebensweise) dann, wenn man sich seiner Meinung schon nicht vorbehaltlos anschließen kann, dann wenigstens als Gegner zu behandeln. Es mag schon sein, zugegeben, daß die über mildere Urteile *noch* erfreuter wären, *aber deswegen*, weil sie sie als verkappte Zustimmung der Juristen auffassen, und nur deswegen. Keiner von denen sagt, man möge ihn milde behandeln, er habe eine schwere Kindheit gehabt und erst kürzlich einen Schicksalsschlag erlitten. Es ist nun so: Zustimmung kann ich, das dürfte klar geworden sein, nicht bieten; dann aber ist die *Annahme des Kampfes* auch aus ihrer eigenen Sicht das nächstbeste. Und deswegen, mag es auch jemand anders aus Häme tun, finde ich, nicht aus Häme, sondern aus Respekt ihnen gegenüber, es für richtig, eine maßvolle (nicht fünf Jahre), aber nicht ausgesetzte Gefängnisstrafe auszusprechen.

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  12. b) (Ich habe auch in den 70ern es nie verstanden, wieso das Establishment damals aus anscheinend reiner Lust am Beleidigen, reinem „das trifft sie besonders!“, der RAF damals unbedingt ein „ihr seid nur gewöhnliche Kriminelle“ reindrücken mußte. Selbst wenn zufällig Andreas Baader das tatsächlich *seiner Herkunft nach* war und ein gewisser Unterweltscharme in ihre Anziehungskraft hineinspielte: Gerade das waren sie nicht. Sie sagten: „Wir sind keine gewöhnlichen Kriminellen, wir sind Feinde der Bundesrepublik Deutschland und ihres Systems“, und gerade damit hatten sie Recht, wie Unrecht sie auch sonst hatten.)

    Soviel dazu, also erstmal nur, warum ich mich für unschuldig beim Thema Häme halte, obwohl auch ich dieses Urteil gut finde. Häme gibt es in unserem Lager aber tatsächlich; und sie ist nicht gut. Wo kommt sie her? Aus zwei Quellen: Vielleicht manchmal aus der Selbstzufriedenheit des Schulhofkönigs, dem es eine Lust bereitet, das Gewürm, das nicht so toll ist wie er, Qualen zu bereiten. „Sie leiden ja keine Qualen, ihr Leib ist gesund und wohlgenährt. / Sie kennen nicht die Mühsal der Sterblichen, sind nicht geplagt wie andere Menschen. / Darum ist Hochmut ihr Halsschmuck, wie ein Gewand umhüllt sie Gewalttat. / Sie sehen kaum aus den Augen vor Fett, ihr Herz läuft über von bösen Plänen. / Sie höhnen und reden Böses, Unterdrückung reden sie von oben herab.“ (Ps 72/73) Ich darf doch hoffen, daß wenigstens *das* in unserem Lager selten vorkommt (rein theoretisch denkbar wäre es freilich, das ist dann ziemlich genau der Pharisäer im Gleichnis, also der echte, nicht nur der, dem man Pharisäertum vorwirft). Zweitens aber aus der Notwehr des Unterdrückten, der sich nicht zu wehren weiß und vielleicht selber ein heimliches schlechtes Gewissen hat, daß er da ist und CO2 ausstößt, vielleicht ja weil er auch ganz ohne Klimaschutzbewegung sowieso ein heimliches schlechtes Gewissen hat, daß er da ist und all seinen tollen Mitmenschen in der Sonne steht. Das ist zum einen wohl heutzutage sehr verbreitet, was allein schon die Lautstärke beweist, mit der heutzutage von Selbstwertschätzung geredet wird (man redet ja immer von dem, was man nicht hat); zum anderen kann man wohl doch eine gewisse magnetische Wirkung der Kirche auf solche Gestalten unterstellen (und dann gilt im gewissem Sinne Michael Endes „Jeder Weg, der dich zu den Wassern des Lebens führt, war am Ende der richtige“…). Da mag es dann eine gewisse Befriedigung bereiten, über den Gegner bisweilen wenigstens herziehen zu können (und vermutlich trotzdem eine Sünde sein, allerdings wohl zumeist eine läßliche). Die *Lösung* ist offensichtlich, die guten Argumente selber zu *haben*; nicht unbedingt so, daß man damit in einer Diskussion Unbeteiligte oder gar sie überzeugen kann, aber wenigstens so, daß man in der Kopfdiskussion sich selbst überzeugen kann. Und natürlich, als Grundlage diese Selbstliebe zu haben. Die bekommt man aber nicht, wenn man in wattierten Worten von Achtsamkeit und Wertschätzung spricht. Man bekommt sie (ich vereinfache), wenn man sich angewöhnt, einen Spaziergang im Nieselregen nicht mit „die paar Tropfen sind nicht der Rede wert“ und „ich bin nicht aus Zucker“ zu kommentieren, sondern, weil man zufällig vor dem Einkaufen kurz in eine Kirche hineingeht, zu einer Kurzwallfahrt zu deklarieren und dann frech eine „Abtötung“ zu nennen. Obwohl man wirklich nicht aus Zucker ist. (Das nennt man dann wohl „Catholic life hacks“.)

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    1. Einen weiteren Grund, der die Häne auch nicht entschuldigt, aber als Zurückkeifen des Unterdrückten oder sich zumindest schon als Unterdrückten Fühlenden erklärt, habe ich vergessen: die ganz reale und nicht völlig unbegründete Angst vor einem „und selbst wenn euch nicht der Klimawandel das Leben zur Hölle macht, unsere Vorschriften werden das tun“.

      (Aber, selbst wenn, nur die paar Jahrzehnte im Diesseits, und das können wir uns dann sogar noch aufs Fegfeuer anrechnen lassen.(

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  13. c) Dann kann man sich dann auch sparen, die Parolen des Spießerlagers zu übernehmen und von „ihre Meinung können sie ja haben, aber in den Methoden irren sie sich“ zu schwafeln. Irrtum. Es ist *fast* (ich sagte: fast) so, daß an der Klimaschutzbewegung gerade die *Meinung* falsch ist (wir verstehen uns: nicht der Kampf für Nachhaltigkeit, der für sich genommen richtig wäre, sondern die Weltuntergangshaltung, ohne die sie nun einmal nicht die Klimaschutzbewegung ist); die *Methoden* wären im Dienste einer *richtigen* Sache, zu der es *richtig* wäre, die Mitmenschen zu zwingen, fast richtig (ich sagte: fast). Wenn man also Lebensschützer ist und stellt fest, daß ein Minister der FDP an einer Stelle „die extremen Klimaaktivisten und die Lebensschützer“ sagt, dann bitte nicht Schnappatmung bekommen. Es mag ja sein, daß unsere Seite sich an die Gesetze hält; und nur wenig übertreibend könnte man sagen, das so sehr, daß man es fast schon beichten müßte. Aber „wir sind ganz anders, *wir* sind nämlich die braven Bürger“ sagen? Das war doch ein Kompliment! Und sollte es einem noch nicht aufgefallen sein, die Klimaaktivisten werden doch jetzt von der Politik hofiert! Wollen wir das etwa in Zukunft selber nicht werden?

    Aber ja: Der Schulterschluß der Kirche mit dem antikommunistischen Mainstream, der nunmal auch intellektuellenfeindlich war, „geh doch nach drüben“ sagte, 1962 eine Gruppe friedlicher unpolitischer Straßenmusikanten, die nach 22:30 noch spielte und wohl nicht einmal besonders laut war, mit Schlagstöcken auseinandertrieb, in Amerika so tat, als würde die rassengemischte Ehe gegen das Sechste Gebot verstoßen, usw. war im 20. Jahrhundert eine politische Notwendigkeit, das bestreite ich nicht, diese Woche war ja auch das entsprechende Fest Josephs des Arbeiters. Aber der Preis war hoch, unter anderem besteht er in verlorenen Jugendlichen (die man dann mit Anbiederung gewinnen wollte, was *auch* wieder nicht klappt), und könnte man sich von all den politischen Ballast, den man *außer* dem katholischen Dogma noch zusätzlich sich aufgeladen hat, schön langsam mal wieder befreien?

    Und dann darf man durchaus auch als nichtliberaler Pfarrer eine soziale Kaffeerösterei gründen. Aber hier gibt’s eine Entschuldigung, das werden die nämlich nicht nur aus Lagerdenken (wenn auch manchmal vielleicht ein bißchen *auch*) nicht tun. Es hat nämlich schon seinen Grund, warum Flügge (übrigens eine hochinteressante Reaktion auf dieses Manifest, aber keine Angst, ich gehe nicht darauf ein) hier nicht nur von einem *liberalen* Pfarrer, sondern von einem liberalen *Pfarrer* spricht. Solche Dinge scheinen praktisch doch sehr oft vorauszusetzen, daß ein Geistlicher vorausgeht und die Führungsarbeit abnimmt und die andern Leute nur helfen müssen. Und die nichtliberalen Pfarrer haben keine *Zeit*; die sind mit Seelsorge beschäftigt, sie werden von ihrem Bischof herumgeschickt, und bevorzugt zu ihnen kommen die Leute auch beichten (ich vereinfache). Und die Laien? Durchaus nennenswert viele sind schon beruflich in dem einen oder anderen Sinn, teilweise unter Inkaufnahme eines niedrigeren Gehalts, „sozial unterwegs“. Aber jedenfalls haben die ihre Berufe, haben auch Familie usw. und können vielleicht dann und wann mithelfen, aber noch nicht unbedingt mehr als das. Es gibt natürlich auch den katholischen jungen Unternehmensberater mit seiner Frau, die noch keine Kinder haben, aber wenn ich so drüber nachdenke: Jo, der ist bei den Maltesern. Ich hätte fast gesagt „natürlich“.

    Soziale Kaffeeröstereien gründen müßten wohl die Pastoralreferenten. - Irgendwie kann ich mir das nur schwer vorstellen. (Von den Vorurteilen des eigenen Lagers bin ich halt *auch* nicht frei.)

    Und jetzt hab' ich endlich alles gesagt, was ich dazu sagen will.

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  14. Ein sehr feiner Artikel zu dem Thema ist übrigens dieser hier, wo Hw. Dr. Rodheudt feststellt, daß die eigentlichen Linken nichts mit der Martyriumsbereitschaft der „Letzten Generation“ anfangen kann:
    https://www.corrigenda.online/kultur/religion-ist-tazsache

    und natürlich immer zu beachten (weshalb man, zugegeben, auch mit den meisten *meiner* Argumente oben nicht unbedingt in Diskussionen platzen soll): http://www.gkc.org.uk/gkc/books/how-not-to-do-it.html Ebensowenig wie einem jungen Kommunisten darf man einem jungen Klimaschutzbewegten damit kommen, daß man selber ein gieriger alter Sack ist und ihm verbietet, etwas anderes zu sein. Auch wenn es tatsächlich sinnlos ist, sinnlose Dinge unter dem Motto „aber irgendetwas muß man ja tun“ zu tun.

    Und der kleine politische snide remark (an sich aber ernst gemeint) sei noch als Nachklapp gestattet: Nachhaltigkeit ist in der Tat gut. Also laßt uns, außer die Tatsache ausnutzen, daß wir *ohnehin* ein Endlager brauchen (und Atommüll vom *Volumen* her nicht groß ist) auch noch folgendes tun: Wir kaufen ein Dieselauto, denn das spart Erdöl, und das umrüsten auf Biodiesel soll relativ einfach sein. Und wir heizen natürlich mit Holz, im klassischen Herd, wie es unsere Urgroßeltern taten. Ist ohnehin die schönste Wärme. Und nachwachsend. Oder vielleicht mit Pellets, warum nicht. - Ist oder wird verboten? Soso. (Für das Dieselauto war ich ehrlich gesagt z. B. zu feige, abgesehen davon, daß ich ein wenig lieber Benziner fahre. Nachhaltigkeit ist ja wichtig, aber mit dem Auto aus der Stadt ausgesperrt werden will ich dann auch nicht.)

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