Neulich musste ich mal wieder Bücherspenden für unser Büchereiprojekt sortieren, und dabei fiel mir nicht zum ersten Mal etwas ein, was Johannes Hartl bei einem Vortrag auf der MEHR 2017 erzählt hatte: dass Leute manchmal auf die Idee kommen, dem Gebetshaus Augsburg Dinge zu spenden, die sie selbst nicht mehr brauchen oder nicht mehr haben wollen. Eine Couchgarnitur zum Beispiel. Das sei ja vermutlich irgendwie gut gemeint, meinte Johannes, aber so richtig nett finde er es doch nicht: "So, ihr habt euch also eine neue Couchgarnitur gekauft, weil euch die alte nicht mehr gefällt, aber ihr meint, für Gott ist die alte noch gut genug, ja?"
Ich muss gestehen, in mir regte sich an diesem Punkt spontan Widerspruch. Okay, wer Johannes Hartl schon mal längere Zeit zugehört hat, sei es bei Vorträgen oder im persönlichen Gespräch, der wird wissen, dass Ästhetik ihm sehr wichtig ist. Er hat ein ausgeprägtes Faible für das, was man früher "Schöne Künste" nannte, und dagegen ist ja auch gar nichts zu sagen. Aber nicht nur das: Das Thema Schönheit hat bei ihm auch eine theologische Komponente. Weil Gottes Schöpfung so voller Schönheit ist (ein Lieblingsbeispiel von Johannes: die Kieselalge!). Einen Sinn für das Schöne zu pflegen - so würde ich Johannes' Position, wie ich sie verstehe, zusammenfassen - ist daher sowohl ein Weg zur Erkenntnis Gottes als auch eine Weise, Gott zu ehren.
Und deshalb muss auch im Gebetshaus alles schick und stylish sein. Okay, verstehe ich. Nur habe ich mich - beispielsweise - in dunklen, verrauchten Kneipen, wo die Bodendielen krummgelatscht und die Wände mit Flyern von längst vergangenen Punkkonzerten tapeziert und/oder mit Edding beschmiert sind, schon immer wohler gefühlt als in stylishen Bars mit Lounge-Möbeln; und folgerichtig kenne ich überwiegend Leute, denen das genauso geht. Hätte ich ein leerstehendes ehemaliges Pfarrhaus, ein aufgegebenes Kloster oder ein Containerdorf auf einer urbanen Brachfläche zur Verfügung, um da ein Zentrum für Punkpastoral einzurichten: Würde ich dieses mit ramponierten und nicht zueinander passenden Gebrauchtmöbeln einrichten? Aber hallo! Würde ich diese Möbel nötigenfalls persönlich vom Sperrmüll holen? Oh ja.
Ich will hier indes nicht den Eindruck erwecken, es ginge bloß um ästhetische Fragen. Es steckt noch mehr dahinter, unter anderem nämlich eine Kollision zweier Anschauungen, von denen ich denke, dass sie für sich gesehen beide ihre Berechtigung haben. Auf der einen Seite steht ein gewisser Konsum-Asketismus, der fragt: "Wenn die alte Couch alles in allem noch ganz in Ordnung ist, brauchen wir dann wirklich eine neue?"; auf der anderen die Auffassung: "Was wir hier tun, ist letztlich zur Ehre Gottes, und da dürfen wir nicht knausrig sein." Im Grunde muss sich beides gar nicht widersprechen. So legte etwa der Hl. Franz von Assisi, unbeschadet seiner berühmten Liebe zur Armut und zur Askese, großen Wert darauf, dass alle Dinge, die zur Verherrlichung Gottes dienen sollten, schön, prächtig und von guter Qualität sein sollten; in seinen Briefen findet sich wiederholt die Ermahnung, dass "Kelche, Korporalien, Altarschmuck und alles, was zum Opfer gehört", "kostbar ausgeführt" sein sollten. Dorothy Day, die Mitbegründerin der Catholic Worker-Bewegung, die sich unermüdlich für die Armen und Notleidenden einsetzte, schrieb an den Gewerkschafsführer César Chavez:
"Die Kirche hat die Pflicht, die Armen zu speisen, und kann nicht ihr ganzes Geld für Gebäude ausgeben. Es gibt jedoch viele verschiedene Arten von Hunger. Es gibt den Hunger nach Brot, und wir müssen Menschen Nahrung geben. Aber es gibt auch den Hunger nach Schönheit, und es gibt nur wenige Orte der Schönheit, die für die Armen zugänglich sind. [...] Die Kathedrale von San Francisco ist einer der wenigen Orte, wo die Armen hingehen, sich hinsetzen und die Gegenwart Gottes in Schönheit erfahren können."
Mit anderen Worten: Im Leben der Kirche gibt es einen angemessenen Platz für Askese und für Prunk, für Bescheidenheit und für Überfluss, für Armut und für Reichtum. Zu verlangen, die Kirche solle an der Pracht ihrer Gebäude, Gewänder und liturgischen Geräte sparen und das Geld lieber den Armen geben, hieße, sich den Einwand des Judas gegenüber Maria von Betanien zu eigen zu machen, als diese die Füße Jesu mit teurem Nardenöl salbte. Zu betonen ist dabei allerdings, dass die Pracht in der Kirche dazu dienen soll, Gott zu verherrlichen und nicht etwa sich selbst. Man könnte dabei auch daran denken, was Chesterton über den Hl. Thomas Becket schrieb: Dieser habe ein Büßerhemd unter seinen Gewändern von Gold und Purpur getragen, und das sei besser als die Methode der modernen Millionäre, sich nach außen hin schwarz und schlicht zu kleiden und das Gold nah an ihrem Herzen zu tragen.
Aber mal zurück zum Anfang: Es hat natürlich seinen Grund, dass Johannes' Anekdote mit der gebrauchten Couchgarnitur mir ausgerechnet beim Büchersortieren in den Sinn kam. Wenn ich mir ansehe, was bei uns so alles als Bücherspenden abgegeben wird - ein Ratgeber zur Euro-Einführung; Benutzerhandbücher für veraltete Windows-Versionen; in einem Fall sogar eine Bedienungsanleitung für ein Telefon oder einen Anrufbeantworter, so genau habe ich's mir nicht angesehen - da fragt man sich dann manchmal schon, was Leute sich dabei denken, das bei ihrer Pfarrgemeinde loszuwerden zu wollen, statt es einfach selber in die Papiertonne zu schmeißen. Und haben die Leute eigentlich überhaupt keine Bedenken, billige Softporno-Taschenbücher, die sich notdürftig als historische Romane tarnen, ausgerechnet der Kirche anzubieten? Andererseits finden sich in den eingehenden Bücherspenden auch immer wieder erstaunliche Perlen, und das allein, denke ich, ist Grund genug, "die Leute" (wer auch immer das nun im einzelnen ist) weiterhin dazu zu ermutigen, Bücher zu spenden. Würde es etwas nützen, potentiellen Bücherspendern schon im Vorfeld eine Liste mit Kriterien dafür an die Hand zu geben, was für Bücher für eine im Aufbau befindliche Pfarrbücherei brauchbar sind und welche nicht? Vielleicht. Vielleicht würde es aber auch manche potentielle Spender abschrecken, denen es schlicht zu mühsam wäre, die Bücher, die ihnen den Speicher vollmüllen und die sie daher loswerden wollen, erst einer genaueren Prüfung zu unterziehen und zu sortieren. Vielleicht haben sie die Bücher selbst aus zweiter Hand und wissen gar nicht so genau, was drinsteht. Da mache ich mir dann doch lieber selber die Mühe des Sortierens.
Fragen wir abschließend: Ist das eine brauchbare Metapher für irgendwas? Ich denke schon. Ich denke, das Problematische an dem Motto "Für Gott nur das Beste!" ist das Wörtchen "nur". Was ist mit allem anderen, was wir sind und haben? Sollen wir das für uns behalten, es Gott vorenthalten, weil wir meinen, es wäre nicht gut genug für Ihn? Wie nun, wenn Gott gerade das von uns will, was wir selbst für wertlos, nicht vorzeigbar, oll und ramponiert halten und darum lieber verstecken möchten? Wenn Er einfach besser weiß als wir selbst, was diese Dinge wert sind und was man damit anfangen kann?
Ich lasse diesen Gedanken einfach mal so stehen, denn noch salbungsvoller zu werden liegt mir nicht und würde mir auch keiner abkaufen. Aber rein intuitiv glaube ich, dass dies ein durchaus bedeutsamer Aspekt des Konzepts "Punkpastoral" ist.
Völlige Zustimmung.
AntwortenLöschen(Und das bei mir, Dir und Johannes Hartl.
Er tappt hier zutiefst in die "Man kann *noch* besseres tun als x [hier: auf der alten Couchgarnitur weiter herumsitzen und für die Kirche eine neue zu stiften], also zeugt x von verwerflicher Gesinnung"-Falle.
Von jeher und fast überall* ist "lieber schlecht als gar nicht" die katholische Devise.
[* Die Ausnahme, zumindest die einzige, die mir einfällt, wäre der Sakramentsempfang, aber selbst der nur dann, wenn wir schlecht als "unwürdig oder entgegen kirchlichen Regeln" verstehen. Der Kommunion fernbleiben, weil man zwar die vorgeschriebene eine, aber nicht die privat vorgenommenen drei Stunden Nüchternheit gehalten hat: so etwas fällt ganz einfach völlig aus.])
Natürlich will Gott alles von uns. Er ist ja nicht in die Welt gekommen, weil wir so großartig sind, sondern weil wir es eben nicht sind.
AntwortenLöschenMich erinnert Dein letzter Absatz an eine kleine Geschichte: Ein Junge möchte Jesus etwas Schönes schenken und schaut, was er in seinem Zimmer hat. Er gibt Ihm sein Lieblingsbuch, seine Playstation und ein Bild, das er gemalt hat. Und dann sagt der Herr: "Ich möchte gern, daß du mir deine Sechs in Physik gibst, und außerdem die Ausrede, die du deinen Eltern erzählt hast, als du dem Nachbarn aus Wut die Scheibe kaputtgeschlagen hast."
das ist ein schwieriges Thema, allerdings müssen wir festhalten, dass es eben Leute gibt, die zu feige sind, dazu zu stehen dass es Sachen gibt, die sie nicht brauchen können und gerne für ihren Müll auch noch gelobt werden wollen, wenn sie den dem lieben Gott zur Verfügung stellen, Maleachi 1,122ff stellt dazu hilfreiches fest.
LöschenIch will etwas, warum auch immer, nicht mehr, aber wenn ich das, was ich nicht mehr will, jemandem schenke, soll der mir noch dafür die Füße küssen, ich empfinde das als irgendwie bigott. Mittlerweile hat es sich ja auch, für die, die es wissen wollen, herumgesprochen, dass gerade die Kleiderspenden für die "armen in der 3. Welt" geradezu kontraproduktiv sind.
Damit man mich nicht falsch versteht, ich rede hier nicht der Wegwerfgesellschaft das Wort, rege mich im Gegenteil auch drüber auf, dass Reparieren sich oft einfach nicht lohnt, oder wenn ich die ganzen mit Rissen versehenen Plastikschübe im Kühlschrank ersetze ich dafür soviel bezahlen muss, dass sich fast die Anschaffung eines neuen rechnet...usw).
Fakt ist wir sollten Gott nicht unseren Müll andrehen, den wir selber nicht mehr wollen, aber wir sollten klar haben, dass alles was wir Gott geben können, erstens von ihm kommt, und zweitens nur Müll ist.
Es kommt also nicht so sehr darauf an, was man tut, sondern warum man es tut. Und so gehen Maleachi 1,12 ff und das Scherflein der armen Witwe ins eins.
Im übrigen was die Bücherspenden angeht, es ist schon faszinierend was für einen Müll die Leute lesen, sehr das auch immer an den Büchertauschregalen, aber solange es für die Spender in Ordnung ist, dass man da ausmistet, ist alles gut, schlimm wird es, wie gesagt, wenn die Leute für ihren Müll auch noch gelobt werden wollen.
Und wer sagt denn, dass sie gelobt werden wollen? Und das gar auf fußküssende Weise? In spontan (und zugegeben unzuverlässig) geschätzten 85 % der Fälle wollen sie nicht besonders gelobt werden und in 99,99% der Fälle nicht durch Fußkuß oder ähnliche Unterwerfungsgesten.
LöschenNicht geschimpft werden, *das* wollen sie. Gut, ist ja "gelobt genug", sagt ein Sprichwort.
Oder andere Frage: Soll es denn ernsthaft frommer sein, die Altkleider in den Restmüll zur Verbrennung zu tun statt in den Altkleidercontainer?
Nun ja, ich denke was ich mit meinem Müll mache hat nichts mit der Frömmigkeit zu tun, Altkleider sind Abfall, wobei ich eigentlich eher dafür bin, hochwertigere Klamotten zu kaufen, die dann auch länger halten.
LöschenAber aus den Sachen im Alkleidercontainer wird im besten Fall Putzwolle gemacht, dafür taugen aber nur reine Baumwollsachen. Der Rest verstopft die Lager bzw wird auf den Flohmärkten in der 3. Welt verkauft, was zu der absurden Situation führt, das dort also die Leute den Plasticfantatic Krempel nähen, der dann hier verkauft wird, um dann in abgetragenen Zustand von den Nähern wieder erworben werden zu können, und dabei sind die Klamotten zweimal um den halben Globus gereist. Unheimlich geniales System!
Ich habe noch die Nachkriegszeit -z.T. in der DDR - erlebt und mag einfach nichts so leicht und einfach auf den Müll werfen, was ja noch etwas taugt und was vielleicht noch ein anderer gebrauchen könnte.
AntwortenLöschenIch selbst bücke mich auch durchaus selbst nach einer Schraube oder einem Nagel auf der Straße und selbstverständlich nach dem "Pfennig" -äh' "Cent" - gemäß einem noch in meiner Jugend geläufigem Sprichwort...
Meine überflüssigen Dinge, soweit sie noch in Ordnung und nicht kaputt sind, schenke ich regelmäßig und natürlich unentgeltlich unserem Sozialkaufhaus - da können sie gegen einen kleinen Obolus von bedürftigen Sozialhilfeempfängern erworben und hoffentlich noch genutzt werden.
Dass solche Geschenke empfangende Einrichtungen oder Personen wie z.B. Tobias Klein die Dinge kritisch sichten und ggf. Unsinniges bzw. echtem Schrott aussortieren müssen, versteht sich eigentlich von selbst und bräuchte nicht eigens erwähnt zu werden.
Für den lieben Gott ist das ja auch nicht gedacht sondern für die lieben mehr oder weniger bedürftigen Mitmenschen - auch "Nächste" genannt, nicht wahr...?