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Freitag, 24. November 2017

(K)ein Grund zur Aufregung

Ich habe es neulich schon mal angedeutet, und wer mit mir auf Facebook befreundet ist oder mein privates Profil abonniert hat, der hat es ohnehin mitgekriegt: Vor ein paar Wochen habe ich mich virtuell mit dem ehrenamtlichen Team einer katholischen Jugendseelsorgeeinrichtung in Berlin angelegt, weil dieses für einen - wie ich es jüngst ausdrückte - "moralisch nicht ganz einwandfreien Film" warb; was wiederum damit zusammenhing, dass mindestens eine Sequenz des Films in den Räumlichkeiten dieser Einrichtung gedreht worden war. Die Auseinandersetzung auf FB eskalierte schnell in einem Ausmaß, das zum konkreten Anlass eigentlich in gar keinem vernünftigen Verhältnis stand, und das war einer der Gründe, weshalb ich die Angelegenheit erst einmal habe ruhen lassen. Ich wollte (und will) nicht den Eindruck erwecken, es handle sich um eine persönliche Vendetta. Ein anderer Grund war der durchaus überzeugende Hinweis, die Sache an die große Glocke zu hängen würde dem betreffenden Film doch nur Publicity verschaffen, und das könne doch wohl nicht in meinem Interesse sein. 

Andererseits denke ich, die hier skizzierte Angelegenheit verweist auf grundsätzliche Probleme, die in ihrer Bedeutung weit über den konkreten Einzelfall hinausgehen, und dazu möchte ich eigentlich doch noch etwas sagen. Wie löse ich das Dilemma? Indem ich auf den konkreten Einzelfall nur so weit eingehe wie unbedingt nötig und mich so weit wie möglich auf die verallgemeinerbaren Aspekte konzentriere. Ich gedenke daher weder den Film noch die Jugendseelsorgeeinrichtung namentlich zu erwähnen, auch wenn mich das Klicks kostet. 

Symbolbild, Quelle: Flickr
Zum Film nur so viel: Es geht darin um einen abgehalfterten ehemaligen Frauenhelden, der damit konfrontiert wird, einen (halbwegs) erwachsenen Sohn zu haben. Und dieser will von ihm nun lernen, wie man Frauen aufreißt. 

Ein Spitzenthema für katholische Jugendseelsorge? -- Kommt drauf an. Nach allem, was ich über den Film gelesen habe, und den Ausschnitten, die ich gesehen habe, erscheint es einigermaßen offensichtlich, dass der abgedankte Aufreißerkönig und sein Möchtegern-Thronfolger als eher tragikomische Figuren in Szene gesetzt werden; und demnach kann man wohl davon ausgehen, dass der Ansatz, die Jagd nach unverbindlichen Sexualkontakten quasi als Sport zu betreiben, durch die Filmhandlung eher ironisiert wird. Andererseits setzt der Film aber die Existenz einer "Hookup Culture" als etwas Selbstverständliches und Normales voraus, und die (Tragi-)Komik entsteht nur dadurch, dass die Protagonisten sich dabei so plump anstellen. Wären sie charmanter und vor allem attraktiver, gäbe es überhaupt keinen Konflikt. 

Zum Vergleich will ich mal einen anderen Film heranziehen, der den Vorteil hat, dass ich ihn tatsächlich gesehen habe - und durchaus unterhaltsam fand: die Komödie "Verliebte Jungs" aus dem Jahr 2001. Darin geht es um einen Wettstreit zwischen den Mitarbeitern eines Münchner Biergartens - darum, wer im Laufe des Sommers mit den meisten Frauen schläft. Zur Komödie wird dieser Stoff auch hier erst dadurch, dass die beiden Sympathieträger sich zunächst recht tollpatschig anstellen und ihnen allerlei Missgeschicke widerfahren. Im Laufe der Filmhandlung verlieben sie sich dann natürlich. Als Bösewicht fungiert der Biergarten-Geschäftsführer, der selbst ebenfalls am Wettbewerb teilnimmt, sich dabei aber unfairer Mittel bedient -- was im Umkehrschluss offenbar bedeuten soll, dass es am Vorgehen der anderen Wettbewerbsteilnehmer, bzw. an dem Wettbewerb selbst, grundsätzlich nichts auszusetzen gibt. Am Ende stellt sich heraus, dass unter den Mitarbeiterinnen des Biergartens ebenfalls ein entsprechender Wettstreit lief, sodass schließlich auch die Geschlechtergerechtigkeit wiederhergestellt ist. So gelingt es dem Film mit leichter Hand, emotionale Manipulation und sexuelle Ausbeutung zu de-problematisieren

Ginge es um die Frage, ob es legitim wäre, einen Film wie diesen oder eben den hier ungenannten etwa in einem katechetischen Kurs für Jugendliche zu zeigen und anschließend darüber zu diskutieren, würde ich sagen: Kann man machen, kommt halt drauf an, wie die Diskussion geführt (i.S.v. "geleitet") wird. Man könnte hier einwenden, mit dieser Aussage impliziere ich, dass ich es katholischen Jugendlichen nicht zutraue, ohne geeignete Anleitung die richtigen Lehren aus solchen Filmen zu ziehen. Und da muss ich leider sagen: Ja, das tue ich tatsächlich. Und ich glaube gute Gründe dafür zu haben. 

In einem insgesamt äußerst lesenswerten Doppel-Interview der Tagespost mit dem Leiter des Gebetshauses Augsburg, Johannes Hartl, und dem Präses des BDKJ, Dirk Bingener, erklärt der Letztere mit Blick auf die Haltung katholischer Jugendlicher zur Sexualmoral: "Die Umfrage, die der BDKJ zur Vorbereitung der Familiensynode in Auftrag gegeben hatte, spricht eine klare Sprache. Da haben Sie immer das Verhältnis 90 : 10 zu Ungunsten der kirchlichen Lehre". In den USA haben Studien des Soziologen Christian Smith (von der katholischen Universität Notre Dame in Indiana) ergeben, dass katholische Jugendliche in ihrer Haltung zu Fragen der Sexualität sogar liberaler sind als der Durchschnitt ihrer Altersgenossen. Letzterer Befund dürfte sich auf Deutschland wohl eher nicht übertragen lassen, da der Durchschnittswert in der US-Bevölkerung signifikant durch die recht hohe Zahl konservativer Evangelikaler beeinflusst sein dürfte, die in Deutschland zahlenmäßig kaum eine Rolle spielen. Dennoch deutet wenig darauf hin, dass katholische Jugendliche hierzulande entschieden weniger liberal über sexualethische Fragen urteilen als nicht-katholische Gleichaltrige. Und wen sollte das wundern? Schließlich konsumieren sie dieselben Medien und besuchen (weitgehend) dieselben Schulen, und hier wie dort wird ihnen eingetrichtert, promiskuitives Verhalten von Teenagern sei völlig normal - und auch gar kein Problem, solange sie dabei vernünftig verhüten. Was setzt die kirchliche Jugendarbeit dieser Indoktrinierung entgegen? Mein Eindruck ist: nicht viel. Man weicht dem Thema lieber aus, um die Jugendlichen nicht zu "verprellen". Wenn überhaupt, werden kirchliche Lehraussagen zur menschlichen Sexualität in einer verwässerten und relativierenden Form präsentiert und dann den Jugendlichen zur eigenen Beurteilung überlassen. Wie diese "eigene Beurteilung" dann ausfällt, kann man sich ja vorstellen. Den Jugendlichen ein positives Verständnis für die katholische Sicht auf die menschliche Sexualität zu vermitteln, würde angesichts der allgegenwärtigen Glorifizierung sexueller Freizügigkeit ein erhebliches Maß an Sorgfalt und Mühe erfordern; bringt man dieses nicht auf, dann erscheint diese Lehre bloß als eine Ansammlung von Verboten und Miesepetrigkeit, und wenn einem dann noch suggeriert wird, man müsse diese Lehre ja nicht annehmen, dann -- Entschuldigung -- scheißt man eben drauf.

So gesehen stellt der oben erwähnte Umstand, dass laut BDKJ-Präses Bingener zehn Prozent der katholischen Jugendlichen - sofern man die BDKJ-Umfrage als repräsentativ betrachtet, aber das setzt Bingener ja implizit voraus - der kirchlichen Lehre zum Thema Sexualität zustimmen, eigentlich gar keine so schlechte Quote dar; eine bessere jedenfalls, als man hätte erwarten können. Aber auch diese zehn Prozent haben einen schweren Stand, wenn sie mit dieser Einstellung selbst in ihren eigenen Kreisen in einer Außenseiterposition sind, als sonderbar oder "verklemmt" gelten -- und niemanden haben, der sie in ihrer Haltung bestärkt. Wer sollte es den jungen Leuten schließlich verübeln, wenn sie sich irgendwann doch fragen, welchen Sinn es eigentlich hat, sich strengeren Regeln zu unterwerfen als ihre Altersgenossen, wenn selbst ihre Seelsorger ihnen den Eindruck vermitteln, diese Regeln seien nicht wirklich verbindlich, sondern stünden in ihrem eigenen Ermessen? Dies gilt umso mehr, als in ihrem Alltag die Versuchungen genauso allgegenwärtig sind wie in dem der anderen und die Hormone in der Adoleszenz gern mal Achterbahn fahren.

Was also ist zu tun? Ich meine, wenn man den Jugendlichen nicht nur theoretisch, sondern erfahrbar vermitteln will, dass Keuschheit - ein unpopulärer Begriff, ich weiß, aber er trifft nun mal den Sachverhalt genauer als jeder andere - ein positiver Wert ist und nicht bloß Verzicht, dann braucht man dafür Räume (im wörtlichen wie auch im erweiterten Sinne), in denen unmissverständlich andere Wertmaßstäbe herrschen als in der "säkularen" Umwelt. Wenn solche in diesem Sinne "geschützten Räume" nun in kirchlichen Jugendseelsorgeeinrichtungen nicht zu finden sind, wo denn dann?

Kurz gesagt, wenn eine Jugendseelsorge-Initiative beschließt, ihre Räumlichkeiten für Dreharbeiten zu einem Film wie dem hier in Frage stehenden zur Verfügung zu stellen (und dann, einigermaßen folgerichtig, auch für den Film wirbt), ist dieser Vorgang nicht das eigentliche Problem, sondern nur ein Symptom, ein Detail, ja, fast schon eine Lappalie. Insofern muss ich zugeben, dass ich in meiner impulsiven Kritik an diesem Filmdreh einen Fehler gemacht habe - nein, eigentlich sogar zwei: Zunächst einmal habe ich den hier skizzierten Gesamtzusammenhang fälschlich als selbsterklärend vorausgesetzt, und dann habe ich allzu angepisst reagiert, als ich eine lediglich flapsige Reaktion erntete. Der Eindruck eines mangelnden Problembewusstseins - nicht nur auf Seiten der jungen Ehrenamtlichen, sondern auch auf Seiten der Verantwortlichen beim Erzbischöflichen Ordinariat - bleibt dennoch bestehen.



2 Kommentare:

  1. Wie Johannes Hartl in einem seiner Vorträge sagt, ist der Wunsch unter Jugendlichen ja DA, sich heldenhaft zu verhalten, radikal zu leben (und da gehört ein bewußtes Sich-gegen-den-Strom-Entscheiden in Sachen Teeniesexualität dazu) - da könnte man in der Jugendarbeit sicher Anknüpfungspunkte finden, wenn man den wöllte und wenn einem die Verhaltensregeln des eigenen Vereins nicht so peinlich wäre, dass man sie gerne verleugnet, noch ehe der Hahn überhaupt mal aus dem Stall stolziert ist, von dreimaligem Krähen ganz zu Schweigen.

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    1. In der Beziehung allerdings würde ich in der Beziehung freilich eher an der Beobachtungsgabe von Johannes Hartl zweifeln. Da spielt auch ein bißchen Wunschdenken, Zweckoptimismus und Standard-Predigttopoi, in diesem Fall freilich von der konservativen Sorte, hinein.

      Wobei: bei *Jugendlichen* mag er auch recht haben; im strikten Sinne des deutschen Gesetzes, also im Alter von 14-18, und zwar näherhin bei solchen, die noch auf die Schule (Gymnasium/Realschule+FOS) gehen.

      Bei jungen Leuten allgemein ist hingegen der Drang zum Heldentum weniger verbreitet, und zwar genau deswegen, weil die in wenngleich in aller Regel ziemlich bescheidenem Ausmaß tatsächlich Held sein müssen: im Alltag seinen Mann stehen, Rückschläge und eigenes Versagen standhaft hinnehmen usw. Das muß nicht wirkliches Heldentum sein, aber es geht wenigstens einen Zentimeter in diese Richtung - während die Schule einem zumindest zwischen acht und eins vor alledem bewahrt, wenn man nur brav seine Hausaufgaben macht.

      (Natürlich gibt es auch schlechte Schüler - aber die können über ihre Lehrer schimpfen.)

      Heldentum wird in aller Regel nicht gesucht, sondern widerwillig auf sich genommen, weil es gemacht werden muß.

      Und natürlich ist der Wunsch unter jungen Leuten da, etwas, durchaus auch Anstrengendes, Aufopferungsvolles, Riskantes zu tun, wofür man Lob verdient (und dann auch gelobt werden zu wollen); und der ist kein schlechter. Das speziellere "wirkliche Heldentum", um das es hier gehen müßte, nämlich gerade etwas zu tun, wofür man *kein* Lob erwarten kann auch wenn man es *eigentlich* verdient *hätte*, ist hingegen ein paar Größenordnungen schwerer und entsprechend auch unbeliebter.

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