Mein Wochenkommentar auf Radio Horeb, ausgestrahlt am 26.08.2017
„Demokratie ist alles“ – so lautet das Motto einer bundesweiten
Plakatkampagne, die vom Verein „Artikel 1 – Initiative fürMenschenrechte“ initiiert wurde. Jedes Motiv dieser bei einem Kreativwettbewerb preisgekrönten Plakatserie ist einem bestimmten
Grundrecht gewidmet; neben Plakaten zu Meinungs- und Pressefreiheit,
Freizügigkeit, Berufs- und Versammlungsfreiheit gibt es auch eines,
das sich dem Grundrecht auf Religionsfreiheit widmet. Angesichts
starker säkularistischer Tendenzen in der Gesellschaft, angesichts
der immer weiter um sich greifenden Auffassung, Religion sei
allenfalls als Privatangelegenheit des Einzelnen zu tolerieren und
habe im öffentlichen Raum nichts zu suchen, möchte man ein solches
positives Bekenntnis zur Religionsfreiheit zunächst einmal
begrüßenswert finden. Bei näherer Betrachtung erweckt das
betreffende Plakat allerdings den Eindruck, selbst von einem recht
eingeschränkten Verständnis von Religions-, Glaubens- und
Gewissensfreiheit geprägt zu sein.
Das Plakat zeigt eine
junge Frau, die durch ihr Kopftuch als Muslima gekennzeichnet ist;
und dieser Frau wird der Satz in den Mund gelegt: „Ich könnte auch
an nichts glauben und damit glücklich sein.“ Darunter, in
erheblich kleinerer Schrift: „Muss ich aber nicht.“ – Darauf,
dass es sich bei der dargestellten Person um eine Muslima handelt,
braucht man wohl nicht näher einzugehen; man kann durchaus annehmen,
dies sei lediglich dadurch bedingt, dass das Kopftuch als visuelles
Kennzeichen für Religiosität einfach eingängiger, im wahrsten
Sinne des Wortes also „plakativer“ ist als andere religiöse
Symbole. Kettenanhänger in Kreuzform beispielsweise werden
schließlich durchaus auch von Nichtchristen getragen. Gehen wir
ruhig dennoch davon aus, dass die Aussageabsicht des Plakats sich
genauso auf Christen bezieht wie auf Muslime. So oder so hinterlässt
der Plakattext den geneigten Betrachter einigermaßen ratlos. Während
der Nachsatz „Muss ich aber nicht“ – der allen Plakatmotiven
dieser Kampagne gemeinsam ist – das Recht der jungen Dame betont,
sich hinsichtlich ihres Glaubens von der säkularen
Mehrheitsgesellschaft zu unterscheiden, erweckt der diesem Satz
vorangehende Text aber den Eindruck, dass das Phänomen des
religiösen Glaubens nicht sonderlich ernst genommen, geschweige denn
verstanden wird. Ist es wirklich denkbar, dass eine gläubige Person
von sich selbst sagen würde „Ich könnte auch an nichts glauben“?
Zwar ist es auch aus christlicher Sicht durchaus richtig, dass der
Glaube ein Akt des Willens ist und die Entscheidung zum Glauben
freiwillig erfolgen muss. Auf theologische Feinheiten einzugehen –
etwa darauf, dass der Glaube im christlichen Verständnis zugleich
auch eine Gnade ist – würde hier zu weit führen;
festzuhalten ist jedenfalls, dass ein Glaube, den man bei Bedarf
jederzeit „ablegen“ könnte – worauf die Aussage „Ich könnte
auch an nichts glauben“ ja hinausliefe – die Bezeichnung „Glaube“
im Grunde gar nicht verdient. Religiöser Glaube ist zwar mehr
als ein bloßes „Für-wahr-Halten“ eines Sachverhalts – also
etwa der Existenz Gottes –, aber er ist nicht weniger als
das. Anders ausgedrückt: Glaube geht von der objektiven Wahrheit
seines Gegenstandes aus. Wie könnte also jemand, der heute an etwas
glaubt, morgen aus reiner Willkür beschließen, daran nicht mehr
glauben zu wollen? Und wenn das so wäre: Wieso sollte eine solche
rein willkürliche Glaubensentscheidung eigentlich größeren
rechtlichen Schutz genießen als irgendwelche anderen persönlichen
Vorlieben, also beispielsweise die Vorliebe für einen bestimmten
Kleidungs-, Ernährungs- oder Musikstil? Diese Frage erscheint umso
dringlicher, als der Plakattext der dargestellten Person die
Überzeugung in den Mund legt, sie könne, auch wenn sie an nichts
glaubte, „damit glücklich sein“. Wenn der Glaube dieser Person
nicht einmal notwendig für ihr Glück ist, wieso
sollte das Gesetz ihn dann besonders schützen? Letztendlich
erscheint die Religionsfreiheit so als purer Luxus – als etwas, was
die säkulare Gesellschaft, die sich so viel auf ihre Toleranz zu
Gute hält, sich „leistet“, worauf sie aber im Grunde auch ganz
gut verzichten könnte.
Wenn es dem Plakat darum
geht, das Recht des Einzelnen zu betonen, sein religiöses Bekenntnis
frei zu wählen und gegebenenfalls zu auch wechseln – ein Recht,
das beispielsweise in vielen islamisch dominierten Ländern nicht
gewährt wird –, dann muss man konstatieren, dass der allzu saloppe
Tonfall diesem Anliegen eher schadet. Dass es Menschen gibt, die –
in Ländern, in denen keine Religionsfreiheit herrscht – um
ihres Glaubens willen ihren Wohlstand, ihre Freiheit oder sogar ihr
Leben aufs Spiel setzen, erscheint aus dieser Perspektive jedenfalls
völlig unverständlich. Möglicherweise ist dieses Unverständnis
aber die natürliche Folge einer Sicht auf Religion, die mehr oder
weniger explizit davon ausgeht, diese habe „Privatsache“ zu sein.
Dabei zeigt sich die Bedeutung und der Wert der Religionsfreiheit
doch eigentlich erst dann, wenn das religiöse Bekenntnis den rein
privaten Rahmen überschreitet – wenn es darum geht, seinen Glauben
auch in der Öffentlichkeit ungehindert praktizieren zu dürfen, und
noch weit mehr dann, wenn jemand aufgrund seiner religiösen
Überzeugungen Gewissensentscheidungen trifft, die im Widerspruch zu
den Ansichten der Mehrheitsgesellschaft stehen. Ginge es nur darum,
was ein Mensch in seinem Innern glaubt, gäbe es wohl kaum einen
Staat der Welt, der damit ein Problem hätte. Zwar mögen wir
glauben, eine freiheitliche, demokratische Gesellschaft wie die
unsere, die Toleranz als einen der höchsten Werte überhaupt
betrachtet, wäre weit entfernt davon, religiöse Menschen in
Gewissensnöte zu bringen; doch das könnte sich schnell als Irrtum
erweisen, wenn das herrschende Verständnis von religiöser Toleranz
sich zunehmend in der Haltung „Glaub doch, woran du willst, solange
du es für dich behältst“ erschöpft. In den USA etwa – einem
Land, von dem man sagen könnte, es sei als Staatswesen geradezu auf
dem Prinzip der Religionsfreiheit begründet worden – mehren
sich seit einigen Jahren die Fälle, in denen Menschen aufgrund ihrer
Glaubensüberzeugungen in Konflikt mit dem Gesetz geraten. So wurden
Bäcker, Floristen und Fotografen, die aus Gewissensgründen keine
Dienstleistungen für gleichgeschlechtliche Hochzeitsfeiern
übernehmen wollten, des Verstoßes gegen Antidiskriminierungsgesetze
beschuldigt und mit ruinösen Schmerzensgeldforderungen überzogen,
und eine Standesbeamtin wurde aus ähnlichen Gründen sogar für eine
Woche inhaftiert. Es steht kaum zu bezweifeln, dass derartige
Konflikte auch hierzulande drohen – und dass diejenigen, die sich
in ihrem Handeln auf ihr von religiösen Überzeugungen geprägtes
Gewissen berufen, schlechte Karten gegenüber einer öffentlichen
Meinung haben dürften, die das Grundrecht auf Religionsfreiheit
zunehmend nur noch negativ versteht: als das Recht des
nicht-religiösen Menschen, von Religion unbehelligt zu bleiben.
Genau diesem Verständnis leistet die oben geschilderte
Plakatkampagne jedoch – vielleicht sogar unabsichtlich –
Vorschub, indem sie den Menschen, der „an nichts glaubt und damit
glücklich ist“, implizit zur Norm erhebt und dem religiösen
Menschen, vermeintlich wohlwollend, unterstellt, dieser „könne das
auch“.
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