Was bisher geschah: Wie schon angekündigt, haben meine Familie und ich die zurückliegende Woche an der Waterkant verbracht, zuerst in Butjadingen, dann in Ostfriesland (dies sind in der Tat zwei verschiedene Landschaften, und die Einheimischen und Ex-Einheimischen schätzen es gar nicht, wenn man diese miteinander verwechselt oder meint, das sei "alles dasselbe"). Am vergangenen Montag, dem Gedenktag der koreanischen Märtyrer, brachen wir morgens in Berlin auf und kamen am frühen Nachmittag in Nordenham an, wo wir von meiner Mutter am Bahnhof abgeholt wurden, am Marktplatz einen Corona-Schnelltest machten und dann in einer Bäckerei Kaffee und Kuchen genossen, ehe wir mit dem Bus nach Burhave weiterfuhren. Dort mieteten wir beim Fahrradverleih am Strand wieder denselben Croozer-Wagen, der uns schon in unserem Urlaub Anfang Juni gute Dienste geleistet hatte, und checkten dann erst einmal in unsere Ferienwohnung ein. Diese war durchaus geräumig und gemütlich, allerdings - zu meinem Amüsement - konservativer eingerichtet als das Haus alt ist. Ist das ein bisschen kraus formuliert? Was ich meine, ist, dass die ganze Siedlung, zu der dieses Haus gehört, meines Wissens erst in den 1990er-Jahren erbaut wurde, und die Wohnungseinrichtung muss (abgesehen vom Flachbildfernseher, den wir während der dreieinhalb Tage unseres Aufenthalts nicht benutzt haben) schon damals altmodisch gewirkt haben. Aber macht ja nichts! Während Frau und Kinder sich von der Reise ausruhten, ging ich erst mal einkaufen und kam dabei auch an der katholischen Kirche Herz Mariä vorbei, wo ich schnell mal auf den Aushang schaute. Der Befund war eher deprimierend: Im aktuellen Wochenplan war für die gesamte Pfarrei keine einzige Werktagsmesse vorgesehen, nur Wortgottesdienste bzw. "Wort-Gottes-Feiern". Sonst war dienstags Messe in St. Willehad, aber die Kirche wird derzeit renoviert, und während die Sonntagsmessen und die Messe zum Herz-Jesu-Freitag (immerhin, die gibt es noch!) ins Pfarrheim verlegt werden, fallen die Dienstagsmessen ersatzlos aus. Besonders bezeichnend erschien mir, dass am Mittwoch der Diakon einen Wortgottesdienst im Seniorenheim in Rodenkirchen feierte (wir erinnern uns: In Rodenkirchen wurden die Gottesdienste komplett ins Seniorenheim verlegt und die Kirche St. Josef profaniert), während gleichzeitig der Pfarrer beim Seniorentreff im Nordenhamer Pfarrheim einen Vortrag über den Jakobsweg hielt. Das sagt viel über Prioritäten aus, scheint mir. Wir erwogen trotzdem, am Mittwoch um 16:30 Uhr zum Kindertreff ins Pfarrheim zu gehen, hatten dann aber doch Anderes zu tun -- dazu später.
Am Dienstag ließen wir uns vom durchwachsenen Wetter nicht davon abhalten, vormittags an den Strand zu gehen, oder genauer gesagt: auf den Spielplatz am Strand. Danach gingen wir Mittagessen im "Kachelstübchen" (immer gut!). Am Nachmittag gingen wir noch auf einen anderen Spielplatz, der vorrangig von der Kita genutzt wird, außerhalb der Kita-Zeiten aber auch der Öffentlichkeit zur Verfügung steht (eine sehr faire Regelung, wie ich finde), und verbrachten den Rest des Tages in unserer Unterkunft.
Für Mittwoch hatten wir ins Auge gefasst, eventuell in ein Schwimmbad zu gehen, und wollten uns daher gleich morgens einen tagesaktuellen Corona-Schnelltest besorgen -- in der Apotheke. Was wir nicht wussten, war, dass man dort nur mit Termin getestet werden konnte. Angesichts der Tatsache, dass in der Apotheke nicht gerade großer Andrang herrschte, als wir dort aufschlugen, hätte man vielleicht annehmen können, es wäre möglich gewesen, uns spontan zwischenzuschieben, aber so sind die Butjenter nicht. Meine Liebste war stinksauer, aber ehe sie den Laden auseinandernehmen konnte, sagte ich "Lass uns erst mal rausgehen und überlegen, was wir jetzt machen." Wir fuhren dann mit dem Bus nach Tossens, wo es zwei Testzentren gab, bei denen man keine Anmeldung brauchte. Zur Belohnung wurde, während wir im Außenbereich eines Bäckerei-Cafés auf unsere Testergebnisse warteten, das Wetter richtig schön und blieb auch für den Rest des Tages so; also gingen wir an den Strand. Baden gingen wir zwar nicht, aber meine Tochter und ich hielten immerhin ein bisschen die Füße in die Nordsee -- die am Ende des Sommers verhältnismäßig warm war. -- Später fuhren wir zum Grillabend auf Hof Iggewarden. Ein absolutes Muss. Wer in Butjadingen Urlaub macht und sich den Grillabend auf Hof Iggewarden entgehen lässt, ist selber schuld. Besonders schön war, dass unsere Tochter dort ein etwa gleichaltriges Mädchen traf und mit diesem auf der Schafweide herumtollte.
Derweil ging unser Windelvorrat empfindlich zur Neige. Da die beiden Burhaver Supermärkte zwar über eine Drogeriewaren-Abteilung verfügten, ich aber wenig Lust verspürte, durchs ganze Dorf zu zockeln, nur um dann womöglich festzustellen, dass es keine Windeln in den von uns benötigten Größen gab, fuhren wir am Donnerstag nach dem Frühstück lieber gleich mit dem Bus nach Nordenham, um in einen richtigen Drogeriemarkt zu gehen und bei der Gelegenheit auch gleich einen neuen tagesaktuellen Corona-Test machen zu lassen Anschließend fuhren wir nach Fedderwardersiel und gingen dort ins Nationalpark-Haus. Da waren wir schon im Juni gewesen, und es hatte unserer Tochter sensationell gut gefallen; so auch diesmal wieder. Wir hatten geradezu Mühe, sie da wieder 'rauszukriegen, aber der Kleine wurde unruhig und musste gestillt werden, und wir Großen hatten ebenfalls Hunger. Also gingen wir zum Mittagessen ins "Havenhuus" (die frühere Hafenmeisterei): Sehr leckeres Essen, ausgesprochen gute und kinderfreundliche Bedienung. Inzwischen war es sehr stürmisch geworden, und wir hatten Glück, nach dem Essen gleich einen Bus zu erwischen, der uns nach Burhave zurückbrachte. Meine Liebste ging mit den Kindern in die Spielscheune, und ich hatte den Nachmittag "frei". Dies nutzte ich u.a. zu einem Besuch in der tagsüber offenen Kirche Herz Mariä, wo ich zunächst - still - die Novene zur Hl. Thérèse von Lisieux betete. Danach war es 17:30 Uhr, und ich beschloss spontan - auch weil mir ein- bzw. auffiel, dass es der Gedenktag des Hl. Pater Pio war -, auch noch die Vesper zu beten, und zwar nicht still. Als ich die Kirche wieder verließ, empfing mich - nachdem auf dem Hinweg Regen und Wind geherrscht hatten - herrlichster Sonnenschein.
Erwähnen will ich noch, dass ich aus der Kirche eine Broschüre von donum vitae mitnahm. Eigentlich finde ich es ja schon mehr als grenzwertig, dass ein in offener Rebellion gegen die lehramtliche Autorität der Kirche gegründeter Verein sein Infomaterial in einer Kirche auslegen darf, aber in Zeiten von Maria Zwonull und Co. muss man sich darüber wohl nicht wundern. -- Ich las in der Broschürenur wenig, aber das Wenige genügte mir vollauf. Der Artikel "Schwangerschaftskonfliktberatung: Mit der Frau, nicht gegen sie" (S. 5) - der ja im Grunde schon in der Überschrift eine üble Verleumdung gegen dem Anliegen des Lebensschutzes verpflichtete Beratungsstellen wie etwa Pro femina enthält - beginnt mit einem Zitat aus der Publikation "Kleine Texte aus dem Evangelischen Zentralinstitut für Familienberatung", Nr. 19/1990:
"Was den Schwangerschaftskonflikt so unerträglich macht, ist das Recht des Ungeborenen auf Leben, und das Recht der Frau auf ihr eigenes Leben. Wie auch immer sie sich in einem Schwangerschaftskonflikt entscheidet, sie entscheidet sich gegen einen Teil ihrer Person."
Mal abgesehen vom schmalzigen Stil verrät es schon ein arg beschädigtes Menschenbild, wenn hier behauptet wird, eine Frau, die sich trotz Schwierigkeiten dazu entschließt, eine ungewollte Schwangerschaft auszutragen, würde damit "einen Teil ihrer Person" aufgeben oder verleugnen. Dazu, dass das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit einerseits und das vermeintliche Recht auf das, was die säkular-hedonistische Kultur unter "Selbstverwirklichung" versteht, als gleichwertig behandelt werden, könnte man natürlich sagen: immerhin als gleichwertig; das ist schon mehr, als die radikale "Pro Choice"-Fraktion zugestehen würde. Aber wenn so etwas aus einer sich selbst als explizit christlich verstehenden Perspektive kommt, finde ich das schon einigermaßen bizarr.
Eine andere Beobachtung aus Nordenham und Butjadingen: Einen für mich überraschend häufigen Anblick bildeten Rasenmähroboter in den Vorgärten zahlreicher Ein- bis Zweifamilienhäuser. "Auch ein Argument gegen das Vollzeit-Doppelverdiener-Familienmodell", merkte meine Liebste an. "Da arbeitet man den ganzen Tag, um sich ein Haus mit Garten leisten zu können, und dann hat man keine Zeit, sich um den Garten zu kümmern." -- "Früher", wandte ich ein, "haben Familienväter das Rasenmähen gern an ihre nicht mehr allzu kleinen Kinder delegiert und ihnen damit eine Möglichkeit gegeben, ihr Taschengeld aufzubessern. Und oft haben dann Nachbarn, die selbst keine für diese Aufgabe geeigneten Kinder hatten, diese Kinder engagiert, auch bei ihnen den Rasen zu mähen, und so konnten sie ihr Taschengeld noch mehr aufbessern. Wie in dieser 'Pepper Ann'-Folge. Das hatte einen gemeinschaftsstabilisierenden Effekt. Die Anschaffung von Rasenmährobotern hat keinen gemeinschaftsstabilisierenden Effekt -- eigentlich sogar im Gegenteil: Wie soll man sich denn jetzt als Schüler etwas dazuverdienen?" -- "Mit Handyspielen", warf meine Liebste ein. (Klingt bizarr, aber es gibt tatsächlich Spiele-Apps, mit denen die Nutzer Geld verdienen können. Ist allerdings sehr zeitaufwendig.)
Was man daraus (unter anderem) lernen kann, ist, dass der technische Fortschritt in Butjadingen vorrangig in seinen negativen Aspekten ankommt - in jenen, die es den Butjentern ermöglicht, ihren antisozialen Neigungen zu frönen und zwischenmenschliche Kontakte zu vermeiden. Hier Beweisstück B:
Am Freitag trafen wir uns am Bahnhof in Nordenham mit meiner Mutter, um gemeinsam mit ihr die Reise nach Ostfriesland anzutreten, wo meine Schwester und mein Schwager wohnen. Wie schon erwähnt, feierte meine Schwester ihren 50. Geburtstag und hatte dazu die ganze Familie eingeladen; allen einen Schlafplatz anbieten konnte sie aber beim besten Willen nicht, daher hatte meine Liebste eine Ferienwohnung im Nachbardorf gebucht. Bevor wir dort einchecken konnten, gab es noch etwas Stress, da wir noch kurzfristig einen tagesaktuellen Corona-Test organisieren mussten; aber danach gab's lecker Abendessen bei Schwester und Schwager, meine beiden Neffen waren ebenfalls bereits angereist, und es wurde insgesamt ein sehr schöner Abend. Tags darauf komplettierten mein Bruder und meine Schwägerin das Familientreffen. Zum Mittagessen wurde gegrillt, anschließend gab's einen Spaziergang durch den nahen Wald und danach Kaffee und Kuchen. Später wurde noch gemeinsam musiziert und Wikingerschach gespielt. Die Stimmung war ausgesprochen harmonisch, politisch-ideologische Kontroversen, die theoretisch denkbar gewesen wären (bei welchem Familientreffen wären sie das heutzutage nicht?), blieben völlig aus, auch weil ich bei einigen potentiell konfliktträchtigen Themen konsequent die Klappe hielt. Unsere Große verstand sich mit der gesamten Familie ausgezeichnet und wollte eigentlich gar nicht wieder weg, und auch das Baby wirkte im Kreis der Familie sehr fröhlich und zufrieden.
Erwähnen muss ich noch, dass meine Schwester und mein Schwager auch einen Rasenmähroboter haben. Aber okay, ihre Kinder sind ja nun auch schon seit einiger Zeit groß und aus dem Haus. Während wir versonnen in den Garten hinausschauten und Mähroboter "Mortimer" bei der Arbeit beobachteten, erzählte mir der ältere meiner beiden Neffen, das Rasenmähen im elterlichen Garten sei jahrelang seine Lieblingsbeschäftigung gewesen. Sein jüngerer Bruder erklärte hingegen mit postironischem Pokerface, für ihn sei die Pflicht zum Rasenmähen ein wesentlicher Antrieb für den Wunsch gewesen, zu Hause auszuziehen.
Was ansteht: Heute steht erst einmal die Rückreise nach Berlin auf dem Programm; das ist auch der Grund, weshalb das Wochenbriefing diesmal einige Stunden später erschienen ist als normalerweise üblich, denn erst mal mussten wir noch packen und in der Ferienwohnung Ordnung machen. Aber jetzt sitzen wir in der Regionalbahn nach Hannover, und am Abend sind wir dann wieder zu Hause. Morgen, am Gedenktag der philippinischen Märtyrer, ist dann wieder Lobpreisandacht, nachdem diese letzte Woche ja entfallen musste -- was mich, nebenbei bemerkt, auf den Gedanken gebracht hat, eigentlich wäre es an der Zeit, darauf hinzuarbeiten, dass auch mal jemand anderes die Leitung der Lobpreisandacht übernehmen kann.
Für Mittwoch steht "Impfung" in meinem Terminkalender, was mich jedesmal irritiert, wenn ich draufschaue; aber tatsächlich hat das gar nichts mit Corona zu tun, sondern mein Sohn Gideon bekommt beim Kinderarzt eine der üblichen Säuglingsimpfungen.
Sodann werde ich in dieser Woche reichlich damit zu tun haben, die Oktober-Ausgabe der "Lebendigen Steine" fertigzustellen -- durch den Urlaub bin ich damit ziemlich in Verzug geraten. Am Freitag ist der Gedenktag der Hl. Thérèse von Lisieux und zugleich Herz-Jesu-Freitag; zu diesem Anlass haben wir in Herz Jesu Tegel um 17 Uhr eine Andacht zu leiten, und die will natürlich auch noch vorbereitet sein. Aber in so etwas habe ich ja inzwischen schon Übung. Ob darüber hinaus noch etwas Besonderes ins Haus steht, wird sich wohl erst im Laufe der Woche herausstellen. Ach ja, Sonntag ist in der Kirche Erntedank. Hat das auf mich und meine Familie irgendwelche Auswirkungen? Ich werd mal meine Frau fragen.
Linktipps:
Die zweite Synodalversammlung des Katholischen Reformprozesses Synodaler Weg (KRSW) steht vor der Tür, und die Opposition gegen die von der Funktionärsklasse betriebene Umgestaltung der Kirche im postchristlich-liberalen Sinne bringt ihre Geschütze in Stellung. Vor zwei Wochen habe ich hier die vom Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer initiierte Plattform "Synodale Beiträge" vorgestellt, und nun bin ich auf eine weitere neue Webpräsenz aufmerksam geworden, die sich die Opposition gegen den KRSW auf die Fahnen geschrieben hat: "neuer anfang" heißt die Seite und wird verantwortet von einer Initiative, die sich "Arbeitskreis Christliche Anthropologie" nennt. Wie bei den "Synodalen Beiträgen" gilt auch hier, dass es empfehlenswert sein dürfte, die Website insgesamt im Auge zu behalten, aber vorläufig habe ich mal einen Beitrag herausgegriffen, der mich spontan besonders angesprochen hat: Es handelt sich um eine scharfsichtige Analyse der Mechanismen, mit denen die im "ZdK" organisierte postchristlich-liberale Laien-Funktionärsklasse der deutschen Amtskirche die Diskurshoheit und -kontrolle im sogenannten Reformprozess an sich gerissen hat und behauptet. Der Autor Dominik A. Thomas ist mir sonst kein Begriff, aber eins muss ich sagen: In einer Zeit, in der praktisch jeder Widerspruch gegen die links-postliberale "successor ideology" als "rechts" zu etikettieren und damit zu delegitimieren, gehört schon einiges an Chuzpe dazu, in einer Kritik des KRSW intellektuelle Vordenker der Neuen Rechten wie Donoso Cortés und Carl Schmitt zu zitieren. Inhaltlich wäre das für mein Empfinden nicht unbedingt nötig gewesen, denn auch ohne die betreffenden Passagen hätte der Text noch Pfeffer genug. Es sei, so urteilt Thomas, "offensichtlich", dass beim Synodalen Weg "ein vorher feststehendes liberales Reformprogramm in der Gestalt eines bekannten Forderungskataloges abgearbeitet werden" solle – "mit dem Missbrauchsskandal als lediglich äußerem Anlass." Genau dieser Umstand verhindere aber eine echte Reform der Kirche, denn eine solche würde erfordern, dass "die verschiedenen kirchlichen Gruppen wirklich und wahrhaftig gemeinsam nach dem Willen Gottes für seine Kirche heute suchen".
"Entweder ist diese ganze Aktion am Ende völlig bedeutungslos. Dann werden Texte produziert und verabschiedet, die von Rom gleich wieder kassiert werden und in der Versenkung verschwinden."
Der namhafte Kirchenjournalist Edward Pentin ist in meinem Blog schon ein paarmal zu Wort gekommen -- erstmals 2014, als er Kardinal Kasper am Rande der Familiensynode die Aussage entlockte, die afrikanischen Bischöfe sollten "uns" nicht "sagen, was wir tun sollen". Der Fall schlug seinerzeit ziemliche Wellen, und Pentin ist seitdem für viele Vertreter des kirchenpolitisch "liberalen" oder "progressiven" Milieus (um mal nicht "Lager" zu sagen) ein rotes Tuch. Nun hat er meinen Freund Rod Dreher interviewt -- zu seinem aktuellen Buch "Live Not By Lies", zu totalitären Tendenzen in der gegenwärtigen westlichen Welt und zu einer Reihe damit zusammenhängender Einzelfragen, von politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie über "Cancel Culture", LGBT-Gesetzgebung und Schulpolitik, Ungarn und China bis hin zu den Evakuierungen aus Afghanistan. Eine gekürzte Version dieses Interviews ist im National Catholic Register erschienen, ungekürzt hat Pentin es auf seinem Blog veröffentlicht; ich habe mir nicht die Mühe gemacht, die beiden Fassungen miteinander zu vergleichen, nachdem ein befreundeter "Netzkatholik" mir den Link zum ungekürzten Interview zugeschickt hat. Es ist nicht nur zu umfangreich, sondern vor allem auch zu aspektenreich und vielschichtig, als dass ich hier eine halbwegs erschöpfende Inhaltsangabe anbieten könnte, daher versuche ich es gar nicht erst; auf ein paar Einzelaspekte, die ich besonders bemerkenswert finde, möchte ich dennoch ein bisschen näher eingehen.
So betont Rod, ein Aspekt des "sanften Totalitarismus", den viele Menschen nicht verstehen (und ihn deshalb nicht als Totalitarismus erkennen) sei es, dass er nicht in erster Linie von der Staatsgewalt ausgehe. Zwar stimmt er Edward Pentin in der Einschätzung zu, dass die durch die Pandemiebekämpfung bedingte Gewöhnung der Bevölkerung an umfassende Eingriffe des Staates in ihre Privatsphäre und Freiheitsrechte die Gefahr eines "harten" Totalitarismus erhöht habe, betont aber zugleich, die eigentliche treibende Kraft hinter den totalitären Ambitionen der postliberalen "successor ideology" seien nicht die Regierungen. Vielmehr habe diese Ideologie sich zunächst zivilgesellschaftlicher Institutionen - der Medien, des Bildungswesens und Wissenschaftsbetriebs und nicht zuletzt auch großer und einflussreicher Wirtschaftsunternehmen - bemächtigt und übe von dort aus Druck auf die Politik aus.
Ein Detail des Interviews, das mich persönlich sehr angesprochen hat, betrifft Rods Begegnung mit Kamila Bendová, der Witwe des tschechischen Dissidenten Václav Benda. Im Kreis der Dissidenten um den späteren Präsidenten Václav Havel waren sie und ihr Mann die einzigen gläubigen Katholiken; die anderen waren säkulare Intellektuelle und Künstler -- "Hippies", wie Rod sagt, von denen nicht wenige ein "kompliziertes Sexleben" führten. Auf die Frage, ob es für sie als strenggläubige Katholiken nicht schwierig gewesen sei, mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten, antwortete Kamila Bendová mit einem klaren Nein:
"Wenn du mit einer totalitären Situation konfrontiert bist, ist die seltenste Eigenschaft, die du bei Leuten antriffst, Mut. Wenn du jemanden findest, der mutig ist, dann musst du dich mit dieser Person verbünden, egal wie unterschiedlich eure Anschauungen sind -- denn du brauchst sie, und sie braucht dich."
Die besagten "Hippies", so Kamila Bendová, hätten sich für sie und ihren Mann, obwohl sie keine ihrer religiösen und moralischen Überzeugungen teilten, als treuere und verlässlichere Verbündete erwiesen als die meisten ihrer Mitkatholiken.
Den Rest des Interviews überlasse ich dir zur eigenen Begutachtung, Leser. Aber nimm dir Zeit dafür und koch' dir am besten eine schöne Kanne Tee.
Johannes Hartl hat ein neues Buch draußen: "Eden Culture - Ökologie des Herzens für ein neues Morgen". Ich habe es noch nicht gelesen, aber glücklicherweise gibt es ja schweinfarz.net, das führende Organ (höhö) des katholisch-theologischen Online-Feuilletons. Für dieses Portal hat Hans-Joachim Ditz, Pastoralreferent, Ökumenebeauftragter im Erzbistum Berlin und Geschäftsführer Ökumenischer Rat Berlin-Brandenburg (ÖRBB), das Buch rezensiert; ob er es auch gelesen hat, muss offen bleiben -- falls ja, hat er es offenbar nicht besonders interessant gefunden, denn aus seiner Rezension erfährt man bemerkenswert wenig über den Inhalt des Buches. Deutlich ausführlicher lässt Ditz sich über den Autor aus. Klingen die ersten Absätze noch bemüht respektvoll - Hartl habe "mit dem Gebetshaus Augsburg [...] bewiesen, dass es doch eine Nachfrage nach Frömmigkeit gibt"; er sei "Macher und Unternehmer. Und Arbeitgeber für eine ganz Reihe von Menschen, und das alles ohne amtskirchliche Unterstützung. Das verdient Respekt" -, holt der Rezensent alsbald mit der gekonnten Überleitung "Doch die größte Stärke eines Menschen ist mitunter seine größte Falle" dazu aus, die altbekannten Gemeinplätze aus der Rubrik "Johannes Hartl im Urteil seiner Feinde" zu wiederholen: Er sei ein selbstverliebter Hedonist, dem es an sozialem Bewusstsein mangele; er präsentiere reaktionäre Inhalte in modisch-bunter Verpackung; und der Stil seiner Verkündigung rieche nach evangelikaler Megachurch. In Teilen dieser Wahrnehmung sind sich der postchristlich-liberale Mainstream und in einem eher traditionellen Sinne konservative Katholiken durchaus einig, und ich würde auch nicht unbedingt bestreiten, dass da teilweise etwas Wahres dran ist (dass Hartl, wie Ditz meint, ein "Verkünder eines Wohlstandsevangeliums" sei, in dessen "schöner neuer Welt" "Scheitern [...] nicht vorgesehen" sei, ist allerdings Quatsch). -- Dass ich grundsätzlich und im Großen und Ganzen finde, Johannes Hartl sei ein guter Typ, der sehr wertvolle Arbeit leistet, dürfte bekannt sein; dass ich deswegen nicht unbedingt alles, was er sagt und tut, unkritisch betrachte, allerdings auch. Wenn Ditz also schreibt, Hartls neues Buch sei "ein Parforceritt durch Philosophie, Soziologie, Psychologie und selbst Mathematik [...]: alles wird angerissen und nichts vertieft. Ein Kaleidoskop des Wissens von Johannes Hartl", dann kann ich mir anhand meiner Lektüre eines früheren Hartl-Buches, "Gott ungezähmt" von 2016, recht gut ausmalen, was der Rezensent damit meint und warum er das kritikwürdig findet. Gleiches gilt für die "Erzählungen von netten Abendessen mit Champagner", mit denen Hartl seine Leser "an seinem gut situierten Leben teilhaben" lässt. Auch zu Hartls von Ditz naserümpfend zitiertem Satz "Industrialisierung und freie Marktwirtschaft haben Fortschritt und Wohlstand geschaffen, wie kein anderes uns bekanntes ökonomisches Modell" würden mir durchaus kritische Anmerkungen oder Anfragen einfallen; das Problem ist, dass der Rezensent Ditz an einer inhaltlichen Auseinandersetzung offenkundig nicht interessiert ist. Er will das Buch, und vor allem den Autor, einfach nur schlechtreden. Diesem Ziel ist es indes nicht unbedingt dienlich, dass seine Rezension schlampig und lustlos zusammengeschmiert wirkt. Und, mal nur nebenbei bemerkt: Wenn ein katholischer Theologe am Buch eines anderen katholischen Theologen bemängelt, dass darin "das Thema Sexualität nur heteronormativ verhandelt wird", braucht man sich wohl über gar nichts mehr zu wundern.
Letztendlich sagt diese Buchkritik erheblich mehr über ihren Verfasser als über das besprochene Buch aus; und, by extension, eben auch über Niveau und Tendenz des "theologischen Feuilletons", was auch der entscheidende Faktor war, dank dem sich dieser Artikel für meine Linktipps qualifiziert hat. Ansonsten ist zu sagen: Eine gute Rezension kann einem ja manchmal ersparen, das Buch selber lesen zu müssen. Diese Rezension ist hingegen so schlecht, dass ich das Buch unbedingt selber werde lesen müssen. Aber das hatte ich ja eigentlich sowieso vor.
Tod Worner, Vater zweier Töchter, reflektiert über die Erfahrung des Elternseins und wie tiefgreifend sie das Leben verändert, ja verwandelt; das ist ein Thema, mit dem ich aus persönlicher Erfahrung eine Menge anfangen kann, auch wenn Worners Töchter schon groß sind und er folglich - weil jedes Alter der Kinder seine eigenen Herausforderungen für die Eltern birgt - schon so allerlei bewältigt hat, was ich noch vor mir habe. Das von Worner beschriebene Gefühl, wenn man einem neugeborenen Kind zum ersten Mal einen Strampelanzug anzieht und dabei fürchtet, wenn man nicht ganz, ganz vorsichtig wäre, würde man dem Kind einen Arm oder ein Bein abbrechen, kenne ich allerdings sehr gut.
Der für mein Empfinden zentrale Absatz des Essays lautet:
"Woran mag es liegen, dass sich, wenn man ein Kind hat, alles dadurch verändert? Nichts, was ich zu dieser Frage sagen könnte, könnte ihr gerecht werden. Es ist einfach so. Man lebt anders, weil man aufgehört hat, vorrangig für sich selbst und den Partner zu leben. Dass dir ein winziges, verletzliches, einzigartiges Wunder anvertraut wird, dass du lieben, für es sorgen, es formen und für es da sein sollst, was immer auch kommen mag, bis ans Ende deiner Tage -- das verändert einfach alles. Und wie sollte es auch nicht."
Ohrwurm der Woche: Udo Lindenberg, "Hoch im Norden" (Live-Version 1974)
Du kannst von Glück sagen, Leser, dass dies der Ohrwurm der Woche geworden ist; im Rennen war nämlich auch Ulla Norden mit "Urlaub", einem Schlager auf die Melodie des Disco-Smash-Hits "Hands Up" aus dem Jahre 1981. "Hands Up" ist übrigens nicht, wie ich vermutet hätte, von Boney M., sondern von Ottawan, die man vielleicht als das französische Pendant zu Boney M. bezeichnen könnte. Mit diesem Irrtum stehe ich offenkundig nicht allein, denn wenn man bei Google oder YouTube "Boney M. Hands Up" eingibt, gibt es durchaus einige Fundstellen. Die sind aber falsch: Wie die Wikipedia-"Liste der Lieder von Boney M." verrät, gehörte "Hands Up" nicht zum Repertoire dieser Gruppe.
Wie dem auch sei: Die Version von Ulla Norden kenne ich seit meiner Kindheit und finde sie lustig; sie dudelt mir praktisch jedesmal im Kopf herum, wenn ich in Urlaub fahre, diesmal aber besonders. In Butjadingen angekommen, kam ich dann jedoch auf die segensreiche Idee, mir Udo Lindenbergs "Hoch im Norden" auf YouTube anzuschauen -- und meiner Tochter gefiel das Lied so gut, dass sie es wieder und wieder hören wollte. "Das Lied mit dem Typ" nannte sie es; ich glaube, der liebe Udo würde diese Bezeichnung gutheißen. Meine Liebste merkt an, das Lied passe biographisch sehr gut zu mir, und da will ich ihr nicht widersprechen. Mal abgesehen von Details wie etwa, dass ich nicht mit 16, sondern erst mit 20 aus meiner norddeutschen Heimat weggezogen bin und dass es mich dann gar nicht so weit nach Süden, sondern eher nach Osten verschlagen hat. --
Aus der Lesehore:
Wenn dann die Verfolgung ausbrechen wird gegen jeden Auserwählten und Glaubenstreuen, wenn die Schreckensherrschaft furchtbar und unerträglich wird, wird dann die Kirche eine Zeitlang aufhören? Wird sie sterben? Ist das ihr Heimgehen in ein besseres Leben?Das Sterben ist für die Kirche, die noch auf Erden lebt, der Weg zu höherem Leben in Christus, zur Wandlung in Besseres, in Himmlisches. Paulus sagt: "Darum tötet, was irdisch an euch ist" (Kol 3,5). Das ist der Tod, den die Schar der Glaubenden, d. h. die Kirche, in Christus erleidet. Aber dieser Tod führt uns in ein anderes Leben, so wahr unser Leben gewandelt wird: aus Vergänglichkeit in Unvergänglichkeit, vom Tod zum Leben, von Schwachheit zur Kraft, von Schmach zur Herrlichkeit, aus der Enge dieser Zeit ins ewige Leben.
(Hl. Cyrill von Alexandrien, Auslegung zum Buch Genesis)