Morgen ist Erntedank, und vierzehn Tage später ist der Gedenktag der Hl. Hedwig, einer der Berliner Bistumsheiligen und Patronin der Berliner Kathedrale. Hedwig von Andechs wurde schon knapp 24 Jahre nach ihrem Tod heiliggesprochen, und das ist heuer 750 Jahre her; ein Grund für das Erzbistum Berlin, ihren Gedenktag in diesem Jahr besonders zu feiern, und wenn man das aus saisonalen Gründen irgendwie auch noch mit dem Erntedankfest verknüpft kriegt, tant mieux.
Soviel zu den Hintergründen der Aktion "Teilen macht glücklich", die das Erzbistum Berlin vor rund zwei Wochen per Pressemitteilung ankündigte und die morgen startet. "Eine Kampagne gemeinsam mit der Bäcker-Innung von Erntedank bis Hl. Hedwig", lautete die Titel-Unterzeile des Pressetexts, und schon an dieser Stelle schweifte ich gedanklich ein bisschen ab. Man mag es naiv-optimistisch von mir finden oder als déformation professionelle belächeln, aber angesichts einer Kooperation zwischen dem Erzbistum und der Bäckerinnung, noch dazu einer, die unter dem Motto "Teilen macht glücklich" steht, dachte ich spontan an so etwas wie Foodsharing bzw. Foodsaving. Meine praktischen Erfahrungen in diesem Bereich sind zwar insofern noch vergleichsweise überschaubar, als ich bislang erst an drei Foodsaving-Aktionen eigenhändig beteiligt war, aber in zweien dieser drei Fälle handelte es sich bei den "geretteten" Lebensmitteln um die Überreste der Tagesproduktion einer Bäckerei, und was ich da abgriff, war fast mehr als ich tragen konnte. Aufgrund dieser Erfahrung glaube ich ermessen zu können, dass es in Berlin gerade im Bäckereigewerbe eine enorme Überproduktion gibt - und dass folglich Tag für Tag beträchtliche Mengen an Backwaren, wenn sich nicht Initiativen wie eben Foodsharing um die Abholung und Weiterverteilung kümmern, aller Wahrscheinlichkeit nach im Müll landen. Das, so finde ich, wäre doch ein dankbares Betätigungsfeld für engagierte Christen. Zumal es ja auch allerlei kirchliche Einrichtungen gibt, die z.B. Suppenküchen für Obdachlose und andere Bedürftige betreiben. Die hätten sicherlich Verwendung für Brote und Brötchen, die nicht mehr frisch genug für den Verkauf, aber ansonsten noch total okay sind.
Kurz, ich malte mir aus, eine gemeinsame Aktion von Erzbistum und Bäckerinnung hätte irgendwas damit zu tun, die Backwaren-Überproduktion für wohltätige Zwecke zu nutzen. Aber ach, die Realität ist viel banaler.
"In mehr als 50 Bäckerei-Filialen in Berlin werden vom Erntedankfest bis zum Namenstag der Patronin der Berliner Bischofskirche 'Hedwigs-Brötchen' verkauft",
verrät die Pressemitteilung. Ach je. Also nur schnödes Merchandising. Oder?
"Die süßen doppelten Brötchen sind nach der Heiligen benannt, die sich um die Armen und Kranken und bei Hungersnöten um eine gerechte Verteilung von Lebensmitteln kümmerte. Sie hat aus der Geste des Teilens eine Lebensphilosophie gemacht."
Gerechte Verteilung von Lebensmitteln ist ja, siehe oben, eigentlich ein interessantes Stichwort. Der Satz mit der Lebensphilosophie ist hingegen schlicht Bullshit, vermittelt aber einen Eindruck davon, wie man auf die abgefahrene Idee kommen kann, die Heilige durch ein nach ihr benanntes Brötchen zu ehren statt dadurch, ihrem Vorbild nachzueifern.
"Aufsteller und Brötchentüten werben in den Bäckerei-Filialen für die Aktion: 'Teilt es, damit es Euch noch besser schmeckt!'"
Och, Leute.
Im exakt selben Zeitraum läuft übrigens eine fast identische Aktion in Niedersachsen. Die heißt "Backen für Gerechtigkeit", und auch dort sind "über 50 Innungsbäcker" beteiligt, die jedoch keine "Hedwigsbrötchen" backen, sondern "Reformationsbrötchen". Am Aufback... äh: -takt der Aktion nahm neben Landesinnungsmeister Dieter Baalk, dem evangelischen Landesbischof Ralf Meister, dem katholischen Domkapitular Propst Martin Tenge vom Bistum Hildesheim und Hannovers Bürgermeister Thomas Hermann auch "die frühere First Lady und jetzige Reformationsbotschafterin Bettina Wulff" teil. Momentchen, mag man sich jetzt fragen wieso backt ein katholischer Domkapitular Reformationsbrötchen? -- Weil, man höre und staune, die Aktion ökumenisch ist. Je verkauftem Brötchen werden 20 Cent an Brot für die Welt und das bischöfliche Hilfswerk Misereor gespendet.
Was nun auch wiederum eine Frage aufwirft, nämlich, welchem guten Zweck eigentlich die Berliner "Hedwigsbrötchen"-Aktion zugute kommt.
*... Grillenzirpen im Hintergrund...*
Wie jetzt -- überhaupt keinem?
Nee, anscheinend nicht, denn sonst würde das ja wohl an hinreichend auffälliger Stelle in der Pressemitteilung stehen. Die Frage, die dieser Umstand nun wiederum aufwirft, lautet: "UND WAS SOLL DER GANZE QUATSCH DANN?" Und es drängt sich leider der Verdacht auf, dass genau diese Frage im Planungsprozess der Aktion von niemandem gestellt wurde.
Das Prinzip "Merchandising für einen guten Zweck", wie es in Niedersachsen mit den "Reformationsbrötchen" betrieben wird, finde ich nicht unbedingt besonders innovativ, aber immerhin noch überzeugender als "Merchandising OHNE guten Zweck". Das sollte die Kirche doch bitte Adidas oder Apple oder sonstwem überlassen. Die können das auch besser.
Wenn das Erzbistum Berlin nun aber zu Marketingzwecken partout dazu beitragen muss, die Überproduktion von Backwaren noch weiter zu verstärken, bleibt zu hoffen, dass die daran beteiligten 50 Bäckereifilialen wenigstens mit dem Foodsharing-Netzwerk kooperieren. Damit die Brötchen, wenn sie nicht verkauft werden, wenigstens nicht im Müll landen.
Hier geht's übrigens zu einem Spendenaufruf von foodsharing e.V. -- falls Ihr zum Erntedankfest etwas wirklich Sinnvolles mit Eurem Geld anfangen wollt...