"Man kann nicht in die Vergangenheit zurückreisen, aber man kann nach Norcia gehen." Mit diesem Satz beginnt das 3. Kapitel von Rod Drehers Buch
The Benedict Option, überschrieben
"Eine Regel zum Leben". Den erzählerischen Rahmen für das Kapitel bilden reale Reiseeindrücke des Autors:
"An einem warmen Februarmorgen reiste ich zum Kloster des Hl. Benedikt, der Heimat von fünfzehn Mönchen und ihrem Prior, Pater Cassian Folsom. Pater Cassian, ein 61jähriger Amerikaner, hatte das Kloster im Dezember 2000 mit einer Handvoll Benediktiner-Brüder wiedereröffnet, fast zwei Jahrhunderte nachdem der Staat die aus dem 10. Jahrhundert stammende Gebetsfestung geschlossen und ihre Mönche vertrieben hatte. [...] Die meisten der Männer, die das Kloster neubegründet haben, sind junge Amerikaner, die sich entschieden haben, als Benediktinermönche ihr Leben ganz und gar Gott hinzugeben - und nicht einfach als Mönche, sondern als Benediktiner, die entschlossen danach streben, die ganze Fülle ihrer Ordenstradition auszuleben."
Die Abtei in Norcia, von der Dreher hier spricht, ist, wie wir wissen,
inzwischen durch ein Erdbeben zerstört worden; darauf geht er im Nachwort des Buches ein. Im vorliegenden Kapitel hingegen schildert er das Leben in der am Geburtsort des Hl. Benedikt errichteten Abtei
vor der Zerstörung - und gibt wieder, wie ihm in Gesprächen mit den dortigen Mönchen die Grund- und Leitgedanken der Ordensregel des Hl. Benedikt, die er durchweg nur
The Rule, "DIE REGEL", nennt, nahegebracht wurden.
"Die Benediktsregel ist eine detaillierte Zusammenstellung von Anweisungen zur Organisation und Leitung einer monastischen Gemeinschaft, in der Mönche (und, in separaten Klöstern, Nonnen) in Armut und Keuschheit zusammen leben. Dies gilt für alle monastischen Gemeinschaften, aber die Benediktsregel fügt noch drei besondere Gelübde hinzu: Gehorsam, Beständigkeit (stabilitas - die feste Zugehörigkeit zur selben Gemeinschaft von Mönchen bis zum Tod) und Bekehrung des Lebens, was soviel bedeutet wie die Hingabe an das lebenslange Werk vertiefter Buße. Die Ordensregel enthält auch Anweisungen zur Unterteilung des Tagesablaufs in Zeiten des Gebets, der Arbeit und der Lektüre der Heiligen Schrift und anderer geistlicher Texte. Der Heilige lehrte seine Anhänger, abgesondert von der Welt zu leben, aber auch Pilger und Fremde zu bewirten, die das Kloster besuchen.
Weit davon entfernt, eine Lebensweise für die Starken und Disziplinierten zu sein, ist Benedikts Regel für die Einfachen und Schwachen gedacht, um ihnen zu helfen, im Glauben zu wachsen und stärker zu werden. [...] Benedikt hatte ein bemerkenswertes Verständnis und Mitgefühl für menschliche Schwäche; daher betont er in der Vorrede zu seiner Ordensregel, er hoffe 'nichts Hartes und Belastendes' einzufordern, sondern lediglich streng genug zu sein, um die Herzen der Brüder dazu zu kräftigen, 'den Weg der Gebote Gottes mit unaussprechlicher Süßigkeit und Liebe zu verfolgen'."
Man könnte somit sagen, das zentrale Thema des dritten Kapitels ist es, Antwort auf die Frage zu geben: Was ist benediktinisch an der Benedict Option? Dabei stellt der Autor von vornherein klar, dass es nicht darum gehen kann, Regeln für eine klösterliche Lebensweise Punkt für Punkt und wortwörtlich auf das alltägliche Leben christlicher Laien anzuwenden - wohl aber darum, aus den Kerngedanken dieser Regel Impulse zu beziehen:
"Selbstverständlich ist die Ordensregel für das klösterliche Leben konzipiert, aber ihre Lehren sind einfach genug, dass Laienchristen sie für ihren eigenen Gebrauch adaptieren können. Die Ordensregel bietet Richtlinien für ein ernsthaftes und nachhaltiges christliches Leben, in einer Weise, die uns innerlich neu ordnet, das, was in unseren Herzen zerstreut ist, zusammenfügt und auf das Gebet hin ausrichtet. Wenn man sie auf effektive Weise anwendet, diszipliniert die Regel das Leben, das wir mit Anderen teilen, baut Barrieren ab, die die Liebe Gottes davon abhalten, unter uns zu wirken, und macht uns widerstandsfähiger, ohne unsere Herzen zu verhärten."
Wichtig ist dabei auch die Klarstellung:
"Mit der Benedict Option versuchen wir nicht, siebenhundert Jahre Geschichte ungeschehen zu machen, als ob das möglich wäre. Wir versuchen auch nicht, die Welt zu retten. Wir versuchen lediglich, eine christliche Lebensweise aufzubauen, die als Insel der Heiligkeit und Beständigkeit inmitten des Hochwassers der liquiden Moderne steht. Wir streben nicht danach, den Himmel auf Erden zu erschaffen; wir suchen lediglich nach einem Weg, stark im Glauben zu sein in einer Zeit großer Prüfungen. Die Ordensregel mit ihrer Vision eines geordneten, auf Christus als Zentrum ausgerichteten Lebens und die Praktiken, die sie zur Vertiefung unserer Bekehrung empfiehlt, können uns dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen."
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Die Benediktiner von Norcia; Bildquelle hier. |
Die Gliederung des mit 30 Seiten sehr umfangreichen Kapitels ist zum größten Teil von der Erläuterung von acht Grundprinzipien der Benediktsregel geprägt:
Ordnung - Gebet - Arbeit - Askese - Beständigkeit - Gemeinschaft - Gastfreundschaft - Ausgewogenheit. Es liegt auf der Hand, dass und warum
"Ordnung" an erster Stelle steht: Man könnte sagen, das Bestreben, sein Leben einer bestimmten Ordnung zu unterwerfen, ist die notwendige Grundvoraussetzung dazu,
überhaupt so etwas wie eine
Regel zu etablieren.
"Wenn Unordnung ein bestimmendes Charakteristikum der modernen Welt ist, dann besteht der fundamentalste Akt des Widerstands darin, Ordnung zu schaffen."
Nun will und kann ich nicht leugnen, dass dieses
Primat der Ordnung für mich persönlich erst einmal eine erhebliche
Herausforderung darstellt. Einfacher ausgedrückt: Ordnung
liegt mir nicht. Noch nie. Meine Mutter und meine Lehrer können ein Lied davon singen. Meiner Frau gegenüber ist das kein so großes Problem, denn die hat, sofern das überhaupt möglich ist, noch
weniger Sinn für Ordnung als ich. Aber Spaß beiseite: Ich bin geneigt, das, was Rod Dreher unter Verweis auf die Benediktsregel über die zentrale Bedeutung von Ordnung für das geistliche Leben sagt, umso ernster zu nehmen,
weil mir Ordnung
nicht liegt. Ermutigend fand ich in diesem Zusammenhang
eine Biographie über den Seligen Karl Leisner, die ich kürzlich gelesen habe und die umfangreiche Auszüge aus Leisners Tagebüchern und Briefen enthält. Besonders an den Tagebucheintragungen Leisners aus seiner Gymnasiastenzeit fällt auf, wie oft und eindringlich er sich selbst zur Ordnung ermahnt. Wäre ihm das Einhalten dieser Ordnung
leicht gefallen, wären diese permanenten Selbstermahnungen wohl nicht
nötig gewesen. - Aber zurück zur
Benedict Option:
"Das Leben eines jeden Mönchs und all seine Arbeiten müssen auf den Dienst Gottes ausgerichtet sein. Die Ordensregel lehrt, dass Gott am Anfang und am Ende aller unserer Tätigkeiten stehen muss. Unsere geistlichen Leidenschaften durch den Rhythmus des täglichen Lebens und seine Disziplinen zu fesseln, und dies gemeinsam mit Anderen in unserer Familie und unserer Gemeinschaft zu tun, heißt, ein starkes Fundament des Glaubens aufzubauen, auf dessen Grundlage man ganz Mensch und ganz Christ werden kann."
Theoretisch überzeugt mich das schon mal. Was die praktische Umsetzung angeht... schauen wir mal.
"Es ist schwer, sich Regeln zu unterwerfen, die man nicht versteht; aber es ist ein gutes Gegenmittel gegen die fleischliche Begierde nach persönlicher Unabhängigkeit. Es mag an und für sich nicht spirituell verdienstvoll sein, sich dafür zu entscheiden, bei einer Mahlzeit nur zwei statt drei Gänge zu essen; aber die Demut, die man dadurch erreicht, dass man sich freiwillig den Entscheidungen eines Anderen unterwirft, hat transformierende Kraft.
Die klösterliche Ordnung bewirkt nicht nur Demut, sondern auch spirituelle Widerstandsfähigkeit. In gewissem Sinne sind die Benediktiner von Norcia eine Art Marine Corps des religiösen Lebens, das permanent für den geistlichen Kampf trainiert."
Der hier - und auf den folgenden Seiten noch öfter - anklingende Gedanke, die Mönche als eine
geistliche Elitetruppe aufzufassen, hat durchaus etwas Tröstliches:
Es kann und muss ja nicht Jeder zur Elite gehören. Salopp ausgedrückt: Ganz so krass drauf sein wie die Mönche muss man demnach wohl nicht unbedingt. Aber, wie schon gesagt,
Impulse kann man aus ihrer Lebensweise allemal beziehen - und
sollte es auch.
"Anders ausgedrückt: Dabei, das eigene Tun zu ordnen, geht es letztlich darum, das eigene Herz darin einzuüben, das Richtige, das Wahre zu lieben und zu begehren. Es geht darum, sich Tugend als Gewohnheit anzueignen."
Dies also zum Thema Ordnung; weiter geht es mit dem Thema Gebet:
"Der Apostel Paulus wies die Kirche in Thessalonike an: 'Betet ohne Unterlass!' (1. Thessalonicher 5,17). Benediktiner betrachten ihr gesamtes Leben als einen Versuch, dieses Gebot zu erfüllen. Im engeren Sinne ist Gebet - ob privat oder in Gemeinschaft - Kommunikation mit Gott. In einem weiteren Sinne bedeutet Gebet, ein ununterbrochenes Bewusstsein der Gegenwart Gottes zu bewahren und bei allem, was man tut, Ihn im Sinn zu haben. Im Leben der Benediktiner steht regelmäßiges Gebet im Zentrum der Existenz der Gemeinschaft."
Beten, betont Dreher, ist sogar noch wichtiger als arbeiten:
"Man erinnere sich an die Evangeliums-Erzählung über die Schwestern Maria und Marta. Als Jesus sie besuchte, fuhrwerkte Marta in der Küche herum, während Maria zu Jesu Füßen saß und Ihm zuhörte. Als Marta sich beklagte, dass Maria ihr nicht half, erwiderte der Herr, Maria habe 'das bessere Teil erwählt'.
Warum? Weil [...] es zwar wichtig ist, Dinge für den Herrn zu tun, aber noch wichtiger ist es, Ihn mit dem Herzen und dem Verstand kennenzulernen. Und darum hat Kontemplation Priorität."
Zur Gebetspraxis der Benediktiner führt der Autor aus:
"Benediktinermönche verbringen eine Menge Zeit mit Gott. Siebenmal am Tag versammeln sie sich um den Altar der Basilika, um die vorgeschriebenen Gebete des Offiziums, auch bekannt als Stundengebet, zu singen. Dabei handelt es sich um spezifische Gebete, die katholische Mönche (und Andere) seit Jahrhunderten zu festgesetzten Stunden des Tages rezitieren. Sie bestehen aus Psalmen, Hymnen, Schriftlesungen und Orationen. [...]
'Wir singen beim Gebet, wir stehen, sitzen, verneigen uns, knien, werfen uns zu Boden', sagt Pater Cassian. 'Der Körper ist am Gebet sehr stark beteiligt. Es ist nicht bloß eine Art intellektueller Meditation. Das ist wichtig.'"
Hier wie auch an einigen anderen Stellen des Kapitels gleicht Rod Dreher die Lehren und Praktiken der Benediktiner mit seinen persönlichen Erfahrungen ab:
"Wenn man im Gebet Fortschritte macht - sagt Pater Basil -, dann versteht man allmählich, dass es im Gebet nicht so sehr darum geht, Gott um etwas zu bitten, sondern vielmehr darum, einfach in Seiner Gegenwart zu sein.
Ich erzählte dem Priester, wie mein eigener orthodoxer Priester zu Hause in Louisiana mir - als Reaktion auf eine persönliche Krise - eine strikte Gebetsroutine verordnet hatte: das Jesusgebet ('Herr Jesus, Sohn Gottes, hab Erbarmen mit mir, einem Sünder') jeden Tag für ungefähr eine Stunde zu beten. Anfangs war es öde und schwer durchzuhalten, aber ich tat es aus Gehorsam.
Jeden Tag, eine scheinbar endlose Stunde lang, stilles Gebet. Nach und nach jedoch kam mir diese Stunde immer kürzer vor, und ich entdeckte, dass der Seelenfriede, an dem es mir so auffallend gemangelt hatte, hervortrat.
Nachdem ich geistlich geheilt war, erklärte mir mein Priester seine Beweggründe dafür, mir dieses simple meditative Gebet aufzutragen: 'Ich musste dich aus deinem Kopf herausbekommen.'"
Leuchtet mir intuitiv irgendwie ein. - Zur herausragenden Wichtigkeit des Betens für das christliche Leben heißt es weiter:
"Wenn wir unsere ganze Zeit mit Aktivität verbringen - selbst wenn diese Aktivität im Dienst Christi steht - und dabei Gebet und Kontemplation vernachlässigen, gefährden wir unseren Glauben. Der 60er-Jahre-Medientheoretiker Marshall McLuhan, ein praktizierender Christ, sagte einmal, bei jedem, den er kannte, der vom Glauben abgefallen sei, habe dieser Glaubensverlust damit begonnen, dass die betreffende Person aufhörte zu beten. Wenn wir ein in rechter Weise geordnetes christliches Leben führen wollen, muss Gebet die Basis von allem sein, was wir tun."
An dieser Stelle ein emphatischer Einwurf:
Marshall McLuhan! <3 Eins der ersten Bücher, die ich im Rahmen meines Studiums des Faches "Theaterwissenschaft/kulturelle Kommunikation" lesen "musste", und auch eins der eindrucksvollsten, war McLuhans
Gutenberg-Galaxis. Dass der große Medientheoretiker als junger Mann unter dem Einfluss Chestertons zum Katholizismus konvertiert war und zeitlebens tief gläubig blieb, wusste ich damals nicht, obwohl es mir im Rückblick scheint, ich hätte beim Lesen der
Gutenberg-Galaxis so eine
Ahnung gehabt. Muss mir das Buch wohl bei Gelegenheit noch mal zur Brust nehmen. Ende des Exkurses. Bzw. gleich auf zum nächsten Exkurs:
Gebet als
"Basis von allem, was wir tun" - das erinnert mich ja nun stark an
Johannes Hartl und das Gebetshaus Augsburg.
Als ich Rod Dreher kürzlich in München traf, erzählte ich ihm u.a. auch davon. Anscheinend hatte er noch nie davon gehört, aber das gilt umgekehrt vielleicht genauso. Könnte interessant sein, da mal einen Kontakt herzustellen. -- Aber weiter im Text:
"Wer auch nur irgend etwas über die Benediktiner weiß, wird vermutlich schon einmal gehört haben, dass ihr Motto ora et labora - 'Bete und arbeite' - laute. Streng genommen stimmt das nicht ganz. Der Hl. Benedikt hat das so nie gesagt, und obwohl heutige Benediktiner dieses Motto für sich selbst in Anspruch nehmen, ist es erst seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlich. Dennoch ist es keine schlechte Beschreibung der grundsätzlichen Herangehensweise der Benediktiner an das Leben."
Nach dem Thema Gebet ist nun also das Thema Arbeit an der Reihe.
"Der Heilige erwartete von jedem seiner Klöster, dass es sich selbst versorgen konnte, und er lehrte - was für einen Römer seiner Epoche ungewöhnlich war -, dass körperliche Arbeit eine heiligende Wirkung haben könne."
Hmpf - körperliche Arbeit, schon wieder so etwas, was mir nicht besonders liegt. Im weiteren Verlauf des Kapitels geht es allerdings gar nicht so spezifisch um körperliche Arbeit, sondern eher um Arbeit allgemein:
"Einige von uns definieren sich über ihre Arbeit und widmen sich ihr in übertriebenem Maße, auf Kosten der Kontemplation. Andere hingegen betrachten Arbeit als etwas, das man tut, um seine Rechnungen zu bezahlen, weiter nichts; das heißt, sie betrachten Arbeit als etwas vom sonstigen Leben - besonders vom spirituellen Leben - Getrenntes.
Das ist ein Fehler, sagt die Ordensregel. Die Arbeit muss nicht uns dienen, sondern Gott und Gott allein. In einem Kapitel zur Unterweisung handwerklich tätiger Mönche sagt Benedikt, wenn diese Mönche anfangen, [ungebührlich] stolz auf ihre Arbeit zu sein, muss der Abt ihnen eine andere Aufgabe geben. So wichtig ist christliche Demut."
Das ist zweifellos ein recht "unzeitgemäßer" Gedanke; aber es kommt noch schärfer:
"In der nahen Zukunft werden Christen - besonders in bestimmten Berufsfeldern - von den Umständen dazu gezwungen werden, ihre Einstellung zur Arbeit zu überdenken. In einigen Fällen wird man uns wegen unseres Glaubens zur Tür hinausweisen. In anderen Fällen wird sich uns die Tür von vornherein nicht öffnen - oder wenn doch, werden Männer und Frauen, die auf ihr Gewissen hören, nicht hindurchgehen können. Das wird uns Geld und Ansehen und möglicherweise berufliche Zufriedenheit kosten. Unsere Wahrnehmung von Arbeit im Benediktinischen Sinne, auf eine Weise, die Gott in den Mittelpunkt stellt, neu auszurichten, wird uns helfen, die richtige Entscheidung zu treffen, wenn wir am Arbeitsplatz auf die Probe gestellt werden, und wird uns Kraft geben, wenn wir gezwungen sind, uns einen neuen Beruf zu suchen."
Hier sind wir an einem der Punkte, an denen nicht wenige Kritiker geneigt sein werden, dem Autor vorzuwerfen, seine Prognosen bezüglich der
nahen Zukunft seien allzu düster und alarmistisch. Ausgrenzung und Diskriminierung von Christen am Arbeitsplatz? Wo gibt's denn sowas? -- Doch, doch,
das gibt's schon:
"Der Ausschluss gläubiger Christen von bestimmten Berufen wird schwer zu akzeptieren sein. Tatsächlich ist es für die heutigen Gläubigen schwer, sich das auch nur vorzustellen - zum Teil deshalb, weil wir als Amerikaner nicht daran gewöhnt sind, unseren beruflichen Ambitionen Beschränkungen aufzuerlegen. Doch der Tag ist nicht mehr fern, an dem das, was christlichen Bäckern, Floristen und Hochzeitsfotografen bereits widerfahren ist, sich in erheblich größerem Umfang ereignen wird. Und viele von uns sind nicht darauf vorbereitet, für ihren Glauben Nachteile in Kauf zu nehmen."
Mit dem Stichwort "für den Glauben Nachteile in Kauf zu nehmen" leitet Rod Dreher direkt zum Thema Askese über:
"Deshalb ist Askese - das Aufsichnehmen körperlicher Härten im Interesse eines geistlichen Ziels - ein so wichtiger Bestandteil des gewöhnlichen christlichen Lebens. [...] Askese, abgeleitet vom griechischen Wort askesis, bedeutet soviel wie "Training". Das Leben, das die Ordensregel vorschreibt, ist durch und durch asketisch. Mönche fasten regelmäßig, leben bescheiden, lehnen Bequemlichkeit ab und unterwerfen sich den strengen Regeln des Klosters. [...] Askese ist ein Gegengift gegen die in unserer Kultur weit verbreitete Egozentrik, die uns einredet, die Befriedigung unserer Begierden sei der Schlüssel zum guten Leben. Der Asket weiß, dass wahres Glück nur darin gefunden werden kann, in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes zu leben; und asketische Praktiken trainieren Körper und Seele dazu, Gott über das eigene Selbst zu stellen."
Nach allem bisher Gesagten brauche ich wohl kaum noch extra zu betonen, dass Askese ebenfalls zu den Dingen gehört, in denen ich nicht besonders gut bin. Wobei der Autor klarstellt, dass man sich unter "Askese" nicht zwangsläufig blutige Selbstgeißelung vorstellen muss. In gewissem Sinne ist Askese lediglich das geistliche Pendant zu dem, was man im weltlichen Kontext "Selbstdisziplin" nennt - und das kann man schließlich üben, und sollte man wohl auch.
"Ein Christ, der Askese praktiziert, übt sich darin, Nein zu den eigenen Begierden und Ja zu Gott zu sagen. Diese Einstellung ist in der modernen Zeit im Westen so gut wie verschwunden. Wir sind ein Volk geworden, das die Bequemlichkeit ins Zentrum stellt. Wir erwarten von unserer Religion, bequem zu sein. Leiden zu ertragen ergibt für uns keinen Sinn. Und ohne Fasten und andere asketische Disziplinen verlieren wir die Fähigkeit, zu den Begierden unseres Herzens Nein zu sagen.
Den christlichen Asketismus wiederzuentdecken ist eine dringliche Aufgabe für Gläubige, die ihre Herzen - und die Herzen ihrer Kinder - darin einüben wollen, dem Hedonismus und Konsumismus zu widerstehen, der im Zentrum der zeitgenössischen Kultur steht."
Was ich in diesem Zusammenhang fast noch interessanter finde als meine persönlichen Schwierigkeiten mit dem Thema Askese, ist der Umstand, dass ein Leser in einem Kommentar zu einer früheren Folge meiner Artikelserie zur Benedict Option die Frage aufwarf, wie sich Rod Drehers Thesen denn wohl mit dem von mir schon früher ins Gespräch gebrachten Schlagwort "Punk-Pastoral" vertrügen. Mein spontaner Impuls dazu lautete: Wieso, die Benedict Option IST doch im Grunde Punk-Pastoral! Aber ich sehe ein, dass das nicht unbedingt intuitiv ersichtlich ist. Gerade beim Thema "Askese" nicht. Ich denke aber, gerade hierzu ließe sich eine Menge sagen; seit ich die betreffenden Passagen von Drehers Buch gelesen habe, brütet in meinem Hinterstübchen die Idee zu einem Artikel mit dem Arbeitstitel "Punk und Askese" vor mich hin, aber ich weiß noch nicht, wann der reif sein wird, niedergeschrieben zu werden. Ich könnte jetzt sagen, ich müsste darüber noch nachdenken, aber ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Ich muss vielmehr darauf warten, dass ich mal in der Stimmung bin, den Artikel 'runterzuschreiben, ohne dabei viel nachzudenken. Solche Artikel gelingen mit in der Regel am besten. - Sehr bemerkenswert fand ich auch Drehers Ausführungen darüber, dass Askese nicht zwangsläufig mit "Buße" im Sinne von "Selbstbestrafung" identisch ist:
"Eine übergewichtige Person hält nicht deshalb Diät, weil sie sich dafür bestrafen will, dass sie dick ist, sondern um gesünder zu werden. Ein Athlet betreibt nicht Fitnesstraining, weil er sich schuldig fühlt, wenn er vor dem Fernseher herumsitzt, sondern um seinen Körper auf den Wettkampf vorzubereiten. So ist es auch mit den Mönchen und ihrer Askese - und so muss es auch mit uns Christen sein. Wir praktizieren Selbstverleugnung, um uns in der Liebe und dem Dienst an Christus und Seinem Volk zu stärken."
Als nächstes wendet sich der Autor dem Benediktinischen Grundsatz der stabilitas loci zu:
"Ein Baum, der wieder und wieder entwurzelt und verpflanzt wird, wird es schwer haben, gesunde Früchte hervorzubringen. So ist es auch mit Menschen und ihrem geistlichen Leben. [...] Wenn wir geistlich Wurzeln schlagen wollen - so lehrt Benedikt -, müssen wir lange genug an einem Ort bleiben, um diese Wurzeln in die Tiefe wachsen zu lassen. Die Ordensregel verlangt den Mönchen ab, ein Gelübde der 'Beständigkeit' (stabilitas) abzulegen - was bedeutet, dass sie außer unter besonderen Umständen (zu denen es etwa gehört, als Missionar ausgesandt zu werden) für den Rest ihres Lebens in dem Kloster zu bleiben haben, in dem sie ihre Gelübde abgelegt haben."
Wenngleich hier klargestellt wird, dass der Grundsatz der stabilitas nicht absolut ausschließt, dass ein Mönch aus besonderen Gründen doch an einen anderen Ort geschickt wird, bleibt festzuhalten, dass die grundsätzliche Bindung an einen konkreten Ort für eine moderne Lebenseinstellung eine enorme Herausforderung darstellt:
"'Das ist der Punkt, an dem die Benediktinische Lebensweise am deutlichsten gegenkulturell ist', sagt Pater Benedict. 'Es ist die Lebensweise der Maria, nicht der Marta: unablässig zu den Füßen Christi zu verweilen, egal was man dir vorwirft, nicht zu tun.'
Die Bibel zeigt uns, dass Gott manche Menschen dazu beruft, ihre Sachen zu packen und auszuziehen, um Seine Absichten zu erfüllen, räumt Pater Benedict ein. 'Dennoch: In einer Kultur wie der unseren, wo jeder ständig in Bewegung ist, kann die Benediktinische Berufung, unter allen Umständen zu bleiben wo man ist, neue und bedeutende Wege zu Tage fördern, Gott zu dienen.'"
Und weiter:
"Pater Martin sagt, diejenigen, die meinen, die stabilitas laufe darauf hinaus, den Menschen einzuschränken und sein persönliches und geistliches Wachstum zu ersticken, verkennen den verborgenen Wert der Hingabe an die Beständigkeit. Sie verankert dich und gewährt dir eine Freiheit, die darin besteht, nicht dem Wind, den Wellen und den Strömungen des täglichen Lebens unterworfen zu sein. Sie schafft die geordneten Bedingungen, unter denen die innere Pilgerschaft der Seele zur Heiligkeit möglich wird."
Von der stabilitas ist es kein weiter Weg zum Benediktinischen Verständnis von gelebter Gemeinschaft. Hier richtet der Autor seinen Blick (und mithin den des Lesers) zunächst auf den Mangel an gelebter Gemeinschaft, der die moderne Gesellschaft prägt:
"Die Wurzellosigkeit des zeitgenössischen Lebens hat Gemeinschaftsbindungen ausfransen lassen. Es ist heutzutage weit verbreitet, dass Leute ihre Nachbarn nicht kennen und das auch gar nicht wirklich wollen. Teil einer Gemeinschaft zu sein heißt an ihrem Leben teilzuhaben. Das stellt unweigerlich Anforderungen an das Individuum, die seine Freiheit einschränken."
Ich sag mal so: Ich bin auf einem Dorf in Niedersachsen aufgewachsen und mit 20 Jahren nach Berlin gezogen. Ich kenne sowohl das Gefühl von Freiheit, das die vielbeschworene Anonymität der Großstadt einem zunächst mal vermitteln kann, wenn man "vom Dorf kommt", als auch deren Schattenseiten.
"Die Kirche ist nicht immer ein Zeichen des Widerspruchs gegen diesen modernen Mangel an Gemeinschaft. Im ersten Jahrzehnt meines Lebens als erwachsener Christ verließ ich die Kirche, sobald der Gottesdienst vorbei war. Mit den Leuten dort in Kontakt zu kommen interessierte mich nicht. Nur Jesus und ich, das war alles, was ich wollte und brauchte - jedenfalls dachte ich das. Man könnte sagen, ich war nicht interessiert daran, an ihrer Pilgerschaft teilzunehmen; ich zog es vor, ein Tourist in der Kirche zu sein - und war geistlich zu unreif, um zu begreifen, wie schädlich das war.
Diese Konsumentenhaltung gegenüber der Gemeinschaft der Gläubigen reproduziert die Fragmentierung, die die Christenheit in der gegenwärtigen Welt erschüttert. In Benediktinischen Klöstern hingegen sind sich die Mönche stets bewusst, dass sie nicht bloß Individuen sind, die mit anderen Individuen zusammen wohnen, sondern Teil eines organischen Ganzen - eine spirituelle Familie."
Es ist wohl nicht besonders überraschend, wenn ich an dieser Stelle an das
"Dinner mit Gott" des
Mittwochsklubs denke. Einerseits soll dieses Veranstaltungsformat ausdrücklich für jeden offen sein, der Lust darauf hat; aber andererseits hat es auch als Treffpunkt für Leute aus der örtlichen Kirchengemeinde seinen Sinn und Wert. Nun, das werde ich wohl auch an anderer Stelle näher ausführen. Erst mal weiter im Text:
"Im Leben in einer christlichen Gemeinschaft - sei es eine klösterliche Gemeinschaft oder eine normale Pfarrgemeinde - geht es darum, jene Art von Kameradschaft zu begründen, die jeder von uns braucht, um seine persönliche Pilgerschaft zu vollenden. [...] Das heißt, die Kirche existiert als eine von Christus begründete Bruderschaft, auch dann, wenn es sich gerade nicht danach anfühlt."
Das ist doch mal ein schöner Leitgedanke. Gerade wenn man sich als Kontrast dazu noch einmal die gesellschaftlichen Auswirkungen der Vereinzelung ansieht, die das moderne Leben so mit sich zu bringen scheint:
"Auf seinen Reisen in Angelegenheiten des Klosters sieht Pater Martin, der Geschäftsführer der Gemeinschaft, eine Leere in den Gesichtern vieler Menschen, denen er begegnet. Sie wirken so angespannt, so beunruhigt, so unsicher. Die Mönche glauben, dass dies die Folge von Einsamkeit, Isolation und einem Mangel an tiefer und lebensspendender Gemeinschaftsbindung ist. Wenn das Leuchten in den Gesichtern der Leute vom Widerschein ihrer Laptops, Smartphones oder Fernsehschirme kommt, dann leben wir in einem Dunklen Zeitalter, sagt Pater Martin."
Als nächstes steht - was in meiner kurzen Anmerkung zum "Dinner mit Gott" ja auch schon anklang - der Punkt "Gastfreundschaft" auf der Liste. Der ist nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil viele Kritiker der Benedict Option die im Vorwort und im ersten Kapitel erhobene Forderung nach "Rückzug" im Sinne einer Abschottung von der Außenwelt aufgefasst haben. Genau das ist jedoch nicht gemeint, stellt der Autor klar:
"Das Benediktinische Verständnis von Gebet, Arbeit, Askese, Beständigkeit und Gemeinschaft erfordert Praktiken, die die Gemeinschaft der Mönche eng zusammenschweißen. Die daraus resultierende Nähe und Verbundenheit wird durch die Absonderung der Mönche von der Welt verstärkt. Dennoch ermahnt Benedikt sie in der Ordensregel, sich bewusst zu sein, dass sie nicht allein für sich selbst leben, sondern auch dazu, Außenstehenden zu dienen.
Der Ordensregel zufolge dürfen wir niemals jemanden abweisen, der unserer Liebe bedarf. Eine Kirche oder sonstige Benedict Option-Gemeinschaft muss offen für die Welt sein - um den Schatz der Liebe Gottes mit jenen zu teilen, denen sie fehlt.
Die Mönche leben überwiegend in Klausur - das heißt, sie bleiben innerhalb der Klostermauern und haben eingeschränkten Kontakt zur Außenwelt. Die spirituelle Arbeit, zu der sie berufen sind, erfordert Stille und Absonderung. Unsere Arbeit erfordert nicht dieselben Strukturen. Als Laienchristen, die inmitten der Welt leben, sind wir berufen, unter gewöhnlicheren gesellschaftlichen Bedingungen nach Heiligkeit zu streben.
Aber selbst die klausurierten Benediktiner praktizieren Gastfreundschaft gegenüber Fremden. Die Ordensregel schreibt vor, dass all jene, die das Kloster als Pilger oder Gäste aufsuchen, 'empfangen werden wie Christus selbst, der sagt, dass er einst sagen wird: Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen.'" (Matthäus 25,35)
Aber stehen das Konzept einer engen, abgesonderten Gemeinschaft einerseits und der Offenheit gegenüber der Außenwelt andererseits nicht in einem gewissen Widerspruch - oder sagen wir: Spannungsverhältnis - zueinander? Nun, wie so Vieles in der Benediktinischen Spiritualität ist auch dies eine Frage des rechten Maßes:
"Der Hl. Benedikt verlangt von seinen Mönchen, offen gegenüber der Außenwelt zu sein - bis zu einem gewissen Punkt: Gastfreundschaft muss mit Umsicht und Besonnenheit ausgeübt werden, auf eine Weise, die es Besuchern nicht erlaubt, die Lebensweise der Mönche nicht zu stören. Zum Beispiel gilt die Vorschrift, bei Tisch zu schweigen, für Gäste wie für Mönche gleichermaßen. [...] Das Kloster empfängt dauernd Besucher, die alle möglichen Probleme haben und Rat, Hilfe oder einfach ein offenes Ohr suchen, und es ist wichtig, dass die Mönche ihre Ordnung aufrecht erhalten, damit sie in der Lage sind, diese Art von Gastfreundschaft zu gewähren."
Zwingend gegen eine strikte Abschottung nach außen spricht schließlich auch, dass Christen dazu aufgerufen sind, missionarisch zu leben:
"Die Kraft der populären Kultur ist so überwältigend, dass strenggläubige Christen oft die Notwendigkeit verspüren, sich hinter Verteidigungslinien zurückzuziehen. Aber Bruder Ignatius, 51, warnt, Christen dürften nicht so beklommen und ängstlich werden, dass sie es unterlassen, die Frohe Botschaft in Wort und Tat mit einer Welt zu teilen, die von Hass und Finsternis gefangen gehalten wird. Es ist umsichtig, vernünftige Grenzen zu ziehen, aber wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht verhalten wie der ungetreue Knecht im Gleichnis von den Talenten, der von seinem Meister für seine schwache, ängstliche Verwaltung der ihm anvertrauten Güter bestraft wurde.
'Angriff ist die beste Verteidigung. Man verteidigt sich, indem man attackiert', sagt Bruder Ignatius. 'Greifen wir an, indem wir Gottes Königreich vergrößern - zuerst in unseren Herzen, dann in unseren Familien, und dann in der Welt. Ja, man benötigt Grenzen, aber es ist unsere Pflicht, diese Grenzen nicht dort zu belassen, wo sie sind. Wir müssen sie ausweiten, Territorium hinzugewinnen, immer weiter.'"
Schließlich kommt Dreher auf den Benediktinischen Grundsatz der Ausgewogenheit zu sprechen, dem gewissermaßen die Funktion zukommt, die zuvor genannten Grundsätze ins richtige Verhältnis zueinander zu setzen.
"Das Benediktinische Leben ist streng, aber wenn man es gemäß der Ordensregel gestaltet, ist es zugleich frei von Fundamentalismus und Extremismus. [...] Seine Ausrichtung auf das Gemeinschaftsleben steht in scharfem Gegensatz zu einer Anzahl anderer christlicher Gruppierungen, die entweder zerbrochen oder sektenähnlich geworden sind, weil ein obsessiv puristischer, autoritärer Führer seine Macht missbraucht hat."
Hört, hört.
"Somit ist Ausgewogenheit - oder, anders ausgedrückt, Besonnenheit, Barmherzigkeit und gutes Urteilsvermögen - der Schlüssel zur Leitung des Lebens einer christlichen Gemeinschaft. Dazu gehört auch, die notwendigen Bestandteile des monastischen Lebens - essen, schlafen, beten, arbeiten, lesen - in einem harmonischen Verhältnis zueinander zu erhalten, damit nicht eines davon das Leben eines Mönchs dominiert, sondern alles zu einem gesunden Ganzen vereint wird."
Ist die Benediktinische "Option" demnach gar nicht so radikal, wie man zunächst annehmen würde? - Doch, schon; oder besser gesagt: Ihre Radikalität liegt auf einer anderen Ebene:
"Aber [...] niemand sollte meinen, die Ordensregel ziele auf eine ausgewogene Lebensweise in dem Sinne ab, dass man sich mit Halbheiten und spiritueller Mittelmäßigkeit zufrieden gäbe. Es geht nicht um eine Balance zwischen Gut und Schlecht, sondern zwischen verschiedenen Arten des Guten."
Und was folgt daraus?
"Laien können von der Benediktsregel profitieren, [...] wenn sie verstehen, was das Radikale an der Lebensweise des Hl. Benedikt ist: die völlige Aufgabe des Eigenwillens zugunsten des Willens Gottes. Die Methode mag Ausgewogenheit in ihrer Anwendung erfordern, aber das Ziel, das der Herr uns vorgegeben hat, ist außerordentlich: vollkommen zu sein, wie unser Vater im Himmel vollkommen ist.
Weil Jesus eins mit dem Vater ist, müssen jene, die nach Vollkommenheit streben, Ihm nachzueifern suchen. Natürlich wäre es Häresie, zu glauben, man könne diese Vollkommenheit aus eigener Kraft oder diesseits des Himmels erreichen. Es ist ein Paradox des christlichen Lebens, dass man sich, je heiliger man wird, nur umso eindringlicher seiner Mängel bewusst wird - und damit seiner völligen Angewiesenheit auf die Barmherzigkeit Gottes. Gleichwohl: Die ideale Person ist die, die, indem sie dem Ruf Gottes folgt, Christus in Allem ähnlich wird. Ob sie zu einem klösterlichen Leben oder zum Leben in der Welt berufen ist, zur Gründung einer Familie oder zum Alleinleben, zu körperlicher Arbeit oder zu einem Schreibtischjob, dazu, zu Hause zu bleiben, oder um die Welt zu reisen: Sie muss nach besten Kräften danach streben, wie Jesus zu sein. Der Benediktinische Weg bietet - indem er unseren Körper, unseren Geist und unsere Seele methodisch und praktisch zu einem harmonischen Leben ordnet, in dem Christus als das Zentrum von Allem stets gegenwärtig ist und Alles erfüllt - eine Spiritualität, die für Jeden zugänglich ist. Für den Christen, der dem Weg des Hl. Benedikt folgt, wird das alltägliche Leben zu einem ununterbrochenen Gebet, zugleich Opfer für Gott und Geschenk von Ihm - und so verwandelt Er uns Stück für Stück in ein Abbild Seines Sohnes."
Klingt anspruchsvoll? Gewiss!
"Das Benediktinische Beispiel ist ein Zeichen der Hoffnung, aber zugleich auch eine Warnung: Wie auch immer die Umstände sein mögen, ein Christ kann nicht in Treue leben, wenn Gott nur einen Teil seines Lebens ausmacht, ausgeklammert vom übrigen Leben. Letztendlich steht entweder Christus im Mittelpunkt unseres Lebens oder das Selbst und die Götzen, die es sich errichtet. Einen Kompromiss dazwischen gibt es nicht. Mit Seiner Hilfe können wir die Fragmente unseres Lebens zusammensetzen und um Ihn herum ordnen - aber das ist nicht einfach, und wir können es nicht allein tun. Etwas Geringeres anzustreben, würde jedoch darauf hinauslaufen, was der französische katholische Schriftsteller Léon Bloy in die Worte gekleidet hat: 'Die einzige wirkliche Traurigkeit, das einzige wirkliche Scheitern, die einzige große Tragödie des Lebens ist es, kein Heiliger zu werden.'"
Gegen Ende des Kapitels kommt der Autor nochmals auf seine tiefe Wertschätzung für die Mönche von Norcia zurück:
"Gegenüber Pater Martin merkte ich an, wie außergewöhnlich es ist, dass ein Ort wie dieser in der modernen Welt überhaupt existiert. Junge Männer, die eine bis in die Frühzeit der Kirche zurückreichende Tradition des Gebets, der Liturgie und des asketischen Gemeinschaftslebens aufgreifen - und die dies mit unverkennbarer Freude tun? Man sollte denken, so etwas könne es heutzutage gar nicht mehr geben.
Aber sie sind hier - ein Zeichen des Widerspruchs gegen die Moderne."
Was aber - wie schon einmal angemerkt - nicht im Sinne einer "Flucht in die Vergangenheit" zu verstehen sein soll:
"'Es gibt hier etwas, das sehr alt ist, aber zugleich ist es neu', sagt Pater Martin. 'Die Leute sagen: Ach, ihr versucht ja nur die Uhr zurückzudrehen. Aber das ergibt keinen Sinn. Wenn man etwas im Hier und Jetzt tut, dann heißt das, es geschieht im Hier und Jetzt. Es ist neu, und es ist lebendig! Und davon geht eine große Kraft aus.'"
Der Schluss des Kapitels ist dann in gewissem Sinne zugleich eine Einleitung zu den sieben folgenden - deren jeweilige Oberthemen in einer Aufzählung am Ende des vorletzten Absatzes angerissen werden:
"Wie aber holen wir die Benediktinische Weisheit aus dem Kloster heraus und wenden sie auf die Herausforderungen des weltlichen Lebens im 21. Jahrhundert an? Diese Frage ist es, der wir uns nun zuwenden. Der Weg des Hl. Benedikt ist keine Flucht vor der realen Welt, sondern ein Weg, die Welt zu sehen, wie sie wahrhaft ist, und entsprechend in ihr zu leben. Die Benediktinische Spiritualität lehrt uns, die Welt in Liebe zu ertragen und sie in dem Maße und in der Weise zu verändern, wie der Heilige Geist uns verwandelt. Die Benedikt-Option greift die Tugenden der Ordensregel auf, um die Art und Weise zu verändern, wie Christen mit Politik, Kirche, Familie, Gemeinschaft, Bildung und Erziehung, dem Berufsleben, Sexualität und Technologie umgehen.
Dieses Anliegen ist dringlich. Als ich Pater Cassian zum ersten Mal von der Benedikt-Option erzählte, sinnierte er über meine Worte und erwiderte dann ernst: 'Diejenigen, die nicht in irgendeiner Form etwas von dem tun, was du meinst, werden das, was auf sie zukommt, nicht überstehen.'"
Ja, klar, das klingt jetzt wieder sehr alarmistisch. Aber die folgenden Kapitel werden zeigen, inwieweit an dieser Einschätzung was dran ist. In Kapitel 4 geht es erst einmal um Politik - was nicht zuletzt insofern spannend ist, als Rod Dreher im Vorwort und im ersten Kapitel die bisherigen Ansätze eines christlichen politischen Aktivismus in den USA kurzerhand für gescheitert erklärt hat. In Kürze werden wir erfahren, wie seiner Einschätzung zufolge die Alternativen aussehen könnten...