Seit ich in Berlin lebe, habe ich zahlreichen Freunden und Bekannten beim Umzug geholfen; einigen davon mehrmals. Innerhalb Berlins wird einfach extrem viel umgezogen. Es gibt Statistiken darüber, aber die mag sich der geneigte Leser selbst bei Google heraussuchen. Von meinen diversen Umzugshilfe-Aktionen ist mir eine besonders im Gedächtnis geblieben: Ein Kumpel von mir, den ich in seiner Eigenschaft als Barmann in einer Punk-Kneipe kennengelernt hatte, zog aus einer Zweier-WG in ein linksautonom-punkiges "Hausprojekt" um. Ich könnte nicht sagen, ob es sich im technischen Sinne um ein besetztes Haus handelte oder um eine irgendwie legalisierte Form von "selbstverwaltetem Wohnen"; jedenfalls sah das Haus, von außen wie von innen, so aus, wie Otto Normalbürger sich ein "besetztes Haus" vorstellt. Da ich das Haus nicht zu meinem Vergnügen besuchte, sondern um zusammen mit anderen freiwilligen Helfern Möbel und Umzugskisten hineinzuschleppen, erinnere ich mich vor allem noch an das enge Treppenhaus, die diversen Durchgangszimmer sowie die Tatsache, dass überall irgendwelcher Kram herumstand, von dem man nicht so genau wusste, ob das Müll war oder ob dieser Kram noch irgendeinen Nutzen für die Hausbewohner hatte. Insgesamt erschien mir das Haus eng, dreckig, heruntergekommen und im Verhältnis zur Wohnfläche von zu vielen Leuten bewohnt. Aber mein Kumpel freute sich wie Bolle, hier einzuziehen. Das war die Art, wie er leben wollte.
Die Erinnerung an dieses Erlebnis ist in mir kürzlich wieder wach geworden, als ich meine zugegebenermaßen noch einigermaßen unpräzisen Vorstellungen von "Punk-Pastoral" mit meinen Lektüreeindrücken von Rod Drehers "Benedict Option" in Beziehung zu setzen versuchte. Dazu muss ich zunächst mal anmerken, dass - was manchen Lesern bereits aufgefallen sein mag - der Begriff "Punk", so wie ich ihn verwende, nicht unbedingt ganz deckungsgleich ist mit der Punk-Bewegung im engeren Sinne; sofern sich letztere überhaupt klar definieren und abgrenzen lässt, was ich eher bezweifeln würde. Was ich - im positiv-wertschätzenden Sinne - unter "Punk" verstehe, ist eine bestimmte Art von Verweigerungshaltung gegenüber bürgerlichen Vorstellungen von Solidität und Wohlanständigkeit. Das ist natürlich ein weites Feld; eine solche Verweigerungshaltung kann in der Praxis allerlei unterschiedliche Formen annehmen, die ich durchaus nicht durchweg sympathisch und lobenswert finde. Einen gewissen Sympathievorschuss haben Punks bei mir aber doch. In einer autobiographisch angehauchten Kurzgeschichte aus meinem unveröffentlichten Zyklus "Nur nicht nach Hause" schrieb ich:
"Ich habe ja schon in meiner Jugend gelegentlich in der Punk-Szene meiner heimatlichen Kleinstadt 'hospitiert'. Soll heißen, ich war nicht Bestandteil dieser Szene, war aber immer mal wieder 'mit dabei' [...] In meiner Heimatstadt gehen Punks in der Regel aufs Gymnasium, und die meisten machen auch tatsächlich ihr Abitur. Woanders würde das vielleicht ihrer 'credibility' Abbruch tun, aber da, wo ich herkomme, ist das Bestandteil ihrer Gruppenidentität."
Nun kann ich mir zwar sehr gut vorstellen, dass viele, vielleicht die meisten meiner damaligen Punk-Freunde inzwischen einen stinknormalen Job, ein Haus oder eine Eigentumswohnung, ein Auto und 1,4 Kinder haben, zweimal im Jahr in Urlaub fahren und SPD wählen; aber darum soll's hier nicht gehen. Auf der anderen Seite aber auch nicht zwingend um diejenigen Punks, die mitsamt ihren Hunden vor dem Edeka-Markt herumlümmeln und die Supermarkt-Kunden um die Pfandmünzen aus ihren Einkaufswagen anschnorren. Zu deren Gunsten möchte ich allerdings noch anmerken, dass ich Bettelei als Konzept zur Bestreitung des Lebensunterhalts nicht zwangsläufig ehrenrühriger finde als manche Formen von Berufstätigkeit, einschließlich solcher, die ich selbst mal ausgeübt habe. Einige meiner Leser werden das vermutlich anders sehen und meinen, wer bettelt, statt zu arbeiten, sei ein Schmarotzer, der der Gesellschaft auf der Tasche liegt, ohne ihr etwas zurückzugeben. Ich will die Legitimität dieser Sichtweise nicht in Zweifel ziehen, ich habe lediglich eine Frage dazu:
Würden Sie mit dem Hunde-Punk vor dem Edeka tauschen wollen?
Vermutlich nicht. Und, sehen Sie, da wird es nun interessant.
(Bildquelle hier.) |
Auf der Straße zu sitzen und zu betteln, ohne für das empfangene Geld eine Gegenleistung anzubieten, ist vielleicht eine besonders radikale Methode, sich den Zwängen des Arbeitsmarkts zu entziehen und trotzdem zu überleben, aber es ist ja nicht die einzige. Auf der faulen Haut zu liegen ist an und für sich nicht unbedingt Punk-Gesinnung. Man kann als Punk sogar sehr fleißig sein, nur eben nicht im Sinne dessen, was der gern zumindest oberflächlich in linker Theorie geschulte Punk "kapitalistische Verwertungszusammenhänge" nennt. Und dieser Unwille, die eigene Arbeitskraft kapitalistisch verwerten zu lassen, führt in der Regel dazu, dass Punks - auch diejenigen, die sehr wohl arbeiten - in materiell recht bescheidenen Verhältnissen leben. Das sieht man ja schon an Wohnverhältnissen wie den eingangs geschilderten. Man kann sagen: Punk bedeutet, ein Konzept von Freiheit zu leben, für das man auf viele Annehmlichkeiten verzichtet. In gewissem Sinne ist es ein asketischer Lebensstil.
-- Ich ahne hier Widerspruch. Manch ein Leser wird einwenden mögen, er verbinde mit "Punk" vor allem die Vorstellung von Leuten, die den lieben langen Tag Bier trinken und/oder kiffen, und das sei ja nun nicht sonderlich asketisch. Da möchte ich darauf hinweisen, dass es innerhalb der Punk-Szene bereits seit den frühen 80ern auch die sogenannte Straight Edge-Bewegung gibt, die gerade als Reaktion auf bzw. Abgrenzung von exzessivem Alkohol- und Drogenkonsum in der Szene entstanden ist und Rauschmittel komplett ablehnt. Einige Edger verzichten sogar auf Koffein, einige sind Vegetarier oder Veganer, und manche sind sogar auch in Hinblick auf ihr Sexualverhalten recht sittenstreng. Ich gebe zu, das ist eine Minderheit; ich will nur sagen: Die gibt es halt auch. Ich kenne da ein paar.
Das in der einleitenden Umzugsgeschichte erwähnte Haus war bei weitem nicht das einzige selbstverwaltete Punk-Wohnprojekt, das ich in meiner Studentenzeit (und später) zu sehen bekommen habe, und oft habe ich mich als Gast in solchen Häusern oder Wohnungen ausgesprochen wohl gefühlt. Ein bisschen Idealisierung kommt in der Retrospektive wohl auch noch dazu, wie so oft im Leben. So oder so möchte ich aus heutiger Sicht die Behauptung wagen: Was Stichworte wie "intensives Gemeinschaftsleben unter Gleichgesinnten", "freiwillige Armut" und "Gastfreundschaft" angeht, hat so eine Punk-WG durchaus etwas "Benediktinisches" im Sinne der Benedict Option an sich. Bei allen Unterschieden, die es selbstverständlich auch gibt. Worin der wesentliche und entscheidende Unterschied zwischen einem linksautonom-punkigen Wohnprojekt und einer geistlichen Gemeinschaft besteht, lässt sich aber wohl ganz simpel und evident auf den Punkt bringen: Er besteht natürlich in der geistlichen Ausrichtung. Und dieser Unterschied hat erhebliche Auswirkungen. Wo der Geist Gottes nicht herrscht, da ziehen leicht allerlei Ungeister ein, und so kann es kaum verwundern, dass sich in autonomen Wohnprojekten und deren Umfeld oft fragwürdige Ideologien breit machen, die von Fall zu Fall auch dazu führen können, dass die "Basisdemokratie" in ausgesprochene Tyrannei umschlägt. Auch dazu habe ich schon mal was geschrieben.
Vergessen wir in diesem Zusammenhang jedoch nicht, was die Hl. Theresia Benedicta vom Kreuz (Edith Stein) sagte: "Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht." Ideologische Prägungen, die z.T. dezidiert antichristliche Elemente aufweisen, mögen eine schwer zu überwindende Hürde für die Evangelisation darstellen; umgekehrt erscheint mir jedoch der Gedanke nicht völlig abwegig, ein Punk, der schließlich in gewissem Sinne bereits "der Welt abgeschworen" hat, könnte eher für den Dienst am Reich Gottes zu gewinnen sein als jemand, der gänzlich in seiner bürgerlichen Existenz aufgeht.
Unabhängig von dieser Frage scheint es mir jedenfalls evident, dass ein urbanes "Benedict Option"-Projekt von der Punk-Szene eine ganze Menge lernen kann - von ihren Stärken, etwa was Selbstorganisation und Netzwerkbildung angeht; aber auch und nicht zuletzt von ihren Fehlern, die es zu vermeiden gilt.
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