"Ja."
Mit diesen unsterblichen Zeilen beginnt der Roman Durch die Wüste, der erste Band der Gesammelten Reiseerzählungen Karl Mays. Anlässlich des 100. Todestages des Autors am 30.03. habe ich diesen Klassiker der Reise- und Abenteuerliteratur kürzlich wieder einmal zur Hand genommen - und innerhalb weniger Tage verschlungen. Ich bekenne offen, ich wüsste kaum ein Buch, das mich von der ersten Seite an so sehr fesselt und begeistert wie Durch die Wüste.
Dass der Roman gleich mit einer Religionsdiskussion beginnt - Hadschi Halef Omar will seinen Herrn Kara Ben Nemsi partout zum Islam bekehren, nur in bester Absicht natürlich, nämlich um ihn vor dem Höllenfeuer zu bewahren -, ist durchaus bezeichnend: Diskussionen über das Verhältnis zwischen Christentum und Islam ziehen sich durch das ganze Buch und seine Folgebände. In diesem Zusammenhang gilt es zu bedenken, dass Durch die Wüste auf einem Zyklus von Erzählungen Mays basiert, die unter dem zungenbrecherischen Reihentitel Giölgeda padişhanün im Deutschen Hausschatz, dem damals führenden katholischen Wochenblatt, erschienen. So ist der Protagonist Kara Ben Nemsi - anders als sein protestantisch getaufter und konfirmierter Autor - gläubiger Katholik und fest davon überzeugt, dass sein Glaube der einzig Wahre ist; dennoch legt er ein ausgeprägtes Interesse an anderen Religionen an den Tag und artikuliert wiederholt seinen Respekt vor den religiösen Bräuchen sowohl der Muslime als auch der von diesen als 'Teufelsanbeter' diffamierten Jesiden. Ungemütlich wird Kara Ben Nemsi nur, wenn man seiner religiösen Überzeugung zu nahe tritt - ihn etwa als 'Giaur', als 'Ungläubigen' tituliert oder das Christentum herabwürdigt. In Auseinandersetzungen mit Muslimen demonstriert Kara Ben Nemsi immer wieder, dass er sich im Koran und der islamischen Überlieferung bestens auskennt, und dank dieser fundierten Kenntnisse vermag er auch dem fanatischsten Muselmann Paroli zu bieten.
Wer sich an diesem Kara Ben Nemsi ein Beispiel nehmen wollte, der konnte die Aktion "Lies!"des Vereins "Die wahre Religion" - also die massenhafte und kostenlose Verteilung von Koran-Exemplaren in deutscher Übersetzung - im Grunde nur gutheißen. Ein schönes und obendrein großzügiges Angebot zum interreligiösen Dialog, könnte man meinen, wenn eine Religionsgemeinschaft den Nicht- und Andersgläubigen kostenlos und unverbindlich die Gelegenheit bietet, sich aus erster Hand darüber zu informieren, worum es im Islam eigentlich geht. Also, wenn ich nicht schon einen Koran in meinem Bücherregal hätte, wäre ich bestimmt zum Potsdamer Platz gefahren und hätte mir ein Gratisexemplar geholt.
Allerdings zeigte sich ziemlich bald, dass ich mit dieser Sicht der Dinge recht allein stand. Allerorten wurde vor den Koranverteilern gewarnt, manch einer hätte es am liebsten gesehen, wenn man die Aktion hätte verbieten können. - Ja, Moment mal: Haben wir in Deutschland nicht so etwas wie Religionsfreiheit? Und könnte man nicht sogar behaupten, dass die Heilige Schrift einer der größten Weltreligionen, unabhängig davon, ob man nun daran glaubt oder nicht, einfach zum Weltkulturerbe gehört? - Schon. Aber die da die Korane verschenken, das sind ja keine normalen Muslime; das sind Salafisten. Nun weiß der durchschnittliche BILD-Leser oder RTL-Zuschauer natürlich nicht so genau, was ein Salafist ist, aber es klingt jedenfalls nach Hamas, Hisbollah oder Taliban, nach finsteren, bärtigen Turbanträgern mit dem Dolch im Gewande, die ihre Töchter erst beschneiden, dann zwangsverheiraten und schließlich erschießen oder gar steinigen. Wenn solche Leute Korane verteilen, dann sind die Seiten bestimmt mit bewusstseinsverändernden Substanzen imprägniert, und kaum habe ich das Buch durchgeblättert - und sei es nur, um die 100. Sure nachzulesen, die weiland Kara Ben Nemsi seinem Rappen Rih in die Nüstern flüsterte, um ihn zu Höchstleistungen anzuspornen -, finde ich mich plötzlich, ohne zu wissen wie, mit einem Bombengürtel um die Hüften in der Fußgängerzone wieder und sprenge mich vor der Sparkasse in die Luft.
Anders ausgedrückt, auf allen medialen Kanälen wurde die Gratis-Koranverteilung der Salafisten zum Anlass genommen, in unverantwortlichster Weise die Islamphobie in Deutschland zu schüren - nach dem Motto: Wer Korane verschenkt, der entführt auch Flugzeuge und fliegt damit in Hochhäuser. Wirklich überraschend war das alles in allem natürlich nicht; einige Wortmeldungen im Zuge der Debatte fand ich dann aber doch arg befremdlich. Zum Beispiel die des Hamburger Weihbischofs Hans-Jochen Jaschke, seines Zeichens immerhin Vorsitzender der Unterkommission für den interreligiösen Dialog in der Deutschen Bischofskonferenz. Jaschke ist in der Medienlandschaft kein Unbekannter, er ist immer mal wieder in Talkshows zu sehen, wo er zumeist einen besonnenen und vernünftigen Eindruck macht. Nun hätte ich von einem Repräsentanten der katholischen Kirche eigentlich erwartet, dass er schon im eigenen Interesse die Religionsfreiheit gegen einen sich zunehmend religionsfeindlich gebärdenden Zeitgeist verteidigen würde. Aber nichts da, jede Freiheit hat ihre Grenzen, und wenn die Salafisten sich anschicken, jeden deutschen Haushalt mit einem Koran auszustatten, hört für Bischof Jaschke der Spaß auf. Das ist religiöses Dumping, das ist unlauterer Wettbewerb, wo kommen wir denn da hin...! Ja, Jaschke bezeichnet die Koran-Aktion allen Ernstes als "Gewalttätigkeit" und meint: "Das tut man nicht! Auch aus Respekt den anderen Menschen gegenüber".
Derweil hat die katholische Kirche eigentlich mehr als genug Probleme mit den Salafisten in ihren eigenen Reihen. Die gibt es nämlich auch. Was den Salafismus kennzeichnet, ist in erster Linie ein extrem reaktionäres Geschichtsbild, das die Entwicklung der menschlichen Zivilisation und Gesellschaft als Niedergang und Verfall betrachtet, als Abirren von den geheiligten Wegen der "Salaf", der "Altvorderen". Man könnte den Begriff Salafismus also recht stimmig als Traditionalismus übersetzen; eine Geisteshaltung, die ja auch im Katholizismus nicht wenige Anhänger hat. Zu den bekanntesten und berüchtigtsten Verfechtern eines katholischen Salafismus gehören zweifellos die Piusbrüder. Die Ursachen für das Zerwürfnis dieser radikalen Splittergruppe und dem offiziellen Lehramt der katholischen Kirche wie auch für den Umstand, dass der Vatikan gleichwohl seit Jahren immer wieder die Verständigung mit den Piusbrüdern sucht, sind ausgesprochen komplex und können hier auch nicht ansatzweise aufgehellt werden; dazu lieber mal ein eigener Beitrag. Tatsache ist jedoch, dass die wiederholten Versuche des Vatikans, auf die Bruderschaft zuzugehen, während diese sich keinen Millimeter von ihren Positionen weg bewegt, die Kurie in der Öffentlichkeit in ein seltsames Licht rücken. Selbst Personen, die mit dem Katholizismus nichts am Hut haben und die schon die offiziellen Positionen der Kirche als extrem konservativ wahrnehmen, habe ich schon sagen hören, die Piusbrüder seien wenigstens konsequent - was mich freilich in meiner tief sitzenden Überzeugung bestärkt, Konsequenz sei nicht unter allen Umständen etwas Schätzenswertes. Andere argwöhnen, langsam aber sicher zwinge die Bruderschaft dem Vatikan mit ihrer unnachgiebigen Haltung ihren Kurs auf; insbesondere Papst Benedikt XVI. werden, seit er die Exkommunikation der vier kirchenrechtswidrig, aber dennoch gültig geweihten Bischöfe der Piusbruderschaft aufgehoben hat, immer wieder heimliche Sympathien für die Ultratraditionalisten unterstellt, wodurch sich all jene bestätigt fühlen, die den Papst - in Unkenntnis seiner tatsächlichen theologischen Positionen - ohnehin für einen verkappten Salafisten halten.
Somit haben die Piusbrüder dem Papst ein ganz schönes Ei ins Nest gelegt, indem sie pünktlich zu seinem 85. Geburtstag plötzlich ihrerseits Verhandlungsbereitschaft signalisierten. Es glaubt wohl kein Mensch - einschließlich meiner bescheidenen Person -, dass die Brüder sich ernsthaft zu einer Aufgabe ihrer Ultra-Haltung bewegen lassen werden, und so entsteht erneut der Verdacht, die zuständige Vatikan-Kommission Ecclesia Dei gehe den Hardlinern ganz einfach auf den Leim. Kein Wunder, dass die Anzeichen einer Annäherung zwischen Piusbruderschaft und Vatikan dem Papst mal wieder schlechte Presse einbrachten - obwohl er sich persönlich noch gar nicht zu der Angelegenheit geäußert hat.
Insgesamt war das Presseecho zum 85. Geburtstag und zum 7. Amtsjubiläum des Papstes bunt gemischt aus Kritik und verhaltenem Wohlwollen. Aus der Reihe tanzte wieder mal Matthias Matussek vom SPIEGEL; ich weiß immer gar nicht, ob ich mich mehr darüber wundern soll, was M.M. - allem Anschein nach ein noch konservativerer Katholik als ich - bei einem so betont antiklerikalen Blatt sucht, oder darüber, dass der SPIEGEL seine Beiträge abdruckt. Na schön, die Gralshüter des kritisch sein wollenden Journalismus betrachten das wohl als praktizierten Meinungspluralismus. Dafür wollen wir ihnen dann auch ganz brav Danke sagen. - Matusseks journalistisches Geburtstagsgeschenk an den Papst zielte im Wesentlichen darauf ab, sich über die Papstkritiker lustig zu machen, die Benedikt intellektuell nicht von weitem das Wasser reichen können. Wo er Recht hat, hat er Recht, der Matussek - aber es liegt auf der Hand, dass er damit weit mehr Widerspruch auslöst, als dass er irgendjemandem zum Überdenken seines Standpunkts bewegen könnte.
Während Matussek und andere dem Papst ihre Glück- und Segenswünsche zum Geburtstag - den er eigentlich sowieso nicht groß feiern wollte - lediglich über die Presse ausrichteten, kamen andere Gratulanten auch persönlich vorbei. So zum Beispiel Benedikts bayerischer Landsmann Horst Seehofer. Was der Heilige Vater bei dieser Gelegenheit mit dem CSU-Chef zu besprechen hatte, darum soll es im nächsten Beitrag gehen...