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Mittwoch, 31. Mai 2023

DOSSIER: Erstkommunion

Herzlich willkommen zu einem neuen Artikelformat! Wie regelmäßige Leser sich erinnern werden, habe ich anlässlich der jüngsten Erstkommunion in St. Joseph Siemensstadt darüber nachgedacht, ob ich meine tiefsitzende Überzeugung, die landläufige "post-volkskirchliche" Praxis der Erstkommunion sei irreparabel kaputt und gehöre abgeschafft, einmal systematisch angehen sollte – und zwar einschließlich eines Antwortversuchs auf die daran folgerichtig anschließende Frage "Aber was soll man denn sonst machen?". Gleich darauf kam mir in den Sinn, dass dies ein Thema ist, zu dem ich in den bald zwölf Jahren, die mein Blog schon auf dem Buckel hat, schon eine ganze Menge geschrieben habe; und das könnte ich ja, gewissermaßen als Vorstufe zu einer systematischen Behandlung des Themas, erst einmal übersichtlich zusammentragen. 

Wohlan denn! Per Stichwortsuche kann man feststellen, dass in 57 Artikeln des Blogs "Huhn meets Ei" – dieser hier noch nicht mitgezählt – vom Thema Erstkommunion die Rede ist; das sieht erst einmal nach ziemlich viel aus, macht aber bei insgesamt 753 veröffentlichten Artikeln "nur" eine Quote von gut 7,5% aus; und noch entscheidender ist, dass natürlich längst nicht jeder Artikel, in dem das Wort "Erstkommunion" vorkommt, auch etwas Bedeutendes zu diesem Thema zu sagen hat. Sortiert man diejenigen Artikel aus, in denen das gesuchte Stichwort nur beiläufig am Rande vorkommt, bleiben noch 16 – und darunter nur zwei, in denen das Thema Erstkommunion wirklich im Mittelpunkt des Interesses steht (immerhin aber noch sechs weitere, in denen es eine ziemlich wichtige Rolle spielt). 

Womit also fangen wir an? Ich würde sagen, es entspricht am ehesten meinem Stil und meinen Gepflogenheiten – die meine Leser, wie ich hoffe, an mir schätzen –, wenn ich mich dem Thema von den skurrilen Marginalien her nähere. Also beispielsweise vom zweiten Teil meiner vierteiligen Besprechung des postfeministischen Schund- und Schenkelklopfromans "Die Dienstagsfrauen" von Monika Peetz. In einer Passage dieses Romans erinnert sich nämlich Eva, die Konservativste der fünf Hauptfiguren, an die Erstkommunion ihres ältesten Sohnes David, "die groß gefeiert wurde" und zu der fatalerweise auch Evas Hippie-Mutter Regine auftauchte, die ihr Heil sonst in Ashrams und bei esoterischem Tanz zu suchen pflegt: 

"Evas Mutter war fassungslos, dass ihre Tochter eine Familientradition [!!] hochhielt, aus der sie sich mühsam freigekämpft hatte" (S. 94). "Zwischen Regine und der streng katholischen Familie von [Evas Mann] Frido [...] kam es zu unschönen Wortwechseln" - denn Regine hat ein ausgewachsenes "katholisches Kindheitstrauma aufzuarbeiten" und kann es "so gar nicht nachvollziehen, dass die Tochter, die sie zu Weltoffenheit erzogen hatte, ihrem Enkel David so etwas Dogmatisches wie eine Kommunion zumutete" (S. 95). 

"Alleine die Beichte [...]. Ich musste mich als Kind sogar für die Sünden entschuldigen, an die ich mich nicht mehr erinnerte. Immer diese Angst. Gott weiß schon, was du zu beichten haben wirst, bevor du etwas getan hast." (ebd.) 

Damit wären schon mal einige für die Debatte relevante Stichworte gefallen: Erstkommunion als Familienfest und Tradition, die potentiell konfliktträchtige Teilnahme kirchenferner Familienmitglieder sowie die nicht erst in jüngster Zeit umstrittene Praxis, dass vor der Erstkommunion die Erstbeichte zu absolvieren ist. – In dem Artikel "Gelegen oder ungelegen", ursprünglich ein Kommentar fürs Wochenmagazin auf Radio Horeb, wird der damals (2018) gerade aktuelle Fall eines Erstkommuniongottesdienstes in Irland, in dem der Priester u.a. über Abtreibung predigte und damit Unmut unter den Anwesenden auslöste, lediglich als "Aufhänger" genutzt, aber der beiläufige Seitenhieb auf "eine Haltung [...], die die Sakramente der Kirche lediglich als Dienstleistungen in Anspruch nimmt und dabei nicht wahrhaben will, dass die Zugehörigkeit zur Kirche auch eine grundsätzliche Zustimmung zu ihren Lehren verlangt", löste immerhin eine interessante Diskussion in den Leserkommentaren aus. – Nur kurz erwähnt sei der Artikel "Wie hältst du's mit der Handkommunion?" – ein Frühwerk von 2012, als ich noch neu in der damals so genannten "Blogoezese" war; darin halte ich u.a. die Beobachtung fest, dass den Kindern in der landläufigen Erstkommunionvorbereitung offenbar ausschließlich die Handkommunion beigebracht wird, mit einer Selbstverständlichkeit, als gäbe es keine andere Form. 

Vielschichtiger kommt – entgegen dem ersten Eindruck – der Artikel "Gluten und Kommunion" von 2016 daher, der durch einen Leserkommentar angeregt wurde. "Meine Nichte war letzthin empört darüber, zu hören, dass ihre Tochter, die an einer schweren Zöliakie leidet, wohl nicht zur Kommunion gehen könne anlässlich der Erstkommunion des kleineren Bruders", schrieb mir dieser Leser. Das Problem: Die in der katholischen Eucharistiefeier verwendete Hostien müssen, um gültige Materie zu sein, aus Weizenmehl bestehen und enthalten somit zwangsläufig Gluten. Der durch diesen Fall angeregte Artikel berührt jedoch noch ganz andere Fragen als die, welche Schwierigkeiten sich für Menschen mit schwerer Glutenunverträglichkeit aus dieser Vorschrift ergeben: In der zweiten Hälfte des Texts geht es vorrangig um Probleme, die sich daraus ergeben, "dass es bei Erstkommunionfeiern vermutlich weithin als normal gilt, dass die Familie des Erstkommunionkindes ebenfalls zur Kommunion geht", auch wenn "es sich dabei um Familien handelt, die außerhalb solcher besonderer Anlässe keine oder kaum eine lebendige Glaubenspraxis haben" – und schließlich darum, "dass Viele, die aus verschiedenen Gründen nicht zur Kommunion gehen können, das Hauptproblem dieser Situation darin sehen, dass sie sich zurückgesetzt, ja diskriminiert fühlen, wenn sie in der Bank sitzen bleiben müssen, während alle Anderen an den Altar treten". – In dem Artikel "Der letzte Feind ist der Tod" – bei dem es sich, was die Überschrift wohl nicht unbedingt vermuten lässt, um eine Analyse der offiziellen DBK-Kirchenstatistik für das Jahr 2016 handelt – setze ich u.a. die Zahl der regelmäßigen Gottesdienstbesucher zur Anzahl der Erstkommunionen und Firmungen ins Verhältnis und komme zu dem Ergebnis: "Würde man davon ausgehen, dass Erstkommunionkinder und Firmlinge nicht nur an 'ihrem großen Tag' an der Heiligen Messe teilnehmen, sondern auch sonst [...], dann müsste durchschnittlich jeder 7. bis 8. Messbesucher entweder ein Erstkommunionkind oder ein Firmling sein". Was ja nun einigermaßen offenkundig nicht der Fall ist. 

Damit aber genug des Vorgeplänkels; kommen wir nun zu den beiden Artikeln, in denen die Erstkommunion das Hauptthema ist und folgerichtig auch schon in der jeweiligen Überschrift genannt wird. Es handelt sich um 

und 

Anlass für den erstgenannten Artikel war der Umstand, dass in der Pfarrei St. Willehad Nordenham/Butjadingen/Stadland in jenem Jahr 38 Kinder zur Erstkommunion gingen – eine sehr beachtliche Zahl für eine Pfarrei mit nur rund 3.400 Katholiken. Daran knüpfen sich dann "einige weiterführende Gedanken" an – die zum Teil in späteren Artikeln wieder aufgegriffen werden. Hier fällt auch bereits das böse Wort von der "Letztkommunion" – untermauert mit dem Hinweis auf statistische Angaben aus einem Dossier der DBK, demzufolge "[k]atholisch getaufte Kinder [...] fast ausnahmslos zur Erstkommunion" gehen, wohingegen sich nur "sieben von zehn zur Erstkommunion geführten Kindern" vier bis sechs Jahre später firmen lassen – was, wenn man es recht bedenkt, bedeutet: "In den vier bis sechs Jahren zwischen Erstkommunion und Firmung gehen der Kirche 30% ihres Nachwuchses verloren." (Das sind wohlgemerkt Zahlen von 2013/14. Ich würde mich nicht wundern, wenn es heute noch erheblich schlechter aussähe.) Angesprochen wird hier auch bereits, dass es zwar 'durchaus richtig und angemessen" sei, "die Erstkommunion zum Anlass für ein großes und fröhliches Fest zu nehmen", dass "dieses Fest" jedoch "nicht der eigentliche Zweck der Übung sein" sollte – "ebenso wie z.B. eine schöne Hochzeitsfeier nicht der Grund dafür sein sollte, dass man heiratet". Schließlich und endlich dreht sich ein quantitativ nicht unbedeutender Teil des Artikels um die Frage, was man bei der Erstkommunionvorbereitung anders und besser machen könnte, sollte oder müsste; und dabei spielt das Stichwort "Familienkatechese" eine entscheidende Rolle. Darauf wird noch zurückzukommen sein. 

Der Artikel "Erstkommunion? Rette sich wer kann!" geht von einem gänzlich anderen Blickwinkel aus: nämlich von der Beobachtung, dass der Trubel handelsüblicher Erstkommuniongottesdienste für die eingesessene Kerngemeinde oft genug ein Ärgernis und eine Belastung darstellt. Als wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Argumentation dient hier ein von Dominik Blum, Leiter des Referats Erwachsenenseelsorge beim Bischöflich Münsterschen Offizialat Vechta, verfasster Kommentar auf häretisch.de, der darauf abzielt, "die 'guten Katholiken'  [...] auf die anstehenden Erstkommunionfeiern einzustimmen", indem er "eine bessere Willkommenskultur für seltene Kirchgänger einfordert". In meinen Anmerkungen zu Blums Text räume ich ein, dass er teilweise nicht Unrecht hat, gebe aber gleichzeitig zu bedenken, dass die "Erstkommunion-Saison" so allerlei mit sich bringt, "was für einen gläubigen Katholiken ein weit größeres und ernsthafteres Ärgernis darstellt als keinen Parkplatz zu bekommen oder seinen Stammplatz in der Kirchenbank besetzt vorzufinden". So höre man 

"von Priestern und ehrenamtlichen Katecheten viele Klagen über Familien, denen die religiöse Bedeutung der Erstkommunion völlig gleichgültig ist und die um einer schönen Familienfeier willen den Gottesdienstbesuch als mehr oder weniger lästige Pflichtübung in Kauf nehmen. Vereinzelt sollen Eltern sogar schon die Frage aufgeworfen haben, ob ein Gottesdienst zur Erstkommunion denn unbedingt sein müsse." 

Es folgt ein Bericht über einen Erstkommuniongottesdienst in Herz Jesu Tegel, der gemessen daran, was man hätte erwarten können, "gar nicht so schlimm" war; und im abschließenden Teil des Artikels werden zwei Kernprobleme der landläufigen Erstkommunion-Praxis identifiziert: einerseits die "Anspruchshaltung der Kulturkatholiken", die, wie ich aus einem Essay von Martin Recke auf Commentarium zitierte, "schon heute die ausgedünnten und überalterten Kerngemeinden wie auch die hauptamtlichen Apparate" überfordert, und andererseits die Versuchung, als Reaktion darauf "[d]en Zugang zu den Sakramenten möglichst 'niederschwellig' zu gestalten, damit sich ja niemand überfordert fühlt und womöglich gar beschwert". – Nicht das Uninteressanteste an diesem Artikel ist meine Bemerkung, unter den herrschenden Bedingungen hätte ich "erhebliche Bedenken, Gideon und Bernadette in die Mühle der allgemeinen Erstkommunionvorbereitung zu werfen"; man beachte, dass ich dies zu einem Zeitpunkt schrieb, als meine Kinder, die tatsächlich diese Namen tragen, noch gar nicht geboren waren. Davon mal ganz abgesehen ziehen die geäußerten Bedenken naturgemäß die Frage nach sich: "Gibt es Auswege?" Was mir seinerzeit – anno 2017, wie gesagt – zu dieser Frage einfiel, ist nicht unbedingt revolutionär, dafür aber pragmatisch: 

"Meine Liebste und ich [...] machen uns jetzt schon Gedanken darüber, ob wir entweder versuchen sollten, uns selbst in die Erstkommunionkatechese unserer Pfarrgemeinde einzubringen, oder ob wir auf privater Basis ein 'ergänzendes Angebot' zum regulären katechetischen Unterricht organisieren sollten, gerade auch für die Eltern. Natürlich würde man damit nicht alle erreichen, die es betrifft – wahrscheinlich nicht einmal die Mehrheit. Aber selbst wenn nur wenige mitmachen, wäre doch schon etwas gewonnen. 

Und wenn gar nichts anderes hilft, kann man wenigstens die eigenen Kinder aus der allgemeinen Erstkommunionvorbereitung 'rausnehmen und selbst auf den Sakramentenempfang vorbereiten." 

Fassen wir bis hierher mal zusammen: Die gängige "post-volkskirchliche" Praxis der Erstkommunionspendung – die darauf basiert, einmal jährlich alle Kinder einer bestimmten Alters- oder Schulklassenstufe, die katholisch getauft sind und im Gebiet der Pfarrei gemeldet sind, zur Erstkommunion-Vorbereitung einzuladen, den teilnehmenden Kindern diese Vorbereitung in Form eines schulähnlichen Unterrichts zu erteilen und zum Abschluss dieses Kurses der ganzen Gruppe im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes die Erstkommunion zu spenden – wird, verglichen mit anderen kirchlichen "Angeboten", noch immer stark in Anspruch genommen, auch von ansonsten eher kirchenfernen Familien. Für die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter der Pfarreien bedeutet dieses Prozedere eine erhebliche Belastung, der Erstkommuniongottesdienst selbst wird von der Kerngemeinde nicht selten als eher ärgerlich erlebt. Diese Probleme sind allgemein bekannt; pastoral gerechtfertigt wird die Beibehaltung dieser Praxis jedoch mit dem Argument, sie biete eine Chance, distanzierte Mitglieder wieder neu mit der Kirche in Kontakt zu bringen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass diese Art des Kontakts höchstens in seltenen Ausnahmefällen zum Aufbau einer nachhaltigen Bindung an die Kirche führt. Mag man darauf erwidern, solche seltenen Ausnahmefälle seien immerhin besser als nichts, so sollte doch zumindest erwogen werden, ob man auf andere Weise nicht bessere Ergebnisse erzielen könnte. 

Hinzu kommt die Gefahr, dass das niedrige katechetische Niveau der Erstkommunionvorbereitung – mit dem man vermeiden will, die Kinder aus kirchenfernen Familien zu "überfordern" – die Gefahr birgt, auf religiös interessiertere und von Haus aus besser auf den Sakramentenempfang vorbereitete Kinder einen eher negativen Effekt (im Sinne einer "Angleichung nach unten") zu haben. Dieser Aspekt spielt implizit bereits in meinem Artikel "Gideon und Bernadette gehen nicht zur Kinderkatechese" eine Rolle (der ebenfalls zu einem Zeitpunkt entstand, als die in der Überschrift genannten Kinder noch gar nicht auf der Welt waren), erheblich deutlicher dann in "Ich glaub, ich steh im Wald" aus dem Jahr 2018: 

"Das, was von den sterbenden volkskirchlichen Strukturen und Gepflogenheiten derzeit noch übrig ist, stellt bis auf Weiteres sicher, dass Kinder und Jugendliche wenigstens an ein paar Punkten ihres Lebenswegs mit der Kirche in Kontakt kommen. Nahezu alle Kinder, die katholisch getauft werden, sieht man einige Jahre später in der Erstkommunionvorbereitung wieder, und einen relativ großen Teil davon dann nochmals einige Jahre später in der Firmvorbereitung. Das ist ein beachtliches Potential – das aber komplett vergeudet wird, wenn man nicht einmal den Versuch unternimmt, den Kindern und Jugendlichen etwas Substantielles über den Glauben beizubringen, geschweige denn etwas wie Interesse oder gar Begeisterung für den Glauben in ihnen zu wecken. Stattdessen spult man ein Programm runter, das die Kinder günstigstenfalls langweilt und im weniger günstigen Fall peinlich berührt. Ehrlich gesagt wundert es mich ganz und gar nicht, dass die Kinder froh sind, wenn sie das hinter sich haben, und freiwillig nie wiederkommen. Wundern würde es mich eher, wenn es anders wäre. 

Würde man hingegen die Erstkommunion- und Firmvorbereitung für substantielle Katechese nutzen, müsste man bei einem (vielleicht gar nicht so kleinen) Teil der Zielgruppe mit Widerspruch und Ablehnung rechnen – in der Erstkommunionvorbereitung wohl eher von Seiten der Eltern, in der Firmvorbereitung möglicherweise verstärkt seitens der Jugendlichen selbst. Vielleicht würde einem das die Statistik versauen, weil es dann eine größere Zahl von Leuten gäbe, die beschlössen, das dann doch nicht mitmachen zu wollen. Aber relativ sicher könnte man sich sein, dass der Anteil derer, denen das Ganze einfach egal  ist, zurückginge. Wenn man wenigstens bei einer Minderheit der Erstkommunions- und Firmbewerber auf positive Resonanz stieße, wäre das somit allemal schon besser als jetzt." 

Man muss indes einräumen, dass die bis hierher besprochenen Artikel in Hinblick auf die Frage, was man denn anders machen könnte, sollte oder müsste, durchweg unbefriedigend sind: Die gebotenen Lösungsansätze schwanken zwischen den Optionen, lokal, d.h. in der eigenen Pfarrgemeinde, das Beste aus dem bestehenden System zu machen oder aber individuell aus ihm auszusteigen. Hingegen werden keine Ideen formuliert, wie man den Weg zur Erstkommunion von Grund auf radikal umgestalten könnte. (Zu der in "Erstkommunion? Rette sich wer kann!" angesprochenen Überlegung, "uns selbst in die Erstkommunionkatechese unserer Pfarrgemeinde einzubringen", findet sich übrigens in "Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #16", mehr als vier Jahre später, ein ernüchterndes Postskriptum: Hier erfährt der geneigte Leser nämlich, "dass meine Liebste und ich kurzzeitig dafür im Gespräch waren, ab diesem Herbst die Erstkommunion-Katechese an unserem Gemeindestandort zu übernehmen, aber das ist am Veto des Pfarrers gescheitert. Er wird schon seine Gründe haben.") 

Dabei war ein Ansatz, der im Grunde "nur noch" darauf wartete, weiterentwickelt zu werden, schon früh – nämlich 2015 in "Erstkommunion – und andere Neuigkeiten aus St. Willehad" – genannt worden: das Stichwort "Familienkatechese". In einem im Frühjahr 2018 für die Pfarrei Herz Jesu Tegel unter der Überschrift "Brainstorming Gemeindeentwucklung" entworfenen Konzeptpapier, das man in meinem Blogartikel "Gemeindeaufbau statt 'Churchhopping' – Es tut sich was!" nachlesen kann, findet sich zum Stichwort "Erstkommunion" lediglich der knappe Hinweis "Eltern stärker einbinden". Eine erheblich konkretere – und radikalere – Vision findet sich rund ein Jahr darauf an gänzlich unerwarteter Stelle, nämlich im letzten Absatz des Artikels "Man hatte mir doch fundamentalistische Christen versprochen!", in dem es größtenteils um ein ganz anderes Thema, nämlich die weltanschauliche Heterogenität des #kindergartenfrei-Netzwerks, geht. In dem besagten Schlussabsatz schildere ich meine "Idealvorstellung" eines "Familienkreis[es] innerhalb der Pfarrei, der gemeinschaftlich ein möglichst schon bei der Ehevorbereitung, spätestens aber bei der Anmeldung von Kindern zur Taufe ansetzendes Modell von fortlaufender Familienkatechese entwickelt":

"Anfangen könnte man damit, dass die Eltern gemeinsam den 'YOUCAT for Kids' studieren, während die Kinder miteinander spielen. Auf längere Sicht könnte ein solcher Familienkreis die herkömmlichen Erstkommunion- und Firmvorbereitungskurse zunächst ergänzen und irgendwann einmal ganz ersetzen. Die sind nämlich die Pest und müssen sterben. Aber dazu wohl lieber ein andermal mehr..." 
Die abschließende Ankündigung wird dann ein paar Monate später in "Schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr" – wiederum ein Text, den ich ursprünglich als Wochenkommentar für Radio Horeb verfasst habe – teilweise eingelöst: Hier wird erstmals explizit die Frage aufgeworfen, "ob es [...] überhaupt noch sinnvoll ist, die Schüler pauschal nach Jahrgangsstufen zum Erstkommunion- und Firmunterricht antreten zu lassen. Ob man nicht besser daran täte, stattdessen die Familienkatechese zu stärken – sowohl im Sinne von 'Katechese für Familien' als auch im Sinne von 'Katechese in der Familie'": 
"Beides sollte idealerweise Hand in Hand gehen. Katholische Eltern müssen sich bewusst sein, dass es Bestandteil ihres Eheversprechens ist, ihre Kinder im Glauben der Kirche zu erziehen, und Aufgabe der Kirche – zuallererst in Gestalt der örtlichen Pfarrei – ist es, ihnen einerseits diese Verantwortung bewusst zu machen und ihnen andererseits Hilfestellung zu geben, um dieses Versprechen erfüllen zu können. Eltern dazu zu befähigen, selbst die ersten und vorrangigen Katecheten für ihre Kinder zu sein, ist indes keine Aufgabe, die man mittels eines vier- oder sechswöchigen Kurses ein für allemal abhaken könnte, sondern ein permanenter Prozess, in dem sich die Familien in einer Pfarrgemeinde gegenseitig unterstützen sollten, etwa in Form von Hauskreisen. Natürlich würde ein derart umfassendes Modell von Familienkatechese einen radikalen Mentalitätswandel bei jenen voraussetzen, die daran gewöhnt sind, die institutionelle Kirche als Dienstleister zu betrachten. Mancher wird es als Zumutung zurückweisen, sich selbst um die religiöse Unterweisung seiner Kinder kümmern zu sollen. Die Frage ist jedoch, ob die Kirche gut beraten ist, auf solche Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen."

Unter Verweis auf Father James Mallons Buch "Divine Renovation – Wenn Gott sein Haus saniert" fügte ich hinzu: "Pastoral, das kann nicht deutlich genug betont werden, heißt Hirtendienst, und die wichtigste Aufgabe des Hirten [...] ist es, seine Herde auf die Weide zu führen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, kann er sich nicht an denjenigen orientieren, die gar keinen Hunger haben." 

Halten wir fest: Mit dieser Vision einer fortlaufenden Familienkatechese hätten wir schon mal einen Ansatz zur Überwindung des real existierenden Elends der Vorbereitungskurse zur Sakramentenspendung; viel mehr als ein Ansatz ist es indes zugegebenermaßen nicht. Da wäre zweifellos noch Vieles zu durchdenken und zu konkretisieren; allerdings bin ich überzeugt, dass ein nicht unwesentlicher Teil dieser Konkretisierung nur in der Praxis, durch Versuch und Irrtum, geschehen kann. Was das betrifft, hätte ich anno 2019 zweifellos erwartet, heute schon weiter zu sein; aber dann kam erst Corona, dann unser Ausstieg aus der Mitarbeit in der Pfarrei Herz Jesu Tegel, und die Pfarreifusionen haben die Bedingungen für die Basisarbeit auch nicht gerade verbessert. Von daher ist es nicht unbedingt überraschend, dass neuere Beiträge, die das Thema Erstkommunion ansprechen, sich eher auf die Kritik an den bestehenden Zuständen konzentrieren als auf konkrete Vorschläge, was man anders und besser machen könnte. 

Immerhin wird in "Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #16" (September 2021) – im Zuge der Besprechung eines Blogartikels von Micah Murphy mit dem bezeichnenden Titel "Butts in the Pews: The Sacraments As Marketing" – die grundsätzliche Kritik daran, "die Kinder jahrgangsweise zur Erstkommunion-Vorbereitung zu schicken", aufgegriffen und vertieft: "Mir drängt sich da das Bild eines Fließbands auf, auf dem die Kinder jahrgangsweise die einzelnen Stationen der Sakramentenmaschine durchlaufen." Und ich gebe zu bedenken:

"Kinder entwickeln sich unterschiedlich schnell, und dass die Entwicklung ihres religiösen Verständnisses sehr stark davon abhängig ist, welche Rolle Religion im Alltag ihrer Familie spielt, wird wohl niemand bestreiten. Wenn nun also manche Kinder schon erheblich früher "so weit sind" als andere -- wieso muss man sie warten lassen
Wenn nun jemand einwenden möchte, für eine flexiblere und individuellere Regelung des Zugangs zu den Sakramenten sei die Kirche als Organisation schlichtweg zu groß, dann kann ich nur erwidern: Na, das Problem wird sich hierzulande ja wohl bald erledigt haben."
Ebenfalls noch einmal verschärft wird in diesem Artikel die Kritik am "volkskirchentypische[n] Minimalismus" in der Katechese; dieser sei "eine self-fulfilling prophecy":
"Wenn man sein gesamtes katechetisches und pastorales Angebot auf eine Zielgruppe ausrichtet, von der man - ob zu Recht oder zu Unrecht - annimmt, dass es sie eigentlich sowieso nicht interessiert, braucht sich keiner zu wundern, wenn dabei etwas herauskommt, was niemanden interessiert." 

Vielleicht nur als Kuriosität, vielleicht aber doch auch als interessanten Denkanstoß gerade unter den Bedingungen des "Schmutzigen Schismas", kann man betrachten, was ich im Herbst 2010 – im Rahmen der "Kaffee & Laudes"-Folge zur 30. Woche im Jahreskreis – als Lektürenotiz zu einer biographischen Skizze über den Priester Friedrich Radek (1884-1964) festhielt: In Stralsund, wo er ab 1922 Pfarrer war, baute Radek das St.-Josephs-Stift zu einer "Kommunikantenanstalt" für "80-100 Kinder" aus; fortan wurden dort "Jungen und Mädchen aus den entlegenen Dörfern Vorpommerns für einige Monate aufgenommen und auf die Erstkommunion vorbereitet. Einige der Kinder hatten noch nie eine katholische Kirche gesehen, geschweige denn am Religionsunterricht teilgenommen". Ich merkte an: "Nun stelle man sich mal vor, jemand würde heutzutage den Vorschlag wagen, die Erstkommunionvorbereitung für kirchenfern aufgewachsene Kinder auf solche Art zu organisieren..." 

In einer anderen Folge der Reihe "Kaffee & Laudes" – vom 16.09.2019 (24. Woche im Jahreskreis) – wird anhand anekdotischer Beispiele problematisiert, wie isoliert die Erstkommunionvorbereitung vielfach vom übrigen Gemeindeleben ist: Zuerst wird erwähnt, wie eine ungenaue bzw. missverständliche Eintragung im Online-Zelebrationsplan von Herz Jesu Tegel fälschlich den Eindruck erweckte, die Legio Mariae gestalte einen Wortgottesdienst für den Erstkommunionkurs: "DAS finde ich ja mal innovativ! Ich ahnte allerdings gleich, dass da etwas nicht stimmen kann." Und weiter unten heißt es dann, der nächste Termin des besagten Erstkommunionkurses finde "parallel zum Krabbelbrunch" statt, den meine Liebste damals einmal im Monat anbot – "und zwar im Nebenraum. Man darf gespannt sein, was für Synergieeffekte sich daraus womöglich ergeben." Spoiler: Es ergaben sich keine. Als sich dieselbe Konstellation ein paar Monate später (im Februar 2020, also kurz vor dem "Lockdown") wiederholte, konkretisierte ich meine Hoffnung auf "Synergieeffekte" in den Worten "Dann sehen die mal, was wir hier veranstalten, dachte ich mir, und vielleicht haben einige der Erstkommunionkinder ja noch jüngere Geschwister", stellte dann jedoch fest: "Der Haken an dieser Überlegung ist allerdings die (wahrscheinlich nicht nur) in dieser Gemeinde tief verwurzelte Angewohnheit, dass jeder sich nur um seinen Kram kümmert und sich nicht dafür interessiert, was andere Gruppen machen." 

Zu guter (oder vielleicht nicht so guter) Letzt sei noch auf zwei "Lehrbuchbeispiel[e] für gescheiterte religiöse Sozialisation" verwiesen, die nicht aus meinem persönlichen Erfahrungsbereich stammen, sondern die ich "in den Medien" vorgefunden habe. In den "Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #18" (Oktober 2021) wird in der Rubrik "Linktipps" ein auf Credo Online veröffentlichtes, in Interviewform gestaltetes Glaubenszeugnis einer Frau namens Sabrina, die im Alter von 32 Jahren das Sakrament der Firmung empfangen hat, gewürdigt. Über ihren "christliche[n] Background" berichtet Sabrina: 

"Ich wurde katholisch getauft, das haben meine Eltern so entschieden [...]. Meine Erstkommunion wurde über die Schule organisiert. So richtig gefeiert wurde die aber zu Hause gar nicht. Vermutlich weil meine Eltern sich kurz zuvor scheiden lassen hatten und dann gab es wohl wichtigere Dinge."  

Wozu ich anmerkte: 

"Man mag sich fragen, ob Sabrina angesichts dieser familiären Situation wohl überhaupt zur Erstkommunion gegangen wäre, wenn diese nicht "über die Schule organisiert" worden wäre; aber ich tue mich ehrlich gesagt schwer damit, das als einen Pluspunkt für das landläufige System der Erstkommunion-Vorbereitung zu verbuchen  Bei der Firmung jedenfalls funktionierte dieses System dann nicht mehr" – 

nämlich weil Sabrina wegen eines Umzugs den für ihre Jahrgangsstufe vorgesehenen Termin für die Firmung verpasste und die nächste Gelegenheit erst zwei Jahre später gewesen wäre; da fühlte sie sich aber schon zu alt, um zusammen "mit den zwei Jahre jüngeren Kindern" den Firmkurs zu absolvieren – das wäre "ziemlich uncool gewesen." 

Und in "Camino de Willehado: Der Prophet im eigenen Land (Teil 1 von 3)"  aus dem Frühsommer 2021 – wiederum einem Artikel, in dem es eigentlich bzw. hauptsächlich um ganz andere Themen geht – ist gegen Ende von "einem Beitrag zum Thema Erstkommunion" die Rede, "den die Social-Media-Abteilung des Erzbistums Hamburg [...] auf Instagram und Facebook veröffentlicht hat [...]. Darin wird die Erstkommunion eines Mädchens aus Sicht ihrer Mutter kommentiert" – die ihre Entscheidung, trotz einer eher kritisch-distanzierten Haltung zur Kirche ihr Kind zur Erstkommunion gehen zu lassen, wie folgt begründet: 

"Weil unsere Gemeinde klasse ist. Weil in unserer Kirche getanzt, gelacht und geklatscht wird. Aber auch, weil es ein Zeichen ist. All die religiösen Geschenke und der Blumenkranz im Haar sind eine Tür. Da gibt es noch was. Da ist diese Kraft. Diese Liebe. Das Göttliche. Ist da und liebt. Immer."  

Dazu merkte ich an: 

"Tanzen, lachen und klatschen, und irgendwie ist da dann noch eine Tür zu irgendwas Göttlichen – darum geht's also bei der Erstkommunion? -- Gewiss: Wenn man davon ausgeht, dass dieser Text die authentischen Empfindungen und Wahrnehmungen einer Erstkommunion-Mutter widerspiegelt, dann ist er ein Dokument, das man zur Kenntnis nehmen sollte – und das zu denken geben sollte. Wenn eine Bistumsredaktion diesen Text aber ohne jeden Kommentar, ohne jede Einordnung für ihre mediale Selbstdarstellung nutzt, ja geradezu zur Eigenwerbung einsetzt, muss man sich schon fragen, ob die eigentlich noch alle Latten am Zaun haben." 

– Nun ist dieses Dossier ganz schön umfangreich geraten; kommen wir also langsam mal zum Schluss: Ich hoffe deutlich gemacht zu haben, dass ich das Anliegen, die Praxis der Erstkommunionvorbereitung und -spendung von Grund auf zu reformieren, als ausgesprochen dringlich betrachte. Den in einigen meiner früheren Blogartikel zu diesem Thema angeklungenen Ansatz einer umfassenden, fortlaufenden Familienkatechese, die die landläufige Form der Erstkommunion- und Firmkurse zunächst ergänzen und auf mittlere Sicht ersetzen könnte und sollte, halte ich nach wie vor für richtungsweisend – und möchte hinzufügen, dass ich gerade unter den Bedingungen des "Schmutzigen Schismas" infolge des "Synodalen Wegs" ein großes Potential dafür sehe. Ich räume allerdings ein, dass dieser Ansatz vorläufig im Ideenstadium steckengeblieben ist und noch der Ausgestaltung zu einem praxistauglichen Konzept harrt. Darauf wird also in Zukunft noch zurückzukommen sein. 

Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass wir uns dem siebten Jahrestag jenes Straßenfests nähern, das meine Liebste und mich zu unserem gemeinsamen Konzept von "Punkpastoral" inspiriert hat; es erscheint mir daher sinnvoll, das neu entwickelte "Dossier"-Format als nächstes dazu zu nutzen, einmal einigermaßen übersichtlich zusammenzufassen, was wir unter der Bezeichnung "Punkpastoral" verstehen und warum wir unser Konzept so genannt haben. Und dann schauen wir mal, was es auf diesem Blog sonst noch so an häufig wiederkehrenden und darum "dossierwürdigen" Themen gibt...! 


Sonntag, 28. Mai 2023

SoulKitchen: Aus dem Küchentagebuch eines Familienvaters

Gut fünf Jahre ist es her, dass ich unter dem Reihentitel "SoulKitchen" das Projekt einer Gastkolumne auf dem Blog meiner Liebsten in Angriff nahm, mit der Themenbeschreibung "Suse kocht und Tobi bloggt darüber (in Zukunft aber vielleicht auch mal umgekehrt...)". Über vier Folgen im Laufe eines Monats kam die Artikelserie seinerzeit nicht hinaus, aber die Grundidee, wie ich sie seinerzeit beschrieb, finde ich nach wie vor gut: 

"Seit Suse und ich tatsächlich so etwas wie ein Familienleben haben, haben wir immer mal wieder untereinander diskutiert, ob (und wenn ja, wie) wir nicht auch in unseren Blogs stärker unseren Alltag thematisieren sollten. Also quasi Einblicke geben in das Leben punk-affiner junger Dunkelkatholiken, oder so." 

Nun könnte man sagen, dass Teile dieser Grundidee in das Konzept meiner "Wochenbriefings" eingeflossen sind – nur der Aspekt mit dem Kochen eher nicht so sehr. Dabei gäbe es zu diesem Thema durchaus eine ganze Menge zu sagen, zumal ich seit nunmehr schon rund zweieinhalb Jahren zum Chefkoch meiner Familie avanciert bin. 

Wie es dazu kam, ist schnell erzählt: Es war November 2020, Corona-Zeit, und meine Liebste war im 5. Monat schwanger mit unserem zweiten Kind, als ihre Frauenärztin wegen erhöhten Frühgeburtsrisikos ein Beschäftigungsverbot über sie verhängte und sie ermahnte, sich die nächsten Monate strikt zu schonen und nach Möglichkeit Bettruhe zu halten. Daraus ergab sich die Frage, was ich – abgesehen davon, dass ich tagsüber möglichst viel mit unserer zu diesem Zeitpunkt gerade dreijährigen Tochter unternahm – tun könnte, um meine Liebste im Haushalt zu entlasten. Ein Gedanke hierzu, der sich mir ziemlich spontan aufdrängte, lautete: Ich könnte kochen lernen!  Das entlastet nicht nur die Frau, sondern auch die Haushaltskasse, jedenfalls im Verhältnis dazu, auf Fertiggerichte und/oder Lieferservice angewiesen zu sein. Es heißt ja nicht ohne Grund "Eigener Herd ist Goldes wert". Außerdem wollte ich eigentlich sowieso schon immer kochen können. Es ist auch nicht so, dass ich vorher nie gekocht hätte, aber ich würde meine Vorkenntnisse doch als ziemlich bescheiden bezeichnen. 

Nun jedoch widmete ich mich meiner Aufgabe mit Ehrgeiz und Enthusiasmus. Während des ersten Monats meiner Karriere als Küchenchef der Familie gab es an drei Tagen mitgebrachtes Essen von den Schwiegereltern, einmal ein Fertiggericht aus dem Tiefkühlregal und an fünf Tagen Aufgewärmtes vom jeweiligen Vortag; an allen anderen Tagen kochte ich – insgesamt 21 verschiedene Gerichte. Zugegeben, darunter waren auch ganz simple Sachen wie Spaghetti mit Thunfisch oder Toast Hawaii, aber dabei blieb es nicht lange. Das erste vom Zubereitungsprozess her aufwändigere Gericht, an das ich mich herantraute, war Beef Barley Soup nach einem Rezept von Simcha Fisher (deren Artikelserie "What's for Supper?" auch über konkrete Rezeptideen hinaus eine wichtige Inspirationsquelle für meine Küchenkarriere war und ist), das erste mit einem Namen und Aussehen, mit dem man angeben kann, Coq au Vin. (Ich habe den Film "Kokowääh" von und mit Til Schweiger zwar nie gesehen, aber so viel hatte ich dann doch davon mitbekommen, dass der Film deshalb so heißt, weil Coq au Vin das einzige Gericht ist, das der von Schweiger gespielte Charakter kochen kann; "Dann kann das ja nicht so schwer sein", sagte ich mir, und war's auch nicht.) 


Weitere Highlights des ersten Monats waren: 



Das Foto ist zugegebenermaßen erst bei einer späteren Gelegenheit entstanden. Mein erster Shepherd's Pie sah nicht so fotogen aus. Geschmeckt hat er trotzdem. 

In dieser Anfangszeit war ich noch sehr zurückhaltend damit, vorgefundene Rezepte zu variieren, geschweige denn, ohne Rezept einfach mal draufloszukochen. Das hatte den einfachen Grund, dass ich so wenig von den fundamentalsten Grundregeln des Kochens verstand, dass ich mir nie sicher war, ob das jeweilige Gericht überhaupt noch genießbar sein würde, wenn ich mich nicht genau an die Mengenverhältnisse der Zutaten, die Kochzeiten usw. hielte. Das Selbstvertrauen, Dinge "einfach mal auszuprobieren", stellte sich erst mit einer gewissen Erfahrung ein, und so kam ich nach und nach dahinter, dass es nicht unbedingt immer von Nachteil ist, Zutaten wegzulassen oder durch andere zu ersetzen, Mengenangaben eher freihändig zu handhaben oder Tipps und Tricks, die man in einem Rezept entdeckt hat, auf ein anderes zu übertragen. Irgendwann war ich dann an dem Punkt, dass ich ein Rezept las und spontan dachte "Das würde ich anders machen". Das möchte ich ganz unironisch als einen bedeutenden Entwicklungsschritt beim Kochenlernen bezeichnen.

Dieser Zuwachs an Selbstsicherheit beim Kochen hatte verschiedene, in gewissem Sinne gegenläufige Auswirkungen: Einerseits ging ich dazu über, öfter mal ohne Rezeptvorlage zu kochen, andererseits traute ich mich zunehmend auch an Rezepte heran, die ich noch kurz zuvor als zu anspruchsvoll eingeschätzt haben würde. Bœuf Stroganoff zum Beispiel. 

Es dauerte dann nicht mehr lange, bis meine Liebste mir attestierte, besser zu kochen als sie. Ich erwähne das nicht, um anzugeben, sondern eher als Ermutigung: Wenn ich es durch pures Ausprobieren lernen kann, aus preiswerten und überall erhältlichen Zutaten leckeres Essen zuzubereiten, dann kannst Du das auch, Leser. Inzwischen würde ich sogar selbst sagen, dass mein selbst gekochtes Essen mir am besten schmeckt, oft sogar besser als im Restaurant. Wobei ich nicht verhehlen will, dass es immer noch gelegentlich mal vorkommt, dass mir ein Gericht misslingt. Aber auch das kann eine wertvolle Erfahrung sein.

Mein Freund Rod Dreher zitiert in seinem Buch "Crunchy Cons" die Ernährungsberaterin Kathy O'Brien mit dem schönen Satz "Kultur beginnt in der Küche, nicht im Opernhaus". Indessen zeigt Rod in diesem Buch auch auf, dass es kein Zufall ist, dass so viele Angehörige unserer Generation als Kinder oder Jugendliche nicht Kochen gelernt haben: Dies rührt – so meint Rod – schlicht und einfach daher, dass die Generation unserer Eltern darauf konditioniert wurde, Hauswirtschaft und Nahrungszubereitung nicht mehr als wertvolle Fertigkeiten zu betrachten, die es an die Kinder weiterzugeben gelte. Insbesondere Frauen aus der Arbeiterklasse wurden seit den 1950er-Jahren mit einer "Besser leben durch Chemie"-Propaganda bombardiert, die ihnen einredete, "traditionelles Kochen sei eine Plackerei und industriell gefertigte Nahrung ein Statussymbol". Wie Rod weiter ausführt, gab es handfeste wirtschaftliche Gründe dafür, den Hausfrauen das Kochen abzugewöhnen. "Das Gebot des Komforts, der Bequemlichkeit und der Erschwinglichkeit - mit anderen Worten: Effizienz über alles - hat eine enorme, und enorm lukrative, [...] Nahrungsmittelindustrie geschaffen. Und so leben wir heute unser kulinarisches Leben: schnell, billig und unkontrolliert." Was bei dieser Industrialisierung des Ernährungswesens jedoch vergessen wurde, ist, dass "Essen nicht nur den Körper ernährt; Essen - und auch die Rituale, die mit seiner Zubereitung einhergehen - nährt auch etwas in der menschlichen Seele."

Folgerichtig fehlt der menschlichen Seele etwas, wenn das Essen auf die bloße Funktion der Nahrungsaufnahme reduziert und schnell und schlampig nebenbei erledigt wird. – In einem "Werkheft" der Katholischen Landjugendbewegung Bayerns zum Thema Ernährung, das ich mir mal habe zuschicken lassen, bricht auch die stellvertretende Landesbayerin, äh, -bäuerin Bayerns, Christine Singer, eine Lanze für gemeinsame Mahlzeiten im Familienkreis: 

"[G]emeinsames Essen soll auch ein Genusserlebnis für die ganze Familie sein. Zudem stärkt gemeinsames Essen das Miteinander. [...] Wir verbringen Zeit miteinander -- das Wertvollste, was wir uns als Familienmitglieder schenken können." (S. 64)  

Man könnte das für etwas banal halten, aber möglicherweise ist es das gar nicht. In seinem Buch "Bowling Alone" aus dem Jahr 2001 stellte der US-amerikanische Soziologe Robert D. Putnam fest, dass der Anteil seiner Landsleute, die regelmäßig im Kreise der Familie zu Abend essen, seit 1975 um ein Drittel zurückgegangen sei. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die Entwicklung hierzulande in eine ähnliche Richtung geht.

– Soweit die unvermeidliche Reflexionspassage zwischendurch; kommen wir nun aber noch einmal zurück zu praktischen Erfahrungen mit dem Kochen. Etwas, worauf ich von allein sicherlich nie gekommen wäre, sind Backofengerichte, für die man außer eines Backblechs kein weiteres Kochgeschirr benötigt. Neben dem schon erwähnten Rosenkohl mit Schinken und Ei wären hier z.B. noch 



zu nennen. – Eine andere Rezeptkategorie, die ich sehr schätzen gelernt habe, sind Eintöpfe. Einerseits kann man ein denkbar simples Grundrezept – Speck u./o. grobe Wurst (z.B. Schinkenknacker) anbraten, Kartoffeln u.o. diverses Wurzelgemüse dazugeben, ein paar Minuten anrösten, dann Wasser oder Brühe dazugeben und alles köcheln lassen, bis das Gemüse weich ist, ggf. im Laufe der Kochzeit noch weiteres Gemüse, das schneller gar wird, hinzufügen; mit diversen Gewürzen abschmecken; fertig – immer wieder mit verschiedenen Zutaten variieren, andererseits habe ich im Laufe der Zeit aber auch eine Vielzahl von Eintopfgerichten aus aller Herren Länder ausprobiert, wie zum Beispiel: 



  • und last not least ein traditionelles Gericht aus dem "Butjenter Kokbook", das auf den eher wenig appetitlich klingenden Namen "Wuddeldick" hört. 

"Wuddeldick" besteht in etwa zu gleichen Teilen aus Schweinefleisch, Kartoffeln und Möhren, dazu kommt Wasser zum Kochen, Salz und Pfeffer, und wenn der Eintopf fertig gekocht ist, wird er mit Apfelmus verfeinert. Was die Frage der Gewürze angeht, fühlte ich mich allerdings an einen häufig geäußerten Stoßseufzer meines früh verstorbenen Vaters erinnert: "Die Butjenter kennen nur Pfeffer und Salz!" Er selbst stammte aus Schlesien und brachte glücklicherweise auch meiner Mutter bei, insbesondere Fleischgerichte etwas abwechslungsreicher zu würzen. In Gedenken daran variierte ich auch das "Wuddeldick"-Rezept ein wenig. 

Und da wir gerade über Gewürze reden: Das Mulligatawny Chicken Soup-Rezept, das ich benutzte, schrieb vor, statt irgendeines 08/15-Currypulvers aus dem Supermarkt eine Gewürzmischung aus Garam Masala, Kreuzkümmel, Kurkuma, Salz und etwas Chilipulver zu verwenden. Das Ergebnis überzeugte mich so sehr, dass ich diese Gewürzmischung seither auch für allerlei andere Gerichte mit Hähnchenfleisch verwendet habe. Irgendwo hat das Prinzip "Zutaten selber machen, statt sie fertig zu kaufen" aber auch Grenzen. In irgendeinem Rezept, ich weiß gar nicht mehr für welches Gericht, stolperte ich über die Zutat Hoisin-Sauce, garniert mit dem Hinweis, dass man diese auch selbst herstellen könne. Spannend, dachte ich, folgte dem Link zum Rezept für Hoisin-Sauce und fand unter dem Zutaten eine Five Spices genannte Gewürzmischung, wiederum garniert mit dem Hinweis, dass man diese auch selbst herstellen könne. Toll, dachte ich, und wenn ich schon mal dabei bin, kann ich vielleicht auch noch die Pfanne selber schmieden. Oder auch nicht. Aber das mit dem Fünf-Gewürze-Pulver und der Hoisin-Sauce probiere ich vielleicht mal aus. Irgendwann. 

Und à propos Pfanne: Backblech hin, Suppentopf her, ist und bleibt mein Lieblings-Küchengerät eine große Pfanne mit hohem Rand, die man auch als Auflaufform benutzen kann. Wenn einem mal gar nichts einfällt, schmeißt man einfach diverse Zutaten, die man mag und die zusammen passen, in die Pfanne, brät sie an, löscht sie wahlweise mit Brühe, Sahne, passierten Tomaten oder einer Mischung daraus ab, und je nach Laune kann man dann noch Käse, Ei oder Semmelbrösel drüber geben und das Ganze zum Überbacken in den Ofen schieben. 

Beim Stichwort "Zutaten, die man mag" geht es innerfamiliär allerdings nicht ganz ohne Kompromisse ab. Ich mag zum Beispiel Pilze und Bohnen, meine Tochter nicht. Aber immerhin, wenn ich mal überlege, welche Speisen alle Familienmitglieder mögen, dann kommt doch so Einiges zusammen; in assoziativer Reihenfolge: 
Brokkoli, Blumenkohl, Spinat, Zucchini, Avocado, Möhren, Mais, Reis, Nudeln, Kartoffelbrei, Speck, Fleischwurst, (Rinder-)Hackfleisch, Hähnchenfleisch, Eier, Käse, Thunfisch, Lachs. 

Damit lässt sich doch schon was anfangen! – Ein ganz eigenes Thema ist es, gemeinsam mit den Kindern zu kochen oder zu backen; ich schätze, darauf komme ich mal in einem separaten Artikel zu sprechen. Für diesmal möchte ich schließen mit einem schönen Zitat von Max Goldt (aus "Bossa Nova im Schatten des Telespargels", 1989): 

"Die Natur schenkt uns köstliche Früchte etc. Diese zum falschen Zeitpunkt zu ernten, sie falsch zu lagern oder schlecht zuzubereiten, ist ein Vergehen an der Schöpfung, glatte Blasphemie. Jeder, der einigermaßen herumgekommen ist, weiß, daß in atheistischen Staaten ausgesprochen schlecht gekocht wird, weil der Respekt vor den Gaben Gottes fehlt. Anders ausgedrückt: Gut zu kochen ist praktiziertes Christentum." 

 

Donnerstag, 25. Mai 2023

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #31

Herzlich willkommen zum letzten Wochenbriefing der diesjährigen Osterzeit: Pfingsten steht vor der Tür, und dann treten wir ein in die Zeit im Jahreskreis – die ordinary time, wie sie in der englischsprachigen Welt heißt. Ich erlaube mir daher, diesmal noch einmal ein Symbolbild mit österlicher Thematik zu verwenden: 

Gesehen im Schaukasten der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Falkensee

Besonders spektakuläre Neuigkeiten aus meinem persönlichen Erlebnisbereich habe ich diese Woche nicht zu bieten, jedenfalls nicht in den üblichen Hauptrubriken des Wochenbriefings; ich verspreche aber, dass es trotzdem nicht langweilig wird. Und damit genug der Vorrede! 


Tagesreste 

Am Freitag nach Christi Himmelfahrt hatte meine Liebste Brückentag, d.h. sie musste nicht zur Arbeit; und eigentlich war ihr Plan, früh aufzustehen, die Kinder einzupacken und mit ihnen in einen ungenannten Freizeitpark im Umland von Berlin zu fahren, derweil ich zu Hause bleiben, die "sturmfreie Bude" genießen und mich meinen diversen Schreibarbeiten widmen wollte. Wer diesem Plan einen Strich durch die Rechnung machte, waren die Kinder. Die wollten nämlich nicht früh aufstehen, besonders unser Jüngster nicht. Da der Aufbruch sich auf diese Weise mehr und mehr hinauszögerte, fasste meine Liebste irgendwann den Entschluss, wir könnten ja auch erst mal alle zusammen in Ruhe frühstücken. Während des Frühstücks dämmerte es mir, dass der Zug für einen gleichermaßen erholsamen wie produktiven "Allein-zu-Hause-Tag" wohl schon so ziemlich abgefahren war, und als meine Liebste sagte, auch wenn es jetzt schon ein paar Stunden später sei als geplant, wolle sie trotzdem noch mit den Kindern in diesen Freizeitpark, fand ich, eigentlich könnte ich ja auch dorthin mitkommen. Ein erstaunlicher Entschluss, wenn man bedenkt, dass die spezifische Art von Reizüberflutung, der solche Orte auszeichnet, pures Gift für mein Nervenkostüm ist; aber ich hatte einfach Lust, den Tag mit meiner Familie zu verbringen. 

Machen wir's kurz: Ich hatte reichlich Gelegenheit, diese Entscheidung zu bereuen. Offensichtlich hatten eine ganze Menge Leute Brückentag: Der Freizeitpark war völlig überfüllt, was die Atmosphäre noch erheblich unerträglicher machte als sowieso schon; wir mussten ewig und drei Tage Schlange stehen, um zweimal Raupenbahn und einmal Traktor zu fahren, und dann wurde es auch schon Zeit, den (mehr oder weniger) geordneten Rückzug anzutreten. Immerhin war das Wetter schön, weshalb wir uns entschieden, zu Fuß zum Bahnhof zu zockeln, statt auf den Bus zu warten; und auf diesem Spaziergang machten wir eine Entdeckung, für die sich der ganze Trip dann doch gelohnt hat und die auch der eigentliche Grund ist, weshalb ich das Ganze hier erwähne: Wir kamen an einer Wiese vorbei, auf der ein ausrangierter Eisenbahnwaggon stand – der, wie wir auf den zweiten Blick feststellten, zu einem Café ausgebaut ist. Da kehrten wir ein, bestellten Kaffee für die Erwachsenen, Apfelschorle für die Kinder und Käsebrot für alle. 


Dieses Bild haben zwar nicht meine Kinder gemalt, aber finde, es charakterisiert die Location recht gut. 

Feste Preise für Speisen und Getränke gab es übrigens nicht, nur die Bitte um eine Spende in freiwilliger Höhe; und auf den zweiten Blick stellten wir fest, dass dieses Café – das den stimmigen Namen Zwischenhalt – von der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Elstal betrieben wird. Mal wieder ein Anlass, mit Manfred Siebald zu singen und zu sagen: Überall hat Gott seine Leute...! Wir unterhielten uns gut mit den Mitarbeitern des Cafés, die Käsebrote waren echt lecker, für die Kinder gab es eine Spielecke und Ausmalbilder. Insgesamt ein tolles und, wie ich finde, sehr #benOppiges Projekt; da gehen wir bestimmt mal wieder hin, wenn wir in der Gegend sind. 

Was übrigens die Frage der ökumenischen Zusammenarbeit angeht, bin ich mir nicht ganz sicher, ob Elstal territorial zu "unserer" Großpfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland oder zur benachbarten Pfarrei St. Bonifatius Nauen-Brieselang gehört. Diese Unsicherheit rührt zu einem wesentlichen Teil daher, dass die katholische Kirche in Elstal (und in der gesamten Gemeinde Wustermark) generell nicht sichtbar präsent ist. Die nächsten katholischen Kirchenstandorte sind einerseits die Kapelle St. Johannes der Täufer in Dallgow-Döberitz (die gehört zu "unserer" Pfarrei) und andererseits St. Marien in Brieselang. 

Ebenfalls am Freitag begann die Pfingstnovene, was mich dieses Jahr irgendwie ziemlich überraschend traf. Anno 2019 hatten meine Liebste und ich eine selbst gestaltete Pfingstnovene (mit Lobpreismusik, versteht sich) in Herz Jesu Tegel abgehalten, 2021 dann eine überarbeitete und aktualisierte Fassung dieser Novene online veröffentlicht. Dieses Jahr habe ich es gerade mal mit Hängen und Würgen hingekriegt, eine abermals überarbeitete Fassung derselben Novene tageweise auf der Mittwochsklub-Facebookseite zu posten. Na gut: Vielleicht ist es ja nächstes Jahr an der Zeit, eine komplett neu gestaltete Novene in einer der Kirchen der Großpfarrei Heilige Familie öffentlich vorzubeten... 

Am Sonntag waren wir in St. Joseph Siemensstadt in der Messe – diesmal hatten wir keine Schwierigkeiten, pünktlich dorthin zu gelangen –, und in den Vermeldungen wurde darauf hingewiesen, dass am Dienstag eine öffentliche Sitzung des Gemeinderats für die Gemeindeteile St. Joseph und St. Stephanus (Siemensstadt/Haselhorst) stattfinde. Da sagte ich mir: Wenn schon extra darauf hingewiesen wird, dass die Sitzung öffentlich ist, dann gehe ich da auch hin und repräsentiere die Öffentlichkeit. 

Im Vergleich dazu, was für Erfahrungen ich bisher (nicht nur in Tegel) mit Gremienarbeit in Pfarrgemeinden gemacht habe, empfand ich die Atmosphäre bei dieser Sitzung als ausgesprochen erfreulich. Es war zwar durchaus zu spüren, dass dieselben Probleme, wie es sie auch in anderen Pfarreien gibt – Mangel an Ehrenamtlichen, ein Übermaß an Bürokratie, Interessenkonflikte und Mentalitätsunterschiede zwischen den Gemeindeteilen der neuen Großpfarrei – auch hier für Frustration und eine gewisse Desillusioniertheit sorgen, aber von Mut- unf Lustlosigkeit war dennoch nichts zu spüren. Der Umgangston war locker, freundlich, teilweise sogar ausgesprochen heiter. – Erst gegen Ende der Sitzung wurde die Stimmung etwas hitzig, nämlich als Kritik an der Präsenz von Maria 1.0-Plakaten in den Schaukästen und an den Schwarzen Brettern der Pfarrei geäußert wurde. Eine Dame aus dem Gemeinderat, übrigens (wie ich am Rande mitbekam) studierte Religionspädagogin, war der Meinung, wenn diese Plakate ausgehängt würden, müsse man fairnesshalber auch Plakate von Maria 2.0 aushängen. Mehrere andere Sitzungsteilnehmer widersprachen dieser Auffassung und betonten, zwischen einer Gruppe, die für die Lehre der katholischen Kirche eintrete, und einer, die gegen diese Lehre agitiere, könne es keine Äquivalenz geben. Ich hatte allerdings nicht den Eindruck, dass dieser Einwand bei der Religionspädagogin ankam; nicht nur, dass er sie nicht überzeugte, ich glaube vielmehr, dass sie ihn nicht einmal verstand. (Ich will an dieser Stelle indes nicht verschweigen, dass dieselbe Dame in früheren Abschnitten der Sitzung – etwa als es um die Frage ging, wie man mehr Gemeindemitglieder zur Mitarbeit motivieren könne – einen ausgesprochen positiven Eindruck auf mich gemacht hat.) 

Mit Bezug auf die Tegeler Pfarrei gibt es nicht viel Neues, aber für das Wenige, was es da Neues gibt, möchte ich in eine neue Rubrik einführen, nämlich den 

WTF-Moment der Woche 

Am Dienstagnachmittag, während ich mit den Kindern unterwegs war, meldete mein Mobilgerät mir den Eingang einer eMail – und zeigte als Absender den Namen des Tegeler Pfarrers an. Im ersten Moment dachte ich natürlich, jemand hätte ihm gesteckt, was ich so über ihn blogge, und er wollte sich nun beschweren. Aber eigentlich ist es gar nicht seine Art, wegen so etwas eine Mail zu schreiben; in der Vergangenheit hat er meistens nicht einmal auf die Mails geantwortet, die ich ihm geschrieben habe. Tatsächlich trug die Nachricht den verdächtig unverdächtigen Betreff "Grüße" – und war von Google mit einer Phishing-Warnung versehen worden, wegen einer verdächtigen Adresse, die dieser Absender sonst nie verwende. Die Nachricht selbst war so unspezifisch, dass sie in der Tat den Eindruck erweckte, automatisch generiert zu sein: 

Zugegeben, der Satz "Ich brauche Ihre Hilfe" erregte meine Aufmerksamkeit. Das ist aber auch kein Wunder: Mir hat mal jemand erklärt, der Mensch sei evolutionär darauf gepolt, dass eine explizite Bitte um Hilfe eine starke Reaktion auslöst – weil gegenseitige Hilfsbereitschaft wichtig für das Überleben der Spezies ist. Ich schätze, die Ersteller von Phishing-Mails wissen das auch, und deshalb steht der Satz da. Die "Segenswünsche" am Ende sind hingegen wiederum ein deutliches Indiz gegen die Echtheit der Mail; das deutlichste Indiz ist indes die Absenderadresse. Also, Leser, wenn Ihr demnächst eine mit dem Namen Eures örtlichen Pfarrers unterzeichnete Mail von der Adresse ourparishpriest001 erhaltet: Lieber nicht drauf antworten...! 


Neues aus Synodalien 

In dieser Rubrik habe ich diesmal nichts "Selbsterlebtes" zu bieten, sondern "nur" Kommentare zu Äußerungen "aus den Medien". Das aber dafür nicht zu knapp. Es handelt sich um folgende drei Themen: 

  • Bischof Bätzing und die Mehrheit der Gläubigen 

Georg Bätzing, Bischof von Limburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, hat in einem umfangreichen Interview zu Fragen der Umsetzung von Beschlüssen des Synodalen Wegs Stellung genommen. Wem hat er dieses Interview gegeben? Seinem eigenen Pressesprecher; erschienen ist es auf der Website des Bistums Limburg. Das finde ich ja schon mal ziemlich albern. Ich meine, natürlich hat Herr Bätzing sowohl in seiner Eigenschaft als Diözesanbischof als auch in seiner Eigenschaft als DBK-Vorsitzender so einiges dazu zu sagen, wie es mit dem Synodalen Weg weitergeht, und es liegt auch nahe, dass er die Website seines Bistums als Podium für seine Aussagen nutzt. Aber dass er seinen Äußerungen auf diesem Podium die Form eines Interviews gibt, das hat schon was von Kasperletheater, #sorrynotsorry. Inhaltlich sind große Teile dieses Interviews vorhersehbar und langweilig, vor allem die Versuche, die Einsprüche und Einwände des Vatikans gegen den Synodalen Weg wegzuerklären: Das kennt man alles schon. Kommentarwürdig erscheint mir hingegen, was Bätzing über die Gefahr eines Schismas sagt: Diese Gefahr sehe er "ganz klar nicht"; vielmehr äußert er sich überzeugt, "dass die weit überwiegende [...] Mehrzahl der Gläubigen mit den Zielen und Entscheidungen einer Kirche, die sich erneuert, übereinstimmt und Brücken zu den gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten unserer Zeit wünscht". – Dazu wäre ja nun allerlei anzumerken. Zunächst einmal ist die Angewohnheit bzw. Konvention, "Gläubige" zu sagen, wenn man "Kirchenmitglieder" meint, geradezu ein pet peeve von mir; aber is' halt so. Sodann würde ich Bischofs Bätzings Einschätzung zur Einstellung der Mehrheit insoweit widersprechen, als ich ziemlich sicher bin, dass sich die Mehrheit der Kirchenmitglieder überhaupt nicht für den Synodalen Weg interessieren; und ich schätze, dass das für die Mehrheit derjenigen Kirchenmitglieder, die man sinnvollerweise als "Gläubige" bezeichnen kann, ebenso bzw. erst recht gilt. Und auch wenn diese Indifferenz zweifellos gewisse Gefahren birgt, so gilt für sie dennoch sinngemäß dasselbe, was ein gewisser Joseph Ratzinger 1970 mit Bezug auf die Würzburger Synode sagte: dass es nicht nur "verständlich", sondern "objektiv kirchlich gesehen auch richtig" sei, dass den Menschen "die Geschäftigkeit des kirchlichen Apparats, von sich selbst reden zu machen, allmählich gleichgültig wird". – Was nun diejenigen Kirchenmitglieder angeht, die überhaupt eine Meinung zum Synodalen Weg haben, so mag es schon stimmen, dass die meisten ihn positiv beurteilen; ja, im Grunde wäre es überraschend, wenn es nicht so wäre, schließlich wird ihnen von allen Seiten signalisiert, man müsse den Synodalen Weg gut finden und nur unbelehrbare Ewiggestrige, fanatische Fundamentalisten, homophobe Frauenhasser und Missbrauchsvertuscher seien anderer Meinung. Es ist auch davon auszugehen, dass viele Katholiken, ironischerweise gerade auch die von ihrer charakterlichen Disposition her eher konservativen, schlichtweg darauf vertrauen, das, was die Bischöfe (und obendrein auch noch die Gremienvertreter und Verbandsfunktionäre) sagen, müsse ja wohl richtig sein. Das kann man ihnen auch kaum verübeln: Im Grunde haben sie Recht damit, das von ihren kirchlichen Institutionen zu erwarten, und darum ist es umso schlimmer, dass die kirchlichen Institutionen dieser Erwartung nicht entsprechen. 

Für die Frage nach der Gefahr eines Schismas ist es allerdings vollkommen unerheblich, wie groß der Anteil der Kirchenmitglieder in Deutschland ist, die den Kurs des Synodalen Wegs mittragen, und das müsste Bischof Bätzing eigentlich wissen; wobei ich andererseits recht überzeugt bin, dass er seine Wahl zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz exakt der Tatsache verdankt, dass er nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte ist. Dass er meint, "dass die, die besonders gern davon sprechen", ein Schisma "offensichtlich herbeisehnen", ist allerdings perfide; dasselbe könnte man, beispielsweise, auch über Leute sagen, die vor dem Klimawandel warnen. Im Grunde ist es eine Art victim blaming. – Um es ganz deutlich zu sagen: Wünschenswert kann ein Schisma aus Sicht gläubiger Katholiken keinesfalls sein; es gibt aber sehr wohl Argumente dafür, dass ein offenes, erklärtes Schisma das kleinere Übel im Vergleich zu dem "Schmutzigen Schisma" wäre, auf das wir derzeit zusteuern, wenn wir nicht sogar schon mittendrin sind. 

Der Vorwurf, die Kirche würde zur "Sekte" werden, wenn sie keine "Brücken zu den gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten unserer Zeit" baut, ist natürlich ein alter Hut, und dazu, was für Konnotationen in dem Begriff "Sekte" als Bezeichnung für eine bestimmte Sozialgestalt von Religionsgemeinschaften mitschwingen, habe ich mich schon verschiedentlich geäußert (am kompaktesten wohl hier). Die Unterstellung, der Gegenentwurf zur Kirche des Synodalen Wegs wäre ein Selbstverständnis der Kirche "als eine kleine, feine und abgesonderte Gruppe in unserer Gesellschaft", die "zu den großen gesellschaftlichen Nöten und den Lebenserfahrungen vieler Menschen keine Verbindung mehr sucht", ist jedenfalls ein ziemlich plumper Strohmann – und erinnert frappierend an Urteile über die "Benedikt-Option", die auf einem stark vergröberten und einseitigen Verständnis des Konzepts beruhen. Dass Bätzing insgesamt das verbreitete Narrativ bedient, wem an einer Erneuerung der Kirche gelegen sei, der müsse den Synodalen Weg unterstützen, und wer das nicht tue, der wolle, dass in der Kirche alles beim Alten bleibt, ist aus seiner Position heraus nicht verwunderlich; umso mehr gilt es zu betonen, wie extrem falsch dieses Narrativ ist. Es ist sogar so falsch, dass selbst die Behauptung des genauen Gegenteils tendenziell richtiger wäre. 

  • "Regretting Motherhood" bei der kfd 

Am vergangenen Dienstag überraschte das Portal häretisch.de in der Rubrik "Standpunkt" mit einem Beitrag zum Marienmonat Mai, der die polemische Überschrift "Hört auf, Maria als Mutter zu preisen!" trägt. Dazu ist zunächst festzustellen, dass diese Überschrift die Aussage des von Friederike Frücht, Leiterin der Abteilung Kommunikation der "Katholischen Frauengemeinschaft Deutschland" (kfd) und Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift Junia, verfassten Kommentars in ziemlich überspitzter Form wiedergibt. Tatsächlich schreibt Frau Frücht, Maria werde in der Tradition der Kirche "fast ausschließlich auf ihre Rolle als Gebärerin und Mutter reduziert", und meint, "vor allem Männer" hätten "im Laufe der Kirchengeschichte die Rolle Mariens immer wieder dazu genutzt, sie als passive, dienende und schweigsame Frau schlechthin zu stilisieren", um so "Frauen klein zu halten". Gleichzeitig betont sie zu Recht Marias "wichtige Rolle in der Heilsgeschichte: Ohne sie wäre Jesus Christus, also Gott, nie in die Welt gekommen". Ja eben!, möchte man da ausrufen: Genau deswegen ist ihre wichtige Rolle in der Heilsgeschichte eben die Mutterrolle! Wo liegt eigentlich das Problem? – In einer Facebook-Diskussion auf der Wall des Publizisten Bernhard Meuser wiesen mehrere Kommentatoren darauf hin, dass die kfd-Zeitschrift Junia – benannt nach einer Lieblingsfigur der feministischen Theologie, die allerdings das Manko hat, dass außer ihres Namens und der Tatsache, dass Paulus sie im Römerbrief "angesehen unter den Aposteln" nennt, buchstäblich nichts über sie bekannt ist – noch vor wenigen Jahren frau und mutter hieß und das mit diesem Namen verknüpfte Image offenbar mit Gewalt loswerden wolle. – Das Ironische an der ganzen Geschichte ist natürlich, dass die Auffassung, die Betonung der Mutterschaft impliziere eine Geringschätzung der Frau, ihrerseits eine krasse Geringschätzung der Mutterschaft verrät. Ein Paradebeispiel dafür, dass der Feminismus in seinem ideologischen Gepäck so allerlei Vorstellungen mitschleppt, die im Kern ausgesprochen frauenfeindlich sind. 

  • Das achte Sakrament des Deutschkatholizismus 

Bereits einen Tag früher, also am Montag, erschien in derselben Rubrik ein Kommentar von Christof Haverkamp – seines Zeichens "Pressesprecher und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der katholischen Kirche in Bremen und Senderbeauftragter der katholischen Kirche bei Radio Bremen" – unter dem Titel "Trotz Kritik: Die katholische Kirche in Deutschland hat eine Stärke"; oder, wie Tucholsky sagen würde: "Wat brauchst du Jrundsätze, wenn du'n Apparat hast!". Im Ernst: Haverkamps Argumente dafür, warum es um die Kirche in Deutschland so schlecht doch gar nicht stehe, sind derart erbärmlich, dass ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll. "Gegner des Synodalen Weges in Rom und hierzulande reden die katholische Kirche in Deutschland gerne klein", meint er. "Doch wer so abfällig urteilt, übersieht die Stärken: zum Beispiel eine Theologie auf hohem Niveau – oder die Leistungen der Hilfswerke." Auf das angeblich hohe Niveau der deutschen Theologie geht er dann im Folgenden glücklicherweise nicht weiter ein; aber die Hilfswerke! "Die Leistungsfähigkeit von Organisationen im Bereich der Zivilisation in den Tätigkeiten der sozialen, praktischen Ordnung hat die Illusion erzeugt, daß diese mechanisierte, unpersönliche Art Probleme zu lösen gerade das ist, was das religiöse Leben braucht", schrieb schon Dietrich von Hildebrand in "Das Trojanische Pferd in der Stadt Gottes". "Die Überschätzung der Organisation als solcher fand ihren reinsten Ausdruck in den Worten eines berühmten deutschen Erzbischofs, der in ihrem Lob so weit ging, daß er sagte: 'Die katholischen Vereine sind das achte Sakrament der Kirche'". Insoweit also nichts Neues unter der Sonne. Erinnert sei hier auch an den anno 2018 an selber Stelle veröffentlichten Kommentar "Die deutsche Kirche ist immer der Buhmann" von Abtpräses Jeremias Schröder OSB, dessen Entgegnung auf weltkirchliche Kritik an der Glaubensschwäche der kirchlichen Institutionen in Deutschland – wie ich seinerzeit schrieb – im Kern auf "Das, was man uns vorwirft, stimmt, aber wir finden das gut so" und "Ihr seid doch nur neidisch, dass wir mehr Kohle haben als ihr! P.S.: Deinemudda!!" hinauslief; erinnern wir uns auch, wie der Freiburger Theologiedozent Daniel Bogner in einem Gastkommentar auf kath.ch die "Entweltlichungs"-Thesen Benedikts XVI. mit dem Argument verwarf, es gebe "auch so etwas wie ein institutionelles, amtliches Zeugnis der Kirche", das darin bestehe, "dass in ihrem Namen gute Bildungsarbeit, bestmögliche medizinische Versorgung, sensible Beratungsarbeit oder nachhaltige Entwicklungshilfe angeboten werden", und dafür brauche es eben "Manpower, große Stäbe und Management. Die christliche Gesinnung zeigt sich dann eben darin, dass Kirche keine eigene Welt aufbaut, sondern schlicht und einfach nach den Kriterien der jeweiligen Aufgabe professionell ist." Und last not least reite ich immer wieder gern darauf herum, dass sich anlässlich des Erscheinens von Erik Flügges Pamphlet "Eine Kirche für viele statt heiligem Rest" allen Ernstes jemand fand – nämlich Norbert Bauer, Leiter der Karl-Rahner-Akademie in Köln –, der Flügges Ansatz deshalb kritisierte, weil er zu religiös sei; genauer gesagt, weil er auf eine Kirche abziele, die sich "nur noch [!] als Glaubensgemeinschaft definiert und den [...] Anspruch als Dienstleister für die Gesellschaft und für ihre Mitglieder aufgibt". "Das größte Ansehen" habe die Kirche schließlich "vor allem da, wo sie als professionelle Dienstleister wirkt, bei Caritas und Bildung". – Auf mich macht es ja den Eindruck einer gewissen Verzweiflung, dass einem solche kläglichen Argumente immer und immer wieder aufgetischt werden. Sicher, wenn man die institutionelle Kirche in Deutschland unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, dann mag es plausibel scheinen, ihr zu raten, sie solle sich auf ihre Stärken konzentrieren, und der ganze Glaubenskram gehöre ja nun wohl offensichtlich nicht zu diesen Stärken. Aber eben diese betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise verrät bereits eine im Ansatz verfehlte Auffassung davon, was die Kirche ist und wozu sie da ist. Ich halte es da lieber mit Darth Vader: 


Was ich gerade lese 

Reden wir nicht lange drumherum: Ich habe noch keine Zeit und Muße gefunden, mich mit Klaus Hemmerles Keynote Speech (wie man heute sagen würde) bei der Eröffnung des Katholikentags 1968 zu befassen. Hoffentlich nächste Woche! Kommen wir also direkt zur aktuellen 

Abermals ein Zufallsfund aus der Stadtteilbibliothek; und auch wenn ich nicht mit Sicherheit weiß, welches Familienmitglied das Buch zuerst im Regal entdeckt hat, war es definitiv meine Entscheidung, es mitzunehmen – als Gegengewicht zu den ganzen Büchern über magische Einhörner, die das Tochterkind so gern anschleppt. Und nun bin ich nicht mehr so sicher, ob das so eine gute Idee war. 

Aber mal der Reihe nach. Titelfigur Pembo ist ein Mädchen, das als Tochter eines türkischen Friseurs und einer deutschen Tätowiererin an der türkischen Riviera aufwächst – bis ihr Vater die lang ersehnte Chance bekommt, sich selbständig zu machen, indem er den Salon eines verstorbenen Onkels übernimmt. Der Haken an der Sache: Dieses Geschäft liegt in Deutschland. Und Pembo ist, gelinde gesagt, nicht sehr glücklich darüber, in ein fremdes Land umziehen zu müssen (auch wenn es das Heimatland ihrer Mutter ist.) 

Von der Erzählweise her hat das Buch durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit der "Lola"-Reihe, allerdings macht dieser Vergleich nur den qualitativen Abstand deutlich. Das erste Problem des Buches ist, dass die Handlung nicht in Gang kommt. Dass Pembos Familie nach Deutschland übersiedeln wird und Pembo deswegen wütend und frustriert ist, erfährt der Leser schon auf den ersten Seiten; sieben Kapitel und rund 60 Seiten später ist die Familie immer noch nicht abgereist und es ist auch sonst noch nichts Bedeutsames passiert, außer dass die Protagonistin und Ich-Erzählerin sich in ihrer schlechten Laune suhlt. Was direkt zum nächsten Problem führt: Das dauernde Geschimpfe und Genörgel macht die Protagonistin nicht unbedingt sympathisch. Sicher, Lola hat auch mal schlechte Laune, gar nicht mal so selten sogar; aber bei ihr hat der Leser nicht das Gefühl, dass das sozusagen ihre Grundeinstellung ist. Wenn Lola mal aggressiv und selbstgerecht ist, kommt sie recht bald zur Besinnung und entschuldigt sich. Bei Pembo hat man den Eindruck, sie findet es toll, aggressiv und selbstgerecht zu sein. 

Nicht ganz von dieser Beobachtung zu trennen ist die Frage nach dem Wokeness-Faktor. Hier habe ich noch kein anschließendes Urteil gefällt, da ich noch ziemlich mittendrin im Buch bin. Festzuhalten ist jedenfalls, dass Pembo ein ziemlich burschikoses Mädchen ist: Eigentlich lautet ihr Name Pembegül, was wörtlich übersetzt "rosa- bzw. pinkfarbene Rose" bedeutet, aber sie hasst ihren Namen, die Farbe Rosa und überhaupt alles, was als mädchenhaft und niedlich gilt. Was daran positiv zu vermerken ist: Es wird dennoch nicht in Frage gestellt, dass Pembo ein Mädchen ist, und es ist auch nicht die Rede davon, dass sie lieber ein Junge wäre. – Zum Thema Geschlechterrollen ist es auch bezeichnend, dass Pembos Vater ein ziemliches Weichei ist, während es von ihrer Mutter heißt, dass sie ihn "gut im Griff" hat (S. 97). Nach ihrem Umzug nach Hamburg lernt die Familie einen "liebe[n] Freund" (S. 101) des verstorbenen Großonkels Hasan kennen, und die Art und Weise, wie er um diesen trauert, lässt den Verdacht aufkommen, dass die beiden alten Männer womöglich ein Liebespaar waren; da passt es auch ins Bild, dass sich der Laden, den Großonkel Hasan Pembos Vater vererbt hat, als Hundesalon entpuppt, mit einem pinkfarbenen Königspudel als Firmenlogo. 

Vorläufig würde ich also sagen, der Wokeness-Faktor ist signifikant höher als in allen anderen Kinderbüchern, die wir bisher als Bettlektüre hatten, aber noch lange nicht so hoch, wie man es sich theoretisch vorstellen oder befürchten könnte. Das größere Problem an diesem Buch ist, dass es mir einfach unsympathisch ist. Und ich bezweifle, dass sich daran noch etwas ändert. 


Aus dem Stundenbuch 

Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus ist, stammt von Gott und jeder, der den Vater liebt, liebt auch den, der von ihm stammt. Wir erkennen, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote erfüllen. Denn die Liebe zu Gott besteht darin, dass wir seine Gebote halten. Seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was von Gott stammt, besiegt die Welt. Und das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube. Wer sonst besiegt die Welt, außer dem, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist? Dieser ist es, der durch Wasser und Blut gekommen ist: Jesus Christus. Er ist nicht nur im Wasser gekommen, sondern im Wasser und im Blut. Und der Geist ist es, der Zeugnis ablegt; denn der Geist ist die Wahrheit. Drei sind es, die Zeugnis ablegen: der Geist, das Wasser und das Blut; und diese drei sind eins. 

(1 Joh 5,1-8


Ohrwurm der Woche 

Brother D & Collective Effort: How We Gonna Make the Black Nation Rise 


Diesen Song habe ich ursprünglich mal vor Jahren in der CD-Mappe eines DJ-Kollegen "entdeckt"; und erinnert habe ich mich an ihn, als unlängst auf dem (stets empfehlenswerten) YouTube-Kanal von Popmusik-Kritiker "Todd in the Shadows" ein Beitrag über Run-DMC erschien – der mir zum wiederholten Male bewusst machte, dass ich vom Gesamtphänomen Rap/HipHop gerade genug verstehe, um eine Ahnung davon zu haben, wie viel ich davon nicht verstehe. Und genau das finde ich reizvoll daran. – An "How We Gonna Make the Black Nation Rise", das musikalisch auf dem Disco-Hit "Got to Be Real" von Cheryl Lynn (1978) basiert, ist nicht zuletzt bemerkenswert, dass es als die erste explizit politische Rap-Single gilt – erschienen 1980, volle zwei Jahre vor "The Message" von Grandmaster Flash & The Furious Five.  Daryl Aamaa Nubyahn, der sich als Rapper "Brother D" nannte, war Mathelehrer an einer berufsbildenden Schule in der Bronx und nahm wahr, dass seine Schüler sich für Rapmusik begeisterten; was ihn jedoch ärgerte, war, dass es in den damaligen Rap-Songs typischerweise um Mädchen, Geld und schicke Autos ging. Seine Antwort darauf war ein Song, der darauf abzielte, das politische Bewusstsein der Jugendlichen zu schärfen oder überhaupt erst zu wecken. – Freilich sagt die Tatsache, dass ein Song eine politische Message hat, noch nichts über die Qualität dieser Message aus, und so kann man im Text von "How We Gonna Make the Black Nation Rise" durchaus manches Fragwürdige und Problematische entdecken. Schon die im Titel genannte Idee der "Black Nation" verweist auf die Ideologie des militanteren Flügels der afroamerikanischen Emanzipationsbewegung wie etwa der "Black Panther Party" oder der "Black Liberation Army"; auch dass im Text die Rede davon ist, dass die US-Regierung Konzentrationslager betreibe und einen (nicht nur metaphorischen, sondern buchstäblichen) Völkermord an der schwarzen Bevölkerung plane, ist in diesem Kontext zu betrachten. (Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass ich so ziemlich alles, was ich über dieses Thema weiß, aus Darryl Coopers Podcast "God's Socialist" habe, den ich gern und eindringlich empfehle.) Nubyahn alias Brother D. selbst war Mitglied einer radikalen Splittergruppe namens "Family of Black Science". Zugespitzt könnte man den Song "How We Gonna Make the Black Nation Rise" mitsamt seiner Hintergrundgeschichte mit dem hypothetischen Fall vergleichen, dass ein mit den Reichsbürgern sympathisierender Berufsschullehrer Instrumentalpassagen aus Helene-Fischer-Songs hernimmt, um dazu über das Great Replacement und Massensterilisation durch Chemtrails und mRNA-Impfstoffe zu rappen, aber ich will hier niemanden auf Ideen bringen. Ich bezweifle auch, dass das Ergebnis so tight wäre. 


Blogvorschau 

In der zurückliegenden Woche war ich einigermaßen erfolgreich darin, meine "Blogschulden" abzuarbeiten, und habe sowohl den recht arbeitsintensiven Artikel "Der Geist und die Synodalen" als auch den 17. Teil der "eingekerkerten Nonne", der von den Fans der Serie bereits voller Ungeduld erwartet wurde, fertig gekriegt; nun steht noch der Artikel zum Thema "Kochen für die Familie" aus, und danach will ich mich dem "Dossier Erstkommunion" zuwenden. Und wie geht's dann weiter? 

Zum einen habe ich meine Leser am vergangenen Wochenende auf Facebook und Twitter über die Weiterführung der Artikelserien "God Gave Rock'n'Roll to You" und "Die 100-Bücher-Challenge" abstimmen lassen, und das Ergebnis lautet, dass ich beide Reihen wieder aufgreifen soll, die "Rock'n'Roll"-Reihe jedoch zuerst. Da werde ich mir also etwas einfallen lassen müssen; ein Aufhänger könnte der jüngste Shitstorm gegen den Wiesbadener Schlachthof wegen des Auftritts der Gruppe Skillet sein, aber darüber will ich auch für die Tagespost noch was schreiben – da gilt es Dopplungen zu vermeiden. 

Jedenfalls habe ich nun (von den Wochenbriefings einmal abgesehen) schon vier Artikelserien, die nach halbwegs regelmäßiger Fortsetzung verlangen – die eingekerkerte Nonne, die "Lola"-Rezensionen, "God Gave Rock'n'Roll to You" und die Bücher-Challenge, wobei es durchaus eine Überlegung wert wäre, die "Lola"-Bücher in die Bücher-Challenge zu integrieren. So oder so möchte ich am kommenden Wochenende aber erst einmal über die nächsten "serienunabhängigen" Artikelthemen abstimmen lassen – nämlich die folgenden: 
  • Hol dir deine Kirche zurück! 
Ich habe es vor zwei Wochen schon erwähnt: Mein Manager "Patrick" aus Wien hat mich auf ein YouTube-Video mit dem vielversprechenden Titel "How and why to retake the Mainline Churches" aufmerksam gemacht. Auch wenn ich mit den Thesen des Videos nicht durchweg einverstanden bin, denke ich doch, dass es einige auch und gerade für deutsche Katholiken in Zeiten des "Schmutzigen Schismas" möglicherweise richtungsweisende Gedanken enthält, und das würde ich gern einmal auseinanderklamüsern. 
  • Bloggen als unehrenhafte Form des Journalismus 
Bald acht Jahre sind vergangen seit Kardinal Marx' berüchtigtem "Verblödungs"-Diktum, und ich denke, es wird mal wieder Zeit, einen kritischen Blick auf die Rolle des Bloggers bzw. des Bloggens in der katholischen Öffentlichkeit insbesondere Deutschlands zu werfen. Dabei soll es aber schwerpunktmäßig weniger darum gehen, wie die offiziösen Presseportale der Amtskirche damit umgehen, dass ein unbeugsames Häuflein von Freibeutern ihnen die Diskurshoheit streitig macht – dazu habe ich schließlich schon öfter etwas geschrieben –, als vielmehr um die Erfahrung, dass man an der kirchlichen Basis, wo das Internet für Viele immer noch Neuland ist, nicht selten der Auffassung begegnet, das Bloggen sei eine unseriöse und sogar anrüchige Tätigkeit. 
  • Der Traum von der erneuerten Gemeinde 

Auch von diesem Themenentwurf war vor zwei Wochen schon die Rede: Er ist gewissermaßen ein Nebenprodukt meiner Recherchen für den Artikel "Auf der Werft der Erneuerung?". Von dem 1966 erschienenen Buch "Heiße (W)Eisen" des damaligen Frankfurter Stadtjugendpfarrers Lothar Zenetti bis hin zu den Jahrgängen 1970-73 des legendären "Komm-mit-Kalenders" habe ich allerlei recht bemerkenswerte Impulse zur Gemeindeerneuerung in der Nachkonzilszeit entdeckt, die ich in mehrfacher Hinsicht diskussionswürdig finde: sowohl in Hinblick darauf, was davon auch für die Gegenwart und Zukunft richtungsweisend sein könnte,  als auch in Hinblick darauf, warum damals so wenig "daraus geworden" ist. 

Und last not least möchte ich dem Teil meines Publikums, der "Huhn meets Ei" zumindest unter anderem auch als Parenting-Blog liest (allen anderen Lesern sei an dieser Stelle versichert: Ja, dieses Publikumssegment gibt es!), auch mal über die Wochenbriefings hinaus etwas bieten; dazu dient der in Arbeit befindliche, hoffentlich in Kürze erscheinende Koch-Artikel, und dazu soll auch der folgende Themenvorschlag mit dem Arbeitstitel 
  • Shopping-Queens und Horsefluencerinnen 
dienen. Darin soll's um die Lieblings-YouTuberinnen meiner fünfjährigen Tochter gehen, sowie darum, warum ich eine von diesen tendenziell besser finde als die andere. Allgemeine kritische Reflexionen zum Thema "Medienkonsum im Vorschulalter" gehören da natürlich auch mit hinein. 

Die Abstimmung über die Reihenfolge dieser Themen gedenke ich Samstag früh zu starten, aber Ihr dürft gern auch jetzt schon im Kommentarfeld Euer Votum abgeben!