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Sonntag, 28. Mai 2023

SoulKitchen: Aus dem Küchentagebuch eines Familienvaters

Gut fünf Jahre ist es her, dass ich unter dem Reihentitel "SoulKitchen" das Projekt einer Gastkolumne auf dem Blog meiner Liebsten in Angriff nahm, mit der Themenbeschreibung "Suse kocht und Tobi bloggt darüber (in Zukunft aber vielleicht auch mal umgekehrt...)". Über vier Folgen im Laufe eines Monats kam die Artikelserie seinerzeit nicht hinaus, aber die Grundidee, wie ich sie seinerzeit beschrieb, finde ich nach wie vor gut: 

"Seit Suse und ich tatsächlich so etwas wie ein Familienleben haben, haben wir immer mal wieder untereinander diskutiert, ob (und wenn ja, wie) wir nicht auch in unseren Blogs stärker unseren Alltag thematisieren sollten. Also quasi Einblicke geben in das Leben punk-affiner junger Dunkelkatholiken, oder so." 

Nun könnte man sagen, dass Teile dieser Grundidee in das Konzept meiner "Wochenbriefings" eingeflossen sind – nur der Aspekt mit dem Kochen eher nicht so sehr. Dabei gäbe es zu diesem Thema durchaus eine ganze Menge zu sagen, zumal ich seit nunmehr schon rund zweieinhalb Jahren zum Chefkoch meiner Familie avanciert bin. 

Wie es dazu kam, ist schnell erzählt: Es war November 2020, Corona-Zeit, und meine Liebste war im 5. Monat schwanger mit unserem zweiten Kind, als ihre Frauenärztin wegen erhöhten Frühgeburtsrisikos ein Beschäftigungsverbot über sie verhängte und sie ermahnte, sich die nächsten Monate strikt zu schonen und nach Möglichkeit Bettruhe zu halten. Daraus ergab sich die Frage, was ich – abgesehen davon, dass ich tagsüber möglichst viel mit unserer zu diesem Zeitpunkt gerade dreijährigen Tochter unternahm – tun könnte, um meine Liebste im Haushalt zu entlasten. Ein Gedanke hierzu, der sich mir ziemlich spontan aufdrängte, lautete: Ich könnte kochen lernen!  Das entlastet nicht nur die Frau, sondern auch die Haushaltskasse, jedenfalls im Verhältnis dazu, auf Fertiggerichte und/oder Lieferservice angewiesen zu sein. Es heißt ja nicht ohne Grund "Eigener Herd ist Goldes wert". Außerdem wollte ich eigentlich sowieso schon immer kochen können. Es ist auch nicht so, dass ich vorher nie gekocht hätte, aber ich würde meine Vorkenntnisse doch als ziemlich bescheiden bezeichnen. 

Nun jedoch widmete ich mich meiner Aufgabe mit Ehrgeiz und Enthusiasmus. Während des ersten Monats meiner Karriere als Küchenchef der Familie gab es an drei Tagen mitgebrachtes Essen von den Schwiegereltern, einmal ein Fertiggericht aus dem Tiefkühlregal und an fünf Tagen Aufgewärmtes vom jeweiligen Vortag; an allen anderen Tagen kochte ich – insgesamt 21 verschiedene Gerichte. Zugegeben, darunter waren auch ganz simple Sachen wie Spaghetti mit Thunfisch oder Toast Hawaii, aber dabei blieb es nicht lange. Das erste vom Zubereitungsprozess her aufwändigere Gericht, an das ich mich herantraute, war Beef Barley Soup nach einem Rezept von Simcha Fisher (deren Artikelserie "What's for Supper?" auch über konkrete Rezeptideen hinaus eine wichtige Inspirationsquelle für meine Küchenkarriere war und ist), das erste mit einem Namen und Aussehen, mit dem man angeben kann, Coq au Vin. (Ich habe den Film "Kokowääh" von und mit Til Schweiger zwar nie gesehen, aber so viel hatte ich dann doch davon mitbekommen, dass der Film deshalb so heißt, weil Coq au Vin das einzige Gericht ist, das der von Schweiger gespielte Charakter kochen kann; "Dann kann das ja nicht so schwer sein", sagte ich mir, und war's auch nicht.) 


Weitere Highlights des ersten Monats waren: 



Das Foto ist zugegebenermaßen erst bei einer späteren Gelegenheit entstanden. Mein erster Shepherd's Pie sah nicht so fotogen aus. Geschmeckt hat er trotzdem. 

In dieser Anfangszeit war ich noch sehr zurückhaltend damit, vorgefundene Rezepte zu variieren, geschweige denn, ohne Rezept einfach mal draufloszukochen. Das hatte den einfachen Grund, dass ich so wenig von den fundamentalsten Grundregeln des Kochens verstand, dass ich mir nie sicher war, ob das jeweilige Gericht überhaupt noch genießbar sein würde, wenn ich mich nicht genau an die Mengenverhältnisse der Zutaten, die Kochzeiten usw. hielte. Das Selbstvertrauen, Dinge "einfach mal auszuprobieren", stellte sich erst mit einer gewissen Erfahrung ein, und so kam ich nach und nach dahinter, dass es nicht unbedingt immer von Nachteil ist, Zutaten wegzulassen oder durch andere zu ersetzen, Mengenangaben eher freihändig zu handhaben oder Tipps und Tricks, die man in einem Rezept entdeckt hat, auf ein anderes zu übertragen. Irgendwann war ich dann an dem Punkt, dass ich ein Rezept las und spontan dachte "Das würde ich anders machen". Das möchte ich ganz unironisch als einen bedeutenden Entwicklungsschritt beim Kochenlernen bezeichnen.

Dieser Zuwachs an Selbstsicherheit beim Kochen hatte verschiedene, in gewissem Sinne gegenläufige Auswirkungen: Einerseits ging ich dazu über, öfter mal ohne Rezeptvorlage zu kochen, andererseits traute ich mich zunehmend auch an Rezepte heran, die ich noch kurz zuvor als zu anspruchsvoll eingeschätzt haben würde. Bœuf Stroganoff zum Beispiel. 

Es dauerte dann nicht mehr lange, bis meine Liebste mir attestierte, besser zu kochen als sie. Ich erwähne das nicht, um anzugeben, sondern eher als Ermutigung: Wenn ich es durch pures Ausprobieren lernen kann, aus preiswerten und überall erhältlichen Zutaten leckeres Essen zuzubereiten, dann kannst Du das auch, Leser. Inzwischen würde ich sogar selbst sagen, dass mein selbst gekochtes Essen mir am besten schmeckt, oft sogar besser als im Restaurant. Wobei ich nicht verhehlen will, dass es immer noch gelegentlich mal vorkommt, dass mir ein Gericht misslingt. Aber auch das kann eine wertvolle Erfahrung sein.

Mein Freund Rod Dreher zitiert in seinem Buch "Crunchy Cons" die Ernährungsberaterin Kathy O'Brien mit dem schönen Satz "Kultur beginnt in der Küche, nicht im Opernhaus". Indessen zeigt Rod in diesem Buch auch auf, dass es kein Zufall ist, dass so viele Angehörige unserer Generation als Kinder oder Jugendliche nicht Kochen gelernt haben: Dies rührt – so meint Rod – schlicht und einfach daher, dass die Generation unserer Eltern darauf konditioniert wurde, Hauswirtschaft und Nahrungszubereitung nicht mehr als wertvolle Fertigkeiten zu betrachten, die es an die Kinder weiterzugeben gelte. Insbesondere Frauen aus der Arbeiterklasse wurden seit den 1950er-Jahren mit einer "Besser leben durch Chemie"-Propaganda bombardiert, die ihnen einredete, "traditionelles Kochen sei eine Plackerei und industriell gefertigte Nahrung ein Statussymbol". Wie Rod weiter ausführt, gab es handfeste wirtschaftliche Gründe dafür, den Hausfrauen das Kochen abzugewöhnen. "Das Gebot des Komforts, der Bequemlichkeit und der Erschwinglichkeit - mit anderen Worten: Effizienz über alles - hat eine enorme, und enorm lukrative, [...] Nahrungsmittelindustrie geschaffen. Und so leben wir heute unser kulinarisches Leben: schnell, billig und unkontrolliert." Was bei dieser Industrialisierung des Ernährungswesens jedoch vergessen wurde, ist, dass "Essen nicht nur den Körper ernährt; Essen - und auch die Rituale, die mit seiner Zubereitung einhergehen - nährt auch etwas in der menschlichen Seele."

Folgerichtig fehlt der menschlichen Seele etwas, wenn das Essen auf die bloße Funktion der Nahrungsaufnahme reduziert und schnell und schlampig nebenbei erledigt wird. – In einem "Werkheft" der Katholischen Landjugendbewegung Bayerns zum Thema Ernährung, das ich mir mal habe zuschicken lassen, bricht auch die stellvertretende Landesbayerin, äh, -bäuerin Bayerns, Christine Singer, eine Lanze für gemeinsame Mahlzeiten im Familienkreis: 

"[G]emeinsames Essen soll auch ein Genusserlebnis für die ganze Familie sein. Zudem stärkt gemeinsames Essen das Miteinander. [...] Wir verbringen Zeit miteinander -- das Wertvollste, was wir uns als Familienmitglieder schenken können." (S. 64)  

Man könnte das für etwas banal halten, aber möglicherweise ist es das gar nicht. In seinem Buch "Bowling Alone" aus dem Jahr 2001 stellte der US-amerikanische Soziologe Robert D. Putnam fest, dass der Anteil seiner Landsleute, die regelmäßig im Kreise der Familie zu Abend essen, seit 1975 um ein Drittel zurückgegangen sei. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die Entwicklung hierzulande in eine ähnliche Richtung geht.

– Soweit die unvermeidliche Reflexionspassage zwischendurch; kommen wir nun aber noch einmal zurück zu praktischen Erfahrungen mit dem Kochen. Etwas, worauf ich von allein sicherlich nie gekommen wäre, sind Backofengerichte, für die man außer eines Backblechs kein weiteres Kochgeschirr benötigt. Neben dem schon erwähnten Rosenkohl mit Schinken und Ei wären hier z.B. noch 



zu nennen. – Eine andere Rezeptkategorie, die ich sehr schätzen gelernt habe, sind Eintöpfe. Einerseits kann man ein denkbar simples Grundrezept – Speck u./o. grobe Wurst (z.B. Schinkenknacker) anbraten, Kartoffeln u.o. diverses Wurzelgemüse dazugeben, ein paar Minuten anrösten, dann Wasser oder Brühe dazugeben und alles köcheln lassen, bis das Gemüse weich ist, ggf. im Laufe der Kochzeit noch weiteres Gemüse, das schneller gar wird, hinzufügen; mit diversen Gewürzen abschmecken; fertig – immer wieder mit verschiedenen Zutaten variieren, andererseits habe ich im Laufe der Zeit aber auch eine Vielzahl von Eintopfgerichten aus aller Herren Länder ausprobiert, wie zum Beispiel: 



  • und last not least ein traditionelles Gericht aus dem "Butjenter Kokbook", das auf den eher wenig appetitlich klingenden Namen "Wuddeldick" hört. 

"Wuddeldick" besteht in etwa zu gleichen Teilen aus Schweinefleisch, Kartoffeln und Möhren, dazu kommt Wasser zum Kochen, Salz und Pfeffer, und wenn der Eintopf fertig gekocht ist, wird er mit Apfelmus verfeinert. Was die Frage der Gewürze angeht, fühlte ich mich allerdings an einen häufig geäußerten Stoßseufzer meines früh verstorbenen Vaters erinnert: "Die Butjenter kennen nur Pfeffer und Salz!" Er selbst stammte aus Schlesien und brachte glücklicherweise auch meiner Mutter bei, insbesondere Fleischgerichte etwas abwechslungsreicher zu würzen. In Gedenken daran variierte ich auch das "Wuddeldick"-Rezept ein wenig. 

Und da wir gerade über Gewürze reden: Das Mulligatawny Chicken Soup-Rezept, das ich benutzte, schrieb vor, statt irgendeines 08/15-Currypulvers aus dem Supermarkt eine Gewürzmischung aus Garam Masala, Kreuzkümmel, Kurkuma, Salz und etwas Chilipulver zu verwenden. Das Ergebnis überzeugte mich so sehr, dass ich diese Gewürzmischung seither auch für allerlei andere Gerichte mit Hähnchenfleisch verwendet habe. Irgendwo hat das Prinzip "Zutaten selber machen, statt sie fertig zu kaufen" aber auch Grenzen. In irgendeinem Rezept, ich weiß gar nicht mehr für welches Gericht, stolperte ich über die Zutat Hoisin-Sauce, garniert mit dem Hinweis, dass man diese auch selbst herstellen könne. Spannend, dachte ich, folgte dem Link zum Rezept für Hoisin-Sauce und fand unter dem Zutaten eine Five Spices genannte Gewürzmischung, wiederum garniert mit dem Hinweis, dass man diese auch selbst herstellen könne. Toll, dachte ich, und wenn ich schon mal dabei bin, kann ich vielleicht auch noch die Pfanne selber schmieden. Oder auch nicht. Aber das mit dem Fünf-Gewürze-Pulver und der Hoisin-Sauce probiere ich vielleicht mal aus. Irgendwann. 

Und à propos Pfanne: Backblech hin, Suppentopf her, ist und bleibt mein Lieblings-Küchengerät eine große Pfanne mit hohem Rand, die man auch als Auflaufform benutzen kann. Wenn einem mal gar nichts einfällt, schmeißt man einfach diverse Zutaten, die man mag und die zusammen passen, in die Pfanne, brät sie an, löscht sie wahlweise mit Brühe, Sahne, passierten Tomaten oder einer Mischung daraus ab, und je nach Laune kann man dann noch Käse, Ei oder Semmelbrösel drüber geben und das Ganze zum Überbacken in den Ofen schieben. 

Beim Stichwort "Zutaten, die man mag" geht es innerfamiliär allerdings nicht ganz ohne Kompromisse ab. Ich mag zum Beispiel Pilze und Bohnen, meine Tochter nicht. Aber immerhin, wenn ich mal überlege, welche Speisen alle Familienmitglieder mögen, dann kommt doch so Einiges zusammen; in assoziativer Reihenfolge: 
Brokkoli, Blumenkohl, Spinat, Zucchini, Avocado, Möhren, Mais, Reis, Nudeln, Kartoffelbrei, Speck, Fleischwurst, (Rinder-)Hackfleisch, Hähnchenfleisch, Eier, Käse, Thunfisch, Lachs. 

Damit lässt sich doch schon was anfangen! – Ein ganz eigenes Thema ist es, gemeinsam mit den Kindern zu kochen oder zu backen; ich schätze, darauf komme ich mal in einem separaten Artikel zu sprechen. Für diesmal möchte ich schließen mit einem schönen Zitat von Max Goldt (aus "Bossa Nova im Schatten des Telespargels", 1989): 

"Die Natur schenkt uns köstliche Früchte etc. Diese zum falschen Zeitpunkt zu ernten, sie falsch zu lagern oder schlecht zuzubereiten, ist ein Vergehen an der Schöpfung, glatte Blasphemie. Jeder, der einigermaßen herumgekommen ist, weiß, daß in atheistischen Staaten ausgesprochen schlecht gekocht wird, weil der Respekt vor den Gaben Gottes fehlt. Anders ausgedrückt: Gut zu kochen ist praktiziertes Christentum." 

 

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