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Montag, 16. März 2020

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #3 (3. Woche der Fastenzeit)

Was bisher geschah: Eine ereignisreiche Woche liegt hinter mir, angefüllt mit Eindrücken ausgesprochen unterschiedlicher Art, die sich für eine Nacherzählung in strikt chronologischer Reihenfolge schwerlich eignen; ich fange trotzdem mal mit dem Montag an, allerdings mit dem Montagabend. Da war ich zur offiziellen Eröffnung des Pastoralen Raums Reinickendorf-Süd in der Kirchengemeinde St. Bernhard in Tegel-Süd, und zwar allein, da Frau und Kind ihren Oma-Tag hatten. Der war in den letzten Wochen aus verschiedenen Gründen mehrmals ausgefallen, und nun sollte es mal wieder sein. Ich besuchte derweil in St. Bernhard die Heilige Messe, die von Erzbischof Koch zelebriert wurde; als Konzelebranten waren alle aktiven Geistlichen des Pastoralen Raums Reinickendorf-Süd dabei, außerdem der Generalvikar, der Weihbischof und Dybo, pardon, ich meine: Domkapitular und Ordinariatsrat Stefan Dybowski. Irgendwie fände ich es aber nett, wenn "Dybowski" ein offizieller Titel bzw. eine Amtsbezeichnung wäre. Dieses Amt dürfte es von mir aus gern in jedem Bistum geben. Schon gut, der kleine Albernheitsanfall ist gleich vorbei. Prinzipiell stand ich der ganzen Veranstaltung ja recht skeptisch gegenüber, schon allein weil mir nicht einleuchten wollte, wieso ein Verwaltungsakt des Erzbistums im Rahmen einer groß angelegten Strukturreform, die auf die Schaffung größerer Verwaltungseinheiten abzielt, ein Grund zum Feiern sein sollte, schon gar für die einfachen Gläubigen. Dass zum Einzug "Suchen und Fragen" (GL 45 gesungen wurde, schien meine schlimmsten  Befürchtungen zu bestätigen; und angesichts der allgemeinen Lage des Katholizismus in Deutschland, Stichwort "Schismatischer Weg" etc., fand ich es recht schade, dass die eigentlich für den Tag vorgesehene Lesung aus dem Buch Daniel (mit Sätzen wie "Wir haben gesündigt und unrecht getan, wir sind treulos gewesen und haben uns gegen dich empört; von deinen Geboten und Gesetzen sind wir abgewichen. Wir haben nicht auf deine Diener, die Propheten, gehört, die in deinem Namen zu unseren Königen und Vorstehern, zu unseren Vätern und zu allen Bürgern des Landes geredet haben", Dan 9,5f.) weggelassen bzw. durch Apostelgeschichte 11,19-26 ersetzt wurde, wohl in der Annahme, das passe besser zum Anlass. Okay, ist ja auch eine schöne Lesung. Die Ansprache ("Predigt" oder "Homilie" würde ich nun eher nicht dazu sagen) des Erzbischofs war indes nicht übel, und schließlich übernahm ich sogar, spontan und unvorbereitet, einen quasi offiziellen Part in der Zeremonie, indem ich für den Gemeindestandort Herz Jesu eine Kerze aus der Hand des Erzbischofs entgegennahm. (Als besonders profiliert würde ich diesen meinen Auftritt allerdings nicht einschätzen, denn nicht nur umfasst der Pastorale Raum noch sechs andere Gemeindestandorte, sondern darüber hinaus erhielten auch Vertreter aller möglicher im Pastoralen Raum vertretenen Einrichtungen und Verbände so eine Kerze -- ich habe irgendwann aufgehört mitzuzählen.) Auch der anschließende Empfang war nett, ich unterhielt mich gut mit unserem Diakon und besonders mit unserer neuen Pastoralreferentin; das Büffet, das bei diesem Empfang aufgetafelt wurde, stellte für diejenigen unter uns, die in der Fastenzeit nicht nur freitags auf Fleisch verzichten möchten, allerdings ein echtes Opfer dar.

Am Montagvormittag war ich mit meiner Tochter bei einer kleinen, privat organisierten Krabbelgruppe im evangelischen Gemeindehaus in Alt-Tegel. Dort interessierte mein liebes Kind sich vorrangig dafür, sich mit mir Bilderbücher anzuschauen, und unter den Büchern, die sie unermüdlich aus dem Regal hervorzog, war eine Art illustrierte Kinderbibel, in der die einzelnen Geschichten nicht chronologisch bzw. gemäß der Reihenfolge der Bücher im biblischen Kanon, sondern thematisch sortiert waren, und dazwischen gab es zum jeweiligen Thema passende Spiel- und Bastelideen und sogar Rezepte. Gefiel mir zu meiner eigenen Überraschung ziemlich gut, insbesondere als ich in diesem Buch ein Rezept für Negerkusstorte entdeckte. Die hieß da aus Gründen der political correctness zwar anders, aber in meinen fernen Kindertagen war das nun mal die gebräuchliche Bezeichnung.  Besonders entzückt war ich darüber, dass der letzte Satz des Rezepts lautete "Da wird sich deine Mutter aber freuen!" Genau, dachte ich, und nur zwei Tage später - also am Mittwoch - sagte ich zu meiner Tochter "Komm, lass uns eine Torte für die Mami backen, da freut sie sich", ging mit ihr die Zutaten einkaufen, und dann machten wir uns an die Arbeit. (Tatsächlich war "eine Torte backen" nicht ganz korrekt formuliert, zu backen gab es da gar nichts, aber wer wird so kleinlich sein.) Es war ein Riesenspaß, und ich glaube sagen zu können, wir waren beide zu Recht stolz auf das Ergebnis.

Am Donnerstag war in der Lesehore ein Abschnitt aus dem Buch Exodus an der Reihe, der mich sehr stark ansprach (und an den ich mich, obwohl ich das Buch Exodus in meinem Leben schon mehrfach durchgelesen habe, nicht erinnern konnte):  Wie Mose von morgens bis abends über Streitfälle unter den Israeliten zu Gericht sitzt, bis sein Schwiegervater ihm ins Gewissen redet, er dürfe sich nicht zu viel zumuten; woraufhin Mose "Hauptleute über das Volk" auswählt und einsetzt, "als Vorsteher für je tausend, hundert, fünfzig und zehn". Ich könnte mir diese Bibelstelle gut als Grundlage für einen Vortrag - etwa von Johannes Hartl oder jemandem in der Preisklasse - darüber vorstellen, was v.a. in evangelikalen Kreisen gern "Leiterschaft" genannt wird, oder auch über Organisationsstruktur oder wie man's auch nennen will. Vielleicht gibt's so einen Vortrag sogar schon irgendwo online, muss ich wohl mal gucken. Was mir auf den ersten Blick auffällt, ist, dass die schwierigen Fälle weiterhin Mose persönlich vorbehalten bleiben; und dass es den Verfechtern innerkirchlicher Demokratie kaum gefallen dürfte, dass die Vorsteher von Mose bestimmt und nicht vom Volk gewählt werden. Aber schließlich ist die Geschichte von der Wanderschaft des Volkes Israel durch die Wüste ja voll von Episoden, die sehr deutlich zeigen, was dabei herauskäme, wenn man dem Volk seinen Willen ließe. 

Am Freitagnachmittag erreichten mich dann kurz nacheinander eine Rundmail an die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter, Pfarrgemeinderats- und Kirchenvorstandsmitglieder meiner Pfarrei und eine öffentliche Bekanntmachung des Erzbistums Berlin, die sich beide um Maßnahmen gegen die Weiterverbreitung des Coronavirus drehten. Fangen wir mal mit dem Pfarrei-internen Schreiben an: Darin heißt es, in der Dienstbesprechung der Geistlichen und anderen Hauptamtlichen sei beschlossen worden, "bis auf Weiteres" sowohl alle Werktagsgottesdienste als auch Gemeindeveranstaltungen wie etwa Chorproben, Erstkommunion-Vorbereitungskurse, Seniorengruppen etc. ausfallen zu lassen und die Gemeinderäume vorerst auch nicht mehr externen Veranstaltern zur Verfügung zu stellen. Das Rundschreiben des Erzbistums kam, wie gesagt, wenig später; darin wird erklärt, die "Verpflichtung zur Mitfeier der Heiligen Messe an Sonn- und Feiertagen" sei "bis auf weiteres aufgehoben", "Veranstaltungen mit mehr als 500 Teilnehmenden [sic] seien "abzusagen", überhaupt sollten "Veranstaltungen, die nicht unbedingt notwendig sind, [...] verlegt werden",  insbesondere solche, "die sich an Senioren richten, da sie stärker gefährdet sind." Aber auch "Kinder- und Familiengottesdienste sollten vorübergehend nicht gefeiert werden" -- na, wenigstens eine gute Nachricht. In denjenigen Messfeiern, die weiterhin stattfinden, "soll nicht gesungen, nicht die Mundkommunion gespendet und auf den Friedensgruß verzichtet werden." Das mit der Mundkommunion ist allerdings natürlich Quatsch, oder sagen wir, es ist irrationalen Vorurteilen geschuldet. Tatsächlich gibt es keinen Grund, anzunehmen, bei Handkommunion wäre das Infektionsrisiko geringer. Wollte man also konsequent sein, müsste man die Kommunionspendung ans Volk ganz unterbinden und stattdessen die geistige Kommunion empfehlen. -- Davon abgesehen muss man sagen, dass es den Berliner Katholiken mit diesem Stand der Dinge (der sich seitdem schon wieder geändert hat, s.u.) immer noch besser ging als den Gläubigen in einigen westdeutschen Bistümern, in denen gleich alle öffentlichen Messfeiern ausgesetzt wurden. -- 

Bereits am Dienstagabend hatte ich per Mail eine Einladung des Zisterzienserpriorats Neuzelle zu einem Männereinkehrtag bekommen -- für Samstag. Diesen Samstag. Bisschen kurzfristig, war mein erster Gedanke, und mein zweiter: Eigentlich kommt mir das gerade recht. Ich sprach mit meiner Liebsten darüber, und sie war auch der Meinung, ich solle da hinfahren. Am Freitag hatte ich kurzzeitig Sorge, die Veranstaltung werde womöglich wegen Corona abgesagt werden, aber es gab Entwarnung: Zwar könne der vorgesehene Referent aus Heiligenkreuz nicht anreisen, aber die Neuzeller Patres würden den Einkehrtag dann eben selbst gestalten. Ich fuhr also am Samstag in aller Frühe los zu einem Tag mit Vorträgen, Heiliger Messe (von der ich zu diesem Zeitpunkt annahm, es sei bis auf Weiteres wahrscheinlich die letzte Gelegenheit für mich. die Kommunion zu empfangen), gesungenem lateinischem Stundengebet der Mönche, Eucharistischer Anbetung und zwischendurch schön viel Ruhe, wie ich sie zu Hause so sicher nicht bekommen hätte. Und diese saubere Luft -- im direkten Vergleich dazu kommt einem, wie ich bei meiner Rückkehr am Abend feststellen konnte, Berlin total verpestet vor; und ich glaube, das hat nichts mit Corona zu tun, oder jedenfalls nicht nur. -- Aber bleiben wir gedanklich noch einen Moment beim Einkehrtag: Die Absage des eigentlich vorgesehen Referenten möchte ich beinahe als einen Glücksfall betrachten, denn dadurch kamen die Teilnehmer am Nachmittag in den Genuss eines eher improvisierten, aber sehr starken Impulsvortrags von Pater Kilian Müller OCist, von dem ich mich enorm angesprochen fühlte. Ich glaube, ich habe daraus - in Kombination mit einigen Passagen aus dem Buch "Ich hörte auf die Stille" von Henri Nouwen, in dem ich auf der Zugfahrt und in den Pausen gelesen habe - etwas Wichtiges über mich gelernt. (Was genau das war, verrate ich vielleicht ein andermal.)

Insgesamt war der Aufenthalt in Neuzelle einfach Balsam für die Seele, eine Oase inmitten des Wahnsinns -- der mich prompt wieder fest in seine Arme nahm, kaum dass ich nach Berlin zurückgekehrt war. Inzwischen hatte der Berliner Senat alle Arten von Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern verboten; Veranstaltungen mit bis zu 50 Teilnehmern müssen demnach Anwesenheitslisten (mit Kontaktdaten) führen und diese auf Verlangen dem Gesundheitsamt vorlegen. Das gilt ausdrücklich auch für Gottesdienste - woraus unser Pfarrer die Konsequenz zog, die Sonntagsmesse in Herz Jesu Tegel abzusagen, was wir allerdings erst am Sonntagmorgen erfuhren. Zu seiner Verteidigung kann man vorbringen, dass er beiweitem nicht der einzige Gemeindepfarrer in Berlin war, der so entschieden hat; aber - gelinde gesagt - betrüblich war das natürlich schon. Nebenbei bemerkt ist es für den gerade erst, siehe oben, mit großem Trara eröffneten Pastoralen Raum Reinickendorf-Süd wohl mehr oder weniger tragikomisch, dass praktisch seine erste Amtshandlung darin besteht, bis auf Weiteres erst mal die Schotten dichtzumachen. Tja, Sign o' the Times, liebwerte Freunde. -- Wir jedenfalls gingen daraufhin zur Abendmesse in St. Afra, das heißt, zur Messe in der außerordentlichen Form beim Institut St. Philipp Neri, das als Institut Päpstlichen Rechts nicht der Jurisdiktion des Erzbistums Berlin unterliegt -- sehr wohl aber natürlich der weltlichen Macht des Berliner Senats, weshalb auch hier die Teilnahme an der Messe strikt auf 50 Personen beschränkt und nur nach namentlicher Anmeldung möglich war. In gewisser Weise war die Mitfeier dieser Messe inmitten des allgemeinen Ausnahmezustands ein besonders intensives, berührendes Erlebnis, auch dank einer sehr starken Homilie von Propst Gerald Goesche. Nach der Kommunion fühlten wir uns dann in geistlicher Hinsicht gut gerüstet für alles, was uns in dieser sehr speziellen Fastenzeit noch erwarten mag. Zur Feier dieser Tatsache gingen wir anschließend noch essen in einem der Restaurants in Tegel, die noch offen hatten, und kauften dem mobilen Rosenverkäufer seine gesamte Ware ab. 

Symbolbild: William Hogarth (1697-1764), "Tailpiece, or, The Bathos" (gemeinfrei)

Was ansteht: Tja. Diese Rubrik hätte in der aktuellen Woche erheblich anders ausgesehen, wären nicht die oben angesprochenen Rundschreiben zur Einschränkung kirchlicher Aktivitäten im Zeichen der Corona-Pandemie-Bekämpfung dazwischengekommen. Freitag Lokalausschuss, Samstag Krabbelbrunch, Sonntag Büchertreff: fällt alles aus. Was, so Gott will, nicht ausfällt, ist der Lobpreis am Dienstag. Das ist eine Veranstaltung im Rahmen der "offenen Kirche" in Herz Jesu, und solange nicht beschlossen wird, dass die Kirche tagsüber zugesperrt bleibt, werden wir weiter dienstags um 17:30 Uhr lobpreisen.

Inwieweit die außerkirchlichen Notfallmaßnahmen in Sachen Corona sich auf unseren Familienalltag auswirken werden, ist noch nicht gänzlich abzusehen: Augenblicklich kann man den Eindruck haben, der Berliner Senat denke sich täglich (wenn nicht sogar mehrmals täglich) neue Maßnahmen aus. Vorerst muss meine Liebste jedenfalls noch arbeiten gehen: In Berlin bleiben zwar ab heute die Oberstufenzentren und ab morgen dann auch alle anderen Schulen geschlossen, aber meine Liebste unterrichtet im Land Brandenburg, und da gehen die Uhren anders. Ganz verstanden habe ich die Medienberichte über die dortige Regelung zum Schulbetrieb zwar nicht - wird den Schülern ab Mittwoch die Teilnahme am Unterricht freigestellt?  Heißt das etwa, die Lehrkräfte müssen weiterhin zur Arbeit antanzen? -, aber meine Liebste ist optimistisch, dass sie ab Mittwoch zu Hause bleiben darf. Ich nehme an, dass wir das heute im Laufe des Tages erfahren werden. Bisher kann man die Informationspolitik der Landesbehörden (und vor allem auch ihre interne Kommunikation) jedenfalls nur als katastrophal bezeichnen. Na ja, davon abgesehen werden wir uns in den nächsten Tagen damit beschäftigen, einen sinnvollen Plan für unsere Verproviantierung zu entwickeln und umzusetzen, solange man noch einkaufen gehen kann. 


Zitat der Woche: 
"Weder Johannes der Täufer noch der Heilige Benedikt waren unmittelbar einbezogen in die politischen Geschehnisse ihrer Zeit. Doch waren sie beide von der Peripherie her - vom Rande der Wüste oder von Montecassino aus - besser imstande, die wirklichen Krankheiten ihrer Zeit zu diagnostizieren, als jene Menschen, die unmittelbar in die Organisation oder Die Wiederherstellung der gesellschaftlichen Strukturen verwickelt waren. Beide mochten vielleicht in ihrer Zeit als ‘Hinterwäldler' bezeichnet worden sein. Doch Johannes der Täufer hat den Herrn erkannt, und der heilige Benedikt hat - indem er sich ganz auf seine eigene Gemeinschaft konzentrierte - die Grundlagen für ein neues Europa gelegt."  
(Henri Nouwen, "Ich hörte auf die Stille. Sieben Monate im Trappistenkloster." Freiburg/Basel/Wien 1978, S. 39) 

Linktipps: 
Dieser Artikel ist zwar schon rund ein Jahr alt, wurde aber vor ein paar Tagen auf der Facebook-Seite von The Babylon Bee erneut geteilt, wodurch ich auf ihn aufmerksam geworden bin. The Babylon Bee ist nämlich, auch wenn "Factchecking"-Dienste wie Snopes.com das offenbar für nicht ganz evident halten, gar keine echte Nachrichtenseite und hat darum auch keine Probleme damit, ältere Meldungen in mehr oder weniger unregelmäßigen Abständen erneut zu veröffentlichen. Wenngleich dieser Artikel sich schon in der Überschrift auf zwei 2018 und 2019 erschienene Lebenshilfe-Ratgeber-Bücher von Rachel Hollis - "Girl, Wash Your Face" und "Girl, Stop Apologizing" - bezieht, darf man wohl behaupten, dass er im Jahr 2020 nicht mehr und nicht weniger relevant ist als im Jahr 2019. Die Kernaussage des Artikels, Selbstfindungs- und Selbstverwirklichungskonzepte, wie sie in einschlägigen Ratgeber-Büchern zu finden seien, brächten letztlich keine Erlösung, sondern diese sei allein bei Christus zu finden, könnte man für eine christliche Binsenweisheit halten; erheblich an Brisanz gewinnt der Beitrag jedoch, wenn man berücksichtigt, dass die darin aufs Korn genommenen Bücher von Rachel Hollis (die übrigens aus einer Familie ländlicher Erweckungsprediger, sogenannter "holy rollers", stammt) gerade in der "christlichen Szene" stark rezipiert werden und zuweilen explizit als christliche Lebenshilfe-Ratgeber gehandelt werden, und sei es nur deshalb, weil die Autorin darin fleißig aus der Bibel zitiert. So gesehen erscheint die Polemik der Babylon Bee gegen die besagten Bücher als scharfe Kritik an der Methode, Bibelzitate oder andere aus dem Fundus des Christentums entnommene Versatzstücke lediglich zur Einkleidung weltlich-allzuweltlicher Feelgood-Botschaften zu verwenden. Eine Kritik, die sich auch hierzulande manches kirchenamtliche oder kirchennahe Medienformat gern mal hinter die Ohren schreiben dürfte

Im Bremer Vorort Blumenthal gibt es schon seit längerer Zeit Ärger um die Trägerschaft einer geplanten neuen KiTa, aber ich bin erst jetzt auf den Fall aufmerksam geworden: Das "Sozialwerk Oldenburg" hatte in Blumenthal unter der Projektbezeichnung "Ermlandstraße 2020" ein Familienzentrum geplant, das auch eine Kindertagesstätte umfassen sollte. Kritik an diesem Projekt wurde laut, weil das "Sozialwerk Oldenburg" zur "Freien Christengemeinde Oldenburg" gehört, einer evangelikal-charismatischen Freikirche. Das ist ein Problem, und man ahnt schon, warum.  "Der Träger einer Kindertagesstätte habe einen öffentlichen Auftrag", heißt es in dem Bericht von buten un binnen – und "da gebe es Grenzen, wer diese Trägerschaft übernehmen dürfe". Konkret werden diese Grenzen von der Fraktionsvorsitzenden der Linken in der Bremischen Bürgerschaft, Sofia Leonidakis, benannt: "Für uns gibt es zwei rote Linien. Das sind kommerzielle Träger und evangelikale. Denn evangelikale können religiös radikal eingestellt sein" -- und infolgedessen womöglich gar "homophob eingestellt". Und das, so Leonidakis, "passt nicht in das Weltbild, welches Kindern im jungen Alter vermittelt werden sollte". So, sollte es das? Ist es Aufgabe von KiTas, "Kindern im jungen Alter" ein bestimmtes Weltbild zu vermitteln, noch dazu eines, dass sich auch auf Fragen der Sexualität erstreckt? Zugegeben, ich tue hier nur so überrascht; tatsächlich ist das Thema "Sexualerziehung im Kindergartenalter" ja nicht nur in Bremen-Blumenthal und auch nicht erst in allerneuester Zeit ein Thema. Aber zu denken gibt es doch, dass es zu diesem Thema offenbar nur noch eine als akzeptabel geltende Haltung gibt, die noch dazu überhaupt keiner Begründung mehr zu bedürfen scheint. In einem älteren buten un binnen-Beitrag zum Blumenthaler KiTa-Konflikt äußert auch "Maja Tegeler, Mitorganisatorin des Bremer Christopher Street Days", es sei "diesem Träger nicht zu[zu]trauen, moderne Geschlechter- und Familienbilder zu akzeptieren und abzubilden, so wie es eigentlich von Kitas in der frühkindlichen Bildung erwartet werden sollte". Ich kann mich nur wiederholen: So, sollte es das? Während die Linken "keine evangelikale Indoktrination der Kinder" wollen, haben Eltern, die keine Indoktrination ihrer Kinder im Sinne von sexueller Revolution, LGBTQ-Agenda und Gender Mainstreaming wollen, offenkundig nichts zu melden. -- Interessant ist derweil auch die Aussage der Linken-Politikerin, es sei "sehr schwer, solche Träger zu kontrollieren, wenn sie denn erst einmal da wären"; fast ist man geneigt zu sagen: Das lässt ja hoffen. -- Generell, so betont Sofia Leonidakis allerdings, habe die Linke jedoch "nichts gegen kirchliche Träger": "Die evangelische Kirche macht da zum Beispiel einen hervorragenden Job". -- Keine weiteren Fragen, Euer Ehren. 

Angesichts der Entwicklungen der letzten Tage (s.o.) überrascht es wohl kaum, dass auch diese Woche ein Linktipp zum Thema Coronavirus nicht fehlen darf; genauer gesagt, wie schon vorige Woche, zum Umgang der Kirche(n) mit der Pandemie-Gefahr. Der Kontrast zwischen einem Beitrag von Marco Gallina in der Tagespost und einem von Philipp Greifenstein in der Eule, dem Zentralorgan der postchristlich-linken Churchfluencerzum (mehr oder weniger) gleichen Thema ist natürlich denkbar riesig, aber gerade das macht die Sache ja interessant; und auch wenn Greifensteins Artikel schon ein paar Tage später wenigstens in Teilen vom realen Gang der Ereignisse quasi überholt worden ist (ebenso wie übrigens meine Anmerkungen dazu, da sich die Lage, noch während ich diese formuliert habe, mehrfach verändert - sprich: verschärft) hat, finde ich ihn immer noch ausgesprochen illustrativ. -- Natürlich muss man bedenken, dass Greifenstein, wenn er dafür plädiert, für fünf Wochen (oder so) einfach mal pauschal alle Gottesdienste ausfallen zu lassen, vorrangig von der evangelischen Kirche her denkt; und da liegt zugegebenermaßen auch mir der Gedanke "Ja, warum eigentlich nicht?" nicht ganz fern. Das ist gar nicht so boshaft gemeint, wie man angesichts meiner bekanntermaßen eher begrenzten Sympathien für den landeskirchlichen deutschen Mainline-Protestantismus annehmen könnte. Nein, aus einem protestantischen Kirchenverständnis heraus ist es tatsächlich alles andere als selbsterklärend, wieso es unbedingt öffentliche Gottesdienste geben "muss" -- bzw. wieso "[p]rivater Gottesdienst, Bibellese, Gebet und Beschäftigung mit geistlichen Fragen", wie Greifenstein anregt, nicht ein vollwertiger Ersatz dafür sein sollte. Das ist auf katholischer Seite natürlich entschieden anders: Das heilige Messopfer ist, wie das II. Vatikanische Konzil bekräftigt hat, "Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens", es muss gefeiert werden, und nicht nur sonntags, sondern täglich. Und eigentlich sollte auch bei jeder Messfeier Volk anwesend sein; jedenfalls schreibt Can. 906 CIC vor, ohne "gerechten und vernünftigen Grund" dürfe ein Priester "das eucharistische Opfer nicht ohne die Teilnahme wenigstens irgendeines Gläubigen feiern". Nun darf man das Bestreben, die weitere Ausbreitung des Coronavirus möglichst einzudämmen, fraglos als einen solchen gerechten und vernünftigen Grund betrachten; zugleich betont Can. 904 CIC,  "auch wenn eine Teilnahme von Gläubigen nicht möglich ist", sei das tägliche Messopfer dennoch "eine Handlung Christi und der Kirche [...], durch deren Vollzug die Priester ihre vornehmste Aufgabe erfüllen". Okay, soweit die priesterliche Perspektive. Was die Laien betrifft, verpflichtet das Kirchenrecht zwar jeden Katholiken "[a]m Sonntag und an den anderen gebotenen Feiertagen [...] zur Teilnahme an der Meßfeier" (Can. 1247 CIC), allerdings nur, sofern diese Teilnahme nicht aus einem "schwerwiegenden Grund [...] unmöglich ist" (Can. 1248, § 2 CIC). In der derzeitigen Situation haben zahlreiche Bischöfe ihre Diözesanen bis auf Weiteres von der Sonntagspflicht entbunden (so auch in Berlin, s.o.). So oder so liegt es auf der Hand, dass die (mindestens) sonntägliche Eucharistiefeier im katholischen Kirchenverständnis einen ungleich höheren Stellenwert hat als der Gemeindegottesdienst im evangelischen; dieser Unterschied ist auch Greifenstein bewusst, und er nutzt ihn als Argument für sein Anliegen:
"Wenn die Katholische Kirche in Oberösterreich von Eucharistie, Friedensgruß und sogar Gottesdienstbesuch abrät, brauchen gerade Protestanten nicht 'katholischer' zu sein als die katholischen Geschwister."
Na gut, könnte man da ja nun sagen: Da es in den evangelischen Kirchen sowieso keine Pflicht zur Teilnahme am Sonntagsgottesdienst gibt, kann man dann die Risikoabwägung angesichts der Corona-Pandemie-Gefahr nicht jedem einzelnen selbst überlassen? Ja nee, meint der Greifenstein: Gerade die alten Leutchen, die durch das Virus am stärksten gefährdet sind, sind "eben auch Gewohnheitstiere und einige von ihnen recht störrisch, wenn es um das Festhalten an liebgewordenen Traditionen geht", und folglich kann man sie zu ihrem eigenen Besten nur dadurch am Gottesdienstbesuch hindern,  man gar keine Gottesdienste stattfinden lässt. -- Mag die etwas ruppige Wortwahl an dieser Stelle schon leise Zweifel aufkommen lassen, ob den Verfasser wirklich nur die Sorge im die Gesundheit der älteren Mitbürger umtreibt oder ob da nicht doch noch eine andere Agenda im Hintergrund schlummert, so ist es schon fast als ein momentanes Verrutschen der Maske betrachten, wenn Greifenstein die Einschätzung äußert, "[d]ie Corona-Epidemie könnte auch zur Stunde der Kirche im digitalen Raum werden". "Das Coronavirus als Chance" wäre doch mal ein schnittiger Titel für ein internes Strategiepapier. Noch deutlicher wird der Verfasser auf Twitter; dort beklagt er, viele Gemeinden seien allzu "gottesdienstfixiert", und das, "[o]bwohl ja 96% (92% kath.) der eigenen Leute gar nicht hingehen". Tja. Und wenn die Kirchen jetzt mal für ein paar Wochen dichtgemacht werden, dann merkt von den 4-8%, die bisher immer noch hingegangen sind, bestimmt auch ein gewisser Anteil, dass sie im Grunde auch ganz gut ohne Gottesdienst leben können. Und das ist doch super. Dann muss die Kirche in Zukunft auch nicht mehr so viele Gottesdienste anbieten und hat mehr Ressourcen frei für andere Dinge. Was für Dinge sollen das sein? Keine Ahnung, aber man könnte ja mal Erik Flügge fragen...


Ohrwurm der Woche: 

Yes, "It Can Happen" (1983) 


Meine persönliche Coronavirus-Hymne: "It can happen to you, it can happen to me, it can happen to everyone eventually". Ja, das Video ist cheesy, aber der Song ist geiler als ich ihn in Erinnerung hatte. 


Aus der Lesehore: 

"Darin besteht die Größe des Menschen, das ist seine Erhabenheit, wirklich zu erkennen, was groß ist, ihm allein fest verbunden zu sein und Ruhm vom Herrn des Ruhmes zu suchen."  
(Hl. Basilius d. Gr., Über die Demut) 

1 Kommentar:

  1. Diasporakatholik17. März 2020 um 13:44

    Hl. Messen kann man auch jetzt noch sogar noch ohne Internet mit dem normalen Fernseher empfangen.

    Jeden 2. Sonntag ab 9.30 Uhr im ZDF.

    Und auf Bibel.tv via domradio die Messen aus dem Kölner Dom - Mo -Fr um 8 Uhr aus einer Seitenkapelle und jeden 2. Sonntag (wenn im ZDF der evang. Gottesdienst gesendet wird) um 10 Uhr von dem Seitenaltar des Kölner Doms.

    Alles natürlich ohne Kirchbesucher - aber immerhin.

    Ist auch etwas für ältere Menschen nur mit Fernseher ohne Internetkenntnisse bzw. -zugang.

    Vorausgesetzt Bibel.tv ist über Kabel oder Satellit empfangbar.

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