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Donnerstag, 3. Dezember 2015

Let's talk about Reformverhinderung!

Gestern früh durfte ich im Domradio - live am Telefon - über das Tagesevangelium (Matthäus 15,19-37) sprechen, und im Zuge dessen fragte mich der Moderator, ob die Kirche heute noch in der Lage sei, Wunder zu wirken. Ich erwiderte, davon müsse man ausgehen, schließlich habe Jesus Christus die Kirche in Gestalt der Apostel persönlich eingesetzt und den Aposteln ausdrücklich die Vollmacht erteilt, in Seinem Namen Wunder zu wirken (vgl. Markus 16,17ff.). Freilich, fügte ich hinzu, könne man sich vielfach die Frage stellen, ob die Kirche heute eigentlich selbst noch an ihre Fähigkeit glaube, Wunder zu wirken; ob sie nicht, besonders hierzulande, allzu sehr in Strukturen verstrickt sei und den Mut und die Kraft, Wunder zu vollbringen, erst wiederfinden müsse. 

Nun ist es vermutlich etwas frech, in einem kirchensteuerfinanzierten Medium Kritik an kirchlichen Strukturen zu äußern; aber verkneifen konnte ich es mir dann doch nicht. Und bei der Gelegenheit habe ich mich dann daran erinnert, dass ich zu diesem Thema ohnehin noch was bloggen wollte.

In Hinblick darauf, was man in kirchensteuerfinanzierten Medien so alles mehr oder weniger ungestraft äußern kann, setzt bekanntermaßen immer wieder das im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz betriebene Online-Portal katholisch.de Maßstäbe. Internationales Aufsehen erreichte jüngst der Kommentar "Romantische, arme Kirche" von Redaktionsmitglied Björn Odendahl. Nun kann man wohl behaupten, über diesen überaus peinlichen Text sei schon so ziemlich alles gesagt, und wenn auch noch nicht von Jedem, so doch u.a. von Peter Winnemöller, Josef Bordat und nicht zuletzt von Leroy Huizenga in First Things, dem nach eigener Einschätzung einflussreichsten US-amerikanischen Magazin über Religion und Gesellschaft. Huizenga witterte in Odendahls Ausführungen über die Kirche in Afrika gar "sanften Rassismus". Nun ist der ausgerechnet bei betont "liberalen" oder "progressiven" Kirchenvertretern immer mal wieder zu beobachtende Hang zum Afrika-Bashing zweifellos ein interessantes Thema; noch interessanter finde ich den besagten katholisch.de-Kommentar allerdings in Hinblick darauf, was der Autor über die Kirche in Deutschland auszusagen beabsichtigt und was er tatsächlich darüber aussagt. Besonders wenn man dies im Zusammenhang mit einigen anderen aktuellen Wortmeldungen zum Zustand der deutschen Teilkirche betrachtet. Denn, wie gesagt, zu diesem einen Text ist ja an und für sich schon mehr als genug gesagt worden.

Fangen wir trotzdem erst einmal mit Afrika an. Genauer gesagt mit dem aus dem westafrikanischen Guinea stammenden Robert Kardinal Sarah, dem Odendahl attestiert, er gebe (allzu) "einfache Antworten auf schwierige (Glaubens)Fragen", die von den Afrikanern infolge ihres niedrigen Bildungsniveaus allzu leicht akzeptiert würden. Nicht uninteressant ist es, diese Einschätzung damit abzugleichen, was die deutschsprachige Wikipedia über Kardinal Sarah schreibt: Dieser gelte "als Speerspitze der Konservativen" und sei "für seine radikalen Aussagen bekannt" (eine Fußnote zu letzterer Einschätzung führt, schau mal einer kuck, zu einem Artikel auf katholisch.de). Insbesondere auf der "Familiensynode im Oktober 2015" habe sich Kardinal Sarah "als Wortführer afrikanischer römisch-katholischer Bischöfe" profiliert: "Er wollte dort Reformen verhindern."

Reformen verhindern, so so. Das klingt natürlich finster. Schließlich ist "Reform", trotz Hartz IV und manch anderen durchaus nicht einhellig mit Freude aufgenommenen "Reform"-Paketen aus dem politischen Bereich, ein grundsätzlich positiv besetzter Begriff. Stünde da, Kardinal Sarah habe eine Aufweichung oder Aushöhlung der katholische Sakramentenlehre verhindern wollen, würde das schon anders wirken; so sehr anders dann aber wohl auch wieder nicht, denn genau das stellen sich schließlich große Teile der säkularen Medienlandschaft, aber auch so manche Kreise innerhalb der Kirche unter Reformen vor. Die Art von Reform, die die Kirche dringend brauche, sei eine Anpassung an die Lebenswirklichkeit der Menschen, mithin der Verzicht auf vermeintlich oder tatsächlich unerfüllbare ethische Anforderungen. Überhaupt soll sie moderner, zeitgemäßer, "niederschwelliger" werden. Komisch nur, dass die Kirche in ihrer knapp 2000jährigen Geschichte unter Reform stets etwas ganz Anderes verstanden hat - und auch das kann man bemerkenswerterweise in der Wikipedia nachlesen. Von den Kirchenvätern über die diversen Kirchenreformen des Mittelalters bis hin zu den (aus protestantischer Sicht gern polemisch als "Gegenreformation" bezeichneten) Reformen des Konzils von Trient wurde "Reform" stets als Rückbesinnung, Läuterung, ja Umkehr begriffen - und Umkehr, das gehört nun wirklich zum kleinen Einmaleins des Christentums, hat immer etwas mit Buße zu tun. Reform im katholischen Sinne heißt nicht größeres laissez-faire, sondern strengere Disziplin (um nicht so ein altmodisches Wort wie "Zucht" zu verwenden); nicht Aufweichung der Lehre, sondern Bekräftigung der Lehre; nicht Angleichung an die Welt, sondern, mit einem von Benedikt XVI. geprägten Begriff gesagt, Entweltlichung.

Ich hatte an dieser Stelle eigentlich einen längeren Exkurs über das Verhältnis von Tradition und Innovation in der Kirche sowie über die Bedeutung des Begriffs "konservativ" im kirchlichen Kontext geplant, aber wissta was, da mach' ich vielleicht lieber mal einen eigenständigen Beitrag draus und bleibe jetzt und hier erst mal beim Begriff Entweltlichung. Unter diesem Leitwort skizzierte Benedikt XVI. in seiner Freiburger Konzerthausrede vom 25.09.2011 ein Reformprogramm für die Kirche, das ganz in der Tradition dessen steht, was die Katholische Kirche schon immer unter Reform verstanden hat. Ein Programm allerdings, das gerade die deutsche Teilkirche seither tapfer ignoriert.
"Die Kirche [...] hat nichts aus Eigenem gegenüber dem, der sie gestiftet hat [...]. Ihr Sinn besteht darin, Werkzeug der Erlösung zu sein, sich von Gott her mit seinem Wort durchdringen zu lassen und die Welt in die Einheit der Liebe mit Gott hineinzutragen. [...]
In der geschichtlichen Ausformung der Kirche zeigt sich jedoch auch eine gegenläufige Tendenz, dass die Kirche zufrieden wird mit sich selbst, sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam ist und sich den Maßstäben der Welt angleicht. Sie gibt nicht selten Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zu der Offenheit auf Gott hin". 
Soweit also Benedikt XVI. vor gut vier Jahren. Eigentlich hätte jedes dieser Worte so manch einen deutschen Kirchenfunktionär ins Mark treffen müssen, aber das scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Kürzlich nun waren die deutschen Bischöfe zum Ad-limina-Besuch in Rom - erstmals seit neun Jahren, obwohl diese Besuche eigentlich alle fünf Jahre stattfinden sollten. Und bei diesem Besuch präsentierte ihnen Papst Franziskus eine Analyse des Zustands der Kirche in Deutschland, die sich gewaschen hatte. Schonungslos diagnostizierte der Papst eine "Erosion des katholischen Glaubens in Deutschland": 
"Wo in den Sechziger Jahren noch weiträumig fast jeder zweite Gläubige regelmäßig sonntags zu heiligen Messe ging, sind es heute vielfach weniger als 10 %. Die Sakramente werden immer weniger in Anspruch genommen. Die Beichte ist vielfach verschwunden. Immer weniger Katholiken lassen sich firmen oder gehen das Sakrament der Ehe ein. Die Zahl der Berufungen für den Dienst des Priesters und für das gottgeweihte Leben haben drastisch abgenommen." 
"Das Gebot der Stunde", folgerte Franziskus, sei eine "pastorale Neuausrichtung": die "Strukturen der Kirche" müssten "missionarischer werden". In diesem Zusammenhang warnte der Papst, ganz im Sinne der Freiburger Rede seines Vorgängers, vor einer
"Tendenz zu fortschreitender Institutionalisierung der Kirche. Es werden immer neue Strukturen geschaffen, für die eigentlich die Gläubigen fehlen. Es handelt sich um eine Art neuer Pelagianismus, der dazu führt, unser Vertrauen auf die Verwaltung zu setzen, auf den perfekten Apparat." 
"Die Ansprache von Papst Franziskus an die deutschen Bischöfe zum Ad-Limina-Besuch war eine Klatsche", urteilt der Papsttreue Blog; der Papst habe den "Finger auf alle Wunden gelegt", heißt es auf katholon. Und wie geht man nun im deutschen Episkopat mit diesem gepfefferten Feedback um? -- Im Zweifel: erst einmal gar nicht. Gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur KNA erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, die Audienzen beim Ad-limina-Besuch seien "Gespräche auf Augenhöhe" gewesen - da fasst man sich doch an den Kopf, nicht nur wegen des widerwärtigen Sozialpädagogen-Sprechs, der Verlautbarungen deutscher Kirchenvertreter so hartnäckig anhaftet wie ein böser Schnupfen, sondern vor allem wegen der darin zum Ausdruck kommenden Haltung - derselben, die schon aus Kardinal Marx' berüchtigtem Diktum aus dem Februar dieses Jahres sprach, die Bischofskonferenzen seien "keine Filialen von Rom". Kurz gesagt: Der Papst kann uns gerne sagen, was er auf dem Herzen hat, aber wir wissen schon selber, was wir zu tun haben. Von der KNA zaghaft darauf angesprochen, die "abschließende Rede" des Papstes habe doch wohl "einige kritische Akzente" enthalten, wiegelte der Kardinal prompt ab: "Der Papst spricht damit nichts Neues an, mit diesen Fragen beschäftigen wir uns als Bischofskonferenz seit Jahren intensiv." Na klar. Die deutschen Diözesen haben ihre eigenen "Pastoralpläne" und "Zukunftsbilder", und da lassen sie sich auch nicht reinreden. Schon gar nicht von Päpsten, die offensichtlich etwas völlig Anderes wollen als man selber. Man hat es sich schließlich so schön eingerichtet in der Weltlichkeit. -- Übertreibe ich? Nun ja, wahrscheinlich teils, teils. Man kann nicht alle deutschen Bistümer über einen Kamm scheren und schon gar nicht alle kirchlichen Funktions- und Entscheidungsträger. Aber man braucht sich nur einmal anzusehen, was für Zukunftsvisionen etwa der Essener Generalvikar Monsignore Klaus Pfeffer hegt und verbreitet, um unschwer zu dem Schluss zu kommen, dass sich das kaum mit dem Projekt der Entweltlichung, der armen Kirche für die Armen auf einen Nenner bringen lässt. Vielmehr herrscht da der von Papst Franziskus so oft gescholtene Neo-Pelagianismus in Reinform.

Und dann gibt es ja auch noch das "ZdK", das von der Deutschen Bischofskonferenz als offizielle Laienvertretung anerkannt wird. Dieses Gremium hat gerade einen neuen Präsidenten gewählt: Thomas Sternberg, studierter Theologe und CDU-Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen. Jemand, der Sätze sagt wie z.B., dass das "ZdK" "nicht eine Sahnehaube auf irgendeinem Stück [...] und kein Zuckerwerk" sein solle, sondern "das Grundnahrungsmittel für unsere Gesellschaft".Würg! Dass auch das "ZdK" eine erheblich andere Vision für die Kirche hat als der Papst und seine Vorgänger, ist im Prinzip nichts Neues; aber in der Antrittsrede des neuen Vorsitzenden Sternberg wurde dies doch, wie Peter Winnemöller auf katholon bereits herausgestellt hat, exemplarisch deutlich. Nur zwei Tage, nachdem Papst Franziskus den deutschen Bischöfen ins Stammbuch geschrieben hatte, sie dürften "nie müde werden", sich für den Schutz des Lebens "von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod" einzusetzen, und dürften dabei "keine Kompromisse eingehen", brach "ZdK"-Präsident Sternberg eine Lanze für eine Organisation, deren ganze Existenzgrundlage darin besteht, beim Einsatz für den Lebensschutz Kompromisse einzugehen - den Verein Donum vitae nämlich.

So eine deutliche Opposition gegen einen Papst, der so lange als Liebling der Liberalen galt, überrascht erst einmal; aber das auch von den säkularen Medien gern bediente Bild von Franziskus als superliberalem "Papst zum Knutschen" ist wohl (noch) zu stabil, als dass solche Differenzen großartig auffielen. Solange der Papst etwas äußert, was einem ins Konzept passt (oder zu passen scheint), beruft man sich beim "ZdK" und in den Pressestellen der Bistümer weiterhin gern auf ihn; beim Klimapilgern zum Beispiel. Positioniert er sich konservativer, als man es von ihm erwarten würde, wird dies gern ausgeblendet. Wenn er aber den Aufruf seines Vorgängers zur Entweltlichung aufgreift und, wie es nun mal in seinem Naturell liegt, im Tonfall sogar noch verschärft, wird auf ihn ebenso wenig gehört wie auf den vermeintlichen "Hardliner" Benedikt. Letztlich liegt das aber wohl in der Natur der Sache: Konstatieren die Päpste, die Kirche in Deutschland kranke an einem Übermaß an Struktur und Institutionalisierung, dann wehrt sich der institutionelle Apparat der deutschen Kirche dagegen, denn es geht ihm an die Existenz

Wenn wir also von Reformverhinderung in der Kirche reden wollen - und das sollten wir wohl -, dann sollten wir über ebendiesen institutionellen Apparat reden, dessen Selbsterhaltungstrieb zwar wie gesagt ganz natürlich und verständlich ist, aber eben doch die Gefahr birgt, notwendige Reformen in der Kirche zu blockieren. Und da kommen wir dann eben auch wieder zu katholisch.de und jenem inkriminierten Kommentar, dessen Verfasser Björn Odendahl lediglich so agiert, wie man es von einem treuen Parteisoldaten erwarten darf: Er verteidigt den Apparat, dem er selbst angehört. Und da Angriff manchmal die beste Verteidigung ist, geht er dabei betont offensiv vor. Die Attacke gegen die Kirche in Afrika, die er sich nahezu eins zu eins bei dem belgischen Kardinal Danneels abgeschaut haben könnte, ist dabei nur Mittel zum Zweck: In erster Linie geht es darum, an der deutschen Kirche genau das zu loben, was der Papst an ihr kritisiert. Am Ende wirkt es aber etwas allzu trotzig, wenn Odendahl schreibt: "Die Kirche braucht auch einen Apparat und Geld, um Gutes zu tun."

Denn, wie schrieb schon Kurt Tucholsky: "Wat brauchst du Jrundsätze, wenn du'n Apparat hast!"


4 Kommentare:

  1. Das ist mal wieder "zum Knutschen" !

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  2. Und von wem stammt der Artikel, mit dem in der Fußnote die Einschätzung des Kardinals Sarah belegt ist? Genau: von bod, vulgo Björn Odendahl...

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  3. Oder wie Otto von Habsburg schon sagte: Mit Apparatschiks kann sich eben niemand identifizieren.

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