Spulen wir also mal zurück in die 90er: Helmut Kohl war Bundeskanzler, Bill Clinton US-Präsident, der Hl. Johannes Paul II. war Papst, und In meiner Heimat Butjadingen galt damals noch die Weisheit "Hast du eine Kuh, dann bist du in der CDU". Folgerichtig bestand der Ortsverband der Jungen Union größtenteils aus Jungbauern und Bauernsöhnen. In anderen ländlich geprägten Gegenden des Landesverbandes sah es ähnlich aus; und mit "Landesverband" meine ich nicht den Landesverband Niedersachsen, sondern den Landesverband Oldenburg. Ja, die 1946 zum Land Niedersachsen zusammengeschlossenen Länder Hannover, Braunschweig und Oldenburg haben bis heute jeweils einen eigenen JU-Landesverband; und übrigens ist das Gebiet des früheren Landes Oldenburg deckungsgleich mit dem niedersächsischen Teil des Bistums Münster. Du wirst noch sehen, Leser, womit ich mit dieser Anmerkung hinaus will – oder ahnst es vielleicht schon.
Halten wir jedenfalls mal fest, dass die Leute, die ich aus dem Ortsverband der Jungen Union kannte, weit überwiegend Bauernsöhne waren, während ich in meinem sonstigen Alltag und Privatleben so gut wie überhaupt keinen Kontakt zu Gleichaltrigen aus Bauernfamilien hatte, und das schon seit der 7. Klasse nicht mehr. Sprich: Seit ich aufs Gymnasium ging. Bauernkinder gingen nicht aufs Gymnasium – mit ganz ganz wenigen Ausnahmen, und diese wenigen sah man dann irgendwie nie außerhalb der Schule. Sie waren nie an den Orten anzutreffen, wo "man" sich "normalerweise" in seiner Freizeit mit Mitschülern traf.
Und dieses eine Mal, als ich von zwei etwas älteren Jungs aus der Jungen Union zu einer Scheunenfete mitgeschleppt wurde, dämmerte mir plötzlich, warum das so war: Weil die Bauernkinder ihre ganz eigene Freizeit-Infrastruktur hatten, von deren Existenz niemand, der nicht mit einem Kuhstall an seinem Haus aufgewachsen war und im Grundschulalter Treckerfahren gelernt hatte, auch nur etwas ahnte.
Ich habe nicht einmal eine Ahnung, wo wir da waren, ob es in der Wesermarsch war oder im Ammerland, im Landkreis Friesland oder Oldenburg-Land. Wir sind mit dem Auto hingefahren, und es war dunkel. In der Scheune übrigens auch. Es war wie eine Disco, nur eben in einer Scheune. Einer riesengroßen Scheune. Und an der Decke hing eine LED-Anzeige, die die Termine und Orte der nächsten Scheunenfeten verriet. Streng genommen weiß ich nicht sicher, ob das bedeutet, dass diese Veranstaltungen gar nicht öffentlich beworben wurden, sondern nur Eingeweihte von ihnen wussten; aber so wirkte es jedenfalls auf mich. Für mein Empfinden strahlte diese Scheunenfete ein ähnlich intensives Flair von Subversion und Illegalität aus wie eine Party auf einer Baustelle in Berlin-Mitte, zu der ich ein paar Jahre später von Theaterkollegen mitgeschleppt wurde.
Diese Erfahrung war wohl ein wesentlicher Grund dafür, dass ich die Beschwerden darüber, wie schwer es infolge der geänderten Versammlungsstättenverordnung in Niedersachsen geworden sei, solche Veranstaltungen genehmigt zu bekomme, spontan so spießig und albern fand. Wie jetzt, ihr wollt eine GENEHMIGUNG dafür?
Ich weiß, ich übertreibe mal wieder fürchterlich, aber so richtige
"Fight for Your Right to Party"-Vibes kommen bei mir nicht auf, wenn
der Bauer seinen durchlauchtigsten Tyrannen untertänigst bittet, ihm die Ausrichtung von Scheunenfeten nicht so schwer zu machen. Da passt es übrigens ins Bild, dass die betreffende Änderung der Versammlungsstättenverordnung schon rund zwei Jahre alt ist und die Verbände, die sich jetzt darüber beschweren, es bisher einfach nicht
mitbekommen haben, weil sie in diesem Zeitraum
sowieso keine Partys veranstaltet haben – wegen Corona.
Ich schätze, damit bin ich nun an einem Punkt dieses Artikels angelangt, an dem nicht wenigen Lesern die Frage "Ja, was
willst du denn eigentlich?" auf der Zunge liegt und ich darauf ehrlicherweise nur antworten kann:
Es ist kompliziert. Mir gehen bei diesem Thema eine ganze Reihe von Gedanken zur Verflechtung von Staat und Kirche in Deutschland, zum in der Luft liegenden Schisma und zur Haltung der kirchlichen Lehre zur Frage des zivilen Ungehorsams (vgl. z.B.
Gaudium et Spes Nr. 74 sowie, daran anknüpfend, Ziffer 2242 des
Katechismus der katholischen Kirche) durch den Kopf – aber führt das nicht vielleicht ein bisschen weit, wenn es doch eigentlich nur um etwas so vergleichsweise Profanes wie Verwaltungsvorschriften für die Genehmigung von Scheunenfeten geht?
Anstatt mich hier also in große, theorielastige Grundsatzdiskussionen zu verstricken, schweife ich lieber noch mal ab zu meinen Jugenderinnerungen aus den 90ern. Und da greife ich mal noch ein kleines Stückchen weiter zurück: Rund zwei Jahre vor meinem oben erwähnten Scheunenfeten-Erlebnis nahm ich an einer vom BDKJ Vechta organisierten Gruppenreise nach Rom und Assisi teil, die sich etwas hochtrabend
"Jugendpilgerfahrt" nannte. Ich war damals in meiner
"ersten Fundi-Phase", wie ich sie rückblickend gern nenne, und war einigermaßen konsterniert, festzustellen, dass ein nicht gerade geringer Teil der anderen Teilnehmer weit weniger am religiösen Aspekt der Fahrt interessiert war als schlichtweg daran,
Party zu machen. In besonders auffälligem Maße war das bei einigen Teilnehmern zu beobachten, die aus dem
"Oldenburger Münsterland", also aus den Landkreisen Vechta und Cloppenburg, kamen; allerdings nicht aus der jeweiligen Kreisstadt, sondern aus kleineren Orten wie
Lastrup,
Löningen und
Bevern. Damals zog ich keine weiterreichenden Schlussfolgerungen aus dieser Beobachtung; aber ein paar Jahre später fiel mir auf, dass auch im Oldenburgischen Landesverband der Jungen Union diejenigen Mitglieder, die den Eindruck machten, sich erheblich weniger für Politik als fürs Partymachen zu interessieren, schwerpunktmäßig aus dieser Gegend kamen. Lebt dort vielleicht einfach ein besonders feierfreudiger Menschenschlag? – Möglich; aber ich hätte doch noch eine
andere Erklärung anzubieten.
Diese Erklärung lautet: Heute mag es graduell anders aussehen, aber vor dreißig Jahren wurde das soziale Leben im Oldenburger Münsterland so sehr von der katholischen Kirche und von der CDU dominiert, dass man besonders in den kleineren Orten davon ausgehen kann, dass es neben der Jungen Union und dem BDKJ praktisch keine verbandlich organisierte Jugendarbeit gab. Und so landeten in diesen Verbänden eben auch solche Jugendliche, die an der inhaltlichen – politischen oder religiösen – Ausrichtung nicht unbedingt interessiert sind. Sie gehen da hin, weil ihre Freunde da auch hingehen, weil da "was los ist" oder in letzter Konsequenz eben, weil es nichts anderes gibt, wo sie hingehen könnten.
Wenn man unterstellt, dass das im Oldenburgischen Münsterland oder auch im benachbarten, aber zum Bistum Osnabrück gehörenden
Emsland heute höchstens
graduell anders ist als vor dreißig Jahren, dann versteht man, warum die Ausrichtung von Scheunenfeten dort ein so wichtiges Anliegen für die Katholische Landjugend ist. Und mehr noch: Man kann daraus auch etwas Grundsätzliches über das System Volkskirche lernen.
An anderer Stelle habe ich mich schon einmal über die begriffliche Unterscheidung zwischen
"Kirche" und
"Sekte" in der Religionssoziologie Max Webers und Ernst Troeltschs geäußert; das will ich hier nicht alles wiederholen (
empfehle indes, es an Ort und Stelle nachzulesen), aber ein kleines Selbstzitat sei mir dennoch gestattet: "Für die Volkskirche ist es nach Weber charakteristisch, dass die Mitgliedschaft in ihr gewissermaßen den gesellschaftlichen Normalfall darstellt und somit keine zwingenden Rückschlüsse auf die Glaubensüberzeugungen des einzelnen Mitglieds, geschweige denn auf das Maß seines Engagements in der Kirche und für die Kirche zulässt." Es liegt auf der Hand, dass dieses idealtypische Volkskirchenmodell in überschaubaren, konfessionell weitgehend homogenen ländlichen Milieus heute noch tendenziell eher intakt ist als anderswo. In solchen Milieus entwickeln sich Mechanismen der
Bindung an die Institution, die mit den Glaubensinhalten und der religiösen Praxis der Kirche nicht zwingend etwas zu tun haben. Wenn dann noch über Jahrzehnte hinweg die Katechese vernachlässigt bzw. verwässert wird und man sich stillschweigend damit abfindet, dass ein immer größerer Teil der Mitgliederbasis nicht einmal mehr
die Minimalanforderungen hinsichtlich aktiver Beteiligung am kirchlichen Leben, wie sie in den fünf Kirchengeboten definiert sind, erfüllt, dann ist das Ergebnis eine Kirche, die als
zivilgesellschaftliche Institution im lokalen Maßstab noch relativ gut dasteht, während sie geistlich schon aus dem letzten Loch pfeift. – Daher habe ich es auch stets als ein groteskes Missverständnis empfunden, dass ein bestimmter Leser meines Blogs mir hartnäckig unterstellte, ich wolle "zurück zu einem katholischen Milieu, das unumkehrbar zerfallen ist". Das ist nun wirklich
gar nicht mein Anliegen.
Gleichwohl muss man sagen: Wenn die katholische Kirche, oder ein sich als katholisch identifizierender Jugendverband, der beste und beliebteste Partyveranstalter auf dem Lande ist, ist das grundsätzlich nichts
Schlechtes, sondern zumindest potentiell etwas sehr
Gutes. Das oben bereits mehrfach angesprochene
Mitgeschlepptwerden auf Partys kann durchaus zu Erlebnissen führen, die dem Leben eines jungen Menschen eine ganz neue Richtung geben. Ich möchte daran erinnern, was ich vor Jahren
in jenem Artikel schrieb, den man gewissermaßen als die Gründungsurkunde des Konzepts "Punkpastoral" betrachten kann. Mit Blick auf die Besucher eines linksradikalen Straßenfests merkte ich da an:
"Viele, vielleicht die meisten von ihnen werden, als sie jung waren und nach Orientierung suchten, einfach dahin gegangen sein, wo es die besten Partys gab - und wo die Partys obendrein, als Bonus gewissermaßen, mit einer ansprechenden Message verknüpt wurden."
Das mit der
Message ist dabei natürlich der entscheidende Punkt. Das, wenn man so will,
missionarische Potential von Partys hängt wesentlich davon ab, was für Leute der Jugendliche, der sich da mehr oder weniger zufällig hinverirrt, da kennenlernt und wozu die ihn
als nächstes einladen. Wenn der Partybesucher da beispielsweise erfährt, dass es am Ort auch ein tolles, auf Spendenbasis betriebenes katholisches Jugendcafé gibt, und aufgefordert wird, da doch
auch mal vorbeizuschauen, ist das schon mal nicht schlecht, aber wenn in diesem Café dann nichts anderes stattfindet als Spieleabende und Fußballgucken, ist damit noch nicht viel gewonnen. Einen entscheidenden Unterschied könnte es machen, wenn vielleicht nicht gleich die erste oder zweite, aber die dritte oder vierte Veranstaltung, zu der der betreffende Jugendliche eingeladen wird, beispielsweise eine
YouCat-Study-Group oder eine Lobpreisandacht ist.
Und hier sehen wir nun das Problem vor uns, dass in den volkskirchlichen Strukturen eher das Anliegen der Bindung an die Institution vorrangig ist als das der Evangelisierung. Ich kann mir lebhaft das Gesicht vorstellen, das so manche Vertreter der KLJB oder anderer katholischer Jugendverbände machen würden, wenn man ihnen mit Ideen käme, wie ich sie im vorigen Absatz dargelegt habe. Das seien doch Sektenmethoden, würden sie sagen. Worauf man im Grunde nur erwidern kann: Im Sinne der religionssoziologischen Unterscheidung von "Kirche" und "Sekte", die ich weiter oben andeutungsweise erwähnt habe, ist da was Wahres dran, denn gemäß dieser Definition ist eine "Sekte" eine intentionale Gemeinschaft, die sich durch starke religiöse Überzeugung und starkes persönliches Engagement ihrer Mitglieder auszeichnet. Und ich sehe nicht, wieso das etwas Schlechtes sein sollte.
Das eigentliche Problem ist wohl eher, dass wir volkskirchlich sozialisierten Christen daran gewöhnt sind, von der Prämisse auszugehen, mit unverhohlen religiösen Inhalten würde man insbesondere junge Leute nur langweilen und schlimmstenfalls abschrecken. Klimaschützer, Tierrechtsaktivisten, Veganer, LGBTQ- und Antirassismus-Initiativen haben solche Bedenken hinsichtlich ihrer jeweiligen Message in der Regel nicht: Die glauben daran, dass das, was sie zu sagen haben, richtig, wichtig und eben darum auch attraktiv sei, und verhalten sich entsprechend. Und deswegen landen so viele junge Leute, die nach Orientierung, nach einer Aufgabe und einem Ziel suchen, für das es sich zu engagieren, ja zu kämpfen lohnt, bei denen und nicht bei uns. Howgh, ich habe gesprochen. - - -
(Übrigens ist dies mein 16. Artikel nach meinem Wiederauftauchen aus der Blogpause, und ich merke, dass ich allmählich wieder auf Betriebstemperatur komme. Herzlichen Dank an alle, die für dieses Thema gestimmt und mich so zu diesem Artikel motiviert haben – auch wenn er wohl nicht das geworden ist, was Ihr erwartet habt...)
Na ja, es könnte ja auch so sein, dass der Begriff "Volkskirche" schon immer nur ein Traumgebilde gewesen ist und nur durch die Verknüpfung mit dem Staat (Kirchensteuer) erfolgreich Fuss gefasst hat. Die Vorstellung, dass zumindest die katholische Religion immer nur eine Beziehung zum Religiosstifter voraussetzt, ist in den letzten 3 Generationen erfolgreich ausgemerzt worden.
AntwortenLöschenHerzlichen Dank für den Artikel. Mich hat das Thema ja fasziniert, weswegen ich auch dafür gestimmt habe.
AntwortenLöschenNun, ich gebe zu: an missionarisches Potential im spezifischern Sinne des Wortes hatte ich weniger gedacht. Die KLJB und bei uns die BJB (Bayerische Jungbauernschaft; unser Äquivalent zur NLJ) sind halt die Dorfjugend, und wer wozu gehört entscheidet sich halt von Dorf zu Dorf, und daß das gleiche Dings in Bruckberg-Bachhorn BJB und nebenan in Mauern KLJB heißt, hat wohl im wesentlichen historische Gründe (wie die IT-ler sagen). Was übrigens anderseits auch heißt, daß *selbstverständlich* die Fahnenweihen auch der BJB mit dem großen kirchlichen Programm einschließlich tatsächlicher Segnung der Fahnenstange und Festmesse unter freiem Himmel abgefeiert werden. Das weltliche Programm übrigens: Freitag Rock, Samstag Elektro (oder war das umgekehrt), Sonntagnachmittag Bierzeltmusik. Wie klargeworden sein dürfte, hab ich seinerzeit ein bißchen davon mitbekommen; zwar hat man in der Tat auf dem Gymnasium leider nicht viel mit Bauernkindern zu tun (wobei es da eine sehr geschätzte Ausnahme gab), aber auf Dörfern wohnen auch Bauunternehmer.
*Selbst* war ich übrigens *nicht* in der KLJB, BJB erst recht nicht, wohl aber in einer Pfarrjugend, die sich bisweilen für einen Teil der KLJB *hielt*. („Was samma-r-an mia? KLJB, oder net?“) Unsere tatsächliche Affiliation war der sogenannte VdPJ, der „Verband der (unaffiliierten) Pfarrjugenden“, notwendig, weil der BDKJ keine Direktmitgliedschaften kennt oder bei uns nicht kannte. (Okay, und jetzt hab‘ ich sehr viel persönliche Identifikation veröffentlicht…)
Gewiß, „wir sind katholisch und feiern gerne Party“, und das war’s erstmal. Allerdings könnte man „wir sind katholisch und feiern gerne Party“ durchaus auch als Motto über meine lange Zeit erste, jetzt (nach dem Traditum^^) nach wie vor zweite geistliche Heimat schreiben, die Jugend 2000. Bei der ist dann doch, bei allem Respekt, mit dem Katholischsein *mehr* los. Aber gut.
Die Tatsache von Mängeln in dem Bereich (wobei die KLJB *definitiv* nicht in einer Weise Teil-des-Problems ist, wie es etwa die KJG ist) ändert aber nichts an dem, was Du den bedenklichen Hang zur Überregulierung nennst. Mein persönliches Pet-peeve ist ja in dem Zusammenhang das (bayrische) Rauchverbot: ausgerechnet von der CSU eingeführt, führt es zunächst zu zwei Effekten: 1. Die Leute flüchten alle in Raucherclubs (wo die CSU genügend Verstand hat zu sagen „okay, wenn sie *das* wollen, dann sei es ihnen gegönnt) und 2. die CSU verliert (wohl tatsächlich deswegen) die absolute Mehrheit und muß mit der FDP koalieren, die das Rauchverbot wieder aufhebt. Und dann gibt es einen Volksentscheid, initiiert von der ÖDP (also den Rechtsgrünen), der sogar die Raucherclubs noch verbietet. – Ich war damals nicht betroffen und glücklicher Passivraucher, das war es nicht; aber wenn der Staat sich daran macht, die Moral seiner Untertanen zu verbessern, in dem er Dinge, die bisher völlig erlaubt waren und nicht einmal in sich schlecht sind, auf einmal verbietet, dann ist das faul. „People can be happy with very limited enjoyments, if they can be certain of their limited enjoyments, but under the new progressive morality one never can be certain of anything.“ (Chesterton) Gewiß, Marihuana zu rauchen war immer schon verboten, aber das hatte den einen entscheidenden Vorteil (neben der moraltheologischen Überlegung, ob das nicht *doch* anders als Alkohol unter zumindest versuchte Echte-Berauschung fällt), daß dieses Genußmittel halt nicht etabliert war; hier verbot der Staat nichts, was die Leute gewohnt waren und seit langem guten Gewissens gemacht hatten. Und auf einmal ändert sich das.
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AntwortenLöschenDie Anmerkung erübrigt sich wohl, daß selbstverständlich die sog. Coronazeit, wenn auch natürlich unter einem Vorwand, den sich die Leute selbst geglaubt haben, diese Tendenzen auf die Spitze getrieben hat – unter dem gar nicht so heimlichen Beifall der schikanösen Nachbarn, die sich freuen, daß nachts endlich mal Ruhe auf der Straße ist. Und die schon vergessen haben, daß nachts die ganze Zeit Ruhe auf der Straße war, als man noch drin rauchen durfte, und erst seitdem *das* anders ist auch *das* anders ist.
Es mag, gewiß, für den Punker spießig sein, wenn die Leute der Meinung sind: „Der Staat, dieser große Bruder, der nervt halt rum, wir müssen einen Brandschutzbeauftragten stellen usw., aber eigentlich meint er es doch ganz gut; wir können das auch wirklich erfüllen; he is not out to get us“, und dann mit echtem Widerstand, echtem Ignorieren von Bestimmungen ohne die Ausrede, ein Schlupfloch auszunutzen, überfordert sind. Nur ist das zum einen sympathisch, zum anderen entspricht es der Rolle, die der Staat eigentlich haben *sollte*, und schließlich vor allem der, die er über lange Sicht, bezeichnenderweise (ohne daß das jetzt ein Vergleich…) die Nazizeit ausgenommen, *tatsächlich auch hatte*.
Von den konkreten Schwierigkeiten, die sich daraus ergäben, so etwas illegal aufzuziehen *und trotzdem auch zu machen*, einmal zu schweigen.
Jo, und deswegen ist das Scheunenfest ein erhaltungswürdiges Kulturgut. Weil seine Ausrottung ein staatlicher Übergriff wäre.
- Und so übel sind die wirklich nicht… zumal sie in der Zeit, die der Gesetzgeber aus nicht so wirklich erfindlichen Gründen „Jugend“ nennt, mit die einzigen Gelegenheiten sind, tatsächlich jugendliche Sachen zu machen, und das dann noch außerhalb von pädagogisch geführten Jugendzentren. „Bevor sie 18 sind, flüchten sie alle aufs Land raus, weil sie in der Stadt nicht in die Disco dürfen. Ausnahmen bestätigen die Regel.“ Je nach dem werden Sorgerechtszettel, die die elterliche Betreuung der 17jährigen auf ihre 19jährige Freundin übertragen, teilweise dort sogar verteilt, damit die Leute nicht im Mitternacht heimmüssen. Und wer da doch gehen muss: Genau um diese Zeit wird genau deswegen Summer of 69 gespielt.