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Donnerstag, 29. Juni 2023

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #36

Willkommen zu einem weiteren sommerlichen Wochenbriefing – auch wenn das Wetter in den letzten Tagen recht durchwachsen war... Ich war in der zurückliegenden Woche recht viel mit den Kindern beschäftigt, und sofern ich zum Arbeiten gekommen bin, stand nicht so sehr dass Bloggen im Vordergrund, sondern mehrere Beiträge für die Tagespost und Recherchen für ein vorläufig noch hochgeheimes Buchprojekt. Infolgedessen habe ich wieder einmal keine neuen Blogbeiträge vorzuweisen außer eben dieses Wochenbriefings (weshalb die Rubrik "Blogvorschau" einmal mehr pausiert); umso zufriedener bin ich aber, dass es mir dennoch einmal mehr gelungen ist, das Wochenbriefing pünktlich fertigzustellen und inhaltlich bunt und gehaltvoll zu gestalten. Und ich hoffe, du, Leser, wirst damit ebenfalls zufrieden sein! 


Tagesreste 

Am Freitag hatte meine Liebste morgens Unterricht, nachmittags musste sie zur Verleihung der Abiturzeugnisse und abends zum Abiball, und die Zeitfenster dazwischen waren jeweils so knapp bemessen, dass es nicht praktikabel erschien, zwischendurch mal nach Hause zu kommen. Das Ergebnis war, dass unser Jüngster so lange von seiner Mami getrennt war wie noch nie zuvor in seinem jungen Leben, und zum Ausgleich hing er die nächsten zwei Tage nahezu ununterbrochen an ihr. – Am Sonntag schafften wir es diesmal pünktlich zur Messe in St. Joseph Siemensstadt. Der Pfarrvikar, dem das schwüle Wetter sichtlich zu schaffen machte, bekannte zur Begrüßung, er sei völlig unvorbereitet, nachdem er das ganze Wochenende mit Taufen beschäftigt gewesen sei: "Heute ist der 12. Sonntag im Jahreskreis, mehr weiß ich nicht. Macht nichts – schauen wir auf den Herrn." Vor dem Hintergrund dieser Ankündigung wirkte die Predigt, die er dann hielt, nur umso eindrucksvoller. Gut, ich habe es bei diesem Priester auch schon erlebt, dass er bei Andachten oder sonstigen Geneindeveranstaltungen geistliche Impulse in der Form gestaltet, dass er die Bibel aufs Geratewohl an irgendeiner Stelle aufschlägt, ein paar Verse vorliest und dazu dann eine kurze Auslegung gibt. Eine profunde Bibelkenntnis ist dafür natürlich hilfreich, und die hat er; dass in seinen Schriftauslegungen die Querverbindungen zwischen Altem und Neuem Testament und der Zusammenhang zwischen dem Bibeltext und der kultischen Praxis des alten Judentums regelmäßig eine wichtige Rolle spielt, ist wohl charakteristisch für seine Verwurzelung im Neokatechumenalen Weg. Aber erlerntes Wissen, so beeindruckend es sein mag, ist nicht das Entscheidende: Was diesen Priester zu einem so guten Prediger macht, ist in erster Linie der Umstand, dass er glaubwürdig die Haltung verkörpert, es gehe nicht darum, was er zu sagen hat, sondern darauf zu hören, was Gott zu sagen hat. – Meine persönliche Take-Home-Message der Predigt von diesem Sonntag lautet jedenfalls: Im Grunde muss man sich in seinem Leben nur um eine Sache kümmern – nämlich darum, Raum zu schaffen, damit der Heilige Geist wirken kann. Dann wird einem (wie es ja auch in Mt 6,33 heißt, auch wenn das nicht der Predigttext war) tatsächlich "alles andere dazugegeben". 

Am Sonntagnachmittag sah ich mir mit dem Tochterkind eine Preview-Vorstellung des neuen DreamWorks-Animationsfilms "Ruby taucht ab" an, der eigentlich erst heute in die Kinos kommt. Auch wenn der Film sich für mein Empfinden etwas mehr auf Action und optische Effekte verlässt, als der Handlung gut getan hätte (meiner Tochter war er dadurch stellenweise zu aufregend und auch zu gruselig), fand ich ihn doch interessant genug, um prompt eine Rezension zu verfassen, von der ich hoffe, dass sie in der Online-Ausgabe der Tagespost Platz finden wird. Schauen wir mal! 

Nächste Woche dürfte es dann wieder einigen Stoff für die Rubrik "Spandau oder Portugal" geben, denn ich bin sowohl zum Treffen eines Arbeitskreises zur Gestaltung und Nutzung des Pfarrgartens von St. Stephanus als auch zu einer Sitzung des Ausschusses "Kinder, Jugend und Familie" in St. Joseph Siemensstadt eingeladen worden. Das kann spannend werden! 


Währenddessen in Tegel 

Am Dienstag hatte das Tochterkind einen Probe- bzw. Eingewöhnungstag an ihrer zukünftigen Schule (irre, wie schnell die Kinder groß werden – aber diese Erfahrung machen wohl alle Eltern), und während dieser Zeit war ich mit unserem Jüngsten allein unterwegs. Ausgerechnet während er im Kinderwagen Mittagsschlaf hielt, wurden wir von einem heftigen Regenschauer überrascht, und die nächstgelegene Möglichkeit, sich unterzustellen, bot die Kirche St. Joseph Tegel. Nachdem ich dort eine Weile auf das Ende des Regens gewartet hatte, wachte der Lütte auf und überredete mich erst einmal dazu, für jeden von uns eine Opferkerze anzuzünden; und dann fragte er mich herausfordernd: "Tanzen? Musik anmachen?" Ich hatte aber meine mobile Lautsprecherbox gar nicht dabei, und das war vielleicht auch besser so, denn schon einige  Zeit vorher war das ehrenamtliche Faktotum der Gemeinde aus der Sakristei gekommen und hatte kritisch geguckt. Vor einiger Zeit hat dieselbe Frau mich mal bei einer meiner Guerilla-Andachten mit Lobpreismusik in ebendieser Kirche "erwischt" und mich kurzerhand rausgeschmissen; da hatte ich mich hinterher geärgert, dass ich so folgsam das Feld geräumt hatte, anstatt ihr vorzuschlagen, sie könne ja die Polizei rufen, dann würden wir ja sehen, was die von der Idee hielte, jemandem in einer öffentlich zugänglichen Kirche das Beten zu verbieten. Trotzdem war ich nicht unbedingt erpicht darauf, eine Wiederholung dieser Situation zu provozieren. (Die Dame war, soviel ich weiß, früher mal Gemeindereferentin o.ä., und im Ruhestand macht sie weiterhin ehrenamtlich Küsterdienst und gelegentlich auch Wortgottesdienste oder Andachten; ein paar davon habe ich miterlebt und fand es einigermaßen skurril, dass sie einerseits in der Mantelalbe einen auf Frauenpriestertum macht, andererseits aber in Inhalt und Stil bedeutend konservativer 'rüberkommt als die derzeitige Leitung der Pfarrei. Na schön, jedem Tierchen sein Pläsierchen, aber dass sie ernsthaft überzeugt zu sein scheint, diese Kirche gehöre ihr, geht mir dann doch ein bisschen weit.) – Wie dem auch sei, der Wunsch meines Sohnes nach "Musik anmachen und tanzen" hat für mich einmal mehr unterstrichen, dass es Zeit wird, das Projekt "Lobpreis mit dem Stundenbuch" wieder aufzugreifen, wenn auch wohl lieber in einer anderen Kirche. – Ehe wir wieder gingen, nahm der Junior sich das "Boni Kids"-Magazin mit; im Kinderwagen blätterte er eifrig darin und blieb schließlich bei einem Artikel über die liturgischen Farben hängen. Angesichts der Abbildungen in diesem Artikel fing er prompt an zu singen: "Halleluja, halleluja, halleluja, Amen..." Ich sag mal: Wenn der Knabe ein bisschen größer ist, ist er ein Fall für den Kinderchor...! 


Neues aus Synodalien spezial: Die Nacht der Acht 

Offenbar unironisch gemeintes Werbebanner der Evangelischen Kirche Spandau; passt aber auch als Symbolbild zur "Nacht der Acht" in Butjadingen, finde ich.

Die Butjenter Regenbogenflaggen-Affäre geht weiter: Am vergangenen Wochenende war in sechs evangelischen und zwei nominell katholischen Gotteshäusern der beschaulichen Nordseehalbinsel zwischen Weser und Jade wieder "Nacht der Acht". Wie ich vor ein paar Monaten schon mal schrieb: "'Die Nacht der Acht' ist übrigens auch der Titel eines für Jugendliche ab 14 Jahren geschriebenen Horror-Thrillers von Philip Le Roy; 'Ein Abend, der zum Horrortrip wird', heißt es in der Verlagswerbung. Das passt ja." – Im vorliegenden Fall handelt es sich hingegen um eine PR-Aktion der örtlichen Kirchengemeinden, bei der es, der (leider größtenteils hinter Bezahlschranken verborgenen) Berichterstattung der lokalen Presse zufolge, in "allen Kirchen [...] unterschiedliche Aktionen" gab – ein "tolles und abwechslungsreiches Programm". Während die beteiligten evangelischen Kirchengemeinden allem Anschein nach eher auf gesellige und kulturelle Angebote setzten ("Hier konnten Familien Spiele spielen, dort konnten Interessierte tief in die Geschichte Butjadingens eintauchen", wiederum anderswo wurden "Himmlische Musik und Psalm-Rap" geboten), nutzte ausgerechnet die katholische Pfarrei, wie schon im Vorjahr, die Gelegenheit, sich als "LGBT-affirming" zu positionieren und im Kielwasser des Schismatischen Wegs einen Segen für Alle anzubieten – einen Segen "unter den Farben des Regenbogens", wozu einmal mehr die Gestaltung des Altarraums der Kirche Herz Mariae in Burhave den Vorwand liefern musste. Diese Farce (um mal keinen schlimmeren Ausdruck zu gebrauchen) fand also ausgerechnet in einer Kirche statt, die dem Unbefleckten Herzen Mariens geweiht ist; ausgerechnet in einer Kirche, die mit dem Herzblut und den Spargroschen schlesischer Heimatvertriebener errichtet wurde; man kann gar nicht so oft "ausgerechnet" sagen, wie man möchte. Angesichts des Ausmaßes von Scham- und Gewissenlosigkeit, das die Verantwortlichen der Pfarrei hier offenbaren, fehlen mir wirklich die Worte, oder zumindest die nicht-justiziablen. Auf der Facebook-Seite von "Willi's – Die Urlauberkirche", die die Aktion fotografisch dokumentiert hat, genügte schon das Wort "unfassbar", garniert mit einem "explodierender Kopf"-Emoji, um gesperrt zu werden. 

Die Fotos sind jedenfalls recht aufschlussreich: Wie man dort sieht, wurde vor dem Altar offenbar eine Art Zimmerspringbrunnen aufgestellt, mit dessen Wasser (fragen wir lieber gar nicht erst, ob es sich um Weihwasser handelte) die Besucher dee Kirche sich selbst oder gegebenenfalls gegenseitig segnen konnten und sollten. Im Ernst. Auf einem an der Kirchentür angebrachten Zettel war zu lesen: 

"Segnen Sie sich selbst, Gott ist da! 
Segnen Sie jemand anderes, Gott ist da! 
Segnen Sie wichtige Dinge, Gott ist da!" 

So armselig, so billig, so dumm. – Man könnte hier einwenden, wenn eine solche Aktion gut gemacht wäre, wäre es in gewissem Sinne noch schlimmer. Rational könnte ich diesen Einwand nachvollziehen, aber intuitiv empfinde ich gerade das lustlos hingerotzte Erscheinungsbild dieser Aktion als ein zusätzliches Ärgernis. – Nach Lage der Dinge schätze ich, es dürfte wenig aussichtsreich sein, sich beim zuständigen Bistum über diese Machenschaften zu beschweren. Man könnte sich vielleicht beim Apostolischen Nuntius beschweren, aber ich denke, ich gehe gleich noch eine Etage höher und beschwere mich direkt bei Gott. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf mein Gebet für die Pfarrei St. Willehad hinweisen. 

Ein weiteres Thema für die Rubrik "Neues aus Synodalien" wären wohl die jüngst veröffentlichten Kirchenstatistiken, aber die knöpfe ich mir nächste Woche vor. 


Was ich gerade lese 

  • zu Studienzwecken: Otto Knoch, Die Welt im Wort der Bibel. Vortrag beim 82. Deutschen Katholikentag in Essen 1968. 

Wer war noch gleich Otto Knoch? War es der mit dem Mops, der kotzt? Nee, Quatsch. Otto Knoch (1926-1993) war Priester im Bistum Rottenburg und von 1959-72 Direktor des Katholischen Bibelwerks in Stuttgart; später wurde er u.a. Sekretär der Unterkommission für Biblische Fragen bei der Deutschen Bischofskonferenz. Und seine Aufgabe im Rahmen des Katholikentagsforums "Diese Welt und Gottes Wort" bestand offenkundig darin, die biblischen Grundlagen für das in der Nachkonzilszeit sehr prominente Ansinnen einer Hinwendung der Kirche zur Welt zu klären. Dabei geben schon seine einleitenden Worte auf bemerkenswerte Weise die Richtung vor: "Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technik scheint sich ein ungeheures Dilemma für den gläubigen Christen, für die Lehre der Kirche aufgetan zu haben: Kann der Christ sich guten Gewissens an dieser Hinwendung zur Welt, zum Diesseits, zur Materie beteiligen?" Ja Moment mal, möchte man da direkt einwenden: Wenn und insoweit es für den Christen ein "Dilemma" ist, dass er "in dieser Welt", aber zugleich "nicht von dieser Welt" sein soll, dann war es das schon immer und nicht erst neuerdings; wieso sollte man annehmen, dass die "Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technik" da eine signifikant neue Qualität hineinbrächte? Die folgenden Sätze machen jedoch deutlich, wieso Knoch das meint: nämlich weil er die Hinwendung zur Welt dezidiert als eine Hinwendung zum technokratischen Geist der Epoche auffasst. Darf der Mensch, so fragt Knoch, "all seine Energie für die Erforschung und Beherrschung der Welt aufwenden? Ist denn die Schaffung immer neuer Möglichkeiten, das Leben angenehmer zu gestalten, der Seele des Menschen förderlich? Ist dem Menschen erlaubt, alle Bereiche der Welt, auch den Menschen selbst, seinem Erkenntnisdrang zu erschließen? Darf der Mensch die Zukunft auch in Hinsicht auf Zahl und Art [!] der Menschen planen und, z.B. durch Eingriffe in den Erbgang, beeinflussen? Ist das Streben nach Reichtum, Genuss und angenehmem Leben gottwohlgefällig?" Und die alles entscheidende Frage: "Wird das alles durch die Vergänglichkeit nicht als Versuch entlarvt, sich selbst zu erlösen?" 

Auf diese Ausgangsfrage hin stellt Knoch erst einmal eine Auswahl von Bibelstellen zusammen, die darauf schließen lassen, dass das so beschriebene Streben des modernen Menschen "im Widerspruch zur Offenbarung" stünde: 
"Lehrt nicht die Bibel: 'Habet nicht lieb die Welt und was in der Welt ist! ... Denn alles, was in der Welt ist, ist Fleischeslust, Augenlust und Protzsucht. Die Welt aber vergeht mitsamt ihrer Lust' (1 Jo 2,16) und 'Die ganze Welt liegt im argen' (1 Jo 5,19)? Bedeutet nicht 'Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott' (Jak 4,4), weil diese Welt unter der Macht von Tod, Sünde und Satan steht, dem 'Fürsten dieser Welt' (Jo 12,31; 14,30; 16,11), dem 'Gott dieser Weltzeit' (2 Kor 4,4)? Gibt es daher nicht eine unaufhebbare Spannung zwischen den 'Kindern dieser Welt' und den 'Kindern des Lichts' (Lk 16,8)? Fordert demnach Paulus nicht mit Recht: 'Die Zeit ist kurz. Fortan sollen alle jene, die eine Frau haben, sich so verhalten, als hätten sie keine, und die weinen, als weinten sie nicht, und die sich freuen, als freuten sie sich nicht, die kaufen, als behielten sie nichts, und die mit der Welt verkehren, als verkehrten sie nicht; denn die Gestalt dieser Welt ist am Vergehen' (1 Kor 7,29-31)?" 
Und an diese Blütenlese aus den Evangelien und Apostelbriefen schließt er die Frage an: 
"Ist also der Gewinn des ewigen Lebens, die Aufnahme in dem Himmel nicht das allein bleibende Ziel menschlichen Bemühens? Kann die Welt, so betrachtet, mehr sein als ein Ort des Kampfes, der Mühsal, des Kreuzes, der Versuchung, der Entsagung und Bewährung? Lohnt es überhaupt, sich für das Diesseits über das hinaus einzusetzen, was man zum Leben braucht? Ist demnach Weltenthaltung, Weltverachtung, Weltflucht und Weltüberwindung nicht die für immer gültige Forderung an jeden vernünftigen, gewissenhaften Menschen?" 
Das ist nun natürlich sehr einseitig und überspitzt, aber ganz und gar von der Hand zu weisen ist dieser biblische Befund ja wohl nicht. Man ahnt allerdings die Absicht hinter dieser zugespitzten Darstellung, insbesondere wenn Knoch sie mit der Frage abschließt: "War also diese Haltung der Kirche und ihrer führenden Kräfte nicht seit 2000 Jahren wirklich berechtigt?". – Also sorry: Zu behaupten, "Weltenthaltung, Weltverachtung, Weltflucht und Weltüberwindung" sei 2000 Jahre lang die "Haltung der Kirche und ihrer führenden Kräfte" gewesen, ist schon mehr als dreist. Hätte es, um nur mal ein besonders augenfälliges Beispiel zu wählen, im Spätmittelalter bzw. in der Frühen Neuzeit unter den "führenden Kräften" der Kirche nicht starke Tendenzen zu allzu großer Weltlichkeit gegeben, wäre es wohl nicht zur Reformation gekommen, oder zumindest wäre sie nicht so erfolgreich gewesen. Der manipulative Charakter von Knochs Argumentation wird vollends deutlich, wenn er seinen nächsten Abschnitt mit der apodiktischen Feststellung einleitet: "Und dennoch kann diese Haltung auch vom verantwortlichen Christen heute nicht mehr einfach gutgeheißen und vertreten werden". So, kann sie das nicht. Aha. Man beachte, dass er hier voraussetzt, was er eigentlich begründen sollte; ein beliebter rhetorischer Trick. Und was heißt überhaupt "heute nicht mehr"? Muss ich jetzt wieder Chesterton zitieren, oder darf ich das Zitat, das ich meine, als bekannt voraussetzen? Wie sehr Knoch vom aus heutiger Sicht schwindelerregenden technokratischen Fortschritts- und Machbarkeitsoptimismus der 1960er Jahre ge- bzw. verblendet ist, dokumentiert besonders der Satz "Wie sollen alle satt werden in der Zukunft ohne entsprechende Planung?"; was, so muss man fragen, glaubt er da denn planen zu können? Was hingegen allgemeiner formulierte Fragen angeht wie "Wie kann das Leben aller Menschen menschenwürdiger gestaltet werden? Ist der Kampf um Nahrung, Wohnung, Bildung für alle Menschen, gegen Krankheit, Unrecht, Krieg und Not nicht eine elementare Aufgabe der Menschlichkeit? [...] Muss daher der Christ nicht [...] aus allen Kräften daran mitwirken, dass die Welt für alle Menschen menschlicher, schöner und besser wird?", da schaue man sich heute einmal um, wie viele Leute – und gerade auch kirchlich sehr engagierte Leute – ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass solche Weltverbesserungsbestrebungen geradezu die Essenz des Christlichen seien. Unter just diesem Aspekt empfinde ich Knochs Text dann doch als recht erhellend: Gerade dass er diese Forderungen als so selbsterklärend darstellt, verweist nämlich darauf, dass sie es tatsächlich nicht sind. Denn worin bestünde sonst das Neue gegenüber der 2000jährigen Tradition der Kirche, das Knoch so sehr betont? Hungernde speisen, Kranke pflegen, Obdachlose beherbergen, Trauernde trösten, das hat die Kirche schon immer gepredigt und auch praktiziert; aber das ist es nicht, wovon Knoch und viele andere Theologen seiner Generation sprechen. Wovon sie sprechen, das ist, auf technokratischem Wege – d.h. durch das Zusammenwirken von Wissenschaft, Technik und Politik – eine Welt zu erschaffen, in der all das nicht mehr nötig ist, weil es Hunger, Krankheit, Obdachlosigkeit, Trauer usw. nicht mehr gibt. Das ist, sorry to break it to you, nicht das Christentum, sondern die Versuchung des Satans in der Wüste. – Um mal auf den Punkt zu bringen, worin sich diese Auffassung von dem unterscheidet, was das Christentum von jeher unter praktizierter Nächstenliebe und den Werken der Barmherzigkeit verstanden hat, kann man auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter verweisen: Leute wie Knoch wären wohl der Meinung gewesen, statt dem Ausgeraubten am Wegesrand zu helfen, hätte der Samariter sich lieber dafür einsetzen sollen, die gesellschaftlichen Zustände zu bekämpfen, die dafür verantwortlich sind, dass Menschen ihren Lebensunterhalt mit Raubüberfällen bestreiten müssen. 

Viel weiter bin ich mit Knochs Vortrag noch nicht gekommen und bezweifle ehrlich gesagt auch, dass es sich lohnen wird, sich weiter mit ihm auseinanderzusetzen. Allzu offensichtlich ist seine Entschlossenheit, den biblischen Befund so zu frisieren, dass er zum von vornherein feststehenden erwünschten Ergebnis passt. Lehrreich könnte die Beschäftigung mit diesem Text freilich insofern sein, als sich an ihm exemplarisch studieren lässt, wie man auch mit an sich wahren Aussagen lügen kann. Wenn Knoch etwa betont, das Zeugnis der Bibel sei "zutiefst geprägt vom großen Ja des Gottes, der Welt und Menschheit aus Liebe geschaffen und erlöst hat", dann möchte ich ihm darin keinesfalls widersprechen; aber was glaubt er im Kontext seiner Argumentation damit beweisen zu können? – Der Trick besteht darin, die Frage gar nicht erst aufkommen zu lassen. 

In der Abteilung "Bettlektüre" sind wir derweil immer noch bei "Kalle Blomquist, Eva-Lotta und Rasmus", und hier hat die Handlung praktisch unmittelbar nach dem im vorigen Wochenbriefing festgehaltenen Zwischenstand eine unerwartete Wendung eingeschlagen: Kalle, Anders und Eva-Lotta beobachten, wie Rasmus und sein Vater entführt werden; Eva-Lotta lässt sich daraufhin kurzentschlossen "mit-entführen", und es gelingt ihr, Spuren zu legen, die es Kalle und Anders ermöglichen, den Entführern zu folgen – bis auf eine kleine, der Küste vorgelagerten Insel, auf der den Kindern ihre im "Krieg der Rosen" erworbene Erfahrung mit Abenteuer-Geländespielen zugute kommt. Damit entfernt sich der letzte Teil der "Kalle Blomquist"-Trilogie noch weiter vom Muster der klassischen "detective story" als der zweite. Der größte Pluspunkt des Romans ist für mein Empfinden die liebevolle Charakterisierung des kleinen Rasmus, der den Ernst seiner Lage nicht annähernd durchschaut und mit seiner heiter-unbekümmerten Art das Herz seines Bewachers erweicht. An Spannung fehlt es auch nicht; trotzdem bleibe ich dabei, dass ich den ersten "Kalle Blomquist"-Fall für den besten halte und es etwas schade finde, dass er keine adäquatere (i.S.v. stilgerechtere) Fortsetzung gefunden hat. 


Aus dem Stundenbuch 
Die Herrlichkeit Gottes verleiht Leben. Die Gott schauen, erhalten Anteil am Leben. Deswegen macht sich der unfassbare, unbegreifliche und unsichtbare Gott sichtbar, begreifbar und fassbar für die Menschen, um ihnen Leben zu schenken, wenn sie ihn durch den Glauben aufnehmen und sehen. Die Menschen werden Gott sehen, damit sie leben, durch die Schau unsterblich werden und zu Gott gelangen. 
(Irenäus von Lyon, Gegen die Irrlehren) 


Ohrwurm der Woche 

Small Faces: Itchycoo Park 


Die Ohrwurm-Rubrik steht weiterhin im Zeichen sommerlicher Stimmung; diesmal habe ich – nach längerer Zeit mal wieder – ein Juwel aus der Psychedelic-/Garagenrock-/Mod-/Proto-Punk-Ära ausgewählt. Ein Stück, das für mich persönlich eine besondere Bedeutung hat: Ich muss wohl ungefähr 14 gewesen sein, als ich eines Nachmittags und/oder Abends stundenlang vor dem Radio hockte, um mir eine "Große Oldie-Hitparade"  (oder so ähnlich) anzuhören und, wie man das damals halt so machte, Highlights daraus auf Kassette aufzunehmen. Die betreffende Kassette müsste ich eigentlich noch irgendwo haben, und "Itchycoo Park" war da drauf, auch wenn ich den Titel auf der Kassettenhülle als "It's all too beautiful" angegeben hatte. Ich möchte behaupte diese Radio-Session hat einen Grundstein dafür gelegt, dass ich eine Vorliebe für Rock- und Popmusik entwickelt habe, die erheblich älter ist als ich selbst. 

Eine ganz andere Anmerkung fällt mir zu diesem Lied aber auch noch ein, und zwar konkret zu der Textstelle "You can miss out school / won't that be cool". Ich habe in letzter Zeit öfter darüber nachgedacht, was ist eigentlich aussagt, dass es in unserer Gesellschaft als so allgemein anerkannt und selbsterklärend gilt, dass die Schule ein Ort ist, an den man nicht gern geht, und dass es ein Grund zur Freude ist, wenn man aus irgendwelchen Gründen nicht hinmuss. Dass das keineswegs so selbstverständlich ist, sehe ich an meiner Tochter: Die freut sich auf die Schule. Nach den Sommerferien geht's los. Man darf gespannt sein... 


1 Kommentar:

  1. Der Ohrwurm der Woche erinnert mich spontan an mein Foto im Führerschein von 1978. Danke dafür.

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