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Donnerstag, 6. Juli 2023

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #37

Es ist wieder Wochenbriefing-Zeit – und es gibt jede Menge Stoff! Daher will ich mich gar nicht lange mit der Vorrede aufhalten; seht selbst, was die zurückliegende Woche gebracht hat: 

Aus meinem Symbolbilder-Archiv. Make of that what you will.


Tagesreste 

Am Samstag feierte meine Liebste ihren Geburtstag nach, und zwar in Form eines Picknicks auf einer beschaulichen Halbinsel an der Großen Malche, einer Bucht des Tegeler Sees. Zu den Vorbereitungen zu diesem Picknick gehörte es, noch morgens zwei Kuchen zu backen, weil wir es am Abend zuvor nicht geschafft hatten (da waren die Kinder zu überdreht und chaotisch): Zusammen mit den Kindern bereitete ich einen "Fantakuchen" zu... 

Das ist schon das dritte Mal, dass ich zusammen mit meinen Kindern diesen Kuchen gebacken habe. Gelingt immer.

....meine Liebste selbst steuerte einen Schoko-Kirsch-Kuchen bei. So ziemlich alles andere brachten die Gäste mit. 

Hier nur ein Ausschnitt.

Insgesamt waren wir zehn Erwachsene und fünf Kinder im Alter zwischen zwei und fünf Jahren (d.h. das jüngste und das älteste Kind waren tatsächlich unsere eigenen); wären alle gekommen, die eingeladen waren, wären es noch zwei Erwachsene und ein Kind mehr gewesen, ich würde sagen, das ist eine ganz gute Quote. Die Stimmung war gut, das Essen auch, und wir schafften es sogar, den Rückzug anzutreten, bevor es anfing zu regnen. 

Am Montag war wieder regulär Omatag; im Übrigen hatte meine Liebste die ganze Woche nur sehr wenig Unterricht zu geben, da die Abiturienten und Fachoberschul-Absolventen bereits verabschiedet waren und die Jahrgangsstufe 12 fast komplett auf Klassenfahrt war; dadurch hatte sie mehr Zeit für die Kinder und ich im Gegenzug mehr Zeit für andere Tätigkeiten. Wie man im Folgenden sehen wird... 


Spandau oder Portugal 

Ich hatte es schon angekündigt: Aus der zurückliegenden Woche gibt es mal wieder allerlei zum Thema "Kirchliche Basisarbeit in Siemensstadt und Haselhorst" zu berichten, und mein Bericht dazu beginnt, wie es sich gehört, mit dem Sonntag. Es handelte sich um den ersten Sonntag im Monat, daher entschieden wir uns wie schon vor vier Wochen erneut dazu, zuerst in St. Stephanus zur Messe zu gehen und anschließend in die EFG The Rock Christuskirche (die ihren Sonntagsgottesdienst nämlich nur einmal im Monat vormittags feiert). In St. Stephanus nahmen um die 40 Personen an der Messe teil, darunter mindestens acht Kinder – eine bemerkenswerte Quote für diese oft so überaltert wirkende Gemeinde; am Altar stand wie schon vor vier Wochen der Ruhestandsgeistliche aus Falkensee, der erneut schon aus den Begrüßungsworten eine Predigt machte und dann nach den Vermeldungen auch noch ein Wort des Bischofs (zur anstehenden Entscheidung des Bundestags über die Legalisierung des assistierten Suizids) verlas, das im Prinzip noch einmal eine Predigt war. Für Letzteres konnte der Zelebrant natürlich im Grunde nichts, aber es passte schon ins Bild. Die eigentliche Predigt hatte inhaltlich durchaus einige interessante und gute Punkte, die ich, was die Frage nach dem Verhältnis des Christen zur "Welt" betrifft, geradezu als Antithese zu dem ärgerlichen Vortrag von Otto Knoch empfand, über den ich mich schon letzte Woche ausgelassen habe; auch Kritik daran, dass sich in der Kirche hierzulande und heutzutage allzu viel um Geld und Strukturen drehe, fehlte nicht. Trotzdem werde ich mit dem Stil dieses Priesters einfach nicht warm, er erscheint mir allzu verkopft und bildungseitel. Ich hoffe, ich werde nicht so, wenn ich alt bin. 

Gegenüber bei den Freikirchlern teilten eir uns wieder so auf wie beim vorigen Mal: Meine Liebste ging mit unserem Jüngsten in den Eltern-Kind-Raum, während ich mit dem Tochterkind zur Kinderkatechese ging. Die fand ich allerdings diesmal, ganz anders als vor vier Wochen, eher enttäuschend. Es ging um den Aufbau der Bibel – die Namen, die Reihenfolge und den ungefähren Inhalt verschiedener biblischer Bücher und ein paar Fakten zur Entstehungsgeschichte des biblischen Textkorpus. Alles ziemlich trocken und "verschult", und es drängte sich die Frage auf, was die Kinder – vorausgesetzt, sie vergessen nicht gleich alles wieder – eigentlich mit diesem Wissen anfangen sollen. Mal ganz abgesehen davon, dass auch manches Halb- und Falschwissen dabei war, so etwa die Behauptung, Martin Luther hätte als erster die Bibel ins Deutsche übersetzt

Die eigentliche Pointe kam aber erst noch: Im Anschluss an den Gottesdienst gab es noch geselliges Beisammensein (mit Kaffee) im Garten der Kirche, wir trafen einige JAM-Mitarbeiter und -Eltern und unterhielten uns nett, und dann wies uns jemand darauf hin  dass es drinnen noch einen Bibelkreis für Erwachsene gab. Meine Liebste beschloss, da mal reinzuschnuppern, während ich unsere Kinder beim Spielen im Garten beaufsichtigte; Und wie sich zeigte, kamen da exakt dieselben Inhalte dran wie in der Kinderkatechese. Mir gegenüber merkte meine Liebste hinterher kritisch an, sie könne sich nicht so recht erklären, wieso Leute mit einem fundamentalistischen Bibelverständnis überhaupt Wert darauf legen, Kenntnisse über die Entstehungsgeschichte der Bibel zu vermitteln: "Inwieweit soll das für den persönlichen Glauben relevant sein? Wieso genügt es nicht, einfach zu sagen: Die Bibel ist Gottes Wort, Punkt!?" 

Darauf könnte man erwidern, dass die evangelikalen Theorien zur Entstehungsgeschichte der Bibel zumindest teilweise und tendenziell eine "Gegenerzählung" zu den herrschenden Meinungen der historisch-kritischen Exegese darstellen und somit gerade darauf abzielen, ein fundamentalistisches Bibelverständnis zu rechtfertigen. Das impliziert aber zumindest, dass man eine gewisse Notwendigkeit sieht, die Plausibilität dieses Bibelverständnisses mit rationalen Argumenten abzusichern. Was nun wieder zu meiner noch der systematischen Ausarbeitung harrenden Lieblingsthese passt, die evangelikale Bewegung sei letztlich ein – wenn auch etwas aus der Art geschlagenes – Kind der Aufklärung. Vermeintlich intellelle [sic] Atheisten bzw. Religionskritiker neigen zwar zu der Vorstellung, Evangelikalismus sei durch und durch antirational und antiintellektuell, aber das halte ich für einen gewaltigen Irrtum: Meiner Erfahrung nach ist es für die evangelikale Ausprägung des Christentums eher charakteristisch, dass sie zu verkopft, zu "linkshirnig" ist. Natürlich steht da alles Denken, Lernen und Forschen unter dem Vorbehalt der Rechtgläubigkeit, aber darüber sollten sich säkulare Intellektuelle nicht mokieren, denn deren Denken, Lernen und Forschen steht in der Regel auch unter gewissen dogmatischen Vorbehalten, die sie sich noch dazu oft nicht einmal bewusst machen. – Bezeichnend für die Verkopftheit der Evangelikalen finde ich es auch, dass – wie ich schon beim JAM mehrfach mit Verwunderung festgestellt habe – die Kinderkatechesen (und, so darf man vermuten, ebenso auch katechetische Angebote für Erwachsene) in der The Rock Christuskirche unter der Bezeichnung "Andacht" laufen. Das, was man "bei uns" als Andacht bezeichnet, kennen die gar nicht. Das kontemplative Element fehlt völlig. Das nehme ich, bei aller Sympathie für diese Gemeinde, dann doch als eine bedenkliche spirituelle Armut wahr. 

Ich will aber andererseits auch nicht so tun, als wäre das ein rein evangelikales Problem. Tatsächlich erinnerte mich das Ganze in gewissem Sinne an ein Erlebnis aus meiner wenig ruhmreichen Amtszeit im Pfarrgemeinderat von Herz Jesu Tegel, wo die liebe Pastoralteferentin es in einer Sitzung angemessen fand, anstelle eines geistlichen Impulses eine Einführung in die Zweiquellentheorie zu den synoptischen Evangelien zu geben. Sie verteilte sogar ein Handout dazu, das mich stark an ein Arbeitsblatt aus dem Religionsunterricht der 10. oder 11. Klasse auf dem Gymnasium erinnerte; es würde mich nicht einmal wundern, wenn es tatsächlich das gleiche Arbeitsblatt gewesen sein sollte. Meine Pfarrgemeinderatskollegen fanden das alles ausgesprochen interessant und aufschlussreich oder taten zumindest so, während ich schlichtweg fassungslos darüber war, dass man auf die Idee kommen konnte, so etwas könne einen geistlichen Impuls ersetzen. 

Jetzt aber erst mal genug von diesem Thema! Am Dienstagabend fand im Pfarrgarten von St. Stephanus ein informelles Treffen von Vertretern verschiedener Gruppen der Gemeinde statt, bei dem über die Gestaltung und Nutzung dieses großen, aber schon seit einiger Zeit nicht gut gepflegten Gartens zu beraten, und da war ich in meiner Eigenschaft als Co-Leiter der Wichtelgruppe dabei. Idealerweise hätten wohl alle Gemeindegruppen, die den Garten nutzen, bei diesem Gespräch vertreten sein sollen, ich hatte aber nicht den Eindruck, dass das der Fall war, denn es kam nur ein eher kleiner Kreis zusammen. Auch so wurde schon deutlich, dass es nicht ganz einfach war, die verschiedenen Vorstellungen zur Gestaltung und Nutzung des Gartens unter einen Hut zu bringen, zumal neben den Interessen und Bedürfnissen der verschiedenen Gruppen der Gemeinde auch noch diejenigen der angrenzenden KiTa, des angrenzenden Caritas-Seniorenheims und der Mieter der angrenzenden, ebenfalls der Pfarrei gehörenden Wohnhäuser zu berücksichtigen sind. Ziemlich bald konzentrierte sich die Diskussion auf die kaum zu leugnende Tatsache, dass die schönsten Gestaltungsideen für den Garten nichts nützen, wenn er nicht ordentlich gepflegt wird. Der Pfarrvikar vertrat den Standpunkt, alle Gruppen, die den Garten regelmäßig nutzten, sollten sich auch an seiner Pflege beteiligen; das fand ich gut und richtig, wies aber darauf hin, dass das nur funktionieren könne, wenn ein Plan dafür erstellt werde – sprich: eine Übersicht darüber, was für Arbeiten im Garten regelmäßig anfallen und welche Gruppen diese Arbeiten in welchen Zeitabständen übernehmen könnten. Da ich den Eindruck hatte, dieser Punkt drohe in der phasenweise etwas unstrukturierten Diskussion unterzugehen, wiederholte ich ihn so lange, bis mir die Aufgabe übertragen wurde, einen solchen Plan zu erstellen. Tja. Geschieht mir recht, schätze ich. Aber ich wollte ja sowieso schon lange mal was mit Gartenarbeit machen. 

Und am Mittwoch nach dem JAM fuhr ich nach St. Joseph Siemensstadt zu einer Sitzung des Ausschusses "Kinder, Jugend und Familie". Im Unterschied zum Garten-Arbeitskreis handelt es sich dabei um ein offizielles Gemeindegremium, sodass ich nun also doch wieder, trotz aller schlechten Erfahrungen, in der Gremienarbeit angekommen bin. Die "Kernbesetzung" des Ausschusses bildeten, wenn man das überhaupt so sagen kann, zwei Frauen aus dem Gemeinderat St. Joseph/St. Stephanus,  von denen eine zusätzlich auch dem Pfarreirat der Großpfarrei Heilige Familie angehört, sowie der Gemeindereferent; da die Satzung aber erlaubt, dass in den Ausschüssen des Gemeinderats auch Personen mitarbeiten, die selbst nicht dem Gemeinderat angehören, waren zu der Sitzung auch weitere engagierte Gemeindemitglieder eingeladen worden, die Kinder im relevanten Alter haben. Dieser Einladung folgten eine junge Mutter von drei Kindern, die ich flüchtig beim "Familientag" in St. Stephanus Anfang Juni kennengelernt hatte, und eben ich. 

Die Stimmung bei der Sitzung war erfreulich konstruktiv; der wichtigste Punkt der Tagesordnung betraf die einmal im Monat in St. Joseph stattfindenden Kinderwortgottesdienste: Diese werden derzeit vom Gemeindereferenten allein gestaltet und geleitet, zukünftig soll es aber ein Team dafür geben, und, tja, jetzt bin ich eben in diesem Team. Was natürlich ein bisschen ironisch ist angesichts der wohlbekannten Tatsache, dass ich kein Fan des Formats "separater Kinderwortgottesdienst während der Messe" bin; aber das ist so ein klassischer Fall von pragmatischer Inkonsequenz, wo ich mir denke: Wenn es das nun einmal gibt, ist es vielleicht besser, ich bringe mich da ein, als dass ich es womöglich den falschen Leuten überlasse. (Außerdem ist es ja nur einmal im Monat, es bleiben also noch genug Gelegenheiten, mit den Kindern eine "normale" Sonntagsmesse mitzufeiern.) – Wir haben innerhalb des Teams sicherlich unterschiedliche Vorstellungen, die sich früher oder später bemerkbar machen werden (es würde mich sehr wundern, wenn das nicht der Fall wäre); aber die Chemie stimmt, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Auch jenseits des Themas "Kinderwortgottesdienste" wurden in der Ausschusssitzung einige vielversprechende Ideen diskutiert. Man darf gespannt sein, wie sich das weiter entwickelt. 

Die Rubrik "Währenddessen in Tegel" fällt diese Woche aus; da gibt es gerade nichts Neues, was aus Platzgründen vielleicht auch ganz gut ist. 


Neues aus Synodalien: Die Kirchenaustrittszahlen sind da! 

Wir haben es wohl alle aus der einen oder anderen Quelle mitgekriegt: Die Deutsche Bischofskonferenz hat ihre Mitgliederstatistik für das Jahr 2022 veröffentlicht, und siehe da, eine satte halbe Million Menschen, die in Deutschland leben und Steuern zahlen, sind im vergangenen Kalenderjahr aus der katholischen Kirche ausgetreten. Das stellt frühere, auch nicht gerade mickrige jährliche Kirchenaustrittszahlen noch einmal deutlich in den Schatten. Dem offiziellen Narrativ der amtskirchlichen und amtskirchennahen Presse zufolge hat das natürlich nichts mit dem Schismatischen Weg zu tun, bzw. wenn doch, dann nur insofern, als seine "Reform"-Impulse nicht weit genug gehen, zu zögerlich umgesetzt werden oder von den schlimmen Konservativen blockiert werden. Man kennt das: Seit Jahrzehnten reißt sich die Institution Kirche ein Bein ums andere aus, um "gesellschaftlich relevant" zu bleiben, stellt Jahr um Jahr fest, dass diese Bemühungen tatsächlich nur zu einem immer weiteren Verlust von Relevanz führen, und reagiert darauf, indem sie dieselben Bemühungen immer weiter verstärkt. Das Ergebnis ist genau so, wie man es sich eigentlich vorher hätte denken können. War es nicht Einstein, der sagte, immer wieder dasselbe zu tun und darauf zu hoffen, dass es endlich einmal zu einem anderen Ergebnis führt, sei die Definition von Wahnsinn? 

Nun sage ich ja immer gern, man solle sich bei der Auswertung der alljährlichen DBK-Statistiken nicht allein auf die Zahl der Ausgetretenen konzentrieren, und auch wenn das angesichts der imposanten Größe dieser Zahl heuer etwas schwierig sein mag, gilt das auch für die Statistiken des Jahres 2020. Wie üblich haben die einzelnen Bistümer (oder jedenfalls einige von ihnen) die sie betreffenden Zahlen in Infografiken verpackt, die in den Sozialen Netzwerken kursieren; und da gibt es schon ein paar kommentarwürdige Auffälligkeiten. So sind in allen Bistümern, von denen ich solche Infografiken gesehen habe, die Zahlen für die Teilnahme am Gottesdienst und die Spendung "lebensabschnittsbezogener" Sakramente (Heirat, Taufe, Erstkommunion) nach dem "Corona-Knick" wieder nach oben gegangen – mit einer signifikanten Ausnahme: der Firmung. Machen wir uns das bitte klar: Es gab im Jahr 2022 weniger Firmungen als in den Corona-Jahren. Gibt es schon irgendwelche Stellungnahmen von Pastoraltheologen und Religionssoziologen dazu, welche Konsequenzen man daraus für die Zukunft des Firmsakraments ziehen sollte? 

Mein allerzweitliebstes Bistum (Münster) setzt derweil voll auf Zweckoptimismus und hat die Kampagne #KircheistMehr lanciert, die man ehrlicherweise auch gleich #Esistnichtallesschlecht hätte nennen können oder sollen. "Die katholische Kirche im Bistum Münster ist keineswegs nur eine Kirche mit negativem Trend", schrieb das wohl bestbezahlte Social-Media-Team der deutschen Diözesen auf Facebook. "Die katholische Kirche macht weiter Angebote, die von vielen Menschen wahrgenommen werden. Schaut Euch die positiven Zahlen an und lest mehr darüber in den kommenden Tagen hier auf Facebook!" – Zu diesen "positiven Zahlen" gehörten beispielsweise Zuwächse bei der Anzahl der Kita-Kinder, der "Lernende[n] [sic!] an Bistumsschulen" und "Teilnehmer bei Ferienfreizeiten", der "Beratungen in der Schuldner- und Insolvenzberatung" und der "Schwangeren-Beratung" sowie nicht zuletzt der "Follower in den Sozialen Netzwerken"; besonders auffällig fand ich es indes den Umstand, dass die Zahl der "Beschäftigten[n] beim Bistum und in den Kirchengemeinden" im Jahr 2022 um stolze 680 Personen gewachsen ist. "Trotz schrumpfender Mitgliederbasis wächst der institutionelle Apparat weiter", kommentierte ich diesen Sachverhalt auf Facebook. "Bezeichnend, dass das als gute Nachricht verkauft wird." – Ich war verblüfft (und bin es im Grunde immer noch), was für einen "Beef" ich mir mit dieser doch recht nüchternen Feststellung einhandelte: zunächst seitens der Redaktion selbst ("Fragen Sie doch nur beispielsweise mal die Menschen, die eine der Caritas-Beratungsstellen aufsuchen, was diese von Ihrem Kommentar halten", wurde mir in bewährt passiv-aggressiver Manier nahegelegt), dann aber auch seitens zahlreicher "Fans" der Seite. Eine Antwort auf meinen Kommentar sei hier exemplarisch zitiert: 
"Was wollen Sie eigentlich? Dass all die Angebote von Kitas bis Beratungsstellen abgeschafft werden, weil das in Ihren augen nur 'institutioneller Apparat' ist? Wenn das Ihre Meinung ist, so zeugt das von wenig Respekt für die Arbeit, die dort geleistet wird, von wenig Respekt, gegenüber den Menschen, die diese Arbeit leisten aber auch gegenüber jenen, die die Angebote in Anspruch nehmen. Und eigentlich ist der Bedarf noch viel höher." 

Man beachte, wie zielsicher diese Erwiderungen an dem in meinem Kommentar angesprochenen Punkt vorbeischießen. Die Aufblähung des institutionellen Apparats ist der Elefant im Raum der katholischen Kirche in Deutschland. Es sei daran erinnert, dass Papst Franziskus die deutschen Bischöfe schon anno 2015 vor einer "Tendenz zu fortschreitender Institutionalisierung der Kirche" warnte: "Es werden immer neue Strukturen geschaffen, für die eigentlich die Gläubigen fehlen. Es handelt sich um eine Art neuer Pelagianismus, der dazu führt, unser Vertrauen auf die Verwaltung zu setzen, auf den perfekten Apparat." – Viel geholfen hat diese Ermahnung offenbar nicht. Tatsächlich halte ich es für offenkundig, dass der gesamte Synodale Weg sehr wesentlich von dem Bestreben dieses institutionellen Apparats motiviert war, seine Pfründe zu verteidigen. Das ist natürlich ein etwas peinliches Thema, deshalb spricht man lieber über KiTas und Beratungsstellen – gegen die ich ja kein Wort gesagt hatte, obwohl man durchaus hätte anmerken können, dass es eventuell ein bisschen zynisch 'rüberkommen könnte, einen gestiegenen Bedarf an Schuldner- und Insolvenzberatungen und Schwangerenkonfliktberatungen als positive Entwicklung darzustellen. Ich persönlich finde ja, dass dasselbe auch für die gestiegene Zahl von KiTa-Kindern gilt, bin mir aber bewusst, dass das eine Außenseiterposition ist. 

– Bei alledem darf man natürlich eins nicht vergessen: An dem im weitesten Sinne sozial-caritativen Aufgabenbereich der institutionellen Kirche hängen sehr, sehr viele Arbeitsplätze, aber das sind nicht einfach nur Zahlen, sondern hinter diesen Zahlen stehen konkrete Menschen, von denen wohl die meisten subjektiv und nicht unbedingt zu Unrecht überzeugt sind, mit ihrer Arbeit etwas Gutes zu tun. Dass diese Leute darunter leiden, dass der zunehmend schlechte Ruf der Kirche in der Gesellschaft auch auf sie abfärbt, und dass sie sich deshalb durch eine Kampagne wie #KircheistMehr wertgeschätzt fühlen, ist verständlich. Was jedoch nichts daran ändert, dass eine Kirche, die ihre Existenz durch den Hinweis darauf zu rechtfertigen sucht, dass sie schließlich auch viel Gutes tue, einen mehr als peinlichen Anblick bietet. Im Prinzip signalisiert sie damit der säkularen Gesellschaft: "Friss mich nicht, ich könnte noch nützlich für dich sein". – Um es ganz deutlich zu sagen: Caritas – im Sinne tätiger Nächstenliebe, wenn auch nicht zwingend in der Gestalt des gleichnamigen Unternehmens – gehört zu den wesentlichen und unverzichtbaren Aufgaben der Kirche, aber als ein Aspekt ihres göttlichen Sendungsauftrags und nicht losgelöst von diesem. Noch schärfer formuliert: Dass, wie das Münsteraner Kampagnenmotto betont, "Kirche mehr ist", nützt nichts, wenn sie nicht zunächst und vor allem das ist und sein will, wozu Christus sie gestiftet hat. Wenn sie nichts anderes sein will als eine zivilgesellschaftliche Institution – und sei sie noch so wohltätig –, dann, da zitiere ich jetzt mal Klaus Hemmerle aus seiner Keynote Speech beim Katholikentag 1968 in Essen, "wäre es beileibe das beste, wir würden diesen Verein so schnell wie möglich auflösen und uns effizienteren Organisationen zuwenden". 


Was ich gerade lese 

Hier kann ich mich diesmal weitgehend auf Nachträge zu den schon vorige Woche besprochenen Texten beschränken. Den Vortrag "Die Welt im Wort der Bibel" von Otto Knoch habe ich weitergelesen, obwohl schon nach den einleitenden Einsätzen klar genug war, wohin da der Hase läuft; tatsächlich wurde er im weiteren Verlauf noch übler. Sollte man noch irgendwelche Zweifel gehegt haben, ob man Knochs Intention – was seine Haltung zum technokratischen Fortschrittsverständnis angeht – nicht doch vielleicht einfach missverstanden hat, so dürfte der folgende Absatz wohl endgültig Klarheit schaffen: 

"Die menschliche Welt [...], in der jeder Mensch die Möglichkeit hat, satt zu werden, sich frei zu entfalten, menschenwürdig zu leben, [...] ist nach Christus Ziel des Kultur- und Weltauftrags des Menschen. Diesem Ziel hat alles zu dienen, die Sorge um Arbeitsplätze, Wohnungen, Bildungseinrichtungen, die Gleichberechtigung der Frau, der Kampf um gleiche Rechte für alle Menschen und Rassen, um Ausschaltung von Krieg, Hunger, Krankheit und Elend, die größere Freiheit und der größere Rechtsschutz des einzelnen, die Erforschung aller Bereiche der Welt und des Menschen, die Ausweitung der Wirtschaft, die Planung der Zukunft. Hier sind viele Aufgaben und Möglichkeiten gegeben, die sich z.Z. Jesu noch nicht abzeichneten, die aber seiner Haltung dienstbereiter [!] Menschenliebe entsprechen". 

In letzter Konsequenz und trotz mancher eher lustlos wirkenden Relativierungen propagiert Knoch ein religionsloses Christentum als ein rein innerweltliches Programm der technokratischen Selbstoptimierung des Menschen und der menschlichen Gesellschaft, das sich gleichwohl auf Christus beruft und darum christlich nennt. Darin offenbart sich die Vorstellung, Christus habe seine Lehre als Religion verkündet, weil das dem Verständnishorizont seiner Zeit entsprach, aber heutzutage brauchen wir diese religiöse Einkleidung nicht mehr, im Gegenteil, sie stört eigentlich nur. In den evangelischen Kirchen waren derartige Vorstellungen schon länger im Schwange, hier sehen wir, wie sie auch in der katholischen Einzug halten. – Das zweite Referat im Forum "Diese Welt und Gottes Wort" beim 1968er Katholikentag hält Norbert Greinacher (1931-2022), seinerzeit Privatdozent an der Universität Münster, und es trägt den Titel "Ja zur weltlichen Welt". Lässt schon diese Überschrift noch Schlimmeres erwarten, als wir von Knoch gehört haben, so gilt das auch und erst recht für die Person des Referenten: Wie ich Manfred Plates Buch "Das deutsche Konzil" entnommen habe, wurde Norbert Greinacher einige Jahre später – 1973 – von Kardinal Döpfner als Berater der Würzburger Synode abberufen, nachdem er sich "öffentlich für die Straffreiheit bei Abtreibungen" ausgesprochen hatte; auch in einem Beitrag des "Komm-mit-Kalenders" 1981 wird Greinacher neben Hans Küng als Hauptvertreter bzw. Wortführer der "Supermodernen" bzw. "Progressisten" innerhalb der Kirche genannt. Zu seinem Vortrag werde ich mich nächste Woche äußern. 

Dagegen wird "Kalle Blomquist, Eva-Lotta und Rasmus" zum Ende hin immer besser. Der Schluss hat mich so begeistert, dass ich geneigt bin, mein bisheriges Gesamturteil über die "Kalle Blomquist"-Trilogie – welches lautete: Der erste Teil ist der beste, und die Fortsetzungen werden ihm, unbeschadet ihrer sonstigen Qualitäten, letztlich nicht gerecht –, teilweise zu revidieren: Wenn man es unterlässt, den ersten Teil zum Maßstab für die ganze Serie zu machen, wenn man sich also von der Erwartung frei macht, "Kalle Blomquist" müsse ein Serienkrimi wie etwa "Die drei ???" sein, bei dem alle Episoden mehr oder weniger nach demselben Schema aufgebaut zu sein hätten, dann sind alle drei Teile sehr gut; der mittlere allerdings wohl im direkten Vergleich doch am schwächsten. 

Nachdem wir nun also den ganzen "Kalle Blomquist"-Sammelband durch haben, hat das Tochterkind sich für einen Band aus der Reihe "Silberwind, das weiße Einhorn" entschieden; zu dieser Serie habe ich mich ja schon einmal geäußert, und ich möchte nochmals den Eindruck unterstreichen, dass sie in gewisser Weise abgründiger und düsterer wirkt als vergleichbare Buchreihen wie etwa "Sternenschweif". Trotzdem freue ich mich darauf, danach wieder etwas inhaltlich wie stilistisch Anspruchsvolleres zu lesen... 


Aus dem Stundenbuch 
Saul ergriff ein Gespann Rinder und hieb es in Stücke, schickte die Stücke durch Boten in das ganze Gebiet von Israel und ließ sagen: Wer nicht hinter Saul und Samuel in den Kampf zieht, dessen Rindern soll es ebenso ergehen (1 Sam 11,7). Auch der Herr schickte in alle Gegenden der Kirche die mit seiner Hilfe vollbrachten Werke der Evangelisten, die Boten der guten Nachricht heißen. Er ließ sagen: Wer nicht auszieht, nämlich aus der weltlichen Lebensart seiner Väter, wer nicht in Bekenntnis und Werk gemäß den Mahnungen des Evangeliums und der Propheten auszieht, wer sich nicht zur Aufnahme des geistlichen Kampfes rüstet, wird sich am Ende verworfen finden. Das gläubige Volk hört das Evangelium und vernimmt mit heilsamem Schrecken, was denen beschieden ist, die nicht glauben. So gibt es die Begierden des alten Menschen auf und versammelt sich in der Einheit der katholischen Kirche. Es verabscheut die dunklen Winkel der Lügenpropheten und möchte im strahlenden Licht des Evangeliums durch Christus gemustert werden und seine Namen für den Himmel angeben. 
(Beda Venerabilis, Auslegung zum 1. Buch Samuel) 

Ohrwurm der Woche 

4 Non Blondes: What's Up 


"And I try 
Oh my God, do I try 
I try all the time 
in this institution 

And I pray 
Oh my God, do I pray 
I pray every single day 
for a revolution." 

Need I say more? 


Blogvorschau 

Endlich gibt es in dieser Rubrik mal wieder etwas Neues zu vermelden: Mit dem lange erwarteten Artikel "Der Traum von der erneuerten Gemeinde" bin ich in den letzten Tagen sehr gut vorangekommen, gleichzeitig hat er dabei aber einen solchen Umfang angenommen, dass ich mich dazu entschieden habe, ihn in mindestens zwei Teilen zu veröffentlichen. Teil 1 ist so gut wie fertig und erscheint in Kürze; und dann werde ich mich entscheiden, ob ich Teil 2 direkt hinterherschiebe oder mich erst einmal dem Thema "Bloggen als unehrenhafte Form des Journalismus" zuwende, das mir ziemlich unter den Nägeln brennt. Ebenfalls allmählich mal Zeit wird's für das Dossier "Warum eigentlich 'Punkpastoral'?"; und wenn ich dann soweit bin, mit "Shopping-Queens und Horsefluencerinnen" anzufangen, dürfte auch die nächste Themenvorschlags-Umfrage fällig werden. Einige Ideen habe ich schon...


3 Kommentare:

  1. Klingt gut, was Sie über die konstruktive Atmosphäre in St. Joseph und St. Stephanus schreiben und die Leserschaft freut sich schon auf kommende Artikel über blühendende Gärten, begossen von zahlreichen, eifrigen Gruppen und bevölkert von zahlreichen, glücklichen Wichtelkindern. (Ich sehe Sie schon im Garten einherschreiten, mit einem zünftigen Strohhut auf dem Kopf und dem Klemmbrett in der Hand und gerunzelter Stirne kontrollieren, ob a) alle Gruppen ihre Gießpflicht korrekt nachgekommen sind und b) ob sich kein wildes Wichtelkind, die bald sprießenden Blumenrabatte beschädigt hat;-)
    Aber Ihre persönliche Bemerkung zum Ruhestandsgeistlichen aus Falkensee, „(Ich hoffe, ich werde nicht so, wenn ich alt bin.“ erinnert mich doch arg an Lk 18,11 „Gott, ich danke Dir, daß ich nicht bin … wie dieser … dort.“ Die Hoffnung nicht so zu sein (zu werden), wie die anderen, kann ich ihnen nehmen; jeder hat seine Eigenarten und das wird im Alter nicht besser.
    Ansonsten wünsche ich Ihnen ganz ironiefrei gutes Gelingen bei Ihren neuen Projekten in Haselhost und Siemensstadt!

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  2. Diese "Suche nach dem perfekten Apparat" ist, denke ich, Teil der deutschen DNA. Letztens sahen wir das ja bei Corona, als ständig die ganz große technokratische Lösung, der ganz große bürokratische Entwurf gesucht und gefunden werden sollte. Der perfekte Apparat kämpft gegen die Natur, indem er die rebellischen kleinen Menschlein auf Spur bringt, und WEHE, einer möchte mit der angeheirateten ungeimpften Großtante des Schwippschwagers Weihnachten feiern!
    Es verwundert mich nicht, dass dieser Bestandteil der deutschen DNA sich auch in der Art und Weise ausdrückt, wie die Kirche versucht, das Chaos des Übergangs in einer postchristliche Gesellschaft zu managen.

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  3. Zum Thema institutionalisierte Caritas ohne Christusbezug: Bernhard Meuser hat bereits vor einer Weile festgestellt, dass die kath. Kirche 800000 Beschäftigte, aber nur rund 1 Million Gottesdienstbesucher hat...

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